WIRTSCHAFT UND FINANZMÄRKTE AU S B L I C K 2 0 1 5 EIN VERHALTENER AUFSCHWUNG WIRTSCHAFT UND FINANZMÄRKTE AU S B L I C K 2 0 1 5 EIN VERHALTENER AUFSCHWUNG Autoren: Wolf-Fabian Hungerland, Telefon +49 40 350 60-8165, [email protected] Cornelia Koller, Telefon +49 40 350 60-198, [email protected] Wolfgang Pflüger, Telefon +49 40 350 60-416, [email protected] Dr. Jörn Quitzau, Telefon +49 40 350 60-113, [email protected] Peter Reichel, Telefon +49 69 9130 90-213, [email protected] Dr. Holger Schmieding, Telefon +44 20 3207-7889, [email protected] Dr. Christian Schulz, Telefon +44 20 3207-7878, [email protected] Abgeschlossen am 05. Dezember 2014 Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des § 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche oder finanzielle Beratung. Die gemachten Angaben wurden nicht durch eine außenstehende Partei, insbesondere eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, geprüft. Alle Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen, die wir für vertrauenswürdig halten. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit sämtlicher Angaben übernehmen wir dennoch keine Gewähr. Wir weisen ausdrücklich auf den angegebenen Bearbeitungsstand hin. Angaben können sich durch Zeitablauf und/oder infolge gesetzlicher, politischer, wirtschaftlicher oder anderer Änderungen als nicht mehr zutreffend erweisen. Wir übernehmen keine Verpflichtung, auf solche Änderungen hinzuweisen und/oder eine aktualisierte Präsentation zu erstellen. Für den Eintritt der in der Präsentation enthaltenen Prognosen oder sonstigen Aussagen über Renditen, Kursgewinne oder sonstige Vermögenszuwächse übernehmen wir keine Haftung. Wir weisen darauf hin, dass frühere Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung sind. Zur Erklärung verwandter Fachbegriffe steht Ihnen auf www.berenberg.de/glossar ein Online-Glossar zur Verfügung. Die gewerbliche Nutzung in Form eines Nachdrucks, der – auch teilweisen – Vervielfältigung sowie der Weitergabe der Studie ist ohne unsere ausdrückliche schriftliche Genehmigung nicht gestattet. Stand: Dezember 2014. INHALT Teil 1 Ausblick in Kürze 1 Teil 2 Ein verhaltener Aufschwung 2 I. Es regiert die Vorsicht 2 II. Rückblick 2014: Die Überraschungen des Jahres 3 III. Wirtschaftsprognosen im Überblick 6 IV. Ein Blick auf die Risiken 10 V. 14 Märkte: Etwas Spielraum nach oben Teil 3 Im Fokus Der Streit um die Politik der EZB Teil 4 Ausgewählte Regionen 15 15 17 I. USA: Warten auf höhere Löhne 17 II. Europa: Im Schatten vom Putin 19 1. Eurozone: Vorübergehende Wachstumsdelle 19 2. Großbritannien: Milde Abschwächung 25 3. Schweiz: Wachstum trotz Verunsicherung 26 III. Japan: 2015 – das Jahr der Entscheidungen 28 IV. Schwellenländer 32 1. China, Brasilien und Indien 32 2. Osteuropa: Wachstum trotz Ukraine-Krise 38 Teil 5 Kapital-, Devisen- und Rohstoffmärkte 48 I. Aktien: Im Bann der Notenbanken 48 II. Anleihen: Gegenläufige Geldpolitik 52 1. Preisentwicklung 52 2. Geldpolitik 55 3. Zinsen 2015: Ganz langsam aufwärts 58 III. Währungen: Im Griff der Geldpolitik 60 1. US-Dollar 60 2. Japanischer Yen 61 3. Schweizer Franken 62 4. Britisches Pfund 64 5. Debatte: Mal wieder Währungskrieg? 64 IV. Rohstoffe: 2014 war kein gutes Jahr für die Anleger 66 1. Öl 67 2. Edelmetalle 68 3. Industriemetalle 71 Teil 6 Kapitalmarktstrategie 73 I. II. Aktien 73 1. Regionen 74 2. Sektoren 77 Anleihen 78 III. Alternative Investments 81 IV. Liquidität 83 V. 84 Kapitalmarktprognosen TEIL 1 AUSBLICK IN KÜRZE Sechs Jahre nach der großen Finanzkrise regiert weiterhin die Vorsicht das Verhalten vieler Menschen. In der gesamten westlichen Welt beobachten wir, dass Haushalte weniger Kredit aufnehmen, Unternehmen weniger investieren und Arbeitnehmer sich bei Lohnabschlüssen mehr zurückhalten als in früheren Konjunkturaufschwüngen. Im Zeichen der Vorsicht Im Aufschwung ohne Überschwang bleibt der Preisauftrieb sehr verhalten. Die Konjunktur stößt vorläufig nicht an Grenzen. Allerdings hat die Vorsicht auch eine Schattenseite. Da die Angst vor Rückschlägen ausgeprägt ist, können schon kleine Anlässe neue Turbulenzen auslösen. Der Aufschwung ist störanfälliger als üblich. Aufschwung ohne Überschwang Insgesamt blicken wir mit verhaltener Zuversicht ins neue Jahr. Die Weltkonjunktur kann etwas an Schwung gewinnen. Auch der Rückgang der Ölpreise wird die Kaufkraft in den westlichen Ländern sowie den Schwellenländern stützen, die nicht auf Erlöse aus dem Verkauf von Rohstoffen angewiesen sind. Verhaltene Zuversicht In den USA und Großbritannien zeigt der Konjunkturpfeil dank der aggressiven Geldpolitik der vergangenen Jahre weiterhin klar nach oben. In Japan könnte dagegen das Wachstum trotz einer aggressiven Geldpolitik schwach bleiben, sofern das Land nicht doch noch auf weitreichende Strukturreformen setzt. Reformen in Japan? In der Eurozone hat der russische Angriff auf die Ukraine im Frühjahr einen Vertrauensschock ausgelöst, der die Investitionskonjunktur in Deutschland und einigen anderen Ländern Kerneuropas ins Stocken gebracht hat. Wir rechnen damit, dass dieser Vertrauensschock langsam nachlässt und die Konjunktur in Kerneuropa im Laufe des kommenden Frühjahres wieder Tritt fassen kann. Während einstige Krisenstaaten am Rande der Eurozone begonnen haben, die Früchte ihrer Reformen zu ernten und zu Deutschland aufzuschließen, fällt Reformmuffel Frankreich weiter zurück. Eurozone: Reformstaaten holen auf Für China zeichnen sich Zuwächse der Wirtschaftsleistung um gut 7,1 % ab, mit langsam nachlassender Dynamik. Falls es notwendig werden sollte, wird China weiterhin alle Register der Konjunkturpolitik ziehen, um eine harte Landung zu vermeiden. In Indien hat der Wahlsieg Modis neue Reformhoffnungen geweckt. China: langsam nachlassende Dynamik Auf ein Risiko werden wir 2015 besonders achten: Was macht ein angeschlagener Bär? Sollte ein wirtschaftlich geschwächtes Russland einen neuen Krieg gegen die Ukraine beginnen, könnte der Vertrauensschock unsere Konjunktur erneut kräftig erschüttern. Allerdings würde ein solcher Konflikt Russland in eine noch tiefere Rezession stürzen. Die Risiken bleiben erheblich, gerade in Russland Bei schwachem Inflationsdruck ist das Zusammenspiel aus weiterhin niedrigen Zinsen und einer sich langsam kräftigenden Konjunktur fundamental positiv. Insgesamt sehen wir deshalb auch für viele Finanzmärkte noch etwas Spielraum nach oben. Allerdings können die sich abzeichnende Zinswende in den USA sowie politische Risiken in Europa immer mal wieder kurze Rückschläge auslösen. Etwas Spielraum nach oben 1 TEIL 2 EIN VERHALTENER AUFSCHWUNG (Dr. Holger Schmieding) I. Es regiert die Vorsicht Mit verhaltener Zuversicht ins neue Jahr Auch sechs Jahre nach der großen Finanzkrise prägt die Erinnerung an diese Jahrhundertkatastrophe weiterhin das Verhalten der Menschen. In der gesamten westlichen Welt beobachten wir, dass Haushalte weniger Kredit aufnehmen, Unternehmen weniger investieren und Arbeitnehmer sich bei Lohnabschlüssen mehr zurückhalten, als dies in früheren Konjunkturaufschwüngen der Fall war. Nach den gelegentlichen Übertreibungen vergangener Jahrzehnte regiert jetzt die Vorsicht. Das Ergebnis ist ein Aufschwung ohne Überschwang, in dem der Preisauftrieb außerordentlich verhalten bleibt. Mangels Inflationsdruck sind auch die Leitzinsen der Notenbanken so niedrig wie nie zuvor; der Wunsch der Anleger nach sicheren Häfen für ihr Erspartes drückt sich in hohen Kursen und damit niedrigen Renditen für besonders gefragte Staatsanleihen aus. Dynamische Binnennachfrage in den USA und Großbritannien Die USA und Großbritannien erfreuen sich bereits seit fast sechs Jahren eines ununterbrochenen Wiederaufschwungs nach der Lehman-Krise. In diesen Ländern hat die Binnenkonjunktur eine Dynamik erreicht, die es den Notenbanken erlauben sollte, etwa Mitte 2015 ihre Leitzinsen erstmals wieder vorsichtig anzuheben. Aber auch in diesen Ländern bleibt – ähnlich wie in Deutschland – trotz weitgehender Vollbeschäftigung der Inflationsdruck gering. Ein Aufschwung ohne Exzesse kann lange dauern Die Vorsicht, die das Verhalten der Menschen prägt, hat einen großen Vorteil: Die Konjunktur stößt vorerst nicht an Grenzen. Da sich bisher keine neuen Exzesse zeigen, die dereinst durch eine schmerzhafte Rezession bereinigt werden müssten, kann der Aufschwung länger anhalten, als dies früher der Fall war. Ausgeprägte Angst vor einem Rückschlag Aber die große Vorsicht hat auch einen Nachteil, der sich besonders in Deutschland und der Eurozone zeigt: Da hier der Aufschwung zudem zwischenzeitlich durch die Eurokrise unterbrochen wurde, ist bei uns die Angst der Menschen vor einem erneuten Rückschlag besonders ausgeprägt. Entsprechend genügen schon Anlässe, die wirtschaftlich eigentlich keine überragende Bedeutung haben sollten, um Unternehmen erneut zu verunsichern. So hat im Frühjahr 2014 der russische Angriff auf die Ukraine in Deutschland einen Vertrauensschock ausgelöst, der den deutschen Aufschwung für mehr als ein halbes Jahr ins Stocken gebracht hat, da verunsicherte Unternehmen Investitionen zurückgestellt haben. Dieser Schock sollte im Laufe des kommenden Jahres nachlassen. Dann kann der deutsche Aufschwung wieder an Fahrt gewinnen. Billigeres Öl ist gut für die Welt Neben der großen Vorsicht in der westlichen Welt prägt ein weiterer Trend den Ausblick für die Weltwirtschaft. Bei reichlicher werdendem Angebot haben die lange Zeit außerordentlich hohen Preise für Rohstoffe erheblich nachgegeben, gerade für Öl und Gas. Das ist gut für die Welt. Es bringt aber einige Schwellenländer in Bedrängnis, die vor allem Rohstoffe ausführen, aber keine echte industrielle Substanz haben. 2 II. Rückblick 2014: Die Überraschungen des Jahres Bevor wir unseren Ausblick für 2015 erläutern, lohnt sich ein kurzer Rückblick auf das Jahr 2013. Insgesamt erreichte die Weltwirtschaft nach den bisher vorliegenden Zahlen ein Wachstum von 2,4 %. Das entspricht zwar genau dem Zuwachs des Vorjahres, bleibt aber hinter den 2,8 % zurück, die wir vor einem Jahr vorhergesagt hatten (Tabelle 1). Etwas weniger Wachstum als gedacht Die USA hatte es Anfang 2014 zunächst eiskalt erwischt. In weiten Teilen des Landes war der letzte Winter so hart wie selten zuvor. In Chicago mussten angesichts der Eiseskälte sogar die Eisbären aus dem Freigehege in feste Zoogebäude gebracht werden. Auch ein Teil der üblichen Wirtschaftsaktivität fror ein. Obwohl sich die Konjunktur mit der Schneeschmelze im Frühjahr kräftig erholt hat, konnten die USA nicht alle Verluste des Winters ausgleichen. Deshalb hat das Wachstum im Gesamtjahr 2014 wohl nur 2,3 % statt der von uns erwarteten 2,7 % erreicht. Allerdings geht die USKonjunktur nach den vorliegenden Zahlen mit kräftigem Schwung ins Jahr 2015. Die USA hat es eiskalt erwischt – im Winter Die größte Überraschung hat uns in diesem Jahr die deutsche Konjunktur beschert. Bis zum April konnte sich Deutschland eines kräftigen Aufschwungs mit Zuwachsraten von gut 2 % gegenüber dem Vorjahr erfreuen. Ab Mai ist dann der Aufschwung abrupt abgebrochen. Die vorliegenden Zahlen deuten darauf hin, dass die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum jeweiligen Vorquartal seitdem kaum noch zugenommen hat. Während die Ausfuhren und der private Verbrauch weiter kräftig zulegen konnten, haben Unternehmen ihre Ausrüstungsinvestitionen zurückgefahren und ihre Lagerbestände abgebaut. Dies ist die typische Reaktion auf einen Vertrauensschock. Offenbar haben Russlands gewaltsamer Griff nach Teilen der Ukraine und die Diskussion um die zur Abschreckung weiterer russischer Angriffe nötigen Sanktionen viele Unternehmen in Deutschland verängstigt und zu einem sehr vorsichtigen Verhalten veranlasst. Entsprechend ist das deutsche Wachstum in 2014 mit etwa 1,5 % weit hinter unserer ursprünglichen Vorhersage von 2,1 % zurückgeblieben. Putin hat uns für einige Zeit einen Strich durch die Rechnung gemacht. Putin-Schock: abrupter Einbruch der deutschen Investitionskonjunktur Der Blick auf unsere alten und neuen Wachstumsprognosen für 2014 unterzeichnet das Ausmaß des deutschen Wachstumseinbruchs seit Mai 2014. Denn das Jahresergebnis wird auch durch die Dynamik geprägt, mit der die Konjunktur das Vorjahr beendet. Der volle Putin-Effekt zeigt sich auch darin, dass wir unsere Prognose für 2015 als Folge der mangelnden Dynamik zum Jahreswechsel von 2,3 % auf 1,2 % gesenkt haben. Der Putin-Effekt wird auch den Start ins Jahr 2015 prägen Der Putin-Schock hat große Teile Kerneuropas getroffen, Österreich und Finnland sogar noch mehr als Deutschland. Auch für die Schweiz, Schweden und Italien haben wir nach der Eskalation der Lage in der Ostukraine im August 2014 unsere Konjunkturprognosen deutlich zurücknehmen müssen. Dagegen blieben weiter westlich gelegene Länder wie Frankreich und Spanien weitgehend von diesem Schock verschont, auch wenn die schwächere Nachfrage in Deutschland sowie der heimische Reformstau durchaus auch auf der französischen Konjunktur gelastet haben. Großbritannien konnte dank seiner recht robusten Binnenkonjunktur unsere Erwartungen sogar etwas übertreffen. In Japan ist dagegen mangels echter Strukturreformen der kurzzeitige Stimulus, Gespaltene Konjunktur 3 den Premierminister Abe dem Land durch eine neue Liquiditätsschwemme und einen schwächeren Wechselkurs verpasst hatte, noch schneller verpufft als erwartet. Die höhere Mehrwertsteuer hat dazu im April 2014 die Wackelkonjunktur so stark belastet, dass Japan im Jahr 2014 weit unter den Erwartungen geblieben ist. Zwiespältiges Bild bei Schwellenländern Bei den Schwellenländern zeigt sich ein sehr zwiespältiges Bild. Die großen Länder China und Indien konnten so stark expandieren, wie wir das vor einem Jahr vorhergesagt hatten. Auch 2014 hat China erneut alle Pessimisten Lügen gestraft, die seit Jahren eine harte Landung für das Reich der Mitte vorhersagen. Chinas neue Wirtschaftslenker haben es zwar bewusst zugelassen, dass sich die Dynamik Anfang 2014 zunächst abgeschwächt hatte. Aber im Frühjahr haben sie angesichts anhaltend niedriger Inflationsraten mit einem Mini-Stimulus die Konjunktur etwas belebt. In Indien hat der neue Premierminister Modi weitreichende Reformen angekündigt, die dem Land auf Dauer mehr Dynamik verleihen könnten. Tab. 1: Wachstumsprognosen im Check – Was hat sich geändert? Prognose für 2014 Welt Prognose für 2015 Dez. 2013 Aktuell Dez. 2013 Aktuell 2,8 2,4 3,0 2,6 USA 2,7 2,3 2,8 3,0 Japan 1,8 0,1 1,2 0,7 China 7,4 7,4 7,2 7,1 Indien 5,3 5,3 5,8 5,8 Lateinamerika 2,0 1,1 2,5 1,8 Europa 1,8 1,2 2,2 1,2 Eurozone 1,2 0,8 1,7 0,9 Deutschland 2,1 1,5 2,3 1,2 Frankreich 0,8 0,3 1,4 0,6 Italien 0,5 -0,4 1,3 0,2 Spanien 1,4 1,2 1,9 1,4 2,6 3,0 3,0 2,9 Anderes Westeuropa Großbritannien Schweiz 2,3 1,7 2,7 2,0 Schweden 2,4 1,7 2,6 1,7 Russland 2,5 0,5 2,5 -1,0 Türkei 4,0 3,0 4,5 3,3 Osteuropa Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: alte Prognosen aus „Wirtschaft und Finanzmärkte: Im Aufschwung; Jahresausblick 2014“, Berenberg, 06.12.2013. 4 Die schlimmste Nachricht des Jahres kam aus Moskau. Mit der völkerrechtswidrigen Invasion und Annexion der Krim und dem anschließenden Angriff auf die Ostukraine hat Russlands Präsident Putin dem Frieden in Europa und seiner eigenen Wirtschaft schwer geschadet. Mehr noch als die bisher eher symbolischen Sanktionen lasten Kapitalflucht und Unsicherheit auf dem Land. Statt ein nahezu normales Wachstum von 2,5 % erreichen zu können, scheint Russland immer mehr in eine Rezession abzugleiten. Moskau bedroht den Frieden in Europa Neben den Kosten des Krieges, der Kapitalflucht sowie den Sanktionen und Gegensanktionen machen Russland auch die niedrigeren Ölpreise zu schaffen. Geringere Erlöse aus dem Verkauf von Rohstoffen sind auch ein Grund für die anhaltenden Probleme in Brasilien, dem größten Land Lateinamerikas, für das wir unsere Vorhersagen ebenfalls gesenkt haben. Trotz erheblicher politischer und wirtschaftlicher Probleme ist dagegen die Türkei im Jahr 2014 halbwegs glimpflich davongekommen. Der Einbruch der Ölpreise macht Russland zu schaffen Der Rückgang der Energiepreise und der Putin-Schock für die Konjunktur in Kerneuropa haben zudem für eine weitere Überraschung in der Eurozone gesorgt. Inmitten einer verbreiteten Inflationsfurcht in Deutschland haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder erläutert, weshalb die Politik der Europäischen Zentralbank gegen die Lehman- und Eurokrise nicht zu Inflation führen wird. Im Nachgang großer Finanzkrisen ist die Nachfrage nach Liquidität so groß, dass ein vermehrtes Angebot solcher Liquidität keinen inflationären Konsumrausch auslösen kann. Stattdessen halten sich Unternehmen und Haushalte eher zurück, auch der Lohndruck bleibt nach dem Schock der Finanzkrise eher verhalten. Keine Spur von einer echten Inflation Dennoch hat uns die Inflationsrate überrascht – allerdings nach unten: Im Jahr 2014 hat der Preisauftrieb noch mehr nachgelassen, als wir geglaubt hatten. In der Eurozone ist die Inflationsrate zuletzt auf nur noch 0,3 % gefallen. Gegenüber unseren Vorhersagen von Anfang Dezember 2013 haben wir deshalb unsere Prognosen für den Preisauftrieb im Jahr 2014 für die Eurozone von 1,1 % auf 0,4 % und für Deutschland von 1,5 % auf 0,8 % gesenkt. Die sinkende Inflation hat der Europäischen Zentralbank Spielraum gegeben, ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Im Dezember 2013 hatten wir das nicht erwartet. Als Ergebnis sind auch die Anleiherenditen in der Eurozone noch einmal zurückgegangen, statt für Deutschland leicht anzusteigen und für Italien und Spanien in etwa stabil zu bleiben, wie wir das im Dezember 2013 vorhergesagt hatten. Als kleinen Trost für Sparer, die unter Niedrigstzinsen leiden, können wir nur darauf hinweisen, dass bei geringerem Preisauftrieb die Kaufkraft der Ersparnisse größer ist, als es sonst der Fall gewesen wäre. Preisauftrieb sogar noch geringer als erwartet 5 III. Wirtschaftsprognosen im Überblick Die Zeit heilt manche Wunden Nachdem die USA im September 2008 die Pleitebank Lehman Brothers über Nacht geschlossen hatten, anstatt sie ordnungsgemäß abzuwickeln, hat eine Serie von Finanzkrisen die westliche Welt erschüttert. Langsam heilt die Zeit viele der zwischenzeitlich geschlagenen Wunden. Alles in allem kehren Wirtschaft und Finanzmärkte schrittweise zu einer gewissen Normalität zurück. Allerdings hinkt die Eurozone, die zwischenzeitlich von der Eurokrise und dem Putin-Schock getroffen wurde, der Entwicklung in anderen Regionen der Welt derzeit spürbar hinterher. Wir erwarten, dass die Eurozone im Laufe des Jahres 2015 den vor allem geopolitisch bedingten Rückschlag des Jahres 2014 langsam überwinden kann. Damit kann die Welt 2015 und 2016 insgesamt jeweils ein etwas höheres Wachstum erreichen. Tab. 2: Wirtschaftsprognosen im Überblick BIP-Zuwachs Gewicht 2014 2015 2016 Welt 100 2,4 2,6 2,8 USA 22,8 2,3 3,0 Japan 6,8 0,1 China 12,2 7,4 Indien 2,4 Lateinamerika Inflation Arbeitslosigkeit Staatshaushalt 2014 2015 2016 2014 2015 2016 2014 2015 2016 2,8 1,6 1,4 1,9 6,2 5,5 5,0 -5,5 -4,3 -4,0 0,7 1,3 2,8 1,3 0,6 3,6 3,5 3,5 -7,8 -6,5 -5,5 7,1 6,8 2,0 2,2 2,7 4,1 4,3 4,3 -2,1 -2,0 -1,5 5,3 5,8 6,0 8,0 7,5 7,5 -6,9 -6,5 -6,0 7,9 1,1 1,8 2,2 6,0 6,0 5,5 -3,5 -3,5 -3,5 Europa 30,0 1,2 1,2 1,8 Eurozone 17,3 0,8 0,9 1,7 0,4 0,3 0,9 -2,7 -2,7 -2,3 Deutschland 4,9 1,5 1,2 2,1 0,8 0,6 1,1 5,0 4,7 4,4 0,1 0,1 0,0 Frankreich 3,7 0,3 0,6 1,3 0,6 0,5 0,8 10,4 10,5 10,4 -4,4 -4,5 -3,6 Italien 2,8 -0,4 0,2 1,0 0,2 0,5 1,0 12,8 13,0 12,6 -3,0 -2,7 -2,2 Spanien 1,8 1,2 1,4 2,0 -0,1 -0,1 0,4 24,5 22,5 20,5 -5,7 -4,4 -2,9 Großbritannien 3,4 3,0 2,9 2,9 1,5 1,3 1,9 6,2 5,6 5,1 -4,9 -4,0 -2,7 Schweiz 0,9 1,7 2,0 2,2 0,1 0,3 0,6 3,2 3,3 3,3 0,6 0,8 0,8 Schweden 0,8 1,7 1,7 2,2 -0,1 0,9 1,3 8,0 7,8 7,6 -2,0 -0,9 -0,3 Russland 2,9 0,5 -1,0 -0,5 7,7 9,0 8,5 5,5 6,4 6,5 -1,5 -2,0 -2,0 Türkei 1,1 3,0 3,3 3,5 9,0 8,0 7,0 9,5 9,3 9,3 -2,1 -2,0 -2,0 11,6 11,2 10,7 Anderes Westeuropa Osteuropa Staatshaushalt: in % des BIP, Rest: Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: Berenberg. 6 USA: Robuster Aufschwung In den USA hat sich der konjunkturelle Ausblick im Laufe der vergangenen zwei Jahre spürbar aufgehellt. Nach einem unerwartet harten Winter hat die US-Konjunktur im Frühjahr 2014 wieder so viel Fahrt aufgenommen, dass die US-Notenbank ihre Anleihekäufe schrittweise verringern und im November 2014 ganz einstellen konnte. Zudem hat sich der Fehlbetrag im Staatshaushalt der USA als Ergebnis einer etwas strafferen Fiskalpolitik und der besseren Konjunktur von knapp 9 % der Wirtschaftsleistung in 2013 auf etwa 5,5 % im Jahr 2014 vermindert. Gemessen an europäischen Verhältnissen ist das zwar immer noch sehr hoch. Aber der positive Trend hat den Druck von beiden politischen Lagern in den USA genommen, sich erneut auf ein Anheben der Steuern und ein Kürzen der Staatsausgaben zu einigen. Vor den Präsidentschaftswahlen im November 2016 werden die USA ihre Haushaltspolitik nicht weiter straffen. Ohne fiskalischen Gegenwind kann der Zuwachs der US-Wirtschaftsleistung in den beiden kommenden Jahren vermutlich Raten von knapp 3 % erreichen und damit leicht über den langfristigen Trend hinausgehen. Sprudelnde Steuereinnahmen verringern den Sparzwang Dank des steigenden inländischen Rohstoffangebots und eines reichlichen Angebots an Arbeitskräften – vor allem aus der stillen Reserve, die nicht in der offiziellen Arbeitslosenstatistik auftaucht – sind die Inflationsgefahren in den USA ebenfalls geringer als früher, auch wenn der Preisauftrieb im Zuge der Konjunktur langsam anziehen dürfte. Da sie von keinem übermäßigen Inflationsdruck zum Handeln gezwungen wird, kann die Fed, wie die US-Zentralbank kurz genannt wird, ihre Geldpolitik ganz auf die Konjunktur ausrichten. Sollte die Nachfrage schwächeln, beispielsweise weil ein überraschend schneller Anstieg der Finanzierungskosten für Hypotheken den Wohnungsmarkt belastet, wird sie ihre Geldpolitik eben nicht straffen. Deshalb halten wir die Gefahr, die Fed könnte die US-Konjunktur vorzeitig bremsen oder sogar abwürgen, für ausgesprochen gering. Wir erwarten, dass die Fed ab September 2015 ihre Leitzinsen vorsichtig um 0,25 Prozentpunkte pro Vierteljahr anheben wird. Der mangelnde Inflationsdruck gibt der Fed große Handlungsfreiheit Eurozone: Etwas mehr Schwung im neuen Jahr Die systemische Eurokrise ist vorbei. Dank des Sicherheitsnetzes, das die Europäische Zentralbank gespannt hat, und dank der großen Fortschritte in den Reformländern am Rande der Eurozone hat die Gefahr, dass Turbulenzen in kleineren Mitgliedsländern die gesamte Region in eine existenzgefährdende Krise stürzen könnten, erheblich nachgelassen. Europa hat die Ansteckungsgefahren weitgehend im Griff. Die systemische Eurokrise ist vorbei Natürlich hat die Eurozone weiterhin große Probleme. In Italien ist der Reformprozess noch recht unvollständig, in Frankreich hat er kaum begonnen. Diese großen Länder waren vor der Eurokrise strukturell schwach und sie sind es bis heute. Allerdings hat Italien in einigen Bereichen (Staatshaushalt, Ausfuhr in nichteuropäische Länder) im Gegensatz zu Frankreich bereits nennenswerte Fortschritte erzielt. Frankreich ist heute das europäische Land mit der größten Kluft zwischen erheblichem Reformbedarf und geringem Reformeifer. Aber immerhin hat auch Frankreich ebenso wie Italien heute einen neuen Premierminister, der wesentlich reformfreudiger wirkt als seine Vorgänger. Allerdings verbleiben einige große Probleme 7 Im Zeichen geopolitischer Risiken Im Frühjahr 2014 hat der russische Angriff auf die Ostukraine der Konjunktur in Kerneuropa einen herben Rückschlag versetzt. Gerade in Deutschland ist das Wachstum nahezu zum Erliegen gekommen, da die verunsicherten Unternehmen neue Investitionen in Ausrüstungen verschoben und zudem ihre Lagerbestände vermindert haben. Auch einige andere Länder wie Italien, Österreich, Finnland und Schweden hat dieser Schock getroffen. Die geopolitischen Schocks lassen etwas nach Allerdings hat sich die Lage im Herbst 2014 wieder etwas beruhigt. Auch wenn der vereinbarte Waffenstillstand nicht eingehalten wird, sind die Kämpfe in der Ostukraine etwas abgeflaut. In Syrien und dem Irak ist es der US-Luftwaffe offenbar gelungen, den gefährlichen Vorstoß der islamistischen Terrormilizen zu stoppen. Auch das Ebola-Risiko macht weniger Schlagzeilen. Unser Konjunkturausblick für 2015 beruht auf der Annahme, dass die geopolitischen Risiken zwar virulent bleiben, aber nicht gefährlich eskalieren. Wenn diese Annahme zutrifft, werden Unternehmen und Haushalte sich langsam an die neue Lage gewöhnen – auch daran, dass Russland sich mittlerweile eher als geopolitischer Gegner denn als Partner aufführt. Ein erster Hoffnungsschimmer Der Anstieg der Geschäftserwartungen deutscher Unternehmen in der NovemberUmfrage des ifo Instituts deutet darauf hin, dass der Putin-Schock nachzulassen beginnt. Wenn sich dies in den kommenden Monaten fortsetzt, könnte die Investitionspause in Deutschland im Winter enden und einem neuen Aufschwung im Frühjahr 2015 weichen. Wir rechnen damit, dass nach noch verhaltenem Wachstum im Winter die deutsche Konjunktur im Frühjahr wieder Fahrt aufnehmen wird. Damit kommt auch die Eurozone insgesamt wieder schneller voran. Eurozone zweigeteilt Außerhalb der Länder, deren kurzfristige Konjunktur vor allem von den Reaktionen der Unternehmen auf geopolitische Risiken geprägt wurde, zeichnet sich innerhalb der Eurozone eine klare Zweiteilung ab: Reformländer holen auf • Die einstigen Krisenländer an der Peripherie der Eurozone beginnen, die Früchte ihrer Reformen zu ernten. Die Wachstumsraten in Spanien, Portugal, Griechenland und Irland ziehen an; die Frühindikatoren für diese Länder übertreffen teilweise bereits die Werte für Deutschland. Seit dem Frühjahr 2014 gehören diese Länder zu den Spitzenreitern beim Wirtschaftswachstum in der Eurozone. Auch die Arbeitslosigkeit geht in diesen Ländern mittlerweile spürbar zurück. Allerdings wird es lange dauern, bis sie die Verluste an Wachstum und Arbeitsplätzen der Vorjahre werden ausgleichen können. • Dagegen zahlt Frankreich den Preis für unterlassene Reformen und eine verfehlte Steuerlast. Das Anziehen der Steuerschraube nach dem Amtsantritt von Präsident Hollande vor zweieinhalb Jahren hat dem Land noch mehr geschadet als befürchtet. Viele Unternehmen zweifeln daran, dass Hollande jetzt tatsächlich die von ihm angekündigte Wende zu einem wirtschaftsfreundlicheren Kurs mit niedrigeren Steuern für Unternehmen wird umsetzen können. Reformmuffel Frankreich fällt zurück 8 Die Arbeitslosigkeit in den Reformländern am Rande der Eurozone stieg bis zum Frühjahr 2013 dramatisch an. Aber seitdem sinkt sie wieder (Abbildung 1). Auch die gesondert ausgewiesene Jugendarbeitslosigkeit geht mittlerweile spürbar zurück. Arbeitsmarkt: heraus aus dem Tal der Tränen Sollte Frankreich sich weiterhin nur im Schneckentempo reformieren, würde dies das Wachstum der Eurozone insgesamt etwas bremsen, so wie es auch bisher der Fall war. Sollte dagegen auch Frankreich eines Tages seinen Arbeitsmarkt so reformieren, wie es Deutschland mit seiner Agenda 2010 und wie es Spanien, Portugal und Griechenland mit ihren Reformen der vergangenen Jahre gemacht haben, könnte die Eurozone insgesamt zu einem erheblich dynamischeren Wirtschaftsraum werden. Die französische Frage Abb. 1: Spanien, Portugal, Griechenland und Irland – Gesamtarbeitslosigkeit 2.500 2.500 2.000 2.000 1.500 1.500 1.000 1.000 500 500 0 0 -500 -1.000 2002 -500 -1.000 2004 2006 2008 2010 2012 2014 Veränderung gegenüber Vorjahr in Tausend, saisonbereinigt. Quelle: Eurostat. Rein konjunkturell werden der Eurozone im Jahr 2015 einige weitere Effekte zugutekommen: • Die Geldpolitik ist mittlerweile recht expansiv. Nach dem Ende der BankenStresstests können auch in Ländern wie Italien, die bisher unter einer Kreditklemme litten, die Banken wieder etwas mehr Kredite anbieten. • Der handelsgewichtete Wechselkurs des Euro liegt um 2,5 % unter dem Durchschnitt der vergangenen zwei Jahre. Das fördert die Ausfuhr und kann die gesamtwirtschaftliche