II Differentielle - EWS

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DIFFERENTIELLE PSYCHOLOGIE
I. KOGNITIVE BEDINGUNGEN DES LERNENS
1. Intelligenz
1.1. Begriffsdefinition:




Es gibt keine allgemein anerkannte Definition von Intelligenz. Vielmehr handelt es
sich bei Intelligenz um ein hypothetisches Konstrukt, das je nach zugrunde liegendem
Modell unterschiedlich beschrieben wird.
EDWIN BORINGS (1923) definiert den Begriff daher operational. Ihm zufolge ist
Intelligenz das, was Intelligenztests messen.
 Eine solche Definition ist aufgrund des darin enthaltenen Zirkelschlusses
natürlich unbefriedigend.
Adäquater ist die Definition STERNBERG’S, der Intelligenz als die allgemeine
Fähigkeit definiert, aus Erfahrungen zu lernen und sich neuen
Umweltgegebenheiten anzupassen.
 Aus dieser Definition lassen sich verschiedene Merkmale von „Intelligenz“
ableiten. Das Verhalten an die Umwelt anzupassen, erfordert u.a.
schlussfolgerndes Denken, Problemlösen, Wissen und eine effektive
Informationsverarbeitung.
„Intelligenz“ kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden:
 Der Informationsverarbeitungsansatz betrachtet v.a. die kognitiven Prozesse,
die intelligentem Handeln zugrunde liegen.
 Der entwicklungspsychologische Ansatz, der auf PIAGET zurückgeht,
untersucht die Entwicklung kognitiver Strukturen.
 Dem psychometrischen Ansatz geht es um die Messung von Intelligenz und
die Erfassung von Leistungsunterschieden – weniger um die zugrunde liegenden
kognitiven Prozesse.
 Im Folgenden soll es v.a. um die psychometrische Intelligenz gehen.
1.2. Klassische Intelligenzmodelle

Die klassischen Intelligenzmodelle (z.B. Spearman, Thurstone etc.) beruhen
überwiegend auf dem statistischen Verfahren der Faktorenanalyse.
 Dabei werden Variablen, die hoch miteinander korrelieren, zu übergeordneten
Faktoren zusammengefasst.
1.2.1. Die Zwei-Faktoren-Theorie von Spearman (1904)



Die Zwei-Faktorentheorie von Spearman ist das erste Intelligenzmodell, das auf dem
statistischen Verfahren der Faktorenanalyse beruht.
Aufgrund hoher Korrelationen zwischen verschiedenen Aufgabentypen geht
SPEARMAN von einem Generalfaktor („g“) aus. Dieser Faktor fließt ihm zufolge in
alle intellektuellen Leistungen mit ein; er lässt sich in eine verbal-schulische- und
praktische Intelligenz unterteilen. Auf der untersten Ebene postuliert SPEARMAN
verschiedene spezifische Faktoren bzw. Fähigkeiten („s“).
Das Entscheidende an Spearmans Modell ist dessen hierarchische Gliederung. Der
Generalfaktor „g“ ist mit der „allgemeinen Intelligenz“ einer Person gleichzusetzen;
alle übrigen Faktoren hängen von diesem Faktor ab; die spezifischen Faktoren „s“ (in
1
die der Generalfaktor in unterschiedlichem Ausmaß einfließt) dienen der Aufklärung
der Restvarianz.
 Mit Hilfe der spezifischen Faktoren können also die Leistungsunterschiede
erklärt werden, die nicht auf den Generalfaktor zurückzuführen sind.
1.2.2. Das Primärfaktormodell von Thurstone (1938)


THURSTONE geht davon aus, dass sich die menschliche Intelligenz aus 7
voneinander unabhängigen Primärfaktoren zusammensetzt.
 Statt wie SPEARMAN eine allgemeine Intelligenz zu postulieren, spricht er von
sieben primären mentalen Fähigkeiten.
1) Verbales Verständnis
(verbal comprehension)
2) Wortflüssigkeit
(verbal fluency)
3) Schlussfolgerndes Denken
(reasoning)
4) Räumliches Vorstellungsvermögen
(spatial visualisation)
5) Merkfähigkeit; KZG
(memory)
6) Rechenfähigkeit
(number)
7) Wahrnehmungs- & Auffassungsgeschwindigkeit (perceptual seed)
Je nach Aufgabentyp fließen die einzelnen Fähigkeiten in unterschiedlichem Ausmaß
in die Leistung einer Person mit ein.
 Vorteil: Die intellektuelle Leistungsfähigkeit einer Person kann mit
THURSTONES’S Modell wesentlich differenzierter beschrieben werden als mit
dem Generalfaktormodell von Spearman.
1.2.3. Die Theorie der fluiden und kristallinen Intelligenz von Cattell (1957)





CATELL greift das hierarchische Intelligenzmodell SPEARMAN’S auf, unterscheidet
aber nicht zwischen schulisch-verbaler- und praktischer-, sondern zwischen
kristalliner- („Gc“) und fluider Intelligenz („Gf“).
 Dabei handelt es sich um Faktoren „zweiter Ordnung“: sie sind voneinander
unabhängig, basieren aber auf demselben Generalfaktor.
Die fluide Intelligenz ist CATELL zufolge angeboren und unabhängig von persönlichen
Lernerfahrungen. Sie bildet gewissermaßen die „Hardware“ und bestimmt v.a., wie
schnell- und auf welche Weise eine Person Informationen verarbeitet.
 Kurz: Die fluide Intelligenz
entspricht der Leistungsfähigkeit des
neurophysiologischen Apparates; von ihr hängen die Basisprozesse der
Informationsverarbeitung ab, u.a. die Wahrnehmungsgeschwindigkeit, die
Gedächtnisspanne und elementare Denkprozesse.
 Testskalen zur fluiden Intelligenz beziehen sich u.a. auf die
Gedächtnisspanne, die Fähigkeit zum induktiven Schließen und auf das
Erkennen und Herstellen figuraler Beziehungen.
Die kristalline Intelligenz ist im Gegensatz dazu die umweltbedingte Komponente
der allgemeinen Intelligenz. Sie beruht auf persönlichen Lernerfahrungen und umfasst
das deklarative- und prozedurale Wissen einer Person sowie deren sprachliche
Fähigkeiten.
 Im Gegensatz zur fluiden Intelligenz, die ab einem gewissen Alter abnimmt,
nimmt die kristalline Intelligenz kontinuierlich zu oder bleibt zumindest gleich.
 Testskalen, mit denen die kristalline Intelligenz erhoben wird, betreffen
z.B. das verbale Verständnis.
BALTES unterscheidet in Anlehnung an CATELL zwischen „Pragmatik“ (wissens- und
kulturabhängig) und „Mechanik“ (Basisprozesse der Informationsverarbeitung,
universell und inhaltsfrei)
Ein Test, der auf diesem Modell aufbaut, ist der CFT (Culture Fair Test), ein
sprachfreier Test, der sich auf die Messung der fluiden Intelligenz beschränkt.
2
1.2.4. Das Würfelmodell der Intelligenz von Guilford (1959)




GUILFORD unterscheidet zwischen 3 Dimensionen, anhand derer er versucht, die
menschliche Intelligenz zu strukturieren.
 Er
differenziert
zwischen
Denkoperationen,
Denkinhalten
und
Denkprodukten.
 Zu den von ihm genannten Denkoperationen gehören Erkenntnis,
Gedächtnis, Bewertung, divergente Produktion und konvergente
Produktion. Zu den Denkprodukten zählt GUILFORD z.B. Einheiten,
Klassen, Systeme und Transformationen, bezüglich der Inhalte
unterscheidet er u.a. zwischen semantischen, symbolischen und figuralen
Inhalten.
Aus der Kombination dieser 3 Dimensionen ergibt sich ein Würfel mit 120 Zellen,
die laut GUILFORD jeweils als eigenständige Intelligenzfaktoren zu betrachten sind.
Problematisch ist, dass das Modell nicht auf einer entsprechenden Faktorenanalyse
beruht, sondern ausschließlich auf den logisch-intuitiven Überlegungen GUILFORD’S.
GULIFORD ist der erste, der Kreativität (divergente Produktion) als eigenständige
Komponente von Intelligenz thematisiert (s.u.)
1.3. Moderne Intelligenzkonzeptionen
1.3.1. Das Berliner Intelligenzstrukturmodell von Jäger (1984)





Das Berliner Intelligenzstrukturmodell von JÄGER beschreibt Intelligenz als
hierarchisch aufgebautes Konstrukt, wobei sich jede Intelligenzleistung bimodal
aus einer operativen- und einer inhaltlichen Komponente zusammensetzt.
Insgesamt werden 4 operative Fähigkeiten und 3 mögliche Inhalte unterschieden.
 Die operativen Fähigkeiten beziehen sich auf die allgemeinen kognitiven
Prozesse, die zur Bearbeitung bestimmter Aufgaben notwendig sind.
Unterschieden wird zwischen…
1) der Bearbeitungsgeschwindigkeit
2) der Merkfähigkeit
3) dem Einfallsreichtum
4) und der Verarbeitungskapazität
 Davon abzugrenzen sind die 3 inhaltsbezogenen Fähigkeitskomponenten.
Unterschieden wird zwischen…
1) Sprachgebundenem Denken (verbaler Inhalt)
2) Zahlengebundenem Denken (numerischer Inhalt)
3) und anschauungsgebundenem Denken (figural-bildhafter Inhalt)
Dem Modell nach lässt sich jede Intelligenzleistung als Kombination aus einer
operativen und einer inhaltsgebundenen Komponente darstellen.
 Das Schreiben eines Gedichtes erfordert beispielsweise sowohl sprachliches
Können (inhaltliche Komponente: V ) als auch Einfallsreichtum (operative
Komponente: E)
Aus der Kreuzung der inhaltlichen und operativen Komponenten ergeben sich 12
spezifische Teilfähigkeiten, die zusammen die „allgemeine Intelligenz“ einer Person
bilden.
Auf diesem Modell baut der Berliner Intelligenzstruktur-Test (BIS-Test) auf, der in
2 Versionen vorliegt (s.u.):
 BIS-4 (Berliner Intelligenzstrukturtest, Form 4): ab 15
 BIS-HB (Berliner Intelligenzstrukturtest für Jugendliche) für Jugendliche zw. 12
und 16; besonders für die Begabungs- und Hochbegabungsdiagnostik geeignet.
3
1.3.2. Theorie der multiplen Intelligenzen von Gardner (1983)


GARDNER postuliert 6 voneinander unabhängige „Intelligenzen“:
1) Sprachliche Intelligenz
2) Logisch-mathematische Intelligenz
3) Räumliche Intelligenz
4) Musikalische Intelligenz
5) Motorische Intelligenz
6) Personale Intelligenz (entspricht der emotionalen bzw. sozialen Intelligenz)
Eine solche Unterscheidung ist nach GARDNER u.a. aufgrund der folgenden Kriterien
legitim:
 Neuroanatomische Grundlage
 Die meisten der von ihm postulierten Intelligenzen lassen sich spezifischen
Hirnregionen zuordnen.
 Außergewöhnliche Spezialbegabungen
 In den 6 Bereichen liegen jeweils außergewöhnliche Spezialbegabungen
vor.
 Typischer Entwicklungsverlauf
 Evolutionsbiologische Grundlage
 Die meisten der von GARDNER postulierten Intelligenzen dient der Lösung
eines spezifischen Adaptionsproblems
 Eigenständige geistige Operationen
 Experimentelle Prüfbarkeit
1.3.3. Das triarchische Intelligenzmodell von Sternberg (1985)

STERNBERG unterscheidet zwischen analytischen-, kreativen- und praktischen
Fähigkeiten. Leistungen in diesen Bereichen setzen sich wiederum aus 3
Komponenten zusammen, die STERNBERG als Subtheorien bezeichnet.
1) Die Komponentensubtheorie besagt, dass es 3 Komponenten gibt, die zur
Informationsverarbeitung notwendig sind. Diese sind universell und umfassen…
 sog. „Metakomponenten“, die der Planung und Überwachung der
kognitiven Prozesse dienen („Monitoring“),
 sog. „Performanzkomponenten“, die der Ausführung dienen (Kodierung),
 und Komponenten des Wissenserwerbs, die u.a. der Speicherung und
Assimilation von Wissen dienen (LZG).
2) Die Zwei-Facetten-Subtheorie bezieht sich auf das Verhältnis von Erfahrung
und Intelligenz.
 Sie enthält zum einen die Fähigkeit, mit Neuem umzugehen,
 zum anderen die Fähigkeit, Prozesse zu automatisieren.
3) Die Kontextsubtheorie besagt, dass die Intelligenz immer im kulturellen
Kontext betrachtet werden muss. Sie umfasst die Komponenten, die im
Zusammenhang mit der jeweiligen Umwelt stehen.
 Anpassung
 Selektion
 Umformung
4
1.4. Intelligenztests





Ursprünglich bezeichnete der Intelligenzquotient (IQ) das Verhältnis des mentalen
Alters zum Lebensalter.
 Da dieser Quotient bei Erwachsenen allerdings sinnlos ist, ist der IQ heute
anders definiert: Er entspricht der an der jeweiligen Altersgruppe normierten
Leistung in einem Intelligenztest.
Durch die Normierung an der Altersgruppe ergibt sich eine Normalverteilung, so
dass die Ergebnisse unterschiedlicher Intelligenztests miteinander verglichen werden
können.
 Der Mittelwert dieser Normalverteilung ist dabei (willkürlich) auf 100
festgelegt;
er
entspricht
der
durchschnittlichen
Intelligenz.
Die
Standardabweichung beträgt 15 IQ-Punkte.
 Werte, die mehr als eine Standardabweichung über- bzw. unter dem
Mittelwert liegen, sind über- bzw. unterdurchschnittlich. IQ-Werte zw. 85
und 115 sind dagegen durchschnittlich. In diesem Bereich liegen ca. 68 %
der Bevölkerung.
Die meisten Intelligenztests erfassen sprachliches und rechnerisches Denken,
Raumvorstellung und logisches Schlussfolgern.
Der Vorteil von Intelligenztests: IQ- Tests sind ein weitgehend objektives-, validesund zeitökonomisches Messverfahren.
Nachteile von Intelligenztests:
 Kulturabhängigkeit
 Was die verschiedenen Intelligenztests messen, hängt stark vom zugrunde
liegenden Modell ab und ist daher immer nur ausschnitthaft.
 Geringe Korrelation zu komplexen Problemlösefähigkeiten (DÖRNER:
Lohhausenproblem)
 Vernachlässigung der emotionalen bzw. sozialen Intelligenz
 Anstelle des Potentials (WYGOTSKY) wird lediglich der Status Quo gemessen
 Messfehler
1.4.1. Der Berliner Intelligenzstrukturtest


Der BIS-Test baut auf dem Berliner Intelligenzstrukturmodell von JÄGER auf. Er
besteht aus 45 Aufgabentypen, die sich auf die 12 Zellen der Matrix (Inhalt –
Operationen) verteilen.
Jede Aufgabe ist so konstruiert, dass sie jeweils eine operative- und eine
Inhaltskomponente abbildet (Prinzip der Bimodalität).
 Eine Aufgabe, die anschauliches Denken und Einfallsreichtum erfordert, besteht
z.B. darin, aus geometrischen Einzelfiguren möglichst viele zusammengesetzte
Figuren zu bilden.
1.4.2. Der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest



Es gibt einen Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE) und einen
für Kinder (HAWIK).
 Ersterer umfasst 11 Skalen, letzterer 13. Die Struktur ist analog.
Beide Tests teilen sich in einen Verbal- und einen Handlungsteil auf.
 Skalen, die zum Verbalteil zählen, sind z.B. „allgemeines Wissen“, „WortschatzTest“, „Rechnerisches Denken“, „Allgemeines Verständnis“, „Objekte finden“
 Skalen, die zum Handlungsteil gehören, sind u.a. „Bilder ergänzen“, „Bilder
ordnen“, „Figuren legen“ etc.
Theoretisch stützt sich dieser Test am ehesten auf die Intelligenzmodelle von
SPEARMAN und CATTELL.
5
1.5. Intelligenz und Schulleistung
1.5.0. Einleitung

Seit es Intelligenztests gibt (BINET; 1905) spielt der Zusammenhang zwischen
psychometrischer Intelligenz und Schulleistung in der Forschung eine große Rolle.
 Das liegt zum einen daran, dass „Intelligenz“ im Allgemeinen mit
„Begabung“ gleichgesetzt wird; weshalb ihr eine grundlegendere Bedeutung
zugemessen wird als schulischen Leistungen.
 Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang das Problem der
„Underachiever“ (s.u.).
 In umgekehrter Richtung wird die Schulleistung (Zensuren, Lehrerurteile)
häufig als Außenkriterium herangezogen, um die Validität von
Intelligenztests zu bestimmen.
 Die Validität eines Tests entspricht der Genauigkeit, mit der der Test das
misst, was er messen soll.
 Aus historischer Perspektive muss hinzugefügt werden, dass die
Intelligenzmessung in der Schuldiagnostik ihren Ursprung hat. Der erste
Intelligenztest von BINET (1905) diente dazu, lernbehinderte Kinder zu
ermitteln, um diese schulisch adäquat fördern zu können.
1.5.1. Begriffsklärung



