Gemüse – alles andere ist Beilage

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Gemüse – alles andere ist Beilage
Würden Schweizer den Fleischkonsum reduzieren, sänken die Treibhausgasemissionen stark
Hauptmerkmale, Mengen pro Woche
Veganer
Ovo- LactoVegetarier
Ovo- LactoPescetarier
Flexitarier
Schweizer
Durchschnitt
Fleischreiche
Ernährung
Proteienreiche
Ernährung
Ernährung ohne Fleisch, Milchprodukte
und Eier, ausschliesslich pflanzliches
Protein aus Tofu, Hülsenfrüchten etc.
Doppelt so viele Früchte und Gemüse
wie der CH-Durchschnitt.
5000
6000
7000
8000
9000
10 000
11000
12 000
Treibhausgasemissionen,
umgerechnet in
Autokilometer pro Jahr
Ernährung ohne Fleisch und Fisch, aber
mit 21 Portionen Milchprodukten, 4 Eiern
und wenig pflanzlichen Proteinen.
30% mehr Gemüse und 25% mehr
Früchte als der CH-Durchschnitt.
Ernährung ohne Fleisch, aber mit
270 gr Fisch, 21 Portionen Milchprodukten,
4 Eiern und wenig pflannzlichen Proteinen.
30% mehr Gemüse und 25% mehr Früchte
als der CH-Durchschnitt.
Ernährung mit wenig tierischem Eiweiss:
300 gr Fleisch, 70 gr Fisch,
21 Portionen Milchprodukte und 3 Eier.
20% mehr Gemüse und 10% mehr Früchte
als der CH-Durchschnitt.
1 kg Fleisch, 21 Portionen Milchprodukte,
3,5 Eier. Wenig pflanzliche Proteine,
1,4 kg Gemüse und 0,8 kg Früchte.
Ernährung mit sehr hohem
Anteil an tierischem Eiweiss:
2 kg Fleisch, 5,5 Eier, 21 Portionen
Milchprodukte. Halb so viel Gemüse
wie der CH-Durchschnitt.
Sieben Ernährungsstile und ihre Umweltbelastung
Ernährung mit sehr hohem
Anteil an tierischem Eiweiss:
1,5 kg Fleisch, 9 Eier,
30 Portionen Milchprodukte und Molkepulver.
Halb so viel Gemüse wie der CH-Durchschnitt.
Joachim Laukenmann
Beim Stichwort «Umweltsünder»
denken viele an qualmende Auspuffrohre, Kondensstreifen am
Himmel oder an fossil beheizte
Gebäude. Wenigen kommt das
in den Sinn, was vor ihnen auf
dem Teller landet. Dabei trägt
die menschliche Ernährung rund
30 Prozent zur gesamten Umweltbelastung bei. Das entspricht in
etwa der Umweltbelastung der Mobilität (12 Prozent) und des Wohnens (19 Prozent) zusammen.
«Die Schweizer Bevölkerung
weiss zu wenig darüber, welches
die relevanten Umweltfaktoren
sind», sagt Christoph Meili, Ökobilanzexperte beim WWF Schweiz.
«Daher wollten wir erstmals für
die Schweiz die Umweltbelastung
verschiedener Ernährungsstile
untersuchen.» Demnach machen
Fleisch, Fisch, Milchprodukte und
Eier rund die Hälfte der ernährungsbedingen Umweltschäden
aus. «Der Verzehr von Pflanzen ist
wesentlich umweltschonender und
verursacht weniger Treibhausgasemissionen.»
Um die Umweltfolgen der Ernährung in Relation zu setzen, vergleicht der WWF die Studienre-
sultate mit Autokilometern. Wer
zum Beispiel wie im Schweizer
Durchschnitt rund ein Kilogramm
Fleisch pro Woche verzehrt, verursacht im Jahr Treibhausgasemissionen, die umgerechnet 1800 Kilogramm CO2 entsprechen. Die
gleiche Menge bläst ein durchschnittlicher Privatwagen in die
Luft, der 9200 Kilometer zurücklegt. Ein Flexitarier, der sich vorwiegend vegetarisch ernährt und
nur gelegentlich tierische Produkte zu sich nimmt, kommt auf jährliche Emissionen, die 7500 Autokilometern entsprechen, bei einem
Veganer sind es 5600 Kilometer.
Landnutzung und Pestizide
sind ebenfalls relevant
Eine einfache Rechnung zeigt:
Würden alle Schweizer auf Fleisch,
aber nicht auf Eier und Milch verzichten, sich also wie ein Ovo-Lacto-Vegetarier ernähren, würde das
die Treibhausgasemissionen pro
Kopf und Jahr um rund 450 Kilogramm senken. Das entspräche
einer Reduktion der Treibhausgasemissionen im Privatverkehr um
fast ein Viertel.
