Dopamin: Ein Stoff, der Flügel verleihen kann

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Dopamin: Ein Stoff, der Flügel verleihen kann
KURT DE SW AAF, 7. November 2014, 11:06
Parkinson, ADHS, Schizophrenie oder Drogensucht: Dopamin und seine Regulierung spielen im
Gehirn eine wichtige Rolle. Welche genau, wird noch erforscht
foto: reuters/china daily
"Wir tun viel in unserem Leben, angetrieben durch Dopamin. Es motiviert zu allen erdenklichen
Höchstleistungen", sagt Neurologie-Forscher Wulf Haubensak.
foto: creative commons/gemeinfrei
4-(2-Aminoethyl)benzen-1,2-diol ist die Langbezeichnung von Dopamin
Seine Ursprünge reichen wahrscheinlich bis in die frühe Urzeit zurück, als das Leben noch einzellig war. Man
findet es bei Quallen und Schnecken, Würmern und Schmetterlingen und in Pflanzen wie Bananen oder
Spinat. Auch im menschlichen Gehirn ist es präsent.
Der Stoff hat offensichtlich Karriere gemacht. Was zur biochemischen Ausstattung so vieler unterschiedlicher
Organismen gehört, muss ein evolutionäres Erfolgsmodell sein. Seine offizielle Bezeichnung lautet 4-(2Aminoethyl)benzen-1,2-diol, aber jeder nennt es einfach nur Dopamin, ein Name, der Fantasie und
Forschergeist anregt.
Viele Funktionen
Der schwedische Wissenschaftler Arvid Carlsson erkannte 1958 erstmals die Bedeutung von Dopamin als
neurologisch aktiver Substanz und wurde hierfür im Jahr 2000 zusammen mit seinem Kollegen Paul
Greengard mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Spätere Untersuchungen zeigten, dass viele Nervenzellen
über spezielle Dopamin-Rezeptoren verfügen.
Inzwischen sind fünf verschiedene Typen solcher Anschlussstellen bekannt. Ihre Funktion ist anscheinend
ähnlich wie jene von Spezialschaltern in der Elektronik. Wulf Haubensak, Forscher am Institut für Molekulare
Pathologie (IMP) in Wien, nennt Dopamin ein neuromodulatorisches Signalmolekül. Das heißt: Der Stoff
beeinflusst in erster Linie die Erregung von Nervenzellen und regelt so die Signalübertragung im Gehirn. Doch
damit nicht genug. "Es hat sehr, sehr viele Funktionen", betont Haubensak. Die meisten davon sind noch
nicht ausreichend erforscht.
Den Molekülen sieht man ihre komplexe Wirksamkeit nicht an. Sie bestehen je aus einem Benzolring mit drei
kurzen Seitenzweigen. Nichts im Vergleich zu biochemischen Giganten wie den Proteinen. Als Grundstoff für
die Dopamin-Synthese dient die Aminosäure Phenylalanin, ein häufiger Eiweißbaustein. Trotz seiner relativ
geringen Größe ist Dopamin allerdings nicht in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden.
Die schwarze Substanz
Dementsprechend wird es auch direkt vor Ort im Gehirn produziert, hauptsächlich von spezialisierten
Neuronen im Mittelhirn, darunter die sogenannte Schwarze Substanz, medizinisch "substantia nigra". Das
dort freigesetzte Dopamin spielt als Neurotransmitter eine zentrale Rolle bei der Steuerung von
Muskelbewegungen.
Parkinson-Patienten leiden unter einem fortschreitenden Schwund der "substantia nigra" und somit unter
einem zunehmenden Dopaminmangel im Gehirn. Dadurch entstehen die berüchtigten Schüttelsymptome. In
den Frühstadien der Krankheit lässt sich das Defizit medikamentös ausgleichen - durch Verabreichung von L-
Dopa, dem chemischen Vorläufer von Dopamin. Es kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und lässt sich
leicht von Enzymen in den funktionsfähigen Botenstoff umwandeln.
