1 Dorfgeschichten aus Witzschdorf ( 8 ) - „Essen auf Rädern“ anno dazumal „War das doch früher ein schönes Einkaufen im Vergleich zu heute „ meinen viele ältere Bewohner in kleineren Dörfern. „ Kannst du nicht selbst zum Supermarkt gelangen, bist immer auf andere angewiesen“ meinte kürzlich ein betagter Witzschdorfer. „ Im Dorf selbst, ist doch kaum noch Einkaufsmöglichkeit „ Wie war das eigentlich früher mit der Versorgung des täglich Notwendigen zwischen den beiden großen Kriegen des vergangenen Jh. ? Es gab im Ort Witzschdorf 27 Bauern ( plus einer im Schönthal ) Jeder dieser Betriebe hatte seine Kunden, die dort Butter, Milch, Quark, Eier Kartoffeln kauften. Daneben gab es Lebensmittelgeschäfte wie die „ Kolonialwaren“ von Paul Kluge, den Konsum, Bruno Hengst, der neben seiner Gasstätte noch einen „TanteEmma.-Laden“ hatte. Bei Hermann Winkler gab es neben Bier vor allem Gemüse und auch Lebensmittel. Im Ort waren zwei Fleischer : Oswald Vogler und Bruno Weiße und drei Bäcker : Kurt Brünnel, Kurt Weiße und Bäcker Morgenstern (später Fritsche) .ansässig. Die Fleischer schlachteten selbst und machten auch Hausschlachtrungen bei den Bauern.. Die Bäcker verkauften vorwiegend Brot,(4 Pfd. 60 Pfg.) einige Brötchen ( 1 Stck 3 Pfg.) und ab und zu auch Kuchen. Nur zur Kirmes war Hochbetrieb in den Backstuben. Wagenradgroße Kirmeskuchen der verschiedensten Sorten wurden gebacken, die zuweilen sogar mit Pferd und Wagen abgeholt werden mussten. Das Gleiche war auch zur Stollenbäckerei vor Weihnachten. Aus mitgebrachten Zutaten entstand ein individueller Stollen. Dem Gebäck war oft anzusehen, dass da zu viel Fett drin war. Aus geschäftstüchtigen Gründen bildete sich nach der Inflation auf dem Gebiete des Verkaufs von Lebensmittel mobile Dienstleistungen von Landwirten, Fleischern, Bäckern und Händler heraus., die von den Einwohnern von Wdf. gern angenommen wurden. Es ist heute schwer nachzuvollziehen, wer damit im Ort begonnen hatte. Fakt ist, dass der Bauer Willy Oehme zwei Mal wöchentlich bereits in den 20er Jahren mit Pferd und Wagen vorwiegend im unteren Ortsteil ab dem Häsisch bis zum Hahn landwitschaftl. Produkte anbot. Auf seinem Wagen befanden sich drei Milchkannen, davon zwei mit Vollmilch, eine mit Buttermilch. Die Kunden kamen mit Krügen zum Verkaufswagen und erhielten mittels langstieligen Litermaß die gewünschte Milch. Auf dem Wagen befand sich ferner ein Korb mit Butter (1 Stck 55 Pfg ), Quark und Eier ( 1 Stck 5 Pfg),im Herbst auch Kartoffeln. Das Pferd kannte seine Route und lief ohne Zutun des Kutschers von einer „ Haltestelle „ zur anderen . Gleiches machte aus der Bauer des Lehngerichtes ( Millo Lohse ) an anderen Tagen. Mit seinem Pferd Fuchs und einem Wagen belieferte Hermann Winkler wöchentlich einmal die Bewohner des Ortes vorwiegend mit Gemüse. Der Bauer Oswald Reuter brachte zur Vormittagspause Kakaomilch zu den Kindern der Schule . Die große Attraktion waren aber die Hundegespanne der Bäcker und Fleischer. Der Bäckermeister Kurt Brünnel fuhr drei Mal wöchentlich (Mo., Mi., Sa. ) mit seinen zwei Bernhardinern seine Erzeugnisse durchs Dorf, zur Buschmühle, Hahn und Färberei. Fehlten am Ende noch ein oder zwei Brote, wurden diese noch am gleichen Tag nachgeliefert. Kurt Brünnels Vater ging anfänglich noch mit Tragkorb zu den Kunden, bevor er zwei Neufundländer einspannte. 2 Der „ Morgenstern-Bäck“ hatte zwei Boxer mit unfreundlichen Gesichtern. Auch er belieferte die Witzschdorfer mit Backwaren bis zum Hahn. Sein Bienenstich-Kuchen soll besonders gut gewesen sein. Der Bäcker Kurt Weiße betrieb anfangs seinen mobilen Handel ebenfalls mit Hunden und nebenbei noch das Kohlengeschäft. Kurt Weiße trennte sich jedoch bald von seinen Hunden und kaufte sich 1932 ein Auto und wurde mit seinem grünen Stoewer der 3. Autobesitzer im Ort. Auch die Fleischer spannten Hunde ein. Oswald Vogler hatte zuerst ein Pferd, dann aber einen Hund. am „Lieferwagen“ , der die Wege bis zum Hahn, nach Hennersdorf und mittwochs und sonnabends nach Dittmannsdorf bewältigte. Oft musste auch der Kutscher ein wenig mit nachhelfen. Fleischermeister Bruno Weiße hatte zwei große schwarz-weiße Deutsche Doggen, die manchem Fußgänger Angst einjagten, wenn sie bellend am Zaun an der Dorfstraße hochsprangen. Deshalb verlangte Bürgermeister Richter, dass diese v on der Straßenansicht verschwanden. Als Zugtiere waren sie jedoch unübertroffen. Mittwochs und sonnabends ging es mit den begehrten Fleischwaren nach Hennersdorf zu seinen Stammkunden . Der Weg durch die Mörbitz wurde im „gestreckten Galopp „ bewältigt, wobei der Kutscher auf seinen Bock saß. Aber sie fuhren nicht nur Fleischerzeugnisse zu den Kunden, sie holten auch Schlachtvieh (Kälber, Schweine, Schafe ) von den Bauern. Dazu war ein etwas kräftigerer Wagen vorhanden. Im Gegensatz zu den anderen Hundegespannen waren die Doggen gegen Katzen auf der Straße sehr allergisch. Dieses reizte natürlich „böse „ Buben auch mal einen Stubentiger vor dem Gespann über die Straße zu jagen, wodurch der Kutscher oft in arge Bedrängnis geriet. Mit dem Beginn des Krieges war der mobile Handel „Essen auf Rädern“ abrupt zu Ende Auch der Fleischer Fritz Günzel aus Dittersdorf und der Sauerkraut-Richter (Erich Richter ) aus Gornau kamen nun nicht mehr. Nur der Besenbinder Louis Böhme aus „Tirol“ war noch mit seinem Hundegespann im Ort zu sehen.. Für Bauern, Bäcker, Fleischer, Händler hatte diese Zeit des ständigen Werbens um Kunden auch eine sehr nachteilige Seite: das Bezahlen. Das Prinzip „Ware gegen Geld „ war nur wenig ausgeprägt. Vielmehr hieß es : „Ware auf Pump, Aufschreiben und Bezahlung ( vielleicht ) am Wochenende“. Die Anbieter mussten große Bücher oder lange Listen führen über Zeiträume bis schließlich das Maß einmal voll war und die „ Kunden“ nichts mehr bekamen. Die Goldenen 20er oder 30er waren also gar nicht so golden, nicht für den Arbeiter und auch nicht für den Verkäufer von Lebensmittel. He – Bu Juni 2003