Lippengrind

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Merkblatt 9 | 2009
Lippengrind
Lippengrind ist eine ansteckende Hauterkrankung der kleinen Wiederkäuer, welche durch Viren
verursacht wird. An wenig behaarten oder haarlosen Stellen, vor allem an Lippen, Mundwinkeln,
Nase, Kronsaum oder Euter treten kleine Bläschen und Pusteln auf. In schlimmen Fällen sind auch
die Schleimhäute von Mund, Speiseröhre und Vormägen betroffen. Werden die befallenen Stellen
nicht von Bakterien besiedelt, heilen die Veränderungen in der Regel ab, ohne Narben zu hinterlassen.
Lippengrind wird auch «Ecthyma contagiosum» oder «Orf» genannt.
Tritt Lippengrind in einem Bestand erstmals auf, kann er auch bei erwachsenen Ziegen zu massiven
Hautveränderungen und gestörtem Allgemeinbefinden führen.
Merkblatt 9 | 2009
Erscheinungsbild
Lippengrind tritt bei Tieren aller Altersgruppen auf. Die Erkrankung verläuft meist ohne Fieber. Die Hautveränderungen treten an haarlosen oder
an wenig behaarten Stellen auf. Zu Beginn sind nur leichte Rötungen und
allenfalls nässende Stellen sichtbar. Dann bilden sich Bläschen und Pusteln,
die nach etwa 7 Tagen verschorfen. Die Hautveränderungen heilen innert
3-4 Wochen ab. Danach sind die betroffenen Tiere für einige Monate bis
Jahre vor einer neuen Infektion geschützt. Abhängig vom Infektionsdruck
und vom vorherrschenden Virusstamm können einmal erkrankte Tiere immer wieder erkranken. Neben den typischen Stellen wie Lippen, Mundwinkel und Nasenspiegel sind teilweise auch Ohren und Augenlider befallen.
In schlimmeren Fällen können auch die Schleimhaut des Maules, die Zunge
und sogar die Speiseröhre betroffen sein. Bakterielle Infektionen der geschädigten Stellen können zu grossflächigen Hautveränderungen und blumenkohlartigen Wucherungen führen. » Bild 1
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Erwachsene Tiere
Bei erwachsenen Tieren treten zusätzlich zu den oben beschriebenen Lokalisationen oft Hautveränderungen an Euter und Kronsaum auf. Das Allgemeinbefinden ist meist ungestört und die Krankheit führt nur selten zum
Tod (Todesfälle < 1 % der erkrankten Tiere). Erwachsene Tiere erkranken
wenige Tage nach dem Virus-Kontakt, welcher an Ausstellungen oder bei
der Integration eines zugekauften Trägertieres in die Herde erfolgen kann.
Transportstress, neue Umgebung und Fütterungsumstellung können die Infektion auslösen. In Beständen, die erstmals mit dem Erreger in Kontakt
kommen, kann die Krankheit auch bei erwachsenen Tieren zu gestörtem
Allgemeinbefinden und in Einzelfällen zu Aborten führen.
Sind Muttertiere an der Euterform von Lippengrind erkrankt, ist der Melkvorgang schmerzhaft. Häufig zeigen diese Tiere eine starke Abwehrreaktion, wenn sie gemolken werden. Säugende Auen lassen die Lämmer nicht
trinken, was zu akuten Euterentzündungen und massiven Verlusten führen
kann. » Bild 2
2
Jungtiere
Jungtiere sind besonders empfänglich und erkranken schwer. Im Kolostrum
sind nur wenig Antikörper gegen Lippengrind enthalten. Diese Antikörper
schützen die Neugeborenen nicht ausreichend vor einer Infektion. Durch
den engen Kontakt von Mutter und Jungtier werden Erreger von einem
Muttertier, das Virusträger ist, auf die Lämmer übertragen. Oft weisen die
Lämmer grosse, blumenkohlartige Wucherungen an den Lippen und im
Maul auf. Die Hautveränderungen sind schmerzhaft und behindern die
Lämmer beim Saugen. Sie trinken zu wenig Milch, was zu Unterernährung
und schliesslich zu Unterkühlung und Tod führen kann. Die verletzten und
entzündeten Hautstellen werden häufig von Bakterien besiedelt, welche
schmierige Beläge verursachen. Todesfälle bei Lämmern, vorzeitige Abgänge durch Euterentzündungen sowie Behandlungs- und Impfkosten können
erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen. Die Rate der Todesfälle
liegt bei 20-50 % der erkrankten Tiere. » Bild 3, 4
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1 Lamm mit schmerzhaften Veränderungen durch Lippengrind
am Maul.
