Jesus – Ethik - WordPress.com

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X. Die Ethik: 2. Jesus
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X. Die Ethik
2. Jesus
Jesu ethische Auffassung wird einmal an seinem Verhalten erkennbar. Er kannte
keine nationalen, sozialen oder religiösen Grenzen. Alle Menschen, die ihm auf seinem Lebensweg begegneten, waren ihm gleich viel wert, voll und ganz Menschen mit
ihren Freuden und Leiden. Weiter trug er seine ethische Haltung in den Gleichnissen
vor. In ihnen lehrte er, was er handelnd vorlebte, Vertrauen auf einen himmlischen
Vater und „Nächstenliebe“.
„Du sollst Gott von ganzem Herzen lieben und deinen Nächsten wie dich
selbst.“ (Markus 12,29-31)
Im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter erläuterte er, was er unter Nächstenliebe
verstand: Nämlich jedem Menschen beizustehen, der in Not ist und dessen Weg ich
kreuze. Bezeichnenderweise war im Gleichnis der Helfer ein Samariter, ein Todfeind
des Überfallenen.
Ich will mich vorwiegend auf einige Sprüche Jesu aus der Bergpredigt beschränken,
um meine Ausführungen nicht zu sehr auszudehnen. Im ganzen fällt eine weitgehende Übereinstimmung mit der Ethik Buddhas auf. Sprachlich redet Jesus zwar anders,
er trägt seine Auffassung in knappen Sprüchen oder in kurzen Gleichnissen vor.
Trotzdem laufen seine Gedanken auf das Gleiche wie bei Buddha hinaus: Es geht
auch ihm letzten Endes um Liebe als Mitte und Ziel ethischen Handelns.
„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten,
wer aber jemanden umbringt, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage
euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen
sein. Und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf, soll dem Spruch des
Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du gottloser Narr, soll dem
Feuer der Hölle verfallen sein.“ (Matthäus 5,21f)
In diesem Spruch bezieht sich Jesus auf das mosaische Gesetz und verschärft es.
Einen Menschen zu töten heißt nicht nur, ihn körperlich zu töten. Das Töten fängt viel
früher an, schon Worte können töten, sie können einen Menschen so sehr verletzen,
dass er unter Umständen ein Leben lang daran zu tragen hat. Allerdings muss auch
gegen den Wortlaut dieses Spruches und seiner häufigen Auslegung in kirchlichen
Kreisen festgehalten werden, dass immer noch ein unendlicher Unterschied zwi schen seelischer Kränkung und körperlichem Töten besteht. Einem sensiblen Menschen mag ein einziges kränkendes Wort zeitlebens zu schaffen machen. Dennoch
hat er das Leben vor sich und kann es in seiner ganzen Fülle mit allen Freuden und
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Leiden ausschöpfen. Wer körperlich ausgelöscht wurde, ist tot und hat gar nichts
mehr von diesem Leben.
„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich
aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand,
sondern wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, halte ihm auch die andere hin…“ (Matthäus 5, 38f)
Besonders dieser Spruch reizte stets zum Widerspruch oder zum Spott. In der Tat
führte er wohl zu einer Haltung, die man in der Kirche immer wieder antreffen kann,
dass manche sich überhaupt nicht wehren und sich wirklich alles gefallen lassen. Vor
allem leiten sie aus dem Spruch die Forderung ab, Böses nicht zu verurteilen oder
gar zu bestrafen. Aus dieser Sichtweise hat der Spruch manche unglücklichen Verhaltensweisen ausgelöst.
Andererseits zeigt er eine Einstellung an, die sich von den instinktmäßigen Reaktionen abhebt. Jesus will, dass wir nicht jede Kränkung vergelten. Es geht um die Sandkastenmentalität, die auch unter Erwachsenen weit verbreitet ist, „du hast meine
Burg kaputt gemacht, jetzt mache ich deine auch kaputt“. Es handelt sich um etwas
anderes, als sich entweder schafsmäßig alles gefallen zu lassen oder immer gleich
zurückzuschlagen, Wort gegen Wort, Tat gegen Tat. Man kann überlegen, ob in Jesu Einstellung, einmal etwas hinzunehmen und zu versuchen, den andern durch Zuhören, Erklären und Geduld zu überzeugen, nicht auch eine Stärke enthalten sein
kann. Auf lange Sicht dürfte in einem solchen Verhalten für das Gemeinwesen ein
größerer Gewinn liegen als in dauernden Streitereien und reflexartigen Vergeltungstaten.
