Gutachten über den Karlsruher Physikkurs

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Gutachten über den Karlsruher Physikkurs
In Auftrag gegeben von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Ansprechpartner:
StD Rudolf Lehn, DPG-Vorstandsmitglied für das Ressort Schule ([email protected])
Gutachtergruppe:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann, Theoretische Astrophysik, Universität Heidelberg
OStR Fabian Bühler, Störck-Gymnasium Bad Saulgau
Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Siegfried Großmann, Theoretische Physik, Universität Marburg
StD Wolfhard Herzog, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Heidelberg
Prof. em. Dr. Jörg Hüfner, Theoretische Physik, Universität Heidelberg
StD Rudolf Lehn, Störck-Gymnasium Bad Saulgau und Schülerforschungszentrum Südwürttemberg
StD i.R. Dr. Rudolf Löhken, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Heidelberg
Prof. Dr. Karlheinz Meier, Experimentelle Physik, Universität Heidelberg
Prof. Dr. Dieter Meschede, Institut für Angewandte Physik, Universität Bonn
Prof. Dr. Peter Reineker, Wilhelm und Else Heraeus-Seniorprofessor für die Weiterentwicklung der Lehrerausbildung im Fach Physik, Universität Ulm
Prof. Dr. Metin Tolan, Experimentelle Physik, Prorektor für Studium an der Technischen Universität Dortmund
Prof. Dr. Jochen Wambach, Institut für Kernphysik, Universität Darmstadt
Prof. Dr. Werner Weber, Theoretische Physik, Technische Universität Dortmund
Bad Honnef, 28. Februar 2013
Deutsche Physikalische Gesellschaft e.V., Hauptstr. 5, 53604 Bad Honnef
Gutachten über den Karlsruher Physikkurs
Zusammenfassung
Physik ist eine der Grundlagenwissenschaften unserer Kultur und Zivilisation. Ihre wesentliche Aufgabe
ist es, die Vielfalt der Erscheinungen in der materiellen Welt auf möglichst wenige fundamentale Gesetze zurückzuführen. Sie hat sich deswegen als erfolgreich erwiesen, weil ihrer Vorgehensweise drei
wesentliche Prinzipien zugrunde liegen:

Für den Aufbau der Physik wesentliche Begriffe werden durch präzise Definitionen oder Messvorschriften festgelegt.

Modellvorstellungen verbinden die so geschaffenen Begriffe.

Physikalische Aussagen, die Experimenten widersprechen, gelten als falsch.
Aufgrund dieser Prinzipien sind physikalische Aussagen objektivierbar. Da sich physikalische Aussagen
durch Messung belegen lassen müssen, müssen sie auch quantifizierbar sein. Deshalb werden in der
Physik mathematische Gleichungen aufgestellt, die ihre wesentlichen Größen zueinander in Beziehung
setzen. Diese mathematische Formulierung ihrer wesentlichen Aussagen setzt eine präzise Verwendung
klar definierter Begriffe voraus. Eine (internationale) Verständigung über Physik setzt ferner voraus,
dass einheitliche Begriffssysteme verwendet werden.
Es ist die Überzeugung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), dass Physik auf allen Ebenen
der Ausbildung so unterrichtet werden muss und kann, dass ihre wesentliche Eigenschaft unmissverständlich klar wird: Physik ist eine empirische Naturwissenschaft, die aufgrund ständiger, strenger Orientierung am Experiment zu objektivierbaren Aussagen gelangt. Die DPG unterstützt Überlegungen und
Versuche, dies im Unterricht an den Schulen möglichst verständlich umzusetzen, sieht es aber auch als
ihre Aufgabe an, misslungene Versuche zu kritisieren.
Der Karlsruher Physikkurs (KPK) wird den oben formulierten Zielen nicht gerecht. Er baut wesentlich auf
willkürlich gewählten, nicht durch Messvorschriften belegbaren oder Messungen zum Teil widersprechenden Begriffen auf, die allein aufgrund didaktischer Überlegungen eingeführt werden und größtenteils dazu dienen, behauptete Analogien quer durch die gesamte dargestellte Physik durchhalten zu
können. Dadurch erzeugt der KPK eine grundsätzlich falsche Vorstellung von Physik. Die Strenge des
naturwissenschaftlichen Denkens und der empirischen Vorgehensweise werden durch den KPK verletzt.
Wir raten daher der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mit Nachdruck, dass der Karlsruher Physikkurs weder für den Unterricht verwendet noch Lehr- oder Bildungspläne auf ihm aufgebaut oder nach
ihm ausgerichtet werden sollen.
Diese Aussagen werden im Folgenden durch wenige, besonders aussagekräftige Beispiele belegt.
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Beispiel 1: Der Begriff des Impulsstroms in der Mechanik
In dem Bestreben, Strömungsvorgänge in möglichst allen Teilgebieten der Physik als grundlegend zu
betrachten, führt der KPK in der Mechanik das Konzept des Impulsstroms anstelle der Kraft ein. Dahinter steht die Vorstellung, dass ein Impulsstrom eine anschaulichere Größe als die Kraft sei, weil er Vergleiche mit anderen Strömungsvorgängen nahelegt. Während nach dem Newtonschen Bewegungsgesetz die Kraft die Ursache für die Änderung des Impulses ist, ändert sich nach dem KPK der Impuls eines Körpers, weil ein Impulsstrom in den Körper hinein bzw. aus ihm heraus fließt. Nun könnte man
vermuten, dass Impulsstrom einfach ein anderes Wort für Kraft ist. Das ist aber nicht so, denn die Verwendung von Impulsströmen anstelle von Kräften führt auf widersprüchliche und z.T. sogar falsche Aussagen. Dies wird im Folgenden begründet.
Was ist mit dem Impulsstrom gemeint?