Nachfrage um etwa 0,2 Prozentpunkte beleben. • Der Rückgang der Ölpreise um mehr als 20 Euro pro Fass gegenüber dem ersten Halbjahr 2014 senkt das Preisniveau und stärkt die Kaufkraft der Verbraucher auf Dauer um mehr als 1 %. Gleichzeitig verringern sich die Energiekosten der Unternehmen. Dies kann der Konjunktur Schwung verleihen und die Zuwachsrate der Nachfrage um bis zu 0,8 Prozentpunkte anheben. Der Stimulus ist bereits unterwegs China: Mehr Raum für den privaten Verbrauch Nach einem dramatischen Aufholprozess mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 10 % im vergangenen Jahrzehnt hat die chinesische Wirtschaft in den letzten vier Jahren schrittweise an Dynamik eingebüßt. Dies ist für sich genommen nicht beunruhigend. Mit zunehmenden Erfolgen nimmt das Aufholpotenzial langsam ab. Statt einfach nur die fortgeschrittenen Länder zu kopieren, müssen die Unternehmen des Landes sich selbst mehr einfallen lassen, um im Wettbewerb voranzukommen. Dazu kommt, dass die neue Führung Chinas bewusst vom rein quantitativen Wachstum Kontrollierter Umstieg auf eine neue Politik 9 zu einem nachhaltigeren Wachstumsmodell mit geringeren Umweltschäden und weniger Großinvestitionen übergehen möchte. Dabei verlagern sich die Nachfrageimpulse langsam von den teilweise staatlich gesteuerten Investitionen und der Ausfuhr hin zum privaten Verbrauch, dem Chinas Wirtschaftslenker jetzt etwas mehr Raum geben. Gleichzeitig versucht China, den Marktkräften auch im Finanzsektor etwas mehr Platz einräumen und Übertreibungen an einigen regionalen Immobilienmärkten und bei Schattenbanken behutsam zu korrigieren. Kleiner Stimulus stabilisiert den Trend der Nachfrage Seit Herbst 2013 hat die chinesische Konjunktur weiter an Schwung verloren. Wie erwartet hat China darauf mit einem kleinen Konjunkturprogramm und einer etwas lockeren Geldpolitik reagiert. Angesicht höher Devisenreserven von über 4 Bio. US-Dollar und einer privaten Sparquote von über 40 % verfügten die chinesischen Wirtschaftslenker über viele Möglichkeiten, die kurzfristige Konjunktur zu steuern. Bei langsam abnehmendem Wachstumstrend wird es ihnen vermutlich auch in 2015 gelingen, eine harte Landung zu vermeiden und den Zuwachs der Wirtschaftsleistung nahe am Trend zu halten. Nach einer Wachstumsrate von 7,4 % im Jahr 2014 rechnen wir mit 7,1 % für 2015 und 6,8 % für das Jahr 2016. IV. Ein Blick auf die Risiken Auch im Jahr 2014 hat die Welt wieder einige Risiken umschifft Das Leben ist immer voller Risiken. Aber zum Glück treten die großen Risiken meist doch nicht ein. Im Jahr 2014 hat die Weltwirtschaft wieder einige gefährliche Klippen umschiffen können. Der Haushaltsstreit in den USA ist nicht weiter eskaliert, Chinas Konjunktur hat keine Bruchlandung hingelegt, die Schwellenländer sind mit dem Auslaufen der Anleihekäufe der US-Notenbank keiner Kettenreaktion verängstigter Anleger zum Opfer gefallen und die systemische Eurokrise ist nicht erneut aufgeflammt. Der Schock des Jahres: Putins Krieg gegen die Ukraine Dafür ist ein Risiko eingetreten, das sich im Dezember 2013 noch nicht abgezeichnet hatte. Dass Russland die Krim mit Waffengewalt annektieren und anschließend einen Bürgerkrieg in der Ostukraine schüren könnte, tauchte in unserem Jahresausblick 2014 vom Dezember 2013 nicht auf. Das gewaltsame Verschieben einer international anerkannten Staatsgrenze hatte es in Europa seit 1945 nicht mehr gegeben. Der Aggressor ist eine der größten Atommächte der Welt. Russland hat dabei die Sicherheitsgarantie für die Ukraine, die es selbst 1994 gemeinsam mit den USA beim ukrainischen Verzicht auf eigene Atomwaffen ausgesprochen hatte, schlicht zerrissen. Das macht die Sache noch brenzliger. Für das Jahr 2015 führt Russland die Liste der Risiken an. Risiko 1: Was macht ein verwundeter Bär? Russland: Zieht der angeschlagene Bär sich zurück – oder schlägt er noch einmal zu? 10 Die russische Wirtschaft ist auf dem Weg in die Rezession. Neben der Kapitalflucht lasten die Kosten des Krieges sowie die rückläufigen Einnahmen aus der Ausfuhr von Öl und Gas auf dem Land. Wir hoffen, dass der russische Präsident Putin den Schaden für Russland durch ein halbwegs vernünftiges Verhalten eingrenzen wird. Aber wer kann schon sagen, was ein angeschlagener Bär wirklich tun wird. Zieht er sich in seine Höhle zurück, oder greift er nochmals an? Wir müssen die Gefahr beobachten, dass Putin bei einknickender Wirtschaftsleistung seine heimische Popularität nochmals durch ein kostspieliges außenpolitisches Abenteuer aufpolieren möchte und entsprechend einen neuen Angriff auf die Ukraine (oder andere Nachbarländer mit russischsprachigem Bevölkerungsanteil) startet. Ein neuer Krieg würde bei uns das Geschäftsklima und die Investitionen vermutlich erneut für einige Zeit einbrechen lassen. Auch eine kurzzeitige Rezession könnten wir dann nicht ausschließen. Allerdings würden die Kosten für Russland weit höher sein. Russland kann zwar einen Krieg in seiner Nachbarschaft militärisch leicht gewinnen. Aber einen neuen Kalten Krieg mit der westlichen Welt kann Russland mit seiner ineffizienten Petrowirtschaft nur verlieren, so wie es zuvor schon der Sowjetunion ergangen ist. Risiko 2: Kriege im Nahen Osten Die Lage im Nahen Osten bleibt labil. Während sich der Iran möglicherweise dem Westen annähert, hat der Vormarsch islamistischer Terrormilizen im Irak und Syrien im Sommer 2014 das regionale Gefüge massiv erschüttert. Theoretisch könnte dies die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen, wenn es dadurch entweder zu großen militärischen Konflikten käme oder die Ausfuhr von irakischem Öl zum Erliegen käme. Allerdings liegen viele Ölinstallationen im schiitisch dominierten Südirak sowie in den ebenfalls relativ ruhigen Kurdengebieten. Zudem hat die US-Luftwaffe offenbar den Siegeszug der sunnitisch-fundamentalistischen Milizen stoppen können. Wir erwarten, dass es den USA und ihren Verbündeten gelingen wird, die Terrormilizen von genügend Ölinstallationen fernzuhalten, um einen hinreichenden Ölexport zu gewährleisten. Zudem verringert das dank neuer Abbaumethoden reichliche Energieangebot aus den USA die Anfälligkeit der Welt für ein knapperes Ölangebot aus dem Mittleren Osten. Aber die Lage im Nahen Osten werden wir 2015 im Auge behalten müssen. Naher Osten: eine labile Lage Risiko 3: Abenomics scheitert krachend Die unkonventionelle Wirtschaftspolitik des japanischen Premierministers Abe (daher „Abenomics“) birgt weiterhin große Risiken. Sofern Abe nicht das Wachstumspotenzial seines Landes nachhaltig durch einschneidende Strukturreformen stärkt, kann die aggressive Geldpolitik der japanischen Zentralbank nach einem konjunkturellen Strohfeuer letztlich in einem inflationären Kollaps der Währung enden. Dies könnte die Weltfinanzmärkte und damit das Weltinvestitionsklima treffen. Aber das Risiko einer solchen unkontrollierten Abwertung des Yen hat im Jahr 2014 etwas abgenommen. Denn da die Inflationsrate in Japan etwas angestiegen ist, getrieben vor allem durch höhere Preise für Einfuhren sowie die um drei Prozentpunkte erhöhte Mehrwertsteuer, hat die Bank of Japan jetzt weniger Grund, ihre Politik noch einmal derart aggressiv zu lockern, dass sie versehentlich einen Kollaps der eigenen Währung auslösen könnte. Im Dezember 2014 will Premierminister Abe sich bei vorgezogenen Neuwahlen ein Mandat für Strukturreformen und für das Verschieben des eigentlich für Herbst 2015 vorgesehenen weiteren Anhebens der Mehrwertsteuer geben lassen. Ob er nach einem Wahlsieg dann tatsächlich ein Paket von Strukturreformen umsetzen wird, bleibt eine offene Frage. Wir erwarten einige Reformen, bleiben aber skeptisch, ob Abe weit genug gehen wird, um die japanische Wirtschaft auf Vordermann zu bringen. Japan: mehr als ein Strohfeuer? 11 Risiko 4: Politische Spannungen in Europa? Europa: Aufstieg von Protestparteien Mit dem konjunkturellen Rückschlag in Kerneuropa seit Mai 2014 ist auch das Risiko gestiegen, dass noch mehr enttäuschte Wähler ihre Stimme für antieuropäische Protestparteien abgeben könnten. Je länger es dauert, bis die Konjunktur wieder spürbar Tritt fasst, desto größer dieses Risiko. Ohnehin beobachten wir in vielen Ländern der westlichen Welt einen Aufstieg von Protestparteien, die sich oftmals vor allem gegen Einwanderer richten. Während in den USA die Tea Party-Bewegung offenbar bereits wieder auf dem absteigenden Ast ist und in Italien die „Gegen alles“-Protestbewegung des selbsternannten „Komikers“ Beppo Grillo ebenfalls in den Umfragen zurückfällt, erfreuen sich Protestparteien in vielen anderen Ländern immer noch wachsenden Zulaufs, in Großbritannien und Schweden ebenso wie in einigen Ländern der Eurozone. So wie die Tea Party in den USA auch ein Unbehagen gegen die Bundesregierung im fernen Washington ausdrückt, schüren die Parolen der Protestparteien gegen das „Establishment“ und gegen weitere Einwanderung auch eine antieuropäische Stimmung. Die Gefahr, dass solch eine Protestpartei einmal Einfluss auf die Politik eines Mitgliedslandes nehmen und möglicherweise Entscheidungen auf europäischer Ebene verzögern oder sogar blockieren könnte, gehört zu den Risiken, die wir 2015 beobachten müssen. Dazu zählt auch die Gefahr, dass die britische Politik nach der Unterhauswahl im Mai 2015 noch euroskeptischer werden könnte als bisher. Wir glauben weiterhin, dass Großbritannien in einem Referendum, das die aktuelle Regierung für 2017 anstrebt, für den Verbleib in der EU stimmen würde. Aber auszuschließen ist ein britischer EU-Austritt nicht. Risiko 5: Eine französische Revolution? Frankreich: Was macht Hollande, wenn es ernst wird? Besondere Sorgen macht uns weiterhin Frankreich. Bereits im November 2011 hatten wir in unserem „Euro Plus Monitor“ gewarnt, dass in Frankreich die Alarmglocken läuten sollten. Frankreich war und ist das einzige größere Land der Eurozone, das immer noch kaum etwas tut, um seinen wirtschaftlichen Abstieg aufzuhalten. Im Vergleich zu den Reformländern im Süden erweist Frankreich sich immer mehr als Reformmuffel. Ist Frankreich reformfähig? Sollte dort die Regierung Hollande mit ihren geplanten vorsichtigen Einschnitten im Staatshaushalt massive Proteste auslösen und dann dem Druck der Straße nachgeben, könnte dies nicht nur die deutsch-französische Freundschaft auf eine harte Probe stellen. Sollte die französische Regierung in der Nationalversammlung die Mehrheit verlieren, da beispielsweise der linke Flügel der Sozialisten den neuen Sparkurs ablehnt, könnte es bei Neuwahlen in Frankreich theoretisch zu einer Situation kommen, in der Euro- und Reformgegner vom ultrarechten und ultralinken Spektrum gemeinsam eine Mehrheit der Sitze erreichen könnten. Weimarer Verhältnisse in Paris? Ein Ausstieg Frankreichs aus dem Euro ist höchst unwahrscheinlich und würde dem nationalen Interesse Frankreichs an guter und gleichberechtigter Nachbarschaft mit Deutschland völlig widersprechen. Aber es wäre das einzige Restrisiko, das den Euro auf eine Art erschüttern könnte, die weder der Deutsche Bundestag noch die EZB durch eine geeignete Anti-Krisen-Politik einfangen könnte. 12 Dieses Risiko bleibt gering. Viel wahrscheinlicher ist, dass die jetzige Regierung im Amt bleibt oder dass bei einer normalen Parlamentswahl, die anders als die Europawahl keine Protestwahl ist, die proeuropäischen Kräfte gemeinsam eine klare Mehrheit bekommen. Aber das französische Risiko ist eine Gefahr, die in den vergangenen Monaten nicht abgenommen hat. Das französische Risiko hat nicht abgenommen Risiko 6: Politische Krise in Griechenland? Auch wenn der Reformprozess in Griechenland noch nicht abgeschlossen ist, hat das Land doch große Fortschritte gemacht. Seit Anfang 2014 wächst die Wirtschaft wieder, die noch immer erschreckend hohe Arbeitslosigkeit von rund 24 % geht zurück. Aber die politische Lage ist nach fünf Jahren schmerzvoller Rezession heikel. Im Dezember muss das Parlament laut Verfassung mit einer Mehrheit von 60 % einen neuen Staatspräsidenten wählen. Die Regierung hat selbst aber nur 155 von 300 Sitzen. Sollte sie nicht genügend Stimmen anderer Parteien für einen Kandidaten bekommen, gäbe es im Januar automatisch Neuwahlen, aus denen nach den derzeitigen Umfragen wohl die linksradikale Opposition als Sieger hervorgehen würde. Die Linksradikalen behaupten zwar, im Euro bleiben zu wollen, schlagen aber Ausgabenprogramme und das teilweise Rücknehmen von Reformen vor, die sich schwer mit einem Verbleib in der Gemeinschaftswährung vereinbaren ließen. Ob sie sich bei einem Wahlsieg vernünftig oder unvernünftig verhalten würden, ist vorab kaum zu sagen. Eine politische Krise in Griechenland ist nicht auszuschließen, auch wenn wir sie nicht für sehr wahrscheinlich halten. Glücklicherweise hätte die Eurozone einschließlich der Europäischen Zentralbank heute die Instrumente, um das Überspringen einer griechischen Krise auf andere Teile der Eurozone zu verhindern. Griechenland: vorgezogene Neuwahlen im Januar? 13 V. Märkte: Etwas Spielraum nach oben Notenbanken fahren vorerst noch geradeaus Selbst in den konjunkturell robusten Ländern USA und Großbritannien bleibt der Preisauftrieb verhalten. In der Eurozone und Japan ist der Inflationsdruck auch außerhalb des Energiesektors bisher weiterhin rückläufig. Dies ermöglicht es den großen Zentralbanken der Welt, ihre aggressive Geldpolitik weitgehend beizubehalten. Während die britische und die US-Notenbank wohl in der zweiten Jahreshälfte ihre Zinsen langsam anheben werden, könnten die EZB und die Bank of Japan ihre Ankaufprogramme für Anleihen sogar weiter aufstocken. Ein positives Umfeld für Kapitalmärkte Für die Finanzmärkte ist das Zusammenspiel aus weiterhin sehr niedrigen Zinsen und einer sich langsam kräftigenden Konjunktur fundamental positiv. Auch wenn gerade die Aktienmärkte vieles davon bereits vorweggenommen haben, sehen wir mit unserem freundlichen Konjunkturbild auch für die Finanzmärkte insgesamt noch etwas Spielraum nach oben. Unsere Erwartungen Wir erwarten deshalb auf Sicht von sechs bis zwölf Monaten … • einen maßvollen Anstieg der Aktienkurse, der in Randeuropa aufgrund des hohen Nachholbedarfs etwas stärker ausfallen könnte als in Kerneuropa und den USA, • etwas höhere Renditen für deutsche Bundesanleihen im Sog eines etwas ausgeprägteren Anstiegs der Renditen in den USA, • einen nur geringen Anstieg der Renditen in Italien und Spanien bei weiteren Reformfortschritten in diesen Ländern, sowie • einen weitgehend stabilen Euro. Schwellenländer: ein sehr gemischtes Bild Auch für manche Schwellenländer verheißt unser Wirtschaftsausblick durchaus Spielraum nach oben, da sich die Konjunktur langsam wieder festigen kann. Aber gerade hier wird es für Anleger darauf ankommen, die Chancen und Risiken im Einzelfall sorgsam abzuwägen. Länder wie Russland, die vor allem Rohstoffe exportieren, könnten unter Druck bleiben, während andere Länder, die vor allem Rohstoffe verbrauchen oder verarbeiten, angesichts niedrigerer Preise für Öl- und Gaseinfuhren zu den Gewinnern gehören dürften. 14 TEIL 3 IM FOKUS (Dr. Holger Schmieding) I. Der Streit um die Politik der EZB Noch nie zuvor ist es einer Notenbank gelungen, den Preisauftrieb in Deutschland derart niedrig und stabil zu halten. Seit die Europäische Zentralbank Anfang 1999 das Zepter der Geldpolitik übernommen hat, schwankt die deutsche Inflationsrate um 1,5 %. In den vier Jahrzehnten davor lag der Geldwertschwund dagegen im Schnitt bei 2,9 %. Dennoch weht der EZB in der deutschen Debatte der Sturm ins Gesicht. Es häufen sich die Klagen, sie würde mit ihrer Niedrigstzinspolitik die Sparer enteignen. Diese Debatte verkennt den Auftrag der EZB. Noch nie waren unsere Preise so stabil wie heute Die europäischen Gesetzgeber haben der EZB ein eindeutiges Mandat erteilt. Sie muss die Stabilität der Verbraucherpreise gewährleisten. Unter fachlicher Anleitung ihres ersten Chefvolkswirts Otmar Issing hat sie dies in die Vorgabe umgesetzt, den Anstieg der Verbraucherpreise mittelfristig „unter, aber nahe bei 2 %“ zu halten. Dies ist ihr mehr als gelungen. Zuletzt ist der Preisauftrieb auf nur noch 0,3 % im November 2014 gesunken, mit weiter abnehmender Tendenz. Auch wenn wir die Energiekosten herausrechnen, die sich dank niedriger Ölpreise vermindert haben, liegt der Preisauftrieb in der Eurozone lediglich bei 0,6 %. Im holprigen Wirtschaftsaufschwung der Eurozone zeichnet sich ab, dass der Inflationsdruck auch in den kommenden Jahren kaum zunehmen wird. Um ihrem Mandat gerecht zu werden und Deflationsgefahren abzuwenden, muss die EZB eine Geldpolitik fahren, die dazu passt. Ein eindeutiges Mandat Die EZB muss der Gefahr einer Deflation ebenso energisch entgegentreten wie den Gefahren einer Inflation. Da sich abzeichnet, dass der Preisauftrieb in der Eurozone über Jahre hinweg deutlich unter der angestrebten Marke von knapp 2 % bleiben wird, verpflichtet ihr Mandat die EZB heute dazu, mit ihrer Geldpolitik noch einmal nachzulegen. Zu den Instrumenten der Geldpolitik gehören auch Käufe von Anleihen. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat in einer kritischen Stellungnahme zur Europolitik der EZB im Februar angemerkt, dass ein Kauf von Staatsanleihen dann rechtens wäre, wenn er geldpolitischen Zwecken dient. Diese Bedingung wäre in der aktuellen Lage voll erfüllt. Andere Instrumente der Geldpolitik sind weitgehend ausgereizt; um ihrem Auftrag gerecht zu werden, muss die EZB mehr tun als bisher, um sich langsam wieder der angestrebten Marke von knapp 2 % annähern zu können. Wir erwarten deshalb, dass die EZB Anfang 2015 ihren geldpolitischen Stimulus noch einmal ausdehnen wird, indem sie neben Pfandbriefen und anderen besicherten Anleihen auch Unternehmensanleihen und – möglicherweise – auch Staatsanleihen kauft. Das würde ihrem eindeutigen Mandat voll entsprechen. Die EZB muss auch gegen die Gefahr einer Deflation vorgehen 15 Geldpolitik ist selten populär Geldpolitik ist selten populär. Manchmal beschweren sich die Sparer, die Zinsen der Notenbank seien viel zu niedrig. In anderen Konjunkturphasen beschweren sich die Unternehmen, die hohen Zinsen würden sie in den Konkurs treiben und Arbeitsplätze vernichten. Die Notenbank darf weder auf das eine noch das andere hören. Natürlich hat Geldpolitik immer Nebenwirkungen. Muss die Notenbank die Konjunktur bremsen, um Inflationsdruck zu bekämpfen, führt dies zu höheren Fehlbeträgen im Staatshaushalt. Muss sie dagegen die Konjunktur stimulieren, um ein übermäßiges Absinken der Inflationsrate zu verhindern, kommt dies auch den Staatsfinanzen aller Mitgliedsländer zugute. Aber das darf für die Zentralbank weder in die eine noch die andere Richtung ein Kriterium sein. Es ist nicht Aufgabe der EZB, die Eurozone in einer Dauerrezession zu halten Es ist auch nicht Aufgabe der EZB, die Wirtschaft der Eurozone trotz zunehmender Deflationsgefahren so lange in einer Rezession zu halten, bis in Frankreich entweder die Revolution ausgebrochen ist oder das Land sich nach Vorbild der deutschen Agenda 2010 durch weitreichende Reformen saniert hat. Der Reformdruck muss schon vom französischen Wähler kommen – sowie aus Brüssel und Berlin. Die Aufgabe der EZB ist es stattdessen, unabhängig vom Fortschritt der Reformen in einzelnen Ländern dafür zu sorgen, dass der Preisauftrieb in der Eurozone insgesamt sich auf Dauer der angestrebten Zielmarke annähert. Im Interesse der Sparer und Rentner: Die EZB darf nur der Preisstabilität verpflichtet sein Gerade aus deutscher Sicht ist es gefährlich, der EZB neben der Preisstabilität noch ein zweites Ziel zuordnen zu wollen, nämlich Sparern einen für auskömmlich gehaltenen Ertrag für vermeintlich risikoarme Anlageformen zu sichern. Denn damit wird Forderungen anderer Seiten Tür und Tor geöffnet, der EZB weitere Vorgaben jenseits der Preisstabilität zu verordnen, beispielsweise ein Arbeitsmarktziel nach amerikanischem Vorbild. Wer weiß, was auf uns zukäme, wenn wir Paris die Möglichkeit gäben, der Notenbank neue Ziele jenseits der Preisstabilität vorzuschlagen. 16 TEIL 4 AUSGEWÄHLTE REGIONEN I. USA: Warten auf höhere Löhne (Dr. Christian Schulz) Das US-Wirtschaftswachstum wird allmählich kräftiger, weil staatliche Sparmaßnahmen verdaut sind, das Vertrauen von Haushalten und Unternehmen wächst und eine äußerst lockere Geldpolitik Konsum und Firmeninvestitionen stützt. Der stark gefallene Ölpreis wirkt wie eine große Steuersenkung für Haushalte und Unternehmen und stärkt unseren Optimismus für 2015. Was für noch stärkeres und nachhaltiges Wachstum fehlt, sind höhere Arbeitseinkommen. Doch auch das könnte im Jahr 2015 hinzukommen. Allmählich kräftigeres Wachstum Seit 2010 schwankt das amerikanische BIP-Wachstum um die Marke von jährlich 2 %. Gegenwinde unterschiedlichsten Ursprungs lösten einander ab. 2013 lasteten die Folgen der „Fiskalklippe“ – Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von 2 % des BIP – auf der Wirtschaftsentwicklung. 2014 folgten schwächere Bauinvestitionen infolge der plötzlichen Hypothekenzinsanstiege Mitte 2013, als der damalige Notenbankpräsident Bernanke das Ende des billigen Geldes einläutete. Dazu kam ein extrem kalter Winter. 2015 endlich kein Gegenwind? Abgesehen von diesen großen und kleinen vorübergehenden Wachstumsbremsen geht es in Amerika vorwärts. In den zehn Monaten bis Oktober wuchs die Zahl der Arbeitsstellen außerhalb der Landwirtschaft im Durchschnitt um 215 000 pro Monat an, die Arbeitslosenrate fiel im Oktober auf nur noch 5,8 % – nicht mehr fern des Vorkrisendurchschnitts von 4,8 %. Unternehmensinvestitionen sind mittlerweile der dynamischste Wachstumstreiber und haben die Wohnungsbauinvestitionen abgelöst (Abbildung 2). Dagegen verharrt der Konsum im „zweiten Gang“, gebremst von niedrigem Lohnwachstum und weiterem Schuldenabbau der Haushalte. Doch dank der schnell fallenden Arbeitslosenrate stehen auch hier die Zeichen auf Wandel. Wir erwarten 2015 allmählich schneller ansteigende Löhne und Gehälter. Starke Investitionen, mäßiges Konsumwachstum Abb. 2: USA – BIP-Zusammensetzung 140 140 130 130 120 120 110 110 100 100 90 90 80 80 70 60 50 Mrz 00 Private Konsumausgaben Andere Investitionen Wohnungsbauinvestitionen Konsumausgaben und Investitionen des Staates Mrz 02 Mrz 04 Mrz 06 70 60 50 Mrz 08 Mrz 10 Mrz 12 Mrz 14 Index = 100 am 01.01.2000, normiert auf den Jahresdurchschnitt 2007. Quelle: US Bureau of Economic Analysis. 17 Der Aufschwung geht weiter Ob sich der robuste Arbeitsmarkt im Jahr 2015 auch in etwas höheren Lohnzuwächsen oder vor allem in einer steigenden Zahl der Beschäftigten ausdrücken wird, lässt sich noch nicht klar erkennen. Die Arbeitslosenrate ist zwar mittlerweile wieder recht niedrig, doch möglicherweise unterschätzt sie das tatsächliche Ausmaß an Reserven im Arbeitsmarkt. Auch die Unterbeschäftigungsrate ist stark gesunken. Sie zählt neben der offiziellen Arbeitslosenrate auch marginal dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Arbeitnehmer1 sowie solche, die in Teilzeit arbeiten, aber gerne mehr arbeiten würden. Mit zuletzt 11,5 % liegt diese Rate jedoch noch deutlich weiter vom Vorkrisenniveau von 8 % entfernt als die offizielle Arbeitslosenrate. Hinzu kommt, dass die Beschäftigungsrate mit zuletzt 62,8 % vier Prozentpunkte unter der Spitze von der Jahrtausendwende bewegt. Eine Rückkehr zu diesen Höchstständen würde bedeuten, dass dem Arbeitsmarkt über 12 Mio. mehr Menschen zur Verfügung stünden – ein sehr großes Potenzial. Dass diese Millionen jedoch überhaupt wieder nach Arbeit suchen und damit das Lohnwachstum niedrig halten, erscheint zunehmend unwahrscheinlich. Die Beschäftigungsquote hat sich zwar stabilisiert, zeigt jedoch trotz nunmehr fünf Jahren konjunkturellem Aufschwung keinerlei Anzeichen einer Belebung. Die Alterung der Gesellschaft scheint die Beschäftigungsrate seit den 90er Jahren strukturell gesenkt zu haben, was eine langfristige Herausforderung für die US-Haushalte bedeutet. Abb. 3: USA – Staatshaushalt 25 25 Staatsausgaben Steuereinnahmen 23 23 21 21 19 19 17 17 15 15 13 13 Jan 01 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 In % des BIP. Quellen: US Department of Treasury, US Bureau of Economic Analysis. Zwei weitere Jahre Blockade in Washington Die Politik dürfte sich in den kommenden zwei Jahren bis zur nächsten Präsidentschaftswahl weiterhin selbst blockieren. Im November 2014 gewannen die oppositionellen Republikaner die Kongresswahlen und übernahmen zusätzlichen zum Repräsentantenhaus auch die Mehrheit im Senat. Glücklicherweise ist die Haushaltssituation mittlerweile deutlich besser. Das Defizit im Bundeshaushalt dürfte 2014 auf unter 3 % vom BIP gefallen sein, Tendenz weiter fallend. Einschließlich der Sozialversicherungen und der Bundesstaaten dürfte der Fehlbetrag aber 2014 noch 5,5 % des BIP betragen. Die wirtschaftliche Erholung, vor allem aber die Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen 2013 im Nachgang der „Fiskalklippe“, haben Staatseinnahmen erhöht und Ausgaben Marginal dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Arbeitnehmer sind solche, die zwar derzeit weder einen Job haben noch nach einem suchen, aber angeben, dass sie gerne einen hätten und in den vergangenen zwölf Monaten gesucht haben. 