Grundlegung der Ethik

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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Grundlegung der Ethik
Teil A: Orientierung über Situation, Ansatz und Aufgabe der theologischen
Ethik (formale Grundlegung)
- Krise: abendländische und neuzeitliche Weltgestaltung
→ Wohlstand & gesichertes Leben, Konfrontation mit Kehrseite:
Naturkatastrophen, Kriege, Arbeitsverteilung
- erschöpfte Menschen, Heimatlosigkeit
- Mensch muß sich als gefährdetes Wesen erkennen → Ethik soll aus der Krise raushelfen
- persönliche Frage: gelingendes Leben
- Interesse der Ethik: an der Gesellschaft + an der Kirche; Christen sind nach ihren Vorstellungen vom
gelingenden Leben gefragt
kritische Auseinandersetzung:
1. grundsätzliche Anfrage nach der ethischen Handlungsfähigkeit des Menschen
→ Kann sich der Mensch aus Rollenzwängen lösen?
Will er Gutes & Richtiges tun, wenn er es erkennt?
2. Wie weit reicht die einzelne ethische Entscheidung im Gesamtzusammenhang?
- moderne Lebenswelt fordert Lösungen; Macht / Ohnmacht
3. Anfrage an die Ethik: Pluralität der Meinungen / Orientierungen
- alles ist möglich, für nichts sind eindeutige Gründe zu fordern
- Orientierung an J.C. + Evangelium
- Scheitert das Bemühen an der Pluralität? Hebt es sich gegenseitig auf?
Herausforderung: Was kann christliche Ethik beitragen?
Kapitel 1: Einführung in die allgemeine ethische Diskussion
§1 Die ethische Fragestellung
1. Der Ruf in die ethische Verantwortung
a) Die ethische Fragestellung als Möglichkeit und Notwendigkeit des Menschseins
- Theorie der Lebensführung, des Handelns
- Warum ist die ethische Fragestellung notwendig? Selbstreflexion des Glaubens
- Mensch steht nicht mehr unter dem Kausalgesetz, er ist zur Verantwortung + Gestaltung gerufen
- Wissen um Verantwortung ⇔ kaum Urteils- und Handlungsspielraum
- erkennt, daß er nicht mehr in Traditionen & Konventionen gefangen ist, sondern selbst handeln kann
- Mensch kann sich zu sich und zur Welt verhalten
⇒ Evolution: aufrechter Gang, Großhirn, nicht-Spezialisiertsein ermöglicht freie Entfaltung
- Mensch hat Freiheit und muß sie wahrnehmen
- Mensch nicht nur biologisch, sondern auch historisch bestimmt → Frage ob er die Geschichte fortsetzen
will oder nicht
- Konfliktsituation: Situationen, in denen Entscheidungen mit Alternativen verbunden sind
- eigene Konflikte
Mensch
Wirklichkeit
Gefühl, Verhalten, Wunsch
anderen
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selbst
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⇒ Frage nach der eigenen Identität und Besonderheit, Gemeinschaft, Zusammenleben
- Wirklichkeit widerfährt uns; Handlungsspielraum; Offenheit der Wirklichkeit
- Kant: Alle Menschen haben die gleichen Erfassungsmöglichkeiten der Wirklichkeit
heute: Jeder hat andere Möglichkeiten
Mensch ist durch die Offenheit der Wirklichkeit gezwungen zu handeln.
Mensch existiert nur als Person in seinem Handeln. → Gefährdung, Grenzsituation
Die ethische Fragestellung ist also notwendig, möglich, gefährlich.
- gr. Ethiker (Sokrates, Jesus) waren ziemlich in Gefahr
b) Die ethische Fragestellung als Möglichkeit und Notwendigkeit des Glaubens
- Glauben und sein Verhältnis zum Handeln (reformatorisch)
- Grundlegende (biblische) Sicht: Mensch als Gegenüber Gottes ⇒ Anredung, Zuspruch Gottes
- biblische Sicht bestimmt das Wesen der Menschen aus dem Verhältnis
- Rechtfertigung ist mehr als die Summe der Rechten, Pflichten & Erfolge
- Glaube ist dem ethischen Verhalten vorgeordnet
→ Was sollen wir tun? ist die 2. Frage
- Rechtfertigung: Wir sollen nicht ein Projekt aus uns machen, sondern uns dem Christusgeschehen
aussetzen und die Gnade Gottes zusagen lassen
→ erst wo der Mensch sich so versteht, ist er frei
- Werke sind die Früchte des Glaubens (aus Dankbarkeit und Liebe)
- Mensch ist in seinem Handeln gefangen:
a) weiß um das Gute, tut es aber nicht
b) gefangen in der Sünde, Gruppenzwang
- Hören auf Gott
- Glaube weiß, daß das Neue schon J. C. angefangen hat
⇒ Glaube weiß um die Notwendigkeit + Grenzen + Schwierigkeit
c) Die ethische Reflexion als Aufgabe und Chance
- ethische Theorie ist ein Kennzeichen der Humanität des Menschen
- Einwände gg. ethische Theorie:
a) kommt sie nicht zu spät
b) Ethik als nachträgliche RF eigener Entscheidungen
c) Verpacken von Interessen auf höherem Niveau
d) Pluralität der Meinungen unüberwindbar
e) Differenz zwischen Theorie & Praxis
- ethische Theorie ist ein Kennzeichen der Humanität des Menschen
- inneren Zusammenhang des Handelns (Gründe) erkennen
- Killerphrasen: „Das ist nicht modern! Das ist gegen das Evangelium!“
2. Das Verständnis von Ethik und sein Umfeld
a) Vorethisches Verhalten
- man kann sich nicht nicht verhalten
- Vorethisches Verhalten ohne ethische Reflexion
- ethische Dauerreflexion verhindert Handeln
- Begriff Konvention: • Mode, Etikette
• Regelung von Handlungsgewohnheiten + Handlungen, Bräuche
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b) Sitte, Moral, Ethos und Recht
Sitte: 2-fach verwendet: a) = Konvention, Bräuche
b) seit Schleiermacher: Sitte = Ethos
= Moral
Moral: a) = Ethos (oft im kath. Bereich so gebraucht)
b) Track: expl. Gebote + Verbote, die das Zusammenleben bestimmen;
Konventionen: Regeln im Umgang; gesellschaftl. vorhandene Meinung, was gut & Recht ist
- kann sich durch die Berufung auf die Moral rechtfertigen
- autoritäre Vermittlung der Moral
→ Grundsätze werden formuliert, aber nicht reflektiert.
- Moral ist wandelbar (z. B. Sexualethik: Sex nur in der Ehe gottgewollt, Rest = Sünde; seit 50 Jh. bricht
diese Moral auf)
Recht: 2fache Funktion: a) Recht kriegen
b) Recht verlangen
- Recht von Handlungsregeln und Handlungsspielräumen bestimmt
- Recht immer in Verbindung mit Sanktionen
- hat konstruktive Funktion
- Gewaltmonopol: geregeltes Verfahren; Praxis der Rechtsauslegungen + Rechtsanwendungen
Ethos: • hqoj: Weidegemeinschaft, Sitte, Heimat
• sxetikoj: Was man sich zu eigen macht
- Aristoteles: • subj. Einstellung
• obj. Ethos
• Mensch kann in Annäherung das Gute erkennen
c) Ethik
- Theorie, was das gute Handeln ist
- reflexive, normative Ethik
- sowohl individuelles, als auch gemeinsames gutes Handeln
innerhalb der Ethik unterscheiden sich 3 Grundformen:
a) Deskriptive Ethik:
- Versuch, die verschiedenen Einstellungen (Ethiken) mit verschiedenen Mittel (ethnologisch; historisch)
zu beschreiben
b) Normative Ethik:
- will nicht erklären, will begründet und rechtfertigend entfalten
- 3 Grundformen: • deontologische Ethik (Gebote)
• Axiologische Ethik (Werte, Ziele)
• teleologische Ethik (denkt vom Ziel her)
c) Metaethik
- Nachdenken über das Begründen
d) Die Grundfragen der Ethik
- Frage: Was sollen wir tun?
→ ethischer Anspruch, Motive des Handelns
⇒ Entstehung: Kant: „Am Anfang aller Ethik steht der Grundentschluß der
Ethik, das Pflichtbewußtsein!“
- Gesinnungsethik, Verantwortungsethik
1.) autonom (menschliches Subjekt bestimmt das Gesetz des Handelns)
2.) heteronom (handelt nach Autoritäten)
- Wie können Ziele des Handelns näher bestimmt werden?
→ formale Unterscheidung: Schleiermacher: „Gutes herstellen! Erfüllung von Pflichten!“
→ Gerechtigkeit, Liebe, Heil
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- Inhalte: Unterschied von deontologischer, axiologischer und teleologischer Ethik
• deontologiche E.: Seinsollen, Kants „Kategorischer Imperativ“
• axiologische E.: Max Scheler: „Werte sind im Handeln zu erbringen!“
• teleologische E.: Glückseligkeit des Einzelnen / der Gemeinschaft soll erreicht werden
- Frage um die Gestalt des Handelns → Verhältnis von Zweck und Mittel; Heiligt der Zweck die Mittel
- Was können wir tun?
→ Rahmenbedingung: Freiheitsthematik; Geschlechterdifferenz, Selbst- und Fremdbestimmung
Ethik hängt ab von Subjekt und Adressaten die Herrschaft Gottes hier + jetzt zu verwirklichen
- Reflexion: Woher gewinnen wir ethische Orientierung (Handeln, Normen)
→ Begründung ethischer Einsichten
Neuzeit → Entfaltung einer einsichtsfähigen Ethik
- Vermittlung der ethischen Einsicht:
Neuzeit wollte Ethik für alle (universale Verpflichtung wie mit Menschen umzugehen sei)
→ Was gilt für Christen? Durchsetzung der Normen: Wie? Mittels Sanktionen?
3. Die Einführung in die Grundbegriffe der Ethik
a) Handlung
- I. körperliche II. psychische III. geistige
- Lebensführung und Handlung
- aktives + passives Tun
- Handlung geht von Instanz aus
- Handlungsgelegenheit – Handlungsfähigkeit
- Ethik-Diskussion um die bewußt vollziehbare Handlung des Menschen
→ irreversibel ⇒ Folgen?
- Erwägung ⇔ Handlung
→ Sollfreie Gedanken
- Auseinandersetzung von Vollzug und Geschehen
- Handlungsintention ⇔ tatsächliches Geschehen der Handlung
b) Ziele und Urteile
- Ziele sind erfahrungsbestimmt; Selbstreflektion
- Urteile: Ziele beurteilen; Nach welchen Kriterien wird beurteilt? Gut, Gerechtigkeit, Nutzen, Weisheit
c) Handlungen und Tugenden
- Ziele sind belegt von grundlegenden Zielvorstellungen
- Ziele bestimmen mich selber in meinem Sein / Verhalten
- Grundhaltung (Tugend) aneigenen und in der konkreten Situation danach handeln
- Antike Platon: Ethik = Tugendlehre; Für jedes braucht man eine Tugend Besonnenheit, Tapferkeit,
Weisheit
- Grundeinstellung = Habitus (Scholastiker)
- Aristoteles: • man braucht Praxis in der Einübung
• Was wichtig ist in uns selber; in der materiellen Bestimmung
• Bestimmung, was Ethik sein soll, die Vernunft gebrauchen
• Orientierung an der Tapferkeit, Maßhalten lernen, Genauigkeit
• an Gerechtigkeit und Güte orientiert sein
- Luther: „Wir sind nicht Herr über uns selbst!“
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d) Pflichten, Werte, Güter
Werte: Wie kann man das erkennen? WERTHIERACHIE
Grundwerte; subjektive Setzungen
Wie verhält sich das Wertesystem zueinander?
Pflichten:
Antike; Stoiker: Mensch soll tun, was seine Pflicht ist und ihm durch die Natur zukommt.
unbedingtes Sollen → Grundentschluß der ethischen Verantwortung
e) Normen
- präskriptive Redeweise → Anweisungen („Machen Sie die Tür auf! → ohne Warum)
→ Aufforderungen (Ziel ohne Mittel dazu angeben)
Jemand wird zu einer an ein Objekt gerichtete Handlung angewiesen.
- Normen: ethische Aussagen, keine Befehle
es ist geboten / verboten, dies und das zu tun
z. B: es ist verboten, zu töten
- Doppelte Funktion: • zu Handlungen anleiten, die zu lassen oder zu tun sind
• urteilende Funktion stellt verbindliche Maßstäbe her
4. Das Begründungs- und Rechtfertigungsproblem
a) Unterscheidung in Reichweite und Geltung
- universale Normen: für alle Menschen, zu allen Zeiten, an allen Orten
eingeschränkte Normen:
- Geltungsbereich: • Geltungsanspruch
• (gilt nicht für alle) faktische Geltung
b) Unbedingte und bedingte Normen
- Liebesgebot → unbedingte Norm
- Kants Kategorischer Imperativ → Grundnorm
c) Materiale Norm und Metanorm
Grundnorm (Liebesgebot)
Basisnorm (Werte achten)
generelle Normen (für alle geboten)
konkrete Normen (Es ist geboten, dies und das zu tun.)
- Metanorm (Wie sollen Normen gewonnen werden?)
allgemein einsichtige Vernunft
Diskursbegründung
theol.: Die Normen, die dem Offenbarungswillen entsprechen.
Offenbarung, Glaube + Vernunft und Erfahrung
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d) Erste Einsichten zum Begründungsproblem
- 1. Immer innerhalb eines Normengefüges
2. ethische Letztbegründung von Norm nicht möglich
- Begründungs- und Rechtfertigungsproblem problematisieren und durchschaubar zu machen
3. ethische Normbildung kommt zu Argumenten und Gründen; konstituiert durch Erfahrung
→ selbstbestimmte Entscheidung
§2 Ethische Konzeptionen der Neuzeit
1. Die Ausgangssituation neuzeitlicher Ethik
a) Klassische philosophische Ethik
- Was Philosophie ist, ist umstritten
- Gesprächspartner kennenlernen
- ohne Philosophie kann man theologische Ethik nicht verstehen
- Karl Barth: Offenbarung zur Geltung bringen → aber nicht trinitarisch anfangen
- empirisch orientierte Ethik
- Ausgangssituation: Verstehen ist nur in der Situation möglich
→ Bestimmung, was philosophische Ethik ist, ist umstritten, jede Definition von Philosophie steht immer in
Relation mit der Einsicht von Philosophie
Philosophie ist auf das Ganze der Wirklichkeit ausgerichtet, nach Kriterien angemessenen Verstehens
Handelns fragen
- Daseins- und Handlungsorientierung
- Ratschläge und Vorschläge entfalten
- kritische Erfassung von allem; dem Menschen die Bedingungen und Möglichkeiten des Handelns
aufzeigen
Woher gewinnt man Erkenntnisse und Maßstäbe vom Handeln und Leben?
Antike: eine Erkenntnis der Wirklichkeit ist möglich; innerhalb der Erkenntnis das Gute zu erkennen ist
möglich
1. Mensch kann irren
- Mainstream: Platon, Stoiker: Ordnung des Seins und Natur des Menschen zu erkennen ist möglich,
weil in uns allen etwas Göttliches ist.
- Was ist das Göttliche? Göttliches als Ursprung und Gut der Dinge
- Reflexion der traditionellen Herrschaftssysteme
2. nicht nur Ordnungs –und Wesenserkenntnis
→ in der Wesenserkenntnis ist es möglich, das Gute zu erkennen
3. sophistische Kritik:
→ Mensch kann nicht nur Gutes erkennen, sondern auch danach handeln
Platon: Mensch ist geistbegabt, gut zu handeln, Mensch ist vernunftbegabt diese Vernunft in Theorie
und Praxis umzusetzen; Mensch sollte die Freiheit haben, gut zu handeln
- Aufbau des Philosophierens bei den Vorsokratikern:
mystische Welt → man will sich Aufklärung verschaffen
→ an Stelle der Alltagsreligion will man wissen, was das Göttliche ist
⇒ das Göttliche ist das wirkliche Prinzip alles Wirklichen
- Herrschaft → Reflexion über Gesetze und Recht, Beteiligung an der Verantwortung
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- Fragen: Was ist wirklich das Wahre, Gute, Schöne?
Phytagoräer: Kosmos ist wohlgeordnet, Ordnung, Harmonie
→ orientalische Auffassung: göttliche Allseele weht in allem
→ Schau dieser göttlichen Ordnung; laßt uns gottähnlich werden
⇒ Ethik heißt sich an dieser Schau zu beteiligen und gottähnlich zu werden
- durch asketische Lebensweise kann man den Kreislauf der Wiedergeburten durchbrechen
→ in sich selber Ordnung halten; alle Organen in Ordnung halten, auch in der Gesellschaft
Heraklit (550-480 v.Chr.): menschliches Logos hat göttliches Logos
Empedokles (490-430 v. Chr.): in allen Elementen sind 2 Grundelemente Liebe
⇒ Aufgabe → Liebe soll herrschen, Streit durchbrechen
Grundfigur in der Ethik:
Immer wenn starke Ansprüche erhoben werden, gibt es starke Gegenbewegungen
Sophisten: Skepzis gegenüber der Erfassungsmöglichkeit der Wirklichkeit des Menschen
Infragestellung der Welterkenntnis
Woher gewinnen wir dann Erkenntnis?
Wie können aber Menschen Geschichte und Kultur erkennen?
- Differenz zwischen Natur und Kultur des Menschen;
Mensch ist interessenbestimmtes Wesen, handelt daher, wie er es für angemessen hält;
kann nur innerhalb seiner geschichtlichen Situation handeln
Protagoras (481-411 v.Chr.): Mensch ist das Maß aller Dinge!
→ Deshalb kommt es darauf an, was der Mensch aus sich macht. (Hegel)
Sophisten: Es geht um Praxis und angewandte Erkenntnis und Utilitarismus (Nutzen)
- Durchsetzungsfähigkeit, Überredungskunst, Glück fordern ⇒ Ausbildung in Rhetorik
- in der Gemeinschaft: Gesetze immer positiv geschichtlich; alle Menschen sind gleich
→ auf dieser Basis versuchen die Sophisten ihre Ethik zu entfalten
Sokrates (470-399 v.Chr.):
- Diskussionsklima vorgeben
- Wie kann Leben gelingen? → Frage nach der Glückseligkeit
- Wenn man kritisch fragt, kommt man dem Wesen der Dinge auf den Grund
- Fragen → ethisches Wissen → Handeln
→ Man muß wissen was Schwimmen ist, um Schwimmen zu können
- Frage nach dem Wesen der Dinge
Platon (424 v. Chr. – 347 v. Chr.):
- nicht nur körperliche, sondern geistige Welt der Idee
- Seele wird daran erinnert, daß sie bevor die in die körperliche Welt eingeht, die Ideen geschaut hat
- gerechte Verhalten → Erinnerung an die Gerechtigkeit
tapferes Verhalten → Erinnerung an die Tapferkeit
- Erkenntnis der Ideen gipfelt in der Erkenntnis des Guten
- Aufstieg der Seele zum Guten, Teilnahme am Göttlichen, Einbindung in die Materie, in der Einbindung kann
sie den Eros der Wahrheit erkennen; im Erkennen vollzieht sich ein Reinigungsprozeß
- Platon geht den Weg von Außen nach Innen:
Dinge außen bringen mich zur Erkenntnis der inneren Dinge
→ Wiedererinnerung → Teilhabe an göttl. Erleuchtung
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Ethik als Weg von Außen nach Innen
Aristoteles (384-322 v. Chr.):
- das wahre allgemeine Wesen des Menschen / einzelnen Menschen; des Baumes / einzelnen Baumes
erkennen
- vernunftgemäß handeln
- Vernunft nimmt Affekte und Gefühle wahr und steuert sie
- bevor es in die Praxis geht, muß man entscheiden (→ konkrete Erfahrung + gemeinsame Beratung)
- Mensch ist auch soziales Wesen
→ unterschiedliche Begabung; alle Menschen sind gleich
⇒ Die politische Kunst ist es, den Ausgleich dazwischen zu finden
Die Positionen setzen voraus, daß es eine Polis gibt, in der die Sklaven die Arbeit machen
Kyniker: Subjektorientierung
Anthistenes: Frage nach der Tugend und der Glückseligkeit
Frage nach der Leiblichkeit und nach der Materie; Kyniker wollen Abwertung der
Leiblichkeit nicht mitmachen
- Kyniker sind wesensorientiert → später Sensualismus
- Leben gewinnt man, wenn man sich von dem kulturell-idealistischen Überbau löst und einfach lebt
- Kynische Philosophie ist Philosophie von unten
- Diogenes ist für Platon ein Mensch ohne Verstand
- Diogenes inszeniert seine Einsichten in der Öffentlichkeit
→ Respektlosigkeit gegenüber Alexander dem Großen
→ bringt seine Leiblichkeit offen zur Geltung (furzt und masturbiert in aller Öffentlichkeit)
Kynismus ist die antike Hippibewegung
nach Tod von Alexander dem Großen (336-323 v. Chr.) → Beginn des Hellenismus
- die Souveränität liegt beim Monarchen, nicht mehr beim Volk
- griechischer Mythos trägt nicht mehr → orientalischer Mysterienkult
⇒ Wie kann persönliches Leben gelingen?
