Stefan Esser | Gesundheit Gesundheit durch bewusste Ernährung Zu viel Fett und Zucker sind ungesund – das ist eine Binsenweisheit, wir alle kennen sie. Schließlich ist man heute informierter, isst bewusster, gesünder. Wirklich? Die immer größer werdenden Flächen in Supermärkten für Fertiggerichte jeglicher Art sprechen eine andere Sprache: Natürlich gibt es Obst und Gemüse im Überfluss, aber der Anteil der industriell verarbeiteten Lebensmittel nimmt ständig zu. Man findet sie längst nicht nur im Tiefkühlbereich in Form von gefrorener Pizza, tischfertigem Fischgericht oder Schweinebraten mit Sauce, alles über viele Monate haltbar, sondern auch im sogenannten Frischebereich mit Kühlschrank-Temperaturen: Da kann man die schon zubereitete Lasagne kaufen, das Kilo für 2,99 Euro, ein Kartoffelgratin, das man zu Hause nur kurz aufwärmen muss, „Omas“ Kartoffelsalat und diverse Suppen für die Mikrowelle. Ist das nicht unglaublich praktisch und auch gesund, weil es doch als „frisch zubereitet“ angepriesen wird? Praktisch ja, gesund nein, zumindest nicht auf Dauer. Es ist natürlich nichts dagegen zu sagen, ein gewisses Kontingent an „Fertigfutter“ im Kühlschrank oder der Tiefkühle zu haben, für den Fall der Fälle. Der Termindruck unseres heutigen, hektischen Lebens macht das notwendig. Aber: Der Ratschlag, sich möglichst o Gerichte aus frischen Zutaten zuzubereiten, hat sehr ernsthae Hintergründe, die mittlerweile auch durch neueste Forschungen wissenschalich nachgewiesen sind. 21 Stefan Esser | Gesundheit Dabei geht es nicht nur um mangelnde Vitamine in vielen Fertiggerichten, auch nicht um den o viel zu hohen Fettanteil. Es geht um Chemie und das, was sie in uns anrichten kann. Um etliche Zusatzstoffe, um Stabilisatoren, Farbstoffe, Emulgatoren. Sicher, man darf in Deutschland davon ausgehen, dass nur solche chemische Verbindungen eingesetzt werden, die den Lebensmittelvorschrien entsprechen. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie unserer Gesundheit über längere Zeit aufgenommen zuträglich sind. Dass es besser, billiger und schmackhaer ist, sich selbst einen Schokoladenpudding zu kochen und frische Sahne zu schlagen als einen fixfertigen Klarsichtbecher mit Schokopudding und weißem, seltsamerweise viele Tage haltbaren Pseudosahnehäubchen zu kaufen, leuchtet jedem ein. Aber es ist natürlich auch einfacher, sich so zu ernähren. Kann ja so schlimm nicht sein, zumindest nicht wirklich gesundheitsschädigend, oder? Doch, das kann es durchaus. Denn eine möglichst lange Haltbarkeit dieser Produkte ist fast immer nur über Zusatzstoffe möglich, die beim aus frischen Zutaten selbst zubereiteten Essen gar nicht erst vorkommen. PNI-Forschung: Wie manches Essen schadet Es geht hier nun weniger um die üblichen (wenn auch berechtigten) Diskussionen, dass Fertigessen zu wenig Nährwert und zu viel Fett enthält und allein deshalb schon nicht besonders gesund ist. Es gibt bei einer überwiegenden Ernährung über Fertigkost aller Art ein ganz 22 Stefan Esser | Gesundheit anderes, recht unbekanntes, aber gravierendes Problem, als nur von ungesundem Essen einen dicken Bauch, Energiemangel und schlechte Haut zu bekommen. Die Psychoneuroimmunologie (PNI), eine erst einige Jahrzehnte alte Wissenscha, hat nachgewiesen, dass eine sehr einseitige Ernährung aus Fertiggerichten im Extremfall zu schweren Depressionen und anderen ernsthaen Persönlichkeitsveränderungen führen kann. Aber wie soll das gehen, wo ist da der Zusammenhang, wieso kann man Depressionen über die Ernährung bekommen? In der PNI arbeiten Psychiater, Psychologen, Neurologen und Immunologen intensiv zusammen, und dieser interdisziplinäre Blick über den Gartenzaun brachte die Wissenschaler in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu