Versuchslabor Theater Interview mit dem Autor, Clown und Regisseur Markus Kupferblum Markus Kupferblum, geboren 1964 in Wien, ist österreichischer Opernregisseur, Autor und Clown. Er ist Gründer des „Totalen Theaters“ in Wien, Experte für Commedia dell'arte und Maskentheater. International bekannt ist er für seine spartenübergreifende Arbeit zwischen Oper, Zirkus, Theater und Film. Markus Kupferblum unterrichtet an der Universität Wien und am Max-Reinhardt-Seminar. Beim Festival von Avignon 1993 wurde er mit dem „1. Prix de l'Humour“ ausgezeichnet. 2007 bekam er den Nestroy-Theaterpreis für die Beste OffProduktion für die Inszenierung von „Die verlassene Dido“. Herr Kupferblum, inwieweit prägt das Theater Ihre Weltsicht? Nicht das Theater prägt meine Weltsicht, sondern das Theater bietet einen Raum, in dem ich meine Weltsicht darstellen kann, es ist ein Ausdrucksmedium. Sehen Sie Parallelen zwischen dem Theater und der „normalen Welt“? Das Theater ist in der Lage, bestimmte Situationen der Realität zu destillieren, indem es klare Gedanken, klare Konflikte und klare Lösungen anbietet. Die Außenwelt ist viel komplexer. Insofern sehe ich das Theater als eine Art Versuchslabor an der Wirklichkeit. Hilft Ihnen dieses „Versuchslabor“ in der Gestaltung des eigenen Lebens? Das Leben selbst hält mit der Theorie oft nicht mit. Im eigenen Leben gestalten sich die Dinge dann doch komplexer. Insofern kann ich mich im Bild vom Künstler, der im praktischen Leben nicht ganz sattelfest ist, durchaus wieder finden. Aber das betrifft auch andere Berufsgruppen. Einer meiner Cousins z.B. ist Erfinder, dem es da ähnlich ergeht. Welche Rolle spielt die Philosophie in Ihrem Leben? Sie spielt im Sinne der Wortdefinition des „Freundes der Weisheit“ natürlich eine Rolle. Eine bedeutendere Rolle als die Philosophie spielt im Theater aber aus meiner Sicht die Mythologie. Philosophie ist zwar schlüssig, aber unsinnlich, die Mythologie ist sinnlich und phantasistisch und ähnelt damit dem Theater. Mit Philosophie assoziiere ich z.B. die Deutschen Idealisten, Nietzsche, Logik, Rationalismus usw. Religionsphilosophie sehe ich davon getrennt. Aber die Mythologie birgt wesentlich mehr Sinnlichkeit. Die Mythologie ist in diesem Sinne ein wichtiger Aspekt der Religionen. Welchen Zugang haben Sie zur Religion? Ich habe mich z.B. sehr mit dem Mahabharata beschäftigt und alle dachten, ich sei Hindu. Mich interessieren die Bilder, die von Religionen geschaffen werden. Aber ich würde einen Krishna einem jüdischen Gott, der parteiisch und strafend ist, bei weitem vorziehen. Adam und Eva oder die jungfräuliche Geburt sind für einen intelligenten Menschen einfach doof. Auch wenn es als allegorisches Bild zu verstehen ist, muss man sich fragen, was will der Autor damit sagen? Was für ein Bild der Göttlichkeit und Sinnlichkeit wird da gezeichnet? Oder auch die Kreuzigung: Was wird damit ausgedrückt, wenn sich einer auf Gott verlässt und im wahrsten Sinne des Wortes „hängen gelassen“ wird? Der Teufel nimmt alle, ohne Unterschied. Aber eine Auswahl zu treffen, wie es in diesem Gottesbild gezeichnet wird, ist eigentlich faschistisch. Insofern ist der Liebe Gott ein Faschist, denn er macht Unterschiede und ist ausschließlich. Faschismus ist ja ursprünglich eine Paradiestheorie. Ich glaube nicht an diesen Unsinn. In Wahrheit steckt viel Machtpolitik dahinter, Menschen werden manipulierbarer. Man operiert zuerst mit der Angst und dann wird eine einfache Lösung angeboten, genauso wie es die Rechtsparteien machen. Das ist der Mechanismus der Religion. Es gab natürlich auch positive Effekte: Wenn man sich vorstellt, dass ein Moses vor 5000 Jahren mit einer Horde Menschen unterwegs war, dann hatte mußte er Gesetze schaffen, um Frieden zu stiften. Und um die Gesetze durchsetzbar zu machen, brauchte er die Geschichte mit dem brennenden Dornbusch. Bis 1934 hat sich ja die österreichische Verfassung immernoch auf Gott berufen. Ein zweiter Faktor, der die Religionen stark beeinflusst, ist die Erbfolge, die die Wurzel der Unterdrückung der Frau ist. Denn wer tatsächlich der Vater eines Kindes ist, wußte mit Sicherheit niemand. Also muss der Mann vermeiden, dass seine Frau mit einem anderen schläft. Das ist der Ursprung für