1 18 gesenkt (Abbildung 3). Die niedrigen Zinsen wirken sich positiv auf das Gesamtdefizit aus. Im März 2015 steht die nächste Erhöhung des Schuldendeckels auf dem Programm. Eine erneute, das Vertrauen schädigende, Konfrontation ist nicht auszuschließen, angesichts der Haushaltslage aber unwahrscheinlicher. Die letzten Kompromisse gingen sogar recht geräuschlos über die Bühne, auch weil die Bevölkerung des Themas überdrüssig ist. Der Wechsel in Washington birgt sogar einige Chancen. Die traditionell wirtschaftsund freihandelsorientierten Republikaner könnten die Verhandlungen über pazifische und atlantische Freihandelszonen beschleunigen. Andererseits könnten sie geopolitischen Risiken durch ein robusteres Auftreten gegenüber Russland begegnen. Für die EU wäre zudem interessant, ob die Republikaner den Export billigen Erdgases nach Europa zulassen werden. Allerdings droht die neue Fehde zwischen Präsident und Parlament über die Amnestie von illegalen Einwanderern bereits jetzt jegliches Potenzial für Kooperation zu ersticken. Die Blockade in Washington gehört auch für die kommenden zwei Jahren weiter zu den zu beobachtenden US-Risiken. Wir erwarten aber keine größeren positiven wie negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft. Kleine Chancen im Washingtoner Wandel II. Europa: Im Schatten vom Putin (Cornelia Koller) 1. Eurozone: Vorübergehende Wachstumsdelle Der Aufschwung in der Eurozone ist im Jahresverlauf 2014 durch die geopolitischen Spannungen unterbrochen worden. Vor allem der Ukraine-Konflikt hat seit dem Frühjahr deutliche Bremsspuren und zunehmende Unsicherheit hinterlassen – der PutinEffekt. So hat das Wirtschaftsvertrauen, das sich nach Überwindung der Eurokrise gerade erst wieder gefangen hatte, in Kerneuropa einen deutlichen Dämpfer erhalten. Der Putin-Effekt hat sich dabei nach und nach dominoartig von der exportorientierten deutschen Industrie über die deutschen Verbraucher auf viele andere europäische Länder übertragen. Putins Krieg gegen die Ukraine unterbricht den Aufschwung in der Eurozone Vor diesem Hintergrund schwächte sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in der gesamten Eurozone von 0,3 % im ersten Quartal 2014 auf 0,1 % im zweiten Quartal ab und blieb auch im dritten Quartal mit 0,2 % relativ verhalten (Werte jeweils im Vergleich zum Vorquartal). Auch der kurzfristige Ausblick wird vorerst noch durch den Putin-Effekt überschattet. Wir erwarten aber nach wie vor, dass die Wachstumsschwäche lediglich temporär sein wird und die Wirtschaftsleistung im Jahresverlauf 2015 wieder etwas stärker anziehen wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die geopolitischen Spannungen nicht weiter zunehmen. Putin-Effekt überschattet den kurzfristigen Ausblick Die Erfahrung hat gezeigt, dass geopolitische Störfeuer nicht von ewiger Dauer sind, sondern nach und nach abklingen oder sich ein Gewöhnungseffekt einstellt. Daher sind wir zuversichtlich, dass sich das Wirtschaftsvertrauen im Jahresverlauf 2015 wieder stabilisieren sollte und sich der konjunkturelle Ausblick damit insgesamt wieder festigen wird. Mittelfristig helfen die expansive Geldpolitik der EZB … 19 Für eine wirtschaftliche Belebung spricht zudem eine ganze Reihe von Argumenten, allen voran die vertrauensbildenden Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) und ihre extrem expansive Geldpolitik. So hat die EZB ihre Zinsen im September 2014 weiter auf 0,05 % gesenkt und zusätzlich unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen zur Ankurbelung der Kreditvergabe beschlossen (siehe auch Teil 5, Kapitel II, 2.1.). Die niedrigeren Finanzierungskosten für die Unternehmen können helfen, die Investitionstätigkeit anzuregen, zumal der Nachholbedarf an Ersatzinvestitionen nach der konjunkturbedingten jahrelangen Zurückhaltung in vielen Branchen groß ist. Zudem sind die Ölpreise in den letzten Monaten deutlich gefallen und wirken wie ein kleines Konjunkturprogramm. Wir halten hierdurch einen Wachstumsschub von mehr als 0,5 Prozentpunkten zum BIP für möglich. … sowie sinkende Arbeitslosigkeit und Auslaufen der Austeritätsmaßnahmen Darüber hinaus nimmt die Arbeitslosigkeit in der Eurozone langsam ab. Lag sie im Herbst 2013 noch bei 12,0 %, ist sie zuletzt auf 11,5 % gefallen und dürfte im Verlauf des nächsten Jahres weiter in Richtung 11 % zurückgehen. Dies wird sich positiv auf das Konsumverhalten auswirken, das zudem von der extrem niedrigen Inflationsrate (November: 0,3 %) begünstigt wird. Des Weiteren tragen die Strukturanpassungen und Haushaltskonsolidierungen der Reformländer Früchte und die restriktive Fiskalpolitik nähert sich ihrem Ende. So wird die Finanzpolitik den gesamten Euroraum im nächsten Jahr nur noch mit 0,1 % des BIP belasten (2014: 0,2 %, 2013: rund 1 %). Schließlich wird der schwächere Euro der Exportwirtschaft helfen, die zudem mehr Rückenwind durch die Weltwirtschaft mit robustem Wachstum in den USA und anziehender Konjunktur in einigen Schwellenländern bekommen wird. So hat der handelsgewichtete Euro gegenüber dem Durchschnitt der letzten zwei Jahre bis dato um etwa 2,5 % abgewertet. Wir rechnen hierdurch mit einem Plus von 0,2 Prozentpunkten zum BIP innerhalb eines Jahres. Abb. 4: Eurozone – Stimmungsindikatoren 10 10 5 5 0 0 -5 -5 -10 -10 -15 -15 -20 -20 -25 -30 -35 -25 -30 Verbrauchervertrauen Industrievertrauen -35 -40 Jan 99 -40 Jan 01 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 In Punkten. Quelle: Europäische Kommission. Frühindikatoren beginnen sich zu stabilisieren 20 Gestützt wird unsere Prognose einer Konjunkturbelebung 2015 von der sich abzeichnenden Stabilisierung der Vertrauensindikatoren. So liegen die Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungsbereich trotz einiger Rückschläge unverändert über der Expansionsschwelle von 50 Punkten. Auch das von der EUKommission ermittelte Industrievertrauen hat sich zuletzt verbessert und untermauert damit unsere Erwartung, dass eine vorübergehende Wachstumsdelle sehr viel wahrscheinlicher ist als eine ernsthafte Krise (Abbildung 4). Das Verhalten Russlands bleibt das größte Risiko für unseren Konjunkturausblick. Abb. 5: Eurozone – BIP-Wachstum 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 0 -1 -1 2014 2015 -2 -2 -3 Finnland Slowakei Slowenien Portugal Österreich Niederlande Zypern Italien Frankreich Spanien Griechenland Irland Deutschland Belgien Eurozone -3 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: EU-Kommission, Berenberg. Die Erholung wird im nächsten Jahr erneut uneinheitlich verlaufen. Wachstumsimpulse werden abermals aus den früheren Krisenländern Spanien, Portugal, Griechenland und Irland kommen. Auf der anderen Seite besteht für Frankreich und Italien weiter eine Bringschuld an dringend notwendigen Reformen, was den Spielraum für eine stärkere konjunkturelle Dynamik begrenzt. Deutschland ist dagegen strukturell gut aufgestellt, sodass die größte Volkswirtschaft der Eurozone auf ihrem (moderaten) Wachstumspfad bleiben wird (Abbildung 5). Alles in allem erwarten wir für die Eurozone ein Wirtschaftswachstum von 0,9 % im Jahr 2015. Eurozonen-BIP dürfte 2015 um 0,9 % wachsen, gestützt von Deutschland und den Reformländern, gebremst von Frankreich und Italien 1.1. Deutschland: Keine Rezession Die vielfach befürchtete technische Rezession (Rückgang des BIP in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen) ist trotz der zwischenzeitlichen Zuspitzung der Ukraine-Krise in Deutschland ausgeblieben. So ist die Wirtschaft im dritten Quartal 2014 um 0,1 % gegenüber dem Vorquartal gewachsen, nachdem sie im zweiten Quartal erstmals seit Ende 2012 geschrumpft war. Für den leichten Anstieg sorgten vor allem die privaten Haushalte, die ihre Konsumausgaben kräftig erhöhten (+0,7 %). Darüber hinaus stützte der Außenhandel die deutsche Wirtschaft: Die Exporte legten stärker zu als die Importe. Wachstumsbremsend waren dagegen die Investitionen. Vor allem in Ausrüstungen wurde erheblich weniger investiert als im Vorquartal (–2,3 %) und auch die Bauinvestitionen gingen etwas zurück. Deutschland: BIP im dritten Quartal 2014 wieder leicht gestiegen Vorerst wird die Unsicherheit durch die geopolitischen Spannungen, vornehmlich die Ukraine-Krise, noch anhalten. Vor allem der von uns ursprünglich für das Jahr 2014 prognostizierte Investitionsanstieg wird wegen des Putin-Effekts länger auf sich warten lassen. So haben sich die Absatzerwartungen der Unternehmen spürbar eingetrübt und werden die Investitionsneigung vorerst weiter dämpfen. Hierauf deutet der Rückgang des ifo-Geschäftsklimas über sechs Monate (Mai bis Oktober) hin, vor allem die merkliche Eintrübung der Erwartungskomponente (Abbildung 6). Zudem ist der Einkaufs- Kurzfristiger Ausblick: Putin-Effekt belastet Vertrauen und Investitionen 21 managerindex für das verarbeitende Gewerbe im November auf 49,5 Punkte und damit unter die Schwelle zwischen Wachstum und Kontraktion gefallen. Deshalb halten wir eine Stagnation der Wirtschaftsleistung Ende 2014 für möglich. Abb. 6: Deutschland – BIP und ifo-Geschäftsklima 120 8 115 6 110 4 105 2 100 0 95 -2 90 85 80 Mrz 00 -4 BIP (rechte Skala) -6 Ifo-Geschäftsklimaindex -8 Mrz 02 Mrz 04 Mrz 06 Mrz 08 Mrz 10 Mrz 12 Mrz 14 BIP: Veränderung gegenüber Vorjahr in %; ifo-Index: in Punkten. Quelle: Deutsches Bundesamt für Statistik, ifo Institut. Frühindikatoren zeigen erste Stabilisierung des Vertrauens Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer: Der ifo-Geschäftsklimaindikator ist im November erstmals wieder gestiegen. Dabei wurde nicht nur die aktuelle Geschäftslage, sondern vor allem auch die Aussicht auf die nächsten sechs Monate wieder etwas optimistischer eingestuft. Zudem erwarten die Unternehmen vom Exportgeschäft weitere Impulse. Auch das GfK-Konsumklima hat sich im November nach moderaten Rückschlägen in den beiden Monaten zuvor wieder verbessert. Sowohl die Einkommensaussichten als auch die Konsumneigung legten wieder zu. Damit bleibt der private Konsum wesentliche Stütze der deutschen Konjunktur. Mittelfristiger Ausblick: Grundtendenz positiv; das BIP kann um 1,2 % wachsen Wir erwarten nach wie vor, dass die Grundtendenz der deutschen Wirtschaft aufwärtsgerichtet bleibt und die Binnennachfrage die geopolitischen Spannungen durch die UkraineKrise und die daraus resultierende Stimmungseintrübung mittelfristig auffangen kann. Wachstumspfeiler wird der Konsum bleiben, der durch die weiter zunehmende Beschäftigung (Oktober: +408 000 gegenüber Vorjahr), steigende Löhne (viele Tarifabschlüsse 2014 über 3 %) und die geringe Inflation (November: 0,6 %) gestützt wird. Stärkster Impuls: Investitionen Den stärksten zusätzlichen Impuls erwarten wir im nächsten Jahr durch das Anspringen der Investitionskonjunktur. Mit Abebben der externen Unsicherheiten sollte sich der Investitionsstau allmählich auflösen. Mit Blick auf bessere Exportperspektiven und anhaltend günstige Finanzierungsbedingungen dürften sich zunächst die notwendigen Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen sukzessive beleben. Später könnten dann Erweiterungsinvestitionen folgen. Die Baukonjunktur wird weiter vom niedrigen Zinsniveau profitieren. Dabei wird der Wohnungsbau tragende Säule der Bauinvestitionen bleiben. So sind von Januar bis September 2014 5,2 % mehr Wohnungen als im Vorjahr genehmigt worden. Zudem wird der Wirtschaftsbau von den aufgestockten Mitteln für die Verkehrsinfrastruktur profitieren. Die Exporte sollten von der moderaten Konjunkturbelebung des Euroraums, dem robusten Wachstum in den USA sowie durch 22 China und andere Schwellenländer Impulse erhalten. Wir erwarten daher, dass die deutsche Wirtschaft ab Frühjahr 2015 mehr Fahrt aufnehmen wird und damit auch wieder eine zentrale Rolle als Wachstumsmotor für die Eurokonjunktur spielen kann. Für das Jahr 2015 erwarten wir einen BIP-Anstieg von 1,2 %. Dabei ist die Ukraine-Krise das größte Risiko für unseren Konjunkturausblick, gerade für Deutschland. Ein neuer russischer Angriff auf die Ukraine oder andere Länder könnte Deutschland doch noch in eine Rezession stürzen und die Eurozone mit hinabziehen. Andererseits könnte das Abklingen der schlechten Nachrichten aus den Krisenherden aber auch für eine stärker als erwartet anspringende Investitionskonjunktur sorgen. Größtes Einzelrisiko: die Ukraine-Krise 1.2. Frankreich: Wachstumsbremse Nr. 1 Wesentliche Wachstumsbremsen für den Euroraum bleiben die Reformmüdigkeit in Frankreich und die Strukturprobleme in Italien. Vor allem Frankreich, zweitgrößte Volkswirtschaft im Euroraum, bewegt sich weiter am Scheidepunkt. Seit dem Sommer 2013 stagniert die Wirtschaft und macht die nötigen Reformen immer dringender. Zwar konnte Frankreich zuletzt mit einer positiven Überraschung aufwarten: Das BIP ist im dritten Quartal 2014 das erste Mal in diesem Jahr gewachsen (+0,3 % gegenüber dem Vorquartal). Wachstumsimpulse kamen jedoch wieder nur vom Staatsverbrauch und von den privaten Konsumausgaben. Erneut bremsten die rückläufigen Investitionen – sie schrumpften das vierte Quartal in Folge – sowie der negative Außenbeitrag (Exporte minus Importe). Frankreich: zuletzt wieder Wachstum Belastet wird das Land weiter vor allem durch den aufgeblähten Staatssektor und den überregulierten Arbeitsmarkt. Die bisher unternommenen Schritte zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sowie die Ansätze einer Arbeitsmarktreform sind bei weitem nicht ausreichend. Auch die Aussichten für die kommenden Monate sind trüb. So ist der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe zuletzt immer weiter in den Kontraktionsbereich abgerutscht und auch der Index für den Dienstleistungsbereich liegt unterhalb der Wachstumsschwelle. Aktuelle Investitions- und Exportschwäche spiegelt Probleme Frankreichs wider Der Mangel an Reformen wird die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs vorerst weiter einschränken und damit Exporte und Investitionen dämpfen. Aus diesem Grund wird Frankreich weniger als andere Reformländer von der expansiven Geldpolitik der EZB und der Abwertung des Euro profitieren können. Zudem werden sich die notwendige fiskalische Anpassung und die hohe Arbeitslosigkeit (aktuell 9,7 %) auch in den kommenden Jahren dämpfend auf die Staatsausgaben und den privaten Konsum auswirken. Mangel an Reformen wird Wettbewerbsfähigkeit vorerst weiter einschränken Auch die Haushaltsziele geraten angesichts der schwachen Konjunktur zunehmend in Gefahr. Die Regierung hat bereits angekündigt, dass sie ihr Defizitziel 2014 von 3,8 % des BIP nicht einhalten konnte. Stattdessen dürfte die Neuverschuldung abermals über 4 % des BIP liegen und 2015 weiter in Richtung 4,5 % steigen. Zwar hat Premierminister Valls Ausgabenkürzungen in Höhe von 50 Mrd. Euro bis 2017 angekündigt, aber ob er diese tatsächlich durchsetzen kann, ist fraglich. Haushaltsdefizit steigt 23 Frankreich dürfte 2015 um 0,6 % wachsen Wir erwarten, dass Frankreich nach einem schwachen Wachstum im Jahr 2014 (etwa 0,3 %) 2015 mit 0,6 % eine etwas stärkere, aber weiter fragile konjunkturelle Dynamik entfalten kann. Dabei sollte das Land von wieder anziehenden Exporten nach Deutschland, aber auch in die übrige Euroregion profitieren. 1.3. Italien: Wachstumsbremse Nr. 2 Italien: BIP im dritten Quartal 2014 weiter geschrumpft In Italien ist das BIP aufgrund der anhaltenden Reformschwäche im dritten Quartal 2014 erneut geschrumpft (–0,1 % nach –0,2 % im zweiten Quartal). So besteht auch im drittgrößten Land der Eurozone ein deutlicher Nachholbedarf an substanziellen Reformen, denn noch immer krankt das Land an einer unzureichenden Wettbewerbsfähigkeit. Arbeitsmarktreform und Haushaltspolitik geben Anlass zu Hoffnung Hoffnung gibt, dass Premierminister Renzi einen klaren Reformkurs eingeschlagen hat. Das Parlament hat im Dezember 2014 die dringend notwendige Arbeitsmarktreform gebilligt, die vor allem den rigiden Kündigungsschutz lockern wird. Diese Reform geht weit über die deutschen Reformen im Zuge der Agenda 2010 hinaus. Sollte Renzi mit seinem Reformprogramm erfolgreich sein, könnte dies die Unternehmen nach und nach dazu veranlassen, etwas mehr zu investieren. Nachhaltige Erfolge erwarten wir hier allerdings frühestens 2016. Positiv: Staatsdefizit fällt unter 3 % des BIP Auch wenn das Defizit im nächsten Jahr etwas höher als ursprünglich vorgesehen ausfallen könnte, da aufgrund der schwachen Konjunktur keine zusätzlichen Austeritätsmaßnahmen vorgesehen sind, bleibt Italien anders als Frankreich auf Konsolidierungskurs. Das Staatsdefizit dürfte 2015 unter 3 % fallen; wir erwarten –2,7 %. Anders als in Frankreich geben zudem einige Frühindikatoren wie das Geschäftsklima und das Verbrauchervertrauen, die zuletzt wieder gestiegen sind, Anlass zu konjunktureller Hoffnung. 2015 könnte Italien wieder ganz leicht wachsen (0,2 %) Wir erwarten, dass es Italien 2015 gelingen dürfte, über wachsende Exporte und eine leicht anspringende Investitionskonjunktur aus der Rezession herauszukommen. Zwar wird der Konsum angesichts der Rekordarbeitslosenquote (zuletzt: 12,6 %) schwach bleiben. Aber alles in allem dürfte die italienische Volkswirtschaft Anfang 2015 wieder auf einen leichten Wachstumskurs umschwenken. Im Jahresdurchschnitt 2015 erwarten wir einen kleinen BIP-Anstieg von 0,2 % nach –0,4 % in 2014. 1.4. Spanien: Wachstumstreiber Spanien: Wachstumskurs geht dank verbesserter Wettbewerbsfähigkeit weiter 24 Auf der Habenseite der Konjunktur des Euroraums stehen dagegen die Reformländer Spanien und Portugal. Dort setzen sich die positiven Effekte verbesserter Wettbewerbsfähigkeit fort. Dies gilt vor allem für Spanien. So hat die spanische Wirtschaft ihren Wachstumskurs auch im dritten Quartal 2014 fortgesetzt und ist um 0,5 % gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Das rigide Sparprogramm der Regierung, die Reformen am Arbeitsmarkt sowie die Lohnzurückhaltung zahlen sich immer mehr aus und haben zu einer deutlichen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes beigetragen. Dies spiegelt sich bereits in tendenziell steigenden Exporten wider. Wir erwarten, dass die exportgetriebene Erholung bei wieder wachsendem Wirtschaftsvertrauen allmählich auch in eine anziehende Investitionstätigkeit münden wird. Da zudem auch in Spanien die Austeritätspolitik nachlässt, Zinsen und Inflation niedrig sind und Arbeits- und Immobilienmarkt ihre Tiefpunkte durchschritten haben, sollte sich darüber hinaus der Konsum – wenn auch auf niedrigem Niveau – stabilisieren. Allerdings: Auch wenn die Arbeitslosenquote seit Anfang 2013 kontinuierlich gefallen ist, bleibt der spanische Arbeitsmarkt mit einer Arbeitslosenquote von noch immer 24 % Achillesferse der Konjunktur. Per saldo erwarten wir, dass Spanien 2015 um 1,4 % wachsen kann, nachdem das BIP im Gesamtjahr 2014 bereits wieder eine positive Wachstumsrate (1,2 %) erzielt hat. Arbeitsmarkt bleibt Achillesferse, erholt sich aber ganz langsam Da der Anteil von Spanien und Portugal am BIP der gesamten Eurozone mit 12 % jedoch sehr viel geringer ist als jener von Frankreich und Italien (38 %), reicht der moderate Aufschwung nicht aus, um die wachstumsdämpfenden Effekte der beiden volkswirtschaftlichen Schwergewichte Frankreich und Italien auszugleichen. Dies umso mehr, als das exportorientierte Deutschland den Putin-Effekt besonders stark zu spüren bekommen hat und sich das Wirtschaftsvertrauen nur allmählich aus dessen Schatten löst. Spaniens Wachstum von 1,4 % reicht nicht aus, um Stagnation in Frankreich und Italien auszugleichen 2. Großbritannien: Milde Abschwächung Selbst Großbritannien kann sich trotz seiner relativ robusten Konjunktur den Unsicherheiten durch die geopolitischen Risiken und die getrübte Eurokonjunktur nicht vollständig entziehen. So ist die britische Wirtschaft im dritten Quartal 2014 mit 0,7 % gegenüber dem Vorquartal gewachsen nach einem kräftigen Zuwachs von 0,9 % Wachstum im zweiten Quartal. Belastet wurde das Wachstum vor allem vom Außenhandel: Die Ausfuhr ging zurück, während die Einfuhr stieg. Zudem schrumpften die Unternehmensinvestitionen erstmals seit fünf Quartalen. Positive Impulse gingen dagegen erneut vom Konsum aus. Großbritannien: BIP verliert im dritten Quartal 2014 an Schwung und wächst „nur“ um 0,7 % Auch das Schlussquartal 2014 dürfte eine weiter nachlassende Expansionsrate aufweisen. Im Verlauf des nächsten Jahres erwarten wir dann aber wieder eine stärkere konjunkturelle Dynamik. So spiegeln die Stimmungsindikatoren eine lediglich vorübergehende Abschwächung wider. Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe, der in den Sommermonaten deutlich nachgegeben hatte, ist zuletzt wieder merklich gestiegen (53,2 Punkte) und sein Pendant für den Dienstleistungsbereich weist mit einer Zunahme auf 58,6 Punkte (Abbildung 7) ebenfalls auf generelle Zuversicht bei Unternehmen und Haushalten hin. Kurzfristige Risiken etwas gestiegen, aber Optimismus weiter vorherrschend 25 Abb. 7: Großbritannien – Einkaufsmanagerindizes 65 65 Industrie Dienstleistungen 60 60 55 55 50 50 45 Nov 11 45 Mai 12 Nov 12 Mai 13 Nov 13 Mai 14 Nov 14 In Punkten. Quelle: Markit. BIP dürfte 2015 dank robusten Konsums um 2,9 % steigen Wir erwarten, dass das Wachstum vorerst unverändert von der Binnennachfrage, insbesondere dem robusten Konsum, getragen wird. So werden sich die niedrige Inflationsrate (zuletzt: 1,3 %) und die geringen Finanzierungskosten sowie die steigende Beschäftigung positiv auf den Konsumsektor und den Immobilienbereich auswirken. Zudem steigen die Häuserpreise seit Anfang 2013 wieder, was mit positiven Vermögenseffekten verbunden ist. Die Investitionen sind – ähnlich wie in Deutschland – durch die unsicheren globalen Perspektiven getrübt und springen dagegen nur zögerlich an. Gleichwohl werden auch sie durch die günstigen Finanzierungskonditionen gestützt. Per saldo erwarten wir für 2015 ein BIP-Wachstum von 2,9 %. 3. Schweiz: Wachstum trotz Verunsicherung Schweiz: Wachstum unerwartet stark Die Schweizer Konjunktur zeigte sich von dem nachlassenden Wachstum in Europa zuletzt unbeeindruckt. Das BIP wuchs im dritten Quartal um real 0,6 % gegenüber dem Vorquartal und damit so stark wie seit zwei Jahren nicht mehr. Getragen wurde dies vor allem vom privaten und öffentlichen Konsum, der um 0,6 % beziehungsweise 0,9 % zulegen konnte (jeweils zum Vorquartal). Ein weiterer Wachstumstreiber waren die Ausfuhren, die nach einem starken Einbruch im zweiten Quartal wieder deutlich um 3,6 % zulegen konnten. Die zuletzt steigende Zuversicht spiegelt sich auch bei den Investitionen wider. So nahmen die Bruttoanlageinvestitionen im dritten Quartal um 0,5 % zu und konnten so die Verluste aus dem zweiten Quartal kompensieren. Frühindikatoren dämpfen Euphorie Dass die Lage in Europa nicht spurlos an der Schweiz vorbeigeht, zeigen die jüngsten Konjunkturumfragen. Einen Beleg dafür liefert der ZEW-CS-Indikator, der die Einschätzung der konjunkturellen Entwicklung im nächsten halben Jahr abbildet. Zwar konnten durch den Anstieg im November die drastischen Verluste des Vormonats wieder aufgefangen werden. Dennoch zeigt der Wert von –7,6 Punkten, dass die Zukunftsaussichten eher pessimistisch bewertet werden. Andere Indikatoren geben ebenfalls keinen Anlass zu übermäßiger Euphorie. So büßte der Einkaufsmanagerindex nach starken Werten im Oktober wieder 3,2 Punkte ein und lag im November bei 52,1 Punkten. Zuversichtlich stimmt, dass der Indikator nach wie vor über der 50-Punkte-Marke liegt, die als Wachstumsschwelle gilt. Dabei musste die Wirtschaft laut KOF-Konjunkturbarometer zuletzt starke Einbußen hinnehmen (Abbildung 8). 26 Abb. 8: Schweiz – BIP-Wachstum und KOF-Frühindikator 3 6 2 4 1 2 0 0 -2 -1 BIP (rechte Skala) KOF-Frühindikator -2 Mrz 96 -4 Mrz 98 Mrz 00 Mrz 02 Mrz 04 Mrz 06 Mrz 08 Mrz 10 Mrz 12 Mrz 14 BIP: Veränderung gegenüber Vorjahr in %; KOF-Frühindikator: in Punkten. Quellen: Staatssekretariat für Wirtschaftsangelegenheiten, KOF. Eine Rückkehr des Vertrauens in die Märkte wird die für die Schweiz wichtige Exportwirtschaft weiter beleben und dadurch die Konjunktur ankurbeln. Hinzu kommen steigende Reallöhne, welche die Kaufkraft der Konsumenten erhöhen und somit die Binnennachfrage stärken werden. Vor diesem Hintergrund rechnen wir für 2014 mit einem moderaten Wachstum von 1,7 % und für 2015 mit etwas stärkeren 2,0 %. Für 2015 erwarten wir ein Wachstum von 2,0 % Für das Gesamtjahr 2014 wird erstmals seit 2011 wieder eine positive Teuerungsrate erreicht, auch wenn diese bei nur 0,1 % liegen dürfte. Gleichzeitig schwächte sich das Hypothekenwachstum ab, weshalb die Schweizerische Nationalbank im Moment keinen Bedarf sieht, die Leitzinsen zu verändern. Somit bleiben diese vorerst bei 0 bis 0,25 %. Des Weiteren kündigte die Zentralbank an, weiterhin mit aller Konsequenz zu intervenieren, um den Franken mindestens bei einem Kurs von 1,20 zum Euro zu halten. Die Ablehnung des Goldreferendums dürfte daher für Erleichterung bei den Zentralbankern gesorgt haben. Die Verpflichtung, einen festen Anteil der Assets mit Gold zu decken, hätte es unter Umständen erschweren können, den Wechselkurs zu halten (siehe auch Teil 5, Kapitel III). Erstmals seit drei Jahren wieder leichte Inflation 27 III. Japan: 2015 – das Jahr der Entscheidungen (Wolfgang Pflüger) Zurück auf Los … Schon einmal scheiterte eine japanische Regierung an den Folgen angehobener Mehrwertsteuersätze. 1997 wurden die Sätze von 3 % auf 4 % gesetzt. Auch damals rutschte die Wirtschaft anschließend in eine Rezession. Die Administration unter Hashimoto Ryutaro trat im Juni 1998 zurück. … mit Abenomics Diesmal sollte alles anders werden, so das Kalkül des Ministerpräsidenten Abe. Denn seine Politik der Wiederbelebung Japans („Abenomics“) schien bis Ende März 2014 durchaus erfolgreich zu sein. Kreditfinanzierte Konjunkturprogramme und eine extreme Geldmengenausweitung (die ersten Pfeile der Abenomics) bescherten dem Land sechs Wachstumsquartale in Folge. Von Oktober 2012 bis zum ersten Quartal 2014 expandierte die Wirtschaft um durchschnittlich 3,25 % pro Jahr. Private Konsumausgaben und Unternehmensinvestitionen belebten sich. Die Verbraucherpreise fielen nicht mehr. Im Gegenteil: Bis März 2014 zogen sie um 1,8 % an. Dann setzte der Mehrwertsteuereffekt ein. Die Teuerungsrate kletterte auf 3,3 %. Mission erfolgreich? Leider kamen die angekündigten Strukturreformen (der dritte Pfeil der Abenomics) bislang über erste Ansätze nicht hinaus. Die fundamentalen Schwächen kamen nach den fiskalischen Belastungen erneut zum Vorschein. Die Konsumnachfrage brach ein. Die Unternehmen sahen sich mit ungewollt hohen Lagerbeständen konfrontiert und investierten weniger. Die Ausfuhren stiegen langsamer als die Importe. Die Folge: Die Wirtschaft schrumpfte in zwei Quartalen nacheinander, erst um annualisierte 7,3 %, dann nochmals um 1,9 %. Zur Jahreswende befand sich das Land somit in der dritten Rezession seit 2008/2009. Problem 1: Demografie Japan hat ein demografisches Problem: Es ist die am schnellsten alternde Industriegesellschaft. Schon jetzt gibt es mehr 65-Jährige als Menschen, die jünger als 24 Jahre sind. Bis zum Jahr 2030 wird das inländische Erwerbstätigenpotenzial um 13 Mio. Menschen schrumpfen. Bis 2060 ist eine Abnahme der japanischen Bevölkerung von 128 auf 87 Mio. Einwohner zu erwarten. So muss länger, produktiver, mit einer höheren Frauenbeteiligungsquote und mehr Einwanderern produziert werden, will man den jetzigen Lebensstandard auch nur einigermaßen aufrechterhalten. Weniger Einwohner bedeuten unter anderem weniger Konsumausgaben. Japans Unternehmen investierten daher lieber in die Wachstumsmärkte der Schwellenländer statt in die Heimatbasis. Der Standort Japan verlor an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Das gilt in besonderem Maße für die binnenmarktorientierten Dienstleistungssektoren und die abgeschottete Landwirtschaft. Problem 2: Exporte lassen nach Augenfällig wird all das in der Entwicklung der Handelsbilanz. Trotz der massiven YenAbwertung stiegen die Exporte mengenmäßig kaum an. Die Abschaltung sämtlicher Atomkraftwerke im Frühjahr 2011 führte zudem aufgrund der stark gestiegenen Energieimporte zu drastisch erhöhten Einfuhrrechnungen. Die Folge: Der einstmalige Exportweltmeister verzeichnet nun seit 28 Monaten Außenhandelsdefizite. 28 Abb. 9: Japan – Exporte 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 0 0 -10 -10 -20 -20 -30 -30 -40 Jan 09 -40 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: WTO. Zu den Demografie- und Exportproblemen gesellt sich die drückendste Erblast der Deflationsjahre. Sie ist in der Explosion der Staatsverschuldung zu erkennen. Unternehmen und Privatpersonen führten ihre Verbindlichkeiten zurück, investierten und konsumierten entsprechend weniger. Der Staat versuchte, die dauerhafte Nachfragelücke immer wieder mit diversen kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen zu schließen. Dadurch summieren sich die Schulden der öffentlichen Hand (je nach Berechnung) mittlerweile auf 220 % bis 245 % des BIP. Problem 3: Deflation lässt Staatsschulden explodieren Die Haushaltssituation ist zudem prekär: Die Planungen für das Fiskaljahr 2014/2015 sehen Ausgaben von 95 880 Mrd. Yen vor (circa 930 Mrd. US-Dollar). Diese werden zu 43 % über Anleihen-Neuemissionen gedeckt. Das ist derzeit jedoch noch relativ unproblematisch, weil die Notenbank im Rahmen ihrer ultraexpansiven Geldpolitik circa 85 % dieser Staatspapiere sofort ankauft. Problem 4: prekäre Haushaltslage Der erneute Einbruch der Wirtschaftsleistung zeigt, dass die wachstumsbeschleunigende Wirkung von Geldmengenexpansion und Yen-Schwächung nachlässt. Sollen überhaupt positive Effekte erreicht werden, wäre eine ständig steigende Dosis der verabreichten Medizin vonnöten. Langfristig würde „der Patient“ immun. Die Bemühungen verkehrten sich in das Gegenteil des ursprünglich Angestrebten. Daher ist die Umsetzung der Strukturreformen umso dringlicher. Die Abe-Administration ist sich dessen klar bewusst und spricht von der letzten „goldenen Chance“, die das Land hat, um sich der deflationären Fesseln zu entledigen. Abe wünscht sich eine stärkere politische Rückendeckung und hat daher vorgezogene Neuwahlen für Ende Dezember 2014 angesetzt. Reformdruck nimmt zu Bei den Wahlen strebt Abe ein klares Mandat für die Erneuerung Japans an. Bereits jetzt hat er 40 Reformgesetze auf den Weg gebracht hat. Darum geht es im Wesentlichen: • Arbeitsmarkt: In mehreren Schritten wurde bereits die Lebensarbeitszeit verlängert. War vor einigen Jahren der Bezug einer Basisrente bereits mit 55 Jahren möglich, so liegt das Renteneintrittsalter seit 2013 bei 65 Jahren – und es steigt weiter an. Faktisch arbeiten viele Japaner allerdings jetzt schon bis 70 und länger. Die Regierung strebt zudem eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen an. Sie liegt in Japan bei 48,2 % (Deutschland: 72 %). In öffentlichen Verwaltungen sollen bis 2020 wie Reformschwerpunkte 29 • • • • • • Japans starke Reserven bei uns 30 % der Führungspositionen mit Frauen besetzt sein. Bis dahin wird das Kita-Angebot drastisch erhöht. Die Zuwanderung hoch qualifizierter ausländischer Arbeitnehmer soll erleichtert werden. Verbessertes Umfeld für Investitionen: Ein wichtiger Schritt ist in der Absenkung des Ertragssteuersatzes von aktuell 35 % auf 29 % ab dem Fiskaljahr 2015 zu sehen. Attraktiv könnten die ab 2016 geplanten Sonderwirtschaftszonen werden, in denen liberalere Arbeitsvertragsbedingungen und besondere Fördermaßnahmen winken. Ab Herbst 2014 gewährt der Staat zudem großzügige Start-up-Hilfen (Finanzierung, befristete Übernahme von Sozialversicherungskosten). Nach 60 Jahren unveränderter staatlicher Regulierungen soll ab 2016 nun auch der Energiesektor liberalisiert werden. Staats- und Gebietsmonopole fallen. Die Strompreise könnten sich halbieren. Auch das Gesundheitswesen soll als neuer Wachstumssektor mit Strahlkraft auf die Binnenwirtschaft etabliert werden. Umfangreiche Privatisierungen von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen stehen auf dem Programm. Japans Energieimporte dürften langsam zurückgehen. Zum einen setzt das Land nun vermehrt auf erneuerbare Energien. Zum anderen werden ab 2015 Schritt für Schritt zahlreiche Atommeiler nach aufwändigen Sicherheitschecks wieder ans Netz gehen. Bei aller berechtigter Kritik sollte nicht vergessen werden, dass Japan immer noch über bedeutende Reserven verfügt. Die Devisenbestände sind mit 1 265 Mrd. US-Dollar die zweithöchsten der Welt. Monat für Monat erwirtschaftet das Land Leistungsbilanzüberschüsse von mehr als 1 Mrd. US-Dollar. Regierung, Unternehmen und Privatanleger hielten Ende 2013 Netto-Auslandsvermögenswerte in Höhe von 3 200 Mrd. US-Dollar. Das war das Eineinhalbfache Chinas, der Nr. 2 als Gläubigernation. Staatliche Versicherungsträger und Pensionskassen verfügen außerdem über enorme Kapitalreserven, die allerdings einst gebraucht werden, um Renten zu bezahlen. Abb. 10: USA und Japan – BIP-Wachstum pro Kopf 6 6 4 4 2 2 0 0 -2 -2 -4 -4 Japan USA -6 -6 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: IMF, World Economic Outlook. Kein verlorenes Jahrzehnt? 