Anwaltschaftliche Ethik

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1
Pädagogische Hochschule Weingarten
Institut für Bildung und Ethik
IBE
Anwaltschaftliche Ethik
Theoretischer Ansatz
und schulpädagogische Perspektiven
von
Hans-Martin Brüll und Bruno Schmid
Schriften des IBE Nr. 5
2
Inhaltsverzeichnis
Vorwort……………………………………………………………………………………3
A. Theoretischer Ansatz
1. Hinführung
1.1 Aktualität der Frage………………………………………………………...........6
1.2 Das Anliegen einer anwaltschaftlichen Ethik…………………………….....7
2. Begriffsklärung: Was meint anwaltschaftliche Ethik?.............................10
3. Begründung einer anwaltschaftlichen Ethik………………………………..11
3.1. Mitleid als Beweggrund für eine anwaltschaftliche Ethik…………….....12
3.2. Gerechtigkeit als Vernunftgrund…………………………………………......14
3.3. Personalität und Integrität des Menschen als
anthropologischer und theologischer Grund……………………………………18
4. Die Anwendungsbereiche einer anwaltschaftlichen Ethik
4.1 Die Ebene der professionellen individuellen Interaktion………………….22
4.2 Die Ebene der organisierten sozialpflegerischen Arbeit
in sozialen Unternehmen bzw. den Wohlfahrtsverbänden…………………….23
4.3. Die Ebene des Sozialstaates…………………………………………………..26
5.Zusammenfassung…………………………………………………………………27
B. Schulpädagogische Perspektiven
1. Anwaltschaftliche Ethik – Bildungsaufgabe der Schule
1.1 Ethische Bildung als Auftrag der Schule…………………………………….28
3
1.2 Anwaltschaftliche Ethik im baden-württembergischen
Bildungsplan 2004…………………………………………………………………..29
1.3 Bildung zum anwaltschaftlichen Ethos……………………………………..31
2. Kompetenzen und Inhalte anwaltschaftlicher Ethik im
Bildungsplan
2.1 Bildungsstandards für soziale und ethische Kompetenz……………….33
2.2 Verbindliche Inhalte in den Fächern Ethik und
Religion……………………………………………………………………………35
3. Konzepte für Projekte zum anwaltschaftlich-ethischen Lernen
3.1 Das themenorientierte Projekt „Soziales Engagement“………………..40
3.2 "Compassion" - Soziales Lernen an Schulen…………………………….42
4. Materialien für den Unterrichtseinsatz und für die Projektarbeit
4.1 Fallbeispiele………………………………………………………………………45
4.2 Design von Projekttagen………………………………………………….……48
C. Literatur………………………………………………………………………….……51
4
Anwaltschaftliche Ethik.
Theoretischer Ansatz und schulpädagogische
Perspektiven
Von Hans-Martin Brüll und Bruno Schmid
Vorwort
In der fünften Broschüre des Instituts für Bildung und Ethik geht es um ein zentrales
Thema der Sozialethik: die anwaltschaftliche Ethik. Sie thematisiert die
Notwendigkeit sozialer Verantwortung von Menschen für Menschen. Damit mischt sie
sich ein in die aktuellen Konflikte, wie sie zurzeit in der Pflegewissenschaft, der
Sozialwirtschaft und der Sozialpolitik unter dem Stichwort Fremdbestimmung versus
Selbstbestimmung ausgehandelt werden. Es geht dabei immer um die Kernfrage:
Wann ist es ethisch legitim, helfend-unterstützend in das Leben anderer Menschen
einzugreifen?
Das Anliegen einer anwaltschaftlichen Ethik dient der Resolidarisierung in einer
Gesellschaft, deren Mitglieder sich immer mehr vereinzeln und somit die Erfahrung
gegenseitiger Hilfe immer weniger machen können. Diese Solidarität wird daher
immer wieder neu gelernt werden müssen, damit das Zusammenleben und der
Zusammenhalt im sozialen Rechtsstaat gelingen kann. Deshalb beabsichtigt unsere
Schrift neben einer notwendigen theoretischen Abklärung des Begriffs einer
anwaltschaftlichen Ethik und seiner Anwendungsbereiche in besonderer Weise die
schulpädagogische Reflektion und Praxis Verwendung. Jungen Menschen soll im
Unterricht wie in Lernprojekten die Gelegenheit gegeben werden, in reflektiertkritischer Weise das Anliegen einer anwaltschaftlichen Ethik zu verstehen. Aus dem
Kontakt mit Menschen, die der Hilfe anderer in unterschiedlicher Weise bedürfen, soll
mehr Verständnis für deren Lebenslagen entstehen. Fallbeispiele und Lernprojekte
5
können so dazu beitragen, der gesellschaftlichen Selektion kranker, alter und
behinderter Menschen durch erlebte und reflektierte Begegnungen vorzubeugen und
ein Klima zu schaffen, das Integration und Inklusion der Hilfsbedürftigen möglich
macht.
Diese Intentionen spiegeln sich im Aufbau der Studie. Sie ist in zwei Teile gegliedert.
Im Teil A folgt auf die Hinführung zur Fragestellung (1) die Grundlagenarbeit am
Begriff einer anwaltschaftlichen Ethik (2). Die philosophische und theologische
Begründung dieser Ethik schließt sich an (3). Sodann wird ihre Anwendung auf
verschiedenen Handlungsebenen differenziert beschrieben (4). Teil B widmet sich
den schulpädagogischen Perspektiven. Hier wird zunächst gezeigt, warum Erziehung
zu einem anwaltschaftlichen Ethos eine Bildungsaufgabe der Schule ist (1).
Ausgehend vom 2004 in Kraft gesetzten baden-württembergischen Bildungsplan
werden die dafür notwendigen Kompetenzen und Inhalte besprochen (2) und durch
zwei Projektvorschläge konkretisiert (3). Abschließend werden Fallbeispiele und
Projektdesigns vorgestellt, die in der Schule verwendet werden können (4).
Unsere Studie dient auch dem Interesse von Sozialunternehmen, die ohne den
„Rohstoff“ Solidarität und Hilfsbereitschaft nicht auskommen können. Einigen
christlichen Sozialunternehmen, wie sie etwa im „Brüsseler Kreis“ vertreten sind, war
das Anliegen einer anwaltschaftlichen Ethik so wichtig, dass sie das Institut für
Bildung und Ethik mit einer theoretischen und praktischen Klärung dieser speziellen
Form einer aufgeklärten Sozialethik beauftragt haben. Für diesen Auftrag und das
Interesse bedanken wir uns und hoffen, dass unsere Studie im
unternehmensinternen Diskurs Verwendung finden kann.
Ein besonderer Dank gilt auch der Bereitschaft verschiedener Experten in
Wohlfahrtsverbänden und Sozialunternehmen, die vor und während der Abfassung
der Arbeit immer wieder durch kritisch-konstruktive Hinweise zur realitätsgerechten
Klärung beigetragen haben.
Unseren Weingartner Kollegen Prof. Edgar Thaidigsmann und Dr. Eike Bohlken
danken wir für die kritische Durchsicht des Manuskriptes und manch wertvolle
Anregung.
6
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Stiftung Liebenau danken wir sehr für die
Überlassung ihrer Materialien und Lernprojektdesigns.
Weingarten, im Januar 2005
Hans-Martin Brüll und Bruno Schmid
7
A. Theoretischer Ansatz
1. Hinführung
1.1 Aktualität der Frage
Es gibt verschiedene Gründe zur Annahme, dass der gesellschaftliche Konsens zur
Notwendigkeit individueller, gegenseitiger Hilfe, professioneller Sozialarbeit und
Pflege sowie ihrer sozialstaatliche Legitimation zunehmend in Frage gestellt wird. Auf
der zwischenmenschlichen face-to-face-Ebene schwinden Ressourcen, wie sie
gegenseitige familiäre, nachbarschaftliche und genossenschaftliche Hilfe im bisher
gekannten Ausmaß gewährleisten1. Dieser Trend wird unterstützt von einer
Überalterung westlicher Gesellschaften, die das selbstverständliche Einstehen der
Jungen für die Alten demografisch in Frage stellt. Angesichts des Rückgangs der
„natürlichen“ Hilferessourcen lässt sich fragen, wie solidarisches Handeln zugunsten
hilfebedürftiger Menschen ethisch zu begründen ist.
Verunsichert sind auch soziale Einrichtungen und Träger, besonders solche mit
konfessionellem Hintergrund. Sie erleben sich in einem Spannungsverhältnis
zwischen religiös begründeter Barmherzigkeit und einer vom Markt geforderten, auf
einfachem Austausch von Leistung und Gegenleistung beruhender
Dienstleistungsmentalität2. Besonders markant beteiligen sich am Streit um die
Zukunft sozialer Unternehmen dabei die christlichen Kirchen und ihre
Wohlfahrtsverbände, die an einer „Option für die Armen“ im Streit um den künftigen
Weg festhalten wollen3. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit parteiliches Eintreten
1
vgl. Claus Offe, Susanne Fuchs: Schwund des Sozialkapitals? Der Fall Deutschland. In: Robert D.
Putnam: Gesellschaft und Gemeinsinn. Sozialkapital im internationalen Vergleich. Gütersloh 2001.
Dieser Trend zur Entsolidarisierung wird eindrücklich für die USA beschrieben in: Robert D. Putnam:
Bowling alone. The Collaps and Revival of american community, New York 2000; vgl. auch Peter
Ungut: Die Agonie des Sozialen. In: Ina Hartwig, Tilman Spengler (Hrsg.): Kursbuch 157: Die große
Entsolidarisierung, Berlin 2004, 11-32
2
Diese Diskussion wird exemplarisch im Sammelband: Markus Lehner, Michael Manderscheid
(Hrsg.): Anwaltschaft und Dienstleistung. Organisierte Caritas im Spannungsfeld. Freiburg i. B. 2001
geführt.
3
Vgl. dazu: Deutscher Caritasverband: Caritas-Leitbild. „Gott selbst ist Anwalt der Armen, Schwachen
und Entrechteten“. Der DCV „achtet in allen seinen Tätigkeiten die Würde des Menschen und tritt für
dessen Rechte ein.“ „ Der DCV versteht sich als Anwalt und Partner Benachteiligter. Er setzt sich für
Menschen ein, die am Rande der Gesellschaft leben, die öffentlich keine Stimme haben und die sich
nicht selbst helfen können. Er verschafft ihren Nöten und Anliegen Gehör und unterstützt sie bei der
Wahrnehmung ihrer Rechte. Er tritt gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen entgegen, die zur
Benachteiligung von einzelnen und Familien oder zur Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen
führen“.
8
für Menschen, die keine gesellschaftliche Lobby haben, weiterhin ethisch von den
Sozialunternehmen gefordert ist und wie dieses Anliegen mit deren
betriebswirtschaftlichen Interessen vereinbar ist.
Die Legitimität des modernen Sozialstaates und dessen Ausmaß wird zunehmend,
vor allem von neoliberalen Vordenkern, in Zweifel gezogen4. Gefordert wird ein
schlanker Staat, der nur noch das Nötigste für die Armen und Hilfebedürftigen
ausgibt. Manche Kritiker der neoliberalen Kritiker sprechen sogar von einem „Feldzug
gegen den Sozialstaat“5, der den Hilfsbedürftigen immer weniger zukommen lässt.
Die Frage lautet daher: Wie viel Sozialstaat zugunsten hilfebedürftiger Menschen
darf noch sein, wie viel Schutz und Hilfe muss der Staat zur Verfügung stellen?
Dabei geht es nur vordergründig um die Frage der Finanzierung der Sozialsysteme.
Die Infragestellung der Sinnhaftigkeit sozialstaatlicher Hilfe, der anwaltschaftlichen
Ausrichtung sozialer Unternehmen und der Wohlfahrtsverbände zugunsten ihrer
Klienten sowie des Schutzgebotes des Staates für die schwächsten
Gesellschaftsmitglieder erfordert eine klare sozialethische Positionierung. Auf dem
Spiel steht insgesamt die Legitimität individuellen, institutionellen und
sozialstaatlichen Handelns zugunsten Schwacher.
1.2 Das Anliegen einer anwaltschaftlichen Ethik
Die Ausgangsfrage lautet daher: Ist intervenierendes Handeln professioneller Helfer,
von Sozialeinrichtungen oder von Seiten des Staates zugunsten von schwachen und
sozial benachteiligten Menschen erlaubt oder gar sittlich geboten? Wenn ja, wie lässt
sich dann eine Ethik der legitimen Intervention beschreiben?
Beispielhaft für die verfassten Kirchen seien hier die „Pastoralen Prioritäten der Diözese RottenburgStuttgart“ genannt, die vom Bischöflichen Ordinariat 2003 herausgegeben wurden. Unter der
Überschrift „Für die unantastbare Würde des Menschen eintreten: „Anwaltschaftlich einstehen für das
Leben des Menschen von Anfang an. Durch öffentliches Engagement, durch Beratung, Begleitung
und Unterstützung aller Art aufstehen für das Leben“ „Anwaltschaft übernehmen für die Verlierer der
Entwicklungsprozesse in der Arbeitswelt“ Solidarität in globalem Horizont üben – Option für die
Armen „Anwaltschaft üben für jene, die keine Stimme haben gegenüber den Mächtigen. Sich für eine
gerechte internationale Rechts- und Wirtschaftordnung einsetzen. Sich für die Lebenschancen der
künftigen Generationen einsetzen. Für Frieden und Gerechtigkeit eintreten, insbesondere in
Spannungsgebieten. Sich für Versöhnung einsetzen. Das Wächteramt wahrnehmen in den
gegenwärtigen dynamischen Umgestaltungsprozessen der Welt. Anwaltschaft ausüben, dass das
soziale Leben in der Gesellschaft geprägt bleibt von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.“ heißt es
dort ( vgl. S. 2ff).
4
Vgl dazu die Position von Gerd Habermann: Der Wohlfahrtsstaat. Die Geschichte eines Irrwegs.
Frankfurt a.M. 1994.
5
vgl. dazu Friedhelm Hengsbach: Das Reformspektakel. Warum der menschliche Faktor mehr
Respekt verdient. Freiburg i.B. 2004, besonders 21ff.
9
Unsere Studie möchte auf diese Fragen eine sozialethisch begründete Antwort
geben. Da es sich hierbei um Grundlagenfragen handelt, geht es nicht um eine neue
Ausnahme- oder Sonderfallethik. Versucht werden soll vielmehr eine Neubegründung
der Berechtigung des Handelns zugunsten hilfsbedürftiger Menschen. Das macht
eine Definition einer solchen Ethik und sowie eine anthropologische Begründung
nötig. Erkenntnisleitend für diese Arbeit ist dabei der in Fragmenten vorliegende
Ansatz einer „advokatorischen Ethik“ von Micha Brumlik6, der die
Legitimationsbedürftigkeit bestimmter Erziehungshandlungen, -institutionen und –
systeme thematisiert.
Die vorliegende Arbeit prüft, inwieweit der Brumliksche Ansatz auch tragfähig ist für
Systeme, die sozialtherapeutische und pflegerische Handlungen zu ihrem
Gegenstand haben. Geprüft werden muss, ob eine solche Ethik orientierungsstark
genug ist, um die Mikroebene (den interpersonalen Bereich zwischen Helfer und
Hilfsbedürftigem), die Mesoebene (den Unternehmensbereich als Teilsystem, das
bestimmten Menschengruppen in besonderen Lebenslagen unterstützende
Dienstleistungen anbietet) und die Makroebene (den Sozialstaat, der als schützende
Instanz gegenüber gesetzlich definierten bedürftigen Menschen in Erscheinung tritt)
zu umfassen.
Intervenierende Handlungen zugunsten hilfebedürftiger Menschen folgen den
Leitwerten von Gerechtigkeit und Fürsorge. Beide Leitwerte sind nicht identisch und
existieren in gegenseitiger Spannung. Der Leitwert der Gerechtigkeit dient in
Zugangs- und Verteilungsfragen als handlungsorientierender Urteilsmaßstab und
schaut auf das Ergebnis einer Handlung von autonom handelnden Personen.