⇒ Universalismus: Was für mich gut ist, ist auch für die anderen gut
Epikur (341-271 v.Chr.):
- bestimmt durch Leiblichkeit und Sinnlichkeit
- Wie können wir uns mit Vernunft in Beziehung setzen?
- Zur Ruhe kommen wir nur, wenn wir von Leiblichkeit und Sinnlichkeit Abstand gewinnen.
Zur Lust kommen wir durch Befreiung der Unlust, Befreiung von der Begierde, Befreiung von den Gefühlen
der Furcht (vor Schmerzen und Tod) und Angst
- Seelenfrieden kriegen wir nur, indem wir sagen, daß uns der Tod nichts angeht
- WARUM geschieht das? Loslösung von diesem WARUM
- davon freimachen, daß das Unglück Strafe der Götter sei
→ wahre Frömmigkeit, die Dinge zu nehmen wie sie sind
- Wittgenstein (1889-1951): Die wahre Kunst ist es, Dinge so zu nehmen, wie sie sind
- Ataraxia: Unerschütterlichkeit und Unverletzlichkeit der Seele
Stoa (um 308 v. Chr. von Zenon von Kition gegründet):
- jüngere Stoa (Marc Aurel): Frage nach der Erkenntnis
→ Mensch ist unbeschriebene Tafel, nach Erfahrungen lernt er Zuordnungen, entwickelt Vorstellungen
von der Welt
- Erfahrung
- Ethik: Verwirklichung des Glücks? Wie? Meinen inneren Frieden gewinne ich dann, wenn ich
übereinstimmend lebe; Übereinstimmung mit der Natur, ihrer Ordnung; lebe entsprechend dem Wesen
des Menschen (Freiheit, Mensch muß sich zu Welt verhalten)
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b) Das neuzeitliche Selbst- und Weltverständnis
- Erfahrung, Vernunft, Methodik
- Erfahrung präzisieren: die Wirklichkeit methodisch erfassen ⇒ Macht über Natur und Geschichte
- Erfahrung und Vernunft sollen methodisch betrachtet / untersucht werden
⇒ neues Selbstverständnis
- EMANZIPATION: Raus aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit!
Befreiung aus undurchschauten Gesellschaftsstrukturen und Rollen von Ordnungen
und Institutionen
- AUTONOMIE: eigene Wahrheit und Sitte verantworten
- SUBJEKTIVITÄT: Mensch ist herausgefallen, seine Welt zu gestalten. Mensch als Subjekt soll
verantworten
→ alles führt zu neuem Umgang mit der Wirklichkeit
- FREIHEIT: Grenzen sollen überwunden werden
Grundgefühl des Optimismus: Es ist vieles möglich; trotzdem viele Krisen, aber das
Grundgefühl bleibt
Wissenschaften sind erfolgreich → Anlaß für Optimismus
- MORAL (17./18. Jh.): Fortschritte in der Menschlichkeit möchte man haben
- Descartes, Kant, Lessing, Fichte → Ethik für die Moral
- Bürgertum: Ökonomie und Moral in Beziehung setzen
c) Die ethischen Fragen
- Descartes: • Selbstreflexion unserer Umwelt
→ aber auch eigenes Denken läßt sich in Zweifel ziehen
→ trotz Zweifel bin ich ein denkender Zweifler
• in der Ethik soll dieselbe Klarheit wie in der Mathematik herrschen
- Wie kommt man zu ethischen Einsicht?
→ eigenständig; fragen, was das Wesen des Menschen sei
→ Fragen nach der Natur des Menschen ⇒ Naturrechtsdebatte
Freiheit und Werke und Vernunft des Menschen
-
Menschen haben auch Selbstbehauptungswillen, Durchsetzungswillen
Was soll der Inhalt der Vertragstheorie sein? Frieden, Nutzen → Utilitarismus
Mensch hat Gefühle: Lust und Unlust; können diese Gefühle uns ethisch in der Ethik helfen
Wir sind Wesen der Geschichte und Gesellschaft
→ Bedenken der eigenen Geschichtlichkeit und Hineinversetzen in die Geschichte
2. Grundlegende Konzeptionen neuzeitlicher Ethik
a) Eudämonistische Ansätze (Hedonistische und utilitarische Ethik)
→ Ziel der Ethik ist Glückseligkeit, unter Einschluß der Gefühle (Vgl. Antike)
- Glückseligkeit gewinnt man in der Neuzeit (eudämonistischen Zeit) nicht durch Abkehr von der
Leiblichkeit ⇔ im Gegenteil: Annahme der Gefühle
David Jung (1711-1776):
- Erkenntnistheorie nominalistisch orientiert
- Aufgliederung der Wirklichkeit
→ Menschliches Verhalten aufgliedern in Freundschaft und Liebe
- Mensch leistet Verknüpfung derAufgliederung; Verknüpfungen sind traditionell vorbestimmt
- pragmatisches Element: Bewähren sich diese Verknüpfungen in der Praxis?
- nicht vom Sein auf das Sollen schließen
- Der Weg des Naturrechts steht uns nicht offen
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- Wenn wir unseren Gefühlen folgen; Gefühle der Billigung und der Mißbilligung
- Wie kommt es zu diesen Gefühlen?
→ dahinter steht Erfahrung von Lust, Angenehmen und Nützlichen
⇒ dies wird ethischer Urteilsmaßstab
⇒ auch Lust am anderen und am Gelingen des anderen
Wir sollen uns am Sympathiegefühl orientieren.
- Sympathiegefühl und Regeln. Jeder Mensch hat seine eigenen Gefühle
- Gesellschaft soll bestimmt sein, durch gegenseitige Achtung der Anderen
- Gerechtigkeit, Eigenständigkeit, Treue
Kant: intensive Auseinandersetzung mit Jung; Leiblichkeit und Gefühl sind keine Basis
Utilitarismus:
- Was soll das gesellschaftliche Zusammenleben bestimmen (Jung)?
→ erfolgsorientiert-Sein
- Vereinbarung der unterschiedlichen Zwecke?
→ Wenn es um Zwecke der Gemeinschaft geht, soll man nach gemeinsamen Nutzen trachten
→ nicht nur individuell, sondern am größtmöglichen Nutzen aller orientieren (Stuart Mill)
- Aufgabe der ethischen Erziehung und Bildung:
→ Menschen zum Nutzen aller erziehen; Steigerung von Freude, Verminderung von Leid
Staat soll Regeln dazu aufstellen
1. Jeder soll Recht auf Eigentum, Arbeit, politische Beteiligung haben
(Dies ist aufgenommen von der im 20. Jh. in politischer Ethik und Wirtschaftsethik)
2-stufiger Regelutilitarismus in der heutigen Wirtschaftsethik:
Wie kann man das Gefangenendilemma verändern?
1. Regeln treffen, daß die durch Recht verfolgt und bestraft werden, die sich nicht an die Regeln halten.
Diejenigen, die nur den eigenen Vorteil suchen, müssen eingegliedert werden.
2. Innerhalb des Rahmens Freiheit + Durchsetzungsvermögen schaffen.
Man kann Anreize schaffen, in dem man das Verhalten prämiert.
Peter Singer (australischer Philosoph):
- Zuwachs an Glück und Nutzen
- beim Fragen nach dem Nutzen sind 2 Dinge wichtig:
1. Nicht nur meine Idee zählt; Beste Konsequenzen für alle
2. klare Interessen und Nutzenabwegung
Problem Euthanasie: Recht auf Autonomie eingeschränkt; Medizin: ökonomische Folgen
b) Naturrechtliche und vortragstheoretische Ansätze
- Platon / Aristoteles
- Frage nach der Schöpfung nicht mehr im religiösen Sinn zu verstehen, sondern auf den Menschen bezogen
zu verstehen
- Naturrecht entfaltet Hugo Grotius „Et si deus non daretur.“
→ Ethik, die nicht religiös fundiert ist, sondern für alle gilt, aufgenommen von Huffendert und Thomasius
- Zusammenleben gekennzeichnet durch Akzeptanz des Anderen, wenn Schaden entsteht, muß er wieder
gutgemacht werden
- homo homini lupus
→ Tun dagegen: Gesetz fürs erträgliche Miteinander schaffen
⇔ Frieden, Gewaltfreiheit, Einhaltung von Verträgen, Achten der gegenseitigen Freiheit,
Gesellschaftsvertrag (demokratisch) aufsetzen
- Staat soll diesen Vertrag durchsetzen
Hobbes: Staat ist Leviathan (Gott)
Widerstand gegenüber dem Staat nur dann angebracht, wenn er seiner Funktion nicht
nachkommt
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Rousseau (1670-1741): Mittelstellung zwischen Vertragstheorie und Naturrecht
- Mensch ist von Natur aus gut, Gefühl und Sehnen nach Freiheit, gesunder Menschenverstand
- Mensch verdorben durch kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung
- Mensch nicht vom Egoismus geprägt; Möglichkeit zur Mitleidsfähigkeit
- Rousseau glaubt an die Unsterblichkeit der Seele
- Kulturreformierung und Gesellschaftsvertrag (Bedarfsorientierung der Wirtschaft; keine Luxusgüter
kein Privateigentum, tugendhafter Bürger
allgemeiner Wille, das Gute)
20. Jh.: Gedanken Rousseaus wurden vom Marxismus / Leninismus aufgenommen
John Rawls (geb. 1921):
- gemeinsam soll man an der Gerechtigkeit orientiert sein → Was ist Gerechtigkeit
→ eine persönliche Gerechtigkeit, sondern Eigenschaft der Gesellschaft
- 2 Prinzipien:
1. Jede Person hat das gleiche Recht auf die größte Freiheit (Selbstverwirklichung)
2. Ungleichheiten (m./f.) müssen akzeptiert werden
→ Gefahr, wenn diese Ungleichheit nicht zum Vorteil aller eingesetzt werden
(Sozialbindung des Eigentums)
→ Personen mit ungünstigen Voraussetzungen fördern
- Vorrang der Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit
- Alle sollen an der Anwendung der Regel beteiligt werden
c) Pflichtethik (Kant 1724-1804)
- Kant sieht, daß der neuzeitliche Ansatz in der Erkenntnistheorie und Ethik gescheitert ist, weil
Erkenntnistheorie und Ethiken nicht auf Basis gebracht werden können
- fragt, ob es nicht möglich ist, nur allgemein-rationale Begründungen geben zu können
- Unerbittlichkeit, die Vernunft zur Geltung zu bringen
- theoretische Vernunft: Keine Instanz zur Erfassung der Wirklichkeit an sich Es gibt aber Allgemeinheit,
daß alle Menschen gleiche Grundperspektive zur Wirklichkeitsauffassung haben.
- Gott als allumfassende Idee
- Menschen haben schon eine Vorstellung von Zeit und Raum
- Idee der Seele (modern: das Ich des Selbst)
→ folgendes Problem für die Ethik:
Mensch kann nichts über die Wirklichkeit an sich sagen; keine Begründungen ihrer Erfahrungen in der
Wirklichkeit
→ Situationsreflexion
- die Wirklichkeit kann nicht empirisch begründet werden; einzige Möglichkeit, auf unsere Situation zu
reflektieren
- theoretische Vernunft kann nicht sagen, ob es Freiheit gibt → Mensch hat eigene Wünsche, aber ob er
frei ist, kann ihm die theoretische Vernunft nicht sagen
- Annahmen machen:
1. Wir haben Freiheit und sind ethisch verantwortliche Subjekte. Mensch als ethisches Subjekt soll sich
verantworten.
2. Mensch soll das Unbedingte Sollen auf sich beziehen
- Frage: Wie kommt man zum Guten?
→ Kant: „Gut ist, wenn jemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Gut ist aber der gute Willen
aller, der sich unter das unbedingte Sollen stellt.“
1. guter Wille (ethisch verantwortbare Handlung soll aus Pflicht und Nutzen erfolgen)
2. Jeder muß autonomes Wesen sein
⇒ erkennen: Alle Menschen stehen unter dem Anspruch und Gesetz des Sollens.
Alle Menschen sind verantwortliche Subjekte.
Der andere Mensch ist auch ethisch verantwortlich und daher in seinen Werken zu achten
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Maxime:
1) Imperativ: Handle nur nach den Maximen, die verallgemeinerungsfähig sind
2) Nie darf man einen anderen Menschen zum Mittel (zu einem Zweck gebrauchen) machen
d) marxistische Ethik
Hegel (1770-1831):
- positiv zu Kant bei der Autonomie, moralische Verpflichtung (Sollensanspruch hält er für richtig)
- ¾s Kopf; Idealismus ist 1/1 Kopf
1. Kritik ⇔ Kants Rede von der Freiheit
- Ethik Grundbedingung: Mensch ist frei
moralisches Ich: Freiheitsich
empirisches Ich: dem Kausalgesetz unterliegen
Dualismus zwischen moralischen und empirischem Ich für Hegel nicht angemessen.
2. Kritik
- objektive Welt und begegnete Welt (nicht wirklich erfassen können)
- Mensch kann seinen Sollensanspruch wahrnehmen
- Welt, die wieder den Naturgesetzen unterliegt
3. Kritik
- Kant reduziert das Gute auf den guten Willen
- Hegel: Dies ist Abstraktion, es soll Gutes in dieser Wirklichkeit geschaffen werden
- erkenne, was das umfassende sittlich gute Verhalten in der Geschichte ist
- Sittlichkeit muß umfassend sein
- Kant: Man kann nicht genaue Auskunft über das Gute geben
- Hegel: Sowohl in der Philosophie als auch in der Ethik müssen wir umfassende Antworten finden, die im
Dualismus geschehen
→ nicht über die traditionelle Metaphysik Antworten finden
→ Spannungen zwischen Subjekt und Objekt muß begriffen werden
Methode → Dialektik; beides ernstnehmen und in innere Beziehung setzen
Dreischrittmethode der Dialektik:
Thesis
Antithesis
Synthesis (Wie? Durchs Verstehen, was läuft)
Hegel: Gott ist nicht zu denken, als das in sich ruhende Subjekt, sondern zu begreifen, daß er in der
Dialektik handelt. Welt ist endlich, Gott unendlich. Diesen Gegensatz auch sich heraussetzen, daß
er seinen Geist an den Ort des anderen begibt (Vgl. Kreuz)
- Vermittlung von Freiheit und Gesetz
- Sittlichkeit umschließt beides: persönliche und gemeinsame Sittlichkeit
Karl Marx (1818-1883):
- kritisiert in der selben Weise wie Hegel: Kant ist abstrakt
- Hegel entwickelt
- die Situation, in der wir leben ist wirkliche Geschichte mit soziologischen und ökonomischen Bedingungen
⇒ Verwirklichung des Guten nur durch Änderung der sozio-ökonomischen Bedingungen
- sozio-ökonomischen Bedingungen prägen das Verhalten
- ökonomische Verhältnisse bedenken, daß die Moral davon bestimmt ist
- die Verhältnisse sind vom Wandel durchzogen → Aufgabe der Ethik: diesen Wandel untersuchen
- Proletariat ist der Ort, wo sich ökonomisches Verhalten am meisten auswirkt
→ Protest gegen die herrschende Moral
→ Bewegung muß vom ihm ausgehen
- neue Humanität: freie allseitige Persönlichkeit; kein Privateigentum
⇒ Moral möglich jenseits vom Profitdenken und Konkurrenzkampf
- wahre ethische Kraft ist das Leiden an Unrecht am faktisch Bösen in den gesellschaftl. Verhältnissen,
das läßt einen zum menschlichen Subjekt werden
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- kategorischer Imperativ: Situation ändern, wo der Mensch ein erniedrigtes, verlassendes, verächtliche
und geknechtetes Wesen ist
Bloch (1885-1977):
- hat die Theologie der 60er und 70er Jahre beeinflußt → Theologie der Hoffnung
- viele Eschatologien setzen sich mit Bloch auseinander
- Grundstrukturen der Menschheit: Offenheit, Handlungsspielraum
Mensch ist geschichtliches Wesen → Frage nach der Zukunft. über die
Gegenwart hinaus
- von der Hoffnung her bestimmt der Mensch sein Ich
- „Ich bin, aber ich habe mich nicht, darum werden wir erst!“
- Menschsein heißt, daß wir miteinander unsere Zukunft gestalten
- ethische Frage: Was sind Hoffnungsbilder, Utopien, die den Menschen in seinem Handeln bestimmen
sollen?
- Mensch ist bestimmt von seiner Leiblichkeit bestimmt:
→ Hunger: Symbol für das Erkennen der materiellen Existenz; voranschreiten, nach Neuem ausrichten;
Hunger nach Leben und Sinn → Sehnen nach einer besseren Zukunft
- Geschichte: Hunger nach aufrechtem Gang → keine Niederdrückenlassen von der Macht der Verhältnisse
- Hunger ist mit der Grenze (Tod) konfrontiert
- Bloch: Man ist feige, wenn man angesichts des Todes nicht mehr in die Zukunft schaut; wenn man auf den
ausgetretenen Pfaden bleibt.
- konkrete Utopie, die letzt Utopie (Naturalisierung des Menschen und Humanisierung der Natur)
→ dann kommt man in die Heimat
- Leben ist mit Krisen und Enttäuschungen verbunden
- Ziel ethischen Handelns: unterwegs-Sein; sich für seine Tagträume und Utopien einsetzen;
Optimismus mit Trauerflor kämpfen!
e) „neue“ Moral (Nietzsche 1844-1900)
- stellt sich hinter die Auffassung Kants; Ethik ist Handeln, bei dem es um Sollen geht
- kritisiert, daß es das Ziel des ethischen Handelns ist, daß es um das Glück aller geht
- traditionelle Metaphysik
- Gott ist tot; Nihilismus
- alle moralischen Grundsätze sind Konventionen
- wo immer was anderes versucht wird, muß man die Verlogenheit und Irrtum des Versuchs aufdecken
- Liebesgebot gibt es nur, weil die Menschen sich schuldig fühlen
- Ergebnis: Es ist nichts mit der Wahrheit, wir irren uns!