Zur Intelligenz: s.o.
Schulleistung ist genau wie Intelligenz (s.o.) ein äußerst komplexes Konstrukt, das
von einer Vielzahl von Faktoren abhängt und sich auf verschiedene Weise definieren
lässt.
KRAPP definiert Schulleistung allgemein als das Ergebnis von Lernprozessen, „die
durch Unterrichtsmaßnahmen initiiert und /oder gesteuert wurden.“
 Diese Definition impliziert zweierlei:
1) Erstens, sind Schulleistungen von außerschulischen Leistungen
abzugrenzen.
2) Zweitens, muss zwischen der tatsächlichen Leistung eines Schülers und
deren Bewertung bzw. Messung unterschieden werden.
 Mit dem zweiten Punkt ist das Problem angesprochen, dass Zensuren,
aber auch vermeidlich objektive Schulleistungstests nicht fehlerfreibzw. nicht immer valide sind. Es handelt sich lediglich um Indikatoren
(siehe: pädagogisch-psychologische Diagnostik).
1.5.2. Empirische Befunde
A) Allgemeine Intelligenz  Schulleistung

Zum Zusammenhang zwischen Intelligenz und Schulleistung gibt es eine Vielzahl
empirischer Befunde.
 Als Prädiktor wird dabei üblicherweise ein Intelligenztest verwendet; als
Indikator für Schulleistung dienen Zensuren, Lehrerurteile oder entsprechende
Schulleistungstests.
 Die Korrelationen, die man auf diese Weise erhält, liegen im Durchschnitt bei
ca. 0.5 (mittelhoch). Das entspricht einer Varianzaufklärung von 25%.
 Obwohl dieser Zusammenhang nicht überwältigend hoch ist, gilt Intelligenz
damit als einer der besten Prädiktoren für schulischen Erfolg. Weder
motivationale-, noch emotionale Faktoren (s.u.) haben einen ähnlich hohen
Erklärungswert.
6


Betrachtet man den Zusammenhang von Schulleistung und Intelligenz genauer, fällt
Folgendes auf:
1) Die Zensuren in Hauptfächern korrelieren meist höher mit der allgemeinen
Intelligenz als Leistungen in Nebenfächern.
 …vermutlich weil in den Hauptfächern höhere kognitive Anforderungen
gestellt werden.
2) Am besten lässt sich im Allgemeinen die Mathematiknote vorhersagen.
3) Wenn die Schulleistung mit Tests (z.B. AST 4) erfasst wird, treten meistens
höhere Korrelationen auf als wenn Zensuren als Kriterium dienen.
 …was vermutlich daran liegt, dass Schulleistungstests objektiver sind als
Zensuren, die nicht zuletzt vom jew. Lehrer abhängen.
Der immer wieder gefundene Zusammenhang zwischen Intelligenz und Schulleistung
ist aus mehreren Gründen plausibel – und bedarf eigentlich kaum einer näheren
Erläuterung:
 Intelligentere Schüler/innen können sich schneller auf neue Aufgaben
einstellen, verfügen über effektivere Problemlösestrategien, erkennen leichter
lösungsrelevante Regeln, verfügen über elaboriertere Gedächtnisstrategien und
haben eine größere Verarbeitungskapazität.
 All das erleichtert schulisches Lernen.
B) Schule  Intelligenz


Der Zusammenhang zwischen Schulleistung und Intelligenz ist keineswegs einseitig,
sondern reziprok: Einerseits fördert Intelligenz die Schulleistung, andererseits wirkt
sich schulisches Lernen positiv auf die Entwicklung der Intelligenz aus.
CECI fasst in einer Meta-Analyse verschiedene Studien zusammen, die diesen
Befund belegen.
 Beispielsweise haben Kinder, die ein Jahr später eingeschult wurden,
durchschnittlich geringere Intelligenzquotienten als ihre Altersgenossen, die
schon ein Jahr länger zur Schule gehen.
 Andere Befunde zeigen, dass die im Verlauf eines Schuljahres zu
beobachtende Verbesserung der Intelligenzleistungen während der
Sommerferien stagniert oder sogar leicht abfällt.
Siehe auch: SCHOLASTIK-Studie!
Fazit: Die Intelligenzentwicklung hängt nicht zuletzt von der Dauer und Qualität der
Beschulung ab. Insofern ist Intelligenz nicht nur Voraussetzung, sondern auch eine
Folge schulischen Lernens.
 Alles andere wäre auch ernüchternd. Schließlich gehört zu den Zielen
schulischer Bildung nicht nur die Vermittlung fachspezifischen Wissens,
sondern auch die Förderung allgemeiner intellektueller Fähigkeiten.
7
C) Fachspezifisches Vorwissen  Schulleistung




Intelligenz ist nicht die einzige kognitive Voraussetzung für schulischen Erfolg. In der
neueren Forschung rückt neben der allgemeinen Intelligenz zunehmend das
bereichsspezifische Vorwissen der Schüler in den Blick.
 Als Indikator für das Vorwissen dient dabei meist die jeweilige Note aus dem
vorhergehenden Schuljahr.
Nähere Auskunft über den Zusammenhang von Vorwissen, Intelligenz und
Schulleistung gibt u.a. die Längsschnittstudie SCHOLASTIK (HELMKE & WEINERT).
 HELMKE & WEINERT zeigen anhand einer auf den Ergebnissen dieser Studie
aufbauenden Pfadanalyse, dass der Einfluss der Intelligenz auf die Schulleistung
bis zur 4. Klasse abnimmt, während bereichsspezifisches Vorwissen zunehmend
wichtiger wird.
 Die Korrelation zw. Intelligenz und mathematischer Kompetenz sinkt von
0.3 in der 1. Klasse auf 0.14 in der 4. Klasse.
 Im selben Zeitraum steigt die Korrelation zwischen Vorwissen und
mathematischer Kompetenz von .45 auf .63.
 Erklärung: Diese gegenläufige Entwicklung ist damit zu erklären, dass die
prädiktive Bedeutung der Intelligenz umso größer ist, je unbekannter die
Lerninhalte sind, d.h. je weniger Vorwissen vorhanden ist.
Die Ergebnisse der SCHOLASTIK-Studie sind kongruent zu einer Vielzahl anderer
Studien, die ebenfalls zeigen, dass fachspezifisches Vorwissen die Schulleistung
besser vorhersagt als allgemeine Intelligenz.
 Als Beleg dafür gelten meist die durchgehend hohen Zusammenhänge zwischen
Noten aus benachbarten Schulstufen, die durch die Auspartialisierung der
Intelligenz nur unwesentlich verringert werden.
Es gibt auch experimentelle Befunde, die zeigen, dass Intelligenzunterschiede durch
bereichsspezifisches Vorwissen kompensiert werden können.
SCHNEIDER: Fußballexperten
SCHNEIDER prüfte in einem 2 × 2- Design den Einfluss von Vorwissen und
Intelligenz auf das Textverständnis und die Behaltensleistung von Schülern. Zu
diesem Zweck legte er Dritt-, Fünft- und Siebtklässler eine Fußballgeschichte
vor, die sie anschließend reproduzieren sollten. Die Schüler wurden je nach
Intelligenz und fußballerischem Vorwissen einer von 4 Versuchsgruppen
zugeteilt.
 Ergebnis: Dabei zeigte sich für alle 3 Altersgruppen, dass die
Fußballexperten unabhängig von ihrer allgemeinen Leistungsfähigkeit den
Text immer besser erinnerten als ihre Mitschüler.
1.5.4. Die multiple Determiniertheit der Schulleistung


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Intelligenz eine wichtige, aber keineswegs die
einzige Determinante von Schulleistung ist. Intelligenz beschreibt allenfalls ein
Leistungspotenzial (Kompetenz  Performanz). Ob dieses genutzt wird oder nicht,
hängt u.a. von motivationalen und emotionalen Faktoren sowie den familiären,
schulischen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen ab.
 Nur aufgrund der multiplen Determiniertheit der Schulleistung sind Under- und
Overachievement (erwartungswidrige Schulleistungen) erklärbar.
Bezüglich der verschiedenen Determinanten der Schulleistung gibt es eine Vielzahl
verschiedener Modelle. Im Folgenden soll exemplarisch das Modell nach BLOOM
dargestellt werden.
8
1.5.4.1. Bloom’s Modell des schulischen Lernens

BLOOM zufolge hängt Schulleistung von 3 Bedingungsgruppen ab:
1) Qualität des Unterrichts
 Durch die Unterrichtsqualität können nach BLOOM ca. 25 % der
Leistungsunterschiede erklärt werden.
 Entscheidend für die Unterrichtsqualität ist ihm zufolge die Art der
Informationsdarbietung, adäquate Verstärkungen, Feedback und die aktive
Beteiligung der Schüler.
2) Affektiv-motivationale Schülermerkmale
 Zu
den
affektiv-motivationalen
Faktoren
gehören
u.a.
das
Fähigkeitsselbstkonzept, das Interesse, die Lernmotivation und die
allgemeine Einstellung zur Schule.
 Nach BLOOM erklären die Faktoren weitere 25% der Leistungsvarianz.
3) Kognitive Schülermerkmale
 Den größten Einfluss auf die Schulleistung haben nach BLOOM kognitive
Faktoren; dazu gehört neben der allgemeinen Intelligenz das
bereichsspezifische Vorwissen der Schüler.
 Die kognitiven Voraussetzungen der Schüler erklären 50% der
Leistungsunterschiede.
1.5.4.2. Weitere Determinanten der Schulleistung

Andere Modelle unterscheiden oft zwischen individuellen-, schulischen-, und
außerschulischen Determinanten der Schulleistung.
 Zu den individuellen Faktoren werden dabei wie in BLOOM’S Modell v.a. die
kognitiven- und affektiv-motivationalen Merkmale des Lerners gezählt.
 Die schulischen- und außerschulischen Rahmenbedingungen beeinflussen die
Schulleistung teilweise direkt, teilweise indirekt, insofern sie Einfluss auf die
individuellen Merkmale des Lerners haben.
 Als die wichtigste außerschulische Einflussgröße gilt allgemein die Familie.
a) Genetische Einflüsse
- Die Intelligenz und Persönlichkeit des Lerners ist zu großen Teilen
genetisch bedingt.
b) Status- und Strukturvariablen
- soziale Schichtzugehörigkeit (siehe: PISA)
- Familienkonstellation (Anzahl der Geschwister, Scheidung etc.)
- Berufstätigkeit
c) Prozessmerkmale des Elternverhaltens
- Elterliche Leistungserwartung
- Stimulation und Instruktion (Hilfe bei den Hausaufgaben, familiäre
Förderung und Unterstützung etc.)
- Modellfunktion der Eltern
 Unter die schulischen Faktoren fallen primär die Unterrichtsqualität und –
quantität.
- Lehrermerkmale (subjektive Theorien)
- Unterrichtsstil (autoritativ, direkt vs. demokratisch, offen etc.)
- Klassenklima (Klassengröße etc.)
9

Entscheidend ist, dass zwischen den verschiedenen Determinanten Überlappungen
und wechselseitige Abhängigkeiten bestehen. Insofern macht es kaum Sinn, einzelne
Determinanten isoliert zu betrachten.
 Je höher z.B. die Unterrichtsqualität, desto weniger ist der Lernzuwachs von
den kognitiven Voraussetzungen der Schüler abhängig.
 Schließlich zeichnet sich guter Unterricht u.a. dadurch aus, dass die Schüler
möglichst individuell gefördert werden und Unterschiede im Vorwissen zu
Beginn einer Unterrichtseinheit egalisiert werden (Wiederholung der
Lerneinheiten, evtl. Vermittlung von Nachhilfe, Elternkontakt, zusätzliche
Lernangebote etc.).
 Auch die kognitiven und affektiv-motivationalen Merkmale des Lerners
interagieren miteinander. Sie stehen entweder im Verhältnis der Kopplung oder
der Kompensation zueinander.
 Von Kopplung spricht man, wenn für einen bestimmten Effekt
Mindestausprägungen verschiedener Variablen notwendig sind. Schwierige
Aufgaben erfordern beispielsweise ein Mindestmaß an Intelligenz und
Anstrengung.
 Leichtere Aufgaben können dagegen entweder mit Intelligenz oder
Anstrengung gelöst werden. Mangelnde Anstrengung kann durch eine
entsprechende Intelligenz-, geringe Intelligenz durch entsprechende
Anstrengung kompensiert werden.
 Insbesondere die individuellen Determinanten der Schulleistung sind mit einer
Vielzahl anderer Variablen konfundiert (s.o.).
 Die Intelligenz beispielsweise mit der familiären Herkunft, aber auch mit der
Unterrichtsqualität (s.o.)
10
2. Begabung
2.1. Begriffsklärung





Der Begriff „Begabung“ ist äußerst unscharf und wird in unterschiedlicher Bedeutung
verwendet.
 Allgemein kann Begabung als angeborene Leistungsdisposition definiert
werden.
 Allerdings sollte eine solche Definition nicht im Sinne eines genetischen
Determinismus missverstanden werden. Nicht umsonst wird in der Literatur
immer wieder betont, dass sich Begabungen (bzw. Fähigkeiten) erst in der
aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickeln und manifestieren.
Im Folgenden sollen verschiedene Facetten des Begriffs „Begabung“ kurz angerissen
werden:
1) Zunächst kann zwischen der allgemeinen Begabung einer Person und
spezifischen Begabungen unterschieden werden.
2) Darüber hinaus ist es sinnvoll, zwischen intellektuellen und nichtintellektuellen Begabungen zu differenzieren.
 Zu den nicht-kognitiven Begabungen gehören z.B. die praktischhandwerkliche und die soziale Begabung einer Person.
 Zu den kognitiven Begabungen gehört nicht nur die Intelligenz, sondern seit
GUILFORD auch Kreativität (=eigenständige Begabungskomponente).
3) Eine letzte wichtige Unterscheidung betrifft die Realisierung von Begabungen.
Begabungen können-, müssen sich aber nicht in entsprechenden Leistungen
niederschlagen. Man unterscheidet daher zwischen Kompetenz und Performanz.
Die allgemeine Begabung einer Person wird meist mit deren allgemeiner Intelligenz
gleichgesetzt.
 In diesem Sinne entspricht Begabung dem von SPEARMAN postulierten
Generalfaktor „g“.
Auch zur Erklärung von Spezialbegabungen (z.B. im Bereich Mathematik oder
Musik) werden im Allgemeinen Intelligenzmodelle (z.B. GARDNER’S multiple
Intelligenzen) herangezogen.
FAZIT: Das Konstrukt „Begabung“ ist äußerst facettenreich. Es ist kaum zu
operationalisieren und oft nur unscharf vom Konstrukt „Intelligenz“ abzugrenzen.
 Daher wird „Begabung“ oft auf „Hochbegabung“ eingegrenzt.
2.2. Hochbegabung



Die gängige Definition von Hochbegabung richtet sich nach der Intelligenz. Danach
sind Personen hochbegabt, wenn sie einen IQ größer als 130 haben; das entspricht
einem Bevölkerungsanteil von 2%!
Andere Definitionen gehen nicht vom IQ, sondern der erbrachten Leistung aus. Ihnen
zufolge ist eine Person hochbegabt, wenn sie in einem spezifischen Bereich besondere
Leistungen erbringt (Ex-post-facto-Definitionen).
 Nach STERNBERG kann eine Person als hochbegabt gelten, wenn sie eine
zuverlässig und gültig nachweisbare Leistung erbringt, die in Relation zu einer
geeigneten Bezugsgruppe exzellent, selten, produktiv und wertvoll ist.
Mehrdimensionale Modelle von Begabung beziehen neben den kognitiven
Fähigkeiten
auch
nicht-intellektuelle
Faktoren
wie
Ausdauer
und
Anstrengungsbereitschaft in die Definition mit ein.
 Ein Beispiel für eine solche Konzeption ist das 3-Ringe-Modell von RENZULLI.
11
2.2. Multidimensionale Konzeptionen von Begabung
2.2.1. Renzulli’s Drei-Ringe-Modell der Begabung



RENZULLI zufolge setzt sich Begabung aus folgenden 3 Komponenten zusammen:
überdurchschnittliche Fähigkeiten (Intelligenz, Musikalität etc.), Kreativität und
Aufgabenverpflichtung.
 Im Überschneidungsbereich dieser 3 „Ringe“ siedelt er Begabung an!
Zu den überdurchschnittlichen Fähigkeiten gehört die allgemeine Intelligenz, aber
auch spezifische Talente (z.B. soziale oder künstlerische Begabung).
Unter Aufgabenverpflichtung versteht Renzulli eine leistungsorientierte
Arbeitshaltung; damit erweitert er den Begabungsbegriff um eine motivationale
Komponente.
 Für ihn ist Leistung ein konstitutives Merkmal von Begabung! Eine
Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz trifft er nicht.
2.2.2. Münchner Modell der Hochbegabung von Heller





