Critical Society script no

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Die Rolle der Zivilgesellschaft im
Kampf gegen Antisemitismus
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Is there something to do?
Zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Antisemitismus
muß
analytisch fundiert und politisch entschieden sein.
Anmerkungen zu einer Tagung der AmadeuAntonio-Stiftung
am 2. Dezember 2004 in Berlin.
Samuel Laster DIE JÜDISCHE (www.juedische.at)
Jörg Rensmann PROJEKT ARCHIV e.V.
Ralf Schroeder CRITICAL SOCIETY e.V.
Sacha Stawski HONESTLY CONCERNED
Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus
Vorsatz
Das Anwachsen antisemitischer, antizionistischer und
antiamerikanischer Ressentiments, die vom militanten
Islamismus bis in Teile der offiziellen europäischen Politik eine
zunehmend bedrohliche Praxis entwickeln, stellt die
zivilgesellschaftlichen Akteure vor erhebliche Herauforderungen.
Die kritische Reflexion, wieso nach dem „Aufstand der
Anständigen“, nach dem Ausbruch des zweiten
palästinensischen Krieges gegen Israel und nach den
Terroranschlägen vom 11. September die zivilgesellschaftlichen
Akteure hierzulande in die Defensive gerieten, ist notwendig.
Empirische Sozialstudien belegen, daß antisemitische Vorurteile
quer durch die politischen und sozialen Lager enorm an Einfluß
gewinnen, daß sich Diskursgrenzen, die zunächst das
„Sagbare“ und dann das „Machbare“ definieren, deutlich
verschieben, daß immer weniger codierte politische
Projektionen, die von offenem Haß gegen Amerika und Israel
bestimmt sind, gesamtgesellschaftliche Relevanz erlangen.
Das zivilgesellschaftliche Korrektiv scheint heute beinahe
ohnmächtig. Dabei mangelt es selten an Engagement der
Einzelnen, auch die institutionalisierten Akteure, die Stiftungen
und NGOs greifen die Themen vielfältig auf.
Die Autoren dieses Papiers wollen ihre Beobachtungen und
Erfahrungen dazu nutzen, in Form eines ersten Brainstormings
Vorschläge für eine künftige Analyse und Praxis zur Diskussion
zu stellen.
Samuel Laster
(www.juedische.at)
Jörg Rensmann
Ralf Schroeder
Sacha Stawski
Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus
DIE JÜDISCHE
PROJEKT ARCHIV e.V.
CRITICAL SOCIETY e.V.
HONESTLY CONCERNED
Seite 1
Berlin, Wien und Frankfurt am Main, den 2.
Dezember 2004
Kontakt über
Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus
Ralf Schroeder
[email protected]
0172.9789866
Seite 2
I - Der Kampf gegen Antisemitismus setzt einen analytisch
begründeten Begriff des neuen Antisemitismus voraus.
Der alte, immer gleiche Antisemitismus findet neue, aktualisierte
Formen und soziale Trägerschichten. Versteht man unter dem
heutigen Antisemitismus ausschließlich den
nationalsozialistischen Judenhaß, so fokussiert man weiterhin
auf die rechtsradikalen Milieus. Linker Antisemitismus, der
antikapitalistisch, globalisierungskritisch und friedensbewegt
daherkommt, wird dabei ebenso unterschätzt wie islamischer
Antisemitismus, der nicht nur ein Problem marginaler
fundamentalistischer Randgruppen darstellt.
Die zunehmende Dämonisierung und Delegitimierung Israels,
verbunden mit Fehlurteilen über die israelische Politik durch die
Verwendung von Double-Standards (3D-Analyse) sind Hinweise
darauf, daß der neucodierte Antisemitismus in breite
gesellschaftliche Schichten Einzug hält.
Aus der Erkenntnis, daß Antisemitismus heute ein Problem
verschiedener sozialer und politischer Gruppen darstellt, muß
eine Diversifizierung politischer Praxis folgen, die sich nicht
mehr ausschließlich auf neonazistische Milieus bezieht.
II - Antisemitismus beginnt nicht erst, wenn dieser sich
gewaltsam äußert.
Wie Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung
auf einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung ausführte (Berlin,
26.-28. November 2004), ist das Anwachsen antisemitische
Ressentiments nicht notwendig an die Zunahme antisemitischer
Gewalttaten gekoppelt.
Doch scheint die Ansicht, „allein Judenmord sei tendenziell
antisemitisch“ (wie gelegentlich Zyniker formulieren), recht weit
verbreitet.
Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus
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Die Reduktion auf rassistisch-eliminatorische, rechtsradikale
Ideologie verkennt die tatsächliche Bedrohung und
Wirkungsmacht des Antisemitismus. Lars Rensmann weist in
seiner Studie „Demokratie und Judenbild“ darauf hin, daß im
demokratischen Kontext antisemitische Vorurteilsmuster und
Ideologeme „vielfach auch in codierten, indirekten und
symbolischen Formen“ auftreten. Die kritische Beobachtung
verschiedener Milieus – auch des eigenen – sowie
unterschiedlicher Manifestationen – öffentliche Diskurse, private
Unterhaltungen, Slangsprache etc. – ist dringend notwendig.