Es ist nichts mit der Religion und mit der Kultur und ihren Einsetzungen!
Es ist nichts mit der Moral, keine Evidenz des Moralischen.
Was im Nihilismus bleibt, ist das Leben des einzelnen; Selbstbehauptung des Lebens;
Nicht Haustier, sondern Raubtier ist das Ideal
Wille zur Selbstentfaltung
Aufklärerische Rede von der Tugend ist Verkennung der wahren Situation.
Stellung des Menschen außerhalb der wahren Moral.
Rede vom Übermenschen, neuer Mensch, der sich zur Selbstbehauptung bekennt.
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3. Ein Programm – sein Erfolg und sein Scheitern
a) Die Bedeutung und Wirkung neuzeitlicher Ethik
- Erfahrung des Gelingens und des Scheiterns
1. neuzeitliche Entwicklung ist verbunden mit der Steigerung des menschlichen Wissens; allgemeines
ethisches Wissen; ungeahnte Kenntnisse über sich selbst
2. Steigerung der menschlichen Gestaltungsmöglichkeiten und der Macht
3. Steigerung der Bildung; Möglichkeiten des Schreibens, Lesens, allgemeinen Schulwesens,
Steigerung der Beteiligung an den menschlichen Kommunikationsmitteln
4. Steigerung des Rechtsverständnisses; Differenzierte Ausgestaltung des Rechts
5. Neue Wahrnehmung der sozialen Verantwortung → soziale Gesetzgebung
⇒ Bismarck: Absicherung in Blick auf Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit, Pflege (neueste Diskussion)
6. Achtung der Individualität → Freiheit der Lebensführung; Pluralität der Lebensmöglichkeiten
7. Orientierung an der Pflicht (seit den 70ern relativiert)
b) Theoretische und praktische Infragestellung
Theoretische Infragestellung:
- Ethik auf eine schwer subjektive Basis zu stellen; dieses Programm ist gescheitert; durch Erfahrung,
Vernunft, Methode gibt es keine Erkenntismöglichekeit
Entwürfe:
Eudämonistische Ansätze:
- Frage der Gefühle und der Leiblichkeit:
Ist es so, daß wir Lust an unserem und am Gelingen des anderen haben? (Jung)
Was tun wir im Konfliktfall?
Was ist gelingendes Leben?
Habe ich größeren Gewinn, wenn ich mich für den Nutzen aller einsetze?
Was ist der langfristige Nutzen konkret?
- Track: In der Ethik immer die Fragestellung des Nutzen mitbedenken.
Vertragstheorie; Entwürfe:
- Gesellschaft hat Verträge zwischen Subjekten, nicht Monarchen
- Wie soll Gesellschaftsvertrag aussehen? Orientierung an der guten Natur Rousseaus?
→ alle Ansätze geben keine Antwort; Immer eine doppeldeutige Antwort
Kant:
- Ethik: unter dem Rad der Neuzeit versucht er die Ethik auf eine intersubjektive Basis zu stellen
- Grundentschlüsse:
1. Freiheit gibt es, sich dem unbedingten Sollen zu stellen
2. Mensch soll in seiner Würde geachtet werden
→ Kritik an ihn: Mensch ist nicht leeres abstraktes Subjekt; dies geht ins eth. Urteil mit ein
Marx: Kritik an die gesellschaftl. Bedingungen
Frage an Marx: Woher hat das eth. Subjekt seine Motivation & Kraft
Nietzsche: Eingeständnis der neuzeitlichen Begründungsdebatte gescheitert
Rückgang zu dem, wo man anfangen könnte → Leben
praktische Infragestellung:
- Formalisierung + Sozialisierung des Freiheitsbegriffs
→ Mensch soll nicht heteronom gesteuert werden, soll sich selbstbestimmt sein
→ Einbindung von Freiheit in Ethik erfolgt nicht
⇒ formaler Freiheitsbegriff („Ich bin frei!“)
inhaltlicher Freiheitsbegriff tritt zurück
- neuzeitliches Bedürfnis: Sicherheit selber gewinnen, sich von den Eltern lösen
- Mensch braucht Freiheit zum Machtgewinn
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- Sieg der instrumentellen Vernunft: Mit dem Scheitern der Ethik wird deutlich, daß Bedingungen der
Welt erforschbar sind; Forschung kann 2 Fragen nicht klären:
1. Leben, wie? Was ist gelingendes Leben?
2. Woher kriegt der Mensch die Kraft für das Gute?
- Im Blick auf die Ziele sind wir merkwürdig und sprachlos
- Ethik in den Bereich des Subjektiven und der Freizeit
- Adorno / Horckheimer:
innerer Selbstwiderspruch der praktischen Vernunft
Mensch & Natur zum beherrschten Objekt gemacht
Adorno: Aufklärung ist selber irrational; Ohnmacht der praktischen Vernunft
⇒ bloße Zweck-Mittel Rationalität
- Herrschaft der Sachzwänge:
Wirklichkeit entsteht; fortis, fortis fortiter
→ Schaffung von umfassenderen Großstrukturen (Globalisierung)
- Teilung entsteht:
Arbeitswelt: Mensch soll wie naturwissenschaftl. Objekt sein; leistungsfähig; frei von Emotionen +
angebrachten Sein und Zielfragen
⇒ Alles, was das Leben ganzheitlich bestimmt → Privatleben
- Adorno: Markt wird zur gesetzlichen Macht; Tauschgesetzlichkeit
- Reduktion der ethischen Haltung auf die Freizeit:
verläßlich; kreativ & leistungsfähig in der Arbeitswelt; dies wird mit materiellem Gewinn angelockt
→ Versuch über Erziehung und Religion diese Haltung zu bestärken
- Religion → ins Private; aber zu pflegen, weil sie diese Grundmotivation bescheinigt ⇔ Ratlosigkeit
§3 Konzeption philosophischer und empirisch-orientierter Ethik im 20. Jh.
1. Die Ausgangssituation zu Beginn des 20. Jahrhunderts
a) Aufnahme und Kritik neuzeitlicher Konzeptionen
- Anfang des 20. Jh. Krisenverschärfung, dies fand seinen Ausdruck v. a. in der Kunst
- Ende der Moderne bei Nietzsche, Adorno, Horckheimer, Heidegger
- Aufklärung muß fortgesetzt werden
- Besser machen, wie?
1. genauere Erfahrung; Wissenschaftsimpetus; Pathos der Wissenschaftlichkeit
2. im Blick auf die Vernunft; genauer; methodischer
3. Emanzipation
- Steigerung der Frage „Wer ist der Mensch?“
→ begründen der phil. + empirischen Anthropologie
→ Aufschwung der Soziologie → dient zu genaueren Kenntnissen; INTENSIVE ETHIKDEBATTE
b) Aufgabenstellungen
1. Begründungsdebatte:
- zweifelsfreie Begründung entgegen der analytischen Philosophie
- Disziplin der Methaethik
- Frage nach der Sprache als Grundlage der Reflexion
Wie kommen ethische Urteile zustande?
Motiv der analytischen Philosophie:
- Was müssen wir unumgehbar in Anspruch nehmen, wenn wir reden?
Habermas: Was müssen 2, die sich verständigen wollen in Anspruch nehmen?
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Voraussetzungen: menschliches Zusammenleben → unumgehbar, daß wir uns verständigen müssen
2. Konstitutionsdebatte
Kant: Freiheit voraussetzen
genauer: Menschen sind geschichtlich vorherbestimmt
empirische, humanistische, ökologische Orientierung
Frage nach den leiblichen Voraussetzungen
3. Philosophische Wert- und Sinndebatte
Kant: Gutes nicht aus der Natur ablesbar, sondern nur aus Selbstreflexion
Stimmt das? Wie ist es mit Hinweisen aus der Welt?
Hinweise:
a) aufgrund von Erfahrung, Nachdenken über die Folgen
b) es gibt Werterfahrung in der Welt
c) Von der Nutzensfrage her
Luhmann: Funktionieren von Systemen muß dasein
4. Ende der Moderne → 2. Hälfte des 20. Jh. kritisch Fragen
2 Richtungen:
1. Wir sehen die Fragwürdigkeit des Moderne. Wir wollen sie korrigieren und richtig weiterführen.
2. Moderne
Studentenbewegung; Habermas
2. Wir müssen von der Moderne im wesentlichen Zügen Abstand nehmen.
Postmoderne
Adorno, Heidegger, ökologisch orientierte Entwürfe → Paradigmenwechsel (Hans Jonas)
Konservative Postmoderne: Langsamkeit, nicht gleich Fortschritt
Marquart: mit der beschränkten Änderlichkeit rechnen
franz. Postmoderne: Gewaltsamkeit der Moderne kritisch durchbrechen; das System unterlaufen; der
Vielfalt gewahr werden
Lyotard; Derida
2. Grundlegende Konzeptionen philosophischer Ethik
a) Wertethik
- Debatte wird neu aufgegriffen; welche Werte können wir erkennen?
- Klassische Ethik fragt nach der Glückseligkeit; dies ist nicht aus der Natur ablesbar
- Kant: Wir sollen nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht handeln. Unbedingtes Sollen
- Was können wir erkennen?
→ Nicolai Hart (1882-1950); Max Scheler (1874-1928)
- Wir müssen nach dem Wesen des Menschen fragen; Mensch ist weltoffenenes Wesen
- Kritik an Kant :
gut + böse bestimmt sich aus den Werten, die wir im Umgang mit der Wirklichkeit haben
- Scheler: es gibt ethische Intuition
→ Wesensschau: wo man Werte und Ordnungen erkennt
- Werte sind etwas eigenes, eigene Qualität, Ruhe in sich selber
- Warum sind Wertsetzungen so verschieden? Was sind die Werte?
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- menschl. Personsein + Grundwert : Wir sind nur dadurch Personen, daß wir sittlich handeln
- Wir sind Handelnde; Bestimmung als Person in der Wertverwirklichung; Mensch hat Geist
Wertstufung
Werte des sinnlichen Fühlens (angenehm-unangenehm; Welt des Genießens-Erleidens)
Werte des vitalen Fühlens (es gibt Edles-Niederträchtiges; gutes Befinden – schlechtes Befinden)
Werte des geistigen Fühlens (jeder hat Gefühl für schön-häßlich; wahr-unwahr; Billigung-Mißbilligung)
Werte des religiösen Fühlens
- nach Vollendung, Transzendenz, Gott fragen
- heilig-unheilig; Glauben-Unglauben; Liebe-Haß
Vollkommenheit in der Wahrheit und Liebe
→ Diese Vollkommenheit können wir nie erreichen
⇒
1.
2.
3.
4.
neuer Essenstialismus (nach dem Wesen der Werte fragen)
- an Scheler anknüpfend; Robert Spaemann
- Moderne will zu grundlegenden + einsichtigen Erkenntnissen kommen
- Modernen muß lernen, daß dieses Streben totalitär ist; die Utopie, die Sache ganz zu lösen ist unhaltbar
- gg. Kant: Wie soll man leben?
- zum Leben gehören grundlegende Spannungen
I. Kontingenz + Selbstbestimmung; Differenz zwischen Innen + Außen
II. eigene Interessen – andere Interessen; individuell gelingendes Leben – gemeinsam gelingendes Leben
Lustprinzip – Realitätsprinzip
III. Glück des Augenblicks – Glück des ganzen Lebens
nie die totale Freiheit, das totale Glück; gelingendes Leben als partielles Gelingen
Wir können über diese Knappheit hinaus fragen, warum jemand etwas gutes tut?
- Handeln im Kompromiß, was nach dem rechten Maß fragt
- Ethik: Es geht immer um Selbsterhaltung & Herrschaft
→ Frage der Ethik: Wie soll Macht vernünftig gestaltet werden?
- Es gibt Intuitionen von Werten, die bei uns die Richtung zeigen, wie man Antworten finden kann
⇔ Reflexion
- Leben soll von Wohlwollen bestimmt sein, dieses Wohlwollen hat Beziehung zum Heiligen
- den anderen nicht einverleiben und nach unseren Bedürfnissen gebrauchen; als den anderen achten, dem
wir zustimmen und mit dem wir Zustimmung suchen
- Einsicht, daß wir Leben können, weil man uns zu Hilfe gekommen ist ⇒ dem anderen zu Hilfe kommen
- Achtung des anderen, Scheu, Ehrfurcht
- Gutes nur partiell erreichbar → Menschen, die lernen müssen, daß sie von Verzeihung leben müssen
⇒ den anderen schauen
b) Verantwortungsethik
- Friedensfrage; Ökologiedebatte
Max Weber (1864-1920)
- Christentum, wie alles in der Krise zu Beginn des 20. Jh.
- einen neuen Weg suchen: Zweck, Mittel, Rationalität
- Frage der ethischen Ziele, darüber mag die Neuzeit keine Auskunft geben
- Weltzuwendung; Luther: Lehre vom Beruf
- Erwirtschaftung von Kapital → ein „guter Christ“ investiert es in die Produktion
- Entzauberungsprozeß
- Gesinnungsethiker: Wir brauchen Werte + Gesinnung (Orientierung am Geist der Bergpredigt)
aber: Ethik der Verantwortung nicht bloße Gesinnungsethik, die nur das Gute im Blick hat
- wir brauchen charismatische Führer, die Leidenschaft und Augenmaß für die Durchführung haben
- plebiszitäre Bürgerdemokratie, die die Beamten in die Schranken weißt
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- brit. Rationalismus (Sir Karl Hopper, William Bartley)
Verantwortungsethik:
- keine Letztbegründung möglich
- philosophische Grundhaltung, die bereit ist, sich prüfen zu lassen → Methode: Try & Error
Was ergibt sich daraus für die Ethik?
→ Kritikbereitschaft, offene Gesellschaft
→ Institutionen des öffentlichen Diskurses
→ Eintreten für eine offene Gesellschaft
- Hopper: Nicht vom Sein auf das Sollen schließen!
- Hans Albert: Brückenprinzipien: Von der Erfahrung auf das Gute schließen!
1. Verlangen, daß ethische Überzeugungen widerspruchsfrei sind
2. Realisierbarkeitspostulat
3. Bewährtes Normenwissen; Auseinandersetzung damit
c) Philosophien der Existenz und Ethik
Heidegger:
- wahre Erkenntnis der Wirklichkeit nicht möglich, nur Daseinsanalyse des Menschen möglich
- Analyse des menschl. Seins in der Zeit, von Endlichkeit bestimmt; Sein zu Freiheit + Verantwortung
berufen
- traditionelle Metaphysik hat nicht tief genug gefragt, nur nach dem Wesen gefragt; dem Menschen einen
Platz in der Ordnung der Dinge gegeben
- Wesen des Menschen: kann Frage nach dem Sein stellen!
Wesen des menschlichen Daseins liegt in seiner Existenz → Philosophie als Hermeneutik des Daseins
- in jedem Menschen ist eine Seiensmacht
Was ist Seiensmacht? → Dieses Seien, das uns ins Dasein ruft, zu entdecken
- Mensch ist nicht nur Objekt für andere
→ Mensch kann Fragen nach dem Sein stellen
→ ist nicht von vorneherein festgelegt;
sein Sein ist bestimmt, aber nicht sein Dasein ist vorherbestimmt
Philosophie als Hermeneutik des Daseins; Mensch lebt in der Welt; 2 facher Umgang mit ihr:
a) Welt als das uns gegebene benutzen
b) Wir sehen nicht nur die Umwelt, sondern können uns fragen, was ist Welt überhaupt.
- es gibt andere Menschen; Subjekt
→ dabei erleben; Gemeinschaft, Einsamkeit; Geborgenheit
Frage: Wie kann ich in dieser Welt bestehen?
→ Von der Fürsorge geprägt; für uns und für andere
- Modus der uneigentlichen Existenz (man tut was man tut; liest, was man liest)
- nach seiner Eigentlichkeit fragen
→ erkennen der Geworfenheit → wir sind hineingestellt
- die Endlichkeit des Menschen anerkennen → Sorge; Angst
- das Vordergründige kann uns nicht halten, das Sein ist das Sein zum Tode
→ in dieser Situation sind wir gefordert: Sollen wir uns von der Sorge bestimmen lassen?
⇒ Entschlossenheit sich der Existenz zu stellen; Unterwegssein der Existenz zum Tod
⇒ Anleitung zur ethischen Grundhaltung
Jean Paul Satre
- „vereinfachte Heideggerausgabe“
- Essenz eines Dings Bsp.: Messer
- Existenz ist nachrangig, Existenz von der Essenz abhängig
- Bestimmung der Essenz der Dinge für die Existenz
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- Mensch muß sein Wesen erst erschaffen; da die menschl. Essenz (Wesen) nicht festgelegt ist
→ Mensch muß merken, daß er für sich selber verantwortlich ist und für das, was er aus sich macht
Selbstverantwortung
- wählen, was für uns gut und böse ist, bevor wir dazwischen wählen können
- Mensch muß sich wählen; Situation aushalten
Wer wählt, läuft immer Gefahr, daß er falsch wählt und das er schuldig ist
→ Satre:
Grundaufgabe des Menschen, sich zu entscheiden
eigene Freiheit nicht unbedingt mit der Freiheit des anderen in Relation
- Wer sich bis zur Vernichtung des anderen verwirklichen will, ist unfrei
→ nicht konstituiert der Tod des anderen
⇒ wahres Gelingen von Freiheit geben; miteinander Freiheit wählen
- Handlung:
1. Verantwortung übernehmen. Die Freiheit übernehmen, zu der ich berufen bin.
2. Freiheit des anderen in der Verwirklichung des anderen achten, auch wenn ich schuldig werde
Wilhelm Weischädel (Berliner Philosoph; Gesprächspartner von Gollwitzer. „Die phil. Hintertreppe“)
- Situation: Gott gibt Freiheit
nicht beweisbar
Mensch hat Freiheit
- Erkenntnismöglichkeit: Situation radikaler Fraglichkeit
- können keine letzten Antworten geben
- Situation des offenen Nihilismus
→ Was tun? Wie leben?
⇒ Grundentschluß: a) Resignation b) ich möchte mich aufmachen und weiter fragen
- lernen, daß das Leben endlich ist
→ Wie geht man damit um? a) sich von der Sorge vor dem Tod bestimmen lassen
b) ja sagen zum Leben
- Verzicht auf Überhöhung von Wahrheitsansprüchen;
ethische Haltungen:
Haltung der Abschiedlichkeit
der Nüchternheit und der Sachlichkeit
des Geltenlassens und der Relevanz
der Bereitschaft zur Entsagung und Tapferkeit
der Akzeptanz
⇒ Haltung der Solidarität mit dem Nächsten
d) Diskursethik
- Menschen können die Wahrheit und das Gute an sich nicht erkennen
- Was machen wir, wenn wir uns verständigen wollen?
- Wenn wir miteinander handeln wollen?
- Voraussetzungen der ethischen Implikationen erfragen
- andere müssen Freiheit zulassen
⇑ Transzendentalphilosophen; neuere Schule in München
→ Ansetzung beim Freiheitsbegriff
Wir stehen vor Wahlmöglichkeiten
- bedingte Wahrnehmungen von Freiheit; Wahlangelegenheiten
- weitere Norm; eigene Freiheit nur möglich, wo die Freiheit des anderen revidiert wird
kategorischer Imperativ: den anderen in seiner Freiheit achten und Möglichkeiten der Freiheit
offenbaren
Habermas: Die Einheit der Vernunft in der Vielheit der Stimmen
- Aufruf zum ethisch verantwortlichen Handeln
- Wenn wir das Gute nicht aus der Welt ablesen können, was ist Bedingung für die Kommunikationssituation
und gemeinsame Beratung über das Gute?