erstaunlichen Erkenntnissen darüber, wie in unserem Körper alles mit allem zusammenarbeitet: Das Magen-Darm-System wird heute als zweites Gehirn, als „Bauchhirn“ gesehen, das über den Vagus-Nerv – das ist der zehnte Hirn-Nerv, der bis in den Magen reicht und über viele „Nervenäste“ zahlreiche elementare Regulierungsaufgaben bei unseren inneren Organen „betreut“ – direkt mit dem Gehirn verbunden ist und intensiv mit diesem kommuniziert. Die Kommunikatoren sind dabei zahlreiche Botenstoffe (chemische Stoffe, die der Übertragung von Signalen dienen) wie auch diverse Hormone, deren Aufgaben in den vergangenen Jahren immer mehr erkannt wurden, sie dienen, vereinfacht gesagt, der äußerst fein vernetzten Steuerung zahlreicher psychischer 23 Stefan Esser | Gesundheit und physiologischer Abläufe und haben daher sehr viel mit unserer Gesundheit zu tun. Unser Körper ist eben doch viel komplexer, als man bislang annahm. Wer der Meinung war, dass wir eine relativ einfache Maschine aus ein paar Dutzend Organen und Systemen sind, wird nun, seitdem die Medizin unglaubliche Fortschritte macht, eines Besseren belehrt. Zu den neuen Erkenntnissen kam man im Prinzip dadurch, dass die Wissenschaler querdachten und mit Kollegen aus anderen Disziplinen zusammenarbeiteten, anstatt sich wie früher im Elfenbeinturm ihres speziellen Fachgebiets abzuschotten. Sie erkannten und erkennen dadurch vermehrt Zusammenhänge von Systemen, Organen, physikalischen und chemischen Abläufen, seelischen Befindlichkeiten und genetischen Voraussetzungen. Die Psychoneuroimmunologie bewies erneut, dass die Psyche massiv auf die Befindlichkeit des Körpers wirkt. Das ist ein durchaus wichtiger, aber bereits lange bekannter Aspekt. Wirklich spektakulärer an den PNI-Erkenntnissen ist, dass eben nicht nur die Psyche den Körper positiv oder negativ beeinflusst, wir also etwa über langfristigen negativen Stress ein Magengeschwür oder Herzprobleme bekommen können, sondern dass es auch andersherum gehen kann: Es wurde gezeigt, dass sämtliche Regelkreise in uns nicht nur, wie bisher gedacht, in eine Richtung funktionieren, sondern auch in die umgekehrte. 24 Stefan Esser | Gesundheit Vereinfacht gesagt: Nicht nur unsere Psyche beeinflusst unsere Gesundheit, unsere Organe, unser Immunsystem, unser zentrales Nervensystem, unser Hormonsystem, unsere Verdauung, sondern es läu auch andersherum ab. Der Mensch wird daher von PNI-Forschern – große Universitäten wie etwa in München haben bereits eigene PNI-Forschungsabteilungen – als komplexes, gewaltiges Netzwerk gesehen, in dem alle Systeme sozusagen im ständigen Informationsaustausch stehen, kreuz und quer. Für unsere Gesundheit bedeutet das: Wenn das MagenDarm-System anstatt natürlicher Nahrung immer mehr chemisch bearbeitete, also degenerierte, naturferne Nahrung zugeführt bekommt, kann das Bauchhirn diese unnatürlichen Stoffe nicht erkennen und nicht sinnvoll verwerten, vor allem für das Gehirn nicht mehr richtig codieren. Die Folge: Die Botenstoffe vom Bauchhirn ans Gehirn werden mangels richtiger Programmierung – sie sind ja keine körpereigenen chemischen Stoffe, sondern sie wirken ähnlich zerstörend wie ein Virus im Computer – zu verfälschten Botenstoffen. Wissenschaler sprechen in diesem Fall auch von „Fake-Botenstoffen“, die das Gehirn in seiner Funktion so sehr irritieren, dass es nun selbst irritierende Nachrichten und Befehle ausgibt, die dann sogar zu Depressionen oder Herzproblemen führen können. Das passiert selbstverständlich nicht, wenn man hin und wieder eine Fertigpizza in den Ofen schiebt, sondern eher, wenn man ein Fertigessen-„Junkie“ ist. Dies zeigt aber, 25 Stefan Esser | Gesundheit was für ein fragiles, extrem vernetztes Gebilde unser Körper und unsere Seele ist, und dass es Sinn macht, sich