Ein weiterer Gesichtspunkt läge in der Kraft der Wehrlosigkeit. „Ich sende euch wie
Schafe unter die Wölfe, seid klug wie die Schlangen und ohne Arg wie die Tauben“
(Matthäus 10,16). Bisweilen gibt es innerlich sehr starke Menschen, die sich schutzlos unter aufgebrachte Menschen oder in schwierige Situationen begeben. Die Haltung, die dieser Spruch nahelegt, entspricht dem buddhistischen Ideal der Wehrlosigkeit.
„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben
und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für
die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet.
Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt es
regnen über Gerechte und Ungerechte...“ (Matthäus 5, 43-45)
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Du sollst deinen Nächsten, das heißt deinen Volksgenossen lieben und deinen
Feind, den Angehörigen des anderen Volkes hassen. Das ist die übliche Haltung
unter uns Menschen, sie entspricht den Instinkten und wurde seit eh und je den Menschen beigebracht. Darauf setzten die Popagandisten der Nationen, die Führer der
Religionsgemeinschaften, die Vertreter der sozialen Klassen, die den Klassenkampf
als oberstes Ziel ihres Handelns ausgeben. Gerade dem widerspricht Jesus. Er verweist auf den Vater im Himmel, der über allen steht und allen Lebensraum und Daseinsrecht gewährt.
„Hütet euch, eure Frömmigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen. Sonst
habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten.“
(Matthäus 6,1f)
„Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie, denn euer
Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.“ (Mt 6,7f)
„Nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! werden in das Himmelreich komm en,
sondern die den Willen meines Vaters im Himmel tun.“ (Mt 7,21)
„Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, ob ihr
etwas zu essen habt, noch um euren Körper und darum, ob ihr etwas anzuziehen habt. Ist nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Körper
wichtiger als die Kleidung? Seht euch die Vögel an: Sie säen nicht, sie ernten
nicht und sammeln keine Vorräte, und euer himmlischer Vater ernährt sie
doch…“ (Mt 6, 25-34)
Frömmigkeit ist etwas sehr Persönliches, Intimes, sie berührt das innerste Erleben
und Fühlen. Damit soll man nicht großtun oder es zur Schau stellen. Frömmigkeit
lebt in einem stillen Vertrauen auf den Vater im Himmel. Das Vertrauen beweist sich
im täglichen Leben, bei den kleinen und großen Anlässen, die jeden Tag anfallen.
Entscheidend sind nicht das Maß und die Form der Frömmigkeit, sondern auf den
Vater im Himmel zu vertrauen.
„Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in
deinem Auge übersiehst du? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass
mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen – und dabei steckt in deinem
Auge ein Balken? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge,
dann kannst du den Splitter aus dem Auge deines Bruders herausziehen.“
(Matthäus 7, 3-5)
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Die Fehler der andern – ihnen gilt unser erster und letzter Blick. Unwillkürlich nehmen
wir ihre Irrtümer, ihre Fehlhandlungen, ihr Unvermögen wahr. „Die andern haben eine minderwertige Hautfarbe, die andern glauben an einen falschen Gott, die andern
legen Gottes Offenbarung verkehrt aus, die andern beten auf ungehörige Weise, die
andern sind nicht sozial eingestellt , – wir allein haben das Evangelium, wir allein
wissen es besser, nur wir machen es richtig...“
Zu den Seligpreisungen (Matthäus 5,1-10)
„Wohl denen, die vor Gott arm sind, denn ihnen gehört das Himmelreich.
Wohl denen, die trauern, denn sie werden getröstet werden.
Wohl denen, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben…“
Schwierigkeiten bereitet immer die erste Seligpreisung: Was heißt „arm“?
Lukas 6, 20 hat wohl die ursprünglichere Fassung: „Wohl euch, die ihr arm seid“ - die
ihr materiell arm seid. Matthäus fügte hinzu: „arm im Geist, geistlich arm“. Damit ist
freilich nicht gemeint „arm an Intelligenz“, sondern arm an Verdiensten vor dem Geist
Gottes, ohne Ansehen vor Gott. Gemeint sind Menschen, die sich abquälen und mit
dem Leben nicht zurecht kommen, die nicht tüchtig und erfolgreich sind, - und die
das wissen und den Schmerz darüber empfinden.