Fürsorge dagegen betont den Beziehungswert einer Handlung, ist prozessbezogen
und lebt von der Grundhaltung: Barmherzigkeit hat Vorrang vor gesetzlichen
Ansprüchen7.
Das Konzept einer anwaltschaftlichen Ethik kann allerdings auch als Provokation
verstanden werden, wenn man sie als paternalistischen Versuch wertet, Selbsthilfe
6
Vgl. Micha Brumlik: Advokatorische Ethik. Zur Legitimation pädagogischer Eingriffe., Berlin 2004 (2.
überarbeitete Auflage) (künftig Brumlik ).
7
Ob und in wie weit der Leitwert „Gerechtigkeit“ eher männlich geprägt ist, während die Fürsorge eher
weiblich orientiert ist, wie dies von amerikanischen Feministinnen behauptet wird, wird hier nicht weiter
untersucht, weil es den Rahmen dieser Arbeit sprengt. Vgl. dazu die Veröffentlichungen von: Carol
Gilligan: Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau. München 1984; Nel Noddings:
Caring. A Feminine Approach to Ethics and Moral Education, London 1986 und Herta Nagl-Docekal
(Hrsg.): Jenseits der Geschlechtermoral. Beiträge zur feministischen Ethik, Frankfurt a.M. 1993.
10
und -heilungskräfte niederzuhalten, die Übernahme von Verantwortung und
„Empowerment“ der Betroffenen zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben zu verhindern. „Anwalt sein für“ scheint dem
Selbstbestimmungsgedanken zu widersprechen. Dass es sich dabei nicht um einen
unüberbrückbaren Gegensatz, sondern um eine notwendige gegenseitige Ergänzung
handelt, wird in dieser Studie aufgezeigt. Mit dem Entwurf einer anwaltschaftlichen
Ethik soll (auch) der Versuch unternommen werden, auf die Situation derjenigen
aufmerksam zu machen, die selbst keine Stimme haben, um sich in den Diskurs um
gültige Umgangsregeln einlassen zu können. In den Blick kommen auch diejenigen,
die tagtäglich einen wertvollen Dienst an Pflege- und Hilfsbedürftigen leisten. Eine
anwaltschaftliche Ethik sollte in der Lage sein, sich im Spannungsfeld zwischen
Selbstbestimmungsanspruch und Fürsorgerealität als begründbare Orientierung zu
erweisen.
Für Sozialunternehmen, vor allem christlicher Provenienz, dürfte der Ansatz einer
anwaltschaftlichen Ethik klärend sein, weil er die Einrichtungen an ihre christlichen
bzw. humanitären Wurzeln des Eintretens für ihre Klientel erinnert. Er kann eine
orientierende Funktion haben, wenn es gelingt, ihn mit dem ökonomischen Modell
des Dienstleisters zu verknüpfen. Der Sorge vieler um den Identitätsverlust gerade
kirchlicher Sozialeinrichtungen könnte mit der Suche nach einer Ethik begegnet
werden, die zeigt, wie unter den Bedingungen eines sozialen Dienstleistungsmarktes
das Prinzip der Anwaltschaftlichkeit glaubwürdig vertreten werden kann. Dabei gilt es
auch, dem Vorwurf einer möglichen Legitimation der Entmündigung von Betroffenen
zu begegnen. Es soll in dieser Arbeit aufgewiesen werden, dass eine
anwaltschaftliche Ethik Begründungen für eine Begleitung und Förderung nicht mehr
selbstständig lebensfähigen Menschen bietet.
Die aktuelle Diskussion um die Rolle des Staates und die Legitimität seiner sozialen
Verpflichtungen macht deutlich, dass seine grundgesetzliche Rolle als schützender,
hoheitlicher Grundwertegarant nicht mehr unumstritten ist. Mit den fiskalisch und
konjunkturell bedingten Sparzwängen geht eine Rückzugsbewegung des Staates
einher, der sich nicht mehr für alles zuständig erklärt. Auch hier wird nach einem
ethischen Maßstab gesucht, der als Justierungshilfe für ein gewandeltes
Sozialstaatsverständnis dienen könnte. Der Ansatz einer anwaltschaftlichen Ethik
unterstreicht dabei die Notwendigkeit des Fürsorge- und des Schutzgedankens, den
es auch staatlicherseits zu realisieren gilt.
11
2. Begriffsklärung: Was meint anwaltschaftliche Ethik?
Alltagssprachlich knüpft der Begriff der anwaltschaftlichen oder advokatorischen
Ethik8 an der Figur des Anwaltes an. In der Regel erhält ein Anwalt einen Auftrag
eines Mandanten, handelt stellvertretend für diesen und nimmt dessen Interessen
wahr. Zum Mandat des Anwaltes gehört in der Regel die Bevollmächtigung durch
den Klienten9. Jedoch kennt das Recht auch Ausnahmen von dieser Regel, etwa bei
Vormundschaftsfällen oder im Fall der Pflichtverteidigung. Der Anwalt nimmt in
diesen Fällen Interessen von Klienten wahr, die „weder Willens noch dazu in der
Lage sind, ihre Interessen selbst zu vertreten oder selbst einen Interessenvertreter
zu benennen“10. Dies kann aufgrund des Lebensalters, aufgrund von Krankheit,
Geistessschwäche oder bei Misstrauen gegenüber Amtspersonen der Fall sein11.
Beim vormundschaftlichen Wahrnehmen von Interessen handelt es sich trotz des
Fehlens eines ausdrücklichen Willensaktes um eine Form anwaltschaftlichen Tuns.
Seine Berechtigung liegt in der Interessenvertretung des Klienten, die als Hilfe beim
Unvermögen, den eigenen Willen kund zu tun, und als Schutz vor Täuschung,
Übervorteilung und Ausnutzung durch Dritte verstanden werden kann.
Über das Paradigma des Anwalts hinaus geht es auch in jeder Form des Erziehens
und Helfens um das Wohlbefinden eines Schutzbedürftigen. Dabei ist wichtig, dass
Erziehen und Helfen sowie anwaltschaftliches Handeln an den Klienten und dessen
Situation ausgerichtet sind. Die Fähigkeit, die eigenen Angelegenheiten zu regeln,
kann, wenn sich die Situation des Klienten verändert (z.B. bei Krankheit), wieder zunehmen. Das Mandat kann je nach Stand der Mündigkeit auch wieder
zurückgegeben werden. Der richtige Moment ist zwar im Einzelfall nicht immer klar
zu entscheiden, spielt aber für eine verantwortliche Anwaltschaft eine zentrale Rolle.
Für den Anwalt, Helfer oder Erzieher ergibt sich wesentlich die Aufgabe, mit seiner
8
„Advokatorische Ethik“ und „anwaltschaftliche Ethik“ werden in dieser Studie synonym verwandt.
Vgl. hierzu: M. Brumlik: Integrität und Mündigkeit. Ist eine advokatorische Ethik möglich? In: Brumlik,
159-170, bes. 160ff.
10
ibd.
11
Vgl. K. Hilpert: Prinzip Anwaltschaftlichkeit. Annäherungen. In: M. Lehner, M. Manderscheid (Hrsg.):
Anwaltschaft und Dienstleistung. Organisierte Caritas im Spannungsfeld. Freiburg i. B. 2000, 77-94.
9
12
Macht in einem asymmetrischen Verhältnis zum Klienten verantwortungsvoll
umzugehen12.
Fasst man „Ethik“ als „ein System von Behauptungen und Aufforderungen auf, das
Werturteile und Verhaltensmaximen zur Orientierung für richtiges Handeln“13 enthält,
so kann mit Brumlik eine advokatorische Ethik vorläufig so definiert werden:
„Eine advokatorische Ethik ist ein System von Behauptungen und Aufforderungen in
Bezug auf die Interessen von Menschen, die nicht dazu in der Lage sind, diesen
selbst nachzugehen sowie jenen Handlungen, zu denen uns diese Unfähigkeit
anderer verpflichtet“14.
Eine anwaltschaftliche Ethik fragt nach der Legitimation des vormundschaftlichen
Vertretens von Interessen und von vormundschaftlichen Handlungen und liefert
Gründe für die Legitimation solchen Verhaltens. Der advokatorische Diskurs
beinhaltet somit die Erarbeitung von Maßstäben, um die Handlungsmotive der
Vormünder, Helfer und Pfleger auf ihre Stichhaltigkeit und Tragfähigkeit hin zu
überprüfen.
Dabei ist nicht unwichtig, auf welche Situationen sich eine advokatorische Ethik
bezieht. Im Kapitel 4 sind drei Handlungsebenen beschrieben, auf die eine
advokatorische Ethik Bezug nimmt. Dabei wird sich zeigen, dass diese Ethik
Universalcharakter hat und beanspruchen muss, will sie sich in den jeweiligen
Ebenen als überzeugende Handlungsorientierung bewähren. Es wird sich aber auch
deutlich zeigen, dass sich das Ausmaß und die Intensität anwaltschaftlichen
Handelns je nach Handlungsebene und Einzelsituation als unterschiedlich notwendig
herausstellen. Insofern ist der Universalcharakter einer advokatorischen Ethik jeweils
pragmatisch unterfüttert. Nicht jede Situation erfordert die totale Stellvertretung von
Interessen hilfsbedürftiger Menschen, es gibt graduelle Momente, die den jeweils
Handelnden vor die Entscheidung für „das rechte Maß“ an Unterstützung stellen.
12
Um der Gefahr des Missbrauchs von Abhängigkeiten entgegenzutreten, wurde das Gesetz zur
Reform der Vormundschaft und zur Pflegschaft aus dem Jahr 1990 verabschiedet, das die
symmetrischen Leitbilder der Betreuung, Treuhandschaft und Begleitung statt der Asymmetrie
anzeigenden Begriffe der Erwachsenenvormundschaft, Gebrechlichkeitspflege und Entmündigung in
den Mittelpunkt stellt.
13
Brumlik, 159.
14
Brumlik, 161.
13
3. Begründung einer anwaltschaftlichen Ethik
Die Frage lautet nun: Warum sollen Helfer, soziale Organisationen und der Staat
anwaltschaftlich handeln? Was legitimiert anwaltschaftliches Handeln? Wie lässt sich
eine Ethik der Anwaltschaftlichkeit begründen? Die Antworten darauf lassen sich
stufenförmig anordnen. Auf der ersten Begründungsebene geht es um „Mitleid“ oder
„Compassion“15 als ein besonders nahe liegendes affektives Motiv für
anwaltschaftliches Handeln, das noch nicht ganz rationaler Grund sein kann, aber
den Weg bahnt für eine vernunftgemäße Begründung (4.1.). Sodann wird der Frage
nachgegangen, ob und wie anwaltschaftliches Handeln der Vernunft und damit dem
Maßstab der Gerechtigkeit entspricht (4.2). Schließlich wird entscheidend sein,
welches Menschenbild das Prinzip Anwaltschaftlichkeit begründet und inwieweit eine
„norma normans“ für anwaltschaftliches Handeln nötig ist, die mit „die Würde des
Menschen“ als Ausdruck seiner Schutz- und Sorgebedürftigkeit umschrieben werden
kann (4.3).
Durch alle drei Begründungsebenen ziehen sich philosophische wie theologische
Argumentationsweisen.
3.1. Mitleid als Beweggrund für eine anwaltschaftliche Ethik
Der erste Schritt zur unmittelbaren Hilfe am Notleidenden geschieht aus Mitleid,
lateinisch com-passio, griechisch sym-patheia16. Was ist darunter zu verstehen?
Die christliche Tradition sieht dabei vier Beweggründe:
1. Die Barmherzigkeit als Tugend, die nicht identisch mit einer
Tauschgerechtigkeit ist. Sie kommt etwa als Grundhaltung im Gleichnis vom
barmherzigen Vater im Verhalten gegenüber dem verlorenen Sohn zum
Ausdruck.
2. Zum Zweiten ist damit die Leidens- und Todessolidarität Jesu Christi mit der
erlösungsbedürftigen Menschheit gemeint, wie sie in der Kreuzesmystik des
15
Vgl. dazu den Sammelband von J.B. Metz, L. Kuld, A. Weisbrod (Hrsg.): Compassion
Weltprogramm des Christentums. Soziale Verantwortung lernen. Freiburg i. B. 2000 (künftig:
Compassion).
16
vgl. zum Folgenden D. Mieth: Mitleid. In: Compassion, 21-25.
14
Mittelalters und in theologischen Deutungen des Kreuzestodes Christi
interpretiert wird17.
3. Zum dritten ist das Erbarmen des Samariters mit dem Notleidenden
angesprochen, das der praktischen Hilfe notwendig vorausgeht.
4. Und als letztes Motiv für Mitleid ist die „compassio fraterna“, die brüderliche
Leidensgemeinschaft, die in praktischer Solidarität mit den Armen und
Leidenden zum Ausdruck kommt, zu nennen.
Mitleid wird mit dieser Motivbreite in der christlichen Tradition als eine sittliche
Grundhaltung und Tugend beschrieben und gelebt.
Die philosophische Tradition hebt die Zwiespältigkeit des Mitleides hervor18. Nach
Kant handelt es sich beim Mitleid um einen natürlichen Affekt. Er beschreibt
einerseits „das warme Gefühl des Mitleidens“ als eine „gewisse Weichmütigkeit“, die
„schön und liebenswürdig“ ist. Anderseits ist Mitleid nach Kant „schwach und
jederzeit blind“19. Wegen dieser Ambivalenz kann Mitleid kein ausreichender
Bestimmungsgrund für moralisches Handeln sein. Diese skeptische Haltung tritt
bereits bei Aristoteles gegenüber dem Mitleid auf. Er verwirft Mitleid, sofern es der
Vernunft und der Gerechtigkeit entgegensteht. Man kann also nach Aristoteles von
„vernünftigem“ und „nicht-vernünftigem Mitleid“ sprechen. Mitleid braucht also eine
Vernunftgebundenheit, will es als hinreichender Grund für sittliches Handeln gelten.
Dies schon deswegen, weil alle spontane Antriebskräfte zweideutig sind. Mitleid, so
hat die Geschichte gezeigt, kann auch tödlich enden für diejenigen, denen aus
Mitleid geholfen wird. Die Befürwortung und Durchführung der massenhaften Tötung
behinderter Menschen „aus Mitleid“ während des Naziregimes zeigt beispielhaft auch
die Gefährlichkeit eines Gefühls auf, das Menschen von ihrem Leid „erlösen“ will20.
Mitleid als spontanes Gefühl kann schon deswegen nicht allein als Grund für
anwaltschaftliches Handeln gelten, weil ihm die eindeutige Gebundenheit an
vernunftgeleitete Gründe fehlt. Deshalb bedarf eine Mitleidsethik „einer
fortschreitenden reflexiven Kontrolle und Reinigung, damit die in ihr enthaltenen
Kräfte nicht eine blinde Energie entfalten“21. Sie muss vielmehr „durch die Krisis und
17
vgl. J.Moltmann: Der gekreuzigte Gott, München 1972.
vgl. L. Samson: Artikel Mitleid in: J. Ritter und K. Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der
Philosophie, Band 5, 1410-1416.
19
I.Kant zitiert nach Samson, 1413.
20
K. Dörner: Tödliches Mitleid. Zur sozialen Frage der Unerträglichkeit des Lebens.
Neumünster 2002 (2. völlig neu bearbeitete Ausgabe).
21
D. Mieth: Mitleid, 25.
18
15
Kritik des scheinbar Spontanen und „Natürlichen“ hindurch gegangen sein“22. Dabei
bleibt Mitleid die „echt moralische Triebfeder“23 und ist die unverzichtbare
Voraussetzung jeder menschlichen Handlung, die der Tugend der Gerechtigkeit und
Menschenliebe dient. Insofern und wenn anwaltschaftliches Handeln als solche
tugendorientierte Handlung identifiziert werden kann, gehört zu ihr Mitleid als
Teilnahme am Leid Anderer konstitutiv als Ausgangsmotiv dazu.
