Daniel Brandenburg Als 1801 mit Domenico Cimarosa der letzte große italienische Opernkomponist des 18. Jahrhunderts starb, ging eine Epoche zu Ende. Alte feudale Gesellschaftsstrukturen, die bereits durch die Französische Revolution in Frage gestellt worden waren, wurden durch den Wirbelwind Napoleon, der durch ganz Europa fegte, endgültig ins Wanken gebracht, und neue Flächenstaaten, die unter französischer Herrschaft entstanden, veränderten nachhaltig das Bewusstsein der Völker. Die Mächte des Wiener Kongresses versuchten zwar nach Napoleons Niederlage und Exilierung das Rad der Geschichte noch einmal zurückzudrehen, konnten aber die neuen Nationalbewegungen nicht mehr aufhalten. Auch Italien, das seit Jahrhunderten ein Spielball der europäischen Großmächte gewesen war, begann sich den Weg zur nationalen Einheit zu bahnen. Die französische Herrschaft hatte dem Land moderne Gesetze und neue kulturelle Einflüsse gebracht, ließ aber unter den ökonomischen Belastungen der Napoleonischen Kriege die alten kulturtragenden Schichten wegbrechen. Als gesellschaftlicher Kristallisationspunkt und beliebtes Unterhaltungsmedium konnte sich auch die italienische Oper den Umbrüchen nicht entziehen. Theatergesetze nach französischem Vorbild brachten Neapel etwa zeitweise einen Spielbetrieb, der Operngattungen zu etablieren suchte, wie sie in Paris en vogue waren. Ferner wurde das Kastratentum endgültig geächtet, wodurch Giambattista Velluti zum letzten Vertreter seiner Art wurde und ein Interpretentypus, der zwei Jahrhunderte die Opernbühne beherrscht hatte, endgültig der Vergangenheit angehörte. Gleichwohl lebte die Gesangskunst der Kastraten zunächst im Gesangsstil des frühen 19. Jahrhunderts weiter, weshalb diese Epoche heute gemeinhin (aber etwas irreführend) als die des „Belcanto“ bekannt ist. Erst gegen Mitte des Jahrhunderts, als sich das herrschende Stimmideal immer mehr hin zu einer kräftigeren, romantisch-dramatischen Tongebung veränderte, gerieten der Klang und die Improvisationskunst der Kastraten allmählich in Vergessenheit. SALZBURGER FESTSPIELE PFINGSTEN 2011 Eine große Zeit der italienischen Oper 5 Mit Gioachino Rossini (1792–1868) betrat schließlich wieder ein Italiener die Opernbühne, der die Fähigkeit zu haben schien, in der Nachfolge Cimarosas an ruhmreiche Tage der italienischen Oper anzuknüpfen. Sein erster großer Erfolg, La pietra del paragone (1812, Teatro alla Scala, Mailand) wurde für ihn zum Sprungbrett für eine Karriere, im Verlauf derer er durch die überschäumenden Rhythmen und brillante Virtuosität seiner Werke ganz Europa in einen Taumel versetzte. Als er sich 1829 – eigentlich noch im besten Alter – von der aktiven Laufbahn des Opernkomponisten zurückzog, hatte Italien in Gaetano Donizetti (1797–1848) und Vincenzo Bellini (1801–1835) bereits zwei weitere Komponisten von europäischem Rang hervorgebracht. In seiner Oper Il pirata (Mailand 1827) gelang es Bellini, einen neuen Operntypus zu schaffen, der als „Melodramma romantico“ in die Geschichte einging. Zugleich wurden für die italienische Oper neue Sujets, vor allem Stoffe der französischen und englischen zeitgenössischen Literatur erschlossen und alte, nicht mehr zeitgemäße dramaturgische Strukturen endgültig durch neue ersetzt. Das aus „Rezitativ und Arie“ bestehende Szenenmodell der Opera seria des 18. Jahrhunderts wich einem komplexeren Muster, das mehr Möglichkeiten für ein abwechslungsreiches Spiel der Leidenschaften bot. Dieses, bekannt als „Scena ed Aria“, stellte die alte Nummernoper italienischer Prägung auf eine neue Grundlage. Ferner wurden die Grenzen zwischen Arie und Ensemble fließender, musikalisch und szenisch attraktive Chorszenen gewannen an Raum, Eröffnungs- und Finalszenen erhielten entsprechend dem, was vor der Jahrhundertwende bereits die Opera buffa vorgemacht hatte, mehr Gewicht. SALZBURGER FESTSPIELE PFINGSTEN 2011 Felice Romani (1788–1865) war der bedeutendste Librettist jener für die Operngeschichte so hoffnungsvollen Zeit und schuf eine große Zahl erfolgreicher Textbücher, die von allen namhaften Komponisten seiner Zeit vertont wurden. Er dichtete nicht nur den Text zu Vincenzo Bellinis Il pirata, sondern 6 auch zu Gaetano Donizettis L’elisir d’amore (1831) und Lucrezia Borgia (1833). Auch das Libretto zu Saverio Mercadantes Oper I due Figaro, die 2011 zu Pfingsten in Salzburg auf dem Programm steht, stammt aus seiner Feder. Der Komponist Saverio Mercadante wurde 1795 im apulischen Altamura geboren, gehört also der Generation Gaetano Donizettis an. Obwohl er zu seiner Zeit berühmt und als musikalische Autorität geachtet war, ist dieser Musiker heute eigentlich nur noch Fachleuten bekannt. Für seinen Nachruhm abträglich war wahrscheinlich, dass er seine Karriere in der Nachfolge eines übermächtigen Rossini begann, sich dann an der Popularität eines Vincenzo Bellini messen lassen musste und sich schließlich im reifen Alter der Konkurrenz eines weiteren großen Operntalents ausgesetzt sah: Giuseppe Verdi. Ungeachtet dessen gehört Saverio Mercadante nicht nur aufgrund seiner Vielseitigkeit zu den bedeutendsten italienischen Komponisten des 19. Jahrhunderts. Ausgebildet in Neapel, konnte er bereits 1819 am Teatro San Carlo einen ersten großen Erfolg als Opernkomponist feiern. Wenige Jahre später machte er auch international von sich reden: Auf Betreiben des Impresario Domenico Barbaja, der damals auch das Kärntnertortheater leitete, gastierte er 1824 in Wien, allerdings mit wenig Erfolg. Die neapolitanisch geprägte musikalische Sprache seiner ernsten Opern wurde an Rossinis Errungenschaften gemessen und von den Wiener Kritikern als „rückständig“ bezeichnet. Dieser Tadel bewog Mercadante, sich verstärkt an Vincenzo Bellini und dem von ihm verwirklichten Melodramma romantico zu orientieren, ein für die Weiterentwicklung seines Personalstils entscheidender Schritt mit weitreichenden Folgen. Der komischen Oper widmete sich Mercadante in größeren zeitlichen Abständen bis in die späten 1830er Jahre. Sein Melodramma buffo I due Figaro, dessen Libretto von Romani auf der Grundlage einer Komödie verfasst wurde, die ihrerseits Motive Beaumarchais’ verwendete, erlebte seine Uraufführung 1835 in Madrid und zeigt auf anschauliche Weise, dass die Buffa-Werke Rossinis keineswegs die letzten einer ruhmreichen Gattungsgeschichte waren. Mercadantes I due Figaro ist eine interessante Wiederentdeckung, die neue Einblicke in eine große Zeit der italienischen Oper gewährt.