Verschleierung, Beschneidung etc. Pragmatisch betrachtet wäre das Problem seit der Entdeckung der DNA im Jahr 1943 gelöst. Seit 10 Jahren haben wir wieder einen Religionskrieg, in dem der Islam zum „Ersatzfeind“ gemacht wird. Seit dem Zerfall der UdSSR braucht die USA ein Feindbild zum Schutze der Waffenindustrie. Das Problem ist aber komplexer, da der Islam kein eigener Staat ist, sondern von Indonesien bis Nordafrika reicht. Das zwingt Bush zur extremen christlichen Haltung, um dem Islam etwas Ideologisches entgegenzuhalten. Der vermeintliche Glaubenskonflikt ist aber in Wahrheit ein Krieg, in dem es um Wirtschaft und Öl geht, eigentlich ein reiner Stellvertreterkrieg zugunsten der imperialistischen Interessen Amerikas. Wenn man nach Südamerika schaut, sieht man ja auch wie die USA versucht, ihre Interessen auszuweiten. Nur ein Evo Morales oder ein Hugo Chávez (Anm. Staatspräsidenten von Bolivien und Venezuela) trauen sich, gegen die USA aufzustehen. Die meisten Staatschefs sind gekauft und werden in Abhängigkeit gehalten nach dem Motto „Du bleibst an der Macht, dafür gibt Du mir Zugang zu Deinen Rohstoffen, die ich Dir dann wieder um teures Geld verkaufe - und damit einen großen Reibach mache!“ Südamerika ist ja eigentlich ein ungeheuer reiches Land an Rohstoffen, die um einen Superbettel hergegeben werden. Und die USA kann sich dann letztenendes aussuchen, ob sie die Rogstoffe an die Ursprungsländer zurückverkaufen möchte. Sie zeichnen ein sehr düsteres Bild unserer religiösen und politischen Gegenwart. Sie ist leider so. Mir ist es wichtig, mich so wenig wie möglich durch die Medien manipuliert zu lassen. Ich komme gerade von einem zweimonatigen Aufenthalt aus den USA. Wenn man dort den Fernseher einschaltet und die unzähligen Wahnsinnsprediger hört, dann wird einem erst bewusst, dass sich die Leute dort in unzählige Sekten flüchten, in Scheinphilosophien, die einem das Denken abnehmen sollen. Auf der anderen Seite dienen die Soaps vielen Menschen als eine Art Familienersatz, die man täglich zur gewohnten Uhrzeit wie einen Besuch empfängt. Und im Gegensatz zu einer realen Familie kann man sie auch wieder „abschalten“. Viele Amerikaner führen eine Art „Instantleben“. Sehen sie die Rolle der Kunst im Allgemeinen oder des Künstlers im Besonderen darin, ein Bild der Gegenwart zu zeichnen? Oder sehen sie seine Aufgabe darin, etwas Neues zu erschaffen? Das hängt vom Betätigungsfeld des jeweiligen Künstlers ab. Ein Künstler sollte idealerweise außerhalb der Gesellschaft stehen, was in Österreich aufgrund der schlechten Künstlersozialgesetzgebung nicht wirklich schwierig ist. Dieser Anspruch macht es einem natürlich schwerer, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, es hat aber auch Vorteile, wenn man nicht in Abhängigkeit lebt und damit einen offeneren, ehrlicheren Blick auf die Gesellschaft werfen kann, wie in der Vergangenheit die Hofnarren oder Bänkelsänger. Was ist Ihr Anliegen als Künstler? Ich möchte meine Weltsicht, ob politisch, zwischenmenschlich etc., ausdrücken, aber auch zeigen, wie z.B. Oper und Theater gemacht werden könnten, um diese Medien am Leben zu erhalten, da sie es uns erlauben, Utopien darzustellen, Gegenwelten zu konstruieren, Menschen dahin einzuladen und dann auch wieder zu entlassen. Es geht mir in meiner Arbeit auch um Schönheit und Poesie. Das Kunstwerk leiht einem Menschen seinen Blick. Wenn man etwas Schönes betrachtet, wird man selbst schön. Heute wird meist das Bild des Künstlers propagiert, der die düstere Wirklichkeit wiedergibt. Wie stehen Sie zum Künstler als Bildner einer schöneren Wirklichkeit? Der Künstler hat sogar die Pflicht, eine Vision zu bauen und zu zeigen. Wenn man die Realität sehen möchte, dann soll man nicht ins Burgtheater gehen, sondern die Nachrichten anschauen. Das ist billiger, realistischer und scheußlicher. Künstler müssen Alternativen anbieten, in jeder Hinsicht. Wie könnte die Realität anders aussehen? Das kann man im Versuchslabor „Theater“ simulieren. Wenn ich eine Inszenierung sehe, in der diese Gedankenarbeit nicht geleistet wurde, dann ärgere ich mich. Die Realität wiedergeben, kann das Fernsehen besser. Ich meine damit, dass der Künstler die Aufgabe hat eine Gegenwelt zu schaffen und das Publikum damit zu