3.2. Gerechtigkeit als Vernunftgrund
Von der Antike bis ins Mittelalter galt die Gerechtigkeit als die vollkommenste Tugend
aller Tugenden24. Nach Platon ist das Gerechte das gute Leben des Gemeinwesens,
das jeweils von seinen Bürgern über eine persönliche Haltung unterstützt werden
soll. Gerechtigkeit zielt nie ins Partikulare, sie meint immer das Universale, das
Ganze. Nach Aristoteles geht es in der politischen Realisierung von Gerechtigkeit um
die Herstellung von Gleichheit, die durch Verteilung oder durch Ausgleich jedem das
ihm Zustehende gewährleistet25. Diese Vorstellung wird weiterentwickelt im jüdischchristliche Verständnis von Gerechtigkeit. Dieses ist egalitär ausgerichtet und von der
Leidensfähigkeit des Menschen geprägt. „Im Leid und angesichts der Allmacht des
rettend und rächend intervenierenden Schöpfergottes sind sich alle Menschen
gleich“26. Die biblisch geforderte Nächstenliebe wird als christliche Caritas, d.h. als
distributive Gerechtigkeit eingefordert und findet im Gestus der prophetischen
Anklage gegen Missstände und in der egalitären Praxis Jesu ihren praktischen
Ausdruck. Der advokatorische Einsatz der Propheten gegen Unrecht und auch das
Bild von Gott als eines Anwaltes der Menschen27 verdeutlicht den
Paradigmenwechsel im Verständnis von Gerechtigkeit. Dieses Verständnis hatte und
hat Folgen bis in die Sozialgesetzgebung hinein. Schuldenerlasse zugunsten von
Schwachen und die regelmäßig von Propheten eingeforderte Gleichverteilung des
Bodens im Jobeljahr sind Beispiele des sozialen Ausgleiches. Solche Sozialverträge
22
ibd.
A.Schopenhauer zitiert nach Samson,1414.
24
vgl. zum Folgenden H. Brunkhorst: Gerechtigkeit. In: H.-W. Otto, H.Thiersch (Hrsg.) Handbuch für
Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Neuwied 2001, 665-669; vgl. auch Lothar Kuld, Bruno Schmid:
Lernen aus Widersprüchen. Dilemmageschichten im Religionsunterricht, Donauwörth 2001, 67-80.
25
vgl. dazu zur Position von Aristoteles ausführlicher das Kapitel „Gerechtigkeit“ in: Friedhelm
Hengsbach: Das Reformspektakel. Warum der menschliche Faktor mehr Respekt verdient. Freiburg
i.Br. 2004, 108-124.
26
Brunkhorst, 666.
27
vgl. hierzu auch das Motiv der „Option für die Armen“, wie es in verschiedenen Hirtenbriefen der
amerikanischen und deutschen Bischöfe zum Ausdruck kommt.
23
16
spiegeln den Bundesvertrag Gottes mit dem Volk Gottes, der seinem Volk
„Gerechtigkeit verschafft“28.
Dieses Rechtsverständnis der Vertragsgebundenheit von Gerechtigkeit wird in der
Aufklärung um die Idee der Volkssouveränität erweitert. Rousseau sah etwa in den
vom Volkssouverän bestimmten Gesetzen die Verzeichnisse des Volkswillens. Diese
können eo ipso „nicht ungerecht sein, da niemand gegen sich selbst ungerecht ist“29.
Sozial gerechtes Handeln wird also in Gesetzen sichtbar und muss vom Staat
notfalls auch unter Nutzung seines Gewaltmonopols durchgesetzt werden. John
Rawls ergänzt dieses egalitäre Verständnis von Gerechtigkeit30 um die Vorrangigkeit
des Freiheitsgedankens. Voraussetzung für Gerechtigkeit und gerechte Verhältnisse
ist die persönliche und politische Autonomie der Bürger. Rawls rechnet auch mit der
sozialen Ungleichheit der Bürger. Diese sind nur dann sittlich gerechtfertigt, wenn
dies im Interesse der Schwächsten der Gesellschaft ist. Um Gerechtigkeit in diesem
Sinne herzustellen, sind sogar paternalistische Eingriffe erlaubt. Rawls schreibt dazu:
„Die Grundsätze des Paternalismus sind also diejenigen, die die Parteien im
Urzustand anerkennen würden, um sich gegen Schwäche und Versagen ihrer
Vernunft und ihres Willens in der Gesellschaft zu schützen. Andere erhalten das
Recht und sind manchmal verpflichtet, an unserer Stelle zu handeln und das zu tun,
was wir für uns tun würden, wenn wir vernünftig wären; diese Regelung tritt nur in
Kraft, wenn wir nicht selbst für unser Wohl sorgen können. …Je weniger wir über
einen Menschen wissen, desto mehr handeln wir für ihn so, wie wir es für uns unter
den Bedingungen des Urzustandes tun würden. Paternalistische Eingriffe müssen
durch das offenbare Versagen oder Fehlen der Vernunft oder des Willens
gerechtfertigt sein; und sie müssen geleitet sein von den Grundsätzen der
Gerechtigkeit und den Kenntnissen der längerfristigen Bedürfnisse des Betroffenen
…Die Beteiligten möchten ihre Menschenwürde und ihre letztendlichen Ziele und
Überzeugungen, gleich welcher Art, sichern. Paternalistische Grundsätze dienen
zum Schutz gegen unsere eigene Unvernunft, sie sind keinerlei Erlaubnisse auf
jemandes Überzeugungen und Charakter, auch wenn die Aussicht auf spätere
Zustimmung besteht. Auch Erziehungsmethoden müssen diesen Bedingungen
genügen“31.
28
vgl. etwa: Psalm 9, Vers 5.
J.-J. Rousseau: Contrat social, dt. Übersetzung, Stuttgart 1986, 41 (II,6).
30
J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt a.M. 1979.
31
ibd., 281/282.
29
17
Anwaltschaftliches Handeln Einzelner und des Staates ist für Rawls gerechtfertigt,
wenn der Einzelne nicht mehr oder noch nicht in der Lage ist, sich selbst zu helfen.
Solche Situationen können aufgrund von Versagen des Einzelnen, wegen fehlender
Vernunft oder aus mangelndem Willen zustande kommen. Orientierung verschaffen
dabei die Gesetze der Gerechtigkeit und die Erkenntnisse über die längerfristigen
Bedürfnisse der von der Intervention Betroffenen. Sie müssen sich dabei vom
Gedanken des Schutzes vor unvernünftigen Verhalten leiten lassen. Eine sittliche
Grenze intervenierenden Verhaltens besteht dort, wo Überzeugungen und
Charakter- man könnte auch ergänzen: die Persönlichkeit des Betroffenen - tangiert
würden.
Mit dieser Begründung wird der Universalanspruch einer Diskursethik fraglich, die
von einem Konsens freier, gleicher und vernunftbegabter Menschen ausgeht. Die
Betroffenen sind, weil es ihnen ja zeitweise oder ganz an Vernunft mangelt, nicht am
Zustandekommen der für sie relevanten Entscheidung beteiligt32. Auch das Konstrukt
der Diskursethik einer Als-ob-Beteiligung der Ausgeschlossenen33 im Fall
folgenreicher Entscheidungen trägt schon deswegen nicht, weil für bestimmte
Personengruppen mit Sicherheit nicht vorhergesagt werden kann, dass sie jemals als
vernunftbegabte Person handeln können und so am Diskurs teilnehmen können.
Der vertragstheoretische Ansatz gerät in ein Dilemma, weil er einerseits bestimmte
Menschengruppen aus dem Entscheidungsprozess ausschließt, zum anderen aber
die Universalität einer Gerechtigkeitstheorie behauptet. Bei Rawls sind in der
Definition der Schwächsten bestimmte Menschengruppen ausdrücklich
ausgeschlossen, wie z.B. Menschen mit einer geistigen Behinderung34. C. Schnabl
macht auf dieses Defizit der Rawlschen Position aufmerksam: „Eine
Rücksichtsnahme auf abhängige oder schwächere Personen lässt sich im Rahmen
dieser rational-coice-Theorie konzeptionell weder erfassen noch begründen.“35 Rawls
gelingt es zwar mithilfe von Mitteln des rationalen Interessenkalküls, die Situation der
Schlechtestgestellten zu berücksichtigen und Gerechtigkeit zugunsten der
32
vgl. dazu Brumlik: Advokatorische Ethik in Grenzsituationen. Zur Debatte um Peter Singer (1991) In.
Brumlik II 185-202, hier:192ff.
33
wie etwa bei J.Habermas: Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen
Eugenik. Frankfurt a.M. 2001, S.118. Er beschreibt das Dilemma der Diskursethik im Zusammenhang
mit der Frage der Zulässigkeit der PID mit dem Gestus der Betroffenheit: „Aber der Umstand, dass wir
für andere eine folgenreiche Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben
vornehmen, bleibt auch dann beunruhigend.“
34
Vgl. C. Schnabl: Ethik und Asymmetrie. Zur theoretischen Programmatik der Fürsorge. In:
Theologische Quartalschrift 1/2004, Tübingen 2004, S.49 – 72.
35
ibd., 54.
18
Schwächsten zu denken. Dennoch überwiegt auch bei ihm der Gedanke der
gegenseitigen Vorteilsnahme zwischen Personen, die mit Vernunft und moralischem
Vermögen ausgestattet sind. Damit klammert Rawls allerdings Personen aus, die
wegen Krankheit oder Behinderung diese Fähigkeiten dauerhaft nicht mitbringen36.
Auch bei Brumlik findet sich eine problematische Unterscheidung von Personen und
Nicht-Personen, die dann auch folgerichtig advokatorisches Handeln als ein Handeln
von Personen gegenüber Nichtpersonen beschreibt. Problematisch wird diese
Unterscheidung spätestens, wenn es um eine sachgemäße Begründung für
advokatorisches Handeln geht. Wenn schwerstbehinderten Menschen, wie es
beispielsweise P. Singer tut37, der Personenstatus abgesprochen wird und mit
mangelnden Persönlichkeitsmerkmalen für die Legitimation einer aktiven Euthanasie
gegenüber Menschen mit Behinderungen oder unheilbar Kranken argumentiert wird,
ist die Brumlicksche Unterscheidung fragwürdig, weil sie damit die Integrität von
Menschen in jedem Stadium ihres Lebens zur Disposition stellt. Damit wäre
anwaltschaftliches Ethik nicht mehr universal, sondern nur noch partiell begründbar.
Sie würde zu einer Sonderfallethik, die sich ausschließlich auf extreme und
zugespitzte Fälle konzentriert38, die die Notwendigkeit des advokatorischen Prinzips
für weniger spektakuläre Abhängigkeitssituationen nicht mehr nachweisen kann. Sie
könnte damit als ethische Begründung für die Verweigerung von personalen,
institutionellen und staatlichen Hilfen für Hilflose dienen. Zwar kann Brumlik mit
seiner Unterscheidung von Personen, Noch-Nicht Personen (Kinder, akut Kranke),
Nicht-Personen (Behinderte, chronisch Schwerkranke) oder Nicht-mehr Personen
(Tote) begründen, weshalb für Personen nach den Maßstäben der Gleichrangigkeit
anwaltschaftliches Handeln angemessen ist. Er kann auch gut erklären, weshalb bei
Noch-Nicht-Personen ein Diskurs im Nachhinein zwischen Intervenierenden und
Betroffenen über die Richtigkeit der Intervention möglich ist39. Geklärt ist damit aber
damit noch nicht, weswegen eine Pflicht zur Solidarität mit Schwerkranken,
Sterbenden und Toten besteht.
Der Ausklammerung der Schwachen beim Zustandekommen des Diskurses und
seiner Ausschlussregeln sowie die mangelnde Berücksichtigung des Lebensschutzes
36
vgl. J.Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1971, 118.
Vgl. P.Singer, Praktische Ethik, Stuttgart 1984, 174ff.
38
vgl. Brumlik, 185 ff.
39
Brumlik, 194
37
19
der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft sind entscheidende Lücken des diskursund vertragstheoretischen Ansatzes40. Diese Lücken können geschlossen werden,
wenn wir die letzte Begründungsstufe des Sollensanspruches advokatorischen
Handelns betreten.
4.3 . Personalität und Integrität des Menschen als anthropologischer und
theologischer Grund
Der erste Verpflichtungsgrund für anwaltschaftliches Handeln von Menschen für
Menschen, im Extremfall für solche, die Brumlik als Nicht-Personen bezeichnet, liegt
in der Tatsache, dass sie Angehörige der Gattung Mensch sind und damit über eine
spezifische physisch-biologische Konstitution verfügen. Sie können damit zumindest potentaliter – die notwendigen Bedingungen für die Entwicklung von
Eigenschaften in Gang setzen, die einen mündigen und freien Menschen
ausmachen. Dies ist nicht nur ein biologischer Fakt, sondern es ergibt sich, wie etwa
Kant betont, auch eine moralische Pflicht für den Menschen auf Selbsterhaltung41
seiner Leiblichkeit, weil sie eine notwendige Bedingung für die Vernunftfähigkeit des
Menschen ist. Der Mensch gelangt via Vernunft zur Akzeptanz der Menschheit in der
eigenen Person wie in der Person jedes anderen 42.
Mit der Achtung seiner biologischen Konstitution achtet der Mensch den noch nicht
voll entwickelten Menschen bzw. den Menschen, wie sie etwa Fichte in den
„Grundlagen des Naturrechts“ beschreibt: „Dies alles… ist es, was jeden, der
menschliches Antlitz trägt, nötigt, die menschliche Gestalt überall, sie sei bloß
angedeutet … oder sie stehe schon auf einer gewissen Stufe der Vollendung
anzuerkennen und zu respektieren. Menschengestalt ist dem Menschen heilig.“43
Damit ist der Maßstab gesetzt, warum Menschen sich jenen Menschen zuwenden
40
Hinzuweisen wäre noch auf ein weiteres Defizit, das hier nur angedeutet werden kann. Es handelt
sich um das Problem, wer denn befugt ist, das Fehlen der Merkmale für den Diskurszugang und für
den Lebensschutz festzustellen und nach welchen Regeln Entscheidungsverfahren im Diskurs
gestaltet werden sollen. Zwar sind die Regeln des Verfahrens sowie die Kriterien des Ausschlusses
von Schwachen im Vertragsmodell geklärt. Wer sind aber die Subjekte der Entscheidung? Wer stattet
sie mit welcher Begründung mit der Macht zur Selektion oder zur Integration schwacher Menschen
aus?
41
I.Kant, Metaphysik der Sitten, in: ders. Werke, Bd 7. Darmstadt 1956, 553.
42
Diese Position drückt sich im Kategorischen Imperativ aus: „“Handle so, dass du die Menschheit
sowohl in deiner Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel
brauchest.“ (I.Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Bd. 6, Darmstadt 1983, 61.
43
J.G. Fichte, Grundlagen des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, in: ders. Werke
III, Berlin 1971, 84-85.