Die Vorstellung des KPK zum Impulsstrom soll anhand der Abb. 1 erläutert
werden, die dem Schulbuch zum KPK
[1] entnommen ist. Ein Wagen wird
von einer Person mit Hilfe eines Seils
gezogen und dabei beschleunigt. Es
wird angenommen, dass die Fahrtrichtung entlang der x-Achse verläuft.
Nach dem KPK wird der Wagen beschleunigt, weil Impuls über das Seil
in den Wagen fließt, wobei die Fließrichtung wie folgt festgelegt wird: Ein
Abb. 1: Willy pumpt Impuls aus der Erde in den Wagen. (Diese Abbildung mit Unterschrift entspricht Abb. 2.16 des KPK-Schulbuches
[1], nur die Kraft wurde hinzugefügt.)
positiver Impuls fließt in den Wagen,
wenn der Impuls des Wagens in Richtung der positiven x-Achse zunimmt. Die Richtung des so definierten Impulsstroms, den wir im Folgenden „KPK-Impulsstrom“ nennen, ist also mit der Richtung der xAchse verknüpft, die in der Regel von links nach rechts orientiert wird.
Mit dem traditionellen Konzept der Kraft beschreibt man den Vorgang in Abb. 1 wie folgt: Der Wagen
wird beschleunigt, weil über das Seil auf den Wagen eine Kraft ausgeübt wird. Diese zeigt in Richtung
der Beschleunigung. Der Übersichtlichkeit halber lassen wir die Kraft immer im Schwerpunkt angreifen.
Wenn Kraft bzw. KPK-Impulsstrom als Ursachen den Wagen in gleichem Maße beschleunigen, müssten
eigentlich beide Größen in Betrag und Richtung gleich groß sein. Während dies bei den Beträgen zutrifft, kann es bei den Richtungen Unterschiede geben, wie im Folgenden gezeigt wird.
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Verhalten unter Drehungen
Wie sich die Richtungen des KPK-Impulsstroms und der Kraft unter Drehungen verhalten, soll anhand der
Abbildungen 2a bis 2c erläutert werden. In Abb. 2a zieht ein Lastwagen
einen Anhänger nach rechts (diese
Situation ist mit der aus Abb. 1 vergleichbar). Der KPK-Impulsstrom zeigt
nach links, während der Kraftpfeil
nach rechts zeigt. In der nächsten
Abb. 2b ist der Lastzug um 180° gedreht worden: Dem KPK [1] zufolge hat
sich die Richtung des KPK-Impulsstroms beim Übergang von Abb. 2a
nach 2b nicht verändert. Dagegen ist
Richtung der Kraft der Drehung des
Lastzugs um 180° gefolgt: In beiden
Fällen, Abb. 2a und 2b, zeigt die Kraft
Abb. 2: Ein Lastzug fährt einmal nach rechts (a) und einmal nach
in Richtung der Zugmaschine. Das ist
links (b) an. Beide Male steht die Kupplungsstange unter Zugspan-
auch vernünftig, weil sie die Ursache
nung und beide Male fließt x-Impuls in die negative x-Richtung.
für die Beschleunigung des Anhängers ist.
Kann ein Schüler das unterschiedliche
(Dieser Teil der Abbildung mit Unterschrift entspricht Abb. 2.27 des
KPK-Schulbuches [1], nur die Pfeile für die Kräfte und die Richtungen der x-Achse wurden hinzugefügt). Die von uns hinzugefügte
Abb. (c) stellt die Situation dar, wenn die x-Achse gedreht wird.
Verhalten von Kraft und Impulsstrom
bei einer 180°-Drehung verstehen? Man kann die in Abb. 2a und 2b gezeigten Situationen im Unterricht
nachstellen, indem man Lastwagen und Anhänger durch zwei Schüler ersetzt, die durch ein Seil verbunden sind. Der gezogene Schüler wird sofort die Richtung der Kraft in den Situationen der Abb. 2a und 2b
durch eigene Erfahrung bestätigen. Aber er kann durch seine Sinne nicht erfassen, dass der Impulsstrom seine Richtung nicht verändert hat, wenn der Lastzug in die andere Richtung fährt.
In Abb. 2c ist das Ergebnis einer anderen Drehung gezeigt. Hier wird nicht der Lastzug gedreht, sondern
das Koordinatensystem. In der neuen Situation zeigt die positive x-Achse nach links. Damit hat sich
auch die Richtung des KPK-Impulsstroms geändert, wie Abb. 2c zeigt. Denn bei der Beschleunigung des
Anhängers nach rechts wird sein Impuls immer negativer. Also muss (positiver) Impuls aus ihm herausfließen.
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Der Vergleich von Abb. 2a und 2c zeigt sehr anschaulich, dass die Richtung des KPK-Impulsstroms eng
mit der Lage des Koordinatensystems verbunden ist. Das führt nun zu folgenden Problemen: Wenn man
die Lage des Koordinatensystems nicht kennt, kann man auch nicht die Richtung des KPK-Impulsstroms
festlegen. Solche Situationen können leicht auftreten, wenn z.B. der Lastzug durch einen Wald fährt, wo
keine x-Achse auf dem Boden eingezeichnet ist. Eine weitere Schwierigkeit tritt auf, wenn sich z.B. zwei
Schüler über die Ausrichtung ihrer Koordinatensysteme nicht einigen können. Dann werden sie verschiedene Antworten auf die Frage nach der Richtung des KPK-Impulsstroms geben. Und beide Antworten können gleichzeitig richtig sein! In Anbetracht solcher Probleme beginnt man zu sich zu fragen, ob
der Richtung des KPK-Impulsstroms überhaupt eine objektive Realität zukommt und sie nicht nur eine
willkürliche Festsetzung ist. Diese Überlegungen werden im nächsten Abschnitt noch vertieft.
Ist die Richtung des KPK-Impulsstroms messbar?