Offene Fragen
Dopamin entsteht jedoch nicht nur im Kopf. Die sonderbare Substanz wird auch in den Nebennieren
produziert, in der Bauchspeicheldrüse und sogar von weißen Blutkörperchen. Außerhalb des Schädels agiert
der Stoff hauptsächlich als Hormon und greift so in Stoffwechselprozesse ein. Die Wissenschaft hat hier noch
zahlreiche offene Fragen.
Auch über die Funktionen von Dopamin in Pflanzen ist noch nicht allzu viel bekannt. In einigen Fällen scheint
es zur Verteidigung gegen Krankheitserreger zu dienen. Extrem hohe Dopamin-Konzentrationen finden sich
zum Beispiel in Grünalgen der Gattung Ulvaria. Offenbar wehren die Meeresgewächse damit Schnecken und
Krebse ab.
Im menschlichen Gehirn wird Dopamin oft als Belohnungsbotenstoff bezeichnet - eine Art körpereigene
Droge, die Glücksgefühle auslöst. Die Wahrheit ist allerdings komplizierter. Die Produktion von Dopamin steht
zwar tatsächlich mit positiven Erlebnissen, Zufriedenheit und Begeisterung in Verbindung, doch seine
Funktion scheint vor allem bei der Bewertung der Umwelt zur Geltung zu kommen."
Gedächtnisverstärkender Effekt
Wenn etwas wichtig ist, dann merke ich mir das durch Dopamin", erklärt Wulf Haubensak. Ein unerwarteter
Erfolg zum Beispiel führt zu besonders starker Ausschüttung des Neurotransmitters und hilft, dieses Ereignis
in den Belohnungszentren des Gehirns zu speichern.
Der gedächtnisverstärkende Effekt scheint indes nicht nur dann zu greifen, wenn einem Gutes widerfährt.
"Mittlerweile wird immer klarer, dass Dopamin auch bei negativen Ereignissen eine Rolle spielt", betont
Haubensak. Deren Verarbeitung wird über Dopamin in negativ belegten Schaltkreisen gesteuert.
Die Ergebnisse von Tierversuchen haben aufgezeigt, dass eine Dopamin-Blockade in solchen Angstzentren
zum Verlust einer sinnvollen Furchterlernung führt. Mit anderen Worten: Das Einprägen wichtiger
Gefahrenquellen wird gestört.
Auch mit Drogen im Verbund
Das Funktionsspektrum von Dopamin zeigt sich auch in der Wirkung illegaler Drogen und mit Blick auf einige
psychische Störungen. Kokain hemmt die Wiederaufnahme von Dopamin. Dadurch bleibt übermäßig viel des
Neurotransmitters zwischen den Nervenzellen aktiv, was zu Erregungen führt.
Eine krankhaft bedingte Überproduktion von Dopamin hingegen spielt womöglich bei der Entstehung von
Schizophrenie eine entscheidende Rolle. Dementsprechend werden den Betroffenen oft Präparate
verabreicht, die gezielt Dopamin-Rezeptoren blockieren. Das Medikament Ritalin setzt man inzwischen
bevorzugt zur Behandlung der Aufmerksamkeitsstörung ADHS ein. Es bremst den Abtransport von Dopamin
aus dessen Wirkungsbereich. Das steigert offenbar die Konzentrationsfähigkeit.
So viel steht jedenfalls fest: Wenn die unscheinbaren Moleküle zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen
Dosierung auftreten, verleihen sie dem Menschen praktisch Flügel. Ohne sie wäre unsere Existenz nicht
denkbar, Glück und Kreativität wären dann wohl nicht möglich. "Wir tun viel in unserem Leben, angetrieben
durch Dopamin", meint Wulf Haubensak. "Es motiviert zu allen erdenklichen Höchstleistungen." (Kurt de
Swaaf, DER STANDARD, 6.11.2014)
http://derstandard.at/2000007834781/Dopamin-Ein-Stoff-der-Fluegel-verleihen-kann
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