20
sollen, die nicht, nicht mehr oder nie über Merkmale verfügen, die ein voll
entwickeltes Menschsein ausmachen. Der Pflicht zur Hilfe entspricht das Recht eines
jeden menschlichen Wesens auf Leben und Würde. Negativ heißt dies: es ist
verboten, menschlichen Wesen das Lebensrecht abzuerkennen. Dem Hilfegebot
entspricht zugleich ein Tötungsverbot, das seinen Ursprung vor dem Respekt des
Menschen in seiner „leiblich verankerten Ausdrucksgestalt“ hat. Levinas drückt dies
so aus: „Dem anderen von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen - das
bedeutet, nicht töten zu können.“44
Hebt diese Begründung auf die menschliche Individualität ab, so ist in der Tradition
Kants auch noch die sozialethische Dimension zu ergänzen. Heinrich Rickert hat
diese Ergänzung in einem „sozialethischen Grundsatz“ formuliert: „Jeder ist
verpflichtet zu wollen, dass alle Glieder einer Gemeinschaft, mit der er in sozialem
Zusammenhang steht, ethischen Grundwert in sich verkörpern, d.h. ebenso wie er
selbst, autonome Persönlichkeiten werden und bleiben.“45 Anwaltschaftliches
Handeln soll auch insofern sein, als der Mensch dem Menschen damit zur Autonomie
verhilft. Diese Autonomie ist als eine „Autonomie in Beziehung“ zu konzipieren46.
Diese ist zunächst rückgebunden an die leibliche Konstitution und die Fähigkeit und
Notwendigkeit des Menschen, in Beziehungen zu leben47. Umberto Eco beschreibt
diese basale Notwendigkeit des interpersonalen Beziehung so: „Ohne den
anerkennenden Blick eines anderen kann das Neugeborene, das im Wald
ausgesetzt wird, nicht zu einem Menschen werden…und wir würden sterben oder
verrückt werden, wenn wir in einer Gemeinschaft leben müssten, in der ausnahmslos
alle beschlossen hätten, uns nie anzusehen und sich so zu benehmen, als ob wir
nicht existierten.“48 Die gegenseitige Anerkennung basiert auf der gegenseitigen
Achtung als kommunikationsfähiges Beziehungswesen und beinhaltet die Dimension
der Leiblichkeit, die es erlaubt, Beziehungen zum Umfeld aufzubauen. Aus diesem
Verständnis vom Menschen und seiner Sozialnatur ergibt sich – anders als bei
Brumlik, Rawls und Singer – ein Personenbegriff, der auch den Wachkomapatienten,
also einen bewusstlosen und nicht mehr vernunftfähigen Menschen, als Person
44
E. Levinas. Die Spur des Anderen, Freiburg/München 1983, 116/117.
H. Rickert: Sozialphilosophie I – Grundzüge der Ethik und Erotik, nachgelassenes
Vorlesungspostskript aus dem Sommersemester 1932 (Konvolut 232, Nachlass Hs 2740,
Handschriftensammlung der Universität Heidelberg), 8.
46
vgl. E. Bohlken, H.-M. Brüll: Auotonomie in Beziehung als Leitidee für kirchliche Sozialunternehmen,
Weingarten 2003.
47
Vg. C.M. Martini, Umberto Eco: Woran glaubt, wer nicht glaubt?, Wien 1998, 86/87.
48
ibd.
45
21
gelten lassen und ihm damit die gleichen Anerkennungs- und Schutzrechte
zusprechen kann: „Person hat demnach 1. einen Körper 2. einen Leib bzw. ein
Antlitz und ist 3. aufgrund dieser leiblichen Voraussetzungen prinzipiell in der Lage,
mit anderen Personen in Beziehung zu treten. Als viertes und fünftes Moment
kommen dann Selbstbewusstsein sowie das Kriterium der Vernunftfähigkeit hinzu“49.
Beschrieben ist damit ein nicht aktualistisches Verständnis von Personalität. Dies
bedeutet, dass die geforderten Eigenschaften und Merkmale einer Person nicht zu
jedem Zeitpunkt vollständig entwickelt sein müssen.
Anwaltschaftliches Handeln ist an diesen Personenbegriff gebunden, weil in ihm ein
ganzheitliches Verständnis von Personalität zum Ausdruck kommt, das auch die
Ohnmächtigen und Ausgeschlossenen inkludiert und ein graduelles, helfendes
Intervenieren gegenüber diesen je nach Personalitätsmerkmalen und je nach
Bedürftigkeitsgrad als sittlich legitimiertes Handeln möglich macht. Eine so
verstandene Personalität kann gleichzeitig als ein Korrektiv gegen eine
paternalistische Überwältigung der Schwachen unter dem Vorwand der
anwaltschaftlichen Hilfe dienen, weil es im Hilfebedürftigen die achtenswürdige
Person erkennt. Der Helfer, Pfleger und Erzieher ist während des gesamten
Hilfeprozesses an die Achtung der Personalität des Klienten und an die Wahrung
seiner Integrität gebunden. Umgekehrt: Wird gegen dieses Respektgebot verstoßen,
indem ein Hilfeprozess länger als nötig dauert oder indem die bedürftige Person
zuviel Schutz erfährt, kann von einem verantworteten anwaltschaftlichen Handeln
nicht gesprochen werden.
Ein weiterer anthropologischer Grund für anwaltschaftliches Handeln liegt in der
Verletzlichkeit des Menschen. Seine Würde ist vielfach bedroht. Er erleidet leibliche,
seelische und soziale Nöte. Der Mensch hat somit zwei Gesichter: Er ist auf
personale Vervollkommnung angelegt und muss doch mit Brechungen und
Bedrohungen in seiner Existenz rechnen. Dieses grundlegende Existenzial ruft nach
einer Antwort. Eine adäquate Antwort kann in der Fähigkeit des Menschen zur FürSorge liegen. Die Fähigkeit zur Für-Sorge ist nun aber nicht „angeboren“. Fürjemanden-sorgen ist ein ständiger Erziehungs- und ständiger Lernprozess für den
Sorgenden. Es besteht eine sittliche Pflicht zur Für-Sorge, insofern der Mensch sich
vom Schicksal des Anderen anrühren lässt und freiwillig unterstützend tätig wird. Die
49
Bohlken/Brüll, 21.
22
„Logik der Sorge“ ist nicht durch die Verrechenbarkeit von Leistungen definiert. Der
Versorgte steht in einem asymmetrischen Verhältnis zum Versorger. Dies erfordert
von diesem ein Höchstmaß an Selbsteinschätzung und Selbstkontrolle sowie eine
genaue Einschätzung der Klientenbedürfnisse, damit aus einer akuten Hilfesituation
keine Dauersituation der Abhängigkeit wird. Auch hier ist ein ganzheitliches
Personenverständnis handlungsleitend, das auch im Versorgten einen
achtunggebietenden Partner sieht. Fürsorgende Beziehungen gehorchen damit nicht
der Marktlogik der Äquivalenz von Angebot und Nachfrage, sondern sie folgen den
Regeln der Barmherzigkeit und Güte. So gesehen soll nicht nur anwaltschaftlich
gehandelt werden, sondern es darf auch zugunsten von Hilflosen im Modus der
Sorge gehandelt werden. Barmherziges Handeln ist ein Handeln nach freiem
Ermessen, das zuerst auf den Leidenden und Hilfsbedürftigen und nicht auf den
Preis und die Gegengabe schaut.
Dieses spezielle Fürsorgeelement in jeder anwaltschaftlichen Haltung ließe sich –
weil es nicht der einfachen Tauschlogik des „do ut des“ folgt - auch religiös
begründen. Diese Haltung spiegelt – theologisch gesprochen – die vorbehaltlose
Zuneigung Gottes zum Menschen wider und gibt diese als interpersonales
Handlungsmodell weiter. Das Ja Gottes zum Menschen ist wie die göttliche Gnade
nicht verrechenbar und geschieht ohne das Kalkül des gerechten Tausches.
Menschen, die diesen „Überschuss“ an Zuwendung für plausibel halten, lassen sich
bereitwillig auf ein Modell anwaltschaftlichen Handelns ein, das im Modus einer
verantwortlichen Fürsorge auf die Nöte und die Schutzbedürftigkeit der Schwachen
antwortet.
Bezogen auf die Ebene der institutionalisierten Hilfe könnte dies heißen, dass der
vermeintliche Gegensatz von Anwaltschaftlichkeit und Dienstleistungsorientierung im
Handlungstyp der Fürsorge „aufgehoben“ werden kann. Wer sich als Dienstleister um
Kranke, Behinderte oder Alte kümmert, macht zusätzlich öffentlich seine „vorrangige
Option für die Verletzlichen“50 deutlich. Wer im professionellen Umgang mit Klienten
und Betroffenen seinen Respekt vor den Verletzlichen durch ein effektives und die
Nichtachtung von Selbstbestimmungsrechten der Betroffenen verhinderndes
Qualitätsmanagement unterstreicht, wird auch als Anbieter auf dem Markt sozialer
Dienstleistungen geschätzt und gesucht. Überzeugendes anwaltschaftliches Handeln
ist nicht nur ein institutionell gesetzter Selbstzweck, sondern ist auch ein
50
K.Hilpert, 91.
23
schlagkräftiges Marketingargument, das zum wirtschaftlichen Überleben des
Dienstleistungsanbieters beiträgt.
Der sozialstaatlichen Ebene und ihren Akteuren ist mit dem vorgestellten Typus einer
anwaltschaftlichen Ethik ein normatives Angebot gemacht, das nur um den Preis der
Barbarei gegenüber den Schutzlosen ausgeschlagen werden kann. Die Mündigkeit
der Betroffenen und deren Teilhabechancen sowie deren Integrität sind dabei ein
unhintergehbarer Maßstab sozialstaatlichen Handelns. Dies hätte auch praktische
Konsequenzen: Etwa durch die Einrichtung von Ethikkommissionen oder mit der
Bestellung von Ombudsfrauen und –männern sowie der Gründung von runden
Tischen mit den organisierten Betroffenen und deren Vertretern könnte der
Sozialstaat auch in diesem Jahrhundert seine Chance als Agentur für soziale
Gerechtigkeit behalten und weiterentwickeln.
4. Die Anwendungsbereiche einer anwaltschaftlichen Ethik
Eine advokatorische Ethik findet auf drei verschiedenen Handlungsebenen
Anwendung:
4.1 Die Ebene der individuellen, professionellen Interaktion
Auf der Ebene der personalen Interaktion zwischen Menschen in der Helfer- bzw.
Erzieher- oder Pflegerrolle auf der einen Seite und hilfsbedürftigen Menschen auf der
anderen Seite geht es um die Frage, inwieweit professionelle Helfer dazu verpflichtet
sind, anderen dazu zu verhelfen, sich selbst zu helfen. Anders ausgedrückt: Wie
kann das Prinzip der Anwaltschaftlichkeit auf asymmetrische Hilfsbeziehungen
angewendet werden und welche handlungsleitenden Maximen sind dabei zu
beachten? Inhaltlich geht es auch um die Frage der (Wieder-)Bemündigung der
Entmündigten bzw. der Pflege von chronisch Kranken in den klassischen Feldern
professioneller sozial-pflegerischer Arbeit: Um das Pflegen, Beraten,
Bilden/Erziehen, Animieren, Fördern, Begleiten und die Bildung von Netzwerken51.
Dabei gehen wir in der Gestaltung der Interaktion von einem Kontinuum im Sinne
eines „Gefälles der Mündigkeit“ aus. Wir folgen nicht der höchst problematischen
51
Diese Aufzählung ist dem Aufsatz von W.Klüsche: Ein Stück weitergedacht…In: W.Klüsche (Hsg.)
Beiträge zur Theorie- und Wissenschaftsentwicklung der Sozialen Arbeit. Freiburg, 1999, 137 ff
entnommen
24
Unterscheidung von Brumlik von Pflichten gegenüber Personen, Nicht-Personen,
Noch-Nicht Personen und Noch- Nie Personen52, sondern beschreiben stattdessen
unterschiedliche Grade von Hilfsbedürftigkeit bis hin zum Stadium der
Selbstständigkeit anhand markanter Merkmale, die wiederum eine bestimmte Form
und ein bestimmtes Ausmaß von Hilfe nötig machen. Anwaltschaftlichkeit als
ethisches Prinzip wird somit in der Helferbeziehung graduell operationalisiert je nach
Hilfebedarf.
Es handelt sich dabei um ein reziprokes Verhältnis: Je mehr Hillfebedarf gegeben ist,
umso mehr Hilfe/Unterstützung wird gegeben. Ist der Hilfebedarf nicht (mehr)
gegeben, sollte auch keine Hilfe mehr stattfinden. Je mehr Unterstützung und Schutz
benötigt wird, umso eher kann von der Notwendigkeit einer anwaltschaftlichen
Handlung gesprochen werden. Idealtypisch kann die Helfer-Klientenbeziehung so
skizziert werden:
Professionelle Helfer/Pfleger/Erzieher
Handeln viel
handeln wenig
Ohne Ressourcen53
wenig Ressourcen
handeln nicht (mehr)
viel Ressourcen
Hilfs- und pflegebedürftige Menschen
4.2 Die Ebene der organisierten sozialpflegerischen Arbeit in sozialen
Unternehmen bzw. den Wohlfahrtsverbänden
Soziale Unternehmen, besonders solche mit konfessionellem Hintergrund, bewegen
sich im Spannungsfeld zwischen der Rolle des Anwalts für ihre Klienten und der
52
Brumlik, 186/187
In diese Kategorie fallen auch Personen in Situationen, die zeitweilig oder dauernd nicht
einwilligungsfähig sind und/oder denen es zeitweilig oder dauernd an vernunftgeleitetem, selbst
bestimmten Handlungskompetenzen mangelt
53
25
Rolle als Dienstleister. Viele soziale Unternehmen und die ihnen zugeordneten
Wohlfahrtsverbände sehen sich als Anwalt und Partner Benachteiligter54. Bei
näherem, kritischem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Unternehmen und Verbände
ihr Mandat für ihre Interessenvertretung nicht von den Benachteiligten selbst
erhalten. M. Lehner55 hat darauf hingewiesen, dass sie ihr Mandat von den eigenen
Mitarbeitern und ehrenamtlichen Helfern als Vertreter der Lebenswelten derjenigen
Klienten beziehen, die sich nicht (mehr) zu Wort melden können. Verbände wie
soziale Unternehmen werden dann zu „Gemeinwohlagenturen“56, deren vorrangiges
Ziel es ist, Solidarität zu stiften.
Soziale Unternehmen und Verbände verstehen sich auch als Dienstleister auf einem
Markt sozialer Dienstleister nach dem einfachen Muster einer Austauschbeziehung,
wie sie M. Lehner beschrieben hat57.
A > (x) > B
A < (y) < B
Danach erbringt A eine Dienstleistung (x) an B und erhält von B eine Gegenleistung
(y). Diese Tauschbeziehung funktioniert nur, wenn der Aufwand (x) den Nutzen (y)
nicht übersteigt. Aufwand und Nutzen haben dabei neben den materiellen auch
immaterielle Anteile. Manche Dienstleistungen werden ganz ohne materielle
Gegenleistung erbracht.
54
Im Leitbild des Deutschen Caritasverbandes heißt es dazu: „Der Deutsche Caritasverband versteht
sich als Anwalt und Partner Benachteiligter. Er setzt sich für Menschen ein, die am Rande der
Gesellschaft leben, die öffentlich keine Stimme haben und die sich nicht selbst helfen können. Er
verschafft ihren Nöten und Anliegen Gehör und unterstützt sie bei der Wahrnehmung der Rechte. Er
tritt gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen entgegen, die zur Benachteiligung von einzelnen
und Familien oder zur Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen führen“. Zitiert nach dem download
des DCV-Leitbildes: www.caritas.de/2504.html , 2.
55
M. Lehner: Kunden – Mandanten – Mitmenschen. In: M. Lehner, M. Manderscheid (Hrsg.):
Anwaltschaft und Dienstleistung. Organisierte Caritas im Spannungsfeld. Freiburg i. B. 2000, 147-162,
hier: 153.
56
ibd, 154.
57
vgl. M. Lehner: Kunden – Mandanten – Mitmenschen. In: Manderscheid, 155.