Es ist das Großartige an der Physik, dass ihre Aussagen experimentell überprüft werden können. Daher
ist es eine wichtige Frage, ob die Aussagen des KPK über die Richtung des Impulsstroms experimentell
überprüfbar sind.
Wasser fließt von einem höher gelegenen Reservoir zu einem tiefer gelegenen. An jeder beliebigen Stelle lässt sich die Fließrichtung durch ein in den Strom gebrachtes Instrument eindeutig messen,
z.B. durch ein Wasserrad oder einen in das Wasser geworfenen Korken. In welche Richtung fließt der
vom KPK eingeführte Impulsstrom, und wie kann dessen Richtung gemessen werden? Diese Frage soll
anhand eines Beispiels diskutiert werden, das aus dem Schulbuch des KPK (Abb. 2.30 aus [1]) stammt
und in Abb. 3a gezeigt wird. Eine Feder ist in ein Joch eingespannt. Alle Teile des Systems sind in Ruhe.
Dennoch behauptet der KPK, dass durch die Feder und das Joch ein Impulskreisstrom fließe, dessen
jeweilige Richtungen durch die Pfeile angezeigt sind. Da an dem System keine Bewegung zu erkennen
ist, müsste ein aufgeweckter Schüler eigentlich fragen, wie man denn nachweisen könne, dass wirklich
etwas durch die Feder fließt. Eine etwas schwierigere Frage könnte lauten: Warum ist an einem offensichtlich symmetrischen System eine Richtung vor der anderen ausgezeichnet? Und wenn der Lehrer
das schon behauptet, wie kann er uns das beweisen?
Aus der Elektrizitätslehre wissen die Schüler, dass man auch dort durch einfaches Betrachten eines
Drahtes nicht feststellen kann, ob darin ein Strom fließt und, wenn ja, welche Richtung er hat. Aber sie
wissen auch, dass es Geräte gibt, mit denen man die Stärke und die Richtung des elektrischen Stroms
nachweisen kann. Zwei solcher Geräte sind in dem durch eine Batterie gespeisten Stromkreis in Abb. 3b
eingezeichnet: eine Glühlampe und ein Amperemeter. Das Leuchten der Glühbirne zeigt an, dass ein
Strom fließt. Ihre Helligkeit, die ein qualitatives Maß für die Stromstärke ist, hängt allerdings nicht von
der Richtung des Stroms ab. Jedoch kann man mit einem Amperemeter beides, die Stärke und die Richtung des Stroms messen.
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Gibt es nun ein dem Amperemeter
vergleichbares Instrument für den
KPK-Impulsstrom? Ein solches Instrument wird in dem Schulbuch für den
KPK nicht beschrieben. Zwar gibt es
die in der Mechanik wohlbekannten
Kraftmesser, wobei die Länge der
gespannten Feder ein Maß für die
Stärke der Kraft ist. Aber da zu jeder
Kraft auch eine entgegengesetzte
gleich starke Gegenkraft gehört (actio
= reactio) und diese beiden vollständig symmetrisch sind, können Kraftmesser prinzipiell keine Richtung auszeichnen. Abbildung 3c zeigt, wie ein
Kraftmesser in die Versuchsanordnung der Abb. 3a eingebaut werden
könnte. Je nach der in der Feder herrschenden Spannung wird der Kraftmesser mehr oder weniger gedehnt,
ohne dass eine Richtung bevorzugt
ist. Der Kraftmesser ist deshalb mit
der Glühbirne im elektrischen Fall
vergleichbar, aber nicht mit dem Am-
Abb. 3: Messung von KPK-Impulsströmen und elektrischen Strömen.
peremeter.
a. Die Abbildung entspricht der Abb. 2.30 aus [1] mit der Unterschrift: „Impulsstrom ohne Antrieb“.
Das fehlende Messinstrument für die
b. Elektrischer Stromkreis mit Batterie, Glühlampe und Amperemeter.
Richtung des Impulsstroms ersetzt
der KPK durch einen Satz von Regeln
c. Schematische Darstellung der Anordnung Abb. 3a mit eingefügtem Kraftmesser.
(S. 18 aus [1]) wie zum Beispiel: Wenn
eine Zugspannung herrscht, dann fließt x-Impuls in die negative x-Richtung. In einer solchen Festlegung
liegt das Problem: Denn die Richtung der x-Achse kann willkürlich im Raum festgelegt und auch verändert werden, unabhängig vom physikalischen Geschehen innerhalb des Systems. Damit kann auch die
Richtung des KPK-Impulsstroms willkürlich, d.h. unabhängig vom Geschehen im System allein durch
eine neue Wahl des Koordinatensystems verändert werden. Wir schließen daraus: die Richtung des
KPK-Impulsstroms ist keine Eigenschaft des Systems.
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Zwar gibt es auch in der Elektrizitätslehre eine Konvention, die die Richtung des elektrischen Stroms
festlegt, z.B. vom Plus- zum Minuspol. Aber hat man erst einmal alle Amperemeter nach dieser Konvention kalibriert, lassen sich für alle Zukunft die Stromrichtungen in allen Systemen ohne Willkür messen.
Etwas Analoges gibt es für die Messung der Richtung des KPK-Impulsstroms nicht.
Fazit: Die eingangs gestellte Frage, ob die Aussagen des KPK über die Richtung des Impulsstroms experimentell überprüfbar sind, muss verneint werden. Deshalb ist die vom KPK eingeführte Richtung des
Impulsstroms eine willkürlich festgelegte Konvention, der keine objektive Realität zukommt: Es gibt
diesen Strom in der Natur nicht. Damit hat der KPK-Impulsstrom auch keinen Platz im Gebäude der Physik und ganz gewiss auch nicht im Physikunterricht.
Beispiel 2. Entropie und Wärme in der Thermodynamik
Der Karlsruher Physikkurs [5] verwendet einen alternativen Zugang zur Thermodynamik, der nicht auf
den Begriffen Temperatur und Wärme, sondern auf den Begriffen Temperatur und Entropie aufbaut.