Wie sieht ein gelungener Konsenz aus? → Was sind die Bedingungen von Verständigung & Beratung?
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- Idealbedingungen des Miteinanderredens & Beratens
- Chancengleichheit der Diskursteilnehmer
1. Möglichkeit zur Kritik; Frage-Antwort
2. Jeder darf Behauptungen aufstellen und Empfehlungen abgeben. Aber Begründungspflicht!
3. Niemand darf von sich behaupten, er sei verläßlich & wahrhaftig
⇒ Was ergibt sich daraus für die kritische Urteilsbildung?
→ Einheit der Vernunft in der Vielfalt ihrer Strömungen
öffentlicher Diskurs
Systemrationalitäten kritisch hinterfragen
Wehren der Kolonialisierung der Lebenswelten (alles ist vom System abhängig; Bsp. Freizeit durch
Ökonomie gesteuert; Ökonomisierung des Teilsystems
der Religion)
e) „Postmoderne“ Ethik
- Beginn: ca. 1870 v. a. 2. hälfte des 20. Jh.
- Moderne ist an ein Ende gekommen → kein Epochenbegriff
⇒ andere Wirklichkeitswahrnehmung → andere Handlungsweisen
- sich gegen die Systemherrschaft wehren
- Orientierung am Guten ist umstritten
- Wehren in der Hermeneutik gegen die Versuche diese Texte hinzubiegen
- Festlegung ist nicht der Weg
Lyotard:
- Ethik ist geschichtlich über das Leben erzählt worden; „kleine Erzählungen, die den Völkern erzählt
worden sind“ (↓ Moral)
Kritik: bloße Fabeln → Wissenschaft soll an ihre Stelle treten
- in der Antike sind sie ursprungsorientiert; Wo kommen wir her?
- Neuzeit/Moderne soll sie abgelöst werden, weil sie Fabeln & Mythen sind
- an die Stelle der Erzählung tritt die Wissenschaft
- Metaerzählung: Emanzipation des Menschengeschlechtes; Legitimationserzählung
- alle diese Metaerzählungen haben totalitären & autoritären Zug
- erkenntnistheoretisch wissen wir mehr um die Perspektivität aller Wahrnehmung
- wer ist das Subjekt der Erzählungen ⇒ konkrete Gemeinschaften
- den anderen Völkern unsere Sicht aufoktroieren
- Ontologie + Sprachphilosophie
→ Sätze können unterschiedlich gebraucht werden: präskriptiv & deskriptiv; belehren wollen, rechthaben
wollen; erschüttern wollen
→ Wissenschaft legt fest, wie die Sätze weitergehen müssen
→ Sätze, die zur Pflicht aufrufen
→ Ethik bedingt, daß ich mich verpflichten lasse ⇔ Korrespondenz, daß ich frei bin
→ Wie komme ich zu ethischen Entfaltung?
• Rückgriff auf Kant und Hume (Wir haben ästhetische Wahrnehmung der Welt. Was schön ist, ist
darstellbar, an den Dingen zeigt sich die Schönheit)
• Lyotard → Rückführung auf Erschließungserfahrung
- Dominanz des Ökonomischen
2 Klassen: a) Entscheidungen
b) sich rechtfertigen müssen, daß sie mitarbeiten dürfen
Einzelheiten für bleibende Pluralität
Vielfalt des Wissens, unterschiedliche Diskursarten
- Verfügungsversprechungen
Zeitgewinn
finanzieller Gewinn
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Verfügungsmacht (durch Systembeteiligung)
Literatur?
„Der Widerstreit“ (Lyotard) sehr schwer lesbar lt. Track
Track: „Spurensuchen im Grenzland“ in Loibel (Hg.)
3. Grundlegende Konzeptionen empirisch orientierter Ethik
a) Empirische Anthropologie, Evolution und Ethik
- 20. Jh. Ruf nach empirischer Ethik
- Grundfrage: Gibt es in der Stammesgeschichte eine Codierung für genetische Verhaltensweisen
→ Lorenz: Gänseversuch
Was ergibt sich daraus für die menschliche Moral?
- Disposition, daß wir grammatisch richtige Sätze bilden können
- Bereitschaft zur Betreuung von Kindern und zum Konfliktumgang
2 Wege:
a) Kulturvergleich der Verhaltensweisen
b) Studien bei Kindern die taub & blind sind und nur bedingt Verhalten nachahmen können
→ in allen Kulturen gibt es Furcht vor dem anderen
⇒ Disposition zur Gemeinschaftsbildung und Hilfsbereitschaft
Vergleich zwischen Menschen und höheren Tieren
→ Mensch: Fehlen von spez. Instinkten, natürlichen Angriffswaffen + Schutzmitteln
- Weltoffenheit für wirklichkeitsoffendes Verhalten
- Mensch ist Nesthocker; kann daher nur überleben, wenn er Natur zu Kultur macht
- Mensch braucht Entlastungsmechanismen
- Mensch braucht Institutionen + Regeln für das Zusammenleben + Verständigen
- Mensch braucht Symbolsprache → zur Weltdifferenzierung
⇒ Kulturanthropologie
- Ethos der Gegenseitigkeit
1. Gutes mit Gutem; Böses mit Bösem vergelten
2. Wurzeln ethischen Verhaltens in den Schutz- und Pflegereaktionen der Eltern ablesbar
→ Humanitätsethos; Mitleid
3. Gesellschaft differenziert sich aus
→ Universität (Familie → Sippe → Volksgemeinschaft → ganze Menschheit
Forderung der gegenseitigen Tugenden und Regeln
Weltethos
4.a) immer differenzierte Institutionen → Handlungsorientierung; geben Handlungssicherheit
b) Tugend → Grundhaltung einüben (Disziplin; Opferbereitschaft
⇒ Gegenseitigkeitsethos mit solidarischen Elementen; Abwicklung durch Institutionen
Solidaritätsethos contra Gegenseitigkeitsethos
b) Humanistische Psychologie und Ethik
- Einsicht in die Konstitutionen der Psyche
- Wie kann der Mensch zu seiner Selbstbestimmung / zu einem gelingenden Leben kommen?
Freud:
Über-Ich
Ich
Fehlhaltungen können nur durch den Kontakt des Unbewußten gefordert werden.
Es
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⇒ Ichwerdung ist nur dort möglich, wo Es, Über-Ich, Ich und Triebe angenommen und kritisch
beurteilt werden. Ethik ist Arbeit an der Person
Ericson:
Identitätsfindung als geschichtlicher Prozeß; Wechselspiel von Selbstbild & Fremdbild, Wandbild & Realität
Weiterführung von Jung:
- zu meiner Identität komme ich erst, wenn ich bereit bin, im Hier & Jetzt zu leben, Wahrnehmung des
Augenblicks
Meine Stärken sind meine Schwächen und umgekeht.
→ Erarbeitung ethischer Konzepte: Horst Eberhard Richter / Erich Fromm
Ethik muß potentialorientiert sein (Ethik des Angebots)
Fromm: Von der Habensstruktur auf die Seiensstruktur schließen
Leben kann gelingen, wenn man sich für andere öffnen kann, Ehrfurcht vor dem Leben hat und bereit ist,
für andere dazusein.
c) Ökologische Ethik
1834 Heckel
- das Lebendige als Glied des Ganzen verstehen; isolierte Betrachtungsweisen überwinden
- Beziehung des Organismus und der Außenwelt zueinander
- Lage der zukünftigen Generation:
• Dominanz des Ökonomischen, aber im Einklang mit der Natur
Ethischer Aspekt:
1) Forderung nach der Korrektur des unbedachten Energie- und Ressourcenverbrauchs
→ andere Art des Umgangs mit der Technologie
2) Forderung nach Veränderung grundsätzlich gestellter Ursache der modernen Lebenswelt liegt
in der Trennung zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Materie
Natur nur als Objekt betrachtet
Untersuchungen, wie die Naturwissenschaft die Natur erfaßt
→ Grenzssetzung dieser Eigendynamik
3) Generationenverträglichkeit
Diskussion
→ daß man grundsätzlichen Einstellungswandel zum Leben und zur Natur vollziehen muß
→ Gen 1 ⇔ Christentum; die Rede vom Herrschaftsauftrag wird in Frage gestellt
⇒ Konsequenz fürs Handeln: Orientierung an Netzwerken, am sanften Umgang; am Rhythmus der Natur
→ Einsicht in die Ambivalenz unseres Tuns; sanftere Technologie
Hans Jonas: „Das Prinzip Verantwortung“
- Welt ist gefährdet
- sichtbare Steigerung der Produktivkräfte → Bedrohung der Gesellschaft & des Ökosystems
→ apokalyptische Situation
Prometheus braucht Ethik, damit er wieder in die Schranken gewiesen wird
- Teleologie (Zweckdienlichkeit) ausgeklammert → Voranschreiten ist das non + ultra;
fortis, fortis, fortiter
- Technik wird tyrannisch
- Jonas übernimmt Kant → Wir müssen unser Handeln verantworten
→ Diese Ethik der Verantwortung muß andere inhaltliche Gestaltung haben
(gg. Kant)
→ Gegebenheiten, in denen wir uns vorfinden
- Frage muß lauten: Wieviel kann die Natur ertragen?
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-
Grundbegriff der Orientierung → Ja zum Leben! Ja zur Weitergabe des Lebens!
Haltung der Furcht, die um die Bedrohung weiß und dazu Motivation im neuen Handeln gewinnt
Ehrfurcht, daß wir Basis des Lebens nicht zerstören → Heiligkeit der Grundlagen des Lebens
anthropozentrische und biozentrische Ethik
ambivalente Menschen
gesellschaftliche Umsetzung?
auf der einen Seite sozialistischen Konzepte zu bejahen; auf der anderen Seite Kritik dieser Konzepte,
weil sie utopisch sind
- (in Anlehnung) an Platon: Tyrannei aus Verantwortung
4. Die gegenwärtige Situation und Aufgabe der Ethik
a) Zur Einschätzung der ethischen Debatte
- zu einer intersubjektiven Basis der Ethik zu kommen, ist gescheitert
- ethische Debatte der Philosophie, ist an der Letztbegründungsdebatte gescheitert
1.
Kant:
• weil man das Gute nicht aus der Wirklichkeit ablesen kann → Selbstreflexion ist der Weg
-
Erweiterung der ethischen Kriterien (20. Jh.)
Ethik des 20. Jh. ist erfahrungsorientiert → Gedanken über Ziele & Gefährdungen
Ethik ist zu bewahren & zu verantworten
neue Zielvorstellung: nicht nur anthropozentrisch, sondern Ehrfurcht vor dem Leben
Kriterien: Emanzipation & Autonomie
Orientierung an Gerechtigkeit & Frieden
Bewahrung der Natur, damit spätere Generationen leben können
Heidegger: Situation des Eingebundenseins (in der Natur)
⇒ gezeigt: neue Kriterien, neuer Realismus; Neubestimmung des eth. Subjekts
2.
- Neubestimmung des ethischen Subjekts
- Mensch ist nur ethikfähig, wenn er beziehungsfähig ist, wenn er freigelassen wurde
- Wir sind Menschen des mittleren Maßes (Spaemann), keine Engel (Jonas)
→ leben in Spannungen; werden vollkommenes Glück nie gewinnen
3.
- Befassung mit der Motivation & der ethischen Urteilsbildung; Wie kommen wir dazu?
Kant: Urteilsbildung nur in der Selbstreflexion
Scheler / Lyotard: auch aufgrund der Erfahrung der Wirklichkeit
Jonas: Motivation zum Handeln kommen wir auch in der Furcht vor der Bedrohung
Transzendentalphilosophen/Habermaß: wir sind von der Verständigung abhängig; andere haben
Verständigung gesucht & uns nicht nur manipuliert
⇒ Stimmung der ethischen Ziele auf gemeinsames angewiesene Letztbegründungsfrage läßt sich nicht lösen
Beachtung:
1) des Korrespondezaktes der Wahrheit
2) Partizipieren am Wissen der Geschichte und uns dazu ins Verhältnis setzen
Kohärenzaspekt von Wahrheit
3) Konsenzaspekt in der jeder geachtet und gehört wird
4) weitere Einsicht, daß es der Institutionalisierung (des Rechtes der Politik) bedarf
trotz Konsenz Offenhalten für Neues
⇒ Letztbegründung nicht erreicht
größeres Feld der Ethik
Erweiterung der Kriterien der Ethik des 20. Jh.
ethisches Subjekt
Feld der Ethik wird weiter.
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
b) Die Situation und die Aufgabe
- Ethik tritt mit doppeltem Pathos an
1) Begründungsethik
2) trotz Rückschlägen will man Welt schaffen, in der das Versprechen des neuzeitlichen Wirklichkeitszuganges eingelöst wird
- Hoffnung hat 2 Höhepunkte nach dem 2. Wk.
60er, 70er Studentenbewegung → neue, freie, gerechte, nicht technisch beherrschte Welt
- Gefühl der grundsätzlichen Ernüchterung eingetreten
→ Leben in einer Risikogesellschaft
→ Krisen sind immer prognostiziert worden
→ Krise ist aber so nicht spürbar; Menschen halten eine nicht konkret erfahrbare aber prognostizierte
Krise nicht aus
- Gesellschaft der 80er: Moratoriumsgesellschaft (abwartend)
- Problem, daß in das Abwarten Bewegung gekommen ist; Fragen nach Modernisierung brauchen aber
Erneuerung
- Leben in einer umgekehrten Eschatologie
→ früher: Leben im Jenseits ist besser; heute: Leben im Hier & Jetzt gut, aber dann
Was können wir tun?
Track: Ethik als Integrationwissenschaft; Gerechtigkeit mit Überlebenskunst kombinieren;
Orientierung an Konsenz und Differenz
Kapitel 2: Einführung in die theologische Ethik
§4 Die Besonderheit und Situation der theologischen Ethik
1. Allgemeine und Ethik
a) Das Problem
- Aufgabe der phil. Ethik: nach Bedingungen, Möglichkeiten, Zielen & Normen unseres Handelns fragen
- Quelle der Analyse der phil. Ethik ist die Ethik insgesamt aufgrund von Erfahrung und Argument; ihre
Konzepte revidierenzulassen
- christliche Ethik; wie sieht sie aus?
• Entfaltung einer Lebensgestaltung aufgrund von Erfahrungen
- phil. Ethik argumentiert normativ-kritisch; will Daseins- und Handlungsorientierung entfalten
(theol. Ethik auch)
- Problem: aus der Sicht der Philosophen ist die christliche Ethik eine spezifische Ethik, die sich auf
Offenbarung (geschichtliches Geschehen, daß man glaubt) beruft; christliche Ethik ist vom Ansatz
her begrenzt
- Barth: theologische Ethik ist umfassender, weil sie zeigt, was aus der Welt nicht ablesbar ist
1. schiedlich-friedliche Trennung
phil.: Aufbruch der Wahrheit; theol.: vom Evangeli her
Offenbarung weiß nichts über das Weltwissen (mathematische Formeln, Gene)
2. Streit zwischen phil. & theol. Ethik
gegenseitige Überbietungsversuche
→ phil.: Wir sind offener!
→ theol: Das ist Gottes Wille!
⇒ heteronome Ethik; Barth: Wir wissen mehr vom Offenbarungsgeschehen. Ihr Philosophen seid an
an Eure Einsicht gebunden. Wir kommen vom Offenbarungsgeschehen
her und bekommen daher ein Motivation zum Handeln.
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Streit über die Richtwerte:
theol.: christliche Ethik ist keine Gruppenethik; Offenbarung für alle Menschen
phil.: christliche Ethik ist Gruppenethik (Gruppe der Gläubigen)
3. Gegenseitiges Ergänzungsverhältnis:
theol.: es gibt eigenen Bereich der Erreichung von Weltwissen
Thomas von Aquin: Wir brauchen die Philosophie. Was Theologie leisten kann, von der Offenbarung
her zu wissen, Grund und Ziel der Welt ist.
b) Unterschiedliche Zuordnungen und Unterscheidungen
- Wie argumentieren?
- 2 Hauptrichtungen; 1) theologische Ethik im Streit zur philosophischen Ethik
2) theologische Ethik steht im Ergänzungsverhältnis zur Philosophie
Begründungsproblem:
1. Position:
- nur vom Evangelium und Handeln Gottes in Jesus Christus hat sich der Mensch in seinem Handeln
bestimmen zu lassen; verwiesen an den gottentsprechenden Menschen; Zuspruch + Anspruch
- das wahrhaft Gute kann man nicht erkennen ohne nach Gott und der Offenbarung zu fragen
Ethik: gefallenlassen von Gottes Entscheidungen
- Mensch steht immer unter der Macht der Götter
2. Position:
- anknüpfend an die Philosophie; Mensch lebt immer von der Erkenntnis des Guten, sonst kann er nicht
überleben
- Hat sich Gott nicht auch in der Schöpfung offenbart? → Ist nicht aus der Schöpfung das Gute ablesbar
- Ethik, die nicht an die Philosophie anknüpft, verliert ihre Kommunikationsfähigkeit
- Offenbarung: Liebesgebot für alle Bereiche
Konkretisierung der Durchführung → auf das eth. Wissen der damaligen Zeit zurückgreifen
Problem der Inhaltsbestimmung der christlichen Ethik:
- in Jesus Christus ist uns der ganze Wille Gottes offenbart
→ grundlegende Orientierung am Doppelgebot der Liebe gegeben
- christliche Ethik muß zweigleisig argumentieren (für alle & was nur für die Glaubenden zählt)
andere Position:
- wie sind angewiesen, im Wandel der Zeiten auf die Orientierung der Vernunft zu hören
- NT sagt nichts zur Gentechnik
Martin Honecker: Ethik leistet nur Beitrag zur Motivation, alles weiter regelt die Vernunft
Vermittlungsproblem:
- kann die christliche Ethik einsichtig machen?
- Offenbarungstheologen: Mensch will nicht dem Willen Gottes entsprechen → Vgl. sündiger Mensch
- Wir können dem Streit nicht aus dem Wege gehen
→ Vermittlung der Ethik vollzieht sich aus dem Ruf zum Glauben
andere Position:
- Glaube ist Bitte zum Einverständnis
- Glaube will Selbstbestimmung des Menschen verstärken und vertiefen
- Glaube will zeigen, daß es vernünftig ist, was wir sagen
→ soll man dieses auch an Nichtchristen weitergeben?
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2. Der Ort der Ethik in der Theologie
- Verhältnisbestimmung zwischen Dogmatik & Ethik
→ Selbstverständnis der Ethik wirkt sich auf die Aufgabe der Ethik aus
a) Zur geschichtlichen Entwicklung
- Alte Kirche kannte keine selbständige Ethik; Beschränkung auf Paränese in Anlehnung an die NT-Paränese
- als Themen werden strittige Einzelfragen im Rahmen der Schriftauslegung + Dogmatik behandelt
- Auseinandersetzung zwischen Augustin & den Pelagianern: Rechtfertigung, Sünde + freier Wille
- MA: vgl. Alte Kirche → keine eigenständige Ethik
- Scholastische Theologie: Luther: 2 Reiche - 2 Regimente; Ehe – Beruf
→ keine eigene Ethik entwickelt
- in der Reformation Ethik in Anlehnung zur RFL & den Heiligen
Ethik ist Nachsatz zur RFL
- trotzdem zeichnet sich ab der Reformation Verselbständigung der Ethik ab
- Melanchton hat Kommentar geschrieben
→ natürliche Menschen wissen auch um das Recht des sittlichen Handelns
- Gesellschaft
- Georg Calixt
• Altprotestantische Orthodoxie, Spätorthodoxie
• 1634 Ethik „Epitome theologia moralis“ verfaßt → erste Teilung zwischen Dogmatik & Ethik
- in dieser Verselbständigung der Ethik tauchen neue Fragen auf
→ in der Aufklärung spielt die Entwicklung der Persönlichkeit eine gr. Rolle
- im Pietismus → Zuwendung zur Ethik; statt Polemik praxis pietatis im Rahmen der Frage nach der
Heiligung
- Schleiermacher:
• man kann dieselbe Ethik bei unterschiedlichen dogmatischen Zugängen haben ← Barth bestreitet dies
• Was ist das religiöse Bewußtsein? Wie kann das Bewußtsein die Ethik bestimmen?
