HABILITATION Didier Reinhardt Regulation der Organogenese und der Phyllotaxis in Pflanzen ZUSAMMENFASSUNG Am Anfang ihres Lebens sind Pflanzen sehr einfach organisisert mit lediglich zwei Keimblättern (Kotyledonen), einem kurzen Stängel (Hypokotyl) und einer Primärwurzel. Alle anderen Pflanzenorgane, Blätter, Blüten und Seitenzweige werden erst nach der Keimung angelegt. Zu diesem Zweck haben Pflanzen spezielle Organe, die Meristeme, deren Zellen ihren embryonalen Charakter behalten und die für die Organbildung verantwortlich sind. Im Meristem wird entschieden, welche Organe (Blüten oder Blätter) gebildet werden, und wie diese angeordnet sind. Damit die Zellen der Meristeme nicht aufgebraucht werden, müssen dauernd neue nachgeliefert werden. Diese Aufgabe erfüllen pluripotente undifferenzierte Stammzellen im Zentrum des Meristems, die während des ganzen Lebens der Pflanze, bei Bäumen während hunderten von Jahren, neue Zellen bilden. Für die Entwicklung der Pflanze ist es entscheidend, dass die Grösse des Meristems, d.h. die Anzahl seiner Zellen, mehr oder weniger konstant bleibt, andernfalls wird das Meristem aufgebraucht, oder es kommt zu unkontrolliertem Wachstum. Die genetische Analyse von Arabidopsis thaliana hat gezeigt, dass es einen Regelkreis gibt, der auf Abweichungen reagiert und die Zellteilung der Stammzellen nötigenfalls korrigiert. Der Mechanismus besteht aus dem Wuschel-Gen, das die Aktivität der Stammzellen stimuliert, und den Cavata-Genen, die die Aktivität des Meristems hemmen. Zusammen ergeben diese Genaktivitäten einen Feedback-Mechanismus, der die Anzahl meristematischer Zellen konstant hält. Im Gegensatz zu Tieren sind die Stammzellen der Pflanzen an einem Ort konzentriert und relativ leicht zugänglich. Dies erleichtert experimentelle Interventionen, z.B. die Applikation von Wuchsstoffen, oder die gezielte Ablation einzelner Zellgruppen. Mit solchen Experimenten konnten wir zeigen, dass die Identität der Stammzellen durch positionelle Mechanismen (positional information) dynamisch gesteuert wird und nicht durch die Vorgeschichte ihrer Abstammung (lineage). Die Anordnung der Blätter und Blüten am Stängel ist nicht zufällig. Alle Pflanzen weisen eine charakteristische, genetisch festgelegte Anornung (Phyllotaxis) auf. Die Blätter können wechselständig (distich) angeordnet sein, d.h. sie werden abwechseln auf gegenüberliegenen Seiten gebildet und bilden zwei vertikale Reihen, oder sie können kreuzgegenständig (dekussiert) angeordnet sein, d.h. sie werden paarweise in gegenüberliegender Position gebildet, wobei aufeinanderfolgende Paare um 90° versetzt sind. Die häufigste Phyllotaxis ist jedoch die spiralige, bei der die Blätter einzeln mit einem Divergenzwinkel von 137° gebildet werden. Das spiralige Muster wird bestimmt durch den goldenen Schnitt und die Fibonacci-Zahlenreihe. Mit einer Kombination von genetischen und pharmakologischen Methoden konnten wir zeigen, dass das Hormon Auxin in der Organbildung und der Phyllotaxis eine zentrale Rolle spielt. Auxin ist ein besonderes Hormon, da es wahrscheinlich als einziges Hormon überhaupt einen eigenen zellulären Transportmechanismus besitzt. Es hat sich erwiesen, dass dieser der Schlüssel zum Verständnis der Phyllotaxis ist.