PoTeNz UNd PoTeNzIALe - Abenteuer Philosophie

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philoSOCIETY
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philoSOCIETY
P
otenz ist Macht. Dabei stellen sich
gleich unsere Haare auf. Wir denken an Machtmissbrauch, politisch,
zwischenmenschlich und/oder wirtschaftlich. Oder wir landen sofort beim Thema
der Zeugungskraft des Mannes: vielsagend
grinsend, etwas beschämt oder verzweifelt:
schon wieder. Möglicherweise denken wir
auch an die Mathematik, wo die Potenz das
Produkt gleicher Faktoren ist oder an die
Homöopathie im Sinne des Verdünnungsgrades eines Heilmittels. Wir wollen uns
dem Thema aber philosophisch nähern.
Potenz bedeutet etymologisch Kraft,
Macht, Wirksamkeit, Leistungsfähigkeit
und Stärke. Es wird von der lateinischen
potentia (Vermögen, Kraft, Macht, Gewalt)
abgeleitet. Das Adjektiv potent bedeutet
stark, einflussreich, zahlungskräftig und
leistungsfähig. Potentaten sind Machthaber und Herrscher. Wie positiv oder negativ wir alle diese Begriffe prägen, hängt von
uns selbst ab, von unseren Erfahrungen
und Einstellungen. Allen diesen
„Mächten“ liegt das lateinische
Verb posse (können)
zugrunde: ich kann,
ich weiß etwas zu
machen. Das ist
die philosophische
Quintessenz.
Dieses Machen-können verleiht Kraft und
Wirksamkeit. Wir können natürlich auf
den verschiedensten Ebenen können oder
nicht können: handwerklich, beruflich,
sozial-menschlich, künstlerisch, ethisch,
philosophisch, spirituell ...
Was hindert uns zu können?
Die anderen, die Umstände, die Gene?
Aber meistens sind wir es selbst: unsere
Bequemlichkeit, unsere Faulheit im Denken und im Suchen von (kreativen) Lösungen, unsere Ängste und Zweifel, unser
Gefühl der Ohnmacht ...
Aus dem Gefühl der Machtlosigkeit
entstehen Krankheiten, nicht nur Burnout-Syndrome, und wirkliche Unfähigkeit.
Allein die Entscheidung, sich einer Herausforderung zu stellen und darin zu bestehen,
birgt schon einen Teil der Lösung in sich.
Aber wenn wir immer klein beigeben,
wenn wir uns den Schwierigkeiten nicht
stellen, wenn wir Angst haben zu scheitern
und deshalb nichts tun, wird unser Handlungsspielraum mit der Zeit immer kleiner
und kleiner. Wir werden dann so unfähig,
wie wir uns zuvor er/gedacht hatten.
Die wichtigste Macht ist daher die
Macht über uns selbst, mit uns und unseren inneren Stolpersteinen umgehen zu
können. Dann brauchen und suchen
wir auch nicht die Macht über andere.
Äußere Fertigkeiten und Kompetenzen
kann man sich leicht aneignen, vor allem,
wenn man mit sich selbst im Reinen ist.
Wer etwas wirklich will, der erreicht das
auch. Das zeigen uns zahllose Beispiele
in der Geschichte und Gegenwart, so verrückt und unmöglich die Ideen vielleicht
anfangs auch schienen.
Potenziale sind Möglichkeiten
Die Potenz ist also unsere Macht oder
Fähigkeit, unsere Potenziale oder Möglichkeiten zu verwirklichen. Lateinisch
potentialis bedeutet mächtig,
wirksam, möglich. Das Adjektiv potenziell
heißt möglich, denkbar, der
Möglichkeit
Potenz und Potenziale
Warum wir Macht anstreben sollen. Eine philosophische Aussöhnung
mit dem vielfach negativ besetzten Begriff der Macht.
8 Abenteuer Philosophie / Nr. 1 44
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Von Mag. Barbara Fripertinger
Eine Eiche: aus einer
Eichel gewachsen
Nr. 1 44 / Abenteuer Philosophie 9
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liches, Wissenschaftliches, Religiöses ...
Aber all diese – äußeren – Dinge können
wir im egoistischen Sinne auf Kosten von
anderen, genauso aber auch förderlich
für uns alle entwickeln. Sinnvoll ist es
daher, innere Potenziale zu suchen, die
allen unseren äußeren Handlungen Qualität und eine positive Richtung verleihen,
damit wir uns nicht zum Egoisten oder gar
zur Bestie entwickeln. Genau dies war und
ist immer das Bestreben der Schulen der
Philosophie im klassischen Sinne entlang
der Geschichte bis in unsere Gegenwart.