Autor der Studie ist der Umweltingenieur Niels Jungbluth,
Chef der Firma ESU-Services, die
Bei der Produktion, dem Transport und der Lagerung von Nahrungsmitteln sowie bei der
Futtermittelherstellung und der Tierhaltung werden Treibhausgase freigesetzt, die Umwelt
und Klima belasten. Je nach Ernährungsstil schlägt das mehr oder weniger stark zu Buche.
Die in der Studie berechnete Umweltbelastung lässt sich in Autokilometer umrechnen.
SoZ Candrian; Quelle: Esu-services, WWF
Das erlaubt einen Vergleich zwischen Ernährung und Mobilität.
sich auf Ökobilanzen spezialisiert
hat. «Erstmals haben wir in der
Studie auch jenen Anteil der Nahrungsmittel berücksichtigt, der verloren geht», sagt Jungbluth. Denn
rund ein Drittel der erzeugten Lebensmittel erreicht die Mägen der
Schweizer nicht, trägt aber gleichwohl zur Umweltbelastung bei.
Berechnet hat Jungbluth zum
einen die sogenannten Umweltbelastungspunkte. Das ist eine sehr
umfassende Ökobilanz, in die auch
Aspekte wie die Landnutzung und
der Einsatz von Pestiziden einfliessen. In einer zweiten Berechnung
hat er die mit den Ernährungs­stilen
assoziierten Treibhausgasemissionen aufsummiert.
«Da diese Bilanzen jeweils andere Faktoren stärker gewichten,
weichen die Resultate leicht voneinander ab», sagt Jungbluth. «Die
Schlussfolgerungen beider Betrachtungswinkel gehen aber in die
gleiche Richtung: Eine fleisch­
reiche Ernährung belastet die Umwelt fast doppelt so stark wie die
vegetarischen Ernährungsstile.»
Aus Sicht des Bundesamts für
Umwelt (Bafu) ist die Studie «eine
interessante Diskussionsgrund­
lage.» Als Kurzstudie konzipiert,
würden aber zahlreiche Verein­
fachungen gemacht. «So wurden
der Gesundheitsaspekt und die
notwendige Kalorienzufuhr ausser
Acht gelassen», sagt Ruth Freiermuth von der Abteilung Ökonomie und Umwelt­
beobachtung
beim Bafu. «Dies verzerrt das Ergebnis zugunsten des Veganers.»
Ab 600 Gramm Fleisch
pro Woche wird es heikel
In der Schweiz ernähren sich zwei
bis drei Prozent der Bevölkerung
vegetarisch, etwa ein Zehntel davon vegan. Bei veganer Ernährung
erhöhen sich die Risiken für eine
Mangelernährung. «Hier braucht
es viel Wissen, damit man nichts
falsch macht», sagt Meili vom
WWF. «Wir fordern auch keine vegane Ernährung, sondern einen
gesunden Umgang mit tierischen
Produkten.»
Schon die Ernährung als Flexitarier biete im Vergleich zu einem
hohen Fleischkonsum erhebliche
Vorteile für die Umwelt. Gemäss
dem sechsten Schweizerischen Ernährungsbericht kann von den verschiedenen Formen des Vegetarismus die ovo-lacto-vegetarische Variante für gesunde Erwachsene als
ausgewogene Ernährungsweise betrachtet werden.
Meili betont, dass nicht nur der Veganismus, sondern auch der hohe
Fleischkonsum der Schweizer mit
Gesundheitsrisiken verknüpft sei.
«Die Schweizerische Gesellschaft
für Ernährung sagt, dass es ab 600
Gramm Fleisch pro Woche aufwärts heikel wird für die Gesundheit.» Eine Ausnahme sind laut
neuesten Studien ältere Personen.
Um Muskelschwund entgegenzuwirken, sollten sie tendenziell mehr
Milch, Eier und Fleisch verzehren.
Trotz gewisser Einwände zeigt
die Studie gemäss Bafu, dass bei
der Ernährung ein wichtiges Potenzial zur Reduktion der Umwelt­
belastung besteht. «Neben einer
Umstellung der Ernäh­rung gehört
auch die Verringerung von Lebensmittelverschwendung dazu», sagt
Freiermuth. «Dafür setzt sich das
Bafu aktiv ein.» Ernährungsempfehlungen gebe das Bafu aber keine ab.
«Mit der Studie wollen wir die
Umweltbelastung der Ernährung
nicht gegen andere Sektoren ausspielen», sagt Meili vom WWF. In
jedem Sektor – Mobilität, ­Wohnen,
Konsum und öffentliche Dienstleistung – müsse die Umweltbelastung sinken. Aber eben auch bei
dem, was auf den Teller komme.
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