• will Ethik, die die konfessionellen Schranken überwindet
- Ethik ist Anknüpfungspunkt der modernen Fragen
- Troeltsch: in Ethik Anspruch des Christus Geltung schaffen, nicht mehr Dogmatik
⇒ gegen diese Verselbständigungsbewegungen hat es Gegenbewegungen gegeben
Martin Kähler; Karl Barth
⇓ Ethik in die Dogmatik integrieren
- kath. Theologie:
• seit 1700 → eigenes Fach unter anderem Namen: Moraltheologie
• bei den Jesuiten in der Beichtpraxis entstanden
• Ethik als pastoraltheologische, kirchenrechtliche Disziplin begründet, durchs Lehramt bestätigt
b) Modelle der Zuordnung und Unterscheidung
- Ethik als eigenes Fach ist praktisch begründet, von wegen der umfangreichen Stoffmenge, viele Fragen
- Barths Versuch der Reintegration ist nicht durchführbar
3 Grundmöglichkeiten:
1) Ethik als eigene Disziplin auf Grund der Dogmatik; Ethik ist Folge der Dogmatik
Gründe:
- theologische Ethik kommt von der besonderen Wirklichkeitswahrnehmung
- Ethik kann nur durch die Auseinandersetzung mit dem Willen Gottes entstehen
(→ Vorschaltung der Dogmatik)
- schwierig, wenn man die Rechtfertigungslehre nicht begriffen hat
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2) Ethik als eigene Disziplin neben der Dogmatik
Gründe:
- pragmatische Gründe
- sachliche Gründe: um die Wirklichkeit wahrzunehmen, muß man die Beziehung beachten, wie Menschen
immer schon argumentiert haben
- Wir sind immer schon Menschen, die ethisch herausgefordert sind, auch wenn wir noch nicht zum Glauben
gefunden haben
→ Zugang zur Ethik läuft über Analyse des Menschen
3) Vorordnung der Ethik durch Dogmatik; Ersetzen der Dogmatik durch die Ethik
Gründe:
- inhaltliche Entscheidung, über das, was zum Glauben gehört
- wichtig ist nicht wie man die Trinität versteht, sondern daß man Jesus als sittlichen Lehrer anerkennt
und nach ihm fragt
c) Die Korrelation von Dogmatik und Ethik
- vom christlichen Glauben gibt es veränderte Sicht des Menschen
- christlicher Glaube leitet zu neuer Wahrnehmungswirklichkeit an
- Jesus: neue Situation entstanden → daraufhin umkehren & neu handeln
- sich mit dem Alten von der neuen Sicht her in Beziehung setzen
- Einsichtigkeit des Glaubens nicht jenseits der Umstrittenheit verkaufen
Track: für Modell 1 + Modifizierung
• von der Dogmatik ausgehen
• lernen, indem man sich mit Fragen auseinandersetzt → neues Verstehen der Wirklichkeit des christl.
Glaubens ⇔ gegenseitiges Interpretationsverhältnis
• gg. Herms „Ethik ist Folge der Dogmatik“
3. Grundentscheidungen im ethischen Ansatz
a) Das Problem
- Blick in die Denkwelt eines Ethikers; welche Entscheidungsmöglichkeiten hat er?
Was sind die Grundfragen der Ethik?
1) Frage nach den Handlungsmöglichkeiten?
Theologische Grundbegriffe der Erfassung: Schöpfung, Erhaltung
2) Was hat sich verändert durch das Erlösungsgeschehen?
3) Was ergibt sich für unsere Wirklichkeitssicht, das unsere Zukunft mit Gott sein wird?
Sicht der Wirklichkeit und des Menschen
↓ theologische Leitbegriffe: Ebenbildlichkeit Gottes
Sünde
eine neue Kreatur in Christus
I. Frage, was können wir tun? → geschichtliche & gesellschaftliche Möglichkeiten?
1) Wie verhält sich das Handeln Gottes mit dem Handeln des Menschen?
2) Wie ist Geschichte zu deuten und über Handlungsmöglichkeiten zu reden?
II. Was sollen wir tun?
• Frage, was ist unser grundlegendes Ziel?
→ den Willen Gottes tun? Anspruch Gottes zu uns; Gesetz Gottes; Evangelium
• in welchem Sinn gilt das Doppelgebot der Liebe? für alle / alle Glaubenden?
Konkretisierung: aus Sicht der Vernunft ableitbar; wo kriege ich Normen her?
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III. Woher oder wie begründet Ethik ihre Zielvostellungen, Werte, Normen?
• Wie ist das Verhältnis zwischen Offenbarung, Vernunft und Erfahrung?
• Wie sieht das Gewinnen von Normen aus? Gelten alle Gebote der Schrift? Wie soll der Umgang mit ihr
begründet werden?
b) Modelle im metatheoretischen Bereich
- Frage der Begründung + Rechtfertigung der christlichen Norm
- Muß jede Ethik das Verhältnis zwischen Offenbarung, Vernuft + Erfahrung bestimmen?
- Ergänzungs- und Korrelationsverhältnis?
- Verhältnis von Schrift, Tradition und Situation
• Schrift ist die Basis des Gottesverständnisses, Tradition ist die Basis, wie Auslegung vor sich geht
• in der Situation sind neue Fragen aufgetaucht;
- Zuordnung?
→ feministische Theologie: Schrift & eigene Erfahrung;
Herausfinden, ob die Norm sich als unterdrückende Norm darstellt
c) Modelle im Bereich der dogmatischen Voraussetzungen
- christliche Wirklichkeitssicht ist mehrperspektivisch
- Was verändert sich durch eschatologische Hoffnung?
- Ist Erlösung bloße Wiederherstellung der Schöpfung?
→ Nein, in J.C. ist auch etwas Neues in die Geschichte gekommen, nämlich das andere Handeln Gottes
(Nicht Strafe, sondern Versöhnung)
- Wie sehe ich die neuen Handlungsmöglichkeiten (vgl. Äonenlehre des Paulus)?
• Paulus: Das Neue ist schon angebrochen, aber noch nicht vollendet
- Geschichte als Ort des Fortschritts (vgl. Schleiermacher, Ritschl)
- Geschichte als Ort des Unglaubens (Apologeten)
- Augenblick des kairo/j (Tillich)
- Sicht des Menschen: mehrperspektivisch
↓ Ebenbildlichkeit, Sünder, neuer Mensch
- haben wir Ebenbildlichkeit in der Sache verloren?
- Wie sieht es mit dem Gerechtfertigten aus? simul justus et peccator
- Ist Christsein ein Modell des Gelingens?
- Handeln Gottes? Wirken des Menschen? Wie soll man sich das Mitwirken des Menschen vorstellen?
- Wie stehen wir zur zeitlichen Entwicklung? Wie stehen wir zur Moderne / Postmoderne?
- Stimmt es, daß in der Neuzeit die Kirche an Einfluß verloren hat und die christlichen Werte aber in der
Gesellschaft sind? (Rendtorff)
- Ist Kirche Spiegelbild / Gegenbild der Welt? → Muß Glaube modern sein?
d) Modelle im Bereich der ethischen Diskussion
- Grundnorm: Doppelgebot der Liebe
- Wie verhält sich diese Grundnorm zur Erfahrung des Lebens?
- um leben zu können, darf man so lieben, wie in der Bergpredigt? ⇒ Verhältnisbestimmung
- ein Ziel der Ethik ist die Gerechtigkeit
- wie verhält sich Gerechtigkeit zur Liebe?
- wie sehen Normen konkret aus?
- jede Ethik muß entscheiden, was für die Christen + für alle geboten ist
↓ 2. Tafel der 10 Gebote
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4. Die Situation der Theologischen Ethik
- hat immer Anteil an der allgemeinen Lage der Ethik. was sind die besonderen Probleme?
a) Die Problematik der Säkularisierung und Eigengesetzlichkeit
- christlicher Glaube war nie unumstritten
- man kann sich der Offenbarung Gottes in J.C. verschließen
Veränderungen:
1) Religionskritik grundsätzlicher & öffentlicher
es hat immer Bestreitung des Redens von Gott gegeben
praktischer Atheismus
→ Ausgang: Es gibt Wirksamkeit des Göttlichen in der Welt
- Naturwissenschaften:
• Gott als Gründer, aber nicht als Eingreifer in den Geschichtsverlauf (Deismus)
• später: Raum-Zeit-Kausalität → keinen Platz für Gott
- Gott vielleicht beim Personsein wichtig
- praktischer Atheismus → Menschen wollen ohne Gott ihr Leben gestalten
2) Rolle des Christentums
- Siegeszug in der Antike → Allgemeine Auffassung, daß Mensch mit Vernunft zwar dahin kommt, aber die
Offenbarung das Sahnetüpfelchen zur Erkenntnis und Wahrheit ist; Überbietungshypothese
- Offenbarungsverhältnis geschichtlich zu verstehen
- Säkularisierung: eine Veränderung in der Interpretationskompetenz der Welt
- Auseinandersetzung mit den anderen Religionen, die in ihrer Ethik + Spiritualität manchmal attraktiver
erscheinen → Konkurrenzsituation
3) Situation der Kirchen
- Kirche als Ort der Heilsvermittlung → Veränderung im Blick auf die Machtposition
- 2 Schwerter des Papstes → 1 an den Kaiser weitergereicht
- weltliches Regiment: eigene Werte, eigene Aufgaben
- Einschränkung der Interpretationskompetenz
→ private Religion (im Pietismus eingeleitet; „Jeder ist für sich selbst verantwortlich!“)
↓
Einflußverlust der Kirche ⇒ Einbindung in die Gesellschaft; Relativierung der Bindung
an dogmatische und ethische Aussagen
⇒ neuer Aufschwung der Religionen und Konfessionen
- Säkularisierung bricht an (Ende des Jh.) → neuer Leitbegriff ab den 70er Jahren: Pluralismus
b) Das Problem des geschichtlichen Wandels und des Pluralismus
- Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandelprozesses → kann Ethik Schritt halten?
- kann christliche Orientierung helfen?
→ Ja, mit Doppelgebot der Liebe (Mt 22, 37-40)
→ sind die Gebote der 2. Tafel der 10 Gebote für alle noch gültig? (Bsp.: Eltern-Kind-Verhältnis)
- externer Pluralismus:
→ theologische Ethik in Reihe von anderen Theorien
Verhalten dazu? Kann sie Univeralanspruch erheben?
- interner Pluralismus:
→ in der Kirche (Handeln bei verschiedenen Theorien)
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c) Die Erfahrungen in der Zweideutigkeit und die neuen Erwartungen
- Erfahrung der Ohnmacht
- Geschichten geprägt von Verkennung der Situation
- Luther: gg. Demokratie → Demokraten = Säkulare
- Bsp.: Weimar
- theologische Ethik ist grundsätzlich eine Frageethik
- christliche Ethik → Jenseitsorientierung
- 20. Jh. Kritik des Liebesgebotes:
Die Forderungen des Liebesgebotes stellen zu hohe Forderungen an den Menschen
→ Verweigerung und Regression
→ Kritik in der Umweltdebatte verschärft
- Ammerich: christliche Ethik kommt in der Neuschöpfung, wird überholt
- Aufteilung des Liebesgebotes: private (Anwendung ja)
öffentlich (Anwendung nein)
- Ende des Jh. neues Interesse an der Ethik
- Habermas: Überführung des Mythos in die Vernunft; Religionen sind opake Äußerungen
- Geschichte der Ermäßigung des Liebesgebotes
§5 Konzeption theologischer Ethik in Auswahl
1. Das Konzept der „doppelten Begründung“
2 Varianten
kath. Theologie (Scholastische Tradition wird heute aufgenommen und weiterentwickelt)
↓
Zuordnung von Natur und Gnade
ev. Theologie: Zuordnung von Gesetz und Evangelium
a) Doppelte Begründung in der katholischen Ethik (Natur und Gnade)
- Wirklichkeit und Wesen des Menschen als Handlungsvorraussetzungen
- Sicht der Wirklichkeit und des Wesens
→ Zuordnung der natürlichen Erkenntnis und Offenbarungserkenntnis
⇒ alles Seiende von Gott geschaffen, jedes Seiende strebt danach sein Wesen zu verwirklichen
(Bsp.: Wesen der Blume) ontologische Teleologie
- der Mensch strebt auch danach → Anspruch seiner Wesensverwirklichung
- Mensch hat Leib, Körper, Seele, Vernunft
↓
kann nach der Wahrheit, dem Sinn und dem Guten fragen
- Mensch kann nach Gott fragen; er hat in seiner Vernunft Anteil am göttlichen Sein
- die Wesensnatur des Menschen ist durch die Sünde geschwächt
Thomas von Aquin:
Einsichten:
1) Dem Menschen in dieser Grundsitution ist es aus Rückschlüssen aus der Welt möglich, Gottes
Existenz & Macht teilweise zu erkennen.
2) Die Vernunft kann bedingtes Wissen um das Gute erkennen. In dieser Welt werden Gutes + Werte
realisiert.
Gott als Summum Bonum
Mensch soll sich erkennen als der, der gefordert ist, zwischen gut und böse zu unterscheiden
es ist ein bedingter, aber nicht vollkommener Wille, das Gute zu erkennen.
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Offenbarung:
- eröffnet, was Gott will
was gut und böse ist
Kraft das Gute zu wollen (durch Empfang der Gnade mittels Sakramente)
Hauptsatz der Scholastischen Theologie:
Gnade hebt die Natur nicht auf, sie setzt sie voraus und vollendet sie!
Gratia non tollit sed subponit et perficit naturam!
- inhaltliche Bestimmung gibt der Naturrechtslehre die christliche Prägung
Was ist der Natur des Menschen entsprechend?
Naturrecht Gottes gilt für alle vernunftbegabten Kreaturen
lex naturalis et aeternam (ewiges Gesetz) → nur für Glaubende
- oberster Grundsatz: das Gute tun, das Schlechte vermeiden
→ 3 Vorstellungen (nach Thomas von Aquin )
1) geboten, das eigene Sein zu erhalten & zu bewahren
Selbsterhaltung gilt für alle Menschen
2) Eintreten für die Ehe & die Aufzucht der Kinder
3) Ausrichtung auf die Erkenntnis der Wahrheit Gottes
⇒ Was ergeben sich daraus für Tugenden?
- Thomas: Vgl. Platon: Weisheit (in Bezug auf Geist)
Tapferkeit (in Bezug auf Gefühle)
Mäßigung (in Bezug auf Lust)
→ Integrierung ins gesellschaftliche Leben
- Gerechtigkeit üben und Recht setzen → unparteilich; Gleichheit für alle
- kommunikative Gerechtigkeit (jedem das seine)
- distributive Gerechtigkeit (ausgleichende Gerechtigkeit, gerechter Wert für die Tauschgeschäfte)
göttliches Gesetz
- Basis: Doppelgebot der Liebe (Mt 22, 37-40)
- letztes Handlungsziel: Glückseligkeit (theol. gedacht: ewige Schau Gottes)
- 4 Kardinaltugenden (Weisheit, Besonnenheit, Gerechtigekeit, Tapferkeit)
+ Doppelgebot der Liebe = 3 weitere darüberhinausgehende Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung)
- Stufenethik bei Thomas
- Differenzierung der Gnade
→ in der platonischen Zeit
vita aktiva → Verwirklichung der Kardinaltugenden in der Welt
vita passiva / kontemplativa → ganz auf Gott schauen; ist höhere Ethik
- 2 Differenzierungen:
Laienchristen sollen sich an der 2. Tafel der 10 Gebote
besondere Vollkommenheit perfecti → über Kardinaltugenden heraus
evangelische Räte: Ehelosgigkeit, Armut + Gehorsam
⇒ damit kann man höchste Verdienste erlangen
- Papst: Man weiß um die Geschichtlichkeit, argumentiert aber naturrechtlich
→ § 218, Geburtenkontrollen
- Glauben nur in der communio zu leben
b) Kritische Auseinandersetzung
- positiv an die Möglichkeiten des Menschen angeknüpft, obwohl er beschränkt ist
- hat natürliches Gesetz universale Reichweite? → Mensch auf Gewissen und Vernunft ansprechen
- du mußt dich nicht an die Gesetze halten, weil Gott es will, sondern weil
a) es ein höheres Wissen gibt
b) weil du es wissen kannst
- Offenbarung zeigt uns in der Erhöhung, was das wahre Gute ist
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Thomas:
- Erlösung hebt Schöpfung auf, Wiederherstellung, Vertiefen der Schöpfung in der Versprechung des
ewigen Lebens
⇒ Steigerungs- / Überbietungsmodell
Kritische Anfrage:
phil.: - Kann der Mensch wirklich aus der Wirklichkeit das Gute erkennen?
theol.:
1) angemessene Zuordnung von Schöpfung-Fall-Versöhnung-Erlösung?
- Neue Wirklichkeit?
2) Vernunft-Offenbarung
Thomas: Offenbarung sagt uns, was die Vernunft nicht sagen kann
Gott wirkt in Ohnmacht der Liebe
Wie?
3) Menschsein als Zuspruch der Gnade
- Zuspruch der Gnade für Ethik der Glaubenden
- Reformatoren: falsches Gnadenverständnis: Freispruch / Veränderung?
4) Sünde als Schwäche der Vernunft
- wird mit dieser Deutung der Sünde der Macht der Sünde Rechnung getragen?
- Luther: Sünde → aus welchem Geist leben wir?
→ Welchem Herrn und Gott verschreiben wir uns
5) Unterscheidung bei Glaubenden in Laien und Vollkommene
c) Doppelte Begründung in der protestantischen Ethik (Gesetz und Evangelium)
Luther:
- Auseinandersetzung mit den Katholiken & dem linken Flügel der Reformation („Schwärmer“)
- von der Rechtfertigungseinsicht her bestimmt er Sinn, Ziel und Möglichkeit christlichen Handelns
- Wie hat sich Gott in seinem Handeln erwiesen? ⇔ Wie sollen wir jetzt handeln?
Ziel:
- Gerechtigkeit Gottes sichtbar in Kreuz & Auferstehung
- Gott nimmt den Sünder bedingungslos an → ursprünglicher Schöpfungssinn kommt zum Ziel
- neue Zukunft über den Tod hinaus
- das neue Handeln Gottes besteht darin: im Anfang des guten Tuns
→ Erneuerung im Herzen → Gott vertraut und fürchtet (1. Gebot)
- Ziel: Gott begegnet uns in Liebe, wir antworten mit Liebe → Doppelgebot der Liebe (Mt 22, 37-40)
Sinn:
- nicht Gutes tun, um vor Gott bestehen zu wollen → Sinnverfälschung, von wg. Selbstrechtfertigung
- Unterscheidung zwischen Person und Werk
- Motiv aus dem die Werke getan werden
→ befreiende Macht und Kraft, Liebe um der Liebe willen üben
- Handlungen immer als dankbare Antwort auf Handeln Gottes
- Handlungsmöglichkeiten des Menschen als Konsequenz des Glaubens
→ Krisis: Mensch scheitert an der Erfüllung des Gesetzes
- im Glauben wird der Mensch frei, gute Werke zu tun
- Vernunft kann natürliches Sittengesetz (2. Tafel der 10 Gebote, z. B. 4. nicht töten) erkennen;
Mensch kann aber nicht 1. Tafel erkennen [junger Luther, später denkt er anders]
- Wie werden wir in der RF befreit? → simul justus et peccator
→ Ist die RF als ob zu verstehen oder ändert sich in uns etwas, wenn wir anfangen, Gott zu vertrauen?
