ethische Verhalten - European Shiatsu Congress

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Ethisches Verhalten aus Sicht der tibetischen Medizin
"In der tibetischen Medizin ist das Verständnis für die Natur des Geistes
wesentlich ausgeprägter als in der westlichen. Die rein körperlichen Funktionen
sind in der tibetischen Medizin weniger genau erkundet als in der westlichen.
Ohne beide Richtungen zu mischen und ohne eine der anderen vorzuziehen,
sollten beide Lehren zur Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses zusammen
arbeiten. Damit kann die Wirksamkeit beider Heilmethoden verstärkt werden."
Seine Heiligkeit, der XIV. Dalai Lama
In allen alternative Medizinsysteme, wie beispielsweise die Traditionelle
Chinesische Medizin, Ayurveda, die alte persische Medizin (Unani-Medizin)
wird der Mensch als Ganzheit betrachtet und dessen Umfeld in diverse
diagnostische und therapeutische Überlegungen mit einbezogen. So auch in der
tibetischen Medizin, wobei der wesentliche Unterschied zu den oben
angeführten Medizinsystemen - und natürlich auch zur Schulmedizin - in der
engen Verbindung der tibetischen Medizin zu der Religion der Tibeter, dem
Buddhismus, liegt.
Das korrekte ethische Verhalten des Patienten, aber vor allem auch des Arztes,
nimmt in der tibetischen Medizin einen wichtigen Stellenwert ein. Im
wichtigsten Text der tibetischen Medizin, dieser trägt den Titel „Die vier Tantra
der tibetischen Medizin“, ist ein eigenes Kapitel, nämlich das 31. des zweiten
Abschnittes dem Thema Arzt und dessen korrektem und ethischen Verhalten
gewidmet. Dieser Text liegt nun seit wenigen Jahren erstmals unter dem Titel
„Wurzeltantra und Tantra der Erklärungen der Tibetischen Medizin“ in
deutscher Sprache vor.
Die tibetische Medizin, allgemein bekannt unter dem Namen bod kyi gso ba rig
pa (tibetisches Wissen vom Heilen) ist eng mit der tibetischen Kultur
verbunden. Die Ursache jeglichen Leidens (insgesamt soll es 84.000
verschiedene Krankheitsbilder geben) liegt laut tibetischer Medizin in „ma rig
pa“, im Deutschen oft mit „Unwissenheit“ übersetzt. Diese Unwissenheit
besteht auf diversen Ebenen. Wir wissen nicht, wer wir sind, wie wir uns zu
verhalten haben, welche Umgebung uns gut tut, welche Nahrungsmittel und
Medikamente wir einnehmen können.
Ausgehend von einer präzisen Diagnostik, welche die Analyse des Pulses, die
Betrachtung des Urins sowie die Befragung des Patienten beinhaltet, gibt der
Arzt individuell an den Patienten angepasste Ernährungs- und
Verhaltensempfehlungen. Sollten diese nicht effizient genug sein, kommen
darüber hinaus sogenannte äußere Therapien wie beispielsweise Moxibustion,
Massage und die Goldene-Nadel-Akupunktur zur Anwendung. Am
effizientesten werden individuell an die Befindlichkeit des Patienten angepasste
tibetische Pillen angesehen. Diese Pillen werden 2 bis 3 Mal täglich mit heißem
Wasser eingenommen.
Ein wichtiges Grundkonzept des Buddhismus ist das Prinzip von „Ursache und
Wirkung", anders ausgedrückt, das „abhängige Entstehen", tibetisch: rten ‘brel.
Dieses Prinzip besagt, dass nichts auf dieser Welt - und somit auch kein
Krankheitsbild - ohne Grund entsteht, sondern für jedes Resultat eine oder
mehrere entsprechende Ursachen vorliegen müssen. Dieses Konzept ist für im
Westen aufgewachsenen Menschen manchmal schwer nachvollziehbar, doch für
Buddhisten, die zusätzlich an das Konzept der Wiedergeburt glauben, leicht
verständlich. So wird in alten tibetischen Texten gelehrt, dass wir bereits zum
Zeitpunkt der Geburt mit dem Karma vorheriger Inkarnationen auf die Welt
kommen und aus diesem Grund zu gewissen Krankheitsbildern neigen.
Der Begriff des Karma (Tibetisch: las) bezeichnet in diesem Zusammenhang ein
spirituelles Konzept, nach dem jede Handlung – physisch wie geistig –
unweigerlich eine Folge hat. Diese muss nicht unbedingt im aktuellen Leben
wirksam werden, sondern kann sich möglicherweise erst in einem der nächsten
Leben manifestieren.
Mit dem Thema ethisches Verhalten beschäftigen sich tibetische Ärzte aus
verschiedenen Gründen. Ein richtiges ethisches Verhalten gilt nicht nur für
Mediziner, sondern auch für Patienten, als hilfreich. Warum? Davon ausgehend,
dass sämtliche Handlungen, die wir mit Körper, Rede und Geist ausführen,
Auswirkungen auf unser Karma haben, ist es von Bedeutung, sich ethisch
korrekt zu verhalten, um im Falle einer bereits vorliegenden Erkrankung
möglicherweise negatives Karma abzuarbeiten bzw. im Idealfall bei Vorliegen
von Gesundheit kein negatives Karma anzuhäufen
Darüber hinaus gilt ein korrektes ethisches Verhalten als hilfreiches, kostbares
Mittel, um ein von Buddhisten angestrebtes Ziel, nämlich die Buddhaschaft, zu
erlangen.
Welches Verhalten wird nun in der Praxis empfohlen? Die häufigsten
Belehrungen zu diesem Thema empfehlen, dass sich der Praktizierende darin
üben solle, die so genannten sechs Vollkommenheiten auszuüben. Diese lauten:

