Versuchslabor Theater, 2008

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Versuchslabor Theater
Interview mit dem Autor, Clown und Regisseur Markus Kupferblum
Markus Kupferblum, geboren 1964 in Wien, ist österreichischer Opernregisseur,
Autor und Clown. Er ist Gründer des „Totalen Theaters“ in Wien, Experte für
Commedia dell'arte und Maskentheater. International bekannt ist er für seine
spartenübergreifende Arbeit zwischen Oper, Zirkus, Theater und Film. Markus
Kupferblum unterrichtet an der Universität Wien und am Max-Reinhardt-Seminar.
Beim Festival von Avignon 1993 wurde er mit dem „1. Prix de l'Humour“
ausgezeichnet. 2007 bekam er den Nestroy-Theaterpreis für die Beste OffProduktion für die Inszenierung von „Die verlassene Dido“.
Herr Kupferblum, inwieweit prägt das Theater Ihre Weltsicht?
Nicht das Theater prägt meine Weltsicht, sondern das Theater bietet einen Raum, in
dem ich meine Weltsicht darstellen kann, es ist ein Ausdrucksmedium.
Sehen Sie Parallelen zwischen dem Theater und der „normalen Welt“?
Das Theater ist in der Lage, bestimmte Situationen der Realität zu destillieren, indem
es klare Gedanken, klare Konflikte und klare Lösungen anbietet. Die Außenwelt ist
viel komplexer. Insofern sehe ich das Theater als eine Art Versuchslabor an der
Wirklichkeit.
Hilft Ihnen dieses „Versuchslabor“ in der Gestaltung des eigenen Lebens?
Das Leben selbst hält mit der Theorie oft nicht mit. Im eigenen Leben gestalten sich
die Dinge dann doch komplexer. Insofern kann ich mich im Bild vom Künstler, der im
praktischen Leben nicht ganz sattelfest ist, durchaus wieder finden. Aber das betrifft
auch andere Berufsgruppen. Einer meiner Cousins z.B. ist Erfinder, dem es da
ähnlich ergeht.
Welche Rolle spielt die Philosophie in Ihrem Leben?
Sie spielt im Sinne der Wortdefinition des „Freundes der Weisheit“ natürlich eine
Rolle. Eine bedeutendere Rolle als die Philosophie spielt im Theater aber aus meiner
Sicht die Mythologie. Philosophie ist zwar schlüssig, aber unsinnlich, die Mythologie
ist sinnlich und phantasistisch und ähnelt damit dem Theater. Mit Philosophie
assoziiere ich z.B. die Deutschen Idealisten, Nietzsche, Logik, Rationalismus usw.
Religionsphilosophie sehe ich davon getrennt. Aber die Mythologie birgt wesentlich
mehr Sinnlichkeit.
Die Mythologie ist in diesem Sinne ein wichtiger Aspekt der Religionen. Welchen
Zugang haben Sie zur Religion?
Ich habe mich z.B. sehr mit dem Mahabharata beschäftigt und alle dachten, ich sei
Hindu. Mich interessieren die Bilder, die von Religionen geschaffen werden. Aber ich
würde einen Krishna einem jüdischen Gott, der parteiisch und strafend ist, bei weitem
vorziehen. Adam und Eva oder die jungfräuliche Geburt sind für einen intelligenten
Menschen einfach doof. Auch wenn es als allegorisches Bild zu verstehen ist, muss
man sich fragen, was will der Autor damit sagen? Was für ein Bild der Göttlichkeit
und Sinnlichkeit wird da gezeichnet? Oder auch die Kreuzigung: Was wird damit
ausgedrückt, wenn sich einer auf Gott verlässt und im wahrsten Sinne des Wortes
„hängen gelassen“ wird? Der Teufel nimmt alle, ohne Unterschied. Aber eine
Auswahl zu treffen, wie es in diesem Gottesbild gezeichnet wird, ist eigentlich
faschistisch. Insofern ist der Liebe Gott ein Faschist, denn er macht Unterschiede
und ist ausschließlich. Faschismus ist ja ursprünglich eine Paradiestheorie. Ich
glaube nicht an diesen Unsinn. In Wahrheit steckt viel Machtpolitik dahinter,
Menschen werden manipulierbarer. Man operiert zuerst mit der Angst und dann wird
eine einfache Lösung angeboten, genauso wie es die Rechtsparteien machen. Das
ist der Mechanismus der Religion. Es gab natürlich auch positive Effekte: Wenn man
sich vorstellt, dass ein Moses vor 5000 Jahren mit einer Horde Menschen unterwegs
war, dann hatte mußte er Gesetze schaffen, um Frieden zu stiften. Und um die
Gesetze durchsetzbar zu machen, brauchte er die Geschichte mit dem brennenden
Dornbusch. Bis 1934 hat sich ja die österreichische Verfassung immernoch auf Gott
berufen.