26
Bei einem Ungleichgewicht von Aufwand und Nutzen müssen die
Rahmenbedingungen dieser Dienstleistung so beschaffen sein oder gestaltet
werden, dass die Abdeckung des Aufwandes unabhängig von den Ressourcen der
Leistungsempfänger gewährleistet wird. Dies geschieht abgesehen von privaten
Spenden vor allem durch staatliche Leistungen, die entweder den Dienstleister
subventionieren oder den Klienten direkt mit Nachfrageressourcen ausstatten.
Die Anwaltsrolle ließe sich nach Lehner innerhalb eines Dreiecksverhältnisses
darstellen58:
C
A > (x) > B
A < (y) < B
A tritt bei C für B ein. A vertritt die Interessen von B bei C. C kann z. B. der Staat
sein, der von Caritas oder Einzelunternehmen öffentlich beeinflusst wird. So
interveniert beispielsweise die organisierte Caritas beim Staat zugunsten möglichst
förderlicher Rahmenbedingungen für ihre Rolle als Dienstleister. Die Anwalts- und
die Dienstleistungsfunktion überschneiden und ergänzen sich dabei. „Die
Anwaltschaftsrolle erweist sich als notwendige Ergänzung der Dienstleisterrolle,
indem sie auf eine bewusste Gestaltung der Rahmenbedingungen abzielt, damit die
alltägliche Arbeit möglichst weitgehend dem eigenen Anspruch und den Interessen
der Adressaten der Dienstleistung genügen kann“59.
Spätestens hier stellt sich jedoch abermals die Frage nach der ethischen
Legitimation des anwaltschaftlichen Handelns der Unternehmen bzw. Verbände. Es
58
59
ibd., 156
ibd., 157.
27
könnte schließlich bedenklich sein, wenn nicht nur die Interessen der Klienten,
sondern auch der eigene Bestand gesichert wird. Solche Bedenken sind dann
berechtigt, wenn die vom Staat zur Verfügung gestellten Ressourcen nicht in
bestmöglicher Weise den Hilfsbedürftigen zur Verfügung gestellt werden.
Anwaltschaftlichkeit wäre dann als selbstkritisches Prinzip zur Geltung zu bringen,
das auf die Optimierung der Dienstleistungen hinausliefe. „Anwalt sein heißt
zunächst die im Blick haben, die einer Organisation vom eigenen Selbstverständnis
her anvertraut sind, und von deren Situation her einen kritischen Blick auf den Status
quo der Erbringung sozialer Dienstleistungen zu werfen. Deshalb ist
Anwaltschaftlichkeit ein ethisch fundiertes, auch unbequemes Prinzip und bedarf der
bewussten Aufmerksamkeit, Förderung und Pflege.“60
4.3. Die Ebene des Sozialstaates
Auch der moderne Sozialstaat nimmt gegenüber Schwachen und Schutzbedürftigen
eine anwaltschaftliche Rolle ein. So will es das Grundgesetz im Artikel 1, der die
Menschenwürde für unantastbar erklärt. Menschen, insbesondere schwache
Menschen haben ein Recht auf staatlichen Schutz. Die einschlägigen Bestimmungen
im BSHG und in den Sozialgesetzbüchern regeln, wie dieser pflichtgemäße
staatliche Schutz auszusehen hat. Sie regeln aber auch, welche Pflichten für den
Hilfsbedürftigen entstehen. Der Staat hält sich dabei an das Subsidiaritätsprinzip,
indem er nur dort hilft und eingreift, wenn der bzw. die Betroffene zu schwach, zu
krank, zu behindert ist, um sich selbst zu helfen oder zu schützen. Diese
sozialrechtliche Beziehung zwischen Hilfebedürftigen und dem Staat lässt sich
ebenfalls in einem Kontinuum darstellen.
Sozialstaat und Gemeinwohlagenturen
Gewährt viele Leistungen
60
ibd. 158.
wenig Leistungen
keine Leistungen (mehr)
28
Ohne Ressourcen61
wenig Ressourcen
viel Ressourcen
Hilfeempfänger/Leistungsbezieher
Anwaltschaftliches Handeln hat, wie dies auf allen drei Handlungsebenen deutlich
wurde, immer mit einem Intervenieren der (meist mit stärkeren Ressourcen
ausgestatteten) Einen in das Lebensfeld der (mit wenig bis gar keinen Ressourcen
ausgestatteten) Anderen zu tun.
5. Zusammenfassung
Im Teil A dieser Studie sollte gezeigt werden, was anwaltschaftliche Ethik ist, wie sie
begründet werden kann und wie sie sich in verschiedenen Handlungsfeldern
anwenden lässt. Mit der Definition einer anwaltschaftlichen Ethik, die das Recht auf
Unterstützung bei der Bildung zur Mündigkeit und zur Intervention im Interesse des
Schutzes von Hilfsbedürftigen behauptet, wurde ein Orientierungsrahmen für ein
Handeln aus sozialer Verantwortung geschaffen. Die Anforderungen, die aus einer
advokatorischen Ethik erwachsen, finden ihre Begründung im Motiv des Mitleides, in
der Vorstellung einer vernunftgeleiteten Gerechtigkeit und schließlich in einem
Verständnis von Menschenwürde, das von einem ganzheitlichen,
beziehungsgeprägten Personenverständnis geleitet ist. Eine anwaltschaftliche Ethik
basiert auf einem Menschenbild, das der Ambivalenz des Menschen zwischen Größe
und Bedürftigkeit und seiner Verletzlichkeit gerecht wird. Der Mensch bedarf dabei
der Erziehung zur Mündigkeit, aber auch der Fürsorge in der Not.
B. Schulpädagogische Perspektiven
61
vgl. Anmerkung 50
29
Das im Teil A der Studie unter ethischen Aspekten entwickelte Verständnis einer
anwaltschaftlichen Ethik wird nun in den schulpädagogisch-didaktischen Horizont
gerückt. Ziel der Überlegungen von Teil B ist es, zu zeigen,
- dass sich eine anwaltschaftliche Ethik als Bildungsaufgabe der Schule begründen
lässt (1),
- wie sich diese Aufgabe in den aktuellen Bildungsplänen, insbesondere in den dort
vorgesehenen Kompetenzen und Inhalten, spiegelt (2),
- in welchen Projektformen und Fallbeispielen sie entfaltet werden kann (3 und 4).
1.
Anwaltschaftliche Ethik - Bildungsaufgabe der Schule
1.1. Ethische Bildung als Auftrag der Schule
Ethische Bildung gehört zu den Aufgaben der Schule; und zwar sowohl kognitiv
verstanden (als Befähigung zur Reflexion über moralisches Verhalten) als auch
affektiv (im Sinne einer Aneignung von Normen und Werthaltungen). Die
Interaktionsprozesse innerhalb der Schule und ihre Begründungen vermitteln
notwendig Normen, auch wenn dies nicht beabsichtigt ist. "Selbst eine Schule, die
sich ausschließlich auf die Vermittlung rein wissenschaftlicher Informationen
beschränken will, würde doch auch ethisch erziehen - indem sie die
wissenschaftliche Weltsicht als die einzig legitime Umgangsweise mit den Fragen
und Problemen des Lebens erscheinen lässt."62
Diese sozusagen "anti-ethische" Tendenz, Schule eindimensional als Ort der
Vermittlung technisch-instrumentellen Wissens zu verstehen, erreichte ihren
Höhepunkt nach dem "Sputnik-Schock" in den Jahren um 1960, wurde aber durch
die politisch-gesellschaftliche Entwicklung überholt. Das Leben in der einen Welt, in
der nicht nur - wie schon bisher - das Zusammenleben der Geschlechter und
Generationen, sondern nun auch die Begegnung der Kulturen und Religionen uns
täglich neu moralische Urteile und Entscheidungen abverlangt, erfordert über ein
ethisches Reflexionsvermögen hinaus die affektive und pragmatische "Einbindung
62
Gottfried Adam / Friedrich Schweitzer: Ethische Erziehung als Aufgabe und Möglichkeit der Schule.
In: Dies. (Hg.): Ethisch erziehen in der Schule, Göttingen 1996, 19 - 37, hier 20.
30
des Individuums in eine soziale Gemeinschaft"63. In der Schulpädagogik der
Gegenwart herrscht darüber weitgehend Konsens. Daraus folgt, dass auch das
Verstehen und Sich-Aneignen einer anwaltschaftlichen Ethik eine Bildungsaufgabe
der Schule von heute darstellt, und zwar sowohl im Sinne einer Reflexion über die
ethischen Begründungszusammenhänge (vgl. Teil A, Kap. 3) wie auch als
Befähigung zu einer Haltung und einem Handeln, die sich dem Anliegen dieser Ethik
verpflichtet wissen.
Wolfgang Klafki etwa greift auf die von Johann Amos Comenius, Jean-Jacques
Rousseau oder Wilhelm von Humboldt grundgelegte Tradition der sittlichen Bildung
zurück. In seinen Studien zur Erneuerung des Bildungsverständnisses gibt er den
ethischen Fragen ein der Gegenwart angemessenes Profil, indem er sie mit
Ergebnissen empirischer Forschung einerseits, mit Ansätzen der Ideologiekritik
andererseits verbindet. Klafki definiert Bildung als Fähigkeit zur "Selbstbestimmung",
zur "Mitbestimmung" und zur "Solidarität" und konkretisiert diese Fähigkeiten im Blick
auf "Schlüsselprobleme" heutigen gesellschaftlichen Lebens wie Frieden, Nord-SüdGefälle, soziale Ungleichheit, Beziehung der Geschlechter und der Generationen64.
In diesen Problemkreisen geht es häufig um Konstellationen, die unter den
Bedingungen von Asymmetrie die Wahrnehmung und Vertretung der Interessen
Schwächerer erfordern. Wenn Schule zur Lösung dieser Schlüsselprobleme jungen
Menschen "Grundfähigkeiten" zu vermitteln hat - Klafki nennt exemplarisch
Kritikfähigkeit, Argumentationsfähigkeit und Empathie65 -, so fordert er damit implizit
die Erziehung zum anwaltschaftlichen Handeln als Aufgabe der Schule.
1.2. Anwaltschaftliche Ethik im baden-württembergischen Bildungsplan 2004
Die von der Erziehungswissenschaft erkannte Relevanz des Ethischen spiegelt sich
in den Lehr- und Bildungsplänen aller Schularten. Exemplarisch sollen im Folgenden
die zum Beginn des Schuljahrs 2004/2005 in Kraft gesetzten Bildungspläne des
Landes Baden-Württemberg daraufhin untersucht werden, wie sich die wachsende
63
Eike Bohlken / Hans Martin Brüll: Autonomie in Beziehung als Leitidee für kirchliche
Sozialunternehmen (Schriften des IBE Nr. 2), Weingarten 2003, 15.
64
Wolfgang Klafki: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim / Basel 1985, 17. 21.
65
A.a.O., 22f.
31
Aktualität des Ethischen in ihnen erkennen lässt.66 Es beginnt schon beim
Sprachduktus: In den Bildungsplänen von 1994 hieß es noch etwas betulich, "die
gesamte Arbeit der Schule" vollziehe sich "auf der Grundlage der (in der
Landesverfassung umschriebenen) Werte und Normen". Die pädagogischen
Leitgedanken zu Aufgaben und Zielen der Hauptschule betonten: "Neben dem
Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten stehen gleichrangig die Bildung des
Charakters, die Entfaltung emotionaler und schöpferischer Kräfte sowie die
Ausbildung sozialer, ethischer und religiöser Werte und Verhaltensweisen"67.
Wenn Moral, wie Otfried Höffe sagt, "der Preis der Moderne"68 ist, wird mit
zunehmender Modernisierung die kognitive, affektive und pragmatische
Auseinandersetzung mit Moral, also die Ethik, in unseren Schulen notwendiger. In
den vergangenen Jahren machen etwa wachsende Erfahrungen von Gewalt im
öffentlichen Leben bis hinein in die Schulhöfe und Klassenzimmer das Bemühen um
die ethische Dimension der schulischen Bildung besonders dringlich. Folgerichtig ist
dem Bildungsplan 2004 eine (für alle Schularten identische) Einführung vorangestellt,
in der Hartmut von Hentig das dem Plan zugrundliegende Bildungsverständnis so
erschließt, dass sein ethisches Profil deutlich wird. Schulen, so heißt es dort, geben
"die Menschheitserfahrungen und die in ihnen erworbenen Maßstäbe für das 'gute
Leben'" weiter; sie stellen damit zugleich "die Instrumente für eine noch unbestimmte
Zukunft" bereit. In einer "Balance zwischen Verantwortung und
Unvoreingenommenheit" wollen sie junge Menschen zur "Bildung" - sprich: zur
"Entfaltung und Stärkung ihrer gesamten Person" bringen - "so, dass sie am Ende
das Subjekt dieses Vorgangs sind"69.
Bildung hat nach von Hentig drei Bestimmungen: sie ist
1. "das, was 'der sich bildende Mensch' aus sich zu machen sucht" (persönliche
Bildung),
2. "das, was den Menschen befähigt, in seiner geschichtlichen Welt, im état civil, zu
überleben", anders gesagt: Fähigkeiten und Einstellungen, die ihm erlauben, sich
in seiner Welt zu orientieren (praktische Bildung),
66
Vgl. Bruno Schmid: Bildungsstandards - Lehrpläne der Zukunft? In: Katechetische Blätter 129
(2004), 290 - 296.
67
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg: Bildungsplan für die Hauptschule, Stuttgart
1994, 9. 11. Exemplarisch wird hier und im Folgenden aus den Plänen für die Haupt- und die
Realschule zitiert.
68
Otfried Höffe: Moral als Preis der Moderne, Frankfurt 1993.
69
Hartmut von Hentig: Einführung in den Bildungsplan 2004. In: Ministerium für Kultus, Jugend und
Sport: Bildungsplan für die Hauptschule 2004, 7 - 19, hier 7. Diese Passage und die im Folgenden
zitierten finden sich unter geringfügig veränderten Seitenzahlen in den Plänen für alle Schularten.
32
3. "das, was der Gemeinschaft erlaubt, gesittet und friedlich, in Freiheit und mit
einem Anspruch auf Glück zu bestehen"70; es geht um den Blick des Einzelnen
auf das Gemeinwohl, auf Rechte und Pflichten, auf Freiheit und Achtung des
Anderen (politische Bildung).
Man kann versuchen, der ersten der drei Bestimmungen primär den Ansatz der
aristotelischen und scholastischen Tugendethik zuzuordnen, der zweiten den Ansatz
der Praktischen Philosophie der Aufklärung bis hin zu Rousseau und Kant, der
dritten den Ansatz der teleologisch-konsequenzenethischen Konzeptionen, wie sie
im Utilitarismus begegnen - wobei sogleich deutlich wird, dass sich
Überschneidungen ergeben. Bezogen auf das Konzept einer anwaltschaftlichen
Ethik entspräche der persönlichen Bildung die Befähigung des Individuums, das
Gefälle zwischen Starken und Schwachen zu erkennen, und die Bereitschaft, sich zu
Gunsten der Schwachen zu engagieren; praktische Bildung bestünde in dem
Vermögen, solche Situationen der Asymmetrie auch gezielt und nachhaltig verändern
zu können; politische Bildung wäre die Fähigkeit, die mit solcher Asymmetrie
gegebenen Gefahren für das gesellschaftliche Leben wahrzunehmen und die sich
daraus ergebenen politischen Verpflichtungen handelnd einzulösen.
1.3.
Bildung zu anwaltschaftlichem Ethos
Der Bildungsbegriff Hartmut von Hentigs spiegelt die Breite abendländischer
Ethiktraditionen wieder. Deutlicher als aus früheren Lehrplänen lässt sich aus ihm
eine anwaltschaftliche Ethik als Ziel der schulischen Bildung begründen und
ausdifferenzieren. Das gilt zunächst für das Handeln der Schule als ganzer im Blick
auf die ihr anvertrauten jungen Menschen; sie ist gleichsam Anwältin der
Hilfebedürftigen unter ihnen. Diese Verpflichtung ist grundlegend für das Leitbild
einer Schule und für die darauf ausgerichtete Schulkultur. Bei von Hentig liest sich
das so: "Kein Kind kommt ohne jegliche Prägung in die Schule: Jungen und
Mädchen, Einzelkinder und Geschwisterkinder, Kinder aus behütetem und
begütertem Elternhaus und Kinder aus unordentlichen und benachteiligten
Verhältnissen. Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Erziehung und Bildung. Die
öffentliche Schule schuldet ihm jede zur Erfüllung dieses Rechts nötige Hilfe 70
A.a.O., 9.