→ Aber in uns ist die Sünde noch mächtig, in der Welt ist die Macht der Sünde
→ Problem: Wie kann einer aus dem Vertrauen fallen?
Luther: Dies ist möglich. „Transitus“, daß Gott uns aus der alten Verkehrung herausholt.
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- ethisches Subjekt (Mensch) ist kein kompliziertes Gefüge
- Wie kommts, daß wir ganz aus dem Glauben fallen?
- ethisches Subjekt lebt in einer Welt, in der das Neue schon angefangen hat, aber das Alte noch
vorhanden ist und mächtig ist
→ Kann man von dem Subjekt Liebe fordern und so Liebe üben wie Jesus?
Zielbestimmung:
- fragen, was man von allen fordern muß, damit das Überleben gesichert wird
- Luther:
1. sich in bestehende Ordnungen einfügen (Faustrecht erst vor kurzem abgeschafft; allg. Landfriede)
2. Friede (innerer und äußerer) das höchste Ziel
• Ethik für alle → Differenzierung im Gesamtbereich der Ethik
• usus civilis legis (bürgerlicher Gebrauch des Gesetzes für alle Welt)
• Glaubende sollen:
1. sich aus Liebe unter das Gesetz stellen
2. Liebe als Liebe üben; Glauben macht frei, Liebe zu üben im Geist der Bergpredigt
- da, wo ich für andere in Verantwortung (Familie, Beruf, Staat) bin, da geht das nicht
→ Gesetz begründet weltliche Ethik, Evangelium stellt es heilstechnisch in Frage → Liebe
→ die Gerechtigkeit durchsetzen (←Schöpfungserhaltung)
„ Der Henker darf sein Werk mit gutem Gewissen tun!“
CA 16
- Luther:
• Gutes tun wir immer nur für uns selbst und nutzen es als Instrument der Selbstrechtfertigung
• Handlungsmöglichkeiten dazu kann sich der Mensch nicht zwingen
⇒ Frucht erfahrener Liebe als Konsequenz des Glaubens; Werke = Früchte des Glaubens
Ansätze der Gegenwart
Werner Ehlert
- stellt fest, die Grundfrage der Ethik heißt nicht „Was sollen wir tun?“ sondern „Was können wir tun?“
- Welche Voraussetzungen sind im menschlichen Handeln fürs menschliche Tun gegeben?
→ Wir finden uns im Ethos unter dem Gesetz
- Ethos unter dem Gesetz → wir sollen ethisch Handeln, Erfahrung / Auslegungen des Willens Gottes
- Gott hat Bedeutung dieser Welt geschaffen; „Seiensfrage der Natur“ (Ordnungen), will, daß diese
Ordnungen geschaffen sind
→ Leben nach diesen Ordnungen
- Erfahrungen der Schuld
- geschichtliche Auslegung des Sollens und des Handelns Gottes
1. Kreatorisches operatorisches Handeln
2. Legislatorisches Handeln → nach dem Sollen handeln
3. Geschichte: Menschen halten sich nicht an die Ordnung und sprengen sie wg. Freiheit
Schulderfahrung ← Gottes Antwort
Gott sagt, wer seinem Gesetz nicht entspricht, verfällt dem Richter
judikatorisches Handeln: Übertretungen ⇔ Vergeltung (vgl. AT)
- deus absconditus
- Gesetz wird zum anklagenden tötenden Gesetz; dieses tötende Gesetz wird im Evangelium aufgehoben
- Gesetz fordert Gerechtigkeit → Christus fordert Liebe
⇒ Überbietung / Korrektur des Gesetzes
- Befreiung (Versöhnungshandeln Gottes) → Tausch am Kreuz; Gnade
→ Gesetz nicht mehr Vergeltungsordnung; Gott will nicht Vergeltung, sondern Erlösung
- Was bedeutet diese neue Freiheit?
• nicht alles Beliebige zu tun → angewiesen auf Liebe, Vergebung, Brüderlichkeit
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
• Freiheit nicht Erfüllungsgehilfe des Gesetzes
- nicht Erneuerung, sondern Überbietung des Gesetzes
- Wie handeln?
• Ehlert: unter dem Ethos des Gesetzes die Ordnungen halten;
sich unter den Sollensanspruch stellen
unter den Ethos der Gnade stellen
gelebte Liebe
- Umsetzung: • Sünder & Gerechte
• Ethos unter Gesetz und Gnade verhalten sich nicht wie Lebensstadien zueinander
• Wir verfügen nicht über den Ethos der Gnade → keine sichtbare Wahrheit; keine politsche
Ordnung mit Ethos der Gnade, da sonst Verfälschung
• Ordnung der Kirche muß gerecht sein → im Amt Liebe üben ⇒ Ordnung der Obrigkeit
- Ethos der Gnade ist verborgen, nur Gott kann es beurteilen
- Ehlert will, daß die Ordnung der Obrigkeit aufrechterhalten wird
Helmut Thielicke:
- 50er und 60er größter Oeka-Mensch der Kirche, Prediger in HH, begabter Redner;
„Maschinengewehr Gottes“
- christliche Ethik muß bei der Lehre von der Welt und des Menschen einsetzen; nach Voraussetzung des
Seins und Handelns fragen, immer im Dialog mit der Zeit bleiben
- christliche Ethik ist unmögliche Möglichkeit
- Mensch ist Entwurf Gottes; Beziehung ist tragende Grundrelation → Identitätsgewinnung der Menschen
- Mensch ist nicht autonom
- in der Bergpredigt sind Forderungen zum anders Sein und anders Handeln
- wir müssen in Spannungen zwischen Schöpfung, Sünde und zukünftigem Äon leben
- Welt ist geprägt, dadurch, daß sie gefallene Welt ist
→ Sünde
- Ordnungen, die in dieser Welt geschaffen sind, sind Notordnungen → dienen der Erhaltung und haben
Zwangscharakter in bezug auf ihre Durchsetzung
- Ethik soll Grundsituation (Spannungen zwischen Alter und Neuer Welt aufzeigen, daß wir Gottes
Handeln nie voll entsprechend antworten
- Vergebungsbedürftigkeit des Menschen in der Ethik
- Kriterien für die Organisation des Zusammenlebens:
1. Es muß diese Ordnungen geben
2. Eintreten für Ordnungen aus Liebe
3. Ordnungen müssen vom neuen Äon in Frage gestellt werden können
- Wissen, daß es nicht die eschatologischen Ordnungen sind, bringt Unruhe
- ethisches Handeln ist Kompromiß
1. Ethik muß immer bedenken, daß es den alten Äon gibt, der weiter wirkt, daß das Alter vergeht,
daß das Neue das wahre Ziel ist.
2. Aber in der Zeit, wo der alte Äon wirkt, müssen wir uns an der Bewahrung und Erhaltung des alten
Äons ausrichten.
- Thielicke war Lieblingsfeind der Studentenbewegung
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d) Kritische Auseinandersetzung
- relativ klare Wirklichkeit und Möglichkeit des menschlichen Handelns
- Dialektik zwischen Sünder und Gerechtfertigtem
- Unterscheidung zwischen Glauben & Werken und Person & Werken
- in Amerika: Kampf alle gegen alle
- Handeln Luther: Dienst am Nächsten
- von Gott ist bereits zu unseren Gunsten entschieden; Wahrnehmung der Verantwortung in der Welt
als Gottesdienst → Veränderung des Herzens
Kritische Anfragen:
- Luther baute darauf, daß Vernunft das Sittengesetz erkennt ← Hat er die Geschichtlichkeit der
Ordnungen gesehen?
- Fragen, ob die Vernunft nicht unterschätzt wird
Theologische Kritik:
- Rede von Schöpfungsordnungen (Sünden) ist aus heutiger Sicht viel geschichtlicher
- Wird nicht von Christus her deutlich, was Schöpfungssinn ist?
Lösungsversuche innerhalb dieser Spannungen:
Luther: - nicht nach der Bergpredigt leben, wo man nicht für sich allein ist
- Solidarität aber mit den Schwachen jenseits der Frage ob sie an ihrer Situation schuld sind oder nicht
- Thielicke diskutiert das Neue, aber läßt es aber nicht reinkommen
- erkunden, wie in politischen Bereichen ein Stück der Lebenspraxis Jesu umgesetzt werden kann
⇒ Lutherische Ethik ist sündenorientiert und nicht potentialorientiert
2. Das Konzept „Ethik als Grundwissenschaft“ und „autonome Moral“
! autonome Moral → kath. Konzept
! christliche Ethik vielfach in Frage gestellt, am „Sack der Zwerge“ vorbei; zu traditionsbestimmt
! Schleiermacher, Wilhelm Herrmann (Lehrer Barths & Bultmanns), Ernst Troeltsch, Wolfgang Trillhaas,
Trutz Rendtorf
a) Die Grundannahme
- Behauptungen der traditionellen Dogmatik, wo sie mit Metaphysik verbunden sind (Gotteslehre,
Trinitätslehre) nicht mehr zugänglich
- Wie kann christlicher Glaube vermittelt werden, der sich nicht als Gegner der Neuzeit versteht?
1) anthropologische Grundfragen:
- Gottesgedanke hat Grund in der Selbstreflexion des Menschen
- Mensch ist auf letzten Macht (Gott) angewiesen
- Menschen sind abhängig zum letzen Grund → Zugang über die Anthropologie des Menschen
- Alle Menschen müssen Frage nach Gott stellen und wissen, daß sie bedingt sind
2) sittlicher Bereich:
- Anknüpfung: gerade in der Ethik kann gezeigt werden, daß christlicher Glaube etwas zu sagen hat
→ Zugang zur Religion über die Ethik
- wenn jemand anfängt, nach Verantwortung zu fragen: „Was sollen & was können wir tun?“
- Menschen, die ethisch fragen → Ziele? Werte? Gut + Böse?
⇒ nicht nur rationale, auch religiöse Entscheidungen, weil Religion mit dem Unbedingten zu tun hat
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Kant: Forderung nach Freiheit und Gott in der praktischen Vernunft
- von der Ethik öffnet sich die Religion zum christlichen Glauben
- Mensch als verantwortliches Subjekt
b) Zur geschichtlichen Entwicklung
- Vorprägung durch Schleiermacher
zur Religion:
- zum wahren Wesen der Religion gehört nicht Konfessionsstreit
- Religionskriege nicht Rolle der Kirchen im Staat
- Streit zu Religion + Wissenschaft + Metaphysik
→ das wahre der Religion zu erkennen (kein Wissen, weder metaphysisch, noch Gott in Begriffe zu
fassen)
- Religion hat ihre Wurzeln im Geschehen unmittelbarer Betroffenheit
→ Umgang mit der Welt und mit mir selbst
neue Erfahrung → (Mensch wird über den Alltag hinaus geöffnet für das Ganze; Ausschau des Universums; Sinn des Ganzen, alles Seiende)
- „Praxis ist Kunst; Spekulation ist Wissenschaft; Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche“
- in der Erfahrung mache ich die Erfahrung, daß ich die Erfahrungen nicht selbst machen kann
→ sie wird von außen geschenkt
- Anschau des Universums
- ich bin nicht aus mir selbst gegründet
- „Gefühle schlechthiniger Abhängigkeit“ (in Schleiermachers Glaubenslehre)
- Mißverständnis eines Pantheismus
- Religion ist eigenständige Erfahrung und muß daher nicht in Konkurrenz zur Wissenschaft stehen;
Gesamtsicht der Wissenschaft und unbedingte Betroffenheit
- wenn Aufklärung versucht, eine Naturreligion zu konstruieren, geht das nicht
- Was hat Religion mit der Ethik (dem Sittlichen) zu tun?
→ Religion erschließt uns die Welt, Weltdeutung in Anschauung des Universums
→ von Weltorientierung auf das Sittliche schließen
→ christliche Ethik kann umfassende Praxis für Lebensführung haben
→ Ethik = Religion
Unterscheidung der Ethik nach Schleiermacher:
• Gütterlehre
wichtigstes Element der Ethik; Mensch hat Werte & Güter durch Handlungen hervorgebracht
• Tugendlehre
Bescheibung der Haltungen, die die Kraft zum Handeln geben
• Pflichtlehre
gebotene sittliche Handlungen
- in religiöser Erfahrung, Betroffenheit kann ich erkennen, daß ich als Mensch in Sünde lebe, weil man sich
nicht am Unbedingten, sondern an den Erfahrungen der Welt orientiert
- Mensch ist in der Ethik orientiert am wahren Günstigen; Mensch hat immer schon Werte und Güter
hervorgebracht
- philosophische Ethik soll Lehre des Sittlichen sein und beschreiben, wie es in die Welt gekommen ist;
Einwirkung auf Vernunft und Natur
↓ 2 Wege
a) Natur zum Mittel machen; organisierendes Handeln
b) Natur als Ort machen, an dem das Gute sichtbar wird; symbolisierende + darstellende Tätigkeit machen
Ziel: sukzessive Durchdringung der Vernunft
- 2 Empfindungen: Lust + Unlust
- es bedarf in der Ethik Impulse der Lust und des reinigenden Handelns, um die Widerstände in uns selbst
und der Welt zu überwinden
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Was leistet der Glaube?
- Jesus ist der Urbegriff eines Menschen, der in ständiger Gottesbeziehung lebt; Urbild des ethischen
Handelns
- Gottesbewußtsein regiert in mir und stellt Triebe ab, die uns die Triebdimension vergessen läßt
- darum hat J.C. etwas ansteckendes
- Erfahrung, nach der man Ausschau hält, nach der man was vollzieht
- christliche Gemeinde soll in die Gemeinschaft hineinstrahlen
→ vgl. Platon: Kraft der Ideen
- Schleiermacher hat vorgeprägte Ethik als Grundwissenschaft;
vgl. Apologeten: Umfassende Weltdeutung und darum die Ethik gesetzt
- sagt im Sinne der Illuminationstheorie Augustins
→ Wer nicht Gott geschaut hat, kann nicht sittlich handeln
Willhelm Herrmann
- Zugang zum christlichen Glauben vollzieht sich im sittlichen Bereich
- man kann nicht zwischen phil. und christl. Ethik trennen
- das spezifisch Christliche besteht nicht in der inhaltlichen Bestimmung
- in der Selbstreflexion kann der Mensch erkennen, daß er unter dem Sollen steht
→ vgl. Kant
- Selbstreflexion, wie Kant sie geübt hat, führt in die Verzweiflung
- Mensch wird befreit durch die Offenbarung
- christliche Ethik wird von der Befreiung Jesus aus entwickelt, daher keine heteronome Ethik
- über die Befreiung des ethischen Subjektes sagt er, wie man den Menschen den christlichen Glauben
beibringen soll
Ernst Troeltsch
- betont, daß alles wackelt
- dogmatische Aussagen sind an Historie und Metaphysik gebunden
→ daher Zugang zum christlichen Glauben über die Ethik
- Ethik ist prinzipielle Wissenschaft
- zeigen, daß Christentum die ethische Frage beantworten kann
- Glaube schaut Mensch als verantwortendes Wesen an
↓ dogmatische Idee der Realisierung des Guten
- von diesen Grundrichtungen her soll man die Liebesethik Jesu im Dialog mit der Zeit sehen
Wolfgang Trillhaas
- Ethik soll heute verständlich und kommunikabel sein
- angewandte Anthropologie in der Humanität und Handlungsorientierung
- Barthsche Ethik ist Ansatzpunkt der Vernunft
- Ziel und Kriterium der kritischen Reflexion soll Humanität sein
⇒ fragen, wie die Humanität Gestalt gewinnen kann
- christliche Ethik soll allgemeine Ethik sein; Daseins- und Handlungsorientierung für alle Menschen
- christliche Motivation zum Handeln nicht zum Sollen bestimmt, sondern Dankbarkeit für Gottes
Versöhnungshandeln in der Welt
→ Einsicht ins christliche Freiheitsverständnis
- Feindesliebe
- Ethik hat mit Menschen zu tun
- Trennung zwischen Dogmatik (nicht allgemein gültig)
+ Ethik (hat allgemeineren Zugang)
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Trutz Rendtorf
- heute: ethische Theologie
- solche ethische Theologie hat zu zeigen, wie theologische Ethik auf die Fragen des Menschen antwortet
- ethische Theologie ist Steigerungsform von Theologie
- 3-facher Aspekt der Durchführung:
• 1) Alle ethische Theorie ist immer bestimmt vom vorausgesetzten Wirklichkeitsverständnis.
Theologische Ethik muß einsetzen mit der Wirklichkeitssicht
3 Grundeinsichten in das Gegebensein des Lebens:
a) Hineingeboren in eine bestimmte gesellschaftliche Situation
b) Leben ist uns aufgegeben → wir müssen daher unser Leben gestalten
Mensch als Ebenbild Gottes gedeutet und daher zu Verantwortung aufgerufen.
c) Reflexivität des Lebens
Wir sind endlich, geschichtlich, Verwirklichung begrenzt
Ja zum Leben, zum Aufgegebensein, zum Wissen um die Begrenzung, daß wir Geschöpfe und nicht
Schöpfer sind.
• 2) Alle Ethik geht davon aus, daß der Mensch Freiheit haben muß zum Handeln
Umgang mit dem Bösen wird vom RF-Geschehen in die Schranken gewiesen.
Auch die Bösen sitzen unter der Gnade ⇒ wir sollen sie nicht vernichten
Liebe begriffen als eine erneuerte Form der Freiheit
• 3) Wie kommt man zu Inhalten? → Verantwortungsethik / Ethik der Folgen
→ im Mittelpunkt steht nicht die einzige gute Gesinnung, sondern die Verantwortung zu übernehmen
→ Bedingungen der Realisierbarkeit und die Folgen mitbedenken, nicht alle Probleme auf einmal lösen
wollen
→ Ziel: im Gebot der Liebe in vernünftiger Weise zu realisieren versuchen
den anderen betrachten als jemanden, der die Würde Gottes hat
→ Ethik soll am größtmöglichen Nutzen aller orientiert sein
katholische Ethik
- 2-Stufen-Ethik
- Ethik hat Eigenständigkeit gegenüber der kirchlichen Dogmatik = autonome Ethik
Böckle:
- Begründung der autonomen Ethik → Gottes Gedanke schließt Autonomie ein
- Transzendentalphilosophie
- Glaube an Gott den Schöpfer schließt Vernunft nicht aus
- in der Welt ist das Gute umstritten und kann nie voll verwirklicht werden
→ Frage nach Gott als dem höchsten Grund
- kath. Ethik in doppelter Abwehr:
→ nicht zu verstehen als Sammlung göttlicher Gebote
→ gegen jeden heteronomen Gehorsam
Böckle: Nicht Gehorsam, der Gott folgt, sondern gehorsam aus eigener innerer Überzeugung
→ gegen jeden biblizistischen Ansatz der Ethik
- Frage von Böckle: Was ist mit der Bergpredigt?