2 Lippengrind an Euter und Zitzen begünstigt Euterentzündungen.
3 Jungtiere erkranken besonders häufig an Lippengrind.
Ursache
Lippengrind wird durch ein Virus (Parapoxvirus ovis) verursacht. Es ist sehr
widerstandsfähig gegen Trockenheit. Im Krustenmaterial kann der Erreger
an trockenen und lichtgeschützten Stellen jahrelang überleben. Eine Reinigung und Desinfektion des Stalles kann die Virusmenge zwar vermindern,
das Virus aber nicht eliminieren. In den infizierten Tieren überlebt das Virus
ebenfalls lange. Gesunde Trägertiere können ein Virusreservoir bilden.
Ansteckung
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Das Virus wird entweder direkt von Tier zu Tier (Kontakt zu gesunden Trägertieren, Tierzukauf, Ausstellungen) oder über verunreinigte Einrichtungen
und Geräte (Schermaschinen, Stalleinrichtungen, Werkzeuge) übertragen.
Lämmer infizieren sich in der Regel beim Saugen bei der Mutter oder bei
der künstlichen Aufzucht über die Tränkeeinrichtung. Verschmutzte Weiden und Transporter können ebenfalls eine Infektionsquelle bilden. Auf
verseuchten Weiden muss während mehrerer Monate mit einem erhöhten
Infektionsrisiko gerechnet werden. Über kleine Hautverletzungen oder über
die Schleimhäute gelangen die Viren in den Körper. An verschiedenen Stellen im Körper, darunter auch in der Leber, vermehren sich die Viren. Danach
verursachen sie an den typischen Stellen die Hautveränderungen. Beim Abfallen der Krusten werden massenweise Viren in die Umwelt freigesetzt.
Von der Ansteckung bis zur Erkrankung vergehen 3-14 Tage. » Bild 5, 6
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Vorkommen
Lippengrind ist bei Schafen und Ziegen weltweit verbreitet. Bis zu 100 %
einer Ziegen- oder Schafherde können befallen sein. Wildwiederkäuer und
Neuweltkameliden, welche für die Krankheit ebenfalls empfänglich sind,
weisen jedoch unterschiedliche Krankheitsbilder auf. Die Infektionen verlaufen in der Regel milder als bei Schafen und Ziegen. In freier Wildbahn
wurde Lippengrind auch bei Rot-, Gäms- und Steinwild beobachtet. Bei
Gämsen kommt die Krankheit jedoch nur sporadisch vor. Bei gehegten Hirschen ist die Krankheit selten. Die Krankheitsanzeichen sind deutlich weniger ausgeprägt als bei Schafen und Ziegen.
Diagnose
In den meisten Fällen wird die Diagnose aufgrund der sichtbaren Veränderungen der Haut gestellt. Zur Absicherung der Diagnose kann der Erreger
im Labor in Krustenmaterial nachgewiesen werden. Ähnliche Hautveränderungen werden auch durch Blauzungenkrankheit oder Räude hervorgerufen.
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4 Nicht bei allen Jungtieren verläuft Lippengrind bösartig.
5 Zu Beginn der Erkrankung sind Bläschen sichtbar.
6 Die bösartige Form von Lippengrind kann massive
Veränderungen der Zunge verursachen.
Übertragung auf den Menschen
Lippengrind ist auch für den Menschen gefährlich (Zoonose). Bei Kontakt
mit infizierten Tieren (auch Trägertieren) kann der Erreger über kleine Verletzungen in die Haut eindringen. Einige Tage nach der Ansteckung bilden
sich vor allem an den Händen oder Armen nässende Bläschen, welche später
verkrusten und abfallen. Diese Hautveränderungen können sehr schmerzhaft sein, heilen aber in der Regel nach örtlicher Desinfektion innert weniger Wochen vollständig ab. Als vorbeugende Massnahme wird deshalb
bei der Behandlung der Tiere das Tragen von Handschuhen empfohlen.