Die Seligpreisungen richten sich vor allem an unterdrückte Menschen, für die es keine Hoffnung zu geben scheint. Angesprochen werden Leidende: materiell Arme, moralisch Arme, Trauernde, Gewaltlose, Entbehrende. Die reines Herzens sind, im Gerangel um die höheren Posten und um das anzulegende Geld die Kürzeren ziehen.
Sie sind Hungernde und sollen satt werden. Auch sie bedeuten etwas und sind so
gut und so wertvoll wie die andern. Im Leben kann sich manches ändern, Mächtige
stürzen, Unterdrückte erhalten die Freiheit, Kranke werden gesund, ratlose und suchende Menschen finden einen Weg. Das kommt vor, es geschieht oft, aber doch
nicht immer. Was ist mit den Unzähligen, die nie „die Sonne sehen“? Die Revolution,
eine Diktatur, der Traum derer von 1965ff, der sogenannten „68ger“, bewirkt nichts,
dadurch wird nur neues Unrecht geboren. Und die schon vor langer Zeit Gestorbenen können nicht mehr zum Leben erweckt werden und die „Segnungen der Revolution“ genießen. Sie sind dahin und verloren. Umsonst gelebt? In einer Hinsicht ja.
Jesus vertraute aber auf einen letzten Endes gütigen Gott und damit an einen Aus gleich „im Himmel“, in einer jenseitigen Welt.
Das ist die verheißungsvolle Seite der Seligpreisungen. Jedoch setzt Jesus mit ihnen
auch Maßstäbe. So können, so sollen wir sein. Es kommt darauf an, gewaltlos zu
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sein, gerecht zu handeln, mit den Unterlegenen Erbarmen zu haben, reinen Herzens,
ohne Falsch, friedensbereit zu sein.
Lohn
Eine Schwierigkeit in der Bergpredigt stellen die Worte vom Lohn für gerechtes Handeln dar oder dass Gott es vergelten werde. Das hieße, das Gute zu tun, um dafür
belohnt zu werden. Diese Auffassung entspräche genau der angeblichen „egoistischen Wurzel“ der Ethik des Buddhismus. Damit steht Jesus oder das Christentum
nicht besser da als der Buddhismus. Es ist aber klar, dass es nur darum gehen kann,
vorbehaltlos das Gute um des Guten, um der Mitmenschen willen zu tun. Eben diese
Haltung tritt uns in den Worten und Handlungen Jesu sonst deutlich entgegen.
Buddha und Jesus predigten die Wehrlosigkeit. Ganz wehrlos lebten beide nicht.
Buddha war ein in allen sozialen Fragen und im menschlichen Umgang erfahrener
Mann, kritisierte Mächtige, überführte Bramahnen wegen ihres, aus seiner Sicht,
falschen Denkens. Jesus setzte sich zur Wehr, wenn er wegen seines Verhaltens
angegriffen wurde, er wehrte sich mit Worten und hielt seinen Gegnern ihr falsches
Verhalten oder ihre hinterhältige Gesinnung vor. Einmal wurde er sogar handgreiflich, als er den Tempel von den Verkäufern und ihren Opfertieren re inigte, weil ihm
der Lärm und Umtrieb in einem Gotteshaus unwürdig erschien.
Beide, Buddha und Jesus, „verteidigten“ sich jedoch nur mit Worten. Für beide war
es undenkbar, sich mit Waffengewalt zu schützen oder ihren Glauben mit politischer
und militärischer Macht auszubreiten oder Andersdenkende zu unterdrücken und gar
vor Inquisitionsgerichte zu stellen.
Buddha blieb, soweit wir es wissen, sein Leben lang unbehelligt, von einer Episode
abgesehen, als sein Halbbruder Devadatta einen Aufstand gegen ihn a nzettelte und
ihm nach dem Leben trachtete. Auch das schluckte Buddha nicht einfach, sondern er
verteidigte seine Stellung als Leiter der Gemeinschaft.
Andererseits fiel Jesus wahrscheinlich politischen Umständen und dem Zugriff seiner
Neider zum Opfer und wurde getötet. Was es wirklich war, was den Zorn seiner Gegner so sehr gereizt hatte, wird aus den Quellen nicht widerspruchsfrei erkennbar. Er
starb einen furchtbaren Tod, und in dem Fall wehrte er sich allem nach nicht, wozu er
bestimmt auch keine Möglichkeit mehr gehabt hatte, sondern nahm sein Geschick
auf sich.
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