Ein differenzierteres Modell als das von RENZULLI ist das Münchner Modell der
Hochbegabung von HELLER.
 Das Modell unterscheidet zwischen Fähigkeitsfaktoren (z.B. Intelligenz,
Kreativität, soziale Kompetenz etc.) und Leistungsbereichen.
 Ob die vorhandenen Fähigkeiten umgesetzt werden und sich in entsprechenden
Leistungen niederschlagen, hängt von nicht-kognitiven Persönlichkeitsmerkmalen und Umweltfaktoren ab.
Zu den nicht-kognitiven Persönlichkeitsmerkmalen gehören u.a. die Leistungsmotivation, Kontrollüberzeugungen, Lernstrategien und das Ausmaß an Angst.
Zu den Umweltfaktoren zählt HELLER den familiären Hintergrund, das Klassenklima,
die Qualität der Instruktion, kritische Lebensereignisse etc.
Die „Münchener Testbatterie für Hochbegabung“ - ein Test, der auf diesem Modell
aufbaut - ist in Arbeit.
KRITIK: ROST kritisiert an mehrdimensionalen Modellen, dass es sich um
Leistungs- und nicht um Begabungsmodelle handle (hochbegabte Underachiever?!);
außerdem ist er dagegen, unscharfe Konstrukte wie „Kreativität“ in den
Begabungsbegriff mit einzubeziehen. Er empfiehlt stattdessen eine Beschränkung auf
die Intelligenz.
2.2.3. Sonstiges



Identifikation und Diagnostik: Hochbegabung wird überwiegend anhand von Tests
(Intelligenztests, Kreativitätstests, Schulleistungstests etc.) festgestellt. Eltern-, Lehrerund Peerurteile haben sich als wenig valide erwiesen. V.a. hochbegabte Underachiever
werden ohne entsprechende Testungen kaum erkannt.
Klassische Untersuchungen: Die berühmte Längsschnittstudie von TERMAN
widerlegt gängige Vorurteile gegenüber Hochbegabten. Die wenigsten Hochbegabten
sind sozial zurückgezogen und unangepasst. Im Gegenteil, Hochbegabung geht meist
mit hoher sozialer Kompetenz einher.
 Durch die Münchner- und Marburger Hochbegabtenstudien werden diese
Befunde bestätigt.
Schulische Förderung von Hochbegabten:
 „Differenzierungsmaßnahmen“: Zusatzaufgaben, weniger klare Vorgaben,
Tutorfunktionen für schwächere Klassenkameraden, außerschulische Förderung
(Wettbewerbe, Kinderuni etc.), Auslandsaufenthalte
 „Segregationsmaßnahmen“: vorzeitige Einschulung, Klassenüberspringen,
Spezialschulen etc. (Problem: „Big-Fish-Little-Pond-Effekt“)
12
2.4. Kreativität
2.4.1. Begriffsklärung






Eine eindeutige Definition von „Kreativität“ gibt es nicht. Dem Wortsinn nach
bezeichnet Kreativität die Fähigkeit zu schöpferischem Denken und Handeln (lat.
„creare“).
In die Psychologie eingeführt wurde das Konstrukt von GUILFORD (s.o.). Ihm zufolge
ist Kreativität eine konstitutive Komponente von Intelligenz.
 Dementsprechend beschreibt er „Kreativität“ als kognitiven Faktor; er
unterscheidet in seinem Intelligenzmodell zwischen konvergenter und
divergenter Produktion. Während konvergentes Denken auf eine schnelle und
effiziente Problemlösung abzielt, bezeichnet divergentes bzw. kreatives Denken
die Fähigkeit, verschiedene und ungewöhnliche Lösungen zu generieren.
Nach GUILFORD zeichnet sich das Konstrukt „Kreativität“ durch 4 Merkmale aus:
1) Sensitivität gegenüber Problemen
 Insofern erfordert Kreativität nicht zuletzt Vorwissen bzw. Expertise.
2) Flüssigkeit des Denkens
 Die Leichtigkeit, Ideen und Assoziationen zu generieren.
3) Flexibilität
 Fähigkeit zum Perspektivwechsel, Wechsel von Bezugssystemen etc.
4) Originalität
 Kreative Produkte sind neu und selten!
Bezüglich der Wechselwirkung von Kreativität und
Intelligenz gibt es
verschiedene Modelle.
 Nach dem Summationsmodell kann Kreativität Intelligenzdefizite z.T.
ausgleichen (eine Erklärung für Overachievement)
 Nach dem Schwellenmodell ist ein bestimmter IQ für Kreativität unentbehrlich.
Ist dieser Schwellenwert überschritten, spielt der IQ allerdings keine Rolle mehr
das Ausmaß der Kreativität.
 Demgegenüber geht das Kapazitätsmodell davon aus, dass das
Intelligenzniveau eine Obergrenze für die Kreativität festlegt.
 Dem Kanalmodell zufolge dient Intelligenz dem Sammeln und Speichern von
Informationen, während Kreativität die Verarbeitung dieser Infos zu etwas
Neuem beinhaltet.
Der kreative Prozess kann in 4 Phasen unterteilt werden:
1) Vorbereitungsphase:
 In der Vorbereitungsphase wird ein Problem erkannt; erfordert Offenheit,
Vorwissen und Sensitivität.
2) Inkubationsphase:
 die Zeit vor der dem Finden der Lösung; häufig: vorübergehende
Abwendung vom Problem (siehe: Päd Psy: Kap. 6.4.)
3) Inspiration/Einsicht/Illumination:
 Aha-Erlebnis, im Zuge dessen die Lösung plötzlich gefunden wird.
4) Verifizierung:
 Beinhaltet die Ausarbeitung, Evaluation und Umsetzung der Lösungsidee
Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Kreativitätstests, deren Validität und
Reliabilität allerdings vielfach angezweifelt wird.
 Im Gegensatz zu Intelligenztests gibt es in Kreativitätstests nicht eine richtige,
sondern mehrere gute und weniger gute Lösungen. Bewertet wird weniger die
Richtigkeit der Antworten, als vielmehr deren Anzahl und statistische Seltenheit.
 Z.B.: „Torrance Tests of Creative Thinking“(TTCT von TORRANCE).
13
2.4.2. Kreativitätshemmende Faktoren

Vielfach wird behauptet, dass die Institution Schule Kreativität eher behindert,
anstatt sie zu fördern. Dabei werden u.a. folgende Kritikpunkte genannt.
 In schulischen Lernsituationen besteht ein hoher Konformitätsdruck
(Mitschüler, Lehrer)
 Gefördert werden überwiegend konventionelle Lösungen (das, was der Lehrer
hören will)
 Permanente Beurteilung
 Schulisches Lernen zeichnet sich meist durch eine strikte Erfolgsorientierung
und eine überwiegend extrinsische Motivation aus.
 Vielen Autoren zufolge sind kreative Prozesse aber gerade dadurch
gekennzeichnet, dass sie intrinsisch motiviert sind.
 Die bürokratische Organisation des Unterrichts (festgelegte Stundendauer,
Zeitdruck, Lehrplan etc.) verhindern Flexibilität.
 Arbeit-Spiel-Dichotomie
2.4.3. Kreativitätsförderung








Lehrer sollten die Probleme nicht immer vorgeben, sondern sie von den Schülern
selbst finden und formulieren lassen.
 Der Lehrer als „Anreger“ und nicht als „Alleswissender“
Nicht von optimalen Lösungen ausgehen, sondern den Schüler verschiedene
Lösungswege ausprobieren lassen (entdeckendes Lernen).
Kreative bzw. neue und seltene Lösungen loben; kreative Prozesse positiv verstärken!
Inschutznahme kreativer Kinder
Vermeidung von Leistungsangst
Förderung der intrinsischen Motivation (Interesse etc.)
Kreative Aufgaben stellen, die Querdenken und Phantasie erfordern (z.B. kreatives
Schreiben)
Den Schülern kreativitätsfördernde Methoden beibringen
 Brainstorming: Sammeln von Lösungsvorschlägen in der Gruppe (Wichtig: die
verschiedenen Lösungsvorschläge dürfen während des Brainstormings nicht
bewertet werden; die Durchführbarkeit der Vorschläge spielt in der
Sammelphase eine untergeordnete Rolle)
 Methode 635: eine Art schriftliches Brainstorming, bei dem negative
Gruppenprozesse ausgeschaltet werden; jeder von 6 Personen schreibt 3
Lösungsvorschläge auf einen Zettel (5 Minuten Zeit) und gibt den Zettel an
seinen Nachbarn weiter, der 3 weitere Vorschläge notiert. Der Vorgang wird
solange wiederholt (6 Mal), bis jeder Teilnehmer auf jeden Zettel 3 Vorschläge
notiert hat.
 Morphologischer Kasten: Das zu lösende Problem wird in seine
Problembestandteile zerlegt, für die dann jeweils einzeln Lösungen gesucht
werden.
14
II. MOTIVATIONALE BEDINGUNGEN DES LERNENS
1. Motivation
1.1. Begriffsklärung




Allgemein versteht man unter „Motivation“ Prozesse, die zielgerichtetes Verhalten
auslösen und aufrechterhalten.
 Dementsprechend bestimmt unsere Motivation Richtung, Dauer und Intensität
unseres Verhaltens.
Da unser Verhalten allerdings nicht immer mit unseren Absichten bzw. Zielen
übereinstimmt, ist es sinnvoll, zwischen dem Setzen von Zielen und deren Umsetzung
zu unterscheiden.
 KUHL differenziert dementsprechend zwischen „Selektionsmotivation“
(Zielauswahl)
und
„Realisationsmotivation“
(Zielumsetzung);
HECKHAUSEN & GOLLWITZER zwischen Motivation und Volition (s.u.).
Motivation vs. Motiv: Zu unterscheiden ist ferner zwischen Motivation und Motiv.
 Motive sind überdauernde Dispositionen (z.B. Machtmotiv, Leistungsmotiv
etc.).
 Als solche können sie mit entsprechenden Fragebögen oder projektiven Tests
(TAT) empirisch erfasst werden.
 Demgegenüber bezeichnet Motivation bzw. Motiviertheit den aktuellen Zustand
einer Person.
 Die Motivation ist situationsabhängig. Sie ergibt sich aus den überdauernden
Motiven einer Person und den potenziellen Anreizen der jeweiligen
Situation.
Intrinsische vs. extrinsische Motivation: Je nachdem, ob der Anreiz für eine
Handlung in dieser selbst oder in deren Folgen begründet liegt, spricht man von
intrinsischer- oder extrinsischer Motivation.
 Eine Handlung ist extrinsisch motiviert, wenn sie wegen ihrer Folgen
angestrebt wird (=> instrumentelle Handlungen). Wenn sie um ihrer selbst
willen- oder aus Interesse an einem Gegenstand ausgeführt wird, ist sie
dagegen intrinsisch motiviert.
2. Lernmotivation
2.1. Lernmotivation allgemein

Definition: HECKHAUSEN definiert Lernmotivation als die momentane Bereitschaft
eines Individuums, seine sensorischen, kognitiven und motorischen Funktionen auf
die Erreichung eines Lernziels zu richten und entsprechend zu koordinieren.
 Kurz: Lernmotivation ist die Absicht bzw. Bereitschaft, bestimmte Inhalte oder
Fähigkeiten zu erlernen; sie umfasst Prozesse, die der Initiierung und
Aufrechterhaltung von Lernaktivitäten dienen.
2.1.1. Lernmotivation nach Pekrun

Nach PEKRUN umfasst schulische Lernmotivation folgende Komponenten:
1) Intrinsische Motivation (Interesse und Lernfreude)
2) Kompetenzmotivation (Kompetenz und Selbstdiagnose)
3) Leistungsmotivation (Streben nach Erfolg / Vermeidung von Misserfolg)
4) Soziale Motivation (Bedürfnis nach positiver Zustimmung von Eltern, Lehrern
und Mitschülern)
15
2.1.2. Lernmotivation nach Heckhausen

Auch HECKHAUSEN zufolge setzt sich die Lernmotivation aus verschiedenen
Komponenten zusammen; dabei unterscheidet HECKHAUSEN zwischen intrinsischen
und extrinsischen Anteilen:
 Zu den intrinsischen Komponenten der Lernmotivation gehören die
Leistungsmotivation (LM × E × Ae), der Neuigkeitsgehalt einer Aufgabe (N)
und deren sachspezifischen Anreize (sA). Letztere entsprechen den Interessen
des Lerners.
 Zu den extrinsischen Komponenten gehören das Bedürfnis nach Identifikation
(bId), das Bedürfnis nach Zustimmung (bZust), das Bedürfnis nach
Abhängigkeit (bAbh), das Bedürfnis nach Geltung und Anerkennung (bGelt)
und das Bedürfnis nach Strafvermeidung (bStrafv).
1) Leistungsmotivation (LM × E × Ae):
Die Leistungsmotivation einer Person ergibt sich aus deren Leistungsmotiv und
situativen Bedingungen.
 Das Leistungsmotiv (LM) entspricht dem generellen Bedürfnis, Leistung zu
erbringen bzw. Erfolge zu erzielen und Misserfolge zu vermeiden. Was dabei
als Erfolg bzw. Misserfolg gewertet wird, hängt von den subjektiven
Gütemaßstäben der Person ab. Die Ausprägung des Leistungsmotivs wird
durch die Hoffnung auf Erfolg und die Furcht vor Misserfolg bestimmt.
 Die situativen Faktoren, die das Leistungsmotiv einer Person moderieren,
sind a) die potenzielle Erreichbarkeit (E) des Leistungsziels und b) der
Anreiz des Ziels bzw. der Aufgabe (Ae); beide Größen hängen von der
Aufgabenschwierigkeit ab und verhalten sich komplementär zueinander. Je
schwieriger eine Aufgabe ist, desto geringer ist zwar die
Erfolgswahrscheinlichkeit (E), dafür steigt aber deren Anreiz bzw. Wert.
2) Neuigkeitsgehalt einer Aufgabe(N)
Am motivierendsten sind Aufgaben mittlerer Neuigkeit (s.u.: Neugier).
3) Sachbereichsspezifische Anreize (sA)
Sachbereichsspezifische Anreize hängen nicht von der Aufgabenschwierigkeit,
sondern von den Interessen des Lerners ab (s.u.).
4) Das Bedürfnis nach Identifikation mit dem Erwachsenenvorbild (bId)
5) Das Bedürfnis, Zustimmung zu erhalten (bZust)
 Positive Rückmeldung
6) Das Bedürfnis nach Abhängigkeit vom Erwachsenenvorbild (bAbh)
7) Das Bedürfnis nach Strafvermeidung (bStrafv)

Ausgehend von diesen Bedingungsfaktoren stellt HECKHAUSEN folgende Gleichung
auf:
Lernmotivation = [(LM × E × Ae) + sA + N] + [bId + bZust + bAbh + bGelt + bStrafv]
Intrinsische Komponenten

extrinsische Komponenten
Sowohl die Persönlichkeitsmerkmale des Lerners (Leistungsmotiv und Interesse), als
auch die situativen Faktoren, die in die Lernmotivation einfließen, können – zumindest
z.T. – vom Lehrer beeinflusst werden.
 Allerdings ist dabei immer auf ATI-Effekte (Aptitude-Treatment-Interaktion) zu
achten. Nicht alle Schüler können auf die gleiche Weise motiviert werden.
Konkrete Maßnahmen zur Motivationsförderung müssen sich immer an den
individuellen Vorsaussetzungen der jeweiligen Schüler orientieren.
16
3. Ausgewählte Komponenten der Lernmotivation
3.1. Leistungsmotivation
3.1.1. Das Risikowahl-Modell von Atkinson