• Liebe, die über diese Gerechtigkeit hinausgeht; die Bergpredigt zeigt uns, daß wir uns nicht selbst
erlösen können
• Verschärfung bringt nichts → neuer Umgang mit der Situation ist in der Bergpredigt beschrieben
• Bp zeigt, daß wir nicht nur auf unsere eigene Kraft angewiesen sind
→ neues Handeln ⇒ spezifisch christliche Ethik
⇒ entschärft damit z. B. die Forderung der Feindesliebe
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- Böckle hat als Kathole reformatorischen Ansatz, dies hat Auswirkung in katholischer Soziallehre
- katholische Soziallehre knüpft früher als die Protestantische Ethik an die Moderne an
- Ethik hat sich nicht nur im individuellen, sondern auch im gesellschaftlichen Miteinander zu bewähren
3 Grundprinzipien in der Sozialethik:
1) Personprinzip
Kant: Mensch darf nie Mittel werden; ist Selbstzweck
kath: Eintreten für Menschenachtung und Menschenwürde
2) Solidaritätsprinzip / Gemeinwohlprinzip
Der Mensch ist ein soziales Wesen, der der Gemeinschaft bedarf, um lebensfähig zu sein.
Gemeinschaft soll die Vielfalt fordern → Bemühung um das Gemeinschaftswohl
Gemeinwohl vor Übergriffen schützen
ausgleichende Gerechtigkeit fürs Gemeinwohl
3) Subsidiaritätsprinzip
Unterstützung zur Wahrung der Selbständigkeit
⇒ Schwangerschaftsabbruch daher generell nicht erlaubt, von wg. Leben schützen; bei Gefahr für das
Leben der Mutter ist er evtl. erlaubt
Anmerkung: Katholische Ethik erlaubt Güterabwegung in der Individualethik nicht, dafür aber in der
Friedensethik. Warum?
c) Kritische Auseinandersetzung
zur Leistungsfähigkeit:
1) geht nicht um die dogmatischen Aussagen, sondern um die Grundfragen des Lebens
2) Problem der Autorität; nicht Fremdautorität, sondern von innen her das Gute erkennen
- Sicht der Wirklichkeit wird herausgestellt; grundlegende Zielvorstellung (→ 3 Prinzipien);
wie es in der konkreten Situation aussieht, ist Sache der Vernunft
zur philosophischen Kritik:
- machen sich Kant zu eigen und gehen von der Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen aus
- alle Ethiken wollen im Religiösen zeigen, daß man auf Gott angewiesen ist; Mensch ist bedingt
- eindeutige philosophische Ableitung ist nicht gegeben
- Behauptung alles sei einsichtig und praktikabel
→ Track: Ethik muß Umstrittenheit beleuchten und im Dialog bleiben
zur theologischen Kritik:
- zeigen, daß christliche Ethik mit Grundfragen des Menschen zu tun hat, die sie beantwortet;
Gott als Problemlöser aller offenen Fragen (Bonhoeffer)
- Modell „Philosophie fragt – Theologie antwortet ist falsch“
→ auch über die Antworten im Gespräch bleiben
- Überbietungsmodell. daß sich über den Skandaloncharakter der Kreuzes ein Stück hinweg geht
- verkaufen ihre Ethik nur mit Ermäßigungen (z.B. im Bereich der Bergpredigt)
- eigene Kommunikabilität ist zu billig erkauft
3. Das Konzept der „christologischen Begründung“
a) Die Entfaltung bei Karl Barth und seinen Schülern (Walter Beck, Hellmuth Gollwitzer)
- Variante dieser Ethik bei Dietrich Bonhoeffer
- es begegnet uns der radikale Versuch, die Wirklichkeitssicht des Menschen + Was das Gute ist?
allein von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus zu sehen
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- Veränderung der Welt durch Jesus Christus sowohl in Dogmatik als auch in der Ethik bei Karl Barth zu
sehen; kein Bereich ist von der Herrschaft Gottes ausgenommen
- Wo begegnet und Gottes Gebot?
→ im Zuspruch der Gnade; in dem Zuspruch der Gnade begegnet und sogleich der Anspruch
→ Evangelium geht dem Gesetz voraus; Gesetz als Lebensraum für den Menschen
↓ Befähigung das Gesetz als Mittel zur Selbstrechtfertigung zu sehen
→ Zuspruch und Anspruch Gottes auf unser Leben
→ Evangelium : Du wirst das tun!
darauf achten, in welche Richtung und Linie uns das Evangelium weist
Ethik ist Folge der Dogmatik
Barth wendet sich gegen jeden Versuch von Naturrechtlicher Begründung
jeder Versuch, die Welt ohne Christus erkennen zu wollen, steht in der Macht der Sünde
→ Kritik an liberaler und neuzeitlicher Theologie
- Weg Gottes: Schöpfung – Erlösung – Vollendung ⇒ Frage nach dem Willen Gottes
- diese Welt ist eine noch nicht erlöste Welt → Lehre von der Königsherrschaft Christi
⇒ stärkere Beziehung der 2 Reiche Luthers
⇒ Jesus ist Herrscher beider Reiche (Barmen II)
-
- radikale Kritik der neuzeitlichen Autonomie
inhaltliche Kritik:
- am Willen Gottes, wie er sich in Schöpfung, Erlösung im dreieinigen Gott zeigt
- in jeder Situation neu nach dem Willen Gottes fragen (im Hören auf die Schrift)
- in der Schrift ist uns Richtung und Linie vorgegeben für alle Zeiten, wie wir Menschen sein sollen
(←in dem wir Gott entsprechen) ! neu nach dem Willen Gottes fragen
- Bart kann sich dem nicht entziehen, daß wir in der noch nicht erlöster Welt leben
→ Lehre von der Königsherrschaft Christi in Unterscheidung zu Luthers 2 Reiche/Regimenten-Lehre;
möchte die Beziehung zwischen beiden Regimenten besser herstellen
- „ Rechtfertigung und Recht“ 1938 → Jesus Christus ist der Herr beider Reiche
! König; Königsherrschaft
- vgl. Barmen II: ...Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen
wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in
denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.
- Christengemeinde: Gruppe durch Bekenntnis zu J.C. mit sich und anderen Gruppen verbunden
Aufgabe: Gehorsam gegen Wort Gottes
• innerlich: Leben aus Glaube, Liebe, Hoffnung
• äußerlich: Bekenntnis; gemeinsam geübte Verkündigung des Wortes J. C. an alle
Menschen
- politische Gemeinde : alle stehen unter dem Zwang der Rechtsordnung
(→inhaltliche Bestimmung des Rechts)
Aufgabe: für relativen Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit sorgen
Gestaltung: Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung
Bürgergemeinde als solche hat keine Verhältnis zu Gott
! Toleranz gegenüber der Religion
Beide Gemeinden stehen unter der Königsherrschaft Christi.
- christliche Gemeinde kann dem Staat nichts befehlen, sondern nur die Richtung des Evangeliums zeigen
Analogielehre: • Gott in Trinität entsprechend
• Jesus Christus als wahrer Mensch und wahrer Gott entspricht sich selbst
• Mensch ist unterwegs zur Entsprechung
- analog entfaltet zur Bürgergemeinde
- christliche Gemeinde soll Bürger an Ziele, Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit hinweisen, nicht
Parteigründung, sondern so hinweisen
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Walter Kreck (Barthschüler): Grundlegung der Ethik
• Ethik auf Indikativ begründet ⇒ Imperativ
• Zusammenfügung von Dogmatik und Ethik
• Frage nach dem menschlichen Guten ⇔ Gottes Gebot entgegengesetzt
• J. C. ist der, der das Schöpfungs-, Versöhnungs-, Erlösungshandeln näher auslegt
→ bis dahin konventionell barthianisch
• Gebot und Situation vermitteln
Hellmuth Gollwitzer:
• in Berlin gelebt
• bei der Königsherrschaft Christi und dem Analogiemodell verwirklicht sich das näher am Evangelium
(konzentrische Kreise)
→ innere Bewegung zwischen Bürgerlichen und Christengemeinde
→ Ethos aus dem Evangelium ist im möglichen Maße überall zu verwirklichen
b) Dietrich Bonhoeffer
- Sonderfall klassischer Ethik
- Fragmente der Ethik, Briefe aus der Haft
4 Grundlinien:
1) Bonhoeffer möchte die Ethik entfalten, die vom Kriterium her christusgemäß bestimmt sein soll
Ethik soll sagen, wie heute und hier Christus Gestalt gewinnen kann
in Christus ist Gott in die Wirklichkeit der Welt eingegangen
Christus und Weltwirklichkeit ist eins
in Christus besteht das Angebot, an dieser Weltwirklichkeit teilzunehmen
christliche Ethik fragt nach der Wirklichkeit → christusgemäße Ethik
2) von obengenannter Grundbestimmung
→ Ethik soll wirklichkeitsgemäß sein
Bonhoeffer wendet sich gegen die billige Gnade → Ruf in die Nachfolge
von Christus her zeigt sich, was das Wirklichkeitsgemäße ist
Einheit zwischen Vernunft, Wirklichkeitsgemäßheit und Übernatürlichkeit
Christus und Welt durchdringen sich gegenseitig
christusgemäßes Handeln ist das wirklichkeitsgemäße Handeln
3) Unterschied zwischen letzen und vorletzten Dingen
letzten Dinge: Gott
vorletzten Dinge: Bedingungen und Situationen unserer Wirklichkeit
richtige Verhältnisbestimmung: Vorletztes behält seinen Wert an sich
aber wie diese Dinge getan werden, hat sich von den letzten her zu bestimmen
vorletztes Tun: den Hungernden Brot geben → bedeutet nicht, die Gnade Gottes und RF verkündigen
weder Nihilismus, bejahung des Vorletzten von der Gnade her
Wer im Glauben steht, soll Vorletztes, um des Letzten willen tun
4) Lehre von den Mandaten
will den Ordnungen die Mandate entgegensetzen
Erkenntnis und Bestimmung der Ordnung von Jesus Christus her
Aufträge sind Mandate wo wir was gestalten müssen
→ Feld der Arbeit
→ Feld der Ehe / Geschlechterbeziehung / Gnerationennachfolge
in der Gestaltung dieser Mandate hat sich der Mensch vor Gott zu bewähren
Ehe: Kind anstelle von Gott erziehen
Track: Nun denn!
das menschlich Gute in den Dienst der Herrschaft Christi stellen
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
c) Kritische Auseinandersetzung
Leistung:
• Anspruch Gottes ist Kriterium
• endliche Vernunft steht im Bann der Sünde und mißbraucht ihre partielle Erkenntnis zur
Selbstrechtfertigung
• bei Barth explizit, bei Bonhoeffer implizit neue Zuordnung von Gesetz und Evangelium
• der Gerechtfertigte kann handeln, wenn er sich von Gott bestimmen läßt
• Barth: Linien des Evangeliums; Bonhoeffer: Arbeitet mit den Kriterien!
Kritische Anfragen:
philosophisch:
• Barths ethischer Ansatz ist Ideologie
• macht Gesamtdeutung der Wirklichkeit, wo er Jesus Christus als Kriterium der Deutung sieht
• Wort Gottes, dem wir zu gehorchen haben ⇔ kritische Prüfung?
• Deutung von Barth: Vernunft kann das Gute nicht erkennen,
→ ist immer Absage an die Selbstbestimmung des Menschen
• Wort Gottes aus der Schrift entnehmen
→ Wie kann man die Schrift angemessen lesen?
→ Stellt sich das hermeneutische Problem nicht?
• Barths Theologie erscheint als autoritäre Theologie
theologisch:
• zur Hermeneutik Karl Barths:
Jesus ist der Erkenntnisgrund
Bonhoeffer: christusgemäß = Kriterien
Bonhoeffer: Wir sollen das Zeitgemäße entfalten! → Was ist zeitgemäß?
• zu Glaube, Sünde und Gehorsam
Zeitansage der Herrschaft Gottes stellen
Jesus fordert nicht den blanken Sprung in den Gehorsam, ermöglicht Erfahrungen, gibt Beispiele
nicht was die Menschen von sich als das Gute erkennen ist generell schlecht
Schöpfung, Sünde, Erlösung, Königsherrschaft Christi und alle Reiche unter der Königsherrschaft Christi
Fragen von Versöhnung ist im politischen Handeln angebracht
• zu Gesetz und Evangelium
Einheit von Glaube und Handeln
haben Gefahr, daß Nachfolgeforderung zu einer Art Neues Gesetz wird
neu lernen mit Gelingen und Scheitern umzugehen
richtiges Verständnis von simul justus et peccator
Grundlegung der barthschen Ethik bräuchte kritische Anfragen in der Durchführung
4. Das Konzept der „Situationsethik“
a) Die verschiedenen Auffassungen
- biblische Linie dessen, was wir tun sollen
- hinter der Situationsethik steht Augustin: Liebe und tu, was du willst!
Bultmann
Joseph Flatcher / Paul Lehmann
→ lehrte Ethik am Union Seminary
Dorothee Sölle („Phantasie und Gehorsam)
Martin Honnecker
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- Situationsethik aus folgender Frontstellung christlich:
• Vorstellung vom Gehorsam; Ethik, die Gehorsam fordert, wird Christus nicht gerecht
• Bsp: Erzählung vom barmherzigen Samariter
Liebe ist der Grund und Ziel unseres Handelns; an Stelle von Einzelnormen hat das gebot der Liebe zu
treten
zum Wesen der Liebe gehört es, daß sie sich nicht festlegt und im Normensystem einfängt
Liebe hat Bedürfnisse und Situationen im Auge
Liebe kann nicht befehlen → kein Gehorsam
Bultmann: „Das christliche Gebot der Nächstenliebe“ 1930
• Liebe ist kein Ideal, keine Eigenschaft, sondern Beziehungsgeschehen zwischen dem Ich + dem Du
• aus Lebenshaltung das Nötige zu tun; wenn wir wissen, daß wir von Gott angenommen sind
• Paulus → Haben, als hätte man nicht. Bultmann: Entweltlichung
Norman Flatcher: „Moral ohne Norm“
• Ziel der Ethik: zwischen legalistischer (Norm bis ins kleinste festlegend) und
antinomistischer Ethik (Mensch braucht keine Orientierung)
• Liebe ist das Prinzip, daß in allen Situationen zu gebrauchen ist
6 Thesen:
1) Nur eins ist aus sich selbst gut, die Liebe und sonst nichts!
→ Handelnder und Betroffener erfahren sie beide als gut
2) Die leitende Norm christlicher Entscheidung ist die Liebe und sonst nichts!
→ Wenn es die Liebe erfordert, dürfen die 10 Gebote außer Kraft gesetzt werden.
3) Liebe und Gerechtigkeit sind dasselbe, denn Gerechtigkeit ist angewandte und ausgeteilte Liebe und
sonst nichts!
→ Spannung zwischen Gerechtigkeit und Liebe. Liebe hat in der Gerechtigkeit die strukturellere
Ausprägung
4) Liebe erstrebt das Wohl des Nächsten, ob wir ihn mögen oder nicht!
→ dialogische Begegnung mit dem Nächsten
5) Nur der Zweck rechtfertigt die Mittel und sonst nichts!
6) Entscheidungen der Liebe können aus der Situation [nicht aus Vorschrift] heraus getroffen werden.
Die Entscheidungen in der Situation sind wie immer riskant.
- Flatcher meint, daß diese Ethik nicht spezifisch christlich ist.
- christlich ist das Motiv
- christliche Ethik als Ethik der Danksagung, die auf Selbsthingabe Gottes in Jesus Christus antwortet
Dorothee Sölle: „Phantasie und Gehorsam“
• kritisiert die Individualisierung der Theologie Bultmanns;
die Kerygmatheologie als Theologie der Entscheidung
den Gehorsamcharakter gegenüber der Rechtfertigung
• Verkündigung des irdischen Jesus (→ hat gezeigt, wie Menschen ihre Identität finden und miteinander
leben können)
⇒ Jesus selber ist in seinem Verhalten ansteckend → Verhalten in Verantwortung und Liebe
• Abschied vom personalistischen Gehorsam; Bsp.: Glaubensordnungen der Orden;
entscheidend ist der sachbezogenen Gehorsam; „Es ist Dir gesagt, Mensch was gut ist!“
• Abschied von der autoritären, versklavenden Ethik
• Richtung dessen, was gut ist → auf die Zukunft hin
• Aufgaben lassen sich nur mit Phantasie und Gehorsam lösen
• bei Jesus: Identität nicht im Haben-Wollen, sondern im Öffnen in der Begegnung für andere, auch Leiden
für andere aufnehmen
• Zusammenhang: Ich der Phantasie im Handeln im Glück
• frei werden vom ich, nicht Erfüllen von Vorschriften
• Sölle hat von ihrem Grundansatz nie Abstand genommen, nur variiert
Paul Lehmann; Richard Niebuhr + Reinhold Niebuhr → Deutsch-Amerikaner:
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
• wollen beide eine Kontextethik und keine Situationsethik
• gehen davon aus, daß christlicher Glaube Handlungsmöglichkeit ist;
daß Ethik sich an Jesus orientiert
• Gemeinschaft des Glaubens fragt was der Willen Gottes ist und hört das Wort Gottes
→ Umsetzung
• gemeindeorientierte Ethik
→ typisch-amerikanische Ordnung
• koinoni/a-Ethik
• Ullrich (Sozialethiker) verfolgt diesen Ansatz
• Was ist für mich + meine Nächsten der von Gott eröffnete Verhaltensspielraum?
Was ist dann geboten zu tun?