Ein zweiter Faktor, der die Religionen stark beeinflusst, ist die Erbfolge, die die
Wurzel der Unterdrückung der Frau ist. Denn wer tatsächlich der Vater eines Kindes
ist, wußte mit Sicherheit niemand. Also muss der Mann vermeiden, dass seine Frau
mit einem anderen schläft. Das ist der Ursprung für Verschleierung, Beschneidung
etc. Pragmatisch betrachtet wäre das Problem seit der Entdeckung der DNA im Jahr
1943 gelöst.
Seit 10 Jahren haben wir wieder einen Religionskrieg, in dem der Islam zum
„Ersatzfeind“ gemacht wird. Seit dem Zerfall der UdSSR braucht die USA ein
Feindbild zum Schutze der Waffenindustrie. Das Problem ist aber komplexer, da der
Islam kein eigener Staat ist, sondern von Indonesien bis Nordafrika reicht. Das
zwingt Bush zur extremen christlichen Haltung, um dem Islam etwas Ideologisches
entgegenzuhalten. Der vermeintliche Glaubenskonflikt ist aber in Wahrheit ein Krieg,
in dem es um Wirtschaft und Öl geht, eigentlich ein reiner Stellvertreterkrieg
zugunsten der imperialistischen Interessen Amerikas. Wenn man nach Südamerika
schaut, sieht man ja auch wie die USA versucht, ihre Interessen auszuweiten. Nur
ein Evo Morales oder ein Hugo Chávez (Anm. Staatspräsidenten von Bolivien und
Venezuela) trauen sich, gegen die USA aufzustehen. Die meisten Staatschefs sind
gekauft und werden in Abhängigkeit gehalten nach dem Motto „Du bleibst an der
Macht, dafür gibt Du mir Zugang zu Deinen Rohstoffen, die ich Dir dann wieder um
teures Geld verkaufe - und damit einen großen Reibach mache!“ Südamerika ist ja
eigentlich ein ungeheuer reiches Land an Rohstoffen, die um einen Superbettel
hergegeben werden. Und die USA kann sich dann letztenendes aussuchen, ob sie
die Rogstoffe an die Ursprungsländer zurückverkaufen möchte.
Sie zeichnen ein sehr düsteres Bild unserer religiösen und politischen Gegenwart.
Sie ist leider so. Mir ist es wichtig, mich so wenig wie möglich durch die Medien
manipuliert zu lassen. Ich komme gerade von einem zweimonatigen Aufenthalt aus
den USA. Wenn man dort den Fernseher einschaltet und die unzähligen
Wahnsinnsprediger hört, dann wird einem erst bewusst, dass sich die Leute dort in
unzählige Sekten flüchten, in Scheinphilosophien, die einem das Denken abnehmen
sollen. Auf der anderen Seite dienen die Soaps vielen Menschen als eine Art
Familienersatz, die man täglich zur gewohnten Uhrzeit wie einen Besuch empfängt.