Erwartungs-x-Wert-Theorien sind kognitive Theorien: Sie gehen davon aus, dass
unsere Motivation bzw. unser Verhalten von kognitiven Prozessen bestimmt wird.
 Ob bzw. wie wir handeln, hängt davon ab, welchen Wert wir dem jeweiligen
Handlungsziel beimessen (Wert) und für wie wahrscheinlich wir es halten,
dieses Ziel zu erreichen (Erwartung).
Ein prominenter Vertreter dieser Theorie ist ATKINSON, der den Grundgedanken
dieser Theorie auf die Leistungsmotivation überträgt.
Wie LEWIN betrachtet ATKINSON dabei eine Leistungssituation als AnnäherungsVermeidungs-Konflikt: Auf der einen Seite steht die Tendenz, sich einer
Leistungssituation in der Hoffung auf Erfolg zu stellen (Te) – auf der anderen Seite
besteht die Tendenz, Leistungssituationen aus Furcht vor Misserfolg zu meiden (Tm).
Wie stark diese Tendenzen jeweils sind, hängt nach Atkinson von 3 Komponenten ab:
1) Dem Anreiz der Aufgabe (Wert)
2) Der Wahrscheinlichkeit auf Erfolg bzw. Misserfolg (Erwartung)
3) Dem Erfolgs- bzw. Misserfolgsmotiv der jew. Person (Persönlichkeitsvariable)
Zu 1: Der Anreiz der Aufgabe hängt von deren Schwierigkeitsgrad ab.
 Der Erfolgsanreiz (Ae) einer Aufgabe ist umso größer, je geringer die
Erfolgserwartung. Schließlich ist man stolzer darauf, eine schwierige Aufgabe zu
lösen als eine leichte.
 Ae = 1 – We
 Der Misserfolgsanreiz (Am) dagegen steigt mit der Erfolgserwartung. Je
leichter eine Aufgabe ist, desto eher schämt man sich für einen Misserfolg.
 Am = 1 – Wm
Zu 3: Das Erfolgs- und Misserfolgsmotiv (Me und Mm) sind laut Atkinson von der
Situation unabhängige Persönlichkeitsvariablen (messbar mit dem Thematischen
Apperzeptionstest, kurz: TAT).
 Die Annahme stabiler Persönlichkeitsvariablen ermöglicht die Erklärung
interindividueller Unterschiede.
Die Tendenz, einen Erfolg anzustreben (Te), ergibt sich aus der multiplikativen
Verknüpfung des Erfolgsmotivs (Me), der Erfolgserwartung (We) und dem Anreiz
von Erfolg (Ae). Die Tendenz, einen Misserfolg zu vermeiden (Tm), ist
dementsprechend das Produkt aus Misserfolgsmotiv (Mm), Misserfolgserwartung
(Wm) und Misserfolgsanreiz (Am).
 Te = Me x We x Ae
 Tm = Mm x Wm x Am
Daraus ergibt sich als resultierende Tendenz:
 Tr = Te – Tm
Schlussfolgerungen und Hypothesen:
 Wenn das Misserfolgsmotiv einer Person größer ist als deren Leistungs- bzw.
Erfolgsmotiv sollten Leistungssituationen, sofern keine extrinsischen Motive
vorliegen, grundsätzlich gemieden werden; im umgekehrten Fall sollten sie
aufgesucht werden.
 In der Schule ist die völlige Vermeidung von Leistungssituationen
allerdings nicht möglich; Unterschiede im Leistungsmotiv äußern sich
daher v.a. in der Anspruchsniveausetzung.
17
 Wenn das Misserfolgsmotiv überwiegt, sind Aufgaben mittlerer Schwierigkeit
mit der größten Vermeidungstendenz verbunden; es sollten eher leichte
(geringe Misserfolgserwartung) oder schwere (geringer Misserfolgsanreiz)
Aufgaben gewählt werden.
 Umgekehrtes gilt für ein stärker ausgeprägtes Erfolgsmotiv; hier sollten
überwiegend Aufgaben mittlerer Schwierigkeit gewählt werden, da in diesem
Fall das Produkt aus Erfahrung und Wert am größten ist (0,5 × 0,5 = 0,25).
 Empirische Überprüfung:

Aufgabenwahl (ATKINSON):
 Bei einer Ringwurfaufgabe, bei der der Abstand zum Ziel frei gewählt
werden konnte, wählten Vpn mit hohem Erfolgsmotiv (TAT) tatsächlich
überwiegend Aufgaben mittlerer Schwierigkeit (=> realistische
Zielsetzung).
 Für Vpn mit hohem Misserfolgsmotiv konnte die Ausgangshypothese
allerdings
nicht
bestätigt
werden.
Sie
wählten
alle
Aufgabenschwierigkeiten in etwa gleich oft und zeigten keine
eindeutigen Wahlpräferenzen.
Anspruchsniveau-Setzung (MOULTON):
 Bei Vpn mit hohem Erfolgsmotiv zeigt sich eine typische
Anspruchsniveausetzung (nach Erfolg Erhöhung -; nach Misserfolg
Senkung des Anspruchsniveaus)
 Vpn mit hohem Misserfolgsmotiv wählen gleichermaßen typische- und
atypische AN-Setzungen (nach Erfolg Senkung -, nach Misserfolg
Erhöhung des Anspruchsniveaus).
Anstrengung und Ausdauer (FEATHER):
 Wird eine Aufgabe von vornherein als schwierig deklariert, wenden sich
erfolgsorientierte Vpn nach mehreren (fingierten) Misserfolgsrückmeldungen meistens einer anderen Aufgabe zu. Wird die Aufgabe
dagegen als einfach deklariert, bleibt die Mehrzahl der erfolgsorientierten
Vpn trotz Misserfolgsrückmeldungen bei der Sache (=> sinnvolle
Einteilung der Energie).
 Bei misserfolgsorientierten Vpn ist es umgekehrt (=> kein effizienter
Einsatz der eigenen Energie):
Setzt man die Richtung der Leistungsmotivation [Hoffnung auf Erfolg (Te) – Furcht
vor Misserfolg (Tm)] zur Gesamtmotivation [Hoffnung auf Erfolg (Te) + Furcht vor
Misserfolg (Tm)] in Beziehung, lassen sich 4 Ausprägungen des Leistungsmotivs
unterscheiden.
1) Die Gruppe der hoch- und misserfolgsmotivierten Schüler ist dabei am
problematischsten. Sie zeichnet sich durch deutlich überhöhte Zielsetzungen
und massive Versagensängste aus.
 Pädagogische Maßnahmen: Förderung realistischer Zielsetzungen
(Kleine, machbare Lernziele vorgeben); positive Verstärkung und
Wertschätzung
2) Niedrig- und misserfolgsmotivierte Schüler: Resignation u. Passivität
3) Hoch- und erfolgsmotiviert Schüler: Risikofreude und Einsatzbereitschaft
4) Niedrig- und erfolgsmotivierte Schüler: wenig Eigeninitiative, stark vom
Lehrer abhängig
18
3.1.2. Weiner’s Attributionstheorie


Das Risikowahlmodell von ATKINSON kann zwar viele, aber nicht alle Fragen zur
Leistungsmotivation beantworten. Offen bleibt v.a., wie die beiden subjektiven
Größen „Erwartung“ und „Wert“ zustande kommen und wodurch das überdauernde
Leistungsmotiv einer Person im Einzelnen gekennzeichnet ist.
 WEINER zufolge hängen Erfahrung, Wert und Leistungsmotiv v.a. davon
ab, wie die betreffende Person Erfolg und Misserfolg attribuiert.
Ihm zufolge gibt es 4 Möglichkeiten, Erfolg bzw. Misserfolg zu attribuieren. Er
unterscheidet dabei zwischen der Lokationsdimension („internal vs. external“) und
der Stabilitätsdimension („zeitstabil vs. zeitinstabil“).
Zeitstabilität
stabil
variabel


Lokation
in der Person (internal)
in der Umwelt (external)
Fähigkeit
Aufgabenschwierigkeit
Anstrengung
Zufall (Glück/Pech)
Von der Art der Attribution hängt sowohl die emotionale Reaktion auf Erfolg und
Misserfolg ab, als auch die Motivation für zukünftiges Handeln.
 Die Zeitstabilität beeinflusst die Erfolgserwartung.
 Wer Misserfolg auf zeitstabile Faktoren, wie geringe Fähigkeit oder die
Aufgabenschwierigkeit, zurückführt, hat eine geringere Erfolgserwartung, als
jemand, der von zeitvariablen Ursachen (geringe Anstrengung oder Pech)
ausgeht.
 Der Wert bzw. Anreiz eines Erfolgs oder Misserfolgs hängt v.a. von der
Lokation der Ursache ab.
 Macht man Umweltfaktoren verantwortlich, haben Leistungsresultate
weniger Auswirkungen auf die Selbstbewertung, als wenn man sich selbst
verantwortlich macht.
 Bezüglich der Selbstbewertung gilt dabei allgemein, dass die emotionale
Reaktion am ausgeprägtesten ist, wenn man Leistungen auf die eigene
Fähigkeit attribuiert (=> Stolz oder Scham).
 Fremdbewertung: Bewertet man die Leistung anderer, ist die emotionale
Reaktion am stärksten, wenn man die betreffende Leistung auf hohe oder
geringe Anstrengung zurückführt (=> Zufriedenheit oder Ärger).
FAZIT: Auf der Basis der Attributionstheorie lassen sich Erfolgs- und
Misserfolgsorientierte nach ihrem bevorzugten Attributionsstil unterscheiden.
 Misserfolgsmotivierte Personen zeichnen sich durch einen ungünstigen
Attributionsstil aus: Sie tendieren dazu, Erfolg auf zeitvaribale und externe
Faktoren-, Misserfolg dagegen auf zeitstabile und interne Faktoren
zurückzuführen. Bei erfolgsorientierten Personen ist es umgekehrt.
19
3.1.3. Das Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation von Heckhausen




Die momentan aktuellste und umfassendste Theorie zur Leistungsmotivation ist
HECKHAUSEN’S Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation.
 Das Modell stellt gewissermaßen eine Synthese aus WEINER’S
Attributionstheorie und ATKINSON’S Risikowahl-Modell dar.
Anders als ATKINSON beschreibt H. das Leistungsmotiv nicht als stabiles u. einheitliches Persönlichkeitsmerkmal, sondern als komplexes Selbstbewertungssystem.
 Die Motivausprägung hängt ihm zufolge von 3 sich gegenseitig stabilisierenden
Teilprozessen ab:
1) dem Anspruchsniveau bzw. der Zielsetzung,
2) der bevorzugten Attribution von Erfolg bzw. Misserfolg
3) und der daraus resultierenden Selbstbewertung
Anhand dieser 3 Prozesse kommt HECKHAUSEN zu einer differenzierten
Unterscheidung zwischen erfolgs- und misserfolgsmotivierten Personen.
 Erstere zeichnen sich durch eine realistische Zielsetzung aus: sie bevorzugen
mittelschwere Aufgaben, also Aufgaben, die am meisten über ihre Tüchtigkeit
aussagen.  Die Zielsetzung einer Person bzw. deren Anspruchsniveau hat
wiederum Einfluss auf das Attributionsmuster. Bei mittelschweren Aufgaben
liegt es nahe, Erfolg auf internale Ursachen (Fähigkeit oder Anstrengung)-;
Misserfolg dagegen auf zeitvariable Ursachen (Mangelnde Anstrengung oder
Pech) zurückzuführen.  Aufgrund dieses Attributionsmusters kommen
Erfolgsorientierte zu einer positiven Selbstbewertungsbilanz: Freude und Stolz
nach Erfolg sind größer als die negativen Affekte nach Misserfolg; realistische
Leistungssituationen werden demnach nicht gemieden, sondern aufgesucht. 
das System verstärkt sich selbst (= „Engelskreis“).
 Bei misserfolgsmotivierten Personen sind die Zusammenhänge umgekehrt. Sie
bevorzugen extrem leichte oder besonders schwere Aufgaben; dementsprechend
attribuieren sie Erfolg meistens auf externale Faktoren (wie Glück oder die
Leichtigkeit der Aufgabe), Misserfolge dagegen auf mangelnde Fähigkeit. Das
Resultat ist eine negative Selbstbewertungsbilanz. Ein Erfolg bedeutet wenig;
Misserfolge werden dagegen als belastend erlebt.  Aufgaben mittlerer
Schwierigkeit werden gemieden (= „Teufelskreis“).
HECKHAUSEN’S
Modell
bildet
die
theoretische
Basis
verschiedener
Trainingsprogramme (s.u.): Zu fördern sind realistische Zielsetzungen sowie günstige
Attributionen und Selbstbewertungen.
3.1.4. Instrumentelle und tätigkeitsspezifische Anreize (Rheinberg)



RHEINBERG unterscheidet in seinem handlungstheoretischen Motivationsmodell
zwischen Situation => Handlung => Ergebnis => und den Folgen des Ergebnisses.
Auf diese Weise kommt er zu einer differenzierteren Beschreibung der Begriffe
„Erwartung“ und „Anreiz“.
 Zu unterscheiden ist zwischen „Situations-Ergebnis-Erwartungen“, „SituationsHandlungs-Erwartungen“,
„Handlungs-Ergebnis-Erwartungen“
und
„Ergebnis-Folge-Erwartungen“.
 Bezüglich der Anreize für eine Handlung unterscheidet RHEINBERG zwischen
tätigkeitsspezifischen- und instrumentellen Vollzugsanreizen.
 Bei tätigkeitsspezifischen Vollzugsanreizen liegt der Wert einer Handlung
in der Handlung selbst; bei instrumentellen Anreizen liegt der Wert der
Handlung in deren Folgen begründet.
RHEINBERG zufolge unterscheiden sich Menschen u.a. danach, ob sie habituell eher
tätigkeits- oder eher zweckorientiert sind (dispositioneller Anreizfokus).
20
3.2. Intrinsische Motivation
3.2.1. Begriffsklärung


Eine Handlung ist extrinsisch motiviert, wenn sie wegen ihrer Folgen angestrebt wird
(=> instrumentelle Handlungen). Wenn sie um ihrer selbst willen- oder aus Interesse
an einem Gegenstand ausgeführt wird, ist sie dagegen intrinsisch motiviert.
 Dementsprechend kann die intrinsische Motivation gegenstands- oder
tätigkeitszentriert sein.
Nach der motivationalen Theorie der Selbstbestimmung (DECI & RYAN) basiert
intrinsische Motivation auf 3 psychologischen Grundbedürfnissen: dem Bedürfnis
nach Kompetenz, dem Bedürfnis nach Autonomie und dem Bedürfnis nach sozialer
Eingebundenheit.
 Der Theorie nach entwickelt sich intrnisische Motivation in 4 Stufen, wobei die
äußeren Vorgaben (Handlungsziele) zunehmend internalisiert und ins
Selbstkonzept integriert werden: extrinsische Handlungsregulation 
Introjektion  Identifikation  Integration
3.3. Interesse
3.3.1. Begriffsklärung





Interesse ist eine Form der intrinsischen Motivation. Im Gegensatz zu vielen anderen
motivationalen Konstrukten sind Interessen dabei immer gegenstandsspezifisch.
Dementsprechend definiert die Person-Gegenstands-Theorie (KRAPP, PRENZEL et
al.) Interessen als längerfristige und überdauernde Person-Gegenstands-Bezüge.
Interessensgegenstand können dabei bestimmte Objekte, Themen oder Tätigkeiten
sein.
 Entscheidend ist, dass dem betreffenden Gegenstand eine hohe subjektive
Bedeutung zugemessen wird und die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand
als positiv und angenehm erlebt wird („wertbezogene und emotionale Valenz“).
 Aus der wertbezogenen und emotionalen Valenz des Gegenstandes ergibt sich
die intrinische Qualität bzw. „Selbstintentionalität“ von Interessen: Man geht
Interessen um ihrer selbst Willen nach und nicht aufgrund äußerer Zwänge.
 Auf kognitiver Ebene zeichnen sich Interessen dadurch aus, dass sie
gegenstandsspezifisches Wissen voraussetzen und mit einer Ausdifferenzierung
und Erweiterung dieses Wissens einhergehen („epistemische Orientierung“):
Wer sich für eine Sache interessiert, möchte mehr darüber erfahren!
Auch Interesse kann als Zustand (situationales Interesse) und Disposition
(dispositionales Interesse) beschrieben werden.
Das Interessen-Hexagon von HOLLAND ist ein Modell zur Klassifikation
verschiedener Interessen. Es beruht auf 2 bipolaren Dimensionen: Einerseits
unterscheidet Holland zwischen sach- und personorientierten-, andererseits
zwischen daten- und ideenorientierten Interessen.
 Anhand dieser Dimensionen kommt er zu 6 verschiedenen Interessensarten,
die er in Form eines Sechsecks anordnet.
 Dabei stehen forschende- und unternehmerische-, soziale- und realistischesowie künstlerische- und konventionelle Interessen einander jeweils gegenüber.
 HOLLAND’S Modell findet v.a. in der Berufsberatung Anwendung.
Interessen regulieren unser Verhalten unabhängig von aktuellen Anreizen
(funktionelle Autonomie). Sie verselbständigen sich (werden Teil des
Selbstkonzepts) und haben dadurch maßgeblichen Einfluss auf die
Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt (Genom-Umwelt-Passung)!
21
3.3.2. Die Entwicklung von Interessen