30 Die Diskussion über Japans verlorenes Jahrzehnt ist übertrieben. Betrachtet man die Entwicklung des realen BIP pro Kopf seit 2002 in den USA und in Japan, so ist das Ergebnis sicherlich überraschend. Japan wurde keineswegs von der führenden Wirtschaftsmacht der Welt abgehängt. Die Wohlstandsmehrung pro Kopf verlief in etwa parallel (Abbildung 10). In fünf der zwölf Jahre war sie in Japan sogar höher. Auch aktuell ist die Lage nicht so finster, wie es die beiden Rezessionsquartale erscheinen lassen. Während der kommenden Monate ist mit einer Wiederaufnahme des gemäßigten Wachstumstrends zu rechnen. Darauf weisen wichtige Konjunktur-Frühindikatoren hin: Der Maschinenbau registrierte vier Monate in Folge steigende Auftragseingänge. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Investitionspläne der Unternehmen ziehen. Der Geschäftsklimaindex für das verarbeitende Gewerbe zeigte mit 52,1 Punkten im November zum sechsten Mal in Folge Wachstum an. Die Produktionskomponente erreichte ein Achtmonatshoch. Sogar die Exporte zogen zuletzt beschleunigt an: +6,9 % im Vorjahresvergleich im September und +9,6 % im Oktober. Da sich der Yen seit Anfang November nochmals deutlich abgeschwächt hat, dürfte sich der Trend zu steigenden Ausfuhren fortsetzen. Zusammen mit den in 2015 rückläufigen Energieimporten ist somit erstmals seit zwei Jahren wieder mit einem positiven Wachstumsbeitrag des Außenhandels zu rechnen. Ende der Rezession absehbar Abb. 11: Japan – Manufacturing- und Composite-PMI 60 60 PMI Manufacturing PMI Composite 55 55 50 50 45 45 40 Jan 12 40 Jul 12 Jan 13 Jul 13 Jan 14 Jul 14 In Punkten. Quelle: Markit. Bei den Preisen bleibt abzuwarten, wie sich der neuerliche Tritt auf das monetäre Gaspedal auswirken wird. Die Notenbank hat Ende Oktober ihr Wertpapierankaufprogramm aufgestockt. Statt 60 bis 70 Bio. Yen sollen jetzt 80 Bio. Yen (etwa 720 Mrd. US-Dollar) im Jahr aufgekauft werden. Der Yen hat sich wie erwünscht weiter abgeschwächt. Seit Ende 2012 hat er gegenüber dem US-Dollar 30 % an Wert verloren. Die Importpreise werden also steigen und so auch das Verbraucherpreisniveau zumindest stützen. Der zweite Schritt der Mehrwertsteuererhöhung wurde auf April 2017 verschoben. Die Entscheidungsträger hoffen nun auf einen nachhaltigen Aufschwung und sich verfestigende Inflationserwartungen. Das Notenbankziel von 2 % Preissteigerungen wird weiterverfolgt, wobei allerdings klar sein sollte, dass es nicht vor Ende 2016 erreichbar ist. Vorher ist also auch nicht mit einer geldpolitischen Wende zu rechnen. Effekte der Geldpolitik unklar Fazit: Zweifellos bleibt Japans wirtschaftliche Verfassung labil. Das wird sich wohl erst dann ändern, wenn die Unternehmen wieder mehr im eigenen Land investieren, der Arbeitsmarkt in Bewegung kommt, die Löhne dauerhaft steigen. Dazu bedarf es dringend mutiger Reformschritte. Die Aussichten auf eine Umsetzung könnten nach den Neuwahlen vielleicht steigen. Ein Scheitern könnte sich jedoch verheerend auf die Landeswährung und die internationalen Finanzmärkte auswirken. Dauerhaftes Wachstum steht unter Reformvorbehalt 31 IV. Schwellenländer (Wolfgang Pflüger) 1. China, Brasilien und Indien 1.1. China: Der Umbau geht weiter Wachstumstempo lässt nach Chinas Expansionstempo verliert an Fahrt. Im Jahr 2013 wurde das vorgegebene Wachstumsziel von 7,5 % gerade noch erreicht. In diesem Jahr dürfte es verfehlt werden. Während der ersten sechs Monate legte die Wirtschaft um 7,4 % zu. Dem folgte eine Zunahme während des dritten Quartals um 7,3 %. Für den Jahresabschluss zeichnet sich eine Rate von 7,1 % ab. Dafür gibt es mehrere Ursachen: Wirtschaftspolitik fokussiert sich auf Dienstleistung und Konsum 1) Zum einen verfolgen Regierung und Notenbank seit 2012 das Ziel, die langjährigen Wachstumstreiber Investitionen und Exporte durch mehr Dienstleistungen und privaten Konsum abzulösen. Marktmechanismen sollen immer mehr die dirigistische makroökonomische Globalsteuerung ersetzen. Dazu gehört auch eine abnehmende Bedeutung der riesigen staatlichen Industriekonglomerate. Unproduktive Überkapazitäten werden stillgelegt. Dieser Prozess verläuft nicht ohne Friktionen. 2) Zum anderen hat der Industriesektor mit der Abkühlung im Immobilienbereich und schwankenden Exporten zu kämpfen. Direkt und indirekt trägt der Bausektor etwa ein Viertel zur chinesischen Wirtschaftsleistung bei. Die nachlassenden Aktivitäten spiegeln sich in seit Monaten fallenden Preisen in 67 von 70 Metropolregionen für Neu- und Bestandsbauten wider. Darüber hinaus gingen von Januar bis September die Immobilienverkäufe um 8,9 % zurück. Die Leerstände nehmen zu. 3) Die finanzierenden Banken sehen sich so mit steigenden Kreditausfallrisiken konfrontiert. Sie schränken ihre Kreditvergabe ein. Unserer Ansicht nach ist diese Entwicklung das größte Einzelrisiko für die chinesische Wirtschaft in den kommenden zwölf bis 24 Monaten. Sinkende Immobilienpreise Steigende Kreditausfallrisiken Abb. 12: China – Industrieproduktion 25 25 Industrieproduktion Mittelwert 20 20 15 15 10 10 5 5 0 Jan 00 0 Jan 02 Jan 04 Jan 06 Jan 08 Jan 10 Jan 12 Jan 14 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: China Economic Information Network. Trend zur Disinflation 32 Die sich abkühlende Immobilienkonjunktur ist ablesbar an der deutlichen Schwächetendenz der Industrieproduktion (Abbildung 12). Das sich verflachende Wachstumstempo bremst allerdings auch den Preisanstieg auf allen Ebenen. Die Erzeugerpreise sind bereits 32 Monate in Folge rückläufig. Zuletzt lagen sie um 2,2 % unter Vorjahr. Folge: Wenn Unternehmen immer weniger für ihre Endprodukte erlösen, engen sich ihre Gewinnmargen ein. Die Investitionsneigung leidet. Der Anstieg der Verbraucherpreise hat sich in nur zwölf Monaten auf 1,6 % halbiert. Zwar stützt dies die Kaufkraft der Verbraucher tendenziell. Dennoch sind Rückwirkungen der fallenden Hauspreise auch auf das Konsumverhalten der privaten Haushalte erkennbar. So lagen beispielsweise die Kfz-Zulassungen im Oktober 2014 nur noch um 2,8 % über dem Vorjahr. 2013 wurden 13,9 % mehr Fahrzeuge verkauft. Das Umsatzplus bei den Einzelhändlern ermäßigte sich im Jahresverlauf auf 11,5 %. Das hat es seit dem Hochpunkt der globalen Finanzkrise nicht mehr gegeben. Vorsichtige Verbraucher Abb. 13: China – Einzelhandelsumsätze 24 24 22 22 20 20 18 18 16 16 14 14 12 12 10 Jan 09 10 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: Staatliches Amt für Statistik der Volksrepublik China. Dabei ist das Potenzial der privaten Konsumnachfrage als dauerhafter Konjunkturstütze immens. Laut dem 2014 erschienenen „Credit Suisse Global Wealth Report“ können sich weltweit etwa 1 Mrd. Menschen der Mittelschicht zugehörig fühlen. Zu ihr werden hier Familien mit einem Vermögen zwischen 10 000 und 100 000 US-Dollar gerechnet. Seit dem Jahr 2000 hat China seinen Anteil an dieser Einkommensgruppe auf knapp ein Drittel oder 300 Mio. Bürger verdoppeln können. Man muss diesen Menschen nur die Möglichkeit geben, ihre Sparquote von durchschnittlich 51 % zugunsten höherer Verbrauchsausgaben abzubauen. Dazu bedarf es unter anderem eines schnellen Auf- und Ausbaus staatlicher Sozialversicherungssysteme. Riesiges Langfristpotenzial für mehr Konsum Regierung und Notenbank sehen durchaus die Anzeichen der Konjunkturabkühlung. Bestimmte Wachstumszahlen haben jedoch ihren früheren Fetischcharakter verloren. Im Vordergrund stehen jetzt qualitative Ansprüche in Bezug auf Produktivität, Umweltverträglichkeit oder Energieeffizienz. Solange der angestrebte Umbau der Wirtschaft das Vollbeschäftigungsziel nicht gefährdet, werden die politisch Verantwortlichen wirtschaftliche Schwächephasen tolerieren und nur mit punktuellen Stützungsmaßnahmen gegensteuern. Abkühlung kein Grund zur Besorgnis China wird auch im kommenden Jahr eine harte Landung der Wirtschaft vermeiden. Zur Jahreswende belegen allerdings rückläufige Geschäftsklimaindizes, dass der konjunkturelle Abwärtstrend insgesamt Bestand hat. Sollte er sich beschleunigen, rechnen wir damit, dass … 2015: uneben, aber ohne Einbruch 33 • die Notenbank ihre Refinanzierungshilfen über Langfristtender zu Minizinsen massiv ausweiten könnte. Außerdem ist durchaus vorstellbar, dass die Zentralbank während des ersten Halbjahres die Mindestreservesätze und/oder Leitzinsen um 50 bis 75 Basispunkte senkt. • die Zentralregierung jederzeit neue Infrastrukturprojekte (Stichwort: „Seidenstraße“) auflegen könnte und so Wachstumsimpulse setzt. Im Bahnbereich war das ja bereits in 2014 mit Investitionen von mehr als 100 Mrd. US-Dollar der Fall. Der Umbau kostet Wachstum Fazit: Der wirtschaftliche Umbau ist mit dauerhaft niedrigeren Wachstumsraten verbunden. Ein konjunktureller Einbruch ist jedoch äußerst unwahrscheinlich. 1.2. Indien: Neuer Schwung durch Modis Reform-Agenda Regierung fährt zweigleisig Die ersten Schritte nach seiner Amtsübernahme im Juni 2014 zeigen, dass Ministerpräsident Modi fest entschlossen ist, Indiens Wirtschaft von ihren Wachstumsfesseln zu befreien. Dabei fährt er auf der Zeitspur zweigleisig. Gleis 1: Inflation und Schulden abbauen Auf dem ersten Gleis sollen kurzfristig die staatliche Neuverschuldung und die hohen Inflationsraten, die er von der Vorgängerregierung übernommen hatte, zurückgeführt werden. Erste Erfolge haben sich eingestellt: Inflation fällt dank Notenbankpolitik und fallendem Ölpreis • Die restriktive Notenbankpolitik sowie sinkende Energie- und Nahrungsmittelpreise haben den Anstieg der Verbraucherpreise in nur zwölf Monaten auf zuletzt 5,5 % halbiert. Das per Januar 2016 angestrebte Inflationsziel von 6 % hat die Bank of India somit vorzeitig erreicht. Daraus ergibt sich ein nicht unerheblicher Zinssenkungsspielraum, der gerade für eine von der Binnennachfrage abhängige Wirtschaft wie die indische von großer Bedeutung sein kann. • Gleichzeitig will die Regierung das Haushaltsdefizit in den kommenden Jahren schrittweise verringern und es letztlich auf unter 3 % des BIP drücken. Aktuell hat die Regierung bereits die Subventionen für Diesel und Erdgas gekürzt sowie die staatlichen Preiskontrollen abgeschafft. Außerdem kommt es zu den umfangreichsten Privatisierungen seit 40 Jahren. Schwerpunkte liegen in der Kohle- und Ölindustrie. Mittelfristig erwarten wir wichtige Beiträge von der Vereinheitlichung der nationalen Mehrwertsteuersätze (per April 2016) und generell höheren Steuereinnahmen aus dem dynamisierten Wirtschaftswachstum. Neuverschuldung wird angegangen Gleis 2: Strukturreformen 34 Auf dem zweiten Gleis werden längerfristige Wirtschaftsreformen angeschoben. Die Früchte solcher Reformen reifen in aller Regel über mehrere Jahre. Im Vordergrund stehen folgende Problemfelder: 1) eine transparentere, weniger korruptionsanfällige Staatsführung („Good Governance“), 2) verbesserte Arbeitsmarkt- und Investitionsbedingungen für indische Unternehmen, 3) die Beseitigung der Infrastrukturengpässe, 4) eine starke Ausweitung der Bildungsausgaben und 5) eine höhere Beteiligung ausländischer Investoren. Die Regierung kann schon einiges vorweisen. Auf dem Weg zu „mehr Markt“ und „weniger Staat“ wurden bereits … • die seit mehr als 60 Jahren bestehende zentrale Planungskommission aufgelöst. Sie regierte nach kommunistischem Vorbild im Rahmen von Fünfjahresplänen in fast alle Wirtschaftsbereiche hinein, fixierte Lohnhöhen und hielt an der noch heute gültigen Verordnung über die Anzahl von aufzustellenden Spucknäpfen in Betrieben mit mehr als 50 Arbeitnehmern fest. • 20 von 44 nationalen Arbeitsmarktgesetzen, die teilweise älter als 70 Jahre sind, neu geregelt. Unter anderem wurde die staatliche Genehmigungspflicht von Entlassungen in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern gekippt. Diese und andere Auflagen führten dazu, dass mehr als 80 % aller indischen Unternehmen weniger als 50 Leute beschäftigen und entsprechend unproduktiv sind. Das Land braucht aber aufgrund seiner zunehmenden Bevölkerung bis zu 12 Mio. neue Arbeitsplätze pro Jahr. In der vergangenen Legislaturperiode waren es allerdings lediglich 5 Mio., überwiegend in den weniger personalintensiven Dienstleistungssektoren. Modi will nun besonders die industrielle Fertigung fördern. • der Wegfall beziehungsweise die Anhebung von Beteiligungsobergrenzen für Ausländer in strategischen Wirtschaftssektoren (Bahn, Verteidigung, Finanzen, Telekommunikation, Energie) beschlossen. • Real Estate Investment Trusts (REITs) und Infrastrukturfonds zugelassen und gefördert, die sich dann an öffentlichen Verkehrsprojekten beteiligen können. Die Regierung kann schon einiges vorweisen All dies hat zu einer neuen Aufbruchsstimmung geführt. Die Wirtschaft blickt zuversichtlicher nach vorne. Die Geschäftsklimaindizes signalisieren sowohl für die Industrie als auch die wichtigen Dienstleistungsbetriebe endlich wieder Wachstum. Schon während der Sommermonate hatte sich das Wirtschaftswachstum mit 5,7 % auf den besten Wert seit zweieinhalb Jahren beschleunigt. Der fiskalische Sparkurs bietet allerdings wenig Spielraum für staatliche Konjunkturpolitik. Bis Strukturreformen greifen und neue Wachstumskräfte freisetzen, dauert es ein wenig länger. Dennoch: Indien befindet sich auf einem vielversprechenden Weg. Bei richtigen Weichenstellungen wären Wachstumsraten von bis zu 7 % möglich. Wirtschaft schon jetzt mit neuem Schwung Die indischen Börsen haben stark von dem Regierungswechsel profitiert. Ausländische Anleger haben sich mit Rekordbeträgen an den Aktien- und Rentenmärkten engagiert. Bis Ende November erwarben sie Staatsanleihen im Wert von 12,4 Mrd. US-Dollar. Damit wurde die für Ausländer vorgegebene Obergrenze von 25 % aller ausstehenden Papiere erreicht. Der Standardwerte-Index SENSEX der Aktienbörse in Mumbai eilte von einem neuen Rekordstand zum nächsten. Die Jahresperformance lag Ende November bei 34 %. Finanzanleger wenden sich Indien zu Diese Kapitalzuflüsse und die Verbesserung der Außenhandelsposition haben die indische Rupie zu einer der besten Schwellenländerwährungen werden lassen. Gegenüber dem starken US-Dollar gab sie im bisherigen Jahresverlauf kaum nach (–1,7 %). Im Verhältnis zum Euro entsprach das immerhin einem Zugewinn von 8,3 %. Rupie relativ stabil 35 Abb. 14: Indien – BSE SENSEX 30 Index 30.000 30.000 25.000 25.000 20.000 20.000 15.000 15.000 10.000 10.000 5.000 Jan 08 5.000 0 Jan 09 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 In Punkten. Quelle: Bloomberg. Risiko: Fälligkeitsstruktur ungesicherter Währungskredite Die Vergangenheit zeigt allerdings auch, dass gerade in Zeiten von Zinsanhebungen in den USA Kapitalzuflüsse sehr schnell zu -abflüssen werden können. Eine gewisse Gefahr besteht auch in der Auslandsverschuldung. Nicht so sehr in der Relation von 23 % des indischen BIP, sondern eher in der absoluten Größenordnung von etwa 385 Mrd. US-Dollar und in der Fälligkeitsstruktur: 40 % (circa 155 Mrd. US-Dollar) sind kurzfristig fällig und zudem nicht währungsgesichert. Zum Vergleich: Die Devisenreserven beliefen sich per Mitte November auf 316 Mrd. US-Dollar (November 2013: 284 Mrd. US-Dollar). Wie sich Rupie und Finanzmärkte schlagen, wenn die Fed tatsächlich ihre Leitzinsen anhebt und die indische Notenbank gleichzeitig ihre Leitsätze senkt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall dürfte dieser Prozess nicht ohne Risiken ablaufen. 1.3. Brasilien: Mangelnder Reformwille Rousseffs Wiederwahl spaltet das Land Die knappe Wiederwahl Dillma Rousseffs in das brasilianische Präsidentenamt – auf sie entfielen 51,6 % der Stimmen – hinterlässt ein tief gespaltenes Land. Rousseffs Wählerschaft stammt überwiegend aus den 80 Mio. Menschen, die in Haushalten mit Monatseinkommen von weniger als 700 US-Dollar leben. Sie sind die Hauptnutznießer von Mindestlöhnen, die seit 2002 um 262 % angehoben wurden, sowie von künstlich niedrig gehaltenen Strom- und Benzinpreisen und von subventionierten Verbraucherkrediten. Auf der anderen Seite steht die Mittelschicht, die sich weniger Staatseingriffe, niedrigere Steuern, flexiblere Arbeitsmarktregelungen, höhere Bildungsausgaben und funktionierende öffentliche Infrastruktur wünscht. 2014: ab in die Rezession Die mangelhaften wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind auch ein Ergebnis aus zwölf Jahren linksgerichteter präsidialer Politik, die seit 2010 von Rousseff zu verantworten ist. Während ihrer ersten Amtsperiode nahm das Wachstum kontinuierlich ab: von 7,5 % in 2010 auf +1,2 % in 2012 (Abbildung 15). Der leichten Zwischenerholung des Vorjahres folgte trotz der stimulierenden Effekte der Fußball-WM ein Sturz in rezessive Gefilde. Die Bremswirkungen der falschen binnenwirtschaftlichen Weichenstellung wurden durch den Preisverfall wichtiger für den Export bestimmter Rohstoffe verstärkt. 36 Abb. 15: Brasilien – BIP-Wachstum 10 10 8 8 6 6 4 4 2 2 0 0 -2 -2 -4 -4 Mrz 05 Mrz 06 Mrz 07 Mrz 08 Mrz 09 Mrz 10 Mrz 11 Mrz 12 Mrz 13 Mrz 14 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: IBGE. Der makroökonomische Zustand ist daher bedenklich: • Die Außenhandelslücken weiten sich aus. Das Zahlungsbilanzminus hat seit 2012 um 50 % auf gut 80 Mrd. US-Dollar oder 3,8 % des BIP zugenommen. • Steigende Strom- und Nahrungsmittelpreise haben die hohe Sockelinflation angetrieben. Die Teuerungsrate erreichte im Herbst 2014 6,75 %. Das machte es der Notenbank nahezu unmöglich, ihren Leitzins von aktuell 11,75 % abzusenken. • Die daraus resultierenden hohen Kapitalkosten behinderten Unternehmensinvestitionen zusätzlich. Ein Vergleich mit China zeigt, wie niedrig die Investitionsquote ist, wie groß entsprechend die Wachstumshemmnisse ausfallen (Abbildung 16). Makroökonomischer Zustand des Landes bedenklich Abb. 16: Brasilien und China – Bruttoinvestitionen 50 50 Brasilien China 45 45 40 40 35 35 30 30 25 25 20 20 15 15 10 10 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 In % des BIP. Quelle: Weltbank. Auch deswegen hat sich der für das Land so wichtige Überschuss im Primärhaushalt (Staatseinnahmen minus Ausgaben ohne Zins- und Tilgungsaufwendungen) nun in ein Defizit gewandelt. Als bedenklich gilt auch die hohe Auslandsverschuldung von Unternehmen und Privathaushalten. Sie haben das erheblich niedrigere Zinsniveau in Fremdwährungen genutzt, um sich im Ausland zu verschulden. Das kann immer dann zu Problemen führen, wenn sich das Renditeniveau in den Zielländern nach oben bewegt und/oder wenn die heimische Währung abwertet. Auch deshalb haben die Haushalt immer löchriger 37 Ratingagenturen Standard & Poor’s und Fitch angekündigt, bei weiter ausbleibenden Strukturreformen ihre Bonitätseinschätzungen abzustufen. Noch haben sie mit BBB (Fitch) beziehungsweise BBB– (Standard & Poor‘s) gerade Investment Grade-Status. Woran es fehlt Was das Land also braucht, um auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückzufinden, sind niedrigere Unternehmenssteuern, flexiblere Arbeitsmarktbedingungen, liberalisierte Energiemärkte und eine Beseitigung der immensen Infrastrukturengpässe. Gestaltungswillen statt Durchwursteln nötig Es bedarf also politischen Gestaltungswillens statt eines „Durchwurstelns“. Dafür gab es zur Jahreswende kaum Anzeichen. Ein von der Notenbank berufenes Expertengremium erwartete zuletzt nur eine mäßige konjunkturelle Erholung und ein BIPWachstum von 0,8 % in 2015. Gleichzeitig dürften die Verbraucherpreise erneut um 6 % steigen. Dieser wenig erfreuliche Datenkranz hält die Landeswährung unter Druck. Eine Abwertung auf 2,65 Real je US-Dollar halten wir für wahrscheinlich. Abb. 17: US-Dollar in brasilianischem Real 2,80 2,80 2,60 2,60 2,40 2,40 2,20 2,20 2,00 2,00 1,80 1,80 1,60 1,60 1,40 Dez 09 1,40 Dez 10 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Quelle: Bloomberg. 2. Osteuropa: Wachstum trotz Ukraine-Krise (Wolf-Fabian Hungerland) Osteuropas Wirtschaftsleistung wächst – bloß in Russland und der Ukraine nicht Osteuropas Schwellenländer wuchsen 2014 mit etwa 1,3 % schwächer als noch im Vorjahr (1,9 %). Für 2015 erwarten wir, dass das Wachstum der Region mit rund 1 % weiter schwächeln wird.2 Ohne Russland – der größten Volkswirtschaft des Ostens – und ohne die Ukraine wird Osteuropas BIP jedoch um etwa 2,7 % in 2014 und rund 3 % in 2015 wachsen. Daneben erwarten wir für 2015 nur noch für Ungarn eine schwächere Konjunktur als in diesem Jahr. Außerdem wird die Wachstumsrate der Türkei – der zweitgrößten Wirtschaft Osteuropas – 2015 nur geringfügig zunehmen (Abbildung 18). Nach Wirtschaftsleistung gewichtete Durchschnitte aus unseren Prognosen für Russland, Türkei, Polen, Ungarn, Tschechien, Ukraine, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bulgarien und das Baltikum. 2 38 Abb. 18: Osteuropa – BIP-Wachstum 4 4 2 2 0 0 -2 -2 2016 Osteuropa insgesamt 2015 Estland Lettland Litauen Bulgarien Kroatien Slowenien Slowakei Rumänien Ukraine Tschechien Ungarn Polen Türkei Russland 2014 -7 -7 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: Berenberg. Die Schwellenländer des Ostens stehen auch 2015 vor großen Herausforderungen: Die Zinswende in den USA und die weiterhin hohe geopolitische Unsicherheit gefährden das Wachstum. Fallende Rohstoffpreise, insbesondere der Ölpreis, bereiten dem Ölexporteur Russland zunehmend Probleme, während energieimportierende Länder wie die Türkei davon profitieren. Hinzu kommen verschiedene nationale Entwicklungen, die die Konjunktur in den einzelnen Volkswirtschaften prägen könnten. Die größten Volkswirtschaften der Region, Russland und die Türkei, haben dabei die größten Probleme zu meistern. Herausforderungen in 2014: Zinswende in den USA, geopolitische Unsicherheit, fallende Rohstoffpreise Herausforderung 1: Die amerikanische Zinswende Wir erwarten, dass die amerikanische Notenbank im September 2015 die Zinsen anheben wird (siehe auch Teil 5, Kapitel II, 2.2.). Infolgedessen wird sich die Liquiditätslage in den osteuropäischen Emerging Markets verschlechtern. Höhere Zinsen in den USA werden Investitionen in Schwellenländern relativ unattraktiver machen. Die globale Liquiditätslage verschlechtert sich … Darunter werden gerade solche Schwellenländer leiden, die am stärksten von ausländischem Kapital abhängig sind. Nach dem Tapering-Erdbeben im Sommer 2013, also der Ankündigung, dass die US-Notenbank ihre expansive Geldpolitik langsam beenden wird, fielen die Wechselkurse der außenwirtschaftlich besonders verwundbaren Schwellenländer massiv – so auch in Osteuropa: Die türkische Lira und der russische Rubel gehörten zu den größten Verlierern (Abbildung 19, durchgezogene Linien). Für das Jahr 2015 rechnen wir gerade für die sehr stark vom Ausland abhängigen Volkswirtschaften Russland und Türkei mit weiterhin schwächelnden Währungen, was in diesen Ländern die Inflation anziehen lassen wird. … und die von ausländischem Geld abhängigen Staaten werden am meisten leiden 39 Abb. 19: Russland und Türkei – Wechselkurse und Kreditausfallversicherungsprämien 280 Tapering Russ. Rubel Russ. CDS 240 Türk. Lira Türk. CDS 280 240 200 200 160 160 120 120 80 80 40 Jan 13 40 Apr 13 Jul 13 Okt 13 Jan 14 Apr 14 Jul 14 Okt 14 Indizes = 100 am 01.01.2013. Durchgezogene Linien: Wechselkurse gegenüber Haupthandelswährungen, Gestrichelte Linien: Kreditausfallversicherungsprämien (Credit Default Swaps, CDS) auf fünfjährige Staatsanleihen. Quelle: Bloomberg. Herausforderung 2: Geopolitische Risiken Ukraine-Krise und der Vormarsch des IS haben makroökonomische Folgen Neben der schwierigeren Liquiditätslage werden auch im nächsten Jahr geopolitische Risiken ein wichtiger makroökonomischer Faktor sein. Die Entwicklung der Kreditausfallversicherungsprämien für osteuropäische Staatsanleihen zeigt, wie sich das wahrgenommene Ausfallrisiko über die letzten anderthalb Jahre verändert hat: Die Türkei und vor allem Russland verzeichnen heute ein höheres Risiko als noch vor gut zwei Jahren. (Abbildung 19, gestrichelte Linien). Hinter dem höheren Kreditausfallrisiko stecken bei Russland die fallenden Erlöse aus dem Verkauf von Erdöl sowie der hohe Preis, den das Land für seinen Angriff auf die Ukraine zahlen muss, und bei der Türkei die zunehmend autoritäre Regierung sowie der Vormarsch des IS. Abb. 20: Polen und Ungarn – Wechselkurse und Kreditausfallversicherungsprämien 180 Pol. Zloty Pol. CDS Tapering 160 Ungar. Forint Ungar. CDS 180 160 140 140 120 120 100 100 80 80 60 60 40 Jan 13 40 Apr 13 Jul 13 Okt 13 Jan 14 Apr 14 Jul 14 Okt 14 Indizes = 100 am 01.01.2013. Durchgezogene Linien: Wechselkurse gegenüber Haupthandelswährungen, gestrichelte Linien: Kreditausfallversicherungsprämien (Credit Default Swaps, CDS) auf fünfjährige Staatsanleihen. Quelle: Bloomberg. Divergenz zwischen Russland und der Türkei auf der einen und Polen und Ungarn auf der anderen Seite 40 Obwohl auch die kleineren Volkswirtschaften Osteuropas der Ukraine-Krise ausgesetzt sind, konnten Polen und sogar das wirtschaftspolitisch unwägbare Ungarn in den Augen der Investoren Risiken abbauen. Deshalb blieben die Währungen Polen und Ungarns relativ stabil (Abbildung 20). Wir sehen darin einen Trend und rechnen damit, dass sich diese Divergenz zwischen den großen und kleineren Staaten Osteuropas weiter ausprägen wird: Das Risiko steigt bei den ersteren und fällt bei den letzteren Volkswirtschaften. Herausforderung 3: Fallende Rohstoffpreise Die fallenden Rohstoffpreise (siehe auch Teil 5, Kapitel IV), allen voran der Ölpreis, verändern ebenfalls die makroökonomischen Rahmenbedingungen für die Emerging Markets Osteuropas. Für das kommende Jahr erwarten wir, dass die Rohstoffpreise vorerst nicht wieder die Höhen wie zu Anfang 2014 erreichen werden. Die rohstoffexportierenden Schwellenländer bekommen deshalb zunehmend Probleme. Viele von ihnen finanzieren den Großteil ihres Haushalts mit dem Export der Primärprodukte. Fallende Rohstoffpreise heißen also fallende Staatseinnahmen und wachsende Budgetdefizite. Rohstoffimporteure, andererseits, profitieren von den fallenden Rohstoffpreisen, da die Rohstoffimporte günstiger werden und so die oft gefährlich großen Leistungsbilanzdefizite schneller schrumpfen. Fallende Rohstoffpreise lassen die einen leiden und die anderen profitieren 2.1. Russland: Die Rezession kommt Die russische Volkswirtschaft steht vor der Rezession. Der Angriff auf die Ukraine und dessen Folgen kommen Russland teuer zu stehen. Für 2014 erwarten wir nur noch ein Miniwachstum (0,5 %) und für 2015 sogar eine Rezession von rund –1 %. Die Kapitalflucht (rund 110 Mrd. US-Dollar in 2014) und der fallende Rubel tragen dazu bei. Die russische Landeswährung verlor seit Jahresbeginn knapp 30 % an Wert gegenüber dem US-Dollar. Dazu gesellen sich der fallende Ölpreis sowie Probleme im Bankensektor und Refinanzierungsschwierigkeiten der Industrie. Die russische Volkswirtschaft steht vor der Rezession Wir sehen vor allem drei Gründe, warum der Rubel „abschmiert“: 1) Ausländische Investoren trauen der Währung nicht mehr und ziehen sich – gerade in Anbetracht der anstehenden Zinswende in den USA – aus dem Land zurück. 