III - Antisemitismus wird dort möglich, wo die Diskursgrenzen
ausgeweitet werden.
Offener Antisemitismus war lange Zeit, wie Werner Bergmann
vom Zentrum für Antisemitismusforschung formuliert, in eine
politisch-öffentliche „Kommunikationslatenz“ abgedrängt
worden. Doch das, was „sagbar“ und gesellschaftlich gewünscht
ist, ändert sich ebenso wie die politischen
Skandalisierungsschwellen in öffentlichen Konflikten.
Lars Rensmann verweist zu Recht darauf, daß sich nicht erst
mit der antisemitischen Kampagne Möllemanns die „soziale
Erwünschtheit, gesellschaftliche Bedeutung und politische
Opportunität von Antisemitismus in der politischen Kultur“ erhöht
hat. Er stellt fest: „Je konsequenter Judeophobie und
Nationalismus innerhalb des politischen Systems und der
demokratischen Öffentlichkeit neben rechtlicher Ahndung
politisch-kommunikativ delegitimiert und negativ sanktioniert
werden, desto weniger können sich gesellschaftlicher und
politischer Antisemitismus entfalten und Wirkungskraft erzielen.“
Dies heißt für zivilgesellschaftliche Akteure, die öffentlichen
Diskurse selbst zum Gegenstand der Kritik zu machen, wenn
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hier einer „deutschen Normalisierung“ und „unbekümmerten
Tabubrüchen“ das Wort geredet wird.
IV - Regierung und regierungsnahe Akteure befördern – zum
Teil fahrlässig, zum Teil aus politischem Kalkül – die
Enthemmung antisemitischer Diskurse.
Wortreiche Bekundungen können nicht darüber
hinwegtäuschen, daß die rot-grüne Regierung, ihre parteinahen
Stiftungen und Organisationen ihrer politischen Verantwortung
oft nicht nachkommen.
Zum einen gibt es eine verhängnisvolle Praxis, mit offenen
Antisemiten eine konventionelle nationale Identitätsstiftung zu
diskutieren (Bundeskanzler Schröders Zusammentreffen mit
Martin Walser) oder islamistische, israelfeindliche Akteure als
Diskussionspartner zu etablieren (Tariq Ramadan spricht im
Einstein-Forum Potsdam, die Friedrich-Ebert-Stiftung trifft sich in
Beirut mit der Hisbollah, Bundeskanzler Schröder eröffnet die
diesjährige Buchmesse zusammen mit dem Holocaustleugner
Mohammad Salmawy).
Zum anderen werden in staatlich finanzierten Institutionen, z.T.
trotz massiver öffentlicher Kritik, antisemitische und
antiisraelische Demagogen unterstützt. So finanziert Fischers
Außenministerium weiterhin das Hamburger Orient-Institut von
Udo-Steinbach (der den Terrorismus gegen Israel legitimiert und
mit dem Widerstand des Warschauer Ghettos gegen die Nazis
vergleicht). So ist der bekannte Antisemit Ludwig Watzal weiter
in herausragender Position in der Bundeszentrale für Politische
Bildung zum Thema „Naher Osten“ tätig (obwohl er kürzlich im
Deutschlandradio Haim Saban als Profiteur der „HolocaustIndustrie“ bezeichnete, der seine Medienmacht ausnutzen wolle,
proisraelische Propaganda in Deutschland zu verbreiten).
Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus
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Oft genug fehlen entschiedene Maßnahmen der politisch
Verantwortlichen gegen diese Enthemmung antisemitischer
Diskurse. Es ist an den zivilgesellschaftlichen Akteuren, dies in
aller Deutlichkeit zu kritisieren und eine Glaubwürdigkeit der
offiziellen Politik – von Regierung und Opposition –
einzufordern.
V - Daß Kritik an Israel nicht antisemitisch ist, ist wahr und
falsch zugleich.
Die permanente Wiederholung der Halbwahrheit, daß Kritik an
Israel nicht antisemitisch sein muß, verweigert sich der
empirisch belegten Tatsache, daß sich oft und immer weniger
codiert in der Kritik an Israel antisemitische Projektionen
widerspiegeln.
Allein die häufig geäußerte Behauptung, man dürfe hierzulande
Israel nicht kritisieren, so als ob dies nicht eine permanente und
öffentlich geübte Praxis von Medien, Dichtern, Denkern und
Politikern wäre, stellt selbst eine derartige antisemitische
Projektion dar.
Es ist notwendig, daß zivilgesellschaftliche Akteure
antisemitisch motivierte Israelkritik erkennen, analytisch belegen
und entsprechend skandalisieren.
VI - Antisemitismus ist als politisch falsche Projektion
irrational. Staatliche Repression muß dort einsetzen, wo
Aufklärungsresistenz herrscht.
Aufklärung, Bildungspolitik und engagierte Pädagogik sind nicht
in Frage zu stellen. Und doch: Oft scheitern sie an schon früh
gefestigten autoritären Orientierungen und antidemokratischen
politische Einstellungen.