Im menschlichen Lebenslauf lässt sich die Entwicklung der Interessen nach
Bereichen aufgliedern, wobei sich typische Sequenzen beobachten lassen:
1) Universelle Interessen
 Treten bereits im ersten Lebensjahr auf; lassen sich danach unterscheiden,
ob sie eher person- oder sachorientiert sind (siehe: HOLLAND); u.a.
abhängig vom erfahrenen Bindungstyp
2) Geschlechtspezifische bzw. kollektive Interessen
 Bilden sich im Kindergarten- und Vorschulalter heraus; werden stark von
der Schule beeinflusst (Gymnasiasten haben generell ein breiteres
Interessenspektrum und sind weniger von geschlechtsstereotypen
Interessen abhängig)
3) Schulisch-akademische Interessen
 Meint das Interesse an einzelnen Schulfächern – nimmt mit dem Alter
zunehmend ab;
Wie die Längsschnittstudie LOGIK zeigt, nimmt das schulische
Interesse schon im Grundschulalter kontinuierlich ab (HELMKE).
Dieser Trend setzt sich in den weiterführenden Schulen fort. Betroffen
ist dabei v.a. das Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften
(außer Biologie), wobei Mädchen generell ein geringeres Interesse an
diesen Fächern zeigen als Jungen (negative Folge der Koedukation?! –
Konfrontation mit Geschlechtsstereotypen).
Die Wahl der Leistungskurse bestätigt diesen Befund. Fächer wie
Deutsch und Biologie werden häufiger gewählt als z.B. Chemie oder
Physik!
Während die meisten Studien lediglich die Mittelwerte verschiedener
Jahrgänge miteinander vergleichen, untersucht FEND auf der Basis der
Konstanzer Längsschnittstudie die intraindividuellen Entwicklungsverläufe. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass der negative
Entwicklungstrend lediglich für 20-30% der Schüler zutrifft. Die
Mehrheit der Schüler zeigt keinen signifikanten Einstellungswandel
was Motivation und Lernfreude betrifft.
 Schulischer Einfluss auf die Interessenentwicklung: ein Vorteil ist, dass der
Unterricht die Begegnung mit neuen Gegenstandsbereichen ermöglicht und
dadurch neue Interessen wecken kann; allerdings muss dazu die
Verknüpfung mit den persönlichen Interessen der Schüler gelingen etc.;
ansonsten: Schulverdrossenheit und Desinteresse!
4) Berufliche Interessen
 werden zunehmend realistischer und stabilisieren sich im Jugendalter
(Interessenentwicklung als Teil der Identitätsentwicklung)
 GINZBERG unterscheidet
1) Stufe der Phantasiewahlen (7-11 Jahre)
2) Stufe der Probewahlen (11-17 Jahren;v.a. vom Interesse bestimmt)
3) Stufe der realistischen Wahlen (ab 17 Jahren, bei Hauptschülern
früher; Erwägung der eigenen Interessen, Fähigkeiten und
Möglichkeiten:
Explorations-,
Kristallisationsund
Spezifikationsphase)
 Geschlechtsunterschiede: Bei Jungen wächst die Korrelation zwischen
beruflichem Interesse und Berufsprestige mit zunehmendem Alter an, bei
weiblichen Jugendlichen liegt sie bei Null!
22
5) Personale (spezifische) Interessen
 kristallisieren sich im Laufe der Entwicklung heraus; drücken sich im
Beruf oder entsprechenden Hobbys aus; überschneiden sich mit den
übrigen Interessensbereichen
3.2.2. Die Entstehung und Förderung von Interessen




Interessen sind genetisch bedingte Dispositionen, hängen aber auch von den
spezifischen Erfahrungen einer Person ab.
Der Person-Gegenstands-Theorie zufolge entwickeln sich Interessen nur dann, wenn
der betreffende Gegenstand als bedeutsam erachtet und die Auseinandersetzung mit
ihm als positiv erlebt wird.
 Die Erlebnisqualität hängt der Theorie zufolge v.a. davon ab, ob die drei von
DECI & RYAN postulierten Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz
und sozialer Eingebundenheit erfüllt werden.
 Die Entwicklung bzw. Aufrechterhaltung schulischer Interessen hängt
somit entscheidend von der Lehrer-Schüler-Beziehung, der Möglichkeit
zur Selbstbestimmung und der Kompetenzerfahrung der Schüler ab. Zu
hohe Anforderungen und ein autoritärer, stark lehrerzentrierter Unterricht
sollten sich negativ auf die Interessenentwicklung auswirken, ein
„autoritativer“ Erziehungsstil dagegen positiv.
 Damit sich Interesse entwickeln kann, muss den Schülern die Bedeutsamkeit
des Lernstoffes immer wieder verdeutlicht werden! Ein typischer Interessenkiller
ist der fehlende Alltags- und Anwendungsbezug des Lernstoffs.
Der „Korrumpierungs-“ oder „Overjustification Effect“ besagt, die instrinsische
Motivation durch äußere Verstärker (Belohnung) untergraben werden kann.
EXPERIMENT (Greene et al., 1976): Das „Mathespiel“
Nach einer Belohnungsphase spielen die Kinder ein Mathespiel weniger
häufig als vor der Belohnungsphase!
 Das ursprüngliche Interesse an dem Mathespiel (intrinsische
Motivation) geht verloren, wenn das Spielen vorübergehend belohnt
wird.
 Vermeidung des Overjustification Effects:
 Leistungskontingente Belohnung statt aufgabenkontingenter Belohnung
(Nicht das Mathespiel an sich, sondern lediglich gute Leistungen darin
sollten belohnt werden) => Aber Vorsicht: Bewertungsangst muss vermieden
werden, da sie Motivation raubt!
 Nur so viel belohnen, wie notwendig ist.
Didaktische Maßnahmen zur Interessensförderung:
 Autoritativ-demokratischer Unterrichtsstil
 Identifikation mit dem Lehrer fördern
 Angemessene Anforderungen und positive Rückmeldung
 Durchschaubarkeit des Dargebotenen
 Anschaulichkeit
 Anwendungs- und Alltagsbezug (an den Problemen der Schüler anknüpfen)
 Eigenaktivität und die Selbstbestimmung von Lernzielen sollte ermöglicht
werden.
 Gruppenarbeit
23
4. Empirische Befunde zu d. motivationalen Faktoren des Lernens
4.1. Lernmotivation


PEKRUN untersuchte auf der Basis des Münchner Längsschnitts zur Schülerpersönlichkeit die Entwicklung der Lernmotivation anhand von 4 Dimensionen:
Intrinsische Motivation, Kompetenzmotivation, Leistungsmotivation und soziale
Motivation (s.o.).
 Dabei zeigte sich, dass lediglich die Leistungsmotivation über die
Jahrgangsstufen hinweg stabil bleibt.
 Die übrigen Formen der Lernmotivation fallen kontinuierlich ab.
Einer Metaanalyse von WALBERG et al. zufolge beträgt die durchschnittliche
Korrelation zw. Lernmotivation und Leistung lediglich r = .12.
 Dieser geringe Zusammenhang ist v.a. damit zu erklären, dass in entsprechenden
Untersuchungen immer nur Teilaspekte der Lernmotivation erfasst werden
können. Hinzu kommt, dass Motivation stark situationsabhängig ist (z.B. von
der zeitlichen Nähe zur Prüfung) und sich nur in Verbindung mit anderen
Faktoren (z.B. Intelligenz) in entsprechenden Leistungen niederschlägt.
4.1. Selbstwirksamkeit


Das Konzept der Selbstwirksamkeit (Self-efficacy) geht auf BANDURA zurück. Es
bezeichnet die subjektive Überzeugung, Aufgaben und Probleme aufgrund eigener
Kompetenzen bewältigen zu können (Handlungs-Ergebnis-Erwartuung).
 Die Selbstwirksamkeit einer Person enthält bereichsspezifische und
generalisierte Überzeugungen. Sie hat Einfluss auf die Leistung und Zielsetzung
einer Person. Umgekehrt beeinflussen die Leistungsergebnisse die
Selbstwirksamkeitserwartungen (reziproker Zusammenhang).
Dementsprechend verwundert es nicht, dass eine hohe Selbstwirksamkeit mit besseren
Leistungen und größerer Lernfreude einhergeht (JERUSALEM).
4.2. Lernfreude, Interesse und Leistung




Lernfreude und schulisches Interesse nehmen ab der Grundschulzeit kontinuierlich ab.
Das zeigen u.a. die Längsschnittstudien LOGIK & SCHOLASTIK.
Die Analyse intraindividueller Entwicklungsverläufe zeigt jedoch, dass dieser negative
Entwicklungstrend lediglich für 20-30% der Schüler zutrifft. Die Mehrheit der
Schüler zeigt keinen signifikanten Veränderungen was Motivation und Lernfreude
betrifft (FEND: Konstanzer Längsschnittstudie).
JERUSALEM zufolge hängen Lernfreude und Interesse eng mit den schulischen
Leistungen zusammen; dabei verstärken sich die einzelnen Größen wechselseitig.
Gute Noten gehen mit Lernfreude und Interesse einher; umgekehrt begünstigt
Interesse und eine entsprechende Lernfreude gute Leistungen.
 Die gefundenen Korrelationen zw. Lernfreude und Schulleistung nehmen im
Lauf der Schulzeit kontinuierlich zu. Die Lernfreude guter Schüler bleibt relativ
konstant, während die Lernfreude schlechter Schüler zunehmend zurückgeht.
Betrachtet man die Entwicklungsverläufe in Abhängigkeit vom Fach, zeigt sich, dass
v.a. Mathematik und die naturwissenschaftlichen Fächer (außer Biologie) von einem
Rückgang des Interesses betroffen sind.
 Mädchen haben dabei durchschnittlich weniger Interesse und Freude an
Mathematik als Jungen, erbringen aber keine schlechteren Leistungen.
24

In einer Metaanalyse von SCHIEFELE et al. wurde über mehrere Schularten,
Jahrgangsstufen und Fächer hinweg ein mittlerer Zusammenhang zwischen Interesse
und Leistungen (Noten, Tests) von r = .30 ermittelt.
 Es konnte nachgewiesen werden, dass dieser Zusammenhang reziprok ist:
Schulleistung und schulisches Interesse beeinflussen sich wechselseitig.
 Gute Noten fördern das Interesse, insofern sie das Bedürfnis nach
Kompetenz und sozialer Eingebundenheit befriedigen.
 Umgekehrt führt Interesse zu besseren Leistungen, insofern Interesse zu
erhöhter Aufmerksamkeit und einer tieferen Informationsverarbeitung
führt (Elaborations- und Organisationsstrategien).
4.3. Stage-Environment-Fit-Theorie


Die „Stage-Environment-Fit-Theorie“ (ECCLES et al.) erklärt das Absinken der
(intrinsischen) Lernmotivation folgendermaßen:
 Die Lehrer-Schüler-Beziehung wird im Laufe der Schulzeit zunehmend
formeller; dementsprechend erfahren ältere Schüler durchschnittlich weniger
emotionale Unterstützung und Zuwendung als jüngere Schüler.
 Dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit wird zunehmend weniger
entsprochen!
 Die Ansprüche steigen; die Notenpraxis wird strenger und die Noten
dementsprechend schlechter.
 Zunehmende
soziale
Bezugsnormorientierung;
Verschärfung
der
Wettbewerbssituation
 Widerspruch zum Bedürfnis nach Kompetenz
 Zunehmende Lehrerzentrierung
 Widerspruch zum Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung.
FAZIT: Mangelnde Passung zwischen den Bedürfnisse der Schüler und den
schulischen Bedingungen führt zum Absinken der Lernmotivation!
25
5. Förderung der Lernmotivation
5.0. Allgemeines

Lehrer können die Lernmotivation ihrer Schüler auf verschiedene Weise beeinflussen.
Im Folgenden soll v.a. die Förderung der Leistungsmotivation und des Interesses
behandelt werden.
5.1. Förderung der Leistungsmotivation



Nach HECKHAUSEN’S Selbstbewertungsmodell sollten sich Lehrer bei der
Förderung der Leistungsmotivation an 3 Zielen orientieren:
 Sie sollten stark misserfolgsorientierte Schüler zu einer realistischen
Zielsetzung bewegen, ihnen einen günstigen Attributionsstil nahe legen und auf
diese Weise eine positive Selbstbewertungsbilanz fördern.
 Vgl. hierzu das Motivationstraining von KRUG & HANEL
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Bezugsnormorientierung des Lehrers.
 Bei einer individuellen Bezugsnormorientierung werden die Leistungen der
Schüler mit deren persönlichem Leistungsniveau verglichen, was sich v.a. aus 2
Gründen positiv auf die Leistungsmotivation auswirkt:
1) Erstens, gerät dadurch das Potenzial der Schüler in den Blick und nicht
deren Grenzen. Misserfolge werden eher auf variable Ursachen wie
Anstrengung zurückgeführt anstatt auf Fähigkeit.
2) Zweitens, fördert eine individuelle Bezugsnormorientierung eine
realistische Zielsetzung. Anstatt sich an den Klassenbesten zu orientieren,
wird leistungsschwächeren Schülern nahe gelegt, sich an den eigenen
Standards zu orientieren.
 Bei einer sozialen Bezugsnormorientierung ist es genau umgekehrt;
dementsprechend negativ wirkt sie sich auf die Leistungsmotivation aus.
Der Zusammenhang zwischen der Bezugsnormorientierung des Lehrers und der
Leistungsmotivation der Schüler ist empirisch vielfach nachgewiesen.
Nach Beobachtungen von RHEINBERG zeichnen sich Lehrer mit individueller
Bezugsnormorientierung neben einem günstigeren Attributionsstil v.a. durch
folgende Punkte aus:
1) Sie
äußern
generell
mehr
Lob,
insbesondere
gegenüber
leistungsschwächeren Schülern – und machen ihr Lob stärker von der
individuellen Leistungsentwicklung abhängig.
2) Sie stimmen ihren Unterricht stärker auf den Einzelnen ab; der
Schwierigkeitsgrad der Aufgaben wird, soweit wie möglich, an die
individuellen Voraussetzungen der Schüler angepasst.
26
5.2. Interessenförderung

Der Person-Gegenstands-Theorie zufolge entwickeln sich Interessen nur dann, wenn
der betreffende Gegenstand als bedeutsam erachtet und die Auseinandersetzung mit
ihm als positiv erlebt wird (Emotionale und wertbezogene Valenz).
 Insofern sind an der Interessengenese sowohl kognitiv-rationale als auch
emotionale Faktoren beteiligt (KRAPP spricht daher vom „dualen
Funktionssystem der Interessengenese“)
5.2.1. Emotionale Valenz


Die emotionale Erlebnisqualität hängt der Theorie zufolge v.a. davon ab, ob die drei
von DECI & RYAN postulierten Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und
sozialer Eingebundenheit erfüllt sind.
Dementsprechend sollten Lehrer im Unterricht v.a. auf 3 Dinge achten:
1) Sie sollten eine positive Beziehung zu ihren Schülern aufbauen, die Schüler in
ihren Belangen ernst nehmen und für ein gutes Klassenklima sorgen (=> soziale
Eingebundenheit).
2) Sie sollten den Schülern Kompetenzerfahrungen ermöglichen: dazu ist es
notwendig, die Aufgabenschwierigkeit den Voraussetzungen der Schüler
anzupassen (Schaffung von Erfolgserlebnissen). Außerdem sollte Lob von der
individuellen Leistungsentwicklung- und nicht vom Klassendurchschnitt
abhängig gemacht werden. Abwertende Rückmeldungen sollten vermieden
werden (stattdessen: informierende Rückmeldungen).
3) Um dem Bedürfnis nach Autonomie gerecht zu werden, empfiehlt sich ein eher
schülerzentrierter, demokratisch-autoritativer Unterrichtsstil. Der Lehrer
sollte den Schülern Wahlmöglichkeiten geben und sie, soweit das möglich ist,
in die Unterrichtsplanung mit einbeziehen. Eigenständiges Arbeiten: z.B. in
Gruppen, bei Referaten etc.
5.2.2. Wertbezogene Valenz



Die wertbezogene Valenz ist im Gegensatz zur emotionalen inhaltsspezifisch.
Trotz der Lehrplanvorgaben hat der Lehrer einen entscheidenden Einfluss auf die
Unterrichtsinhalte und deren Darbietung:
 Schüler können zumindest teilweise an der Themenwahl beteiligt werden!
 Relevanz und Alltagsbezug des Lernstoffs sollten verdeutlicht werden!
 Ansprechendes Arbeitsmaterial (Einsatz verschiedener Medien etc.)
 Auf unnötige Wiederholungen des Stoffs verzichten
 Spannende Aufgaben- und Fragestellungen
 Begeisterung ausstrahlen (Lernen am Modell): Nur wer selbst von seinem Fach
begeistert ist, wird andere dafür begeistern können.
Vermeidung des „Overjustification-Effekts“ (s.o.)!
27
6. Handlungsregulation
6.0. Allgemeines

Theorien zur Handlungskontrolle befassen sich mit den psychologischen Prozessen,
die nach der Zielsetzung (s.o.) zur Zielerreichung beitragen und ein bestimmtes Ziel
gegen rivalisierende Ziele abschirmen.
 Die bekannteste Theorie zur Handlungskontrolle ist das Rubikon-Modell von
HECKHAUSEN & GOLLWITZER.
6.1. Das Rubikonmodell (Heckhausen & Gollwitzer)