2) Der fallende Rubel sorgt für steigende Importpreise und so steigende Inflation (wir erwarten 7,7 % in 2014). Da ihre Rubel-Ersparnisse immer weniger wert sind, horten die Russen zunehmend Devisen, vor allem US-Dollar und Euro. 3) Die Landwirtschaft ist ineffizient und kann die immer teureren Lebensmittelimporte kaum ersetzen. Hinzu kommen die selbstauferlegten Importverbote landwirtschaftlicher Produkte aus der EU, den USA, Japan und Kanada. Russland muss deshalb harte US-Dollar ausgeben, um mehr Lebensmittel im Ausland zu kaufen. Der Rubel „schmiert ab“ Die russische Notenbank versucht, die außenwirtschaftliche Instabilität in den Griff zu bekommen. Um die Rubel-Nachfrage zu stimulieren, hob die Zentralbank den Leitzins von 5,5 % vor Beginn der Ukraine-Krise im März auf mittlerweile 9,5 % an. Teurerer Kredit macht nicht nur der sowieso struktur- und investitionsschwachen russischen Industrie zu schaffen. Auch die kleineren und mittleren russischen Banken bekommen wegen der westlichen Sanktionen immer mehr Probleme sich zu refinanzieren. Die Notenbank betreibt Krisenmanagement … Die Zinsentscheidung fiel vor dem Hintergrund, dass bislang nicht die Inflation, sondern ein stabiler Rubel-Kurs das oberste Notenbankziel war. Das ändert sich nun. So kündigte Notenbankchefin Nabiullina an, keine regelmäßigen Devisenkäufe zur Stützung des Rubels mehr vorzunehmen (diese beliefen sich auf 350 Mio. US-Dollar pro Tag), stattdessen aber vereinzelt und in weit größerem Maße Interventionen vorzunehmen. Seit November schwankt der Rubel vollständig frei, während sich die russi- … und richtet sich neu aus 41 sche Zentralbank der Inflationsbekämpfung verpflichtet hat – ihr Ziel lautet 4 %. Eine gute Idee, denn einen stabilen Rubel könnte die Notenbank in Anbetracht der aktuellen und anstehenden außenwirtschaftlichen Herausforderungen selbst mit massiven Interventionen sowieso nicht lange gewährleisten – ganz zu schweigen davon, dass auch die russischen Devisenreserven (aktuell etwa 400 Mrd. US-Dollar) endlich sind. Der Ölpreis bereitet Moskau massive Probleme Währenddessen zerstört der fallende Ölpreis sämtliche Haushaltsplanungen Moskaus. In der ersten Hälfte des Jahres exportierte Russland Güter im Wert von 255 Mrd. USDollar; etwa 68 % davon waren Öl und Gas. In der ersten Jahreshälfte kostete das Fass Öl noch rund 20 US-Dollar mehr als in der zweiten. Aktuell steht der Ölpreis bei 69 US-Dollar und Moskau verdient den Großteil seines Geldes im Ausland mit dem Export von Öl und Gas. Das russische Finanzamt nennt 96 US-Dollar pro Fass als haushaltsausgleichend. Soll heißen: Mit jedem Dollar weniger pro verkauftem Fass Öl werden die Löcher im russischen Haushalt größer. Eine russische Finanzkrise naht Als ob das nicht genug wäre, werden in den nächsten zwölf Monaten mehr als 130 Mrd. US-Dollar an Fremdwährungsschulden russischer Unternehmen fällig. Letztere belaufen sich insgesamt auf mehr als 500 Mrd. US-Dollar. Nur ein kleiner Teil davon wird von den gut mit Devisen ausgestatteten Ölgiganten bedient werden müssen. Der Großteil der Auslandsschulden muss von der russischen Industrie und den Banken bedient werden – allesamt kaum mit US-Dollar ausgestattet. Eine Finanzkrise naht. 2.2. Ukraine: Am Abgrund Die Lage in der Ukraine ist weiter brandgefährlich Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist weiterhin brandgefährlich. Nach den ukrainischen Parlamentswahlen Anfang November hat der Präsident Poroschenko zwar eine prowestliche Mehrheit im Parlament, die seinen europafreundlichen Reformkurs unterstützt. Überraschend stark äußerte sich bei der Stimmenverteilung jedoch auch der Wunsch der Bevölkerung nach einem robusteren Auftreten Kiews gegenüber Moskau und den von Russland unterstützen Separatisten. Vor diesem Hintergrund eskalierte die Lage in der Ostukraine wieder – der im September beschlossene Waffenstillstand wurde sowieso nie vollständig eingehalten und ist mittlerweile bloß ein Papiertiger: Die Kämpfe gehen weiter, während sich die Frontlinien kaum noch ändern – ein Indiz dafür, dass der Konflikt nur durch einen massiven Militärschlag gelöst werden kann oder aber sich zu einem dauerhaften Krisenherd unterhalb des Radars der täglichen Schlagzeilen entwickelt. Der Friedensprozess steht still; vermutlich wird aktuell nur durch westlichen Druck (und die fallenden Ölpreise) Schlimmeres verhindert. Wie weit wir den russischen Signalen der letzten Wochen trauen können, dass Russland vorerst den Konflikt nicht weiter eskalieren möchte, bleibt abzuwarten. Volkswirtschaftlich geht die Ukraine derweil fast durch die Hölle Die Ukraine steckt derweil in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Landeswährung hat seit Jahresbeginn fast 50 % an Wert verloren und die Wirtschaft wird dieses Jahr um rund 6,9 % schrumpfen. Russland, einer der wichtigsten Handelspartner des Landes, behindert ukrainische Importe. Die monatliche Gasrechnung aus Russland beträgt 700 Mio. US-Dollar, während die Devisenreserven auf 12 Mrd. US-Dollar geschmolzen sind. Die laufenden Ausgaben können kaum gedeckt werden. 42 Hinzu kommt eine Schuldenkrise: Um seine Auslandsschulden begleichen zu können, erhielt Kiew bereits im April einen Notfallkredit in Höhe von 17 Mrd. US-Dollar vom IWF – doch vermutlich wird die Summe nicht ausreichen. Betrugen die Schulden 2013 noch rund 40 % des BIP, geht der IWF für 2014 von 70 % aus. Ein Kredit von Russland aus dem Jahr 2013 könnte, sobald diese Zahl im Frühjahr nächsten Jahres offiziell bestätigt wird, frühzeitig zurückgefordert werden. Eine Klausel im Kreditvertrag ermöglicht dies, sobald die Schulden Kiews 60 % des BIP überschreiten. Eine Kettenreaktion an Zahlungsausfällen könnte die Folge sein. Aktuell debattiert der IWF bereits, wie man auf freiwilliger Basis die Laufzeit von ausstehenden Fremdwährungskrediten verlängern könnte; auch ein Schuldenschnitt steht zur Debatte. Gleichzeitig fordert der IWF für seinen Kredit massive Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben. So könnte es trotz aller prowestlicher Stimmung schnell zu Unbehagen in der ukrainischen Bevölkerung kommen. Die größte Gefahr ist eine mögliche Schuldenkrise Neben Kiew hat vor allem Moskau Einfluss darauf, wie sich die Lage in der Ukraine weiter entwickeln wird. Der Winter steht bevor, sodass Moskaus Hebel über die Gaslieferungen wieder gewichtiger wird. Gleichzeitig bekommt Moskau aber immer schwerwiegendere volkswirtschaftliche Probleme daheim (siehe oben). Deshalb erwarten wir, dass Moskau aufgrund der immer weiter steigenden, bereits immensen volkswirtschaftlichen Kosten kein weiteres Interesse an einer Eskalation hat. Jedoch hätte Putin aus rein volkswirtschaftlichen Gründen schon viel früher nachgeben beziehungsweise die Ukraine gar nicht erst angreifen sollen. Kiew und vor allem Moskau entscheiden, wie es weitergeht So erscheint Putins Ukraine-Politik weniger durch volkswirtschaftliche Erwägungen getrieben zu sein (eine Annexion des Donezbeckens wäre volkswirtschaftlich eher unrentabel) als innenpolitisch: Außenpolitische „Erfolge“ und antiwestliche, nationalistische Propaganda sichern dem Präsidenten daheim Zustimmung. Deshalb kann es gut sein, dass Putin bei der ohnehin einknickenden Wirtschaftsleistung seine heimische Popularität nochmals durch ein kostspieliges außenpolitisches Abenteuer aufpolieren könnte und entsprechend einen neuen Angriff auf die Ukraine (oder andere Nachbarländer mit russischsprachigem Bevölkerungsanteil) startet. In unserem Worst CaseSzenario heißt das für die Ukraine: Russland spekuliert auf einen wirtschaftlichen Kollaps der Ukraine, um dann die Ost- und Südukraine (oder „Neurussland“ in Putins Worten) als von Russland abhängigen Vasallenstaat entstehen zu lassen. Moskau könnte trotz verheerender ökonomischer Folgen weiter auf Eskalation setzen 43 2.3. Türkei: Weiter außenwirtschaftliche und politische Risiken Das Wachstum der türkischen Wirtschaft stottert Das Wachstum der türkischen Wirtschaft stottert. Nachdem am Anfang des Jahres die türkische Notenbank in einer Notfallsitzung die Leitzinsen auf 10 % verdoppelte, verlangsamte sich das Wachstum spürbar – für 2014 zeichnet sich ein Zuwachs von rund 3 % (2013: 4,1 %) ab. Für 2015 erwarten wir rund 3,3 % Wachstum für die Türkei. Die Zeiten mit Wachstumsraten von über 8 % (2010 bis 2011) sind also definitiv vorbei. Konsum und Geldpolitik treiben das Wachstum Wachstumstreiber werden moderat fallende Leitzinsen und ein weiter hoher, jedoch kreditgetriebener heimischer Konsum sein. Außerdem werden die fallenden Ölpreise der stark von Energieimporten abhängigen Türkei erlauben, ihr klaffendes Leistungsbilanzdefizit von 6 % in diesem auf etwa 5,5 % im nächsten Jahr zu reduzieren. Aufgrund von statistischen Basiseffekten wird etwa ab Februar auch die momentan sehr hohe Inflation (2014: 9 %) fallen. Anknüpfend an die oben diskutierten großen Emerging Market-Risiken sehen wir für die türkische Volkswirtschaft drei großen Herausforderungen im kommenden Jahr: die Zinswende in den USA, den Vormarsch des Islamischen Staats und das weiterhin hohe innenpolitische Risiko. Höhere Zinsen in den USA machen die Abhängigkeit vom Ausland noch brenzliger Höhere Zinsen in den USA werden die Risikotoleranz internationaler Investoren mindern. Das Leistungsbilanzdefizit von rund 50 Mrd. US-Dollar und die kurzfristigen Fremdwährungsschulden in Höhe von 130 Mrd. US-Dollar machen die Türkei verwundbar gegenüber Stimmungsschwankungen unter den Investoren. Zwar erwarten wir keine kurzfristigen, massiven Kapitalabflüsse, die die Konjunktur erdrosseln würden (Sudden Stop). Aber wir rechnen im nächsten Jahr mit steigenden Refinanzierungskosten für die türkische Volkswirtschaft und einer stark schwankenden Seitwärtsbewegung der Lira, gerade wenn wieder einmal politische Ereignisse aus der Türkei die Schlagzeilen der Bloomberg-Terminals der internationalen Geldgeber dominieren. Der Vormarsch des IS bedroht den Frieden … Ein solcher Schlagzeilen-Generator ist der Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Er stellt ein direktes militärisches Risiko dar: Die Kämpfe um das syrische Kobane an der Südgrenze der Türkei verdeutlichen das. Zudem steigt das Risiko von bürgerkriegsähnlichen Zuständen innerhalb des Landes. Denn der IS bedroht Kurden in Syrien wie auch im Irak. Das wiederum berührt die türkischen Kurden. Sie fordern Hilfe von Ankara. Die türkische Regierung fürchtet sich jedoch – unserer Ansicht nach unberechtigt – vor den Autonomiebestrebungen der türkischen Kurden. … und Ankara reagiert zögerlich und nicht besonders sensibel So stellt sich Ankara zögerlich und nicht gerade sensibel dabei an, die antikurdischen Hardliner in Regierungskreisen in die Schranken zu weisen. Regierungskritische Proteste in den großen Städten des Landes dürften deshalb auch im kommenden Jahr keine Seltenheit sein. Darüber hinaus sehen wir den innertürkischen Friedensprozess zwischen der Regierung und den türkischen Kurden gefährdet. Die Regierung wird autoritärer und nutzt die Geldpolitik für den Stimmenfang Nachdem sich der frühere Premierminister Erdogan im letzten Sommer ins Präsidentenamt wählen ließ, wird sich der autoritäre Regierungsstil unter dem neuen Präsidenten festigen. Im Sommer 2015 wählt das Land am Bosporus sein Parlament neu. Vor diesem Hintergrund machen wir uns Sorgen um die Unabhängigkeit der Zentralbank: Schon im Vorlauf der Präsidentschaftswahlen im August dieses Jahres begann die 44 Zentralbank trotz steigender Inflation, die Zinsen wieder zu senken – und „schenkte“ der Regierung bislang 175 Basispunkte. Vor den Parlamentswahlen im kommenden Sommer wird die Regierung die Zentralbank wohl wieder dazu nötigen, die Zinsen zu senken, um die Wähler mit günstigem Kredit bei Laune zu halten – und zwar vermutlich weit tiefer, als es die im nächsten Jahr fallende Inflation erlaubt. So erwarten wir, dass die Regierungspartei AKP wieder die absolute Mehrheit erlangen wird. Die wichtigste Frage bei den Wahlen wird sein: Wird die AKP eine Zweidrittelmehrheit erlangen? Dann könnte sie die Verfassung ändern und die persönlichen Präferenzen Erdogans auch in das Grundgesetz des Landes schreiben – ein Risiko mit unabsehbaren Folgen. Sicher ist bislang nur: Das Reformmomentum nimmt schon jetzt ab; wichtige Veränderungen der Arbeitsmarktpolitik und im Rentensystem stehen weiter aus. Stattdessen propagiert Erdogan, dass Frauen einfach nicht in manche Berufe gehören oder dass Schüler lernen sollen, Muslime hätten Amerika bereits lange vor Kolumbus entdeckt. Wie erfolgreich wird sie damit sein? Die Konsequenzen dieser Entwicklungen zeichnen sich bereits jetzt ab: Die Ratingagenturen Moody’s und Standard & Poor’s haben ihren Ausblick für Ankaras Schulden auf „Negativ“ herabgesetzt – erstere bewertet das Land aber weiter mit Investment Grade-Status, letztere mit dem höchsten Non-Investment-Status. An alldem ändert auch der kürzliche Pipeline-Deal mit Moskau nichts. Zwar wird dieser der Türkei langfristig ermöglichen, ihr Leistungsbilanzdefizit durch günstigere Gasimporte zu senken. Doch außenpolitisch rückt Ankara damit noch etwas weiter weg vom Westen – und der EU-Beitritt weiter in die Ferne. Ratingagenturen senken ihren Ausblick 2.4. Polen: Besser als im Vorjahr Polens Volkswirtschaft ging es dieses Jahr wieder besser. Nachdem sie 2013 lediglich um 1,6 % wuchs, rechnen wir für dieses Jahr mit einem BIP-Wachstum von rund 3 %. Für 2015 erwarten wir rund 3,3 % Zuwachs. Die zentralen Treiber dahinter sind die anziehende Konjunktur in der Eurozone, weiter fallende Leitzinsen, der anziehende Binnenmarkt und eine leichte Entspannung in der Ukraine-Krise. Polens Wirtschaft geht es besser als letztes Jahr Polen erlebt gerade seine erste Deflationsphase seit dem Fall des Eisernen Vorhangs: Die Inflation liegt mit aktuell –0,3 % bereits seit 22 Monaten unter dem Zentralbankziel von 2,5 %. Für das Gesamtjahr 2014 erwarten wir eine Preissteigerungsrate von bloß 0,1 %. Die niedrige Inflation und die vergleichsweise noch hohen Leitzinsen sowie das moderate Leistungsbilanzdefizit von etwa 1,6 % des BIP machen das Land sodann auch weniger verwundbar gegenüber der Zinswende in den USA als andere Emerging Markets. Erst zur Jahresmitte 2015 dürften die Preise wieder steigen, sodass wir im kommenden Jahr mit einer jährlichen Inflation von etwa 1,7 % rechnen. Polen erlebt gerade eine Deflation Voraussichtlich wird die polnische Zentralbank (NPB) ihren Ruf als Hüterin der Preisstabilität verteidigen. Entsprechend wird sie alles daransetzen, den Preisauftrieb in Richtung Notenbankziel zu drücken. Nach einer längeren Phase von konstanten Leitzinsen begann die NPB bereits im Oktober, die Zinsen weiter zu senken – und zwar überraschend drastisch um satte 50 Basispunkte auf aktuell 2 %. Wir rechnen mit weiteren Die polnische Notenbank wird expandieren, um die Inflation zu heben 45 Zinssenkungen bis zu 100 Basispunkten in den kommenden Monaten. Der Zloty-Kurs wird demgemäß nachgeben und wegen steigender Importpreise wird sich auch die Inflation wieder normalisieren. Wann genau aber die Zinsschritte kommen, ist schwer zu prognostizieren; eine Vertrauenskrise im geldpolitischen Komitee der NPB überschattet die Geldpolitik nach einem Abhörskandal im letzten Sommer. Eurozonen-Wirtschaft und Ukraine-Krise wichtig für Polens Konjunktur Polens Wirtschaft ist auf Gedeih und Verderb an die Eurozone gekoppelt – sie ist die verlängerte Werkbank Westeuropas. Nahezu drei Viertel der Exporte gehen an die EUNachbarn. Insofern gilt: Erholt sich Westeuropa, erholt sich auch Polen. Aufgrund des schwachen Wachstums westlich von Oder und Neiße konnte auch die polnische Wirtschaft dieses Jahr nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen. Außerdem leiden Industrieund Verbrauchervertrauen sowie die Exportwirtschaft unter der Ukraine-Krise, denn Polen ist hier besonders exponiert: Im letzten Jahr machten Exporte nach Russland rund 5,4 % und in die Ukraine etwa 2,9 % des BIP aus. Politisch bleibt das Land stabil Politisch bleibt das Land stabil. Der Wechsel Donald Tusks aus dem Amt des Premierministers zur EU-Kommission im Dezember hat keinen Einfluss auf den Kurs der Regierung. Seine Nachfolgerin als Premierministerin Ewa Kopacz steht für Kontinuität. Kommunalwahlen im November stützten die Regierungspartei Volksplattform. Nun finden im Herbst nächsten Jahres Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Doch wir gehen selbst im Falle eines Regierungswechsels nicht von größeren innenpolitischen Turbulenzen beziehungsweise wirtschaftspolitischen Kursänderungen aus. Wichtigstes Wahlkampfthema wird vermutlich die Ukraine-Krise sein. Premierministerin Kopacz befürwortet zum Beispiel eine Vollmitgliedschaft der Ukraine in der EU. Gleichzeitig dürfte keine der Parteien einen schnellen Eurobeitritt fordern. Dazu muss das Land wettbewerbsfähiger werden. Auch die Verstaatlichung eines Teils des Rentensystems ändert daran nichts Auch die Rentenreform Anfang 2014 änderte nichts an unserer fundamental positiven Einschätzung. Zwar wurde ein Teil der privaten Säule des Rentensystems verstaatlicht und in die umlagebasierte Säule integriert, doch die verfassungsmäßigen Schuldengrenzen wurden ebenfalls angepasst. Die Folge war also vor allem eine kosmetische Verbesserung der Staatsfinanzen: Die Staatsschulden fielen von 57 % auf 49 % des BIP. Die Ratingagenturen haben folglich neutral reagiert. Sie bewerten das Land weiter mit A2 (Moody’s), A– (Standard & Poor’s) und A– (Fitch). 2.5. Ungarn: Kurzfristig überraschend stark Ungarns Wirtschaft wächst stärker als erwartet 46 Die ungarische Wirtschaftsleistung hat sich 2014 deutlich besser entwickelt als erwartet mit einem Zuwachs von rund 3 %. Dahinter steht vor allem eine starke Exportindustrie, die wiederum vor allem von Automobilherstellern getragen wird. Die massiven Investitionen der letzten zwei Jahre zahlen sich aus. Das Ergebnis ist ein satter Leistungsbilanzüberschuss (2014: rund 2,8 %). Auch der Staat nahm beherzt Geld in die Hand, um die Konjunktur zu stützen. Zudem verzeichnete Ungarns Landwirtschaft überraschend gute Ernten. Die gute Konjunktur steht jedoch im Kontrast zu den fortwährend negativen Entwicklungen in der Politik: Die Regierung unter Premierminister Orban wird zunehmend autoritärer; die nach starken Protesten wieder zurückgezogene allgemeine Steuer auf Internetnutzung wurde gemeinhin als Versuch der Zensur verstanden. Hinzu kommt die aggressive Rhetorik gegenüber ausländischen Unternehmen, insbesondere Banken. Ganz zu schweigen von der hohen Wahrscheinlichkeit, dass Budapest sich auch in Zukunft mal eine Steuer hier oder ein ökonomisch extrem fragwürdiges Gesetz dort ausdenkt. Ungarn ist weiter von hoher politischer Unsicherheit gekennzeichnet. Politische Entwicklungen jedoch weiter negativ Die ungarische Zentralbank hat derweil mit Deflation zu kämpfen und bleibt weiter expansiv: Sie hält den Leitzins bei 2,1 %. Denn die Preise werden dieses Jahr so gut wie nicht steigen – wir erwarten eine Inflation von 0,2 %. Für die kaum steigenden Preise ist zum Teil die Regierung verantwortlich: Sie verhängte in verschiedensten Bereichen Preisobergrenzen. Hinzu kommt die allgemein schlechte Stimmung unter den Verbrauchern. Das Zentralbankziel für die Inflation liegt bei 3 %. Die Kerninflation liegt aber schon wieder bei 1,5 % – Tendenz steigend: Wir rechnen 2015 mit rund 2,3 %. Die Zentralbank versucht die Deflation loszuwerden Im Jahr 2015 wird sich die konjunkturelle Lage der politischen anpassen: Der Staat wird weniger Geld für fiskalische Stimuli haben und die Investitionen der ausländischen Automobilhersteller werden nur eine untergeordnete Rolle spielen. Damit wird der im Argen liegende Bankensektor wichtiger. Für die Banken ist der durch die Regierung erzwungene Umtausch von Fremdwährungskrediten und -hypotheken weiterhin ein großes Problem. Verluste in Höhe von rund 1 Bio. Forint (rund 307 Mrd. Euro) sind möglich. Hintergrund: Vor der Krise liehen sich viele Ungarn zu niedrigeren Zinsen Geld im Ausland. Doch nach dem Lehman-Kollaps drehte sich das Zinsverhältnis und die Haushalte bekamen Zahlungsprobleme – diese sollen nun auf die Banken umgewälzt werden. Infolgedessen werden die Banken weniger Kredite zu teureren Konditionen vergeben und so das Wachstum schwächen. Die Erholung des Konsums der dann entlasteten Haushalte wird das auch nicht kompensieren können. Insgesamt erwarten wir etwa 2,8 % BIP-Wachstum – Ungarn ist also neben Russland das einzige osteuropäische Land, für das wir 2015 ein niedrigeres Wirtschaftswachstum prognostizieren als in 2014. 2015 nimmt das Wachstum ab 47 TEIL 5 KAPITAL-, DEVISEN- UND ROHSTOFFMÄRKTE I. Aktien: Im Bann der Notenbanken (Peter Reichel) Unterschiedliche Performancedynamiken im zweiten Halbjahr Nach mehreren Monaten Seitwärtsbewegung, insbesondere in Europa, und tendenziell aufwärtsdriftenden Märkten wie den USA und zuletzt auch Japan weisen die globalen Aktienmärkte seit dem zweiten Halbjahr verstärkt unterschiedliche Wertentwicklungen auf (Abbildung 21). Abb. 21: Aktienmarktentwicklung 200 180 160 200 DAX Index S&P 500 MSCI EM EUROSTOXX 50 180 160 140 140 120 120 100 100 80 80 60 Nov 09 Nov 10 Nov 11 Nov 12 Nov 13 60 Nov 14 Index = 100 am 01.11.2009. Quelle: Bloomberg. Starke Gegenbewegung nach der Korrektur Mitte Oktober Nach der von uns erwarteten Korrektur bis Mitte Oktober haben sich die globalen Aktienmärkte deutlich erholt und ihre Verluste teilweise mehr als wettgemacht. In den USA, Japan sowie in einzelnen Schwellenländern erreichten die Indizes dabei sogar neue Hochstände. Einzelne europäische Märkte konnten hingegen das Niveau aus dem Sommer bislang noch nicht erreichen. Die globale Konjunktur dürfte sich 2015 erholen und wieder auf den moderaten Wachstumspfad einschwenken Für 2015 erwarten wir, dass die makroökonomischen Rahmenbedingungen die globalen Aktienmärkte insgesamt eher unterstützen werden. Insbesondere die niedrigeren Energiepreise dürften die globale Konjunktur beschleunigen, während die weltweit geringen Inflationsraten zu länger andauernden niedrigen Kapitalmarktzinsen führen und die Kaufkraft der Konsumenten stärken dürften. In den USA werden die soliden Makrodaten dazu führen, dass die US-Notenbank Fed im Jahresverlauf die Leitzinsen anhebt. Trotz der sich abzeichnenden Stabilisierung der Konjunktur in der Eurozone nach stetig abnehmenden Wachstumsraten in den Vormonaten bleibt die Lage störanfällig. Dies gilt insbesondere, wenn geopolitische Risiken einmal mehr die Stimmung der Haushalte und Unternehmen konterkarieren sollten. Dennoch gehen wir davon aus, dass sich die Eurozone im Verlauf des kommenden Jahres langsam erholen wird. Auch das für die globale Konjunkturentwicklung immer wichtiger werdende 48 China bereitet uns derzeit wenig Kopfzerbrechen trotz abnehmender Wachstumsraten. Mit einer aktiven Zinspolitik der chinesischen Notenbank, Konjunkturprogrammen unterschiedlichster Größenordnung und sehr großen Devisenreserven könnte die Parteiführung bei Bedarf jederzeit gegensteuern. Nach der für viele Marktteilnehmer überraschend positiven Unternehmensberichtssaison richten sich nun die Blicke auf die Geschäftsergebnisse der kommenden Quartale. Die global wegweisenden Ergebnisse US-amerikanischer Unternehmen dürften sich dabei weiterhin positiv entwickeln. Zum einen sollten die positiven Wachstumsraten der US-Wirtschaft mindestens in gleicher Dynamik die Umsätze treiben. Zum anderen sollten die bereits historisch hohen Gewinnmargen zu verteidigen sein. Anhaltend positive Cashflows sowie hohe Bestände an Barmitteln der Unternehmen machen darüber hinaus weitere Akteinrückkäufe wahrscheinlich, die ebenfalls zu einem Anstieg der Gewinne pro Aktie führen sollten. Die Unternehmensergebnisse US-amerikanischer Firmen sollten weiter zulegen Die Ergebnisse europäischer Unternehmen sollten sich ebenfalls positiv entwickeln. Bei einer sich leicht erholenden Konjunktur dürfte sich die Umsatzseite der Unternehmen allerdings nur unwesentlich verbessern. Die positive Entwicklung der Gewinnmargen wird jedoch stärker zu Buche schlagen. Denn neben einer günstigen Wechselkursentwicklung sowie anhaltend niedrigen Finanzierungskosten sollten auch die niedrigeren Rohstoffkosten zu höheren Gewinnen beitragen. Je länger diese Faktoren auf die Gewinn- und Verlustrechnung europäischer Unternehmen wirken, umso stärker und positiver werden sie sich im Ergebnis niederschlagen. Gleichwohl werden niedrige Rohstoffpreise die Gewinne einiger rohstoffverarbeitender Unternehmen belasten. Besonders optimistisch sind wir bei einer Konjunkturerholung für deutsche Unternehmen. Wie die Gewinnentwicklung (Abbildung 22) der letzten Jahre zeigt, konnten gerade deutsche Firmen dynamische Unternehmensgewinne verzeichnen, während die Gewinne von Unternehmen zum Beispiel aus Spanien, Italien, Frankreich oder auch aus Großbritannien tendenziell geringere Unternehmensgewinne verbuchten. Europäische Unternehmensgewinne sollten sich graduell verbessern – getrieben mehr durch höhere Margen als durch höhere Umsätze Abb. 22: S&P 500, EURO STOXX 50, DAX, FTSE 100, SMI – Gewinnentwicklung 190 170 S&P 500 SMI EURO STOXX 50 190 DAX FTSE 100 170 150 150 130 130 110 110 90 90 70 Nov 05 70 Nov 07 Nov 09 Nov 11 Nov 13 Index = 100 am 01.11.2005. Quelle: Bloomberg. 49 Aktienrückkäufe oder höhere Dividenden sollten Aktien unterstützen Neben möglichen Aktienrückkäufen zur Steigerung der Gewinne pro Aktie verfügen europäische Unternehmen über ebenfalls hohe Liquiditätsbestände, die sie über höhere Auszahlungsquoten in Form umfassenderer Dividendenzahlungen abbauen dürften, sofern sie keine größeren Investments vornehmen. Aktuell erwarten wir für europäische Indizes trotz bereits hoher Indexniveaus im kommenden Jahr Dividendenrenditen von circa 3,9 % für den EURO STOXX 50 und immer noch 3,2 % für den DAX. Aktienbewertungen steigen langsam, aber schneller als Unternehmensergebnisse In den vergangenen Monaten sind die Aktienkurse stärker gestiegen als die Unternehmensergebnisse. Das führte zu einer Ausweitung der Bewertungsmultiplikatoren. So ist das vielbeachtete Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für amerikanische sowie für europäische Aktien Schritt für Schritt gestiegen (Abbildung 23). Abb. 23: S&P 500, STOXX Europe 50, MSCI Emerging Markets – KGV 20 S&P 500 STOXX Europe 50 20 MSCI Emerging Markets 18 18 16 16 14 14 12 12 10 10 8 8 6 Nov 09 6 Nov 10 Nov 11 Nov 12 Nov 13 Nov 14 Basierend auf den geschätzten Unternehmensgewinnen des laufenden Geschäftsjahres. Quelle: Bloomberg. Steigende Unternehmensgewinne sind eine Voraussetzung für nachhaltig weiter steigende Aktienmärkte In diesem Zusammenhang sowie im historischen Kontext erachten wir Aktien dennoch als mindestens fair bewertet, insbesondere wenn man die Bewertungskennziffern um die Extremphase während der Jahrtausendwende bereinigt. Damit ergeben sich zwei Szenarien für weiterhin steigende Aktienkurse: 1) Steigen die Aktien weiterhin stärker als die Unternehmensgewinne, so steigt die Bewertung für Aktien und somit auch das Enttäuschungspotenzial für die kommenden Bilanzsaisons mit einer nachfolgenden stärkeren Korrektur. 