Damit Menschen ohne Angst verschieden sein können, müssen
den Feinden einer liberalen Gesellschaft entsprechend Grenzen
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gesetzt werden. Staatliche Repression nicht nur gegen
antisemitische Gewalt, sondern auch gegen antisemitische
Propaganda und Hetzte trägt zum Erhalt ziviler
Mindeststandards bei.
Deshalb gehört es auch zur Aufgabe zivilgesellschaftlicher
Akteure, Hate-Crimes im Internet, in „alternativen“ Medien, auf
öffentlichen Demonstrationen und anderswo zu erkennen und
einer konsequenten Strafverfolgung zuzuführen.
VII - Für Antisemitismus darf es keine Freiräume geben.
Die Fehler der „akzeptierenden Jugendarbeit“ gegenüber den
Neonazis Anfang der 90er Jahre dürfen bei militantislamistischen (Jugend-)Gruppen nicht wiederholt werden.
Wenn beispielsweise organisierte, antisemitische
Schlägertrupps den öffentlichen Jugendladen T.E.K. in BerlinKreuzberg nutzen, und Sozialarbeiter, Jugendamt und
Bürgermeisterin dies nicht als Anlaß zum Handeln sehen, ist ein
Klima kaum verwunderlich, in dem auf Häuserwänden
antisemitische Parolen prangen, Jugendliche auf offener Straße
israelfeindliche Parolen skandieren, ein Mann mit Kipa auf der
Straße zusammengeschlagen wird oder israelsolidarische
Antifaschisten mit Messerstichen ins Krankenhaus eingeliefert
werden müssen.
Werden militant-islamische Gruppen im öffentlichen Raum
toleriert, so ist dies auch ein verheerendes Signal für liberale
Jugendliche mit migrantischem Background.
Die Zivilgesellschaft muß sich dafür engagieren, daß es von
Antisemitismus freie Räume gibt; nicht, daß Freiräume für
Antisemiten entstehen.
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VIII - Regierungsnahe Stiftungen und NGOs befinden sich in
einem Dilemma: Die Hand, die einen füttert, mag man nicht
beißen.
Ein erhebliches Problem der politischen Unabhängigkeit
entsteht dann, wenn Stiftungen und NGOs von staatlichen
Zuwendungen abhängig werden.
Finanzierung gibt es oft nur dann, wenn als Gegenleistung ein
zivilgesellschaftliches Engagement gezeigt wird, das sich
affirmativ zur regierungsamtlichen Politik darstellt.
Zudem führt das Engagement um entsprechende
Finanzierungen zu einem Wettlauf um die günstigste
„Marktposition“, ein kritisches Bewußtsein für das ursprüngliche
politische Anliegen droht dabei vernachlässigt zu werden.
Regierungsnahe Organisationen müssen sich dieses Dilemmas
bewußt sein.
Sie haben aber anders als unabhängige zivilgesellschaftliche
Akteure die Chance, politische Anliegen direkter zum
regierungsamtlichen Adressaten zu transportieren. Ein
verantwortungsbewußter Umgang mit dieser Möglichkeit kann
erwartet werden. Dies heißt vor allem, diese Chance aktiv zu
nutzen, statt sie übervorsichtig verstreichen zu lassen.
IX – Der Antisemitismus ist kein historisches Problem.
Die Holocaust-Education sowie vielfältige Formen der
Erinnerung, die nicht in Formeln und Ritualen erstarren dürfen,
sind eine herausragende gesellschaftliche Aufgabe, um die
millionenfachen Opfer der Shoa zu ehren und uns daran zu
erinnern, welche bis heute präzedenzlosen
massenmörderischen Folgen der Antisemitismus hatte.
Die Fokussierung auf diese Holocaust-Education ist aber dann
problematisch, wenn damit eine fahrlässige Historisierung und
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falsche Universalisierung der Shoa und generell der Bedrohung
durch den Antisemitismus einhergehen sollte. Das heutige
jüdische Leben gerade hier in Deutschland und Europa, die
Existenz eines modernen jüdischen Staates sowie die weltweit
wirkungsmächtige Bedrohung durch den modernisierten
Antisemitismus bedeuten, den Kampf gegen den
Antisemitismus als ständige, tagespolitische Aufgabe zu
verstehen, die sich nicht in einem vergangenheitspolitischen
Diskurs erschöpfen darf.
X - Die Stärke der zivilgesellschaftlichen Akteure liegt in ihrer
Vielfalt.
Der Kampf gegen den Antisemitismus profitiert nicht von
gegenseitigen Abgrenzungen, apolitischen
Profilierungsversuchen und Alleinvertretungsansprüchen.
Die Unterschiedlichkeit der zivilgesellschaftlichen Ansätze im
Kampf gegen Antisemitismus bietet die Chance, auf vielen
verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen zu agieren.
Das ergänzende Zusammenwirken zwischen diplomatischmoderaten und explizit agierenden Akteuren kann dann politisch
erfolgreich sein, wenn es sich auf die Anerkennung der
Notwendigkeit beider Positionen stützt.
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