Ethisches Verhalten (wird im folgenden Absatz beschrieben),

Großzügigkeit,

Ausdauer bzw. Beharrlichkeit,

Konzentration,

Meditation und

Weisheit.
Wie oben angeführt kann das ethische Verhalten in drei Teilbereiche (Körper,
Rede und Geist) eingeteilt werden:
Auf Ebene des Körpers gilt das Vermeiden von Töten, Stehlen sowie sexuellem
Fehlverhaltens als korrekt. Auf Ebene der Rede wird empfohlen, nicht zu lügen,
keine beleidigenden Worte auszusprechen, nicht zu schimpfen bzw. zu fluchen
und nicht sinnlos zu schwätzen. Was die Ebene des Geistes betrifft, so wird
empfohlen, nicht Dinge bzw. Eigenschaften anzustreben, die andere Menschen
besitzen; nicht den Wunsch zu haben, anderen Menschen zu schaden, sowie:
keine falschen Ansichtsweisen zu haben. Unter falschen Ansichtsweisen
verstehen Tibeter beispielsweise das Prinzip von Ursache und Wirkung sowie
das eigene, jedem Menschen innewohnende Potential nicht anzuerkennen.
Abschließend noch eine kurze Geschichte: Auf die Frage was es benötigt, um
ein guter Arzt zu werden, hat im Jahre 1997 der damalige Leibarzt des Dalai
Lama, Dr. Lobsang Wangyal, geantwortet: „mit freudvoller Anstrengung zu
studieren, seine Lehrer gut zu überprüfen, sich für die Patienten Zeit zu nehmen
und alle Menschen gleich zu behandeln“. Des Weiteren rät der ehemalige
Leibarzt des Dalai Lama, Alkohol, Zigaretten und wechselnde sexuelle
Beziehungen zu meiden, sowie, sich in Liebe und Mitgefühl zu üben. Dies
geschieht vor allem durch die Vergegenwärtigung, dass alle Menschen dieselbe
Natur besitzen: wir werden alle krank, wir werden alle älter, wir sterben alle.
Aus diesem Bewusstsein heraus kann man Mitgefühl entwickeln. Mitgefühl
bedeutet für die Tibeter, Bodhichitta zu entwickeln; den Wunsch, allen
Lebewesen zu helfen. Durch diese Praxis würde laut seiner Erklärung den
Patienten gut geholfen werden, aber auch der Arzt selbst könne davon
profitieren.
Literaturempfehlungen:
Ploberger, F. (2012) Die Grundlagen der Tibetischen Medizin, eine Übersetzung
des Werkes „Fundamentals of Tibetan Medicine“ der Men-Tsee-Khang
Publications, 2. Auflage, Schiedlberg: Bacopa.
Ploberger, F. (2013) Wurzeltantra und Tantra der Erklärungen der Tibetischen
Medizin, 2. Auflage, Schiedlberg: Bacopa.
Ploberger, F. (2015) Das letzte Tantra aus Die vier Tantra der Tibetischen
Medizin, Schiedlberg: Bacopa.
Dr. med. FLORIAN PLOBERGER, B.Ac., MA
TCM-Arzt, Univ.-Lektor, Präsident der ÖAGTCM, Tibetologe, Fachbuchautor,
www.florianploberger.com
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