33
unabhängig von Herkunft, Geschlecht, wirtschaftlicher Lage und unter ausdrücklicher
Berücksichtigung seiner besonderen Begabung. Kein Kind darf fallengelassen
werden." Als Minimalziel nennt von Hentig das Erreichen der "Ausbildungsfähigkeit"
und verdeutlicht: "Diese wird vor allem in dem der Hauptschule gewidmeten Teil des
Bildungsplans 2004 gründlich neu bedacht."71
Die Schule ist jedoch nicht nur selbst Anwältin der Benachteiligten, sie hat darüber
hinaus das Ziel, allen ihren Schülerinnen und Schülern auch - neben anderen - die
Einstellungen, die Fähigkeiten und die Kenntnisse zu vermitteln, mit denen sie selbst
zu Anwälten der Benachteiligten werden. Empirische Untersuchungen, sagt von
Hentig, haben "gezeigt, in welchem Maß eine Schule für ihr 'Ethos' aufkommen kann
und in welchem Maß dies dem Wohlbefinden und der Leistungsfähigkeit des
Einzelnen, der Schulgemeinschaft und ihrem Klima förderlich ist" - sprich: dem
Gemeinwohl der jeweiligen Schule und am Ende den "Kohäsionskräften" der
Gesellschaft als ganzer. Folgende Einstellungen, die durch Erfahrungen im
Schulleben vermittelt werden sollen, sind für eine anwaltschaftliche Ethik relevant:
"Schülerinnen und Schüler entwickeln erst ein Gefühl, dann eine Pflicht (besser: ein
Pflichtbewusstsein, B. S.) für die Gestaltung und Verbesserung der gemeinsamen
Lebensverhältnisse, für deren Voraussetzungen und Ziele; sie wollen nun aktiv am
Leben erst der kleineren, dann der großen Gemeinschaft teilnehmen72; sie stellen
sich der Verantwortung für ihr Handeln. (... Sie) lernen, dass sie dazu
Überzeugungen, Wertvorstellungen, Maßstäbe brauchen, dass ihnen zusteht, Kritik
zu üben, und dass sie Konflikte wagen müssen; (...) sie erkennen die Not von
Randgruppen, beziehen sie ein, geben ihnen Hilfe. (... Sie) gewinnen ein klares
Verhältnis (...) zu den Lebensphasen, zu den Alten und deren Eigenarten, zu den
ganz Jungen, die sie selbst eben noch waren"73.
Zug um Zug können die hier genannten Einstellungen mit dem oben entwickelten
Konzept einer anwaltschaftlichen Ethik parallel gesetzt werden: Der Gefühlsebene
entspricht das Mitleidsmotiv, der Pflichtebene das Gerechtigkeitsmotiv, der
Verantwortungsebene die Vorstellung von Personalität und Integrität.74
Weil solche Einstellungen im Unterschied zu Kenntnissen und Fertigkeiten nicht
abprüfbar, operationalisierbar sind, besteht die Gefahr, sie diesen nachzuordnen
71
A.a.O., 10.
Hierin lassen sich die oben (Teil A, Kap. 4) ausdifferenzierten Anwendungsbereiche einer
anwaltschaftlichen Ethik wiedererkennen.
73
Hartmut von Hentig, a.a.O., 11.
74
Vgl. oben Teil A, Kap. 3.
72
34
oder zu opfern. Einstellungen sind jedoch durchaus mit Vorstellungen, also mit
kognitiven Elementen verbunden. H. von Hentig zählt auf: Vorstellungen "vom
Menschen, von der Gemeinschaft, von Lebensaufgaben und Lebenssinn, von
Befriedigung und Glück, von Frieden und Gerechtigkeit, von Schuld und Vergebung,
von Geschichtlichkeit und Natur, von Gesundheit, Schönheit, Endlichkeit, Schicksal,
von Gott"75. All diese Vorstellungen gehören unmittelbar zum Sinnhorizont einer
anwaltschaftlichen Ethik. Mit den Fragen nach Lebenssinn, Befriedigung und Glück
werden junge Menschen angeleitet, das Ziel ihres Handelns zu reflektieren. Die
Frage nach dem Menschen, der Gemeinschaft, Schuld, Geschichtlichkeit, Endlichkeit
und Schicksal stößt sie auf das Problem, dass die Ausgangsbedingungen für das
Erreichen von Befriedigung und Glück nicht für alle gleich sind, dass es Schwächere
gibt, die der Hilfe bedürfen, und Stärkere, die diese Hilfe leisten können. Themen wie
Gerechtigkeit, Vergebung, Natur und schließlich Gott führen zu Kriterien für ein
Handeln, das der eigenen Situation und der der Anderen gerecht wird.
Einsichten, sagt von Hentig, sind nur begrenzt lehrbar, und was an ihnen lehrbar ist,
gehört zu den von der Schule zu lehrenden Kenntnissen. Als Themengebiete, in
denen die Schule Wissen zu vermitteln hat, nennt er u.a.76:
- "Welt, Zeit, Gesellschaft" - einschließlich Herrschaftsformen,
Lebensgemeinschaften, Abhängigkeit und Spontaneität menschlichen Handelns,
Konflikte...;
- "Wirtschaft, Arbeit, Gesundheit", und in diesem Zusammenhang auch das
Ineinandergreifen der Faktoren Arbeit und Kapital oder das Wissen über soziale
Auffangnetze.
In beiden Themenbereichen sind die Grundbegriffe wiederzuerkennen, aus denen
sich der Denk- und Lebenskontext einer anwaltschaftlichen Ethik begründet.
2.
Kompetenzen und Inhalte anwaltschaftlicher Ethik im Bildungsplan
2.1. Bildungsstandards für soziale und ethische Kompetenz
Einem Beschluss der Kultusministerkonferenz folgend, werden künftig Lehrpläne als
Bildungsstandards formuliert. Darin werden intendierte Ergebnisse des Unterrichts
ausgewiesen, die evaluierbar sind. Der Staat will also weniger durch detaillierte
75
76
A.a.O., 10.
A.a.O., 14f.
35
Inhaltsvorgaben die Qualität der Schulen sichern, sondern durch Definition von
Zielen, die in bestimmten Abschnitten des Bildungsprozesses angestrebt werden.
Grundlegend für diesen Ansatz ist die Expertise "Zur Entwicklung nationaler
Bildungsstandards", die unter Leitung von Eckart Klieme vom Deutschen Institut für
Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), Frankfurt a.M., erarbeitet und im
Februar 2003 der Kultusministerkonferenz vorgelegt wurde. Darin heißt es:
"Bildungsstandards formulieren Anforderungen an das Lehren und Lernen in der
Schule. Sie benennen Ziele für die pädagogische Arbeit, ausgedrückt als erwünschte
Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler. Damit konkretisieren Standards den
Bildungsauftrag, den allgemein bildende Schulen zu erfüllen haben."77
Die erwünschten Lernergebnisse werden in den Bildungsstandards als Kompetenzen
bezeichnet. Kompetenzen sind nicht an bestimmte Fächer oder Wissensgebiete
gebunden, sondern übergreifen diese. Sie bündeln die schon erwähnten
Einstellungen und Kenntnisse wie die Fähigkeiten, welche die Schule zum Erreichen
zentraler Bildungsziele ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln muss. "Die
Bildungsstandards legen fest, welche Kompetenzen die Kinder oder Jugendlichen bis
zu einer bestimmten Jahrgangsstufe erworben haben sollen. Die Kompetenzen
werden so konkret beschrieben, dass sie in Aufgabenstellungen umgesetzt und
prinzipiell mit Hilfe von Testverfahren erfasst werden können."78
Der baden-württembergische Bildungsplan benennt als grundlegende Kompetenzen,
"über deren Bezeichnung sich Einigkeit abzeichnet,
● personale Kompetenz,
● Sozialkompetenz,
● Methodenkompetenz,
● Fach- (oder Sach-)Kompetenz,
enthält sich aber einer Festlegung der Bestandteile und ihrer Gewichtung."79
Mit den fachlichen und methodischen Kompetenzen, die im einzelnen Fach oder
Fächerverbund erworben werden, sind also jeweils personale und soziale
Kompetenzen verknüpft. Dadurch will der Bildungsplan hervorheben, dass nicht
Stoffe, sondern Subjekte das eigentlich Ziel des Bildungsvorgang sind und die
77
Eckhard Klieme u.a.: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Vorgestellt v.
Edelgard Bulmahn u. Karin Wolff am 18.2.2003 in Berlin www.dipf.de/bildungsstandards, 13.
78
Ebd.
79
Hartmut von Hentig, a.a.O., 12.
36
Schüler - gleich in welchem Fach - "an die Übernahme von Verantwortung aus einer
ethischen Grundhaltung heraus herangeführt werden"80. Dies geht über das
herkömmliche Aneignen von "Tugenden" weit hinaus. So hat etwa die von Hartmut
von Hentig betonte Redefähigkeit unmittelbare Relevanz für eine anwaltschaftlichethische Kompetenz: "Redefähigkeit ist im Zeitalter von Mitsprache und Demokratie
(von Bedeutung). Die Schülerinnen und Schüler erfahren im Unterricht, was
wirksame und verständliche Rede ist; der Diskurs erfährt eine geeignete Übung
durch das organisierte Streitgespräch. (...) Im Zeitalter zunehmender
Mitspracherechte erwächst dem Einzelnen eine Mitsprachepflicht. Er muss dazu die
im Abendland ausgebildeten Ordnungen und Verfahren kennen"81.
Personale Kompetenz und Sozialkompetenz werden demnach in allen Fächern
angestrebt. Dies zu betonen ist wichtig, um die Anleitung zu ethischem Denken und
Handeln nicht allein auf die Fächer Ethik und Religionslehre abzuwälzen. Wohl ist die
ethische Kompetenz dort explizites Lernziel, aber auch die anderen Fächer tragen zu
ihr bei. Der Bildungsplan für das Fach Deutsch in der Hauptschule etwa betont, dass
die Anbahnung und Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen über die Arbeit im
Team geschieht, die für die persönliche Entwicklung und das Leben in der
demokratischen Gesellschaft wesentlich ist. Indem der Deutschunterricht die
Fähigkeit fördert, "Situationen zu reflektieren und über sie sprechen zu können", trägt
er "zur Entwicklung von Werthaltungen bei und erleichtert es, diese auf aktuelle
Probleme zu beziehen"82. Ein weiteres Beispiel für die ethische Dimension des
Deutschunterrichts ist die Situation der Schülerinnen und Schüler, für die Deutsch
nicht Familiensprache, sondern Zweitsprache ist. Ihre kulturellen und sprachlichen
Erfahrungen "bereichern (...) den Unterricht und werden als Chance genutzt,
perspektivenreich zu lernen. Dies wirkt Entwertungserfahrungen entgegen und weitet
den Blick."83 Auch das Fremdsprachenlernen vermittelt "kulturelle Kompetenz",
indem die Schülerinnen und Schüler "altersgemäße und authentische Einblicke in
80
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Häufig gestellte Fragen zur
Bildungsplanreform, im Internet unter www.schule-bw.de/unterricht/bildungsstandards/, 6. Vgl. Bruno
Schmid: Bildungsstandards - Lehrpläne der Zukunft? In: Katechetische Blätter 129 (2004), 290 - 296.
81
Hartmut von Hentig, a.a.O., 13.
82
Bildungsplan für die Hauptschule 2004, 54.
83
Ebd.
37
andere Lebenswirklichkeiten (gewinnen)" und "diese in ausgewählten Kontexten mit
der eigenen vergleichen können"84.
Besonderes Gewicht für das soziale und ethische Lernen kommt dem in der
Hauptschule eingerichteten Fächerverbund "Welt - Zeit - Gesellschaft" zu. Zu den
dort angezielten Kompetenzen gehören "die Verantwortungsbereitschaft sowie die
moralische und politische Urteilsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler." Die
Bedeutung für eine anwaltschaftliche Ethik lässt sich so umschreiben: "Die
Schülerinnen und Schüler lernen, in sozialen Beziehungen Verantwortung für sich
und andere zu übernehmen. Im Zusammenleben entwickeln sie die Bereitschaft, die
Rechte anderer zu achten, und verstehen die dafür notwendigen Regeln."85 Die
Frage, ob nicht gerade die ethische Kompetenz am besten in fächerverbindendem
Lernen erworben werden kann, bedarf der weiteren Prüfung.86
2.2. Verbindliche Inhalte in den Fächern Ethik und Religion
Explizit wird die ethische Kompetenz als Fachkompetenz intendiert in den Fächern
Ethik sowie Evangelische und Katholische Religionslehre.87
2.2.1 Ethik
Das Fach Ethik ist in Baden-Württemberg seit 1983 als "ordentliches Unterrichtsfach"
eingerichtet und wird derzeit ab dem 8. Schuljahr unterrichtet. An ihm nehmen die
Schülerinnen und Schüler teil, die
a) keiner Religionsgemeinschaft angehören, oder
b) für deren Religionsgemeinschaft keine Religionsunterricht angeboten wird88, oder
c) die sich vom Religionsunterricht ihrer Konfession abgemeldet haben.
In den neuen Bildungsplänen ist das Fach Ethik erstmals direkt nach den Fächern
Evangelische und Katholische Religionslehre aufgeführt, sodass die Nähe zum
Religionsunterricht sichtbar wird.89
84
Bildungsplan für die Hauptschule 2004, 91.
A.a.O., 134.
86
Vgl. Lothar Kuld / Bruno Schmid: Ethische Urteilskompetenz. Ein fächerübergreifender Aspekt des
Realschulunterrichts. In: Jürgen Rekus (Hg.): Die Realschule. Alltag, Reform, Geschichte, Theorie.
Weinheim/ München 1999, 139 - 152.
87
Sie werden im Folgenden nach dem Bildungsplan für die Realschule2004 besprochen.
88
Die an Zahl größte Gruppe sind hier die etwa 70 000 Muslime. In Deutschland gibt es insgesamt
350 000 muslimische Schülerinnen und Schüler, das sind etwa 6% der Gesamtschülerschaft.
85
38
Die Aufgabe des Ethikunterrichts formuliert der Bildungsplan für die Realschule so:
"Das Fach Ethik befähigt Schülerinnen und Schüler, ihr Leben selbstbestimmt und
verantwortlich zu gestalten, es hilft ihnen, sich in unserer demokratischen und
pluralistischen Gesellschaft mit ihren vielfältigen Wertvorstellungen und
Sinnangeboten zunehmend eigenständig und urteilsfähig zu orientieren."90
Die Fähigkeit, anwaltschaftlich zu handeln, wird besonders deutlich in den damit
verbundenen Zielsetzungen:
- die Wahrung der Würde des einzelnen Menschen,
- das soziale Lernen,
- die Verständigung über Regeln guten Zusammenlebens,
- das faire Austragen von Meinungs- und Interessengegensätzen,
- der Schutz der Schwächeren,
- die Übernahme der Verantwortung für andere,
- Empathie, Hilfsbereitschaft, Kommunikations-, Kooperations- und Teamfähigkeit,
- Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung, realistische Selbsteinschätzung und Selbstkritik.
Konkretisiert wird dies z.B. in den Klassen 9 und 10 an folgenden Kompetenzen,
Themenfeldern und Inhalten:
Hauptschule und Werkrealschule Klasse 9
Themenfeld Werte und Normen:
Hier werden als Kompetenzen Aspekte der Humanität wie Gerechtigkeit,
Nächstenliebe, Personalität und Toleranz "gegenüber Behinderten, Alten und
Kranken" genannt, die am Inhalt "Goldene Regel" erarbeitet werden können91.