Lippengrind
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Vorbeugung
Haltung
Eine gute Stallhygiene, das Vermeiden von Stress und eine optimale Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen tragen zur
Vorbeugung bei.
Tierzukäufe
Eine freiwillige Quarantäne kann die Einschleppung der Krankheit bei neu
zugekauften Tieren in den gesamten Bestand eventuell verhindern. Weil die
Krankheit auch durch gesunde Trägertiere in einen Bestand eingeschleppt
werden kann, wird das Risiko eines Krankheitsausbruches auf diese Weise
nicht vollständig eliminiert.
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Impfung
Eine vorbeugende Impfung empfiehlt sich in Betrieben, welche immer
wieder massive Verluste erleiden oder einem erhöhten Ansteckungsrisiko
ausgesetzt sind. Dabei handelt es sich meist um Betriebe, die ihre Tiere zusammen mit fremden Tieren sömmern oder Ausstellungen besuchen. Zur
Vorbeugung werden alle Tiere über 3 Monate einmal, alle Lämmer unter
3 Monaten zwei Mal im Abstand von 4-6 Wochen geimpft. Ein Kontakt zu
Tieren, die mit Lippengrind infiziert sind, darf frühestens 14 Tage nach der
Impfung erfolgen. Alle 12 Monate wird eine Wiederholungsimpfung empfohlen. Die Impfung gewährt keinen 100 %-igen Schutz vor der Krankheit.
Behandlung
Damit der Infektionsdruck möglichst tief gehalten werden kann, sollten erkrankte Tiere getrennt von den gesunden Tieren gehalten werden. Wenn
mehrere Tiere einer Herde betroffen sind, ist die Behandlung des Lippengrindes eine schwierige und zeitaufwändige Aufgabe. Die erkrankten Stellen werden wiederholt gewaschen und mit Jodlösung eingesprüht. Eine
lokale Behandlung mit jodhaltigen oder Vitamin A-haltigen Salben ist ebenfalls möglich. Die Krusten sollten nicht entfernt werden, weil sonst massenweise Viren freigesetzt werden.
Zusätzlich kann den Tieren mit Schwefelblüten angereichertes Viehsalz angeboten werden. Dazu mischt man 1 Teil Schwefelblüten mit 3 Teilen Viehsalz. Vitaminisierte Mineralstoffe unterstützen das Immunsystem ebenfalls
und tragen somit zu einer besseren Genesung bei. Lämmer müssen allenfalls mit der Flasche zugefüttert werden.
Bei zusätzlichen oberflächlichen bakteriellen Infektionen können antibiotikahaltige Präparate aufgetragen werden, welche Linderung verschaffen.
Bei starken bakteriellen Veränderungen (der bösartigen Form) sollten die
Tiere zusätzlich durch den Tierarzt systemisch mit Antibiotika und Schmerzmitteln behandelt werden.
Impfung befallener Herden: Ob bereits erkrankte Tiere zusätzlich geimpft
werden sollen, ist umstritten. Ein erster Ausbruch der Krankheit kann sehr
heftig verlaufen. In solchen Fällen wird von einer zusätzlichen Impfung
eher abgeraten. Zeigt eine Schafherde wiederholt Probleme mit Lippengrind, ist die Impfung der Mutterschafe 3-4 Wochen vor dem Ablammen
angezeigt. Der Impfstoffhersteller empfiehlt, Ziegen ausserhalb der Trächtigkeit zu impfen. Schaf- und Ziegenlämmer sollen nach dem Auftreten der
ersten Symptome geimpft und die Impfung nach 10 Tagen wiederholt werden, falls die Symptome nicht abgeklungen sind. » Bild 7, 8
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7 Die veränderten Hautstellen müssen regelmässig gewaschen
werden.
8 Nach dem Waschen werden die erkrankten Hautbezirke mit
Jodlösung desinfiziert.
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