2) Steigen jedoch die Unternehmensgewinne spürbar an, dann dürfte dies den fundamentalen Unterbau der langjährigen Aufwärtsbewegung festigen. Wir erwarten, dass eine Kombination aus beiden Varianten und die Entwicklung der Unternehmensergebnisse die Aktienkurse insgesamt stützen werden. Die technischen Vorzeichen deuten eine baldige Korrektur an 50 Nicht ganz so günstig stehen die Vorzeichen aus Sicht der Technik und des Sentiments – zumindest für das erste Halbjahr. Hier mehren sich die Zeichen zur Vorsicht gerade für das erste Quartal. Denn über drei Jahre wurden die Aktienmärkte bis in den zurückliegenden Sommer von einer vergleichsweise schwankungsarmen Aufwärtsbewegung weit nach oben getragen, bevor die Volatilität seit Jahresmitte 2014 wieder sukzessive zunahm. Aus technischer Sicht spricht vieles dafür, dass sich diese Tendenz im Jahr 2015 weiter verschärft. Die Richtung, die die Aktienmärkte einschlagen, wird dabei auch technisch zu einem erheblichen Maße durch die Anleihemärkte bestimmt werden. Da diese gemäß unserer technischen Analyse deutliche Kapitulationstendenzen und somit kräftiges Rückschlagpotenzial signalisieren, dürfte es auch für die Aktienmärkte speziell im ersten Halbjahr schwierig werden, ihre Aufwärtsbewegung fortzusetzen. Einfach ausgedrückt: Ein Anlagesegment, das vor allem während der jüngsten Aufwärtshaken von der Erwartung weiter fallender oder zumindest anhaltend niedriger Renditen profitiert hat, käme zwangsläufig unter Druck, wenn sich diese Erwartung zumindest temporär als falsch erweist. Technisch betrachtet ist das Aufwärtspotenzial der Aktienmärkte somit zunächst deutlich begrenzt. Das Risiko kräftiger Korrekturbewegungen, die dann allerdings nicht nachhaltig sein müssen, schließen wir nicht aus. Sentimenttechnisch betrachtet profitierten Aktien zuletzt zunehmend von ihrem Status der „Alternativlosigkeit“: Je höher die Kurse und je tiefer die Renditen am Rentenmarkt, umso attraktiver erscheinen Aktien. Dabei ist die Stimmung am Aktienmarkt gerade in Europa alles andere als euphorisch. Viele Anleger sehen sich vielmehr gezwungen, auf Aktien umzusteigen beziehungsweise ihre Aktienquoten zu erhöhen. Steigende Kurse ohne ausgeprägtes Commitment aber führen auch dazu, dass die Zahl der „zittrigen Hände“ zunimmt. Die Frage wird sein, wie speziell jene Anleger in Korrekturphasen reagieren, denen die letzte Überzeugung fehlt oder die ihr Risiko streng managen müssen. Etwas anders sieht das Stimmungsbild bei US-Aktien aus. Der eher defensive Charakter und die bekanntermaßen geringere Volatilität zogen viele Anleger an, die auf der Suche nach einem geeigneten Anleiheersatz waren. Zudem unterscheidet sich das makroökonomische Bild in den USA erkennbar vom Rest der Welt. Deswegen ist der Optimismus hinsichtlich US-Aktien besonders ausgeprägt. Beides, das fehlende Commitment einerseits sowie die geringe Skepsis andererseits, sind keine Zeichen für eine gesunde Rallye. Daher müssen wir uns am Aktienmarkt auch aus sentimenttechnischer Sicht auf Rückschläge einstellen. Das Sentiment gibt Anlass zu größerer Vorsicht und Wachsamkeit Jedoch sollte eine Korrekturbewegung ohne neuerliche externe Schocks unserer Erwartung nach keinen Crash verursachen. Denn attraktive Anlagealternativen zu Aktien bleiben Mangelware und die weithin soliden makroökonomischen und moderat positiven fundamentalen Rahmenbedingungen sollten die Aktienmärkte stützen. Fehlende attraktive Anlagealternativen sollten einen massiven Kursrutsch unwahrscheinlich machen Auch auf Event-Risiken müssen wir achten. Geopolitische Risiken haben in jüngster Vergangenheit zu einer zwischenzeitlichen Volatilität geführt. Eine mögliche Entscheidung der Fed, die US-Leitzinsen stärker und schneller als erwartet anzuheben, könnte die Investoren zu bedeutenden Gewinnmitnahmen veranlassen. Auch neue Krisen, die das Potenzial zu einem Flächenbrand haben, könnten die derzeit positive Stimmung der Marktteilnehmer untergraben. So ist die Ukraine-Krise noch längst nicht ausgestanden. Und auch in Europa könnten sich neue Risiken auftun. In Griechenland ist es möglich, dass vorzeitige Neuwahlen stattfinden. Sollte es der Regierungskoalition bei den im Februar 2015 anstehenden Präsidentschaftswahlen nicht gelingen, eine deutliche Mehrheit zu erringen, müsste das Parlament aufgelöst und neu gewählt werden – mit ungewissem Die Event-Risiken bleiben, sollten aber abnehmen, sofern die weiteren Brandherde sich nicht neu entzünden 51 Ausgang. Allerdings erachten wir die mittlerweile geübten Mechanismen diverser europäischer Institutionen zum Umgang mit Krisen als gefestigt. In Frankreich könnte ein politischer Stillstand weitere notwendige Reformen verzögern. Wenngleich wir diese Risiken weiterhin als bedeutend für die Kapitalmärkte bewerten, erscheinen sie aktuell moderat. Wir müssen sie jedoch weiter beobachten. Das erste Halbjahr dürfte schwankungsanfälliger ausfallen als das zweite Halbjahr 2015 Fazit: Mit den derzeit weiterhin unterstützenden Notenbanken diesseits sowie jenseits des Atlantiks, in China und einer insgesamt positiven Einschätzung der makroökonomischen Rahmenbedingungen für 2015 wie auch moderat positiven Fundamentalfaktoren erwarten wir eine gute Unterstützung für Aktien. Dies gilt insbesondere für die zweite Hälfte des Jahres 2015. Für die erste Halbzeit des kommenden Jahres erwarten wir gelegentliche Gewitterwolken mit Schauern. II. Anleihen: Gegenläufige Geldpolitik (Cornelia Koller) Geldpolitik läuft auseinander Die Geldpolitik der großen westlichen Notenbanken diesseits und jenseits des Atlantiks läuft seit dem Putin-Rückschlag für die europäische Konjunktur nicht mehr parallel. Während die amerikanische Notenbank Fed den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik bereits begonnen hat, hält die Europäische Zentralbank mit Blick auf mögliche Deflationsgefahren ihre geldpolitischen Türen weiter offen. 1. Preisentwicklung 1.1. Deflationssorgen in der Eurozone Schwächelnde Konjunktur und rückläufige Ölpreise lassen Inflation in der Eurozone immer geringer werden 52 Die Eurozone befindet sich seit Mitte 2013 in einer Phase der Disinflation mit tendenziell fallenden, aber immer noch positiven Inflationsraten. So ging der Preisauftrieb durch die schwache Konjunktur bei hoher Arbeitslosigkeit sowie durch den Rückgang der Öl- und Benzinpreise immer weiter zurück. Im November lag die Inflationsrate nur noch bei 0,3 %. Etwa die Hälfte des Rückgangs der Preissteigerung ist auf die gesunkenen Energiepreise zurückzuführen. Aber auch die Kernrate ohne die schwankungsanfälligen Elemente Energie und Nahrungsmittel liegt mit 0,7 % auf sehr niedrigem Niveau (Abbildung 24). Zu den disinflationären Tendenzen haben auch die Peripherieländer beigetragen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Arbeitsmarktreformen und Einschnitte bei den Löhnen verbessert haben. Bei hoher Arbeitslosigkeit hat dies dort vielfach zu fallenden Preisen geführt. Abb. 24: Euroland – Verbraucherpreise 5 4 5 Verbraucherpreise Kernrate der Verbraucherpreise 4 3 3 2 2 1 1 0 0 -1 -1 Jan 99 Jan 01 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 Veränderung gegenüber Vorjahr in %; Kernrate ohne Energie und Nahrungsmittel. Quelle: Eurostat. Wir haben unsere Inflationsprognose weiter nach unten angepasst. Hatten wir im Sommer für 2015 noch 1 % für die Eurozone und 1,5 % für Deutschland unterstellt, erwarten wir nun, dass die Inflation 2015 in der Eurozone durchschnittlich 0,3 % und in Deutschland 0,6 % betragen wird. Für 2016 prognostizieren wir zwar einen allmählichen Anstieg auf 0,9 % (Deutschland: 1,1 %), damit ist das Ziel der EZB einer Zunahme der Verbraucherpreise von „unter, aber nahe 2 %“ aber noch weiter entfernt als bisher angenommen. Da die Inflation erst zeitlich verzögert auf die Konjunktur reagiert, hat sich der Zeitpunkt für einen leichten Wiederanstieg der Inflation durch den aktuellen Konjunkturrückschlag weiter nach hinten verschoben. Erst die Rückkehr zu einem nachhaltigen Wachstum wird die Preise wieder leicht steigen lassen. EZB-Ziel von 2 % bei der Inflation in immer weiterer Ferne Obwohl wir unsere Inflationsprognosen für die Eurozone damit bereits deutlich nach unten genommen haben, sehen wir angesichts der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit, der unterausgelasteten Kapazitäten und der verhaltenen Konsumnachfrage weitere Risiken nach unten. Gleichwohl halten wir eine Deflationsspirale für sehr unwahrscheinlich. Vorerst werden die gesunkenen Ölpreise in Kombination mit den geringen Lohnzuwächsen die Inflation zwar weiter niedrig halten. Auf der anderen Seite wird die Abwertung des Euro die Importe aus Ländern außerhalb des Euroraums aber verteuern. Zudem kann die Konjunktur langsam wieder Tritt fassen. Daher erwarten wir, dass sich die Inflationsrate im Frühjahr 2015 zumindest stabilisieren wird. Auf längere Sicht sollten die graduell anziehende Konjunktur und die zunehmende Beschäftigung mit der üblichen Zeitverzögerung dann wieder für einen allmählichen Anstieg der Verbraucherpreise sorgen. Vor allem in Deutschland dürften sich die um rund 3 % steigenden Tariflöhne sowie die flächendeckende Einführung des Mindestlohns preissteigernd auswirken. Die Peripherieländer werden dagegen weiterhin unterdurchschnittliche Inflationsraten aufweisen. Disinflation ja, Deflation nein 53 Abb. 25: USA – Verbraucherpreise 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 0 -1 -2 -1 Verbraucherpreise Kernrate der Verbraucherpreise -2 -3 Jan 99 -3 Jan 01 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 Veränderung gegenüber Vorjahr in %; Kernrate ohne Energie und Nahrungsmittel. Quelle: Bureau of Labor Statistics. 1.2. Gedämpfter Preisanstieg in den USA und Großbritannien Inflation auch in den USA und Großbritannien unter 2% Nicht nur das EZB-Ziel eines Anstiegs der Verbraucherpreise von „unter, aber nahe 2 %“ wird derzeit deutlich unterschritten, auch in den USA und in Großbritannien ist die Unterauslastung am Arbeitsmarkt nach wie vor so hoch, dass die Inflation noch geraume Zeit unter den 2 %-Zielen der Notenbanken verharren dürfte. In den USA lag die Inflation im Oktober bei 1,7 % (Kernrate: 1,8 %), der von der Fed als Inflationsmaßstab herangezogene Preisanstieg der privaten Verbrauchsausgaben lag bei 1,4 % (Kernrate: 1,6 %). In Großbritannien ist die Inflationsrate zuletzt auf 1,3 % gefallen. Während wir für die USA erwarten, dass sich der Anstieg der Verbraucherpreise in den nächsten Monaten um die Marke von 1,5 % bewegt, könnte die Inflation in Großbritannien mit Blick auf das starke Pfund und die gefallenen Ölpreise dagegen weiter in Richtung 1 % fallen. Im Zuge eines robusten Wachstums in den USA und in Großbritannien sollte die Teuerungsrate in beiden Ländern etwas stärker anziehen als im Euroraum. Fed und BoE können ihre geldpolitischen Ziele deshalb wohl Ende 2016 wieder erreichen. Abb. 26: Großbritannien – Verbraucherpreise 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 Jan 99 0 Jan 01 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 Veränderung gegenüber Vorjahr in %; Kernrate ohne Energie und Nahrungsmittel. Quelle: UK Office for National Statistics. 54 2. Geldpolitik 2.1. EZB: Weiter auf dem Gaspedal Die EZB hat im Jahresverlauf 2014 wiederholt klargestellt, dass sie alles Nötige tun wird, um der Gefahr einer möglichen Deflation zu begegnen und ihr stabilitätspolitisches Ziel einer Inflationsrate von „unter, aber nahe 2 %“ zu verteidigen. Zwar liegt bei einer Rate von 0,3 % nach wie vor keine Deflation vor, denn dafür müsste es eine längere Phase mit sinkenden Preisen, also negativen Inflationsraten, bei hinreichend vielen Gütern und Dienstleistungen geben. Dies ist bisher nicht der Fall. So handelt es sich in der Eurozone „nur“ um eine Phase der Disinflation; also tendenziell fallende, aber positive Inflationsraten. Dennoch hat der immer weiter abnehmende Preisauftrieb die Gefahr einer Deflation näher rücken lassen. Deshalb hat die EZB ihre Leitzinsen in zwei Schritten im Juni und September auf ein historisches Tief von 0,05 % und den Einlagensatz erstmals in den negativen Bereich abgesenkt (aktuell: –0,20 %). Darüber hinaus hat EZB-Präsident Draghi wiederholt die Möglichkeit zusätzlicher unkonventioneller geldpolitischer Lockerungen signalisiert – dies nicht zuletzt aus Sorge, dass die Inflationserwartungen längerfristig zurückgehen könnten, was ein Indiz für mangelndes Vertrauen in die Stabilitätspolitik der EZB wäre. EZB hat Zinsen auf historischen Tiefststand gesenkt, um deflationären Gefahren rechtzeitig entgegenzuwirken Abb. 27: Eurozone und USA – Leitzinsen 7 EZB-Refinanzierungszinssatz US Fed Funds Rate 6 7 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 0 Jan 99 Jan 01 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 In %. Quelle: Bloomberg. Vorerst will die EZB die Wirkung ihrer jüngsten unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen abwarten. So hat sie im September das erste ihrer an die Kreditvergabe der Banken gebundenen langfristigen Refinanzierungsgeschäfte (Targeted Long Term Refinancing Operation, TLTRO) begeben; der zweite Tender wird am 11. Dezember folgen. Darüber hinaus hat die EZB im Oktober begonnen, gedeckte Schulverschreibungen (Covered Bonds) wie Pfandbriefe zu erwerben. Der Kauf von Kreditverbriefungen (Asset Backed Securities, ABS) ist Ende November gestartet und soll sich über mindestens zwei Jahre erstrecken. Ziel ist, die Kreditversorgung von Unternehmen und Haushalten zu verbessern und damit letztlich die Konjunktur anzuregen. Neue unkonventionelle Schritte Durch die angekündigten Maßnahmen beabsichtigt die EZB, die Bilanzsumme wieder an ihre Größenordnung von Anfang 2012 (rund 3 Bio. Euro) heranzuführen. Verglichen mit dem Stand von heute entspricht dies einer Differenz von etwa 1 Bio. Euro (Abbildung 28). EZB-Bilanz wird sich aufblähen 55 Abb. 28: Europäische Zentralbank – Bilanzsumme 3.500 3.500 3.000 3.000 2.500 2.500 2.000 2.000 1.500 1.500 1.000 1.000 500 Dez 04 500 Dez 06 Dez 08 Dez 10 Dez 12 In Mrd. Euro. Quelle: Europäische Zentralbank. Ankauf von Unternehmensanleihen … Für den Fall, dass die bisher beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen sollten, um die Deflationsgefahren abzuwenden und die Bilanzsumme auszuweiten, hat Draghi wiederholt betont, dass die EZB bereit ist, innerhalb ihres Mandats zur Wahrung der Preisstabilität zusätzliche unkonventionelle Schritte zu ergreifen. Dabei nannte er Käufe von Staatsanleihen (Quantitative Easing, QE) und Unternehmensanleihen als mögliche Option. … und Staatsanleihen ist eine Option Wir erwarten, dass die EZB Anfang 2015 – entweder am 22. Januar oder am 5. März – weitere unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen beschließen wird. Dabei sehen wir für den Ankauf von Unternehmensanleihen (außer Bankanleihen) mit gutem Rating eine Wahrscheinlichkeit von 80 %. Auch den Ankauf von Staatsanleihen halten wir für sehr wahrscheinlich (65 %). Erste Zinserhöhung erst 2017 wahrscheinlich Anders als die beiden angelsächsischen Notenbanken wird die EZB damit weiter kräftig auf das geldpolitische Gaspedal drücken. Die Wende in der Zinspolitik erwarten wir nicht vor 2017. Mit der für Anfang 2015 geplanten Veröffentlichung der bislang geheimen Sitzungsprotokolle wird der EZB bis dahin ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einer stärkeren Transparenz gelungen sein und so für eine bessere Information und Interpretation ihrer Geldpolitik durch die Märkte gesorgt sein. 2.2. Fed: Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik Fed hat QE3 im Oktober 2014 beendet Die US-Notenbank Fed hat dagegen das Kapitel eins des behutsamen Ausstiegs aus der expansiven Geldpolitik im Oktober mit Ende des dritten Anleiheankaufprogramms (QE3) abgeschlossen. Im September 2015 dürfte das zweite Kapitel folgen, wenn FedPräsidentin Yellen den Leitzins das erste Mal seit Ende 2008 wieder erhöhen wird. Gemischte Signale von Konjunktur und Inflation Wann die Fed ihre Zinsen anheben wird, hängt vor allem vom Arbeitsmarkt und vom Preisauftrieb ab. Zuletzt ist die Arbeitslosenquote auf 5,8 % gefallen und die Stellenzuwächse außerhalb der Landwirtschaft lagen den zehnten Monat in Folge über 200 000 (Abbildung 29). Auf der anderen Seite ist der Anstieg der Stundenlöhne mit gut 2 % weiter recht verhalten. Zudem liegt der Preisanstieg gemessen am Deflator der persönlichen Verbrauchsausgaben, der von der Fed als Inflationsmaßstab herangezogen wird, unverändert unterhalb ihrer Zielgröße von 2 % (Abbildung 29). 56 Abb. 29: USA – Arbeitslosenquote 10 10 9 9 8 8 7 7 6 6 5 5 4 4 3 3 Jan 00 Jan 02 Jan 04 Jan 06 Jan 08 Jan 10 Jan 12 Jan 14 Arbeitslosenquote in %. Quelle: Bureau of Labor Statistics. Deshalb erwarten wir, dass die Fed ihre Leitzinsen auch nach Ende ihrer Wertpapierankäufe noch für einige Zeit auf dem aktuellen Niveau von 0 % bis 0,25 % belassen wird. Dies vor allem dann, wenn die Inflationsprojektionen weiter unter ihrem längerfristigen Inflationsziel von 2 % liegen. Mit Blick auf den Rückgang der Ölpreise und die jüngsten Inflationsdaten – wir haben unsere Inflationsprognose 2015 von 1,6 % auf 1,4 % revidiert – ebenso wie aufgrund der gestiegenen Risiken für die Weltwirtschaft ist unser Ausblick für die Zinswende in den USA etwas weiter in die Ferne gerückt: von April 2015 auf September 2015. Wir erwarten, dass dies dann aber lediglich der Beginn eines behutsamen Zinserhöhungszyklus in kleinen Schritten sein wird. Denn selbst wenn Beschäftigung und Inflation wieder nahe den Fed-Zielen liegen, könnte das ökonomische Umfeld Fed-Präsidentin Yellen zufolge noch für einige Zeit dafür sprechen, die Leitzinsen auf einem niedrigeren Niveau als in „normalen“ Zeiten zu belassen. Nach Anheben der Federal Funds Rate im September 2015 auf 0,5 % dürfte Yellen die Zinsen daher so langsam weiter nach oben schleusen, dass der Leitzins Ende 2015 bei 0,75 % und Ende 2016 bei 2 % liegen könnte. Damit wird das Zinsniveau auch mittelfristig noch relativ niedrig bleiben. Zudem wird die Fed auch nach Ende der Anleihekäufe ihr Wertpapierportfolio konstant halten und Zinsen sowie fällige Anleihen unverändert reinvestieren und ihren expansiven geldpolitischen Kurs damit fortsetzen. Erster Zinserhöhungsschritt der Fed voraussichtlich im September 2015 Abb. 30: USA – Preissteigerungsrate der privaten Verbrauchsausgaben 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 0 -1 -1 -2 Jan 00 -2 Jan 02 Jan 04 Jan 06 Jan 08 Jan 10 Jan 12 Jan 14 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: Bureau of Economic Analysis. 57 2.3. Bank of England: Erste Zinserhöhung November 2015 Bank of England dürfte die Zinsschraube ebenfalls im November 2015 anziehen Die Bank of England (BoE) dürfte ihre Zinsen ungeachtet der rückläufigen Arbeitslosenquote (zuletzt: 6 %) vorerst noch bei 0,5 % belassen. So hat die BoE in ihrem jüngsten Inflationsbericht sowohl ihre Wachstums- als auch ihre Inflationsprognosen nach unten genommen. Zudem hat sie hervorgehoben, dass sie vor der ersten Zinsanhebung erst einmal ein solides Wachstum bei den Löhnen abwarten will. Mit Blick auf die etwas verhaltenere konjunkturelle Entwicklung und die geringe Inflation (zuletzt: 1,3 %) haben wir unsere Erwartung für den Beginn der britischen Zinswende etwas nach hinten verschoben: Sofern aus den Unterhauswahlen im Mai nächsten Jahres eine stabile Regierung hervorgeht, erwarten wir den ersten Zinserhöhungsschritt von 0,5 % auf 0,75 % nun im November 2015. Danach dürfte die BoE ihre Zinsen langsam um je 25 Basispunkte pro Vierteljahr anheben. Ähnlich wie die Fed hat auch BoE-Governor Carney darauf hingewiesen, dass das Ende der Zinserhöhungen niedriger als in früheren Phasen sein könnte. Ende 2016 könnten die Leitzinsen aus unserer Sicht daher bei 1,75 % liegen. 3. Zinsen 2015: Ganz langsam aufwärts Putin und Draghi lassen Zinsen weiter fallen Anders als von uns erwartet sind die Kapitalmarktzinsen in Deutschland im Jahresverlauf 2014 immer weiter gesunken. Zum einen haben die geopolitischen Risiken (Ukraine, Syrien, Irak) zu einem neuen Kapitalzufluss in Anleihen der sicheren Anlagehäfen geführt. Zum anderen hat die Konjunktur in Deutschland und der Eurozone eine Atempause eingelegt und die EZB hat ihre Zinsen weiter gesenkt. So fiel die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen Ende November auf einen neuen historischen Tiefststand von 0,70 % (Abbildung 31). Die Zusicherung der EZB, die Zinsen auch in Zukunft niedrig zu halten, hat die Renditen von ein- bis dreijährigen Bundesanleihen sogar in den negativen Bereich gedrückt. Übergeordnetes Bild bleibt durch niedrige Zinsen geprägt, nach Abklingen der Ukraine-Krise aber sanfter Renditeanstieg Damit ist das übergeordnete Bild weiter durch niedrige Zinsen charakterisiert. Neben der anhaltend expansiven Geldpolitik der EZB spricht der außerordentlich geringe Inflationsdruck dafür, dass die Zinsen niedriger als in „normalen“ Aufschwungphasen bleiben. Unsere grundsätzliche Erwartung eines sanften Renditeanstiegs hat sich angesichts der schleppenden Konjunkturerholung aber etwas weiter in die Zukunft verschoben. Für tendenziell moderat steigende Zinsen spricht, dass die Fed ihre Anleihekäufe inzwischen beendet hat, die Euro-Vertrauenskrise der Vergangenheit angehört und der mittelfristige Ausblick für die Konjunktur beiderseits des Atlantiks positiv ist, trotz des aktuellen Rückschlags in der Eurozone. Wir erwarten nach einem Abklingen der geopolitischen Risiken daher einen sanften Anstieg der Renditen. 58 Abb. 31: Deutschland und USA - Renditen zehnjähriger Staatsanleihen 7 7 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 0 Jan 99 1 Deutschland USA Jan 01 0 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 In %. Quelle: Bloomberg. Die Zinswende der Fed wird zu einem Anstieg der Kapitalmarktzinsen in den USA führen, dem sich auch die Entwicklung am deutschen Rentenmarkt nicht gänzlich entziehen kann. Darüber hinaus erwarten wir weiterhin, dass deutsche Staatsanleihen etwas von ihrem Safe Haven-Bonus abgeben werden, sobald die Märkte bei nachlassenden geopolitischen Spannungen das Wiederanspringen der Konjunktur in der Eurozone vermehrt einpreisen. Zu Beginn des Jahres 2015 könnten die immer wahrscheinlicher werdenden Anleihekäufe der EZB das allgemeine Renditeniveau noch etwas weiter nach unten drücken. Je näher aber die erste Zinserhöhung der Fed kommt und je mehr sich eine Erholung der Eurokonjunktur abzeichnet, desto mehr sollte sich dies in sanft anziehenden Renditen widerspiegeln. Per Ende 2015 erwarten wir für zehnjährige US-Staatsanleihen einen Zinsanstieg auf 2,90 % und für zehnjährige Bundesanleihen auf 1,20 %. Zinspolitik der Fed und Konjunkturerholung der Eurozone sprechen für leicht anziehende Zinsen im Jahresverlauf 2015 59 III. Währungen: Im Griff der Geldpolitik (Dr. Jörn Quitzau) 1. US-Dollar Geldpolitik bringt Bewegung in die Devisenmärkte Im Sommer dieses Jahres war die Volatilität an den Devisenmärkten auf ein so niedriges Niveau gefallen, dass für den weiteren Jahresverlauf die ganz große Langeweile zu befürchten war. Doch es kam anders. Aufgrund divergierender geldpolitischer und konjunktureller Perspektiven setzte der US-Dollar auf breiter Front zum Höhenflug an, während der Euro und der japanische Yen spürbar unter Druck gerieten. Aufgrund der phasenweise starken Aufwärtsdynamik des US-Dollars gegenüber dem Euro haben einige Großbanken ihre Langfristprognosen für das Währungspaar medienwirksam korrigiert: Für die Jahre 2016/2017 erwarten sie inzwischen Euro/Dollar-Wechselkurse im Bereich der Parität, somit also einen kräftigen Euroabsturz beziehungsweise Dollar-Anstieg. Abb. 32: Euro in US-Dollar 1,60 1,60 1,50 1,50 1,40 1,40 1,30 1,30 1,20 1,20 1,10 Dez 09 1,10 Dez 10 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Quelle: Bloomberg. Europessimismus entspricht nicht unserem Makrobild Als Gründe für derart pessimistische Euroausblicke werden die schwache Eurokonjunktur, die anhaltend expansive Geldpolitik der EZB und das damit verbundene Niedrigzinsniveau angeführt. Weil sich zeitgleich das Zinsumfeld außerhalb der Eurozone – insbesondere in den USA – normalisieren soll, also dort ein Zinsanstieg erwartet wird, soll es im Ergebnis zu einem massiven Kapitalabfluss aus der Eurozone kommen. Wir teilen diese mittel- bis langfristig düstere Aussicht für die Eurozone nicht. Für das Jahr 2015 erwarten wir für Europa ein Wiederanspringen der Konjunktur und damit auch die Rückkehr des Vertrauens in den Euro. Der Wechselkurs sollte also zumindest etwas verloren gegangenen Boden wiedergutmachen können. USA – Europa: konjunkturelle und geldpolitische Disparitäten Gleichwohl besteht kurzfristig die Möglichkeit noch etwas niedrigerer Eurokurse. In den vergangenen Monaten und auch aktuell sprechen die Argumente eher für den US-Dollar als für den Euro: Die US-Konjunktur ist robuster, die Zinswende wird in den USA deutlich früher kommen als in Europa und während die amerikanische Notenbank ihre unkonventionelle Geldpolitik kräftig zurückführt, plant die EZB weitere unkonventionelle Maßnahmen – die Zinsdifferenz dürfte dadurch zu Gunsten des US-Dollars steigen. Diese konjunkturellen und geldpolitischen Disparitäten hat der Devisenmarkt aber zu einem guten Teil bereits verarbeitet. Seit Mai 2014 hat der Dollar zum Euro schon rund 15 Cent 60 zugelegt (Abbildung 32).3 Dabei war die Aufwärtsdynamik zeitweilig durchaus bemerkenswert. Zuletzt tat sich der Dollar mit weiteren Gewinnen jedoch schwer, sodass wir Kurse dauerhaft unter 1,20 US-Dollar je Euro nicht für wahrscheinlich halten. Der schwächere Außenwert ist für die Eurozone hilfreich. Die dadurch verbilligten Exporte und verteuerten Importe stützen nicht nur die Konjunktur in der Eurozone, sie helfen der EZB auch bei ihrem Kampf gegen eine drohende Deflation. Nicht zufällig begann der Euro am Devisenmarkt genau zu dem Zeitpunkt unter Druck zu Aktuell niedrigerer Eurokurs hilft der Konjunktur und der EZB geraten, als EZB-Präsident Draghi im Frühjahr dem bei 1,40 US-Dollar je Euro überteuerten Wechselkurs verbal deutlich den Kampf ansagte. Daran zeigt sich, wie schnelllebig auch die Wahrnehmung am Devisenmarkt ist: Im Frühjahr 2014 kursierte noch die Sorge, der zu starke Eurokurs könne den Konjunkturaufschwung abwürgen. Nur sechs Monate später hatte sich das Bild komplett gedreht, nun grassierte die Furcht vor dem Euroabsturz. Der handelsgewichtete Eurokurs, der die Wechselkursentwicklung gegenüber den 20 wichtigsten Handelspartnern der Eurozone abbildet, büßte rund 5 % seines Wertes ein (Abbildung 33). Abb. 33: Handelsgewichteter Eurokurs 115 115 110 110 105 105 100 100 95 95 90 90 Dez 09 Dez 10 Dez 11 Dez 12 Dez 13 In Punkten. Quelle: Bloomberg. Mit Blick auf unsere Konjunkturprognose erwarten wir für das Jahr 2015 eine allmähliche Rückkehr des Vertrauens in die Eurozone. Der Eurokurs sollte dadurch im Jahresverlauf wieder leicht zulegen können. Wir halten zum Jahresende 2015 einen Wechselkurs von 1,27 Dollar je Euro für wahrscheinlich. Moderat höhere Eurokurse im Jahr 2015 wahrscheinlich 2. Japanischer Yen Für den Yen verlief das Jahr 2014 lange Zeit relativ ruhig, im vierten Quartal wurde es dann aber nochmal recht turbulent. Schwache Konjunkturdaten, Zweifel an der japanischen Reformbereitschaft sowie eine überraschend abermals gelockerte Geldpolitik haben den Yen-Kurs auf Talfahrt geschickt (zu erkennen an dem aufsteigenden Kur- Yen erleidet neuen Schwächeanfall In dieser Publikation sind alle Wechselkurs-Abbildungen aus Sicht des Euro dargestellt. Das bedeutet: Steigende Kurvenverläufe signalisieren Eurostärke, fallende Kurven Euroschwäche. Das Gegenteil gilt dementsprechend für die ausländische Währung: Ein fallender Kurvenverlauf bei Euro/Dollar signalisiert Dollar-Stärke. 