Handlungsphasen: Heckhausen & Gollwitzer gehen von 4 Handlungsphasen aus. Am
Anfang einer jeden Handlung steht ein Bedürfnis oder Wunsch (z.B. etw. für die
körperliche Fitness zu tun).
 Vorentscheidungsphase (prädezisional):
1. Die sog. Vorentscheidungsphase dient der Intentionsbildung. Dabei
werden die verschiedenen Handlungsalternativen bezüglich ihres
Wertes und ihrer Erfolgserwartung* gegeneinander abgewogen (z.B.
joggen, Fußball, Tanzkurs,…).
* Erwartung x Wert (s.o.): Ist die Handlungsalternative realisierbar (Erwartung)
und ist sie attraktiv (Wert)?!
2. Am Ende dieser Phase steht ein Entschluss (Fazittendenz): Aus dem
allgemeinen Wunsch (etw. für die körperliche Fitness zu tun) ist eine
konkrete Handlungsabsicht (Zielintention) geworden (Fußball
spielen).
 Vorhandlungsphase (präaktional):
1. Die Vorhandlungsphase dient der Erstellung eines Handlungsplans;
es geht also um die Erwägung konkreter Umsetzungsmöglichkeiten
(Wo, wie und wann wird Fußball gespielt?).
2. Fiattendenz: Am Ende dieser Phase steht ein Plan bzw. ein
konkreter Vorsatz (Implementierungsintention), der festlegt, wie
und wann die Handlung realisiert werden soll.
 Handlungsphase (aktional):
1. Die Handlungsphase dient der Ausführung des Handlungsplans, der
dabei fortwährend mit den aktuellen Gegebenheiten verglichen wird.
2. Am Ende dieser Phase steht der Abschluss der Handlung, im
idealen Fall bedeutet das zugleich die Erreichung des Ziels (fit zu
sein).
 Nachhandlungsphase (postaktional):
1. Die Nachhandlungsphase dient der Bewertung des Erreichten. Es
geht also darum, für sich zu entscheiden, ob die Handlung erfolgreich
war oder nicht.
2. Am Ende dieser Phase steht evtl. eine Neubewertung der
ursprünglichen Handlungsalternativen oder gar der eigenen
Standards. (Rudern statt Fußball? Oder ist Erfolg im Studium doch
wichtiger als körperliche Fitness?!)
28

Bewusstseinslagen: Die verschiedenen Phasen zeichnen sich durch unterschiedliche
Bewusstseinslagen aus.
 Die motivationale Bewusstseinslage:
 Zur motivationalen Bewusstseinslage gehören die Vorentscheidungsund Nachhandlungsphase: Zielsetzung!
 Um eine möglichst breite Vielfalt von Handlungsalternativen
erfassen zu können, ist diese Bewusstseinlage durch Offenheit und
Objektivität gekennzeichnet.
 Es gilt, möglichst viele Informationen aufzunehmen und sie
möglichst objektiv bezüglich ihres Wertes und der Erfolgserwartung
zu bewerten (realitätsorientierte Informationsverarbeitung).
 Die volitionale Bewusstseinslage:
 Zur motivationalen Bewusstseinslage gehören die Vorhandlungsund die Handlungsphase: Initiierung und Aufrechterhaltung des
Handelns!
 In dieser Bewusstseinslage wird die Aufmerksamkeit auf die
konkrete Absicht, deren Umsetzung und Ausführung fokussiert.
 Es gilt, sich nicht durch andere Handlungsabsichten ablenken zu
lassen und die Konzentration ganz auf zielrelevante Infos und Reize
zu richten.
 Realisierungsorientierte, statt realitätsorientierte Informationsverarbeitung, d.h. man ist weitaus optimistischer und blendet negative
Rückmeldungen z.T. aus, um sich bei der Umsetzung nicht
entmutigen zu lassen.
29
III. EMOTIONALE BEDINGUNGEN DES LERNENS
1. Angst
1.1. Begriffsklärung
1.1.1. Angst allgemein


Angst kann als unangenehm erlebter Erregungsanstieg definiert werden. Ausgelöst
wird Angst in Situationen, die als unsicher und bedrohlich wahrgenommen werden.
Welche Situationen das im Einzelnen sind, ist individuell verschieden und hängt von
der genetischen Disposition und den Erfahrungen der betreffenden Person ab.
 Allgemein kann zwischen Angst als Zustand und Ängstlichkeit als
Persönlichkeitseigenschaft oder Disposition unterschieden werden.
 Angst im Sinne eines Zustandes meint die akute, situationsspezifische
Reaktion.
 Ängstlichkeit bezeichnet dagegen die generelle Tendenz, auf bedrohliche
Reize mit Angst zu reagieren.
 Bezüglich des Angstgegenstandes kann zwischen generalisierten und
bereichsspezifischen Ängsten unterschieden werden. „Grundformen“ der Angst
sind die Existenzangst, die soziale Angst und die Leistungsangst bzw. –
ängstlichkeit.
 Manche Autoren treffen darüber hinaus eine weitere Differenzierung: Handelt
es sich bei der wahrgenommenen Bedrohung um eine klar bestimmbare Gefahr,
die von außen kommt und sinnvolle Reaktionsweisen nahe legt (Flucht oder
Angriff), sprechen sie von „Furcht“; von „Angst“ sprechen sie dagegen, wenn
die Gefahr unspezifisch-, eher innerlich- und nur schwer zu bewältigen ist.
Wenn die Angst ein gewisses Maß übersteigt und nicht mehr im Verhältnis zur
objektiv gegebenen Gefahr steht, spricht man von „Phobie“.
1.1.2. Schul- und Leistungsangst



Schulangst kann definiert werden als die relativ überdauernde Bereitschaft,
schulische Situationen als persönliche Bedrohung zu empfinden.
 Die Hauptformen von Schulangst sind Leistungsangst und soziale Angst (Angst
vor Zurücksetzung, Nichtanerkennung etc.).
LIEBERT & MORRIS unterscheiden in Bezug auf die Leistungsangst zwischen 2
Komponenten: der Besorgtheits- und der Aufgeregtheitskomponente.
 Die „Besorgtheit“ („worry“) ist die kognitive Komponente der Leistungsangst;
sie äußert sich in aufgabenirrelevanten Gedanken und Sorgen.
 Dazu gehören z.B. Selbstzweifel, selbstwertschädigende Leistungsvergleiche, eine übersteigerte Beschäftigung mit Noten, Fantasien über
mögliche Misserfolge etc.
 Leitungsängstliche Schüler machen sich vor einer Prüfung oft mehr
Gedanken über einen möglichen Misserfolg, als über den zu lernenden Stoff!
 Die „Aufgeregtheit“ („emotionality“) bezeichnet die wahrgenommene
Erregung einer Person (Herzrasen, innere Anspannung etc.).
Ausgehend von dieser Differenzierung kann Leistungsangst definiert werden als die
Besorgtheit und Aufgeregtheit angesichts von Leistungsanforderungen, die als
selbstwertbedrohlich eingeschätzt werden.
 Dabei gilt: Je höher der (subjektive) Stellenwert einer Leistung und je niedriger
die (subjektive) Erfolgswahrscheinlichkeit, desto größer die Leistungsangst.
30
2. Indikatoren für Schul- und Leistungsangst
2.1. Wie äußert sich Angst? (Angst als Zustand)


Angstzustände äußern sich auf 3 Verhaltensebenen:
1) Auf einer physiologischen Ebene kommt es zu einem Erregungsanstieg des
autonomen Nervensystems. Die Folgen sind Herzklopfen, ein erhöhter
Blutdruck, Schweißausbrüche, beschleunigte Atmung etc.
2) Auf der verbal-subjektiven Ebene äußert sich Angst im Gefühl der Bedrohung
und Hilflosigkeit. Auf dieser Ebene wird die angstauslösende Situation
interpretiert und bewertet.
3) Auf einer dritten Ebene äußert sich Angst in beobachtbaren Verhaltensweisen;
dazu gehören z.B. Flucht- und Vermeidungstreaktionen, entsprechende
Veränderungen der Mimik und Gestik, Artikulationsstörungen, Verkrampfungen
etc.
Innerhalb und zwischen diesen Ebenen korrelieren die Variablen in der Regel nur
mäßig. Das liegt zum einen daran, dass Angstrektionen z.T. stark variieren. Will
sagen: Nicht jeder reagiert auf Bedrohungen in gleicher Weise. Zum anderen treten die
einzelnen Symptome oft zeitversetzt auf. Insbesondere die physiologischen
Reaktionen sind mehrdeutig (Auch bei Freude ist der Puls erhöht).
2.2. Wie äußert sich Schulangst? (Angst als Eigenschaft)



Schüler mit Schulangst versuchen ihre Angst meistens vor der Umwelt zu verbergen.
Da Angst ohnehin nur bedingt beobachtbar ist, bleibt Schulangst daher oft unerkannt.
Folgende Indikatoren gelten als Hinweise für Schulangst:
 Hochängstliche Schüler haben ein negativ getöntes Selbstbild und sind stark
misserfolgsorientiert. Sie attribuieren Leistungserfolge eher external (z.B.
Glück), Misserfolge dagegen überwiegend internal (z.B. Fähigkeit).
Dementsprechend werden negative Rückmeldungen als äußerst belastend erlebt,
während positives Feedback kaum zu positiven Affekten führt (negative
Selbstbewertungsbilanz).
 Hochängstliche Schüler sind durch Hilflosigkeit, Unsicherheit und mangelndes
Selbstvertrauen gekennzeichnet. Sie sind oft angespannt und fallen durch
nervöses Verhalten auf.
 Sie zeigen eine schlechte Arbeitshaltung, sind häufig abgelenkt und von den
gestellten Aufgaben überfordert. Dementsprechend geht Schulangst in der Regel
mit schlechten Leistungen und Zensuren einher (s.u.).
 In der Peergroup nehmen ängstliche Schüler meist einen unteren Rangplatz ein.
Sie werden von ihren Mitschülern weniger geschätzt als andere und sind oft
sozial isoliert (Rückzug und Ausgrenzung).
 Hochängstliche Schüler fehlen häufiger und sind häufiger krank (Magenweh,
Übelkeit etc.)!
 Generell sind Mädchen häufiger von Schulangst betroffen als Jungen.
Zur systematischen Erfassung von Ängstlichkeit stehen entsprechende Tests zur
Verfügung, die sich meist an dem Zwei-Komponenten-Modell von LIEBERT &
MORRIS orientieren.
31
3. Angst und Leistung





Es ist davon auszugehen, dass Schulangst und Leistung sich wechselseitig
beeinflussen: Ängstlichkeit mindert das Leistungsvermögen; schlechte Leistungen
wiederum erhöhen die Angst.
 Einer Metaanalyse von SEIPP zufolge beträgt die durchschnittliche Korrelation
zw. Leistung und Angst r = -.21. Obwohl dieser Zusammenhang lediglich
schwach negativ ist, darf er nicht unterschätzt werden.
Für die leistungsmindernde Wirkung von
Schulangst gibt es zahlreiche
theoretische Erklärungen:
Nach dem „Yerkes-Dodson-Gesetz“ besteht zwischen emotionaler Erregung,
Aufgabenschwierigkeit und Leistung folgender Zusammenhang: Bei einfachen
Aufgaben wirkt Erregung leistungsoptimierend; bei schwierigen Aufgaben dagegen
eher leistungsmindernd.
 Da Angst mit einem Erregungsanstieg verbunden ist, sollten also einfache
Lernprozesse (z.B. klassisches Konditionieren) durch Angst begünstigt-,
komplexere Lernprozesse (z.B: Wissenserwerb) dagegen behindert werden.
In einem entsprechenden Experiment von YERKES & DODSON wurden
Mäuse für die falsche Lösung einer Diskriminationsaufgabe mit
Elektroschocks (Aktivierung) bestraft. UVn: Variiert wurden die
Schockintensität (Erregnung) und die Aufgabenschwierigkeit. Bei
einfachen Aufgaben führte eine Intensivierung des Schockslevels zu einer
Leistungsverbesserung, bei schweren Aufgaben dagegen zu einer
Leistungsverschlechterung.
Dass Angst die Aufmerksamkeit und damit die Gedächtnisleistung beeinträchtigt,
ist empirisch vielfach belegt. Eine theoretische Erklärung für die Befunde bietet das
„Habit-Interferenz-Modell“ von MANDLER & SARASON:
 Danach werden in Leistungssituationen antagonistische Triebe aktiviert. Der
Aufgabentrieb und der Angsttrieb. Letzterer kann Ansporn, aber auch Hindernis
sein. Bei Hochängstlichen ist der Angsttrieb eher ein Hindernis. Er führt zu
aufgabenirrelevanten Reaktionstendenzen, durch die die Aufgabenlösung
beeinträchtigt wird (Interferenz).
 Sprich: Leistungsängstliche Schüler lassen sich durch ihre Sorgen und
Selbstzweifel von der Aufgabenlösung ablenken! Anstatt eine Prüfung
systematisch vorzubereiten, machen sie sich Gedanken über einen möglichen
Misserfolg.
 KUHL: Anstatt negative Affekte und Gedanken beiseite zu schieben, um sich auf
die Aufgabenlösung konzentrieren zu können (Handlungsorientierung), sind
ängstliche Schüler in ihren Sorgen befangen: sie denken über vergangene und
mögliche Misserfolge nach und werden dadurch von der Aufgabenlösung
abgelenkt
(Lageorientierung):
Oberflächliche
Aufgabenbearbeitung,
Unkonzentriertheit, Hektik, oberflächliche Strategien etc.
Leistungsmindernd
wirkt
dementsprechend
v.a.
die
Besorgtheitskomponente der Leistungsangst!
Neben der kognitiven Beeinträchtigung bringt Angst motivationale Defizite mit sich:
 Ausgeprägte Misserfolgserwartung, evtl. erlernte Hilflosigkeit etc. (s.o.)!
32
4. Die Entstehung von Schulangst
A) Lerntheoretische Erklärungsansätze

Aus verhaltenstheoretischer Sicht wird Angst „gelernt“. Dabei lassen sich 3 Varianten
unterscheiden:
 Nach dem Paradigma der klassischen Konditionierung entstehen Ängste
durch die wiederholte Paarung eines ursprünglich neutralen Reizes mit einem
aversiven Reiz.
 Nach dem Paradigma der operanten Konditionierung wird der Erwerb von
Angstreaktionen durch das Prinzip der Verstärkung erklärt.
 Eine dritte Möglichkeit besteht darin, Ängste durch die Beobachtung und
Nachahmung anderer zu erlernen (Modelllernen).
4.1. Klassische Konditionierung





WATSON, der als Begründer des Behaviorismus gilt, ging davon aus, dass unsere
grundlegenden
Emotionen
(Angst,
Wut,
Liebe)
durch
klassische
Konditionierungsprozesse bedingt sind.
 Um seine These zu belegen, führte er ein klassisches Experiment durch: Er
brachte einem 11 Monate alten Jungen namens „Albert“ im wahrsten Sinne des
Wortes „das Fürchten bei“.
Jedes Mal, wenn der Junge eine Ratte sah, vor der er ursprünglich keine
Angst hatte, schlug Watson auf eine Eisenstange und koppelte dadurch die
Ratte, anfangs neutral- oder sogar positiv besetzt, an ein angstbesetztes
Geräusch.
Beim klassischen Konditionieren wird also ein neuer bzw. „bedingter“ Reiz als
Auslöser für eine biologisch vorgegebene Verhaltensweise gelernt!
 Man spricht deshalb auch von Reiz-Reaktions- bzw. S-R-Lernen.
Ein unbedingter Reiz (Geräusch) führt zu einer unbedingten Reaktion (Angst). Im
Rahmen der Konditionierung wird der unbedingte Reiz mit einem neutralen Reiz
(Ratte) gekoppelt.
 Wichtig ist dabei a) die zeitliche- und räumliche Nähe des bedingten und
unbedingten Reizes (Kontiguität) sowie b) die Wiederholung dieser
Reizkombination.
 Ist beides gegeben, wird der neutrale Reiz mit dem unbedingten assoziiert
(deshalb auch: assoziatives Lernen)!
Dadurch entsteht eine neue Reiz-Reaktions-Beziehung: Der ursprünglich neutrale
Reiz (Ratte) wird zu einem bedingten Reiz, der allein ausreicht, um die jew. Reaktion
(nun eine bedingte Reaktion) hervorzurufen.
FAZIT: Durch klassisches Konditionieren lernen wir emotionale Reaktionen auf
ursprünglich neutrale Reize zu übertragen.
Beispiele aus der Schule



(1) Bestrafung (= unbedingter Reiz) => Angst (= unbedingte Reaktion); (2) Lehrer
(neutraler Reiz) + Bestrafung => Angst (unbedingte Reaktion); (3) Lehrer (bedingter
Reiz) => Angst (bedingte Reaktion)
Typische Beispiele für diese Art der Angstentstehung sind traumatische Erlebnisse.
Ein Schüler, der an die Tafel geholt wird und dort vor der gesamten Klasse versagt,
oder wiederholt Demütigungen durch Klassenkameraden erfährt etc.
In schwerwiegenden Fällen kann es zu einer „Reizgeneralisierung“ kommen:
Angstreaktionen werden dann nicht nur in Prüfungssituationen ausgelöst, sondern u.U.
schon beim Anblick des Schulgebäudes.
33
4.2. Operante Konditionierung
 Nach dem Paradigma der operanten Konditionierung werden Angstreaktionen


aufgrund von Konsequenzen gelernt. Der entscheidende Prozess ist dabei der der
Verstärkung.
 Verstärker sind nach SKINNER alle Konsequenzen, die die
Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens erhöhen. Zu unterscheiden ist
dabei zwischen positiver und negativer Verstärkung.
 Positive Verstärkung: Darbietung eines angenehmen Reizes,
 Negative Verstärkung: Beseitigung eines unangenehmen (aversiven) Reizes
Die spontane Reaktion auf Angst ist Flucht- und Vermeidungsverhalten. Ein
solches Verhalten ist kurzfristig meistens erfolgreich, führt aber langfristig zu einer
Verstärkung der Angst.
 Indem Flucht- und Vermeidungsreaktionen verstärkt werden, wird eine sinnvolle
Bewältigung („Coping“) der Angst verhindert.
 Flucht- und Vermeidungsverhalten bei Schulangst: Schuleschwänzen,
Prüfungsvorbereitungen vor sich herschieben, sich ablenken, Suchtmittel,
etc.
 Wer bei Klausuren immer schwänzt, wird nie lernen, dass er auch erfolgreich
sein kann.
Da auf Angstzustände im Allgemeinen Erleichterung folgt, verstärkt sich Angst selbst.
4.3. Die Zwei-Faktoren-Theorie der Angstentstehung von Miller & Mowrer