Andere Zugänge zur Physik zu suchen, die Schülern das Verständnis erleichtern, ist legitim und wünschenswert, aber sie müssen auch überzeugen, und vor allem müssen sie wissenschaftlich korrekt
sein.
Die Thermodynamik ist ein Bereich der makroskopischen Physik, der die physikalischen Revolutionen
des 20. Jahrhunderts im Kern unberührt überstanden hat. Sie baut auf drei so genannten Hauptsätzen
auf: Einer, nullter Hauptsatz genannt, führt den Temperaturbegriff ein. Der erste Hauptsatz ist der Satz
von der Erhaltung der Energie, und der zweite Hauptsatz behandelt die Eigenschaften der Entropie.
Der Begriff der Temperatur ist Schülern einfach zu vermitteln. Zur alltäglichen Erfahrung kommt lediglich hinzu, dass es eine absolute Temperaturskala gibt. Auch bei den Begriffen Wärme und Energie bringen die Schüler ein gewisses Vorverständnis mit. Das gilt sicher nicht für die Entropie. Sie ist eine wichtige Größe für das Verständnis von Vorgängen in der Natur und Technik. Energie und Entropie müssen
streng unterschieden werden. Beide Begriffe sind notwendig, um beispielsweise Umwandlungen von
übertragener Energie, wie die von Wärme in Arbeit, zu verstehen. Und: Während Wärme bei Prozessen
eine Rolle spielt und deswegen Prozessgröße genannt wird, sind die Innere Energie und die Entropie
Zustandsgrößen. Jeder Körper „hat“ eine Innere Energie und eine Entropie, so wie er eine Masse, ein
Volumen und eine Temperatur „hat“.
Bekanntermaßen ist Entropie eine der schwierigsten Größen der Physik. Deshalb ist man gespannt, wie
der KPK sie einführt. Auf S. 5 steht dazu in [5] (wörtliche Zitate stehen in Anführungsstrichen):
„Auch die [neben der Temperatur] zweite Größe, die wir brauchen, müsstest du kennen, allerdings unter
einem anderen Namen als dem in der Physik gebräuchlichen. Es handelt sich bei ihr um das, was man
umgangssprachlich »Wärmemenge« nennt, oder auch einfach »Wärme«. Ihr physikalischer Name ist
Entropie, ihr Symbol S und ihre Maßeinheit Carnot, abgekürzt Ct.“
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Es ist zwar richtig, dass die Entropie eines Systems durch Zufuhr oder Abfuhr von Wärme verändert
werden kann. Aber deshalb ist Entropie noch lange nicht der Wärme gleichzusetzen, auch keiner „umgangssprachlich“ so bezeichneten. Beide haben verschiedene Maßeinheiten, können also schon deshalb nicht gleich sein. Wärme misst man in Joule, Entropie in Joule/Kelvin. Der KPK stützt seine Argumentationen fast ausschließlich auf die Gleichung ΔS = ΔQ/T, die im eingeschränkten Fall einer reversiblen Wärmezu- oder -abfuhr ΔQ bei einer Temperatur T die Entropieänderung ΔS angibt. Dabei verschweigt der KPK die Einschränkungen dieser Gleichung:
1. Er wendet die Gleichung unverändert auch bei irreversiblen Prozessen an, obwohl dort ΔS ≥ ΔQ/T
gilt. Damit behindert er den Zugang zu den für das Verständnis unserer Welt so ungeheuer wichtigen
irreversiblen Prozessen. Diese laufen gerade deswegen in eine Richtung und nicht umkehrbar ab, weil
die Entropie spontan zunehmen, aber nicht spontan abnehmen kann! Dann gilt aber das Größer- und
nicht das Gleichheitszeichen in der obigen Relation.
2. Es gibt wichtige Prozesse, in denen die obige Formel gar nicht anwendbar ist, weil sich die Entropie
als Zustandsgröße ohne Wärmezufuhr verändert. Die Entropie kann sich auch verändern, weil andere
Zustandsgrößen verändert werden, denn Zustandsgrößen sind durch Zustandsgleichungen miteinander
verbunden. Ein Beispiel ist die Ausdehnung eines Gases um das Volumen ΔV. Dabei nimmt die Entropie
um ΔS ≥ ΔV∙(p/T) zu, worin p der Druck ist. Solche einfachen Prozesse kann der KPK nicht verständlich
erklären.
Die oben zitierte Definition der Entropie ist keineswegs ein Ausrutscher, sondern wird über viele Seiten
benutzt, um Experimente und Alltagsphänomene zu erklären, wobei manches Fragwürdige herauskommt. Das soll an drei Beispielen erläutert werden.
Temperaturausgleich
In Abb. 1.5 ([5], S. 7, hier mit Unterschrift als Abb. 4 reproduziert) wird den Schülern das sehr wichtige
Experiment gezeigt, bei dem zwei Körper, die zunächst verschiedene Temperaturen haben, in Wärmekontakt gebracht werden. Der wärmere Körper kühlt sich ab und der kältere erwärmt sich, bis beide
dieselbe Temperatur angenommen haben. Was passiert bei diesem Versuch?