Themenfeld Vorurteile
Inhalt "Diskriminierung der Andersartigkeit"
Themenfeld Lebenssinn
Inhalt "Vorstellung von Gerechtigkeit".92
Realschule Klasse 10
Themenfeld Orientierungswissen zu existentiellen Fragen des Menschen
89
Die Denkschrift der EKD "Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des
Religionsunterrichts in der Pluralität" (Gütersloh 1994) fordert die Einrichtung einer Fächergruppe, der
Religions- und Ethikunterricht angehören.
90
Bildungsplan für die Realschule 2004, 44.
91
Bildungsplan für die Hauptschule 2004, 48
92
A.a.O., 49.
39
Kompetenz: Sich über den Alterungsprozesse die Lebenssituation älterer Menschen
zu informieren.
Themenfeld Kategorischer Imperativ und "Goldene Regel"
Kompetenz: Befähigung, die Unantastbarkeit der Würde der Person zu achten.
Themenfeld Soziale Gerechtigkeit
Kompetenzen:
- den Anspruch auf Befriedigung der Grundbedürfnisse zu erläutern,
- die Ursachen, Folgen und Auswirkungen von Armut auf der Welt (austeilende und
ausgleichende Gerechtigkeit) zu verstehen,
- Bedürfnisse im historischen und sozialem Vergleich aufzuzeigen.
Die Schülerinnen und Schüler entwickeln außerdem Einfühlungsvermögen,
Hilfsbereitschaft und soziales Engagement.93
2.2.2 Evangelische und Katholische Religionslehre
Im Bildungsplan für Evangelische Religionslehre wird die "ethische Kompetenz" als
einer der übergreifenden Kompetenzen eigens benannt. Sie wird umschrieben als
"Fähigkeit, ethische Probleme zu identifizieren, zu analysieren,
Handlungsalternativen aufzuzeigen, Lösungsvorschläge zu beurteilen und ein
eigenes Urteil zu begründen, um auf dieser Grundlage verantwortlich zu handeln"94.
Demgegenüber wird im Plan für die katholische Religionslehre die ethische
Kompetenz nicht eigens unter den übergreifenden Kompetenzen ausgewiesen,
sondern in die anderen Kompetenzen, besonders in die soziale, integriert.
Die Kompetenzen sind dadurch konkretisiert, dass sie auf Dimensionen bezogen
werden, die in beiden Konfessionen nahezu identisch formuliert sind. Diese
repräsentieren die fachlichen Aspekte, "bringen den 'roten Faden Theologie' ins Spiel
und profilieren die Kompetenzen als hermeneutisches Prinzip"95. Die sozialen und
die ethischen Kompetenzen werden insbesondere der Dimension Welt und
Verantwortung zugeordnet. Aus ihr werden im Folgenden beispielhaft einige Inhalte
und Kompetenzen zitiert, die auf eine anwaltschaftliche Ethik zielen.
Hauptschule und Werkrealschule Klasse 6
93
Bildungsplan für die Realschule 2004, 45f.
Bildungsplan für die Hauptschule, 23; Bildungsplan für die Realschule, 23.
95
Bruno Schmid: Bildungsstandards - Lehrpläne der Zukunft? (wie Anm. 6), 292.
94
40
Die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass alle Lebewesen als Geschöpfe Gottes
ein gemeinsames Lebensrecht haben und aufeinander angewiesen sind. Sie werden
ermutigt, Verantwortung für sich und andere wahrzunehmen.
Kompetenzen:
- Sich in der Verschiedenheit wahrnehmen, einander achten und fair mit einander
umgehen können,
- Biblische Weisungen für das Handeln der Menschen kennen (z.B. Zehn Gebote,
goldene Regel, Doppelgebot der Liebe, Gleichnis vom barmherzigen Samariter).
Hauptschule und Werkrealschule Klasse 9
Den Schülerinnen und Schülern soll gezeigt werden, dass es zum Glauben an Gott
gehört, für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzutreten.
Kompetenzen (über Klasse 6 hinaus):
- Die goldene Regel, das Doppelgebot der Liebe kennen und auf aktuelle
Problemfelder beziehen können;
- Wissen, dass sie immer Teil einer Gemeinschaft und mit ihrem Handeln für sich und
andere verantwortlich sind; in der Lage sein, sich in andere Menschen einzufühlen;
Möglichkeiten sehen, anderen Menschen zu helfen.
Realschule Klasse 6
Schülerinnen und Schüler werden ermutigt, für eine "Kultur der Barmherzigkeit"
einzutreten. Geschichten von Kindern aus der ganzen Welt sollen zeigen, dass
Kinder verletzbar und auf solidarische Hilfe angewiesen sind. Solidarität und Teilen
gehören zur christlichen Haltung in der Einen Welt.
Realschule Klasse 8
Das Eintreten für eine "Kultur der Barmherzigkeit" (sh. Klasse 6) wird weitergeführt
dadurch, dass Schülerinnen und Schüler ermutigt werden, anhand biblischer
Weisungen Verantwortung zu übernehmen. Dabei sollen sie Kontakte zu Menschen
in ausgewählten diakonischen Bereichen herstellen und über ihre Erfahrungen
berichten können. Sie kennen biblische Prophetinnen und Propheten in ihrem
Einsatz gegen das Unrecht, können selbst Ungerechtigkeit wahrnehmen und sich für
Gerechtigkeit einsetzen.
Als Themenfeld ist hier im evangelischen Plan ausdrücklich die Diakonie genannt.
Realschule Klasse 10
Über die bisher genannten Kompetenzen hinaus werden personale, soziale und
globale Verantwortung angezielt. Die Schülerinnen und Schüler sollen eine
41
christliche Position zu einem ethischen Bereich (etwa Medizin, Wirtschaft, soziale
Gerechtigkeit, Diakonie bzw. Caritas) darstellen können.
3.
Konzepte für Projekte zum anwaltschaftlich-ethischen Lernen
In welchen Gestaltungsformen anwaltschaftliche Ethik in der Schule gelernt werden
kann, soll exemplarisch an zwei Projekten gezeigt werden.
3.1. Das Themenorientierte Projekt "Soziales Engagement"
Der neue baden-württembergischen Bildungsplan 2004 sieht für die Realschule
mehrere Themenorientierte Projekte vor; eines davon lautet "Soziales Engagement".
Sein Ziel ist es, "Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit Menschen zu wecken
und zu fördern" oder, wie es an anderer Stelle heißt, "die eigene Sozialkompetenz zu
stärken"96. Dies impliziert ein Kennenlernen der eigenen Stärken und Schwächen,
eine Erweiterung der Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit sowie ein
Erwerben von Verhaltenssicherheit. Daraus wird deutlich, dass neben der
hauptsächlich angezielten sozialen und personalen Kompetenz auch Methoden- und
Fachkompetenz im jeweiligen Tätigkeitsfeld angestrebt werden.
Der Bildungsplan nennt verschiedene Tätigkeitsfelder, in denen das Praktikum
gemacht werden kann. Inzwischen ist hierzu vom Ministerium für Kultus, Jugend und
Sport ein 36seitiges Heft herausgegeben worden. Unter dem Titel "Sozial - aber wie?
Themenorientiertes Projekt Soziales Engagement"97 informiert es über Ziele und
Formen des Projekts, über mögliche Kooperationspartner, Praxisbereiche und das
für die Durchführung notwendige Projektmanagement.
Im Vorwort wird gesagt, dass das Soziale Engagement zu einem weiteren Baustein
für das besondere Profil der Realschule in Baden-Württemberg gemacht werden
soll.98 Die Verbindung zwischen der Lebenswelt der Jugendlichen und dem hauptund ehrenamtlichen sozialen Engagement in unserer Gesellschaft soll dadurch
96
Bildungsplan für die Realschule, 180.
Autoren sind Dr. Uwe Böhm, Karlo Hafner, Götz Kanzleiter, Beate Müller, Achim Wicker und
Gerhard Ziener.
98
Man fragt sich: Warum nur für die Realschule? Hätten Hauptschule und Gymnasium nicht auf ihre
Weise eine Stärkung sozialen Lernens ebenso nötig?
97
42
gestärkt werden. Das "TOP SE", wie es abgekürzt heißt, wird dann als eine Form
sozialen Lernens dem Sozialcurriculum zugeordnet: Während nach dem
Sozialcurriculum einzelne Schülerinnen und Schüler während der gesamten
Schulzeit - etwa als Streitschlichter oder im Schulsanitätsdienst - tätig sein sollen, ist
"TOP SE" Bestandteil des Kerncurriculums und wird für die ganze Klassenstufe
innerhalb eines (von der Schule zu wählenden) Schuljahrs in der verbindlich
festgelegten Form durchgeführt. Die reine Praktikumszeit beträgt zwei
Wochenstunden oder etwa 72 Stunden auf das ganze Schuljahr gesehen; sie kann in
unterschiedlichem Zeittakt (wöchentlich zwei Stunden oder ein 14tägiger Block o.ä.)
gestaltet werden. Hinzu tritt die unterrichtliche Behandlung in den beteiligten
Fächern, insbesondere im Leitfach. Die Projektarbeit wird verbal beurteilt und mit
einer Ziffernnote ausgewiesen.
Die Seiten 8 bis 14 des Heftes nennen mögliche Kooperationspartner. Neben den
Wohlfahrtsverbänden der beiden großen Kirchen, die durch das "Freiwillige soziale
Jahr" schon über entsprechendes Know-how verfügen, bieten sich auch Jugendringe
und Jugendverbände an. Hierzu zählen neben den konfessionellen und politischen
Verbänden auch solche aus dem Naturschutz, Hilfsorganisationen (wie
Jugendrotkreuz und Jugendfeuerwehr) oder Pfadfinderbünde. Einladend sind die
dokumentierten Beispiele sowie eine Fülle von Adressen.
Verschiedene Praxisbereiche werden auf den Seiten 15 bis 22 vorgestellt. Neben
das klassische Sozialpraktikum - in caritativen und diakonischen Einrichtungen, aber
auch in privaten Initiativen (z.B. Übernahme kleinerer Hilfs- und Botendienste für
ältere Menschen) - treten Kooperationsprojekte mit Sonderschulen und ein breit
angelegtes junior-Schülermentorenprogramm ("Junior-Mentoren sehen ihre Schule
als Lebensraum und gestalten diesen mit", etwa als Pausen-, Öko oder
Kunstmentoren). Schließlich wird auf weitere Projektmöglichkeiten wie etwa das
"Franziskus-Projekt" der Brunnen-Realschule Bad Cannstatt hingewiesen, das die
Begegnung mit Obdachlosen, die Reflexion darüber und die künstlerische Gestaltung
des Themas zum Gegenstand hatte.
Dem Projektmanagement ist der letzte Teil des Heftes gewidmet. Die wichtigsten
Fragen zu Definition, Planung, Durchführung und Abschluss des Projekts werden
formuliert. Leitfunktionen bei Lehrenden und Lernenden sind zu klären, über
Präsentationsformen muss entschieden werden, Kriterienkataloge und Beispiele für
die Bewertung werden vorgestellt, ebenso Fragebogen für die Rückmeldungen (von
43
Schülern, Eltern und Praktikumseinrichtungen), mögliche Zertifizierungen und
Anregungen zur Öffentlichkeitsarbeit.
Ohne Zweifel hilft das Heft den Schulen und insbesondere den Projektleitern, die
nach Einführung des neuen Bildungsplans vor der Aufgabe stehen, ein "TOP SE" zu
planen und durchzuführen, ein gutes Stück weiter. Es bietet einen guten Überblick
über die bei einem solchen Projekt sich stellenden Aufgaben und gibt Anregungen
für die anstehenden Entscheidungen.
3.2.
"Compassion" - Soziales Lernen an Schulen
Was an Baden-Württembergs Realschulen mit dem Schuljahr 2004/2005 eingeführt
wird, verdankt sich in wesentlichen Punkten einem Schulversuch, der Anfang der
1990er Jahre unter dem Namen "Compassion" von katholischen Schulen initiiert und
inzwischen bundesweit aufgegriffen wurde. "Compassion" ist ein Projekt mit dem
Ziel, sozialverpflichtete Haltungen unter Schülerinnen und Schülern der
Sekundarstufe zu entwickeln und zu stärken.99 Das Projekt besteht darin, alle
Schüler einer Klasse zu praktischen Einsätzen in einer sozialen Einrichtung
(Krankenhaus, Altenheim, Behinderteneinrichtung u.ä.) zu führen und diese
Praxiserfahrungen im Unterricht zu begleiten.
Das Land Baden-Württemberg, die Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg und das
Bundesbildungsministerium führten von 1996 bis 1998 einen groß angelegten
Modellversuch zu "Compassion" an insgesamt neun Schulen durch; sechs davon
waren Schulen in kirchlicher Trägerschaft. Lothar Kuld und Stefan Gönnheimer
waren mit der wissenschaftlichen Begleitung beauftragt. Sie dokumentierten nach
Abschluss des Projekts Voraussetzungen, Durchführung und Ergebnisse.100
Inzwischen liegt auch ein Praxisbuch vor, in dem 15 Lehrkräfte ihre
Unterrichtsbeispiele dokumentieren und schulartspezifische Adaptionen
reflektieren.101 Eine Vielzahl von Fächern der allgemeinbildenden Schulen sind in
dem Band vertreten - eben nicht nur Religion und Gemeinschaftskunde, an die man
99
Johann B. Metz / Lothar Kuld / Adolf Weisbrod (Hg.): Compassion. Weltprogramm des
Christentums. Soziale Verantwortung lernen, Freiburg 2000.
100
Lothar Kuld / Stefan Gönnheimer: Compassion. Sozialverpflichtetes Lernen und Handeln, Stuttgart
2000.
101
Lothar Kuld / Stefan Gönnheimer (Hg.): Praxisbuch Compassion. Soziales Lernen an Schulen.
Praktikum und Unterricht in den Sekundarstufen I und II, Donauwörth 2004
44
bei einem Sozialpraktikum vorrangig denkt, sondern auch Biologie und Chemie,
Kunst, Musik und Sport, Deutsch, Englisch, Französisch und Latein (!).
Drei Merkmale unterscheiden den "Compassion"-Praxisband von dem oben
vorgestellten, vom baden-württembergischen Kultusministerium veröffentlichten Heft
zum Themenorientierten Praktikum "Soziales Engagement".
Erstens: Während "TOP SE" nur auf Realschulen bezogen ist, ist "Compassion"
prinzipiell für alle Schularten der Sekundarstufe gedacht. Ursprünglich primär an
Gymnasien durchgeführt (und dann oft erst in der 11. Klasse), wurde es nun auch an
Haupt- und Realschulen - meist in der 9. Jahrgangsstufe - erprobt; im
organisatorischen Ablauf musste dabei wenig verändert werden. "In der
wissenschaftlichen Begleitung waren schulartspezifisch besondere Wirkungen des
Projekts nicht nachweisbar. Hier wie dort, an Gymnasien, Realschulen und
Hauptschulen haben wir es mit den Jugendlichen der gleichen Generation zu tun, mit
im Trend gleichen Wertorientierungen zwischen Egozentrik und Altruismus. Sie
helfen, wenn es ihren Bedürfnissen entspricht, einsehbar ist, zeitlich begrenzt bleibt,
keine weiteren Erwartungen an sie herangetragen werden und keine Verpflichtungen
mit dem einmaligen Engagement verbunden sind."102 Doch hat sich gezeigt, dass die
Schülerinnen und Schüler an Hauptschulen durch das Projekt in ihrem
Selbstwertgefühl gestärkt wurden. An den Realschulen ergaben sich sinnvolle
Verbindungen zum berufsorientierenden Praktikum BORS.