Wir können uns also an einem traditionellen 3-Stufenmodell von der Potenz zum
Akt orientieren.
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nach wirkungsfähig. Die moderne Philosophie zieht daraus den logischen Schluss:
Das Mögliche ist Potenzialität. Es ist ein
unendlicher Fundus von dem, was noch
nicht ist, aber sein kann. Wenn wir das
Mögliche verwirklichen, ist es nicht mehr
möglich – es ist real geworden. Aber auf
diese Spitzfindigkeiten wollen wir uns
hier nicht einlassen. Nehmen wir lieber
das berühmte Beispiel einer Eichel. Sie
ist die Nussfrucht der Eichen. Um aber
zu verstehen, was eine Eichel wirklich ist,
liegt ein wesentliches Kriterium in ihren
Möglichkeiten. Aus ihr kann nämlich ein
ganzer Eichenbaum wachsen. Das Gleiche
können wir mit allen Samen und Eiern
argumentieren. Interessanterweise sind
also die Potenziale einer Sache oder eines
Wesens ganz entscheidend dafür, um zu
verstehen, womit oder mit wem wir es zu
tun haben. Es gehört zur eigenen Identität
und Wesensmäßigkeit.
Was ist der Mensch?
Wenn wir den Potenzialen also einen
wesentlichen Beitrag zur Identitätsstiftung
beimessen, so ergibt sich die Frage, welche
Potenziale trägt der Mensch? Was ist sein
„Eichenbaum“, der sich in ihm verbirgt?
Zugleich mit dieser Identitätsfrage klärt
sich auch sein Ziel. Wer bin ich? Was soll
ich tun? Doch bevor wir diese Fragen zu
beantworten versuchen, noch ein philosophischer Einschub:
Akt und Potenz
Unzählige Philosophengenerationen
haben sich mit diesem Thema beschäftigt.
Es handelt sich um zwei philosophische
Gegenbegriffe. Hier kommt zur Potenz
als innere, noch nicht realisierte Möglichkeit noch der Akt hinzu (lateinisch
actus: Treiben, Tätigkeit, Amt, Beruf;
griechisch ἐνέργεια, energeia: das Prinzip
der Bewegung, Veränderung), der eben
genau die Potenzialität verwirklicht. Dieses Begriffspaar geht im Wesentlichen auf
Aristoteles zurück und hielt sich entlang
der Geschichte der Philosophie. Vor allem
im Mittelalter war dieses Thema aktuell,
sollte damit ja auch Gott und Schöpfung
als reiner Akt definiert werden. Man unter-
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Der Weg zu den Potenzialen führt über selbsterrichtete Stufen
scheidet auch die aktive Potenz von der
passiven. Wenn ein Patzen Lehm zu einer
kunstvollen Vase geformt wird, so wirkt
der Handwerker aktiv (aktive Potenz des
Künstlers) und der Lehm wird passiv zur
Vase geformt (passive Potenz des Lehms
der Formbarkeit). Je nach philosophischem Weltbild ist nun der Akt oder die
Potenz wichtiger und „realer“. Die materialistischen Strömungen ziehen den Akt vor,
idealistische Schulen sehen die Potenz im
Zentrum der Betrachtung, die Möglichkeit
der Bewegung und Verwandlung.
Wir sehen also, dass auch der sexuelle
Akt eine Potenz verwirklicht, allerdings
nur auf einer von vielen möglichen Ebenen. So dient zum Beispiel die Sprache,
unseren Bewusstseinsinhalten in Gedanken oder ausgesprochenen Worten „Form“
zu verleihen oder unsere Handlungen sind
Akte, um diese Gedanken und Ideen zu
verwirklichen.
Wer bin ich? Was soll ich tun?
Oder anders formuliert: Welche Potenzialität liegt im Menschen? Den Menschen
können wir nicht auf seine Fähigkeit zur
physischen Reproduktion beschränken.
Er ist ein Gemeinschaftswesen, ein gestaltendes, symbolisierendes und religiöses
Wesen. Wir tragen in uns das Potenzial
zu einer Bestie als auch zu einem Heiligen,
mit einer ungeheuer bunten Bandbreite
dazwischen. Hier können wir sehr kreativ
sein – alle möglichen menschlichen Ausdrucksformen aufzählen, ohne auch nur
annähernd eine Vollständigkeit erreichen
zu können. Berufe, Künste, Handwerk-
Stufe der Moral
Auf dieser Stufe sollen wir lernen, das
Gute vom Schlechten zu unterscheiden.