Die Schüler, die wissen, dass mit Wärmezufuhr eine Temperaturerhöhung verbunden ist (und eine Erniedrigung bei Abfuhr), würden vermutlich sagen, dass Wärme vom wärmeren zum kälteren Körper
fließt. Damit haben sie auch Recht, zumindest nach allen Lehrbüchern außer dem KPK. Die Erklärung
des KPK für diesen Versuch ist in der Unterschrift zu Abb. 1.5 enthalten, die in unserer Abb. 4 reproduziert wird: Was vom heißeren zum kälteren Körper fließe, sei Entropie. Es ist zwar richtig, dass neben
der Wärme auch Entropie fließt. Aber für die Thermodynamik entscheidend ist, dass zusätzlich Entropie
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entsteht, so dass nach dem Temperaturausgleich mehr Entropie in dem
System aus beiden Behältern ist als
am Anfang. Das ist keineswegs ein
kleiner Effekt, den man übergehen
dürfte, sondern diese Entropiezunahme ist das Wesentliche an diesem
Versuch überhaupt! Sie ist der eigentliche Antrieb für diesen Prozess: Die
Entropiezunahme legt fest, dass der
Wärmeaustausch vom heißeren zum
kälteren Behälter erfolgt, aber eben
ent-
Abb. 4: Entropie fließt aus dem inneren Behälter A in den
scheidende Aspekt wird vom KPK ein-
äußeren Behälter B. [Diese Abbildung entspricht Abb. 1.5 in
fach verschwiegen. Die richtige Bildun-
[5], S. 7.]
niemals
umgekehrt.
Dieser
terschrift unter Abb. 4 müsste also lauten: „Wärme fließt von dem inneren Behälter A in den äußeren
Behälter B. Dabei bleibt die gesamte Energie unverändert, während die Gesamtentropie zunimmt.“
Man kann diesen Versuch natürlich auch ohne Entropie erklären, ohne dass die Schüler intuitives Verständnis verlieren, indem man feststellt, dass Wärme vom heißeren zum kälteren Körper fließt, solange
eine Temperaturdifferenz existiert. Wenn man aber schon die Entropie einführt, wie es der KPK tut und
was in diesem Beispiel eine Komplikation ist, dann muss man ihre Rolle bei Naturprozessen auch vollständig und richtig erklären. Gerade dies geschieht im KPK nicht.
Expansion eines Gases ins Vakuum
Die spontane und irreversible Expansion eines Gases ins Vakuum ist ein weiteres Beispiel, an dem sich
die Eigenschaften der Entropie erläutern lassen. Im Abschnitt 2.7 über irreversible Prozesse (S. 40f) in
[5] wird dieses Phänomen auch vom KPK diskutiert (siehe Abb. 5). Bild und Unterschrift sind nicht zu
beanstanden, aber der Begleittext schon, aus dem wir im Folgenden zitieren. Zunächst bemerkt der
KPK: „Bei der Expansion eines Gases ins Vakuum entsteht Entropie.“ Dann wirft der KPK die Frage auf,
ob das Gas bei dieser Expansion wärmer oder kälter werde und stellt dabei zwei Argumente gegenüber:
„1. Es ist Entropie erzeugt worden. Wenn man einem Gas Entropie zuführt, nimmt die Temperatur zu.
2. Wir hatten früher gesehen, dass die Temperatur eines Gases abnimmt, wenn sich das Gas ausdehnt,
– vorausgesetzt allerdings, wir lassen die Entropie konstant.“ Der KPK argumentiert nun, im diskutierten Fall seien beide Effekte wirksam, aber welcher gewönne, sei nicht leicht vorauszusagen. Als Ergebnis wird angegeben: „Bei der Expansion ins Vakuum ändert sich die Temperatur eines Gases nicht. Die
beiden Effekte heben sich in ihrer Wirkung also gerade auf.“ Man könne dies „als einen Zufall betrachten“, schreibt der KPK weiter.
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Diese Diskussion der spontanen
Expansion eines Gases in das Vakuum ist in mehrfacher Weise
falsch:
Zu 1. Hier stolpert der KPK über
seine eigene Definition, dass nämlich die Entropie nur erhöht werden
kann, wenn Wärme zugeführt wird
und sich damit die Temperatur er-
Abb. 5: Der Prozess ist nicht umkehrbar. Bei der Expansion
höht. Physikalisch korrekt erhöht
ins Vakuum entsteht Entropie. Diese Abbildung entspricht
sich die Entropie aber allein wegen
Abb. 2.18 auf S. 41 in [5].
der Volumenzunahme. Die Temperatur bleibt dabei konstant. Das können nach dem KPK unterrichtete Schüler allerdings nicht wissen.
Zu 2. Hier verweist der KPK auf eine frühere Beobachtung, wo bei der Expansion eines Gases die Temperatur gesunken war. Dabei handelte es sich um eine adiabatische Expansion, bei der das Gas Arbeit
verrichtet. Der KPK betont zutreffend, dass bei einem solchen Prozess die Entropie konstant bleibt, benutzt ihn aber – für uns nicht nachvollziehbar –, um die Expansion ins Vakuum zu erklären, bei der die
Entropie zunimmt, wie der KPK schließlich selbst feststellt! Davon unabhängig sieht man sofort ein,
dass sich die Temperatur des Gases nicht verändert, weil bei der Expansion ins Vakuum keine Arbeit
nach außen verrichtet wird.
Fazit: Die beiden vom KPK behaupteten Effekte treten in der beschriebenen Situation überhaupt nicht
auf, so dass das Ergebnis, dass die Temperatur bei der Expansion konstant bleibt, keineswegs ein Zufall
ist, sondern notwendig so sein muss, wenn auch nicht aus den im KPK angegebenen Gründen. Dieses
Ergebnis gilt streng für ideale Gase.
Entropie-Leitfähigkeit
„Wovon hängt die Stärke des Entropiestroms zwischen zwei Stellen A und B ab?“ fragt der KPK auf
S. 13f in [5]. Hinter dem Konzept eines Entropiestroms steht vermutlich die Analogie etwa zu Wasseroder Elektrizitätsströmen. Beim elektrischen Strom zwischen zwei Punkten A und B hängt die Stromstärke von der Spannung zwischen A und B und der Leitfähigkeit des Drahtes ab. Die letztere berechnet
sich aus dem Querschnitt, der Länge und der spezifischen Leitfähigkeit des Drahtes. Das Konzept des
Stromes lässt sich auch direkt auf die Wärmeleitung übertragen, wobei eine materialabhängige Wärmeleitfähigkeit auftritt. Im Gegensatz zur Energie, von der die Wärme eine Form ist, ist Entropie aber
keine erhaltene Größe (sondern eine Zustandsgröße!): Bei Punkt B kommt mehr Entropie an, als bei A
abgeflossen ist, weil es sich beim Fließen um einen irreversiblen Prozess handelt, bei dem notwendi___________________________________________________________________________________________
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gerweise Entropie entsteht. Spätestens hier bricht die Analogie schon zusammen und mit ihr auch das
Konzept einer materialabhängigen Entropieleitfähigkeit. Der KPK geht auf diese physikalische Tatsache
überhaupt nicht ein, sondern gibt in Tab. 1.3 ([5], S. 14) Werte für die Entropieleitfähigkeit von Stoffen
an, indem er einfach die Wärmeleitfähigkeit durch eine willkürlich gewählte mittlere Temperatur teilt.