Nach MILLER & MOWRER wirken bei der Entstehung von Angst klassische und
operante Konditionierungsprozesse zusammen („Zwei-Faktoren-Theorie der
Angstentstehung“).
 Durch klassische Konditionierung werden ursprünglich neutrale Reize mit
Angst besetzt.
 Die spontane Reaktion auf Angst ist Flucht- und Vermeidungsverhalten. Da ein
solches Verhalten zur kurzfristigen Reduktion der Angst führt, wird es negativ
verstärkt. Dadurch stabilisiert sich die Angst selbst.
Anhand dieser Theorie kann die Entstehung von Prüfungsangst folgendermaßen
erklärt werden:
 Ein Schüler, der im Zusammenhang mit Prüfungssituationen gehäuft negative
Erfahrungen macht (Misserfolg, Bestrafung durch die Eltern, Tadel vom Lehrer,
etc.) assoziiert Prüfungen auf die Dauer mit Angst.
 Um die Angst zu reduzieren, versucht er sich abzulenken; er schiebt z.B. die
Prüfungsvorbereitung vor sich her oder schwänzt die Schule.
 Dieses Verhalten ist zwar kurzfristig erfolgreich, verhindert aber auf die Dauer
eine Bewältigung der Angst.
4.4. Modelllernen

Die sozial-kognitive Theorie von BANDURA geht davon aus, dass Verhaltensweisen,
Einstellungen und emotionale Reaktionen nicht zuletzt durch Beobachtung und
Nachahmung gelernt werden.
 In diesem Sinne kann Angst auch dadurch entstehen, dass sie an anderen
beobachtet wird.
 Gerade vor Prüfungen wirkt die Angst anderer oft ansteckend!
34
B) Kognitive Erklärungsansätze

Kognitive Erklärungsansätze betonen, dass nicht die objektive Situation, sondern
deren subjektive Interpretation angstauslösend wirkt. Angstreaktionen werden als
das Produkt kognitiver Verarbeitungsprozesse beschrieben.
 Im Zentrum stehen dabei die subjektive Erwartung und die Bewertung der
Situation.
4.5. Lazarus’ Theorie der Angstauslösung und -verarbeitung

LAZARUS beschreibt die Entstehung von Angst als mehrphasigen
Bewertungsprozess:
1) Primary Appraisal: In einem ersten Schritt wird eine Situation im Hinblick auf
das eigene Wohlergehen bewertet.
 Dabei wird zum einen die Relevanz der betreffenden Situation
eingeschätzt, zum anderen deren Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit.
2) Secondary Appraisal: In einem zweiten Schritt werden die eigenen Ressourcen
eingeschätzt.
 Auch hierbei spielen sowohl Situations- als auch Dispositionsvariablen
eine Rolle. Eingeschätzt werden die Ursache der Gefahr und die eigenen
Bewältigungsmöglichkeiten (Coping).
Ergibt die zweite Bewertung, dass keine direkte Handlung möglich ist, um die
Bedrohung zu beseitigen, reagiert man mit Angst und entsprechenden
Abwehrmechanismen.

3) Reappraisals: Während der Auseinandersetzung mit einer Situation kommt es
nach LAZARUS fortwährend zu Neueinschätzungen.
Nach dem Modell von LAZARUS ist Angst also durch Bedrohung, Hilflosigkeit und
Unsicherheit gekennzeichnet!
C) Psychoanalytischer Erklärungsansatz



In der Psychoanalyse werden 3 Arten von Angst unterschieden: Die Realangst, die
neurotische Angst und die moralische Angst.
 Die Realangst resultiert aus einer realen Gefahr, die neurotische Angst aus
einem Konflikt mit dem „Es“ und die moralische Angst aus einem Konflikt mit
dem „Über-Ich“.
Als Ursache für die neurotische und moralische Angst werden meist nicht verarbeitete
Konflikte in der Kindheit angenommen.
In der pädagogischen Praxis spielt der psychoanalytische Ansatz kaum eine Rolle;
Beachtung finden lediglich die von der Psychoanalyse postulierten
Abwehrmechanismen (Verdrängung, Sublimierung, Fixierung, Verschiebung etc.)
35
5. Einflussfaktoren
5.1. Schule (Lehrer und Mitschüler)



Lehrerverhalten:
Konkurrenzbetontes
Klassenklima
(soziale
Bezugsnormorientierung, autoritärer Führungsstil, übersteigerter Leistungsdruck etc.);
Bestrafung (Strafarbeiten, Anschreien, körperliche Attacken, Demütigung etc.)
Inhalt und Vermittlung des Lehrstoffs und Leistungsbewertung: Unklare
Aufgabenstellungen, verwirrende Strukturierung, mangelnde Transparenz bezüglich
der Prüfungsanforderungen, seltenes Feedback; zu hohe Anforderungen
Schüler-Schüler-Verhältnis: Mobbing bzw. Bullying
5.2. Familie



Hoher Leistungsdruck und übersteigerte Anforderungen (Zuwendung an gute
Zensuren knüpfen, Bestrafung schlechter Leistungen; emotionale Kälte; Strenge etc.)
Eltern und Geschwister als Angstmodelle
Geschwisterrivalität
5.3. Schülerpersönlichkeit




Überforderung (evtl. falsche Schulwahl)
Fehlende Bewältigungsstrategien
Mangelnde Unterstützung
Soziale Isoliertheit
6. Prävention und Intervention

Präventions- und Interventionsmaßnahmen können an 3 Problembereichen ansetzen:
dem Lehrerverhalten, dem Elternverhalten und der Schülerpersönlichkeit.
6.1. Lehrer und Schule

Um Ängste gar nicht erst entstehen zu lassen, sollten sich Lehrer darum bemühen, die
Relevanz von Prüfungssituationen abzumildern, die Unsicherheit ihrer Schüler zu
reduzieren und ihr Selbstvertrauen zu stärken.
 Dazu zählt u.a., die eigenen Anforderungen möglichst transparent zu machen:
Schüler/innen sollten über die Lehrziele und Bewertungsmaßstäbe informiertund mit entsprechenden Vorbereitungshilfen (Übungen, Quellen etc.)
ausgestattet werden. Zu hohe Anforderungen, Zeitdruck und verunsichernde
Bemerkungen vor- und während einer Prüfung sind zu vermeiden!
 Abmilderung der Relevanz von Prüfungssituationen: viele „kleine“, statt
wenige „große“ Prüfungen; Hinweis auf Kompensationsmöglichkeiten
(mündliche Note)
 Aufbau von Prüfungen: einfache Aufgaben am Anfang, schwierige zum
Schluss; die Reihenfolge der Bearbeitung freistellen etc.
 Das Selbstvertrauen der Schüler wird v.a. durch positive Rückmeldung
gesteigert; abwertende Kommentare sind daher zu vermeiden!
 Überhöhter Konkurrenzdruck und eine soziale Bezugsnormorientierung wirken
angstfördernd! Um die Entstehung sozialer Ängste zu verhindern, sollte daher
ein kooperatives, emotional warmes Klassenklima geschaffen werden!
 Vermeidung von primären und sekundären Angstauslösern (Bestrafung,
Anschreien, Demütigungen etc.)
6.2. Elternhaus

Kommunikation und Kooperation mit dem Elternhaus
36
6.3. Schülerpersönlichkeit
A) Angstabbau durch Imitationslernen
 Durch die Beobachtung eines angstfreien Modells kann die Angst reduziert werden.
Dieses Phänomen kann v.a. in neuartigen Prüfungssituationen genutzt werden: z.B.
wenn es darum geht, die Hausaufgaben vorzulesen oder ein Referat zu halten.
 Eine weitere Anwendung des Modelllernens besteht im gezielten Umsetzen
(stellvertretende Densibilisierung). Dabei werden hochängstliche Schüler bewusst
neben weniger ängstliche Schüler gesetzt. Ziel dieser Maßnahme ist es, dass die
ängstlichen Schüler im Umgang mit ihren Sitznachbarn an Sicherheit gewinnen und
sich Bewältigungsstrategien „abschauen“.
Die Wirksamkeit dieser Methode konnte empirisch bisher allerdings nur bedingt
bestätigt werden. In entsprechenden Experimenten (z.B. von IMMISCH oder
ROST) wurde nicht nur in der Experimentalgruppe (umgesetzt), sondern auch in
der Kontrollgruppe (nicht umgesetzt) ein Angstrückgang beobachtet.
B) Systematische Desensibilisierung

Die Methode der systematischen Desensibilisierung ist die klassische Methode zum
Angstabbau; sie beruht auf dem Prinzip der klassischen Konditionierung (siehe:
Pädagogische Psychologie: S. 4f.) und ist prinzipiell auch im Unterricht einsetzbar.
 Die dosierte Steigerung von Angstreizen ist allerdings im Schulalltag nur schwer
zu realisieren.
C) Unspezifische Entspannungsverfahren

Die Einübung von Entspannungsverfahren (z.B. autogenes Training oder
progressive Muskelrelaxation nach JACOBSON) kann durchaus sinnvoll sein!
D) Unterrichtsgespräche: Thematisierung von Schulangst im Unterricht

Klassengespräche über Angst (im Sitzkreis) bewirken, dass Angst als normales
Phänomen erkannt wird (auch andere haben Angst!) und Bewältigungsstrategien
ausgetauscht werden können.
E) Leistungsförderung

Beratung und Therapie sollten immer mit einer Leistungsförderung einhergehen!!
Dementsprechend ist es wichtig, Schülern mit Leistungsangst entsprechende Arbeitsund Lernstrategien zu vermitteln und ihnen gegebenenfalls Nachhilfe anzubieten,
um Wissens- und Lerndefizite aufholen zu können.
37
7. Aggression und Gewalt in der Schule
7.1. Begriffsbestimmung
7.1.1. Aggression





Aggression ist ein Konstrukt, das je nach Theorie unterschiedlich definiert werden
kann.
Allgemein ist mit Aggression intentionales Verhalten gemeint, das darauf
ausgerichtet ist, Schmerz bzw. Schaden zuzufügen.
 Zu Unterscheiden ist dabei zwischen instrumenteller und feindseliger
Aggression.
 Instrumentelle Aggression dient einem Zweck; sie wird eingesetzt, um
etwas damit zu erreichen (z.B. Anerkennung, Macht oder materielle
Vorteile)
 Feindselige Aggression dient dagegen ausschließlich dazu, anderen zu
schaden.
Verhaltensweisen, die zwar Schaden anrichten, aber unabsichtlich sind, werden
nicht als aggressiv bezeichnet.
 Insofern ist Aggression z.B. von Hyperaktivität und Impulsivität abzugrenzen.
Unter ersterem versteht man eine desorganisierte, mangelhaft regulierte und
überschießende motorische Aktivität; unter letzterem unüberlegtes Handeln
und die Unfähigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben.
Die Art und Weise, in der aggressives Verhalten sich äußert, ist alters- und
geschlechtsabhängig.
 Jungen neigen beispielsweise eher zu physischer Aggression; während
Mädchen eher indirekte und verbale Ausdrucksformen wählen.
 Richtet sich die Aggression gegen Objekte spricht man von Vandalismus,
richtet sie sich gegen Mitschüler, spricht man von „Bullying“ bzw. „Mobbing“.
Das Gegenteil von aggressivem Verhalten ist prosoziales Verhalten.
 Prosoziales Verhalten ist darauf ausgerichtet, anderen zu helfen bzw. ihnen
Gutes zu tun; entscheidend ist, dass das Verhalten freiwillig – und nicht im
Rahmen von Aufgaben oder Pflichten erfolgt (BIERHOFF).
7.1.2. Gewalt

Gewalt ist eine Ausdrucksform von Aggression. Sie kann verbaler, physischer oder
indirekter Art (soziale Ausgrenzung) sein. Entscheidend ist, dass Gewalt mit
relativer Macht einhergeht. Um also von „Gewalt“ sprechen zu können, muss der
Täter dem Opfer in irgendeiner Weise überlegen sein (asymmetrisches
Kräfteverhältnis).
 Richtet sich Gewalt wiederholt und über einen längeren Zeitraum gegen einen
unterlegenen Mitschüler, spricht man von „Bullying“ bzw. „Mobbing“
(OLWEUS).
7.2. Empirische Befunde

Gewalttätigkeit ist ein massives Problem, das prinzipiell alle Schularten betrifft. Das
jüngste Beispiel liefern die Ereignisse an der „Rütli-Schule“.
 Anders als einschlägige Medienberichte vermuten lassen, ist allerdings kein
genereller Anstieg schulischer Gewalt zu verzeichnen; das zeigt unter
anderem eine Studie von TODT & BUSCH, in der Schüler und Schülerinnen
zwischen 1993 bis 2002 regelmäßig zu ihren Erfahrungen mit Gewalt befragt
wurden.
38








Die mit Abstand häufigste Form schulischer Gewalt ist verbaler und indirekter Art
(üble Nachrede, soziale Ausgrenzung etc.). Körperliche Gewalt und Vandalismus
werden deutlich seltener berichtet.
Jungen sind insgesamt stärker von schulischer Gewalt betroffen als Mädchen. Sie
machen nicht nur einen größeren Anteil der Täter aus, sondern zählen auch öfter zu
den Opfern schulischer Gewalt.
 Einer Studie von OLWEUS (1995) zufolge berichten etwa 8- bis 10% der
Jungen und ca. 2- bis 5 % der Mädchen, ihre Mitschüler zumindest
manchmal zu schikanieren.
 Mädchen neigen dabei eher zu verbaler und indirekter Gewalt (üble
Nachrede, soziale Ausgrenzung etc.), Jungen eher zu körperlichen
Aggressionsformen.
 Studien, die an deutschen Schulen durchgeführt wurden, bestätigen diese
Befunde weitgehend.
 Festzuhalten ist, dass ein Großteil der Schüler, nach OLWEUS 60- bis 70%,
überhaupt nicht an schulischer Gewalt beteiligt ist!
Nach OLWEUS gibt es keinen Unterschied zwischen Schulen in Großstädten und
Schulen in ländlicheren Gegenden!
Über die Hälfte der Opfer wendet sich nicht an die Eltern oder Lehrer (OLWEUS).
Je stärker die Pausenaufsicht, desto geringer die Anzahl der Gewaltfälle (OLWEUS).
Der Großteil der Gewaltfälle findet in der Schule und nicht auf dem Schulweg statt
(OLWEUS).
Zwischen dem Ausmaß der Gewalt und der Größe der Schule bzw. Klasse besteht
kein signifikanter Zusammenhang (OLWEUS).
Grundsätzlich nehmen die Gewaltprobleme in den höheren Klassen ab.
A) Typische Gewalttäter (Bullies)




Typische Bullies zeigen einen aggressiven Verhaltensstil – und zwar nicht nur
gegenüber Gleichaltrigen, sondern auch gegenüber Lehrern und Eltern.
 Sie sind impulsiv und den Opfern meist körperlich und z.T. verbal überlegen.
Anders als oft angenommen, dient ihre Aggression nicht der Kompensation von
Schwäche. Vielmehr sind typische Bullies weniger ängstlich als andere und haben
ein verhältnismäßig positives Selbstbild.
 Sie zeichnen sich durch ein stark ausgeprägtes Machtmotiv aus und sind in der
Klasse durchschnittlich beliebt (meist gibt es einen kleinen Kreis von
Bewunderern).
Von den typischen Bullies zu unterscheiden sind passive Gewalttäter bzw. Mitläufer.
Fazit: Aggressives Reaktionsmuster + (bei Jungen) körperliche Stärke
B) Typische Opfer (Prügelknaben)




Typische Opfer können als ängstlich und unsicher beschrieben werden. Sie haben ein
negatives Selbstbild und sind den Tätern körperlich unterlegen (v.a. bei Jungen). In
der Klasse sind sie weniger beliebt und meist isoliert.
 OLWEUS bezeichnet diese Art von Opfern als passive Opfer. Sie bilden die
Mehrheit.
Davon zu unterscheiden sind „provozierende Opfer“, die oft Täter und Opfer
zugleich sind. Sie sind nach OLWEUS weitaus seltener.
Fazit: Ängstliches Reaktionsmuster + (bei Jungen) körperliche Schwäche
Spätfolgen: Junge Erwachsene (um die 23), die während der Schulzeit gemobbt
wurden, haben einen niedrigeren Selbstwert und eine erhöhte Neigung zu Depression.
39
7.3. Aggressionstheorien