Und im Gegensatz zu einer realen Familie kann man sie auch wieder „abschalten“.
Viele Amerikaner führen eine Art „Instantleben“.
Sehen sie die Rolle der Kunst im Allgemeinen oder des Künstlers im Besonderen
darin, ein Bild der Gegenwart zu zeichnen? Oder sehen sie seine Aufgabe darin,
etwas Neues zu erschaffen?
Das hängt vom Betätigungsfeld des jeweiligen Künstlers ab. Ein Künstler sollte
idealerweise außerhalb der Gesellschaft stehen, was in Österreich aufgrund der
schlechten Künstlersozialgesetzgebung nicht wirklich schwierig ist. Dieser Anspruch
macht es einem natürlich schwerer, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, es hat
aber auch Vorteile, wenn man nicht in Abhängigkeit lebt und damit einen offeneren,
ehrlicheren Blick auf die Gesellschaft werfen kann, wie in der Vergangenheit die
Hofnarren oder Bänkelsänger.
Was ist Ihr Anliegen als Künstler?
Ich möchte meine Weltsicht, ob politisch, zwischenmenschlich etc., ausdrücken, aber
auch zeigen, wie z.B. Oper und Theater gemacht werden könnten, um diese Medien
am Leben zu erhalten, da sie es uns erlauben, Utopien darzustellen, Gegenwelten zu
konstruieren, Menschen dahin einzuladen und dann auch wieder zu entlassen. Es
geht mir in meiner Arbeit auch um Schönheit und Poesie. Das Kunstwerk leiht einem
Menschen seinen Blick. Wenn man etwas Schönes betrachtet, wird man selbst
schön.
Heute wird meist das Bild des Künstlers propagiert, der die düstere Wirklichkeit
wiedergibt. Wie stehen Sie zum Künstler als Bildner einer schöneren Wirklichkeit?
Der Künstler hat sogar die Pflicht, eine Vision zu bauen und zu zeigen. Wenn man
die Realität sehen möchte, dann soll man nicht ins Burgtheater gehen, sondern die
Nachrichten anschauen. Das ist billiger, realistischer und scheußlicher. Künstler
müssen Alternativen anbieten, in jeder Hinsicht. Wie könnte die Realität anders
aussehen? Das kann man im Versuchslabor „Theater“ simulieren. Wenn ich eine
Inszenierung sehe, in der diese Gedankenarbeit nicht geleistet wurde, dann ärgere
ich mich. Die Realität wiedergeben, kann das Fernsehen besser. Ich meine damit,
dass der Künstler die Aufgabe hat eine Gegenwelt zu schaffen und das Publikum
damit zu beschenken. Wenn er das nicht will, sollte er statt Künstler
Nachrichtensprecher werden.
Ist es aber nicht so, dass heute z.B. Künstler und Künstlerinnen wie z.B. Elfriede
Jelinek, eher diese dunkle Seite der Welt aufzeigen?
Ich muss hier eine Lanze für Elfriede Jelinek brechen, denn da ich einige ihrer Stücke
uraufgeführt habe, kenne ich sie persönlich recht gut. Sie ist eine Künstlerin von
tiefer Empfindsamkeit, die die Absurdität der Dinge auf die Spitze treibt. Man darf hier
nicht den Boten und die Botschaft verwechseln. Vermutlich wird ihr erst nach ihrem
Tod, wie bei Thomas Bernhard, ein kometenhafter Aufstieg beschert sein. Jelinek
schafft einen Spiegel der Welt, der weit über die Realität hinausgeht. Die Fehler
liegen aber bei den Regisseuren, die ihre eigene Ideenlosigkeit hinter Jelineks
Textflüssen verstecken und diesen keine Welt entgegensetzen. Diese Texte kann
man nicht einfach illustrieren.
Was ist Ihr aktuelles Projekt?