Dies ist nicht akzeptabel, weil dadurch abermals der fundamentale Unterschied zwischen Energie und
Entropie verschleiert wird.
Der Versuch des KPK, neben der Temperatur allein die Entropie in den Mittelpunkt des Unterrichts über
die Wärmelehre zu stellen, muss als physikalisch irreführend und immer wieder zu falschen Schlussfolgerungen führend angesehen werden. Er setzt zwei physikalisch unterschiedliche Größen gleich und
begeht damit einen elementaren Fehler. Die an den Anfang gestellte, fundamental falsche Identifikation
von Entropie und Wärme führt sofort zu Widersprüchen. Wie die oben beschriebenen Beispiele zeigen,
fallen die Autoren des KPK zum Teil selbst darauf herein, wie z.B. bei der Expansion eines idealen Gases
ins Vakuum. Wie könnte ein solcher Zugang für Schüler einfacher verständlich sein? Während die physikalisch richtige Erklärung der Entropie fehlt, dass sie nämlich über den Ablauf irreversibler Vorgänge
entscheidet und angibt, wieviele Zustände ein System einnehmen kann, führt sie der KPK unnötigerweise als Komplikation ein, wo der Begriff der Wärmemenge ausreichen würde.
Beispiel 3: Magnetische Ladungen und der Begriff des Vakuums in der
Elektrodynamik
Magnetische Ladungen
Der Band des KPK zur Elektrizitätslehre liefert ein besonders eindrückliches Beispiel dafür, wie das
Streben nach Vereinheitlichung der Darstellung durch willkürliche Analogien zu Aussagen führen kann,
die nicht nur experimentell nicht belegbar sind, sondern experimentellen Befunden eklatant widersprechen. Von Paul Dirac stammt die Spekulation, dass es magnetische Ladungen und einen magnetischen
Monopol als Elementarteilchen geben könnte. Die Existenz magnetischer Ladungen würde in den Maxwell-Gleichungen die Asymmetrie zwischen der elektrischen Feldstärke und der magnetischen Flussdichte beheben. Trotz intensiver Bemühungen ist es bislang nicht gelungen, experimentell isolierte
magnetische Ladungen nachzuweisen. Die Maxwellgleichungen (mit div B = 0) als Grundgleichungen
der Elektrodynamik haben nach wie vor ihre Gültigkeit. Ursache für magnetische Eigenschaften von
Materie sind entweder die mit den Spins gekoppelten magnetischen Dipole oder die von Stromverteilungen verursachten magnetischen Dipol- oder höheren Momente. Entgegen dieser experimentell verifizierten Tatsache, die auch in den Elektrodynamik-Unterrichtshilfen des KPK [2] anerkannt wird (S. 15),
geht der KPK in dem Lehrbuch für die Sekundarstufe 2, Band 1, Elektrodynamik [3] von der Existenz
magnetischer Ladungen aus (S. 41):
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„Magneten können sich anziehen
und abstoßen. Die Anziehung bzw.
Abstoßung geht von der magnetischen Ladung Qm aus. Die Stellen des
Magneten, an denen die magnetische
Ladung sitzt, nennt man die Pole des
Magneten. Die Maßeinheit der magnetischen Ladung ist das Weber (Wb).
Die magnetische Ladung kann, genauso wie die elektrische, sowohl
positive als auch negative Werte annehmen. Magnetisch positiv geladene Bereiche nennt man Nordpole,
magnetisch negativ geladene Südpole.“
Das könnte für einen Schüler zunächst überzeugend klingen. Aber
dann wird er fragen, wie man diese
Ladungen räumlich trennen kann, so
Abb. 6: Werden die beiden gleichartigen Magneten so zusammen-
gebracht, dass der Nordpol des einen mit dem Südpol des anderen
zusammenfällt, und der Südpol des einen mit dem Nordpol des
dass man von wirklichen Ladungen
anderen, so addiert sich die magnetische Ladung an den beiden
und nicht nur von Eigenschaften ei-
Berührungsflächen zu null. Argumentation mithilfe magnetischer
nes Stabmagneten sprechen kann.
Ladungen im KPK ([3], dort Abb. 2.1).
Das naheliegende Experiment ist, den Stabmagneten auseinander zu sägen (vgl. Abb. 6). Wie wir wissen, entstehen dabei nur zwei neue Stabmagneten und keine isolierte Ladung. Das ist kein Einzelfall,
sondern wie oben schon berichtet ist bisher die Suche nach magnetischen Monopolen erfolglos geblieben. Also gibt es für magnetische Ladungen bisher keine experimentelle Rechtfertigung.