bewusst zu ernähren, damit die Dinge nicht ins Kippen geraten. Bewusste Ernährung ist ja gar nicht so kompliziert, man muss nur einige Grundregeln beachten: Ausreichend Vollkornprodukte sind dazu notwendig (anstatt immer nur Weißmehlprodukte), weiterhin sollten gesättigte Öle zugunsten von mehrfach ungesättigten Ölen ausgetauscht werden, viel frisches Obst und Gemüse sollte auf den Tisch kommen, zudem – möglichst wenig verarbeitete – Milchprodukten. Vergessen sollte man auch nicht die Gewürze. Vor allem die indische und auch die thailändische Küche haben große Auswirkungen auf die Gesundheit – aber auch hier sollte man natürlich nicht kraloses Ingwerpulver verwenden, sondern frischen Ingwer, dessen Knollen sich ohnehin lange halten, wie glücklicherweise viele andere Gewürze auch, etwa Muskatnüsse oder Knoblauchzehen. Grundsätzlich gilt: Je mehr ein Lebensmittel ein Fertigprodukt ist, anstatt ein naturnahes, desto mehr naturferne Produktionsprozesse hat es durchlaufen. Viele Menschen haben heute auch einfach vergessen, wie schnell ein Kräuterkartoffelsalat oder eine Gemüselasagne zubereitet sind und wie gut diese frischen Speisen schmecken. 26 Stefan Esser | Gesundheit Bewusstsein, Bauchgehirn und Botenstoffe Die aktuellen Forschungen der Psychoneuroimmunologie zeigen, dass es auch beim Thema Ernährung nicht nur um ein bisschen mehr oder weniger Fett geht, sondern dass die Ernährung im Wechselspiel mit unserem Bewusstsein steht, das wiederum im gut entspannten Zustand für positive Regulierungen sorgt. Überhaupt wird erst jetzt immer deutlicher, wie wichtig ein stabiles Unterbewusstsein für alle Steuerungen in uns ist. Das erwähnte Wechselspiel können wir uns so vorstellen: Befindet sich unser Unterbewusstsein möglichst o in einem entspannten, ausbalancierten Zustand, haben wir eine bessere Wahrnehmung für die Auswahl unserer Ernährung, haben mehr Selbstwert, sind es uns also wert, uns energiereich und nicht nur „sattmachend“ zu ernähren. Zugleich sorgt eine natürliche, energiereiche Nahrungszufuhr dafür, dass unser „Bauchgehirn“ über die Zufuhr natürlicher Nährstoffe nur positive, gesunde, nicht chemisch manipulierte Botenstoffe ans Gehirn schickt. Wodurch das gesund ernährte Gehirn wiederum bei der Steuerung aller Körper- und Seele-Funktionen optimal arbeiten kann. Auf das Thema Ernährung und Gesundheit haben wir heute einen völlig neuen Blick. Wir haben die Erkenntnis, dass etwa psychische Krankheiten wie Depressionen oder Schizophrenie nicht nur, wie bisher gedacht, durch seelische Belastungen, sondern ebenso vom Immunsystem und letztlich vom falschen Essen ausgelöst werden kön- 27 Stefan Esser | Gesundheit nen. Das heißt, nicht nur psychische Befindlichkeiten haben Einfluss auf die körperlichen Befindlichkeiten, sondern es kann auch genau umgekehrt passieren. PNISpezialist Professor Norbert Müller von der Psychiatrischen Klinik der Universität München sagt: „Zahlreiche Studien erbrachten ein immunologisches Geschehen bei einem Teil der schizophrenen und depressiven Patienten. Durch das enge Zusammenspiel von Immunsystem, Nervensystem und Psyche könnte ein solcher Immunvorgang ursächlich an der Entstehung psychiatrischer Symptome beteiligt sein.