beschenken. Wenn er das nicht will, sollte er statt Künstler Nachrichtensprecher werden. Ist es aber nicht so, dass heute z.B. Künstler und Künstlerinnen wie z.B. Elfriede Jelinek, eher diese dunkle Seite der Welt aufzeigen? Ich muss hier eine Lanze für Elfriede Jelinek brechen, denn da ich einige ihrer Stücke uraufgeführt habe, kenne ich sie persönlich recht gut. Sie ist eine Künstlerin von tiefer Empfindsamkeit, die die Absurdität der Dinge auf die Spitze treibt. Man darf hier nicht den Boten und die Botschaft verwechseln. Vermutlich wird ihr erst nach ihrem Tod, wie bei Thomas Bernhard, ein kometenhafter Aufstieg beschert sein. Jelinek schafft einen Spiegel der Welt, der weit über die Realität hinausgeht. Die Fehler liegen aber bei den Regisseuren, die ihre eigene Ideenlosigkeit hinter Jelineks Textflüssen verstecken und diesen keine Welt entgegensetzen. Diese Texte kann man nicht einfach illustrieren. Was ist Ihr aktuelles Projekt? Ich arbeite derzeit mit Kindern und versuche, sie bei der Begegnung mit dem Fremden, Neuen zu begleiten, über die anfänglich zurückhaltende Neugierde bis hin zum Annehmen des Fremden. Das Stück heißt „Orient Musik Express“ und ist eine musikalische Reise von Frankreich bis in die Türkei, eine Art Roadmovie in vier Teilen und mit vier Musikensembles. Eingebettet in eine Detektivgeschichte erleben die Kinder auf dieser Reise unterschiedliche musikalische Richtungen, Malerei, Sehenswürdigkeiten etc. Sie gelten international als Experte für Commedia dell’arte, eine Form des Theaters, die in der Renaissance entstanden ist. Ist sie heute überhaupt noch zeitgemäß? Ja, natürlich! In der Ausdrucksform hat sie sich natürlich an die heutige Zeit angepasst, aber die Charaktere und Regeln sind die gleichen geblieben. Die Commedia dell’arte ist nicht stecken geblieben im Historizimus, sondern erzählt anhand von bestimmten Handlungsregeln Geschichten und gibt damit einen sozialen Impakt. Wenn wir uns einen Columbo oder Donald Duck anschauen, die sind genau nach den Regeln der Commedia dell’arte erzählt und damit auch so erfolgreich. Columbo z.B. ist ein „Harlekino“, der immer im Millionärsmilieu ermittelt. Damit wird die Hierarchie umgedreht, weil Colombo ja arm ist, aber er gewinnt über die Millionäre, weil er gescheiter ist, als sie. Am Schluss kehrt Colombo aber wieder in sein Leben zurück und die Hierarchie bleibt unverändert. Dasselbe findet man auch in Mozarts „Hochzeit des Figaro“. Da ändert sich die soziale Rangordnung nicht, obwohl es als „Revolutionsoper“ bezeichnet wird, dem Graf wird nur eines ausgewischt. Der typische Harlekino kommt vom Land und lebt als Gelegenheitsarbeiter. In der Commedia dell’ arte bekäme er eine Frau und würde sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Ganz nach oben zu kommen, ist für den Harlekino in der Commedia dell’arte nicht vorgesehen. Wie bei Columbo: Er löst den Fall, steigt wieder in seinen alten Peugeot und geht am Montag zur Arbeit. Aber in den Ferrari einzusteigen, würde ihn unsympathisch machen. Wird er aber, aus welchen Gründen auch immer, die Hierarchie hinaufgeschwemmt, dann wird daraus ein Drama, wie in Brechts „Arturo Ui“. Natürlich existieren auch im wirklichen Leben diese Figuren. Das ist es, was z.B. immer wieder in der Politik passiert: Menschen, die nicht ministrabel sind, steigen auf und werden damit zu Witzfiguren. Wenn nun ein Harlekino, wie Napoleon oder Hitler, ein Diktator wird, dann gibt es millionen Tote. Daher spiegelt die Commedia dell’arte auch die heutige Welt und Gesellschaft perfekt wieder. Es ist eine Illusion zu glauben, wir hätten keine Klassengesellschaft, nur ist es heute nicht der Adel, sondern Geld oder Bildung, das den sozialen Status wiedergibt. Solange es soziale Hierarchien gibt, gibt es auch die Gesetze der Commedia dell’arte. Was wünschen Sie der heutigen Welt? Daß es mehr Toleranz gibt und die Bedeutung des Geldes an Wichtigkeit verliert. Wir sind heute viel zu sehr vom Geld gesteuert, sogar zwischenmenschliche Beziehungen werden davon beeinflusst. Dadurch verliert die Welt an Zauber. Danke für das Gespräch! Interview: Beatrice Weinelt Hinweis: Weitere Informationen zu Markus Kupferblum und seinen aktuellen Produktionen finden Sie im Internet unter www.kupferblum.com