Ich arbeite derzeit mit Kindern und versuche, sie bei der Begegnung mit dem
Fremden, Neuen zu begleiten, über die anfänglich zurückhaltende Neugierde bis hin
zum Annehmen des Fremden. Das Stück heißt „Orient Musik Express“ und ist eine
musikalische Reise von Frankreich bis in die Türkei, eine Art Roadmovie in vier
Teilen und mit vier Musikensembles. Eingebettet in eine Detektivgeschichte erleben
die Kinder auf dieser Reise unterschiedliche musikalische Richtungen, Malerei,
Sehenswürdigkeiten etc.
Sie gelten international als Experte für Commedia dell’arte, eine Form des Theaters,
die in der Renaissance entstanden ist. Ist sie heute überhaupt noch zeitgemäß?
Ja, natürlich! In der Ausdrucksform hat sie sich natürlich an die heutige Zeit
angepasst, aber die Charaktere und Regeln sind die gleichen geblieben. Die
Commedia dell’arte ist nicht stecken geblieben im Historizimus, sondern erzählt
anhand von bestimmten Handlungsregeln Geschichten und gibt damit einen sozialen
Impakt. Wenn wir uns einen Columbo oder Donald Duck anschauen, die sind genau
nach den Regeln der Commedia dell’arte erzählt und damit auch so erfolgreich.
Columbo z.B. ist ein „Harlekino“, der immer im Millionärsmilieu ermittelt. Damit wird
die Hierarchie umgedreht, weil Colombo ja arm ist, aber er gewinnt über die
Millionäre, weil er gescheiter ist, als sie. Am Schluss kehrt Colombo aber wieder in
sein Leben zurück und die Hierarchie bleibt unverändert. Dasselbe findet man auch
in Mozarts „Hochzeit des Figaro“. Da ändert sich die soziale Rangordnung nicht,
obwohl es als „Revolutionsoper“ bezeichnet wird, dem Graf wird nur eines
ausgewischt. Der typische Harlekino kommt vom Land und lebt als
Gelegenheitsarbeiter. In der Commedia dell’ arte bekäme er eine Frau und würde
sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Ganz nach oben zu kommen, ist für
den Harlekino in der Commedia dell’arte nicht vorgesehen. Wie bei Columbo: Er löst
den Fall, steigt wieder in seinen alten Peugeot und geht am Montag zur Arbeit. Aber
in den Ferrari einzusteigen, würde ihn unsympathisch machen. Wird er aber, aus
welchen Gründen auch immer, die Hierarchie hinaufgeschwemmt, dann wird daraus
ein Drama, wie in Brechts „Arturo Ui“. Natürlich existieren auch im wirklichen Leben
diese Figuren. Das ist es, was z.B. immer wieder in der Politik passiert: Menschen,
die nicht ministrabel sind, steigen auf und werden damit zu Witzfiguren. Wenn nun
ein Harlekino, wie Napoleon oder Hitler, ein Diktator wird, dann gibt es millionen
Tote. Daher spiegelt die Commedia dell’arte auch die heutige Welt und Gesellschaft
perfekt wieder. Es ist eine Illusion zu glauben, wir hätten keine Klassengesellschaft,
nur ist es heute nicht der Adel, sondern Geld oder Bildung, das den sozialen Status
wiedergibt. Solange es soziale Hierarchien gibt, gibt es auch die Gesetze der
Commedia dell’arte.
Was wünschen Sie der heutigen Welt?
Daß es mehr Toleranz gibt und die Bedeutung des Geldes an Wichtigkeit verliert. Wir
sind heute viel zu sehr vom Geld gesteuert, sogar zwischenmenschliche
Beziehungen werden davon beeinflusst. Dadurch verliert die Welt an Zauber.
Danke für das Gespräch!
Interview: Beatrice Weinelt
Hinweis: Weitere Informationen zu Markus Kupferblum und seinen aktuellen
Produktionen finden Sie im Internet unter www.kupferblum.com
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