“ „Der Körper ist eine riesige Apotheke“ Ähnlich drückt es die in den USA ausgebildete PNI-Spezialistin und Münchener Heilpraktikerin Hildegard Stenda aus: „Die Hauptaufgabe für uns ist, positiv zu erkennen, was ernährt, stabilisiert, balanciert den Körper. Die aktuelle PNI-Forschung bewies, dass auch der Körper die Psyche beeinflusst und nicht nur umgekehrt, das geht über Botenstoffe wie Hormone als Informationsträger. Wenn wir nun etwa immer mehr denaturalisierte, künstlich-chemisch bearbeitete Nahrung essen, die von der überlasteten Verdauung, also vom Körper nur noch ‚inkorrekt aufgespaltet werden kann, dann transportieren auch die im Magen-Darm-Bereich gebildeten Botenstoffe auf dem Weg zum Herzen, zum Gehirn, also auch zur Psyche denaturalisierte Informationen, weil die Botenstoffe selber nicht mehr korrekt sind. Wir nennen das dann 28 Stefan Esser | Gesundheit Fake-Hormone oder Hormon-Mimics, also Mimikry-Hormone. Diese denaturierten Fake-Botenstoffe wirken dann irritierend-negativ auf die Psyche, wodurch dort Krankheiten entstehen können – aber auch am Herzen oder anderen Organen, sogar im Gehirn.“ Der bekannte Schulmediziner und Präsident der Deutschen Gesellscha für Schmerztherapie, Dr. Gerhard Müller-Schwefe stimmte dem voll zu: „Der Körper ist eine riesige Apotheke, wir haben ja sogar körpereigene Drogen, und faktisch entstehen in uns ja auch laufend Tumorzellen – da ist die Balance wichtig. Extrem falsche Ernährung oder auch etwa eine falsche Medikamentierung können zu Pilzwucherungen im Darm führen und diese letztlich zu schwersten Depressionen.“ Wir haben heute viel mehr Wissen über die Vorgänge in unserem Körper als noch vor einigen Jahrzehnten, auch in Bezug auf eine gesunde Ernährung. Das ist die positive Seite. Es gibt aber auch die negative: In der Vorstellung von uns als einem modernen Menschen haben sich viele Gewichtungen bezüglich unserer Vorstellungen über unseren Körper verschoben – zum Unguten. Frühere Kulturen erkannten intuitiv die Bedeutung der Nahrungsaufnahme und der Verdauung zur Lebenserhaltung. Heute dagegen liegt die Nahrung im Supermarktregal und wir können diese Nahrung im hektischen Fünf-Minuten-Einkauf „erbeuten“, anstatt sie mit großem Aufwand, aber als „frische Ware“ beim Jagen oder auf Äckern zu besorgen. Das ist praktisch, machte uns bequem, so bequem, dass 29 Stefan Esser | Gesundheit viele sogar inzwischen so faul geworden sind und nur noch Fertiggerichte kaufen. Unsere Haut hat die riesige Oberfläche von zwei Quadratmetern. Unsere Lunge hat mit ihren feinsten Bläschen sogar eine Fläche von 80 Quadratmetern. Aber das ist noch gar nichts gegen unseren Darm: Er hat mit 400 bis 500 Quadratmetern mehr Fläche als ein halbes Handballfeld! Es ist also ein riesiges System, dieses „Bauchhirn“, das über den Vagus-Nerv mit dem Hirn verbunden ist und diesem über den lebenswichtigen Botenstoff Serotonin Steuerungssignale und weitere Informationen zukommen lässt. Es ist heute keine Frage mehr, dass der Bauch den Kopf und damit nicht nur unsere Gesundheit, sondern auch unser Verhalten beeinflusst. Der Bauch würde sich demnach freuen, wenn wir anstatt chemisch verarbeitetes Modefutter beispielsweise mehr frische Walnüsse essen würden, die voller Serotonin sind … Den „inneren Arzt“ wachhalten In der Quintessenz heißt das: Wenn wir gesünder werden oder gesund bleiben wollen, müssen wir mit größtem Respekt vor der Schöpfung und der Liebe zu unserer Gesundheit noch mehr erkennen, was für ein unglaublich vernetztes Wunderwerk aus Körper, Geist und Seele wir sind. Eines, das wir, wenn wir ihm keine Achtsamkeit schenken, sehr schnell stören und sogar zerstören können. Es ist aber auch eines, das uns, wenn wir richtig damit umgehen, dauerhae Gesundheit schenkt. 30 Stefan Esser | Gesundheit Dieser richtige Umgang ist gar nicht schwer, auch die PNIFachleute, die auf der einen Seite um die komplexesten Zusammenhänge biologischer und biochemischer Vorgänge wissen, sagen, dass es eigentlich ganz einfach ist, etwas für Gesundheit, aber auch Gesundung zu tun: Wir müssen nur unseren „inneren Arzt“ wachhalten, damit er uns mit Verstand und Intuition dazu führt, dass wir für gesundes Essen sorgen, für Bewegung, für Achtsamkeit, Wachsamkeit, Selbstliebe und letztlich für eine gute Balance aus positivem Stress und Entspannung. 31