Zweitens: Während das vom Kultusministerium herausgegebene Heft eher einen
ersten Einblick in Zielsetzung, Praxisfelder, mögliche Kooperationspartner und
Durchführung eines Sozialprojekts gibt, blickt das "Compassion"-Praxisbuch auf eine
mehr als zehnjährige Erfahrung zurück und stellt ausgewählte Einheiten aus dem
vorbereitenden oder nachbereitenden Fachunterricht vertieft dar. Dabei können
sowohl die pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen des jeweiligen
Fachunterrichts, die darauf hin getroffenen didaktischen Entscheidungen wie die
methodischen Gestaltungsformen intensiv reflektiert werden. Es soll nur ein vielleicht überraschendes - Beispiel aus dem Lateinunterricht herausgegriffen
werden. Jürgen Layer stellt dar103, wie an Textstellen aus Briefen des jüngeren
Plinius über den Ausbruch des Vesuv die in dieser Naturkatastrophe zu Tage
102
Lothar Kuld: Einführung, in: Praxisbuch Compassion, 134.
Jürgen Layer: Fach Latein. Unterrichtseinheit Humanitas und Humanität. In: Praxisbuch
Compassion, 58 - 65.
103
45
tretenden unterschiedlichen sozialen Haltungen im Lateinunterricht erörtert werden
können; dasselbe ist auch an einer zugespitzten militärischen Entscheidungssituation
aus dem 7. Buch des "Gallischen Krieges" von Cäsar möglich. Er betont, das neben
der Erlebensebene, wie sie im Sozialpraktikum vermittelt werden kann, "auch einer
mit dem Erlebnis verbundenen Kognitionsebene größere Bedeutung zuzumessen"
sei. "Deshalb verbindet auch das Compassion-Projekt das Erlebnis und die Reflexion
darüber in der Hoffnung auf eine letztlich freiwillige Selbstbindung der SchülerInnen
aus gewonnener Einsicht."104
Drittens: Über das pädagogische Konzept hinaus kommt in allen Veröffentlichungen
zu "Compassion" deutlich auch der anthropologisch- und theologisch-ethische
Sinnhorizont zum Vorschein. "Es gibt unterschiedliche Konzepte sozialen Lernens",
schreibt Lothar Kuld. "Das Compassion-Projekt verbindet die erlebnispädagogische
Maßnahme eines Sozialpraktikums mit reflektierendem Unterricht. Das ist das Neue
und pädagogisch Entscheidende des Compassion-Konzepts." Im Nachdenken über
Erfahrungen soll eine rein gefühlsmotivierte Haltung des Helfens vertieft werden zur
Einsicht, wann und wo welche Hilfe angemessen ist.
Soziale Sensibilität, Mitgefühl und Solidarität, sagt Kuld weiter, sind nicht notwendig
an Religion oder gar an Christsein gebunden. Und dennoch ist es bemerkenswert,
welche große Rolle diese Haltungen im christlichen Glauben spielen. Für den
Theologen Johann Baptist Metz, der "Compassion" in seinen Vorlesungen als
Schlüsselwort des Evangeliums entfaltet, ist dieser Begriff so etwas wie die "biblische
Mitgift für ein sittliches Weltprogramm in diesem Zeitalter der Globalisierung"105.
Damit ist nochmals an die Verwurzelung einer anwaltschaftlichen Ethik im
Evangelium erinnert.106 Heinrich Böll, gefragt, was er vom Christentum halte, fragte
sich vor allem das eine: warum 800 Millionen Christen diese Welt so wenig zu
verändern vermögen. Denn er ist der Meinung, dass "es in einer christlichen Welt
Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und
Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die,
die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen"107.
104
A.a.O., 58. Vgl. Bruno Schmid: Ethisches Lernen im Unterricht. In: Johann B. Metz / Lothar Kuld /
Adolf Weisbrod (Hg.): Compassion. Weltprogramm des Christentums (wie Anm. 38), 53 - 74, bes. 59.
105
Johann B. Metz: Compassion. Zu einem Weltprogramm des Christentums im Zeitalter des
Pluralismus der Religionen und Kulturen. In: Ders. / Lothar Kuld / Adolf Weisbrod (Hg.): Compassion.
Weltprogramm des Christentums (wie Anm. 38), 9 - 18, hier 15.
106
Vgl. oben Teil A. Kap. 3.
107
Heinrich Böll: Eine Welt ohne Christus. In: Karlheinz Deschner (Hg.): Was halten Sie vom
Christentum? München 1957, zit. nach Zielfelder ru 9/10, München 1980, 64.
46
4. Materialien für den Unterrichtseinsatz und für die Projektarbeit
4.1 Fallbeispiele
Die folgenden Fallbeispiele und die damit verknüpften Fragen sind gedacht als
Material für Unterrichtseinheiten zum Thema "Anwaltschaftliche Ethik".
Fallbeispiel 1
Wachkomapatientin
Lisa Gerbauer (Name geändert) hatte mit zweiundzwanzig Jahren einen schweren
Badeunfall. Seitdem ist sie gelähmt und ihr Gehirn ist schwer geschädigt. Die Folge
ist: Sie liegt im Wachkoma in einer sozialtherapeutischen Station einer
Rehabilitationseinrichtung. Frau Gerbauer kann nicht sprechen. Sie nimmt ihre
Umwelt wahr, indem sie bei Lichtwechsel blinzelt oder verschiedene Grunzgeräusche
in unterschiedlichen Tonhöhen in bestimmten Situationen von sich gibt. Sie ist auf
eine intensive Pflege rund um die Uhr angewiesen. Seitdem verstärkte
Schluckbeschwerden aufgetaucht sind, wird sie mit einer Magensonde künstlich
ernährt. Sie wird in regelmäßigen Abständen umgelagert, damit sie sich nicht wund
liegt. Ein Luftbefeuchter erleichtert ihr das Atmen. Sie liegt in einem Pflegebett, das
sich in einem persönlich gestalteten Raum befindet. Sie erhält regelmäßig Besuch
von ihrer Mutter. Der Vater kommt seit der Scheidung nicht mehr zu Besuch. Eine
Schwester kommt nicht mehr, weil sie die Situation mit Frau Gerbauer nicht
verkraften kann. Das Pflegepersonal spricht bei seinen Pflegeverrichtungen immer
wieder mit Frau Gerbauer in der Hoffnung, dass sie verstanden oder zumindest über
die Schallwellen erreicht werden kann. Die Zukunft von Frau Gerbauer ist ungewiss.
Manchmal sind Patienten schon wieder „aufgewacht“ und konnten wieder ein
weitgehend normales Leben führen.
Fragen:
1. Beschreiben Sie die Situation von Frau Gerbauer aus ihrer Sicht, aus Sicht
der Mutter, des Vaters, der Schwester und des Pflegepersonals.
2. Möchten Sie so wie Frau Gerbauer leben? Was spricht dafür, was dagegen?
47
3. Die Ernährung mit einer Magensonde ist umstritten. Manche halten dies für
nicht richtig, weil das Leben gegen den mutmaßlichen Willen der Betroffenen
verlängert würde. Andere sagen, dass niemand das Recht habe, das Leben
von nichteinwilligungsfähigen Personen zu beenden. Wie ist ihre Meinung
dazu? Begründen Sie ihre Meinung!
Fallbeispiel 2
Hilfe im Alltag
Jodie (7Jahre) und Marc (14 Jahre)stehen an einer stark befahrenen Kreuzung in
einer Großstadt vor einer Ampel. Sie warten in einem großen Pulk von Menschen
auf Grün. Als die Ampel auf Grün springt hasten alle über die Straße. Dabei wird
gerempelt und gestoßen, weil sehr wenig Platz auf dem Fußgängerüberweg ist.
Neben Marc wird ein behinderter Mann im Rollstuhl angerempelt. Er hat
offenkundig Mühe, das Tempo der Anderen mitzuhalten. Die Ampel ist schon
längst auf rot gesprungen, aber der Mann im Rollstuhl befindet sich allein auf der
Straßenmitte. Jodie ist diese Situation unangenehm und fragt Marc: „Sollen wir
ihm helfen?“.
Fragen
1. Wie soll Marc handeln?
2. Was spricht für die Unterstützung des Rollstuhlfahrers, was dagegen?
3. Schildern Sie die Situation aus Sicht des Rollstuhlfahrers, von Jodie, von Marc
und von anderen Passanten.
4. Unter welchen Bedingungen ist es sinnvoll zu helfen, unter welchen
Bedingungen ist es weniger sinnvoll?
48
Fallbeispiel 3
Pflegekinder
Ralf (5 Jahre) und Melanie (8 Jahre) leben seit vier Jahren in einer Pflegefamilie. Sie
leben dort, weil ihrer leiblichen Mutter auf Veranlassung des Jugendamtes das
Sorgerecht erzogen wurde. Sie war überfordert, beide Kinder zu erziehen. Ihr
Lebenspartner hatte laut Auskunft des Vormundschaftsgerichtes die Kinder häufiger
geschlagen. Die Mutter war auch nicht in der Lage, den Kindern regelmäßig eine
warme Mahlzeit zu bereiten. Eine Psychologin sprach ihr in einem Gutachten die
Erziehungsfähigkeit ab. Die Kinder hängen trotz der schlechten Erfahrungen an ihrer
Mutter und wollen zurück zu ihr. Auch die Mutter kämpft um die Rückkehr der Kinder.
Dagegen spricht sich das Jugendamt aus, weil es die Verwahrlosung befürchtet.
Beiden geht es um das Wohl der Kinder. Der Streit wird vor dem Amtsgericht
ausgetragen.
Fragen:
1. Wie stellt sich die Situation aus Sicht der Kinder, der leiblichen Mutter, der
Pflegeeltern und des Jugendamtes dar?
2. Ist der Eingriff in das Leben der Pflegekinder durch das Jugendamt
berechtigt?
3. Wie soll der Richter in diesem Fall entscheiden?
Fallbeispiel 4
Menschen mit Behinderung in der Nachbarschaft
Stefan, Ruth, Michael, Jessica, Melanie und Roger sind Jugendliche und zwischen
14 und 19 Jahre alt. Sie sind leicht geistig behindert und leben in einer Wohngruppe
in einem Behindertenheim mit über 60 anderen Menschen zusammen. Dieses Heim
befindet sich auf dem Land. Eines Tages fragt sie ihr Heimleiter, ob sie nicht
Interesse hätten, in die Stadt umzuziehen. Das hätte viele Vorteile und außerdem
49
könnten sie lernen, selbstständiger zu leben. Die Schule sei auch nicht weit entfernt.
Nach einer langen Diskussion stimmten alle zu. In den nächsten Tagen wurde eine
Wohnungsanzeige aufgesetzt: Sechs junge Menschen mit einer leichten
Behinderung suchen Wohnung oder Haus. Es kam nur eine Antwort zurück. Der
Heimleiter und die Jugendlichen wurden schnell mit dem Vermieter handelseinig.
Bevor sie einzogen, nahmen sie Kontakt mit der Nachbarschaft auf, um diese
kennenzulernen. Einige Nachbarn freuten sich auf den Zuzug der Jugendlichen.
Andere Nachbarn protestierten erst privat, dann öffentlich in der Zeitung gegen den
Einzug von Behinderten in ihr Viertel. Die Jugendlichen sind verunsichert und wissen
nicht mehr sicher, ob sie umziehen wollen.
Fragen:
1. Wie stehen die Jugendlichen, der Heimleiter, der Vermieter, die Nachbarn
zum Umzugsprojekt?
2. Welche Gründe sprechen für den Umzug, welche dagegen?
3. Wie endet die Geschichte?
4.2 Design von Projekttagen
Die unten kurz skizzierten Projekte sind Vorschläge für die Gestaltung von
Projekttagen. Sie zielen ab auf die Ermöglichung von Begegnung von Menschen mit
und ohne Behinderungen. Die Kontakte werden jeweils reflektiert und je nach Design
in einem bestimmten Rhythmus wiederholt und ausgewertet.
Wer an weiteren Modellen und Kooperationspartnern (in Baden-Württemberg)
interessiert ist, kann sich an die Arbeitsstelle Kooperation wenden, die in jedem
staatlichen Schulamt eingerichtet wurde.
Design 1
Projekttage mit erwachsenen Menschen mit Behinderungen
Hospitation in der St. Gallus-Hilfe in Rosenharz im Rahmen von Projekttagen
Klasse 9 Realschule im Bildungszentrum Bodnegg vom 19. – 23.07.1999
Dienstag
50
•
•
Ankommen
Begrüßung und gegenseitige Vorstellung
•
Mein/Unser Bild
vom behinderten Menschen (Einzelarbeit + Paararbeit)
•
Sichtweisen behinderten Lebens:
(1) Umwelt Medizinisch: der defekte Körper
(2) Psychologisch: defekte Seele
(3) Philosophisch; der defekte Geist
(4) Heil-Pädagogisch; der ganze Mensch als entwicklungs-und lernfähiges
Wesen
(5) Systemisch: der Mensch mit Behinderung in seiner
•
Vorstellen der Orte der Hospitation im Rundgang (Wohngruppen, Werkstatt,
Grünland, Förderstätte)
Verteilung der Hospitationsgäste paareweise auf die Orte
Erstkontakte in den Gruppen
•
•
Mittwoch
•
•
Reflexion der Erstkontakte
Hospitation mit kleinen Aufgaben und gemeinsamen Aktionen (Spaziergang,
Mitarbeiten in der WfB, Putzen, Kochen etc.)
Donnerstag
•
Reflexion der Hospitation vom Dienstag und Mittwoch
•
Info: Typen im Umgang mit behinderten Menschen:
Selektion – Assimilation- Integration
•
Geschichtliche Entwicklung im Umgang mit behinderten Menschen
>Naturvölker –
>Hilfe in kirchlichen oder bürgerlichen Armen und Siechenhäusern
>Heil- und Pflegeanstalten – Komplexeinrichtungen – >Ausbau der staatlichen
Hilfen entlang der Sozialisation behinderter Menschen:
Sonderkindergarten – Sonderschule – Heim – Werkstatt für behinderte
Menschen
>Integration und Inklusion: Neue Wohn- und Lebensformen behinderter
Menschen
•
Eigene Position zum Behindertsein
•
Auswertung der Projekttage
Design 2
51
Projekttage mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderung
Begegnungsprojekt in der St. Gallus-Hilfe Hegenberg
mit der Klasse 7 der Wilhelmsschule in Ravensburg
1. Informationsnachmittag
1. Kennenlernen
2. Informationen zum Ort, zu den Bewohnern und ihrem Alltag
3. Besuch der Schüler in Wohngruppen der Hegenberger Kinder und
Jugendlichen
4. Reflexion des Besuches
2. Einzelprojekte
Für die Schüler und die Hegenberger Bewohner besteht die Möglichkeit auf
freiwilliger Basis an sog. Einzelprojekten teilzunehmen. Angeboten werden im
Jahresturnus:
Bogenschießen, Tippkicker, Klettern, Inlinerturnier, Mal- und Kunstaktion und
Eislaufen.
Die Einzelprojekte finden für die Schüler im Rahmen ihrer Sozial-AG statt
Design 3
Schüler treffen Schüler
1. Die Grundschule Oberzell besucht in einem zweiwöchigem Rhythmus an einem
Nachmittag wöchentlich im Rahmen einer Freizeitgruppe Schüler der Don-BoscoSchule, einer Sonderschule für Lern- und Geistigbehinderte in der St. Gallus-Hilfe
Hegenberg. Dabei werden von Lehrern beider Schulen verschiedene Spiele und
sportliche Aktivitäten angeboten.
2. Schüler der Realschule Ailingen treffen sich an einem Nachmittag in der Woche
zum Betreiben eines Schülercafes und einer Zirkus-AG. Lehrer beider Schulen
stehen zur Begleitung dieser Aktivität zur Verfügung.
52
C. Literatur
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