3 61 venverlauf in Abbildung 34). Die Bank of Japan hat Ende Oktober den Geldhahn noch weiter aufgedreht. Die monetäre Basis soll nun jährlich um 80 Bio. Yen (rund 580 Mrd. Euro) wachsen, bisher waren es „nur“ 60 bis 70 Bio. Yen. Außerdem wurde bekannt, dass der staatliche Pensionsfonds seine Anlageausrichtung ändert, und den Anteil seiner japanischen Anlagen deutlich reduzieren wird. Abb. 34: Euro in japanischem Yen 150 150 140 140 130 130 120 120 110 110 100 100 90 90 Dez 09 Dez 10 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Quelle: Bloomberg. Abwärtsrisiken für den Yen überwiegen Für das kommende Jahr ist zu befürchten, dass für Japan eher die jüngeren Turbulenzen wegweisend sein werden als die vergleichsweise ruhigen ersten drei Quartale des Jahres 2014. Japan ist mit massiven strukturellen Problemen konfrontiert. Wachstumsschwäche, Reformstau, Demografie und Staatsverschuldung – so lauten nur vier der wichtigsten Problemfelder Japans. Diesen tiefgreifenden und seit langem bekannten Problemen steht lediglich die Hoffnung gegenüber, dass Premierminister Abe mit den angestrebten Reformen zügig vorankommen wird (siehe auch Teil 4, Kapitel III). Der Kursverlauf des Yen könnte deshalb von Hoffen und Bangen geprägt sein. Auch im kommenden Jahr wird ein Auge der Analysten auf die geldpolitischen Impulse der Bank of Japan (die den Yen tendenziell schwächen) gerichtet sein. Das andere Auge wird etwaige Fortschritte im Reformprozess und die aktuellen Konjunkturdaten verfolgen. Die Abwärtsrisiken für den Yen sind dabei deutlich stärker ausgeprägt als die Aufwärtsrisiken. 3. Schweizer Franken Franken stärker als erwartet 62 Unsere Erwartungen für den Euro/Franken-Wechselkurs haben sich nicht erfüllt. Wir vertraten lange die Meinung, mit dem Abflauen der systemischen Eurokrise würde das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung zurückkehren und den Wechselkurs Richtung 1,30 Franken je Euro treiben. Im Jahresverlauf 2014 ist dies nicht eingetreten: Der Kurs bewegte sich im Bereich zwischen 1,24 (Jahresanfang) und 1,20 (Jahresende). Gründe dafür lassen sich im Rückblick leicht finden, gilt der Franken doch als sicherer Anlagehafen in Krisenzeiten. Der Ukraine-Konflikt hat – in Kombination mit diversen anderen Krisenherden – das Währungspaar Euro/Franken auf zwei Wegen beeinflusst: Erstens suchten Investoren die Schweizer Währung als sicheren Zufluchtsort und zweitens bremste der Ukraine-Konflikt die Konjunktur in der Eurozone und machte den Euro damit weniger attraktiv. Im Ergebnis fiel der Wechselkurs fast bis auf 1,20 Franken je Euro, also bis genau auf die Marke, die von der Schweizer Nationalbank (SNB) im September 2011 als Wechselkursuntergrenze eingezogen wurde. Die SNB hat sich damals verpflichtet, am Devisenmarkt zu intervenieren, wenn der Euro/Franken-Kurs unter 1,20 zu fallen droht, um die Schweizer Währung nicht zu stark werden zu lassen. Tatsächlich waren Interventionen nur anfänglich nötig, in den letzten Jahren reichte allein die immer wieder erneuerte Bereitschaft der SNB, im Notfall einzugreifen, um die Devisenmarktakteure zu überzeugen. Wechselkursuntergrenze hält Abb. 35: Euro in Schweizer Franken 1,60 1,60 1,50 1,50 1,40 1,40 1,30 1,30 1,20 1,20 1,10 1,10 1,00 Dez 09 1,00 Dez 10 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Quelle: Bloomberg. Ende November mehrten sich die Anzeichen, dass die SNB am Devisenmarkt doch wieder aktiv geworden sein könnte. Im Vorfeld des am 30. November gescheiterten Gold-Referendums war der Wechselkurs der 1,20-Schwelle bedrohlich nah gekommen. Die Schweizer Bevölkerung stimmte unter anderem darüber ab, ob die Schweizerische Nationalbank künftig mindestens 20 % ihrer Assets in Gold halten muss. Durch eine solche Regel wäre die Handlungsfähigkeit der SNB eingeschränkt und ihre Geld- und Wechselkurspolitik erschwert. Die Glaubwürdigkeit der SNB hinsichtlich der Wechselkursuntergrenze von 1,20 Franken je Euro war angekratzt. Denn die SNB hätte im Falle von Devisenmarktinterventionen – um die 1,20-Grenze zu verteidigen – ihre Bilanz vergrößern und zusätzlich immer entsprechend Gold kaufen müssen, damit der Anteil von 20 % beibehalten wird. Diese Gefahr ist nun vom Tisch, sodass der Franken-Kurs wieder etwas mehr Abstand zur 1,20-Schwelle aufbauen dürfte. Ungeachtet dessen zeigt das Schweizer Gold-Referendum trotz seines Scheiterns, dass erhebliche Teile der Bevölkerung Unbehagen gegenüber der lockeren Geldpolitik verspüren und nach vertrauensbildenden Maßnahmen für ihre Währung suchen. Dies gilt übrigens nicht nur für die Schweiz. Umso wichtiger ist der Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik vieler Notenbanken, sobald es die volkswirtschaftlichen Rahmendaten zulassen. Gold-Referendum sorgt kurzfristig für Irritationen Für das kommende Jahr erwarten wir zwar immer noch einen etwas stärkeren Euro beziehungsweise einen etwas schwächeren Franken, doch die große Bewegung, die wir vor Jahresfrist prognostizierten, dürfte ausbleiben. Der Grund dafür ist, dass sich die Schweizer Unternehmen nach drei Jahren an den starken Franken gewöhnt und ihre Kostenstruktur angepasst haben. Der Leidensdruck, der mit dem hohen Franken-Kurs einhergeht, dürfte also abgenommen haben. Die SNB wird deshalb zwar weiter an der Gewöhnungseffekte senken den Leidensdruck für die Unternehmen 63 1,20-Schwelle festhalten und somit eine weitere Aufwertung verhindern, aber ein deutlicher Rückgang des Franken über die Marke von 1,25 Franken je Euro ist inzwischen unwahrscheinlich geworden. 4. Britisches Pfund Britisches Pfund hat sein Kurspotenzial weitgehend ausgeschöpft Das Pfund hat im Februar 2013 zum Höhenflug angesetzt und seitdem rund 10 % gegenüber dem Euro zugelegt. Der Kursanstieg reflektiert die gute wirtschaftliche Entwicklung sowie die Aussicht, dass die Bank of England die geldpolitische Wende erheblich früher einleiten wird als die EZB. Wir erwarten die erste Zinserhöhung in Großbritannien im November 2015, während die EZB frühestens Anfang 2017 aktiv werden dürfte (siehe auch Teil 5, Kapitel II, 2.). Wir halten den Kursanstieg auf dem gegenwärtigen Niveau für weitgehend ausgereizt und erwarten für 2015 eine Seitwärtsbewegung mit den üblichen Schwankungen. Abb. 36: Euro in britischem Pfund 0,95 0,95 0,90 0,90 0,85 0,85 0,80 0,80 0,75 0,75 Dez 09 Dez 10 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Quelle: Bloomberg. 5. Debatte: Mal wieder Währungskrieg? Anhaltende Furcht vor Währungskrieg 64 An dieser Stelle sind wir in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Frage eingegangen, ob sich die Welt im Währungskrieg befindet oder zumindest auf einen solchen zusteuert. Auch jetzt wird in den Medien gelegentlich die Frage nach einem Währungskrieg aufgeworfen, weil immer noch verschiedene Notenbanken versuchen, den Wechselkurs ihrer Währung durch expansive Geldpolitik zu drücken und dadurch die heimische Exportwirtschaft zu unterstützen – zu Lasten der ausländischen Exportindustrie. Vor allem das japanische Experiment wirft Fragen auf. Aber auch in diesem Jahr lautet unser Urteil: Dies ist kein Währungskrieg. Abb. 37: Handelsgewichteter US-Dollar 150 150 140 140 130 130 120 120 110 110 100 100 90 90 80 80 70 70 60 Jan 73 60 Jan 78 Jan 83 Jan 88 Jan 93 Jan 98 Jan 03 Jan 08 Jan 13 In Punkten. Quelle: Bloomberg. Wegen der schleppenden konjunkturellen Entwicklung hätten tatsächlich viele Staaten gute Gründe, die heimische Wirtschaft mit einem schwächeren Wechselkurs zu stützen. Allerdings werden die wichtigen angelsächsischen Notenbanken vermutlich im Jahr 2015 ihre Geldpolitik straffen. Die Wechselkurse des Pfunds und des US-Dollars haben wie oben beschrieben schon deutlich zugelegt. Der Dollar hat nicht nur gegenüber dem Euro, sondern generell gegenüber seinen Handelspartnern zugelegt (Abbildung 37). Auch die Notenbanken, deren Geldpolitik noch immer sehr expansiv ist (zum Beispiel EZB), verstehen ihr Handeln nicht als bewusste Wechselkurspolitik, sondern als Nebenwirkung ihres Versuches, eine drohende Deflation abzuwenden beziehungsweise die niedrigen Inflationsraten nach oben zu treiben. Auch wenn es sich bei den Ausführungen der Notenbanker um manche semantische Nebelkerze handeln mag, so führt ein schwacher Wechselkurs tatsächlich zu importierter Inflation und dient damit dem eigentlichen Ziel, die Preise nicht in deflationäre Regionen abrutschen zu lassen. Fed und Bank of England verabschieden sich allmählich aus Krisenmodus 65 IV. Rohstoffe: 2014 war kein gutes Jahr für die Anleger (Wolfgang Pflüger) Rohstoffe verbilligen sich schon seit 2011 Der Rohstoffsektor ist seit Sommer 2011 trendmäßig von nachgebenden Notierungen gekennzeichnet. Im abgelaufenen Jahr hat sich die Situation in Teilbereichen zugespitzt. Nach einem hoffnungsvollen Auftakt – bis zur Jahresmitte legte unser Referenzindex um 8,5 % zu – kam es zu deutlichen Einbußen (Tabelle 3). Abb. 38: Dow Jones UBS Commodity Index 240 240 220 220 200 200 180 180 160 160 140 140 120 Dez 09 Dez 10 Dez 11 Dez 12 Dez 13 120 Dez 14 Exklusive Agrarerzeugnisse und Zuchttiere. In US-Dollar. Quelle: Bloomberg. Rohöl und Edelmetalle besonders betroffen Davon waren die Edelmetalle – allen voran Silber – und die Rohölpreise besonders betroffen. Zum Hintergrund: Einerseits nahmen die Sorgen um die Stabilität der globalen Finanzmarktsysteme ab. Die Situation in den Krisenländern des Euroraumes verbesserte sich. Die Notenbanken in den USA und Großbritannien signalisierten eine bevorstehende Zinswende. Die Fed beendete ihr Anleiheankaufprogramm. Da parallel hierzu sowohl die europäische als auch die japanische Notenbank ihre Geldpolitik weiter lockerten, gewann der US-Dollar spürbar an Wert. Dies drückt generell die in US-Dollar notierten Preise im Rohstoffsektor. So wurde vor allem Gold für Finanzinvestoren weniger attraktiv. Tab. 3: Entwicklung des Rohstoffsektors DJUBS-Index Jahresveränderung in % 136,96 -13,8 Kupfer 6 536 -12,8 Aluminium 1 995 12,1 Blei 2 035 -7,6 Nickel 17 055 18,5 Zink 2 231 7,6 Zinn 20 398 -8,4 Gold 1 250 0,2 Silber 16,49 -15,3 798 12,1 Palladium Platin 1 237 -9,4 Öl (Brent) 69,07 -36,6 Quelle: Bloomberg. 66 Preise per 05.12.2014 in US-Dollar Andererseits ließen die Aufschwungskräfte in China nach. Die Eurozone geriet an den Rand einer Stagnation. Japan fiel sogar in rezessive Gefilde zurück. Industriemetalle wie Kupfer sowie die im verarbeitenden Gewerbe ebenfalls intensiv genutzten Edelmetalle Silber, Platin und Palladium gaben ihre anfänglichen Gewinne komplett ab. Auch die Rohölnachfrage entwickelte sich deutlich schwächer als erwartet. Dem standen ausgeweitete Fördermengen gegenüber. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) wurden 2014 mit 94,2 Mio. Fass/Tag 2,7 Mio. Einheiten mehr produziert als ein Jahr zuvor. Abgenommen wurden aber nur 92,4 Fass. Der Angebotsüberhang war selten so hoch. Geopolitische Krisenherde wirkten sich hingegen kaum aus. Die Preise für das Nordseeöl Brent fielen auf ein Viereinhalbjahrestief. Alleine seit Mitte des Jahres gaben sie um 36 % nach. Europäische und japanische Konjunkturschwäche sowie Chinas langsameres Wachstum spürbar 1. Öl Die Ölpreise bewegen sich gegen Ende 2014 für viele Produzenten(-länder) in der Nähe kritischer Untergrenzen. Die US-Fracking-Industrie ist bei dauerhaften Notierungen von 74 US-Dollar je Fass (Sorte: WTI) und darunter kaum profitabel. Die Staatshaushalte vieler Golfstaaten sind von den Öleinnahmen abhängig. Weiter sinkende Erlöse führen zu erheblichen Finanzierungsproblemen. In der Vergangenheit kam es so oft zu gemeinsamen Förderkürzungen der führenden OPEC-Vertreter. Umso überraschender die Nichteinigung auf ein solches Vorgehen auf der Sitzung Ende November 2014. Experten halten Produktionseinschränkungen von mindestens 2 bis 3 Mio. Fass/Tag für unabdingbar, um den Rohölmarkt zu stabilisieren. Ölpreise erreichen kritische Untergrenzen Abb. 39: Ölpreis 135 135 115 115 95 95 75 75 55 55 35 Jan 09 35 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 In US-Dollar je Fass der Sorte Brent. Quelle: Bloomberg. So hat man den Eindruck, dass es in erster Linie um Verdrängungskämpfe geht. Sollte früher ein bestimmtes Preisniveau erreicht beziehungsweise gehalten werden, so steht jetzt die Verteidigung eigener Marktanteile im Vordergrund. Das gleicht einem Eingeständnis der Ohnmacht. Bei einem Fördervolumen von 30 Mio. Fass/Tag oder nur noch 31 % des globalen Outputs können die OPEC-Mitglieder zumindest kurzfristig die Marktrichtung nicht mehr bestimmen. Umgekehrt ist es der Markt, der die Preisentwicklung dirigiert. Hält der Zustand unverminderter Produktionsmengen an, könnten die Ölpreise während des ersten Halbjahres nochmals nachgeben. Zumindest Russland wird kaum zu Zugeständnissen bereit sein. Zu sehr ist das Land auf PetrodollarEinnahmen angewiesen. Ähnliches gilt für Libyen, Nigeria, den Irak und den Iran. Verdrängen statt kürzen 67 Öl billiger als in den Vorjahren Die Internationale Energieagentur (IEA) geht für 2015 von einer erneut nachlassenden Wachstumsdynamik in China und einem anhaltenden Fracking-Boom in den USA aus. Der globale Anstieg des Ölbedarfs wird bei 1,13 Mio. Fass/Tag oder +1,1 % auf dann knapp 93 Mio. Fass/Tag gesehen. Im vergangenen Jahr war es nur ein Plus von 680 000 Fass/Tag. Ursprünglich wurde ein Zuwachs von 1,4 Mio. Fass unterstellt. Sollten sich die IEA-Annahmen bestätigen, ist von niedrigeren Ölpreisen als im Jahresdurchschnitt 2014 auszugehen. Eine Rückkehr in das vormalige Preisband zwischen 100 und 115 US-Dollar je Fass wäre kaum erreichbar. Eine Schwankungsbreite von 80 bis 90 US-Dollar halten wir dann für die wahrscheinlichere Variante. Zu den größten Profiteuren dieser möglichen Entwicklung zählen Japan, Indien und die Eurozone. 2. Edelmetalle 2.1. Gold Goldnachfrage seit 2011 im Sinkflug Privatanleger unbeeindruckt von Preisabschlägen Im Einklang mit der nachlassenden Nachfrage sinkt der Goldpreis seit drei Jahren und hat von seinen in US-Dollar gehandelten Spitzennotierungen mittlerweile circa 40 % abgeben müssen. Im Jahr 2011 belief sich der Bedarf der Industrie, der Schmuckverarbeiter, der Notenbanken sowie privater und professioneller Investoren auf den bisherigen Spitzenwert von 4 702 Tonnen. 2013 waren es noch 4 080 Tonnen. Für das Jahr 2014 gehen wir von einer in etwa unveränderten Menge aus. Der Trend in der industriellen Verarbeitung ist stabil leicht aufwärtsgerichtet. Ähnliches kann von der Schmuckherstellung gesagt werden. Kontinuierliche Spitzenwerte verzeichnete der Absatz von Münz- und Barrengold. Private Anleger zeigten sich mithin unbeeindruckt von den deutlichen Preiseinbußen. Notenbanken haben in den vergangenen zwei Jahren um die 70 Tonnen weniger abgenommen als im Spitzenjahr. Institutionelle Investoren geben ab In erster Linie sind allerdings die institutionellen Investoren für den Preiseinbruch verantwortlich. Sie haben netto mehr als 900 Tonnen Gold verkauft. Ihre Bestände fielen auf ein Sechsjahrestief. Zum Vergleich: Der Minenausstoß eines Jahres liegt bei knapp 3 000 Tonnen. Beweggründe für den Pessimismus Als die wichtigsten Argumente für den Preispessimismus der „Profis“ galten: • Die Wahrscheinlichkeit von Staatspleiten oder eines Auseinanderbrechens des Euro wurde von den Marktteilnehmern als vernachlässigenswert eingestuft. • Die Notenbanken der USA und Großbritanniens haben den Weg für Zinsanhebungen vorgezeichnet. • Der US-Dollar befindet sich in einem Aufwärtstrend. • Der Verfall der Energiepreise hat die bereits vorher unbegründeten Inflationssorgen noch weiter in den Hintergrund treten lassen. Gold bleibt ultimatives Zahlungsmittel Kurzfristig wird sich an diesen Einflussfaktoren wenig ändern. Gold dürfte also zunächst weiter unter Druck stehen. Eine mögliche Preisuntergrenze sehen wir bei 1 000 US-Dollar je Unze (Fünfjahrestief). Auf diesem Niveau ist die Mehrheit der reinen Goldminen unprofitabel. Zum Jahresende 2015 erwarten wir dann leicht höhere Notierungen als aktuell. Denn Gold bleibt das ultimative Zahlungsmittel. Es ist nicht im 68 Wege von Notenbankbeschlüssen beliebig vermehrbar und hat daher im Gegensatz zum Papiergeld einen gewissen inneren Wert, der allerdings stark schwanken kann. Auch die abgelehnte Bürgerinitiative in der Schweiz mit ihrer Forderung nach einer zwanzigprozentigen Unterlegung der Währungsreserven mit Gold zeigt den besonderen Charakter des Goldes. In diesem Zusammenhang ist die Wertentwicklung des Goldes in Euro und in Yen während der vergangenen zwölf Monate interessant. Die Notenbanken dieser beiden Regionen setzen aktuell auf eine extreme Geldmengenausweitung. In diesen beiden Währungen verhielt sich der Goldpreis äußerst stabil. Anfang des Jahres kostete eine Unze Gold 876 Euro und Ende November 2014 waren es 962 Euro. Das entspricht einem Plus von gut 8 %, in Yen waren es sogar +14 %. Deshalb empfiehlt es sich auch unverändert, einen bestimmten Portfolioanteil als Versicherungsschutz gegen monetäre oder realwirtschaftliche Risiken zu bewahren. Euro- und Yen-Anleger konnten sich freuen Abb. 40: Goldpreis 2.000 in US-Dollar in Euro (rechte Skala) 1.800 1.800 1.600 1.600 1.400 1.400 1.200 1.200 1.000 1.000 Jan 11 800 Jul 11 Jan 12 Jul 12 Jan 13 Jul 13 Jan 14 Jul 14 Je Feinunze. Quelle: Bloomberg. 2.2. Silber Der Silberpreis hat sich seit seinen Ende April 2011 erreichten zyklischen Höchstständen von 48,70 US-Dollar je Feinunze mehr als gedrittelt. Damit haben sich die Notierungen abermals erheblich volatiler als Gold bewegt. Silber schwankt stärker als Gold Silber zählt zu den Edelmetallen. Es wird oft als „Gold des kleinen Mannes“ bezeichnet. Lange Zeit galt es in Münzform als wichtigstes, weil auch wertbeständiges Zahlungsmittel. Diese Eigenschaft wird ihm auch heute noch zugesprochen. Silber wird jedoch auch vielfach in der Industrie verwendet. Daraus ergibt sich eine zusätzliche Nachfrage, die zu einer gewissen Ambivalenz von Silber in der Wahrnehmung der Investoren geführt hat. Mal überwiegt der Sicherheits- und Schutzaspekt (der Silberpreis bewegt sich dann trendmäßig parallel zum Gold). Dann wieder treten die profanen Verarbeitungsaspekte in den Vordergrund. Schwächelt zum Beispiel die Weltkonjunktur, wie es aktuell der Fall ist, sind regelmäßig fallende Notierungen zu beobachten. Dieser Sensitivitätswechsel führt zu häufigeren und stärkeren Preisausschlägen, als es bei Gold der Fall ist. Die Silber-Dualität 69 Silbermarkt eigentlich ausgeglichen Grundsätzlich ist der Silbermarkt in etwa ausgeglichen. Im Jahr 2013 übertraf die Nachfrage mit 1 081 Mio. Unzen das Angebot aus Minenproduktion und Recycling (985 Mio. Unzen) sogar leicht. Im abgelaufenen Jahr hat sich daran wenig geändert. Sogar die ETF-Bestände zeigten sich konstant – im Gegensatz zu Gold. Rekordhohe Baisse-Spekulation Der Druck auf die Silberpreise kam von den professionellen Marktteilnehmern. Einige große Investmentbanken haben über einen Zeitraum von nun schon fast 24 Monaten rekordhohe Short-Positionen an der New Yorker Rohstoffbörse COMEX (New York Commodities Exchange) aufgebaut. Ende September 2014 entsprachen sie einem Volumen von 245 Mio. Unzen. Zum Vergleich: Die globale Jahresminenproduktion liegt bei 820 Mio. Unzen. Wie weit das noch führen kann, ist schwer prognostizierbar. Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt: Irgendwann platzt jede Short-Spekulation. Die dann einsetzenden Preiswenden sind heftig und führen weit. Abb. 41: Gold-Silber-Relation 90 90 80 80 70 70 60 60 50 50 40 40 30 30 Jan 00 Jan 02 Jan 04 Jan 06 Jan 08 Jan 10 Jan 12 Jan 14 In US-Dollar pro Unze. Quelle: Bloomberg. Ist Silber „billig“? Die Gold-Silber-Relation, also wie viele Unzen Silber aufgewendet werden müssen, um eine Unze Gold erwerben zu können, zeigt an, wann sich extreme Über- oder Unterbewertungen eingestellt haben. Aus dem Verlauf lassen sich allerdings kaum Aussagen derart ableiten, dass Silber nun bald im Preis wieder anziehen müsste (Abbildung 41). Ein oberer Extremwert kann beispielsweise auch über fallende Goldpreise bei konstanten Silbernotierungen korrigiert werden. Man kann jedoch folgern, dass sich der relative Preisverfall des einen Metalls beruhigen sollte. Derzeit kostet eine Unze Gold 73 Unzen Silber. Nur zweimal während der vergangenen zwölf Jahre war das Verhältnis noch ungünstiger: mit einem Wert von 83 im Herbst 2008 und mit 77 im Herbst 2003. Silber mit vielversprechenden Aussichten Der Silberpreis stieg immerhin nach dem Extrem im Jahr 2003 (4,90 US-Dollar je Unze) innerhalb von neun Monaten auf 8,15 US-Dollar. In den zwölf Monaten von Oktober 2008 bis Oktober 2009 zogen die Notierungen von 8,42 US-Dollar auf 19,40 US-Dollar an. Aktuell sehen wir ein Restrisiko für Silber bis in den Bereich von 12/14 US-Dollar je Unze. Wiederholt sich die Geschichte, dann verfügt Silber 2015/2016 über ein ausgezeichnetes Chance-Risiko-Verhältnis. 70 2.3. Platin und Palladium Bis in den Sommer 2014 hinein gehörten die beiden Edelmetalle mit neuen zyklischen Höchstständen zu den Favoriten der Investoren. Palladium erreichte die besten Notierungen seit dem Jahr 2001. Anhaltende Knappheiten und zunehmende ETF-Bestände waren die Antriebskräfte. Favoriten bis zum Sommer Dann setzten kräftige Kurskorrekturen ein. Ursächlich waren dieselben Faktoren, die auch Gold, Silber und die anderen Rohstoffe belasteten. Im Falle Platins kam das Ende der monatelangen Streiks in den südafrikanischen Minen hinzu. Zudem entwickelte sich der chinesische Kfz-Absatz deutlich gemächlicher als noch im Vorjahr. Das kann mitentscheidend sein, denn beide Metalle werden überwiegend industriell genutzt, wobei die Kfz-Industrie dominiert. Zwei Drittel der Palladiumnachfrage entfallen auf die Abgasreinigung. Bei Platin sind es 41 %. Dabei findet Platin überwiegend (zu 80 %) in Dieselmotoren Anwendung, Palladium ursprünglich ausschließlich in Benzinern, seit 2010 aber auch zunehmend in Selbstzündern. Nordamerika und China beanspruchen knapp 50 % der jährlichen Palladiumproduktion. Streikende in Südafrika und schwächelnde Kfz-Nachfrage in China bewirken Trendwende Diese Einflussfaktoren dürften auch in 2015 von Gewicht bleiben. Zwar bleibt es einerseits bei anhaltenden Angebotsengpässen. Andererseits ist kein neuer chinesischer AutoBoom absehbar. Ausschlaggebend wird wohl das Verhalten der Finanzinvestoren sein. Wir erwarten für beide Edelmetalle eine breite Seitwärtsbewegung, die letztendlich zu leichten Aufschlägen führen sollte. Im Jahr 2015 würden wir allerdings Engagements in Gold und vor allem Silber bevorzugen. 2015: Angebotsengpässe vs. Finanzanlegerverhalten 3. Industriemetalle 3.1. Kupfer Im Gegensatz zu den Wertverlusten vieler anderer Rohstoffe hielt sich Kupfer über weite Strecken des zweiten Halbjahres 2014 lange Zeit recht stabil. Erst während der letzten Wochen schlossen sich die Notierungen dem allgemeinen Preisverfall an. Zwar hatte die International Copper Study Group (ICSG) bereits für 2014 ein Überangebot an Kupfererzen prognostiziert. Die Minenproduktion sollte um etwa 5 % auf 22,1 Mio. Tonnen ansteigen, die Nachfrage um geschätzte 360 000 Tonnen niedriger ausfallen. Tatsächlich dürfte sie hingegen das Angebot um 300 000 Tonnen überstiegen haben. Kupfer erst überraschend stabil Der originäre Bedarf der für die Preisbildung an den Weltmärkten entscheidenden chinesischen Bauindustrie fiel niedriger aus als in den Vorjahren. Das chinesische Strategic Reserve Bureau kaufte jedoch große Mengen des roten Metalls und lagerte sie ein. Erst als diese Käufe ausliefen, gaben die Kupferpreise nach. Sie fielen dann recht schnell und erreichten mit 6 230 US-Dollar/Tonne sogar noch den tiefsten Stand seit dem Juni 2010. Dann setzten die strategischen Käufe aus Für 2015 geht die ICSG nun erneut von einem Überangebot aus. Mehrere neue Minen kommen an den Markt, bestehende Kapazitäten werden ausgebaut. Die Zentren der Expansion liegen in Lateinamerika, Afrika und Südostasien. Für die Minenproduktion wird insgesamt ein Plus von gut 4 % auf 23,1 Mio. Tonnen unterstellt. Da der Globales Überangebot in 2015 71 chinesische Verbrauch nochmals langsamer zunimmt als in den Vorjahren, dürfte die globale Nachfrage lediglich um 3 % höher ausfallen. Daher zeichnet sich ein Überschuss von 390 000 Tonnen ab. 3.2. Zink und Blei Ausgeglichener Bleimarkt Der Bleimarkt bleibt in etwa ausgeglichen. Bau- und Automobilindustrie behaupten ihre Position als wichtigste Abnehmer (Bleche, Batterien etc.). Das globale Angebot, bestehend aus Minenproduktion und Recycling, wird laut der International Lead and Zinc Study Group in 2015 um 2,2 % auf 11,54 Mio. Tonnen zunehmen. Für die Nachfrage erwartet man einen Anstieg auf 11,56 Mio. Tonnen (+2,1 %). Zink mit ausgeweiteter Angebotslücke Bei Zink bleibt es bei einer Angebotslücke. Zwar ist der Anstieg der globalen Nachfrage unter chinesischer Führung nicht gerade rasant. Für 2015 wird ein Plus von 2,9 % auf 14,1 Mio. Tonnen erwartet. In den beiden Vorjahren stieg der Bedarf jedoch um durchschnittlich 5 %. Chinas derzeit immer noch hohe Nachfrage nach verzinkten (Automobil-)Blechen war hierfür verantwortlich. Die Zinkminen konnten nicht mithalten. Da im kommenden Jahr Chinas MMG-Mine (die drittgrößte der Welt) ihre Produktion aufgeben wird, ist sogar mit einer weiter steigenden Angebotslücke von dann 366 000 Tonnen zu rechnen. Das Metall bleibt favorisiert. 3.3. Nickel und Zinn Indonesien könnte Exportbeschränkungen aufweichen Der neu gewählte indonesische Ministerpräsident Widodo plant eine Aufweichung der Exportbeschränkungen für Zinn und Nickel. Beide Metalle hatten während der vergangenen 18 Monate hiervon in ihrer Preisentwicklung profitiert. Genauso könnten sie nun stärker unter Druck geraten. Denn grundsätzlich sind beide Erze ausreichend vorhanden. Russland verkauft möglicherweise mehr Nickel Bei Nickel gilt es zu beachten, dass sich Russland als Land der weltweit umfangreichsten Vorkommen möglicherweise genötigt sehen könnte, seine Verkäufe deutlich auszuweiten, um mehr Ausfuhrerlöse zu erzielen. Beide Metalle schätzen wir somit als unattraktiv ein. 3.4. Aluminium Angebot könnte in 2015 deutlich zunehmen 72 Die Aluminiumpreise bleiben schwer prognostizierbar. In 2014 zogen die Notierungen mit gut 2 000 US-Dollar je Tonne auf den höchsten Stand seit Mitte 2012 an. Die Nachfrage aus der Automobil-, Luftfahrt- und Verpackungsindustrie war hoch. Die Kapazitätsstilllegungen auf der Verarbeitungsseite während der vergangenen zwei Jahre zeigten Wirkung. Allerdings blieben die Lagerbestände mit circa 5 Mio. Tonnen (einem Achtel der Jahresproduktion) hoch. Ein Großteil davon ist jedoch nicht sofort verfügbar, da er als Besicherungsgrundlage in Finanzierungsgeschäften gebunden ist. Im kommenden Jahr werden in China neue, energieeffizientere Hüttenkapazitäten in erheblichem Umfang an den Markt gelangen. Das könnte die Preise unter Druck setzen. Wir halten diesen Markt deshalb für wenig aussichtsreich. TEIL 6 KAPITALMARKTSTRATEGIE (Peter Reichel) I. Aktien Nachdem viele bedeutende Aktienmärkte zuletzt neue Hochstände oder sogar neue Allzeithochs erreicht haben, stellen sich viele Anleger die Frage, ob ein Aktieninvestment jetzt noch sinnvoll erscheint. Angesichts einer gewissen Alternativlosigkeit bei Investment- und Renditefragen wird schnell auf die moderaten Aktienbewertungen verwiesen sowie auf die relativ attraktive Dividendenrendite, gerade im Vergleich zur Rendite festverzinslicher Wertpapiere. Und dies zu Recht: Denn in der Tat liefern Dividendentitel deutlich attraktivere Renditen als Anleihen (Abbildung 42). Aktien liefern eine attraktivere Rendite als Anleihen Abb. 42: DAX und Anleihen – Dividenden- bzw. Anleiherenditen 7 6 DAX-Dividendenrendite basierend auf den Dividendenausschüttungen der letzten 12 Monate Rendite 10-jähriger europäischer Unternehmensanleihen mit A-Rating 7 6 Rendite 10-jähriger deutscher Staatsanleihen 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 Nov 08 0 Nov 09 Nov 10 Nov 11 Nov 12 Nov 13 In %. Quelle: Bloomberg. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Anleger allein auf diese Anlageklasse setzen sollten. Aus Diversifikationsgründen sowie Aspekten der unterschiedlichen Korrelationen sind effiziente Mischungen mit anderen Anlageklassen wie mit Anleihen, Alternative Investments und auch mit reiner Liquidität unter langfristigen Aspekten durchaus sinnvoll. Insbesondere sind die Risiken auf der Aktienseite dann nicht zu unterschätzen, wenn die Märkte bereits viel Positives eingepreist haben und ein starker Konsens pro Aktien besteht. Vorsicht und Wachsamkeit sollten daher mehr denn je weiterhin gute Investmenttugenden bleiben. Daher empfehlen wir, die maximale Aktienquote vorerst nicht voll auszufahren, sondern defensiv positioniert in das neue Jahr zu starten. Wir rechnen mit einer Korrekturphase eher im ersten denn im zweiten Quartal, die dann gute (Wieder-)Einstiegsmöglichkeiten für weitere Aufwärtsbewegungen im zweiten Halbjahr 2015 bieten sollte. Wir empfehlen bei Aktien vorerst defensiv positioniert zu bleiben und in Korrekturphasen Positionen aufzubauen 73 1. Regionen Europäische Aktien werden relativ gesehen interessanter; eine höhere Gewichtung empfehlen wir in Korrekturphasen Wir empfehlen, europäische Aktien einstweilen untergewichtet zu lassen. Nach den deutlichen Aufwärtsbewegungen der letzten Wochen scheint das weitere Aufwärtspotenzial kurzfristig zunächst begrenzt. Nachdem die aktuellen Makrodaten nun eine Stabilisierung der Wachstumsraten auf niedrigem Niveau signalisieren und nicht weiter nach unten zu driften drohen, befinden sich die Aktienmärkte bereits auf Kursniveaus wie vor dem jüngsten konjunkturellen Rückschlag. Wir bewerten dies als eine Vorwegnahme besserer volkswirtschaftlicher Daten für Europa. Damit scheint vieles weitgehend eingepreist. Gleichzeitig wächst das Enttäuschungspotenzial, wenn sich diese Annahmen nicht bewahrheiten sollten. Auch weil die Erwartungen an zukünftig steigende Unternehmensgewinne weiterhin nach unten revidiert werden und dies die Zukunftsbewertung der Aktien tendenziell verteuert. Europäische Aktien haben Nachholbedarf und sollten aufgrund expansiver Notenbankpolitik mittelfristig gut unterstützt bleiben Als attraktiver sollten europäische Aktien dann wieder angesehen werden, wenn internationale Anleger, allen voran aus den USA und Asien, keine weitere Euroabwertung mehr erwarten und strukturelle Reformfortschritte, vor allem in Frankreich und Italien, stärker sichtbar werden. Wir rechnen mit guten Einstiegsmöglichkeiten innerhalb der von uns erwarteten nächsten Korrekturphase. Denn mittelfristig haben europäische Aktien noch viel Nachholbedarf, gerade im Vergleich zu US-Titeln. Ferner reagieren europäische Unternehmen, von denen viele als Global Player bezeichnet werden können, sensitiv auf eine weltweit dynamischere Konjunkturerholung mit kräftigen Unternehmensgewinnen. Darüber hinaus begünstigt die expansive Geldpolitik der EZB die Risikokapitalmärkte wie auch die europäischen Aktienmärkte. Mit der Hoffnung auf noch mehr Liquidität, ob durch den Ankauf von Unternehmens- oder sogar Staatsanleihen, sollten die europäischen Aktienmärkte mittelfristig recht gut unterstützt bleiben. US-Aktien sollten sich solide entwickeln, jedoch nur mit mäßigem Aufwärtspotenzial US-Aktien sollten sich auch weiterhin solide entwickeln, wenngleich das weitere Aufwärtspotenzial mittelfristig begrenzt erscheint. Ein robustes konjunkturelles Umfeld mit niedrigen Rohstoffpreisen und einem aufwertenden US-Dollar sollte die positive Grundstimmung der Investoren nicht sonderlich schmälern. Allerdings wirkt die Zinswende der Fed den Anlegern entgegen und auch die Bewertungsniveaus erscheinen unter historischen Aspekten nicht mehr günstig. Insbesondere dürfte sich vor dem Hintergrund steigender US-Leitzinsen eine weitere Expansion des Kurs-GewinnVerhältnisses schwieriger gestalten. Im Falle einer weltweiten Korrektur erwarten wir, dass sich US-Aktien, wie in den meisten Fällen der Vergangenheit, relativ gut behaupten werden. Wir empfehlen daher in US-Aktien eine neutrale, ausgewogene Positionierung vorzunehmen. Ihren Vorsprung gegenüber den Industrieländern haben die Emerging Markets wieder abgegeben Emerging Markets-Aktien fielen seit September relativ hinter die Wertentwicklung der Industrieländer zurück. Grund: Viele Investoren zogen teilweise ihre Gelder aus den Schwellenländern ab und reinvestierten sie am US-Kapitalmarkt. Mit der zeitgleichen Aufwertung des US-Dollar verloren die Währungen der Schwellenländer an Wert und verstärkten den Trend. Dabei war die Performance auf regionaler Ebene recht unterschiedlich (Abbildung 43). 74 Abb. 43: Emerging Markets – MSCI-Aktienindizes 150 140 MSCI Daily TR Net Emerging Markets Asia USD MSCI Daily TR Net Emerging Markets Latin America USD MSCI Daily TR Emerging Markets Europe & Middle East & Africa Net USD 150 140 130 130 120 120 110 110 100 100 90 90 80 Mai 10 80 Mai 11 Mai 12 Mai 13 Mai 14 Indizes = 100 am 01.05.2010. Quelle: Bloomberg. Während sich die Schwellenländer Asiens, aber auch in Osteuropa mit Ausnahme Russlands, seit den Hochständen im September im Einklang mit den europäischen Märkten entwickelten, fielen gerade die Aktienindizes Lateinamerikas weiter zurück. Vor allem die fallenden Rohstoffpreise drückten auf die Börsen rohstoffexportierender Länder. Damit hat aber auch die Konjunkturdynamik der Emerging Markets in den letzten Monaten an Schwung verloren. Jüngst zeichnet sich ab, dass gerade kleinere Schwellenländer in Asien und Zentraleuropas etwas an Fahrt gewinnen, während die deutlich größeren Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC) bestenfalls ein gemischtes Bild präsentieren. Fallende Rohstoffpreise setzten einzelnen Schwellenländern spürbar zu Für 2015 erwarten wir insgesamt etwas bessere makroökonomische Rahmenbedingungen als in 2014. Die Zahlungsbilanzen sollten sich in Summe weiter stabilisieren und ausgeglichener werden. Gleichwohl dürften die wesentlichen Veränderungen insbesondere bei rohstoffabhängigen Ländern liegen: bei den rohstoffproduzierenden Ländern eher belastend (wie zum Beispiel Brasilien, Russland, Venezuela, Chile, Peru und auch Südafrika) und bei den rohstoffimportierenden Ländern eher entlastend (wie zum Beispiel China, Indien, Taiwan, Südkorea und Türkei). Insgesamt erwarten wir eine leichte Verbesserung der makroökonomischen Lage in den Emerging Markets Wir erwarten weiterhin, dass eine US-Leitzinserhöhung die Emerging Markets nicht wesentlich belastet. Kurzfristig mögen durchaus Schwankungen eintreten. Sie sollten jedoch zeitlich und im Ausmaß begrenzt bleiben. US-Leitzinserhöhung dürfte bereits weitgehend eingepreist sein Wir empfehlen Asien unter den Schwellenländern weiterhin relativ überzugewichten. Auch vor dem Hintergrund der Bewertungen erscheinen asiatische Schwellenländer attraktiv bewertet (Abbildung 44). Asien weiter aussichtsreichste Region innerhalb der Emerging Markets 75 Abb. 44: Emerging Markets – Kurs-Gewinn-Verhältnisse der MSCI-Aktienindizes 20 18 20 MSCI Emerging Markets Asia Index MSCI Emerging Markets Latin America Index 18 MSCI Emerging Markets Europe Index 16 16 14 14 12 12 10 10 8 8 6 6 4 Nov 09 4 Nov 10 Nov 11 Nov 12 Nov 13 Nov 14 Quelle: Bloomberg. Asien wird sich die weltweit größte Freihandelszone schaffen Als wichtige Abnehmerregion dürfte Asien kurz- und mittelfristig von den niedrigen Rohstoffpreisen profitieren. In wenigen Jahren könnte sich in Asien die größte Freihandelszone der Welt entwickeln. Die laufenden Verhandlungen zum „Trans Pacific Partnership“ (TPP), das von den USA vorangetrieben wird, sowie das „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP), das von China forciert wird, stehen zwar in Konkurrenz zueinander. Jedoch hat das Zustandekommen eine hohe politische Priorität und Antriebskraft. Denn die Ausgestaltung einer Freihandelszone hat nicht nur einen rein ökonomischen Aspekt, sondern auch hohe geopolitische Bedeutung für diese Region. Selbst die von China angestrebte Freihandelszone würde knapp die Hälfte der Weltbevölkerung umfassen, etwa 30 % des Welt-BIP ausmachen und langfristig hohe Wachstumspotenziale für die Region bieten. Als Investmentmöglichkeit bleibt China von besonderem Interesse. Zwar sind die Reformanstrengungen zuletzt auf Kosten der Verfolgung von Wachstumszielen etwas in den Hintergrund getreten. Jedoch erwarten wir, dass sie weiterhin umgesetzt werden und das Wirtschaftswachstum auf solidere und nachhaltigere Basis stellen. Mit dem Zusammenschluss der Börsen von Hongkong und Shanghai dürften chinesische Aktien für internationale Investoren noch attraktiver werden – neben den schon ohnehin relativ günstigen Bewertungen. Japanische Aktien haben noch mehr Potenzial Auch Japan bleibt als Investmentthema interessant. Zuletzt hat die Bank of Japan die geldpolitischen Zügel weiter gelockert und zur Ankurbelung der Inflation Staatsanleihenkäufe im Wert von nunmehr 80 Bio. Yen (582 Mrd. Euro) jährlich angekündigt, nach 50 Bio. Yen zuvor. Zeitgleich hat der staatliche Pensionsfonds, der zu den weltweit größten zählt, angekündigt, deutlich mehr in Aktien zu investieren, als von vielen Anlegern erwartet worden ist. Insgesamt sollen umgerechnet rund 187 Mrd. US-Dollar in die Aktienmärkte fließen – davon knapp die Hälfte in japanische Titel. Nach den Neuwahlen vom 14. Dezember bestünde bei einer Wiederwahl von Premierminister Abe eine gute Chance, einige der immer nötiger werdenden Reformen umzusetzen. Die anhaltenden Bemühungen, die Konjunktur wieder zum Laufen zu bringen und die Inflationsrate zu steigern, mündeten bisher in einer Yen-Schwäche, die insbesondere 76 den japanischen Exportunternehmen zu stattlichen Gewinnen verholfen hat. Insofern werden bessere Unternehmensergebnisse sowie die Geldschwemme den japanischen Aktienmarkt stützen. Gleichwohl müssen Investoren beachten, dass bereits viele internationale Investoren in japanische Aktien eingestiegen sind und unter den globalen Investoren ein hoher Konsens auf weiterhin steigende Kurse besteht. Dies und die Vorwegnahme vieler positiver Einflussfaktoren auf den Aktienmarkt nehmen wir zum Anlass, um bei weiteren deutlichen Aufwärtsbewegungen zu erwägen, zumindest teilweise Kursgewinne zu realisieren. 2. Sektoren Derzeit favorisieren wir den Finanzsektor und erwarten auch weiterhin eine relativ gute Entwicklung im neuen Jahr. Nach dem Stresstest der EZB erwarten wir, dass die Banken auch im Zuge einer sich aufhellenden Konjunktur verstärkt Kredite vergeben werden und sich die Rahmenbedingungen für das operative Geschäft weiter verbessern. Mit auskömmlichen Kapitalpolstern in ihren Bilanzen besteht vorerst kein Zwang mehr, auf breiter Basis neues Eigenkapital aufzunehmen und/oder die Bilanzsummen – also Geschäft – zurückzufahren. Auf der Ergebnisseite könnte im weiteren Verlauf der Konjunkturerholung die Auflösung von Rückstellungen für einen weiteren Rückenwind sorgen. Der Finanzsektor steht im Fokus unserer sektoralen Ausrichtung Darüber hinaus erachten wir Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich für weiterhin interessant. Zwar sind die Bewertungen hier relativ höher als in anderen Sektoren, jedoch verfügen viele Unternehmen über ein sehr solides Geschäftsmodell mit nachhaltig hohen Cashflows. Der Gesundheitsbereich ist eine stabilisierende Flanke im Portfolio Auch der von uns für 2015 favorisierte Konsumbereich sollte von der gewachsenen Kaufkraft der Konsumenten, insbesondere in Europa und den USA, profitieren. Denn angesichts niedriger Inflationsraten und moderater Einkommens- und Lohnzuwächse sind die Realeinkommen gestiegen, während sich die Arbeitslosenquote schrittweise reduzierte. Der Konsumbereich dürfte von der höheren Kaufkraft profitieren Nach den bereits deutlich zurückgekommenen Kursen von Unternehmen im Rohstoffbereich sowie im Energiesektor erwarten wir, dass sich womöglich bald und sehr wahrscheinlich im Verlauf von 2015 neue aussichtsreiche Einstiegsmöglichkeiten ergeben. Vor allem können die relativ stabilen und attraktiven Cashflows bei den Energiewerten für anhaltend hohe Dividenden sorgen. Nach den jüngsten negativen Kursentwicklungen haben sich die Dividendenrenditen sogar erhöht. Da die Entwicklung an den Rohstoff- und Energiemärkten aktuell sehr dynamisch und volatil ist, beabsichtigen wir Übertreibungen nach unten erst einmal abzuwarten. Der Energie- und Rohstoffsektor wird zunehmend interessanter 77 II. Anleihen Anleihen bleiben eine wichtige Säule im ausgewogenen Portfolio Anleihen leisten einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung von Kapitalanlagen. Dies ist bedingt einerseits durch laufende stabile Zinserträge, die Kuponzahlungen, und andererseits durch ihren gewissen Absicherungscharakter gegenüber Risiken anderen Anlageklassen wie beispielsweise Aktien. Nach jahrelangen rückläufigen Renditen, zum Beispiel bei Bundesanleihen, erscheinen viele europäische Staatsanleihen zumindest unter reinen Renditeüberlegungen wenig attraktiv. Doch dies greift zu kurz. Schließlich ergeben sich innerhalb des übergeordneten langfristigen Trends rückläufiger Renditen wiederkehrend Marktphasen, in denen Renditen auch steigen. Diese Schwankungen können im Rahmen einer aktiven Vermögensverwaltung durch Allokations- und Durationsentscheidungen genutzt werden. Der Diversifikationseffekt stellt gerade bei steigenden Aktienmärkten ein wichtiges Argument für Anleihen als Portfoliobestandteil dar. Aus technischer Sicht deutet sich bei Anleihen zunehmend eine Gegenbewegung an Während das Jahr 2014 noch einmal stetig fallende Renditen bei Staatsanleihen brachte, deuten sich für das kommende Jahr nicht nur für US-Anleihen, sondern auch in Europa deutliche Gegenbewegungen an. Die Anleihegewinne der zweiten Jahreshälfte hatten charttechnisch jedenfalls eindeutig den Charakter einer Kapitulation, was dafür spricht, dass sich der Aufwärtstrend am Anleihemarkt in seinem finalen Stadium befindet. Diese Aussage alleine scheint vor dem Hintergrund niedrigster Renditen schon mathematisch erst einmal nicht besonders mutig. Bezeichnenderweise ist aber trotz des inzwischen erreichten Renditeniveaus die seit Jahren herrschende Zuversicht auf eine bevorstehende Zinswende jüngst mehr oder weniger in sich zusammengebrochen. Alleine dies beschreibt den Kapitulationscharakter, der sich hinter den noch einmal deutlichen Renditerückgängen des Jahres 2014 verbirgt. Die Inflationserwartungen lösen sich aus ihrer Verankerung Seit annähernd drei Jahren befindet sich der Euroraum im disinflationären Umfeld, also zwar positiver, aber im Trend rückläufiger Inflationsraten. Sogenannte Forward Starting Inflation Swaps (Finanzderivate auf zukünftige Inflationsraten) geben Aufschluss über die Inflationserwartungen der Kapitalmarktteilnehmer. Bemerkenswert dabei ist, dass sich im Jahr 2014 der Rückgang der mittel- bis langfristigen Inflationserwartungen nochmals beschleunigt hat. Aus der bisher langfristigen von der EZB gewünschten Verankerung der Inflationserwartung „unter, aber nahe 2 %“ scheinen sich die Erwartungen der Marktteilnehmer gelöst zu haben. Mit der Absicht der EZB, die Geldpolitik im Eurosystem mit weiteren Anleihekäufen zu unterstützen und so auch mittelbar der Realwirtschaft mehr Geld zur Verfügung zu stellen, kann in den kommenden Jahren mit einem leichten Anstieg der Inflation gerechnet werden. Sentimenttechnisch sollte die Wahl der Duration nicht zu lang ausfallen Über die vergangenen Jahre neigten Anleger dazu, die vermeintlich bevorstehende Zinswende auszurufen und sich entsprechend zu positionierten. Nun hat sich die Stimmung gedreht. Die Erwartung, dass die Notenbankpolitik – auch aufgrund spürbar fallender Inflationserwartungen – weiter stark expansiv bleibt (oder noch expansiver wird), hat dazu geführt, dass Anleger ihre Haltung inzwischen aufgegeben haben. Selbst Investoren, die jahrelang zu vorsichtig positioniert waren, sehen auf dem jüngst erreichten Renditeniveau kaum mehr Spielraum nach oben und schichten inzwischen entsprechend um. Damit steigt die Zuversicht am Rentenmarkt nach einer viele Jahre 78 andauernden Rallye noch einmal an. Kurzfristig mag das die Kurse noch einmal stützen. Aus sentimenttechnischer Sicht ist dies hingegen eines von vielen Warnsignalen. Im Gegensatz zu den Jahren zuvor ist das Überraschungspotenzial am Rentenmarkt inzwischen eindeutig nach unten gerichtet. Wir erwarten, dass die wahrscheinlich werdenden Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank das allgemeine Renditeniveau kurzzeitig noch weiter nach unten drücken könnten. Für den Jahresverlauf 2015 erwarten wir jedoch einen leichten Renditeanstieg, angesichts einer sanften konjunkturellen Belebung im Euroraum sowie unserer technischen und sentimenttechnischen Einschätzung. Die positive wirtschaftliche Entwicklung dürfte in den USA das dortige Renditeniveau ansteigen lassen und die Renditedifferenz zwischen den beiden Rentenmärkten temporär ausweiten. Verstärkt durch die Aufwertung des US-Dollars zum Euro werden US-Anleihen im Vergleich zu europäischen Staatsanleihen attraktiver. Dies wird dann tendenziell zu einem Renditeanstieg in der Eurozone beitragen. Das allgemeine Renditeniveau sollte sich sukzessive über das Jahr 2015 erhöhen Vor diesem Hintergrund empfehlen wir eine vorübergehend leicht höhere, aber dennoch moderate Duration zu wählen. Diese wird sich im Laufe des ersten Halbjahres 2015 durch eine fortschreitende kürzere Positionierung auf der Zinskurve wieder verringern. Über die wieder sukzessiv geringere Zinssensitivität werden dann durch einen erwarteten Renditeanstieg induzierte Kursrückgänge von Anleihen gemildert. Eine leicht höhere Duration erscheint für den Jahresstart eine sinnvolle Strategie Abb. 45: Verschiedene Rentenindizes 135 125 135 Deutsche Pfandbriefe Finanzanleihen Eurozone Unternehmensanleihen Eurozone Europäische Staatsanleihen 125 115 115 105 105 95 Nov 09 95 Nov 10 Nov 11 Nov 12 Nov 13 Nov 14 Indizes = 100 am 01.11.2009. Quelle: Bloomberg. Angesichts möglicher Aufkäufe von Unternehmensanleihen seitens der EZB rechnen wir mit anhaltend geringen bis weiter fallenden Risikoprämien im Unternehmensanleihesegment. Wir empfehlen diesen Effekt zur Renditesteigerung durch eine Übergewichtung von Unternehmensanleihen im Portfolio zu nutzen. Dabei empfehlen wir Unternehmensanleihen einschließlich Finanzanleihen als Schwerpunkt innerhalb der Anleihesegmente zu bevorzugen, vor allem nachdem sich europäische Staatsanleihen zuletzt besonders positiv entwickelt haben (Abbildung 45). Unternehmens- und Finanzanleihen sollten weiterhin im Fokus des Anlegers bleiben 79 Investment GradeRisikoprämien rückläufig Gerade bei den Kreditrisiken sollten Anleger darauf achten, aufgrund des nunmehr sehr niedrigen Zinsumfelds sich nicht in zu hohe Bonitätsrisiken hineintreiben zu lassen. Die Risikoprämien für Unternehmensanleihen aus dem Investment Grade-Bereich sind in den letzten Jahren stark rückläufig gewesen (Abbildung 46). Hochzinsanleihefonds bieten sich als Beimischung im Portfoliogesamtkontext an Vor dem Hintergrund der besonderen Kreditrisiken bei Hochzinsanleihen empfehlen wir in diesem Zusammenhang Hochzinsanleihefonds, die noch attraktive Renditevorteile bieten. Allerdings empfehlen wir aufgrund der höheren Bonitätsrisiken nur kurzlaufende Hochzinsanleihefonds, insbesondere von US-Emittenten. Abb. 46: Unternehmens- und Staatsanleihen gleicher Bonität – Risikoaufschläge 400 Risikoprämien AAA Risikoprämien AA Risikoprämien A Risikoprämien BBB 300 400 300 200 200 100 100 0 0 Nov 09 Nov 10 Nov 11 Nov 12 Nov 13 Nov 14 In Basispunkten. Quelle: Bloomberg. Bei Staatsanleihen sollte auf eine auskömmliche Rendite bei überschaubaren Risiken geachtet werden Sofern die quantitative Lockerung durch die Europäische Zentralbank auch auf Staatsanleihen ausgedehnt werden sollte, dürften sich die Risikoaufschläge von europäischen Staatsanleihen im Vergleich zu Bundesanleihen weiter verringern. Da die Risikoprämien über Bundesanleihen seit der Eurokrise bereits dramatisch gefallen sind, empfehlen wir zur Ertragssteigerung im Staatsanleihebereich auf attraktive Chance-Risiko-Verhältnisse zu achten. Dies ist unseres Erachtens bei Staatsanleihen von Spanien, Italien, Irland und Polen noch gegeben, wie die Renditeentwicklung ausgewählter Staatsanleihen mit fünf Jahren Laufzeit zeigt (Abbildung 47). Abb. 47: Europa – Rendite fünfjähriger Staatsanleihen 24 21 18 15 24 Deutschland Frankreich Italien Spanien Portugal Polen 21 18 15 12 12 9 9 6 6 3 3 0 Nov 09 In %. Quelle: Bloomberg. 80 0 Nov 10 Nov 11 Nov 12 Nov 13 Nov 14 Auch Staats- und Unternehmensanleihen aus den Emerging Markets in US-Dollar bleiben hinsichtlich des Renditevorteils gegenüber US-Staatsanleihen weiterhin aussichtsreich. Dabei haben sich die Zinsaufschläge gegenüber US-Treasuries seit Sommer etwas ausgeweitet. Jedoch hat dies aufgrund der attraktiven laufenden Verzinsung insgesamt nicht zu Kursverlusten bei diesen Anleihen geführt. Mit der anstehenden Zinserhöhung in den USA mag das Segment zwar zwischenzeitlich unter Druck geraten. Jedoch dürften die Investoren sich bereits positioniert haben. Zudem haben sich die Zahlungsbilanzen verbessert und ein erneuter Abwertungsdruck mit indirekten Effekten auch auf US-denominierte Schwellenlandanleihen dürfte moderat ausfallen. Unter Chance-RisikoAspekten sowie begründet durch die attraktive laufende Verzinsung überwiegen derzeit noch die Renditevorteile. Schwellenlandanleihen in Hartwährungen bieten ebenfalls noch attraktive Renditepotenziale III. Alternative Investments Traditionelle Anlageklassen wie Aktien und Renten vermögen bereits einen deutlichen Diversifikationsbeitrag zu leisten, doch bieten alternative Anlageklassen wie Industrie- und Edelmetalle oder marktneutrale Strategien weitere Möglichkeiten, Risiken zu streuen und darüber hinaus zu verringern. Vor allem Krisenphasen machen die Bedeutung solcher Anlageklassen deutlich. Zu einem breit diversifizierten Portfolio tragen alternative Anlagen mit ihren günstigen Korrelationseigenschaften somit wesentlich bei. Im Zusammenhang mit einer Risikodiversifikation ist eine Portfoliobeimischung von Alternative Investments sinnvoll Abb. 48: Goldpreis und spekulative Netto-Long-Positionen (10 Jahre) 2.000 300.000 Spekulative Netto-Long-Positionen (rechte Skala) Gold Spotpreis 1.600 240.000 1.200 180.000 800 120.000 400 60.000 0 Nov 04 0 Nov 06 Nov 08 Nov 10 Nov 12 Nov 14 Goldpreis in US-Dollar je Feinunze, Netto-Long-Positionen in Kontrakten. Quelle: Bloomberg. Gold als Beimischung bleibt auch aus portfoliotheoretischen Gesichtspunkten nicht nur eine hinreichende Sicherungsoption gegen Extremrisiken, sondern auch ein effizientes Instrument, sich gegen den allerdings derzeit wenig wahrscheinlichen Falle überraschend anziehender Inflationsraten abzusichern. Auch als Währung der letzten Instanz wurde Gold wiederkehrend eine führende Rolle zugesprochen. Die anhaltend expansive Notenbankpolitik sowie die derzeit geringen Opportunitätskosten aufgrund des weiterhin niedrigen Zinsumfelds sind weitere Faktoren, weshalb wir empfehlen, Positionen moderat aufzubauen beziehungsweise eine neutrale Positionierung gegenüber der Benchmark vorzunehmen. Gold als Beimischung hat eine multifunktionale Portfoliobedeutung 81 Ein breiter Einstieg in Industriemetalle erscheint noch zu früh Die Situation bei den Industriemetallen hat sich trotz der besseren Aktienmarktstimmung noch nicht aufgehellt. Das Bild bleibt vorerst gemischt, viele Marktteilnehmer bleiben auf der Seitenlinie und warten ab. Sobald sich die globale Konjunktur, vornehmlich in Europa, aber auch in China, in den nächsten Monaten festigt, gehen wir bei Industriemetallen von weiter steigenden Notierungen aus. Bei Platin bleibt die fundamentale Lage weiterhin günstig. Einer steigenden Nachfrage steht ein höchstens gleichbleibendes Angebot gegenüber. Energiepreise bleiben weiterhin unter Druck Trotz anhaltender geopolitischer Spannungen sind Energierohstoffe, allen voran Rohöl, unter Druck geraten. Einerseits reflektiert dies die momentane Konjunkturschwäche in Europa, andererseits zeigt sich hier der Wandel der USA vom Importeur zum Exporteur von Rohöl. Der Internationalen Energieagentur zufolge wird der durch Fracking induzierte Öl-Boom in den USA seine Spitze erst im Jahr 2020 erreichen. Die Produktionsmengen werden dann bis zum Jahr 2030 auf hohem Niveau verweilen. SaudiArabien hat bereits auf diese neue Situation reagiert und den Angebotspreis für Ölexporte in die USA reduziert, was den Preisverfall beschleunigte. Sollte sich der Preisrückgang beim Rohöl fortsetzen, ist grundsätzlich von Gegenmaßnahmen seitens des OPEC-Kartells auszugehen. Im November 2014 hat die OPEC jedoch noch kein Drosseln der Rohölproduktion beschlossen. Die nächste turnusgemäße OPECZusammenkunft wird im Juni 2015 erfolgen. Allerdings hat die OPEC in der Vergangenheit auch im Rahmen außerplanmäßiger Sitzungen Beschlüsse gefasst. Energierohstoffe strategisch weiter meiden, taktisch mögen sich aber Möglichkeiten ergeben Fraglich ist, ab welchen Preisniveaus die Produktion heruntergefahren werden könnte. So hat Saudi-Arabien kommuniziert, man wolle der Schieferölproduktion in den USA entgegnen. Je nach Interpretation könnte dies bedeuten, dass die OPEC beziehungsweise Saudi-Arabien bereit ist, einen noch niedrigeren Ölpreis zu akzeptieren, um damit gegebenenfalls US-Schieferölproduzenten aus dem Markt zu drängen. Dies würde auch zur Rhetorik Saudi-Arabiens passen, dass der Ölpreis durch Marktpreismechanismen von alleine wieder auf höhere Preisniveaus gelangen könne. Ein solches Szenario dürfte zunächst zu weiter fallenden Notierungen am Ölmarkt führen. Bedingt durch das somit vorliegende strukturelle Überangebot empfehlen wir strategisch Energierohstoffe weiterhin zu meiden. Taktisch und somit auf kurzfristige Sicht mögen sich aber dennoch Investmentmöglichkeiten ergeben, wenn der intensive Preisdruck auf das Öl anhalten sollte und die Marktteilnehmer in eine Verkaufspanik gerieten. 82 IV. Liquidität Die Marktusancen in Bezug auf Liquidität haben sich durch neue geldpolitische Maßnahmen verändert. So hat die Europäische Zentralbank im Juni 2014 einen Negativzins auf Zentralbankeinlagen mit täglicher Fälligkeit eingeführt. Zunehmend wird dieser negative Einlagenzins durch die Geschäftsbanken auch an große Endkunden weitergereicht. Derzeit ist nicht absehbar, wann die Europäische Zentralbank den Depositenzins für Geschäftsbanken wieder anheben wird. Das geldpolitische Marktumfeld hat sich verändert Aus portfoliotheoretischer Sicht stellt Liquidität generell aufgrund der neutralen bis leicht negativen Korrelation gegenüber den gängigen Anlageklassen eine gute Möglichkeit dar, das Portfolio über schwierige Kapitalmarktphasen hinweg zu stabilisieren. Positive Eigenschaften im Portfoliokontext Die bedeutende Anlageklasse Liquidität unterteilen wir in Geldmarktanlagen sowie in Transaktionsliquidität. Dabei überwiegen die kurzfristigen Anlagen des Finanzmarktes. Insbesondere vor dem Hintergrund einer erwarteten zwischenzeitlichen Korrektur an den Aktienmärkten haben wir damit eine bewusste Empfehlung für Transaktionsliquidität getroffen. Liquidität = Geldmarktanlagen + Transaktionsliquidität Eine solche Manövriermasse erlaubt es, bei niedrigeren Aktienkursen weitere Investments vorzunehmen und/oder in attraktiven Investmentthemen kurzfristig zu reinvestieren sowie kurzfristig vorhandene Opportunitäten am Rentenmarkt zu nutzen. Die Liquidität stellt insofern eine kostengünstige Option dar, auch bei Marktschwäche opportunistisch und antizyklisch aussichtsreiche Investments vorzunehmen. Liquidität erlaubt, bei Marktschwäche opportunistisch und antizyklisch zu investieren 83 V. Kapitalmarktprognosen Zinsen (in %) Aktuell 10 Jahre 2,31 2,90 Europa* 10 Jahre 0,78 1,20 Großbritannien 10 Jahre 2,02 2,70 Aktuell Prognose Ende 2015 Währungen USA EUR/USD 1,24 1,27 Europa EUR/CHF 1,20 1,24 Großbritannien EUR/GBP 0,79 0,80 Aktuell Prognose Ende 2015 Aktien USA S&P 500 2 075 Europa DAX 2 200 10 087 10 900 EURO STOXX 50 3 277 3 540 FTSE 100 6 743 6 950 Aktuell Prognose Ende 2015 Rohstoffe (in US-Dollar) Öl (Brent) 69,07 75 Gold 1 193 1 300 * Bundesanleihen. 84 Prognose Ende 2015 USA WIRTSCHAFT UND FINANZMÄRKTE AUSBLICK 2015 E IN V E RH A LTE NE R A UFSC H W UNG Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG Neuer Jungfernstieg 20 20354 Hamburg Telefon +49 40 350 60-0 Telefax +49 40 350 60-900 www.berenberg.de