Offener Brief Jüdische Gemeinde EV

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Rat der Religionen - Frankfurt
c/o Evangelische Dekanate, Neue Kräme 26, 60311 Frankfurt
An den Vorstand
Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main K.d.ö.R.
-
Per Mail -
Geschäftsstelle:
Pfarrerin Ilona Klemens
c/o Evangelische Dekanate
Neue Kräme 26
60311 Frankfurt
Tel.: 069 - 4272 617 16
Fax: 069 - 4272 617 19
E-Mail: [email protected]
www.rat-der-religionen.de
15.05.2016
Ihr Brief und Ihre Pressemitteilung vom 1.8.14
Sehr geehrte Frau Marställer, sehr geehrter Herr Latasch,
sehr geehrte Damen und Herren im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt,
der Vorstand des Rates der Religionen hat Ihren Brief wie auch Ihre Pressemitteilung überrascht zur
Kenntnis genommen, in der Sie erklären, ihre Mitgliedschaft im Rat der Religionen mit sofortiger
Wirkung ruhen zu lassen.
Dazu nehmen wir wie folgt Stellung:
Seit der Gründung des Rates im Jahr 2009 begleiten ihn Themen und Kontroversen rund um den
Nahostkonflikt, insbesondere zwischen Israel und Palästina. Auch wenn der Rat dem Grundsatz folgt,
sich vornehmlich zu Themen und Ereignissen mit Bezug zur Stadt Frankfurt zu äußern, weiß er um die
besondere Brisanz dieses komplexen Themenfeldes und seinen Auswirkungen auf die Beziehungen
auch hier vor Ort. Wir sind uns darüber bewusst, dass viele Mitglieder im Rat enge Beziehungen in
den Nahen Osten haben und damit persönlich betroffen sind.
Auch wenn es immer wieder den Wunsch geben mag, dass wir uns zu Gunsten nur einer Seite in dem
Konflikt positionieren, sieht der Rat seine ihm angemessene Aufgabe darin, die verschiedenen
Perspektiven in einen Dialog zu bringen und für eine respektvolle Debattenkultur über den Konflikt
einzutreten. Unterschiedliche politische Einschätzungen der Geschichte und der Gegenwart des
Konfliktes um Israel/Palästina sind legitim und dürfen uns im Rat der Religionen nicht dazu bringen,
das Gespräch abreißen zu lassen.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass alle Mitglieder des Rates Antisemitismus und
Judenfeindlichkeit auf das Schärfste verurteilen. Allen Angriffen auf jüdische Bürgerinnen und Bürger
Frankfurts treten wir entgegen. Entsprechend verurteilt der Rat die aktuellen antisemitisch
motivierten Vorfälle auf Personen und Einrichtungen in Frankfurt, die die jüdische Gemeinde wie
auch die ganze Stadt zu Recht in Sorge versetzt hat. Mehrfach hat der Rat in der Vergangenheit
Stellung bezogen gegen jede Form des Antisemitismus, wie auch gegen Äußerungen und Aktionen,
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die das Existenzrecht Israels in Frage stellen oder bedrohen1. Bereits 2010 hat er unter der
Überschrift „Das wird man doch noch sagen dürfen – Über den Unterschied zwischen Antijudaismus,
Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an Israel“ zu einer vielbeachteten, öffentlichen Diskussion
eingeladen. In Zusammenarbeit mit der Bildungsstätte Anne Frank unterstützt der Rat seit letztem
Jahr das Projekt „Kaum zu glauben – Religionen im Gespräch“, bei dem Schülerinnen und Schüler,
sowie Lehrerinnen und Lehrer Vorurteile und Diskriminierung im Namen, wie auch gegen Religionen
bearbeiten und überwinden lernen sollen. Der Rat hat überdies 2013 ein Grundsatzpapier zu religiös
begründetem Extremismus veröffentlicht.