Zur Entstehung von Aggression gibt es verschiedene Theorien. Grundsätzlich lassen
sich Instinkt- oder Triebtheorien von lerntheoretischen Ansätzen unterscheiden.
Eine dritte Perspektive stellt die Frustrations-Aggressions-Theorie dar.
7.3.1. Triebtheorien

Triebtheorien gehen davon aus, dass es sich bei Aggression um ein angeborenes
Verhaltensmuster handelt; zu unterscheiden ist dabei zwischen psychoanalytischenund ethologischen Triebtheorien.
7.3.1.1. Die psychoanalytische Triebtheorie nach Freud



Nach FREUD wird unser gesamtes Verhalten durch 2 Triebe bestimmt: den
Todestrieb („Thanatos“), zu dem er die Aggression zählt, und den Sexual- bzw.
Selbsterhaltungstrieb („Eros“), der sich primär in der Libido äußert.
Nach FREUD sind Triebe durch Quelle, Drang, Ziel und Objekt gekennzeichnet.
Aufgrund physiologischer Bedürfnisse (Quelle) baut sich Energie bzw. Spannung auf
(Drang). Ziel ist es, diese Spannung an einem geeigneten Objekt zu entladen.
Ausgehend von diesem „Hydraulik-Modell“ kommt FREUD zu der sog. „KatharsisHypothese“, die besagt, dass die regelmäßige Entladung aggressiver Energie
notwendig ist, um größere Aggressionen zu verhindern.
7.3.1.2. Die ethologische Triebtheorie von Konrad Lorenz



Die Verhaltensbiologie oder Ethologie betrachtet den Mensch in Analogie zum Tier;
sie geht davon aus, dass sich menschliches Verhalten im Laufe der Evolution
herausgebildet hat und spezifische Funktionen erfüllt.
Aus dieser Perspektive beschreibt KONRAD LORENZ Aggression als einen von 4
grundlegenden Trieben. Aggressionen haben ihm zufolge einen adaptiven Wert; sie
dienen u.a. der Verteidigung des Rangplatzes, der Notwehr und der Exploration und
sind insofern überlebensnotwendig.
Wie FREUD geht LORENZ davon aus, dass sich Aggressionen entladen müssen. Die
Abfuhr aggressiver Energie hängt dabei von auslösenden Reizen ab. Um den
Aggressionstrieb zu regulieren und Eskalationen zu vermeiden, schlägt er
Ersatzhandlungen vor, wie z.B. sportlichen oder akademischen Wettstreit.
 Insofern ist auch Lorenz ein Vertreter der „Katharsis-Hypothese“.
7.3.1.3. Kritik



Triebtheorien sind keine Erklärungen im eigentlichen Sinn. Sie beruhen auf einem
Zirkelschluss: Weil es Gewalt gibt, gibt es einen Aggressionstrieb. Weil es einen
Aggressionstrieb gibt, gibt es Gewalt.
Triebtheorien legen ein pessimistisches und fatalistisches Menschenbild nahe und
sind daher wenig konstruktiv: Wenn Aggression ein angeborener Trieb ist, macht es
keinen Sinn, sich gegen sie zu sträuben.
Die Katharsis-Hypothese kann als empirisch widerlegt gelten: Anstatt zu einer
Aggressionsabbau zu führen, scheinen sich aggressive Verhaltensweisen langfristig
sogar zu verstärken!
 Operantes Lernen
 Selbstwahrnehmungstheorie von BEM (Wir schließen aus unserem Verhalten
auf unsere Einstellungen)
 Kognitive Dissonanz-Theorie von FESTINGER (Wir passen unsere
Einstellungen unserem Verhalten an; dementsprechend führt aggressives
Verhalten langfristig zu einer Dehumanisierung)
40
7.3.2. Die Frustrations-Aggressions-Hypothese





In ihrer strengen Form (DOLLARD) besagt die Frustrations-Aggressions-Theorie,
dass Aggression immer die Folge von Frustration ist und Frustration immer zu
einer Form der Aggression führt.
 Frustration tritt auf, wenn eine zielgerichtete Handlung gestört oder
unterbrochen wird. Je näher das Ziel und je größer die Erwartung bezüglich
des Ziels, desto größer die Frustration.
In einer abgeschwächten Form besagt die Frustrations-Aggressions-Hypothese, dass
Aggression zwar die dominante, aber nicht die einzige Reaktion auf Frustration
darstellt.
Nach BERKOWITZ ruft Frustration entweder Ärger oder Furcht hervor. Ärger führt
dabei zu Aggression, allerdings nur in Kombination mit entsprechenden
Hinweisreizen.
 Hinweisreize, die aggressives Verhalten hervorrufen bzw. wahrscheinlicher
machen, sind alle Reize, die mit Ärger bzw. Aggression assoziiert werden
(Waffen etc.).
Am plausibelsten ist die Frustrations-Erregungs-Hypothese, die besagt, dass
Frustration zu erhöhter Erregung führt.
 Wie diese Erregung interpretiert wird, d.h. zu welcher Emotion sie führt, hängt
von der Situation und dem Attributionsstil der Person ab.
 Eine Frustration führt z.B. eher zu Ärger und Aggression, wenn dem
Frustrationsauslöser eine Absicht unterstellt wird.
 Mit welchem Verhalten die Emotion einhergeht hängt von der Lerngeschichte
der Person ab (BANDURA).
 Aggression ist nur dann die dominante Reaktionstendenz, wenn sie als
Mittel zur Erregungsreduktion gelernt wurde.
Anwendung: Jede Form von Frustration zu vermeiden ist weder sinnvoll, noch
möglich; stattdessen sollte ein vernünftiger Umgang mit Frustrationen gelernt werden.
7.3.3. Lerntheoretische Erklärungsansätze
7.3.3.1. Klassisches Konditionieren

Durch klassisches Konditionieren lernen wir, Wut und Ärger auf neutrale Reize zu
übertragen.
 Hat uns eine Person wiederholt geärgert, kann nach einiger Zeit schon ihr
Anblick genügen, um Wut und Aggressionen bei uns auszulösen.
7.3.3.2. Operantes Konditionieren


Sind aggressive Verhaltensweisen erfolgreich, was sie leider oft genug sind, werden
sie verstärkt.
 Ein Schüler, der sich durch das Schikanieren eines Mitschülers Anerkennung
bei der Klasse erwirbt oder die Aufmerksamkeit des Lehrers auf sich zieht,
wird kaum damit aufhören.
Das Durchbrechen dieses Mechanismus ist aus 3 Gründen schwierig:
1) Um Verhalten zu löschen, darf es nicht verstärkt-, es muss konsequent und von
allen ignoriert werden. Eine Bedingung, die in der Praxis kaum erfüllt werden
kann (siehe: Pädagogische Psychologie: S.8).
 Das ist v.a. deshalb problematisch, weil ein Verhalten, das nur
gelegentlich nicht zum Erfolg führt, intermittierend und damit besonders
wirkungsvoll verstärkt wird! Ein inkonsequentes Vorgehen gegen
Gewalt ist insofern nicht nur weniger effektiv, sondern sogar
kontraproduktiv!
41
2) Ein 2. Problem besteht darin, dass sich ungute erzieherische Interaktionen
schnell stabilisieren („Verstärkungsfallen“).
 Ein Kind, dem es mit Wutausbrüchen gelingt, seinen Willen
durchzusetzen, wird in diesem Verhalten positiv verstärkt. Die Mutter,
die dem Kind nachgibt, wird negativ verstärkt. Dadurch, dass sie
nachgibt, beruhigt sich das Kind: ein aversiver Reiz entfällt!
3) Man kann zwischen primären (angeborenen) und sekundären (erlernten)
Verstärkern unterscheiden. Durch klassische Konditionierung kann Gewalt
zu einem sekundären Verstärker werden; in diesem Fall wird sie zum
Selbstzweck.
 Ist aggressives Verhalten wiederholt an die Erfüllung von Bedürfnissen
gekoppelt, bekommt Aggression einen eigenen Wert und wird zum
sekundären Verstärker!
7.3.3.3. Modelllernen


Das Lernen neuer Verhaltensweisen kann mit klassischer- und operanter
Konditionierung nur bedingt erklärt werden; nach BANDURA wird solches Verhalten
durch die Beobachtung und Nachahmung anderer gelernt.
EXPERIMENT (HICKS)
HICKS führte 5-jährigen Kindern einen kurzen Film vor, in dem von einem
Modell 4 verbale- und 4 körperliche Aggressionen gezeigt wurden. Eine der
gezeigten Aggressionen bestand z.B. darin, eine Puppe mit einem Plastikhammer
zu schlagen. Als Modell agierte entweder ein Mann, eine Frau, ein Junge oder
ein Mädchen. Die Kontrollgruppe bekam keinen Film gezeigt.
Nach der Filmvorführung folgte eine kleine Frustration und die Vpn bekamen
Zeit, mit verschiedenen Gegenständen zu spielen (darunter eine Puppe und ein
Plastikhammer).
 Das Hauptergebnis bestand darin, dass in allen 4 Versuchsgruppen viele
der zuvor im Film gesehenen Aggressionen imitiert wurden, während in der
Kontrollgruppe keine imitativen Aggressionen beobachtet werden konnten.
Am meisten Aggressionen wurden dabei gezeigt, wenn das Modell ein
Junge war.
 Ein halbes Jahr später beobachtete HICKS die Vpn nach einer kleinen
Frustration noch einmal (allerdings ohne ihnen vorher den Film zu zeigen);
der Haupteffekt blieb (wenn auch in geringerem Ausmaß) bestehen: Noch
immer ahmten Kinder, die (ein halbes Jahr zuvor!) einen der Filme gesehen
hatten, viele der Aggressionen nach. Am meisten imitative Aggressionen
zeigte dabei die Gruppe, die das männliche Modell beobachtet hatte.
 In einem ähnlichen Experiment zeigte BANDURA, dass der
Nachahmungseffekt auch bei verfremdeten Modellen (Trickfilmfiguren)
eintritt.
Besonders wahrscheinlich ist eine Nachahmung dann, wenn das Modell für sein
Verhalten belohnt wird (stellvertretende Verstärkung), was fataler Weise in den
meisten Filmen der Fall ist!
FAZIT:

Aggression umfasst sowohl angeborene-, als auch erlernte Komponenten.
42
7.4. Bedingungsfaktoren
7.4.1. Familie


Nach OLWEUS wird Gewalttätigkeit durch mangelnde Wärme, eine Laissez-faireHaltung (keine Grenzen) und körperliche Bestrafung gefördert.
Zwischen dem sozioökonomischen Status der Familie und Gewalttätigkeit besteht kein
Zusammenhang.
 Ungünstige Erziehungsbedingungen werden allerdings durch familiäre
Probleme (Scheidung, Alkoholismus etc.) begünstigt.
7.4.2. Schule


Einstellung und Engagement der Lehrer haben einen erheblichen Einfluss auf die
Gewalttätigkeit an Schulen.
 Dementsprechend gibt es z.T. massive Unterschiede zwischen Schulen.
Wie Bullying entsteht: Ein Bully findet ein Opfer und verleitet sein Umfeld dazu,
dieses ebenfalls zu schikanieren.
 Die sozialpsychologischen Prozesse, die dabei eine Rolle spielen, sind
„soziale Ansteckung“, „Modelllernen“ (der Bully wird für sein aggressives
Verhalten belohnt; er geht als Sieger aus den Konflikten hervor);
Deindviduation (die Hemmschwelle für aggressives Verhalten wird gesenkt);
Verantwortungsdiffusion; veränderte Wahrnehmung des Opfers
7.4.3. Medien




Dass zwischen aggressivem Verhalten und dem Konsum gewalttätiger Filme und
Computerspiele ein positiver Zusammenhang besteht, ist vielfach nachgewiesen.
Darüber hinaus gibt es Experimente, die nahe legen, dass dieser Zusammenhang nicht
nur korrelativ, sondern kausal zu interpretieren ist!
EXPERIMENT (LIEBERT et al.): Kinder, die einen Spielfilm gezeigt bekommen,
in dem Gewalt vorkommt, sind beim Spielen danach aggressiver als Kinder, die
eine gewaltfreie Sportsendung gezeigt bekommen haben.
Die von Vertretern der Medien immer wieder vorgebrachte „Katharsis-Hypothese“
(s.o.) kann als widerlegt gelten.
Stattdessen ist davon auszugehen, dass Gewalt in den Medien eine Vielzahl
ungünstiger „Nebenwirkungen“ mit sich bringt:
1) Erhöhte Akzeptanz von Gewalt; Hemmmechanismen gegen aggressive
Reaktionen werden geschwächt.
2) Abstumpfung/Desensibilisierung/Habituation (physiologisch)
 weniger Empathie/Sympathie mit Gewaltopfern
3) Soziales Lernen (=Imitation), da Gewalttäter in den Medien oft als Helden
dargestellt werden.
4) Priming der Emotion Ärger / Priming der aggressiven Reaktion
 Die eigenen Gefühle werden eher als Ärger interpretiert; aggressive
Verhaltensschemata sind verfügbarer
5) Die Welt insgesamt wird als unsicherer und gewalttätiger wahrgenommen, als
sie vielleicht tatsächlich ist – und dementsprechend das Verhalten anderer eher
als Angriff interpretiert.
43
7.5. Prävention und Intervention

DAN OLWEUS schlägt ein umfassendes Präventions- und Interventionsprogramm
vor, das mittlerweile in verschiedenen Schulen in Norwegen erfolgreich angewandt
wurde.
 Die Gewaltprobleme in den beteiligten Schulen gingen innerhalb von 2
Jahren um 50% und mehr zurück.
 Ziel des Programms ist es, mittelbare und unmittelbare Gewalt langfristig zu
unterbinden und die Beziehungen zwischen den Schülern zu verbessern.
 Dazu setzt das Programm an 3 Ebenen an: Es sind Maßnahmen auf Schulebene,
Klassenebene und persönlicher Ebene vorgesehen.
 Die Grundprinzipien des Programms lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
1) Es soll eine schulische Umgebung geschaffen werden, die durch Wärme und
Anteilnahme gekennzeichnet ist.
2) Gleichzeitig sollen klare Grenzen gesetzt werden. Es muss unmissverständlich
klar gemacht werden, dass Gewalt unter keinen Umständen akzeptiert wird.
 Dazu ist ein konsequentes Eingreifen erforderlich.
3) Um dieses zu ermöglichen bedarf es einer angemessenen Aufsicht und
Überwachung!
 Damit das Programm gelingen kann, ist es notwendig, bei Lehrern, Schülern und
Eltern ein Problembewusstsein zu schaffen und entsprechende Betroffenheit
hervorzurufen (Schulethos).
 Gewalt darf weder bagatellisiert, noch als „normal“ gerechtfertigt werden.
7.5.1. Maßnahmen auf Schulebene
 Fragebogenerhebung => Genauere Informationen über das Problem (wie viele


Schüler sind beteiligt bzw. betroffen, was sind Problemzonen etc.) => differenziertes
Problembewusstsein und Betroffenheit
Pädagogischer Tag: Vorstellen der Umfrageergebnisse; allgemeine Informationen
über die Bedingungen von Gewalt => Aufstellen eines langfristigen Handlungsplans.
Wichtige Maßnahmen
 Verbesserung der Aufsicht (hohe „Lehrerdichte“ in den Pausen und
Freistunden => unbedingt Eingreifen!)
 Einrichtung eines Kontakttelefon (um Opfern zu ermöglichen, ihre Probleme
anonym zu besprechen)
 Kooperation zwischen Lehren und Eltern (Eltern müssen über die Vorhaben
informiert und zu aktiver Beteiligung eingeladen werden)
 Arbeitsgruppen zur Verbesserung des Schulmilieus (Pausenhof und
Klassenzimmergestaltung => Ermöglichung sinnvoller Freizeitgestaltung;
wohnliche Atmosphäre)
 Schüler zu Streitschlichtern (Mediatoren) ausbilden - mit der Aufgabe,
zumindest Alltagsstreitigkeiten zu schlichten.
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7.5.2. Maßnahmen auf Klassenebene





Aufstellen von Klassenregeln gegen Gewalt
 Die Regeln und mögliche Strafen bei Missachtung sollten in der Klasse
diskutiert werden; die Regeln sind an sichtbarer Stelle im Klassenzimmer
aufzuhängen.
Lob und nichtfeindliche Strafen
 Prosoziales Verhalten muss positiv verstärkt werden; aggressives Verhalten
dagegen angemessen (d.h. nicht feindlich und schon gar körperlich) bestraft
werden.
Regelmäßige Klassengespräche (am besten ein Mal die Woche)
Kooperative Lernformen
 Auf Gruppenzusammensetzung achten, positive Interdependenz und
„Einzelverantwortlichkeit“ realisieren etc. (siehe: Sozialpsychologie)
Gemeinsame positive Aktivitäten
 unbedingt darauf achten, dass wirklich alle beteiligt sind und niemand
ausgeschlossen wird!
7.5.3. Maßnahmen auf persönlicher Ebene



Gespräche mit Mobbern
Gespräche mit Gemobbten
Gespräche mit den Eltern betroffener Schüler
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