Obwohl diese Tatsache den Autoren des KPK bekannt ist, formulieren sie in den Unterrichtshilfen [2]:
„Die Frage ist nicht, ob es magnetische Ladungen gibt oder nicht, sondern ob ihre Einführung zweckmäßig ist“. Das nun ist ein Argument, das das Vorgehen des KPK in den Augen seriöser Wissenschaftler
vollständig diskreditiert. Es ist ein offensichtliches Beispiel dafür, wie im KPK fundamentale physikalische Tatsachen zugunsten didaktischer Überzeugungen verbogen werden. Man könnte einwenden,
dass es in der Elektrostatik eine Methode zur Lösung von Potentialproblemen mit gewissen Symmetrien
der Ladungsverteilung und der Randbedingungen gibt, bei der so genannte Spiegelladungen eingeführt
werden, die experimentell auch nicht nachzuweisen sind. Wie der Name schon nahelegt, stellen diese
Spiegelladungen eine mathematische Methode zur Lösung von Randwertproblemen zur Verfügung. Die
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Spiegelladungen werden in Raumbereichen angebracht, die physikalisch nicht relevant sind, und dienen dazu, die Randbedingungen zu erfüllen. Aus ihrer mathematischen Herleitung folgt, dass das berechnete Potential nur in dem physikalisch relevanten Raumbereich gilt und nicht in den Bereichen, in
denen die Spiegelladungen sitzen. Die Arbeitsgruppe der Deutschen Physikalischen Gesellschaft ist der
Ansicht, dass auch in der Schule nur experimentell belegbare Fakten vermittelt werden dürfen und dazu
eine didaktische Methode gesucht werden muss und nicht umgekehrt physikalische „Fakten“ erfunden
werden dürfen, damit die didaktische Methode möglichst elegant wird.
Äther/Vakuum
Der KPK stellt sich die Frage ([4], S. 46): „Worin läuft die elektromagnetische Welle eigentlich? Wer oder
was fungiert hier als Träger?“ Obwohl die moderne Physik beginnend mit den Experimenten von Fizeau
sowie von Michelson und Morley die Existenz eines solchen Trägers ausgeschlossen hat, schreibt der
KPK weiter ([4], S. 46): „Daraufhin [offenbar nach diesen Experimenten] gab man ihm [dem Träger] einen neuen Namen, denn mit dem Namen Äther verbanden sich zu viele veraltete Vorstellungen. Dieser
neue Name ist ‚Vakuum’, auf Deutsch ‚das Leere’. Den Träger der elektromagnetischen Wellen nennt
man ‚Vakuum’. [...] Wenn man sagt, in einem Raumbereich befinde sich Vakuum, so meint man, dass
sich dort zwar keine Materie im Sinne der Chemie befindet, wohl aber etwas anderes: eben der Träger
der elektromagnetischen Welle. Solange keine Welle durch das Vakuum läuft, befindet sich das Vakuum
in seinem ‚Grundzustand’“.
Durch die Experimente von Fizeau bzw. von Michelson und Morley kamen die Physiker zu der Überzeugung, dass es für elektromagnetische Wellen kein bevorzugtes Bezugssystem und damit auch kein Trägermedium gibt. Dies führte zur Formulierung der speziellen Relativitätstheorie und der LorentzInvarianz, die heute mit einer relativen Genauigkeit von 10-17 experimentell überprüft ist. Der KPK argumentiert dagegen, dass durch die Experimente zwar die Bezeichnung Äther abgeschafft wurde, dass
aber trotzdem die elektromagnetischen Wellen immer noch ein Trägermedium (ähnlich wie die Schallwellen) hätten. So dargestellt, entsteht eine mindestens irreführende, wenn nicht falsche Vorstellung.
Elektromagnetische Wellen entstehen dadurch, dass zeitliche Änderungen elektrischer Felder eine
magnetische Ringspannung und zeitliche Änderungen magnetischer Felder elektrische Ringspannungen
erzeugen. Sie sind nicht, wie etwa Schall- oder Wasserwellen, Störungen eines Trägermediums, die sich
ausbreiten. Sie brauchen also weder den Äther noch das Vakuum als Trägermedium. Zwar kann man
aufgrund der Quantenfeldtheorie das Vakuum als einen modernen Nachfolger des Äthers ansehen. Ein
entscheidender Unterschied zum klassischen Äther ist aber, dass das Vakuum der Quantenfeldtheorie
Lorentz-invariant ist, damit der Relativitätstheorie genügt und somit kein Bezugssystem auszeichnet.
Die hier aufgeführten Beispiele belegen, dass der KPK nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis falsche Aussagen macht (Existenz magnetischer Ladungen oder Monopole) oder
durch unpräzise Formulierungen falsche Vorstellungen hervorrufen kann (Vakuum).
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Gutachten über den Karlsruher Physikkurs
Mangelnde Anschlussfähigkeit
Es ist die Aufgabe des Physikunterrichts, den derzeitigen Wissenstand der Physik so darzustellen, dass
die Schüler Phänomene der Natur und technische Geräte des Alltags verstehen können. Dies betrifft
Schüler, die auf ein eventuelles technisches oder naturwissenschaftliches Studium vorbereitet werden
sollen, aber insbesondere auch solche, für die der schulische Unterricht die einzige Gelegenheit ist, mit
einem zutreffenden physikalischen Weltbild ausgestattet zu werden. Dazu muss sich die Schulphysik an
die national und international gebräuchlichen Begriffe halten, die den Dialog innerhalb und außerhalb
der Physiker-Gemeinschaft überhaupt erst ermöglichen und sich bei experimenteller Überprüfung bewährt haben. Der Impulsstrom des KPK genügt diesen Anforderungen nicht, was man daran sieht, dass
dieser Begriff in gebräuchlichen national und international verbreiteten Lehrbüchern für Studierende
der Physik überhaupt nicht vorkommt. Dazu braucht man nur die Stichwortverzeichnisse verschiedener
Lehrbücher anzuschauen. Im Index des Lehrbuchs Gerthsen Physik [6] wird 14-mal auf den Begriff der
Kraft hingewiesen, aber kein einziges Mal auf einen Impulsstrom. Bei dem aus dem Amerikanischen
übersetzten Lehrbuch von Halliday [7] sieht es ähnlich aus: 13 Hinweise auf die Kraft, aber kein einziger
auf einen Impulsstrom. Weiterhin führt der KPK als Maßeinheit des Impulses die Einheit Huygens [Hy]
ein. Diese Maßeinheit kommt aber in den Lehrbüchern oder auch im Taschenbuch der Physik [8] nicht
vor. Nur der Kraft wird eine eigene Einheit, das Newton, zugeordnet. Ebenso wie auf den Impulsstrom
treffen diese Feststellungen auf die vom KPK eingeführten magnetischen Ladungen mit der ihnen zugeordneten, aber außerhalb des KPK bereits anders definierten Einheit Weber zu, oder auf die Einheit
Carnot für die Entropie. Der KPK lehrt also die Schüler Konzepte und Einheiten, mit denen sie außerhalb
ihres KPK-Unterrichts in der Schule nichts anfangen können.