Dass uns heute in der Gesellschaft vielfach
Moral fehlt, sehen wir an allen Ecken und
Enden. Korruption ist (fast) überall. Daher
ist Moral auch die erste Stufe zum Heben
unserer Potenziale. Die Religionen oder
auch der Ethikunterricht und philosophische Erörterungen können uns dabei
helfen, entscheiden und unterscheiden
müssen wir aber selbst. Ziel ist es daher,
eine innere Charakterstärke zu entwickeln,
die uns hilft, was wir vor uns selbst als gut
und richtig erkannt haben, auch in die
Tat umsetzen zu können. Selbst unserer
inneren Bequemlichkeit, unserem Besitzenwollen als auch äußeren Widerständen
und Verlockungen zum Trotz. Suchen wir
Stabilität und Sicherheit nicht in äußeren
Systemen, sondern in unserem Charakter.
Das Gute ist das, was uns verändern lässt.
Das Schlechte ist das, was uns an innerer Bewegung hindert. Platon hat das so
wunderschön formuliert: Mit den Tugenden entwickeln wir das allgemeine Gute
im Menschen. Und außerdem macht uns
das glücklich. Egoismus führt immer zu
Unzufriedenheit und Einsamkeit.
sucht Wahrheit – aber sie macht uns nicht
unbedingt zu glücklicheren und besseren
Menschen. Was ist richtig und was ist
falsch? Welche irrigen Vorstellungen, falschen Erwartungshaltungen habe ich von
mir, meinem Leben und von den anderen?
Welche Dogmen fesseln mich? Was lässt
mich leiden? Das ist eine sehr schwierige
Stufe, denn sie fordert von uns, aus dem
Subjektiven auszutreten. Die Dinge sind so,
wie sie sind, nicht wie ich sie mir vorstelle
oder gerne hätte. Wichtig ist vor allem:
es gibt viele verschiedene Niveaus der
Wahrheit, viele Ausdrucksformen, aber
einen Kern. Daher hat die Suche nach der
Wahrheit auch nicht nur mit dem Verstand,
sondern auch sehr viel mit dem Herzen
zu tun. Übrigens: Die Wissenschaft hat
entdeckt, dass unser Herz mit über 40.000
neuronalen Verschaltungen quasi ein eigenes Gehirn hat, das unabhängig vom Kopf
denkt. Wenn wir nun einige Täuschungen
in unserem Leben wegräumen, gelangen
wir ein Stück mehr zu uns selbst.
Stufe der Spiritualität
Auf der dritten Stufe geht es nun um die
Unterscheidung zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen. Mit Spiritualität
ist hier ein Bewusstseinszustand gemeint,
nicht der Glaube. Es ist eine tiefe, innere
Erfahrung, dass wir eine untersterbliche
Seele sind. Wir haben einen Körper, den wir
zum Beispiel wie ein Auto benutzen können, aber unser eigentliches
Wesen ist die Seele. Und
das ist somit auch unser
größtes Potenzial. Daher
liegen unsere wirklichen
Potenziale auch nicht in
Utilities oder Skills unseres Autos. Spiritualität heißt auch Liebe. Nicht mich selbst
oder nur einen Einzelnen zu lieben, sondern alle(s). Das ist natürlich ein hoher
Ansatz. Er führt uns dazu, alle Konditionierungen abzulegen, wirkliche Freiheit von
Zeit und Raum, von uns selbst, anderen
und Umständen. Das ist die höchste Potenz.
Die Welt besser hinterlassen
Im Moment fühlen sich viele Menschen
vom Leben und der Situation der Welt
überfordert und verängstigt. Sie empfinden
Ohnmacht gegenüber den jüngsten Entwicklungen, der Komplexität und Vernetzung der
Probleme unserer Zeit. Wir drohen – im
Sinne des Artikels – impotent zu werden.
Aber im Sinne des Artikels verfügen wir
auch über ein ungeahntes Potenzial an
Fähigkeiten in uns. Auch die Welt trägt
das Potenzial der Veränderung und Verbesserung in sich. Ein Philosoph ist ein
Mensch, der die Welt besser hinterlässt, als
er sie vorgefunden hat. Und so liegt es an
uns Menschen, die eigenen Möglichkeiten
zu nutzen, um aktiv unsere (Um)Welt zu
gestalten, gemäß dem Besten, das in uns
ist und in der Welt.
☐
Stufe der Philosophie
Auf dieser zweiten Stufe geht es um die
Unterscheidung zwischen Wahrheit und
Illusion. Das ist das eigentliche Thema
der Philosophie. Auch die Wissenschaft
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