Angesichts der Ereignisse der letzten Wochen in Frankfurt hat der Rat mehrfach intern das Gespräch
gesucht, um die verschiedenen Perspektiven zum aktuellen Konflikt in Gaza und den damit
verbundenen Protesten in Frankfurt miteinander ins Gespräch zu bringen. Dies entspricht, wie
bereits erörtert, dem Geist und Anspruch des Rates, stets den direkten, offenen Austausch zu suchen
und dabei auch schwierige Themen nicht zu scheuen.
Am 24. Juli 2014 fand eine Sondersitzung des Rates mit Vertretern der jüdischen, muslimischen,
christlichen, buddhistischen Gemeinden, sowie der Baha‘i und Sikh Gemeinde statt. Diese hatte zum
Ziel, sich über den weiteren Umgang mit dem Thema auszutauschen und einen gemeinsam
gangbaren Weg zu finden. Dabei ist es bisher gelungen, eine Polarisierung der verschiedenen
Positionen zu vermeiden, wie sie leider immer wieder bei diesem Themenfeld - insbesondere auch in
der Öffentlichkeit - stattfindet. Trotz zum Teil unterschiedlicher Sichtweisen waren - wie in der
Vergangenheit - auch diese Gespräche von großem Vertrauen, gegenseitigem Respekt und Offenheit
geprägt. Gemeinsame Grundlagen und Orientierungspunkte für den zukünftigen Dialog zum Thema
wurden festgehalten.
Wir bitten Sie darum zu beachten, dass die von der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen (IRH)
organisierte Demonstration am 26. Juli 2014 unter der Überschrift „Frieden und Gerechtigkeit für
Gaza und im Nahen Osten“ in der Presse positiv kommentiert wurde. Wir begrüßen grundsätzlich alle
Formen der Meinungsäußerungen, die konstruktiv, sachlich und dialogorientiert sind. Die in Ihrer
Pressemitteilung nun öffentlich anhand von zwei Zitaten kritisierten Personen sind nachweislich seit
vielen Jahren im interreligiösen Dialog aktiv und intern wie extern und öffentlich für eine
differenzierte Auseinandersetzung über den Nahostkonflikt eingetreten.
Gerade weil wir im Rat stets versuchen, im direkten und internen Austausch schwierige thematische
Herausforderungen im Dialog zu bearbeiten, bedauern wir außerordentlich, dass Sie nicht zuerst das
Gespräch mit uns gesucht, sondern stattdessen den Weg über die Öffentlichkeit gewählt haben.
Die in Ihrer Pressemitteilung indirekt implizierte Erwartung, dass der Rat über alle Facebookeinträge,
Facebook-likes und öffentlichen Kommentare seiner Mitglieder, die diese ausdrücklich nicht im
Namen des Rates äußern, informiert ist und diese gewissermaßen „überwacht“, erscheint uns
uneinlösbar. Über die konkreten Vorwürfe ist der Rat selbstverständlich bereit, mit allen Beteiligten
zu sprechen.
Wir schlagen vor, das im Rat schon lange geführte Gespräch über das Verhältnis von Religion und
Politik unter Bezug auf den Nahost-Konflikt angesichts der nunmehr aufgetretenen Differenzen mit
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Stellungnahme des Rates der Religionen Frankfurt zum Thema Antisemitismus, zum Existenzrecht des Staates Israel
und konkret zur Einschätzung der Al-Quds Demonstrationen in Berlin vom 12.2.2010
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Ihnen zu führen. Wir bitten um Verständnis, dass wir dies nicht öffentlich, sondern in einem
geschützten Rahmen tun möchten.
Wir bedauern Ihre Entscheidung die Mitgliedschaft im Rat ruhen zu lassen und bitten diese
Entscheidung noch einmal zu überdenken.
Der Rat hofft, dass es in den kommenden Wochen, ausgehend von dem gewachsenen Vertrauen, das
es untereinander im Rat gibt, gelingen wird, die Tür des Dialogs erneut zu öffnen.
Über eine entsprechende Antwort würden wir uns freuen.
Mit freundlichem Gruß
Gez. Khushwant Singh, Vorsitzender
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