Wenn Autoren meinen, die Physik müsse anders dargestellt werden, weil andere Konzepte, andere Begriffe und andere Maßeinheiten adäquater seien – wofür es gute Gründe geben mag – dann kann diese
Diskussion nur nach den seit über 400 Jahren bewährten Regeln der empirischen Naturwissenschaft
Physik geführt werden. Andernfalls kann der Anspruch, Physik wissenschaftlich fundiert darzustellen,
nicht eingelöst werden. Die Feynman Lectures [9] oder der Berkeley Physics Course [10] sind berühmte
und erfolgreiche Beispiele, wie neue Konzepte der Darstellung sogar sehr befruchtend gewirkt haben.
Der KPK ignoriert diesen Weg.
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Gutachten über den Karlsruher Physikkurs
Fazit
Konzepte wie der Impulsstrom, die magnetischen Ladungen oder das Vakuum als Träger elektromagnetischer Wellen wurden vom KPK in der durchaus löblichen Absicht in die Physik eingeführt, den Schülern das Verständnis der physikalischen Vorgänge zu erleichtern. Doch selbst wenn diese Konzepte für
die Schüler eingängiger wären, stellt das keinen Gewinn dar, denn die Schüler lernen etwas, was vom
wissenschaftlichen Standpunkt fragwürdig und teilweise nachweislich falsch ist. Ferner werden diese
Konzepte des KPK auf eine Weise formuliert, die kein anderer Techniker oder Wissenschaftler versteht.
Auf besonders eklatante Weise falsch und irreführend ist die Behauptung des KPK, die Entropie sei das,
was man „umgangssprachlich Wärme“ nenne. Die Entropie ist eine von der Energie und damit auch von
der Wärme strikt zu unterscheidende Größe, die aufgrund ihrer fundamentalen Bedeutung durchaus im
Schulunterricht vorkommen sollte. Dann muss sie aber zutreffend als diejenige Zustandsgröße eingeführt werden, die entscheidet, welche Energieumwandlungen möglich sind oder in welcher Richtung
bestimmte Vorgänge wie die Wärmeleitung oder die irreversible Ausdehnung eines Gases ablaufen.
Vom Physikunterricht in der Schule muss zumindest verlangt werden, dass er auch in der Zukunft die
Physik so darstellt, wie sie aufgebaut ist und betrieben wird: Als eine experimentelle Naturwissenschaft, die ihre Begriffe durch Messvorschriften belegt und aufgrund präziser Definitionen ihrer Konzepte zu objektivierbaren Aussagen gelangt.
Der KPK vermittelt kein zutreffendes physikalisches Weltbild. Zugunsten einer didaktischen Überzeugung führt er fragwürdige neue Konzepte ein, ignoriert oder verbiegt experimentelle Tatsachen und
nimmt irreführende Analogien ebenso wie falsche Darstellungen in Kauf. Keine physikalische Ausbildung darf sich so etwas erlauben.
Der KPK ist als Grundlage eines physikalischen Unterrichts ebenso ungeeignet wie als Leitlinie zur Formulierung physikalischer Lehr- oder Bildungspläne. Wir empfehlen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, mit allem Nachdruck dafür einzutreten, dass der KPK nicht in der physikalischen Ausbildung
verwendet wird.
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Gutachten über den Karlsruher Physikkurs
Literatur
[1] Herrmann, Friedrich: Der Karlsruher Physikkurs, ein Lehrbuch für den Unterricht der Sekundarstufe
II. Mechanik, 2. Auflage, Aulis Verlag 2010
[2] Herrmann, Friedrich: Der Karlsruher Physikkurs, ein Lehrbuch für den Unterricht der Sekundarstufe
II. Elektrodynamik Unterrichtshilfen, 4. Auflage, Aulis Verlag Deubner 2008
[3] Herrmann, Friedrich: Der Karlsruher Physikkurs, ein Lehrbuch für den Unterricht der Sekundarstufe
II. Elektrodynamik, 6. Auflage, Aulis Verlag 2010
[4] Herrmann, Friedrich: Der Karlsruher Physikkurs, ein Lehrbuch für den Unterricht der Sekundarstufe
II. Schwingungen, Wellen – Daten, 4. Auflage, Aulis Verlag 2010
[5] Herrmann, Friedrich: Der Karlsruher Physikkurs, ein Lehrbuch für den Unterricht der Sekundarstufe
II. Thermodynamik, 5. Auflage, Aulis Verlag 2010
[6] Meschede, Dieter: Gerthsen Physik, 22. völlig neu bearbeitete Auflage, Springer Verlag 2004
[7] Halliday, David, Resnick, Robert und Walker, Jearl: Physik, Bachelor-Edition, Verlag Wiley-VCH, 2007
[8] Stöcker, Horst: Taschenbuch der Physik, Verlag Harry Deutsch, 2010
[9] Feynman, Richard. P., Leighton, Robert B. und Sands, Matthew: The Feynman Lectures on Physics,
15. Auflage, Addison-Wesley 1983
[10] Kittel, Charles et al.: Berkeley Physik Kurs, 3. Auflage, Vieweg 1979
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