Martin Honnecker:
- fundamentaltheologische Beiträge
- schwer einzuordnen, unterscheidet sich in einem Punkt von der Sozialethik
→ es gehört zur Ethik daß wir bestimmte Institutionen für
auf Dauer stellen
- Nähe zur Situationsethik
• nicht mögliche Ethik aus der Bibel (NT) für Situation ableiten
• Gründe: 1) pragmatisch → das ist nicht praktikabel
→ im Wandel der Fragestellungen + Handlungsanweisungen Rechnung zu tragen
2) theologisch
Materialethik aus NT ableiten, dann würde man das Evangelium zum Gesetz machen
man würde Einzelentscheidungen zu christlichen machen
⇒ trotzdem nicht Verzicht auf das Christliche
- Honneckers Ethik = Motivationsethik
2 Funktionen des Glaubens:
1) Verantwortung übernehmen, durch das Rechtfertigungsgeschehen zur Liebe berufen (radikal)
2) entschärft der christliche Glaube, indem er sagt, daß man zwischen Person und Werk unterscheiden
muß
- Glaube ist Befreiung und Relativierung zum Handeln; Kriterium kann nur das Humanum sein
b) Kritische Auseinandersetzung
Leistungsfähigkeit:
- Frage der Autorität gelöst (sollen); kein autoritärer Anspruch → bei Honnecker und Lehmann nicht klar
- alle ethischen Konzepte wollen sagen, daß christliche Liebe nicht widervernünftig ist
- unterschiedliche Beschreibung der Kraft des Handelns
Kritik:
- Grundlinie → Handeln (← Überforderung für die Menschen);
besser Grundlinie ⇔ Erfahrung (← Handeln aufgrund Bewährtem)
- bereit sein, für das Gute zu leiden, ist sehr umstritten
- einleuchtend, daß die Normen und Liebe nicht absolut gestellt werden soll, dabei muß man aber immer die
Ausnahmesituation im Auge haben
- alle diese Ethiken unterschlagen den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Liebe
5. Das Konzept „differenzierender Begründung“
a) Die verschiedenen Auffassungen
- Konzepte, die versuchen wollen, zwischen dem Barthschen Ansatz (Evangelium und Gesetz) und der
Lutherischen Ethik (Gesetz und Evangelium) zu vermitteln
- Ernst Wolf (Sozialethiker), Tödt, Huber, Arthur Reich, Dietz Lange
- Konzepte, die sagen, daß Ethik ihren Grund und Ziel in Jesus Christus hat
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- christliche Ethik richtet sich an die Glaubenden (→Mission), aber auch wissen, daß es Nicht-Glaubende
gibt
- Auseinandersetzung, daß wir Christen alte und neue Menschen sind
- Verhältnis zwischen Vernunft und Offenbarung zu entwickeln
- Menschen können teilweise um das Gute wissen
→ sich dem stellen, was Vernunft sagt, und dies durch den Glauben prüfen
intelligo ut credam, credo ut intelligam
Wolf
- Frage, wie der Mensch Mensch sein kann
- wir schaffen für unser Handeln Institutionen, aber nicht geschichtslos gedacht, vorgegeben, sondern
kritisch gestaltet werden, im Gehorsam gegenüber Gott
- Gestaltung der Institutionen orientieren an
a) am Gebot der Nächstenliebe
b) da Sachkompetenz (Vernunft/Erfahrung) zur Geltung bringen
- in jeder Situation vor Augen halten:
Der Mensch, der an Jesus Christus glaubt, ist zugleich in der Königsherrschaft Christi zur Mitarbeit
aufgerufen;
begegnet auch anderen, die die Königsherrschaft nicht für sich wollen
- im Widerstand sich von Jesu Handeln inspirieren lassen
- Evangelium hat Tendenz zum Sozialismus (vgl. Gollwitzer)
- Botschaft des Evangeliums ist auch revolutionäre Größe
Heinz Eduard Tödt / Wolfgang Huber
- von Barth herkommend: von Jesus Christus her neue Wirklichkeitssicht und Handlungsmöglichkeit
sichtbar
- aufgrund der Erfahrung mit Gott und dem Gemeinschaftsleben im Gottesdienst ergibt sich Disziplin im
Umgang mit der Zeit
7 Grundsätze der Disziplin
1) Disziplin, die unter erreichbaren Möglichkeiten, Entsprechungen die mit der Verheißung Gottes für das
menschliche Zusammenleben gegeben sind
2) Disziplin des Glaubens
Christus hat die Welt übernommen (Ordnungen überwunden und verändert)
3) Disziplin der Hoffnung,
die sich weigert, die Bemühung um eine bessere Welt der Resignation zu opfern
4) Disziplin der Liebe,
die dem Gesetz, der Feindschaft, der Vergeltung, dem Mißtrauen entgegentritt
5) Disziplin der Buße und der Selbstkritik,
die die eigenen Fehler (Kirche, Institutionen) als Versäumnis anderer registriert
6) Disziplin der Wahrheit und der Sachlichkeit,
die sich den Bedingungen und Gegebenheiten der Welt aussetzt und sie nicht außer acht läßt
7) Disziplin eines christlichen Verhaltens,
daß nicht von zeitlichen Normen, sondern von konstruktiven Möglichekeiten der Veränderung auf das
Reich Gottes hin ausgeht
- an Barth anknüpfend, Sachen des Evangeliums auch im politischen Bereich anzuwenden
- innere Einheit vom geistlichen und weltichem Regiment aufbauen
Analogie und Differenz:
Track: sprachkritischer Fehler, sie meinen Analogie, in der es Gemeinsames und Differenzen gibt
- Frage, wie man das übertragen kann in die Welt, in der sie nicht an Gott glauben
- aus Evangelium nicht einzelne Gebote ableiten, sondern Gott entsprechende Verhaltensweisen rausziehen
und in der Politik umsetzen
- Herrschaft Gottes: Welt ist ein Vorletztes, aber wir haben in dieser Welt die Hoffnung
- Utopien entwickeln
- glauben, daß das Böse nicht das letzte Wort hat und eingedämmt werden kann
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- ja sagen zu dem Mensch als Mensch (→Analogie zu Gott; Differenz mit dem „ja“ Gottes begründet als
unhinterfragte Behauptung)
Arthur Rich
- von religiösen Sozialisten geprägt (Leonard Raddaz); Schweizer
- Grundlage, von der er ausgeht: christlicher Glaube ist eschatologischer Glaube
- christliche Ethik unterscheidet sich von 2 Deutungen, wie sie es im apokalyptischen Judentum getan hat
- Model der Katastrophe und des Gerichts → Weltflucht; Ausrichten auf zukünftige Welt oder zum Rest
der Verschonten werden
- innerweltliche Hoffnung auf Erfüllung (vgl. Marxismus)
- christliche Eschatologie ist, daß sie hereinbricht, schon jetzt ereignet sich etwas, schon jetzt kommt das
Neue zur Geltung
- Rich sieht in der Spannung des „schon jetzt“ und „noch nicht“ das Singuläre des christlichen
Glaubens
• 1. Kategorie die in der Ethik entfaltet wird, ist die Grundunterscheidung zwischen
Absolutem (Reich Gottes → kann den Geschöpfen vom Schöpfer her verschlossen werden)
+ Relativem
• kritische Distanz zur Welt; Ort des Geliebtseins durch Gott, aber auch Nähe zur Welt, Erfahrung des
Neuen
• christliche Ethik läßt sich bestimmen durch Glaube, Liebe, Hoffnung
• Gott hält bedingungslos an Schöpfung fest, auch wenn Menschen sich gegen Jesus entscheiden
• Glaube ist Vertrauen wieder alles Mißtrauen
• Liebe: in J.C. erfahrbar, in Zuwendung und Hingabe für andere Menschen; Liebe wird uns geschenkt
• Jesus ist Urbild, wie man aus Glaube, Liebe und Hoffnung leben kann
• Rich: Wie kommt man dazu? → nicht beweisbar
• Verhältnis vom Ich zum Ich
• Mensch ist immer in Beziehung zu einem Du; Ich→
→ Du; Ich→
→ Wir
personale Ethik
Mensch als Einzelner, Wir als Gemeinschaft, in der Gemeinschaft zur Welt Sozialethik
Ich/Wir → Es
in diesem Feld Handlungsorientierungen gewinnen
• Kriterien in Erfahrungsgewißheit (Glaube, Liebe, Hoffnung)
→ ethisch formuliert
Das Kriterium für das ethische Handeln:
a) ist das Unterscheiden zwischen Absolutem und Relativem
b) Menschengericht
1. Kriterium:
Geschöpflichkeit als Auslegung des Menschen gerecht
Menschliche Existenz ist in Gott und nicht in sich selbst gegründet.
Wir sind frei und verantwortlich.
2. Kriterium:
Immer in der Welt die kritische Distanz einhalten
3. Kriterium:
relative Rezeption (←
←annehmen)
Wir sollen die Gesellschaftsordnungen aufnehmen und gestalten
4. Kriterium:
Kriterium der Relationalität
Alles in dieser Welt ist relational aufeinander bezogen
⇒ gibt es relationale Verwirklichung von Werten?
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
5. Kriterium:
Kriterium der Mitmenschlichkeit
menschliche Existenz ist dialogische Existenz
menschliches Leben immer Leben in Partnerschaften
Mensch-Gott
Situation des Miteinanders und Füreinanders
mit Menschen und Geschöpfen in die Situation gestellt
⇒ Kapitalismus darf man nicht den Leistungsmaximalismus brauchen
6. Kriterium:
Kriterium der Partizipation
Institutionen müssen partizipativ gestaltet werden
• mit den Kriterien eine Humanität aus Glaube, Liebe, Hoffnung gestalten; im Namen der Gerechtigkeit gibt
es Gleichheit und Freiheit
• sozialethischer Ansatz von Rich: Liebe, die zur Humanität befähigt, schließt Gerechtigkeit mit ein
Dietz-Lange:
- bisher kommen alle von Barth her; Dietz-Lange kommt von Ebeling; (Niebuhr) und der anglikanischen
Diskussion her
- ethischer Ansatz = unsystematisch
Ausgangspunkt:
- Strittigkeit der Ethik und der Wirklichkeit, deswegen Konzepte und Forderungen strittig
- es geht um die Erfahrungen die man beim Handeln macht
diese Erfahrung ist Gewissenserfahrung → Sollen
- diese Erfahrung kann man niemand aufzwingen
- mit der Erfahrung des Sollens verbindet sich ein Feld, in dem die Erfahrungen vorgegeben sind
- dieses Feld ist von 3 Gegebenheiten bestimmt:
1. Identitätsgewinnung
2. Herausforderung der Gestaltung der Gemeinschaft
ursprünglich von Niebuhr
3. Sorge/Fürsorge für die Welt
- Ethik führt immer in Konfliktsituationen hinein:
1) Unbedingtheit der Forderung wird nur relativ erfüllt
2) Differenzierung zwischen faktischem und eigentlichem Wollen
3) Konflikt zwischen Rollen, Pflichten und Gütern
- Wie ist das christliche der christlichen Ethik zu bestimmen?
durch Erfahrungen der Liebe Gottes bestimmt; Einheit des Guten
Jesus Christus läßt sich vom Vertrauen zu Gott bestimmen
⇒ christliche Grundpflicht: Vertrauen zu Gott
⇒ Gott schenkt Glaube und Liebe: neue Lebensbasis
nach christlicher Anthropologie ist die Einheit der Wirklichkeit allein in Gott gegeben
→ das Gute erhält allein von Gott her seine Bestimmung, dies ist in Jesus Christus sichtbar
Tugendethik
- Lange: in Jesus Christus ist Tugend geprägt, daß Jesus Christus zeigt, daß von Gott bestimmt ist
→ Selbstvertrauen
gg. Kant: Pflicht/Sollen ist das A und O der Ethik
- Jesus läßt sich an der konkreten Ort stellen (←
←Pflicht) und
Jesus zeigt mit die Ziele auf:
• Liebe soll an den Bedürfnissen (→ für sich und für andere sorgen) der Menschen ausgerichtet sein
→ barmherziger Samariter
• Gott will das Geforderte geben → Glaube, Liebe, Hoffnung
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
• Gott begegnet unserem Scheitern mit Vergebung, nicht mit Gericht
Lohn-und-Strafe-Schema durch Verheißung der Gnade Gottes abgelöst
ethisches Verhalten muß aus der Liebe Gottes begründet sein
- Lange will christologisch begründen, aber nicht so wie Barth (ontologische Wriklichkeit, „Laß Dich von ihr
erfassen!“)
- Situation, in dem das Neue angebrochen, aber im ständigen Kampf ist
- dynamisches und kampfhaftes Verständnis
- gg. die Katholiken; kein Überbietungsmodell, sondern Kampfsituation:
→ Umkehren aus bisherigen Lebensweisen; Neubegründungen des Ichs
- reformatorisch: sich die Liebe schenken lassen
Wie können ethische Gesichtspunkte näher bestimmt werden, daß wir gefordert sind, Liebe zu üben?
- Lange: Strukturelemente beschreiben, die in jeder Ethik zu bedenken sind
anthropologische Gegebenheiten (Wirklichkeit der Welt und des Menschen)
3 grundlegende Wesen im Umgang:
1) Lebenswirklichkeit und uns selbst praktisch verändern
2) Lebenswirklichkeit kulturell gestalten
3) Lebenswirklichkeit darauf verzichten zu gestalten
- zur Struktur des Lebens gehört Polarität (bei Rich Rationalität)
1. Grunderfahrung: Polarität
2. Grunderfahrung: Geschichtlichkeit → Wandel, der äußerlich und innerlich betrifft
3. Grunderfahrung: Institutionalität → Mensch hat immer feste Formen und bildet diese aus
→ Institutionen müssen gesteuert und gestaltet werden
4. Grunderfahrung: Erfahrung der Macht → persönliche Entfaltung, Macht der Gemeinschaft
5. Grunderfahrung: Erfahren von Autorität und Freiheit → bewußt / unbewußt
6. Grunderfahrung: Interessen → wir unsere, andere ihre
→ es ist prinzipiell nicht möglich, Vorurteile und Interessen zu
überwinden
⇒ wichtige Überlegungen, wie man damit umgeht
7. Grunderfahrung: Erfahrung des Konflikts
8. Grunderfahrung: Unterscheidung zwischen Alltags- und Spitzensituation
Alltags- und Spitzensituation interpretieren sich gegenseitig
- Wie sieht das ethische Subjekt näher aus?
Spannung zwischen einzelnem und kollektiven ethischem Subjekt
subjektive Verantwortung kann niemandem abgenommen werden, gemeinsam Verantwortung ausüben
Subjekt muß anstreben, was es will, Veränderung oder Durchsetzung gestalten
immerwährender Konflikt zwischen unbedingtem und religiösem Sollen,
faktischem und eigentlichem Wollen
- Widerspruch zwischen Rollen, Gütern und Pflichten
→ wirkt sich am Gebot Gottes aus
- erfahren, daß wir in diesen Konflikten befreit sind, Empfangene der Liebe sind, die mit Liebe antworten
Wie kann die Liebe konkret Gestalt gewinnen?
- Lange lehnt Ethik des Kompromisses ab
- Liebe denkt vom anderen her und wird vom anderen her gegeben
- Lange weiß um die Differenz zwischen Liebe und Gerechtigkeit, ethisches Kalkühl
- Vollmacht der Liebe Gottes befreit zu wahrhaft befreiendem Leben
- Kriterienlehre des Handelns:
Grundlegendes Kriterium: Menschsein als Selbstsein,
Selbstsein: Wir sehen uns von Gott gewollt und geschaffen
Sorgen für den anderen: ihn auch als gewolltes Geschöpf ansehen
→ verbunden mit dem kath. Subsidiaritätsprinzip (dem anderen so zu seinem Menschsein verhelfen)
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Dasein für die Welt
ethisches Handeln muß situationsbezogen und realisierbar sein
Literatur: Dietz-Lange S. 513-519
b) Kritische Auseinandersetzung
Leistungsfähigkeit:
• will dem Anspruch des Evangeliums gerecht werden
→ Forderung nach Liebe, ohne sie zum Gesetz machen zu wollen
• dynamisches Verständnis, ethisches Subjekt in Bewegung
• Vernunft erhält ihr Recht darin, wenn es um das Abwägen der Situation geht; gg. Barth
• Autoritätsfrage: spezifische Ethik → eigene Sicht der Situation
Track:
• christliche Ethik ist spezifisch
• Gründe für eigene Erfahrungen
• geschichtlicher Wandel wird man gerecht
• Normen / Institutionen des Evangelium halten sich durch
• in der Situation aufgrund der Kriterien handeln
Kritik:
phil.:
- Entwurf ist ehrlich: bestimmte Perspektive wird vertreten aus der Sicht des Glaubens
theol.:
- Handeln des trinitarischen Gottes in Schöpfung, Erlösung und Vollendung
- bei der Hermeneutik ist eine Richtung vorgegeben und bei Näherbestimmung der Handlungsziele
erkennen, was zu tun ist
- Problem: sagen, wir müssen differenziert handeln;
Liebe ist mehr als Gerechtigkeit; Unterschied in Christen und Bürgergemeinde
faktisch läuft es darauf raus, daß das Realitätsprinzip die Oberhand gewinnt
↓
(nur bedingt das Evangelium in der Politik verwirklichen)
6. Ansätze feministischer Ethik
- Jahrhunderte lang hatten nur die Männer das öffentliche Wort, dann auch die Frauen
- Frauen = Trägerinnen der religiösen Gemeinden; wollten selbstverantwortliche Subjekte sein
- Beseitigung dieser oder jener Entfremdung; Veränderung nicht nur im Grundverhältnis
- Androzentrismus → Patriarchat, das gründet in der Höherbewertung des Mannes
- Feminismus geht von der umfassenden Frauenbefreiung aus
a) Feministische Theologie und Ethik
- beruft sich auf das Handeln Gottes in Jesus Christus, erkennt die Würde aller Menschen an
⇒ ruft sie in die Verantwortung
- schließt Kritik ein, Theologie zu treiben in Gestalt der Kirchen und Gesellschaft
- hat sowohl Aufmerksamkeit, als auch Abwehr entgegengebracht
- unbefangene Wahrnehmung
- nach Wurzeln der feministischen Theologie fragen:
1. Frauenbewegungen (ältere und neuere)
18. und 19. Jh. steht in Zusammenhang mit den Menschenrechtsforderungen
19. Jh. Romantik → Besonderheit und Ganzheitlichkeit der Frau
Veränderung in den Arbeitsbedingungen
→ Frauen gehen nun öffentlich eigene Arbeitsverhältnisse ein (vgl. Diakonissen)
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Restauration: guter Hausvater zeigt sich daran, daß die Frau nicht arbeiten muß
Frauen setzen sich stark für Frieden, Diakonie und soziale Gerechtigkeit ein
2. Wurzel: 60er; Frauenbefreiungsbewegung der USA
→ sozial- und kulturpolitische Veränderung; Einbringung von Frauengesichtspunkten
3 Ks sowie Geschlechterbeziehungen und Sexualität verändert sich
1918 darf die erste Frau an der Uni studieren
⇒ Frauen wollen selber über sich Wissenschaft betreiben (nicht mehr Männer schreiben über Frauen)
Frage nach der unterschiedlichen Bestimmung zwischen Männern und Frauen
3. Wurzeln in der Theologie selbst:
Entdeckung der Subjektivierung der Frau ←besonders Schleiermacher
erst seit 1930 Theologiestudium von Frauen
1968 (1976 in Bayern) Frauenordination
4. Befreiungstheologie
ganzheitliche Befreiung nicht nur der Armen, sondern auch der Frauen
Erfahrungen der Menschen ernst nehmen und von daher die Bibel neu lesen und erschließen
Hermeneutik der Theologie der Befreiung inspiriert die feministische Theologie
Gemeinsamkeiten/Zielvorstellungen:
1) Frauenbefreiung in Theologie, Kirche und Gesellschaft
→ Methode:
• Analyse der Rolle der Frau, bisher nur Definition der Frauen durch den Mann
• Frauenbefreiung der Gesellschaft sorgt auch für Männerbefreiung
• nach Frauenbefreiung in der Gesellschaft → Frauenbefreiung in den Kirchen
⇒ neue Hierachie: Sozialität, Solidarität, neue Spiritualität
⇒ neue Sozialgestalt der Kirchen ⇒ Solidarität, Mitwirkung, neue Form der Spiritualität
• Theologie als Wissenschaft muß neu verstanden werden, neues Treiben,
neue Hermeneutik (absehen von historisch-kritischer Methode), Text zum Gegenstand von Erfahrungen
ganzheitliches Wiedererkennen der Schrift
Hermeneutik der Erinnerung
neues Lesen der Schrift aus der Perspektive der Unterdrückten → ganzheitliche Erschließen
Theorie-Praxis-Relation
nach befreienden Impulsen der Schrift fragen
Hermeneutik des Verdacht (Schüssler-Fiorenza)
Erschließen der Schrift, die auch Kritik an der Schrift äußert
2 Linien:
a) befreiungstheologisch orientiert:
befreiungstheologisch orientierte Hermeneutik
Carin Halkes, Elisabeth Moltmann-Wendel, (Dorothee Sölle), Luise Schottroff,
Rosemary Redford Roser, Cate Havorth, Elisabeth Schüssler-Fiorenza, Beverly Harris,
Dorothee Williams
b) mystisch-weisheitliche Richtung:
→ Öffnung für Einsichten anderer Religionen ; Mary Daily (hat sich vom Christentum verabschiedet)
Christa Mulack: Nicht nur Gott, sondern Göttin
Müttergeneration: Sölle, Moltmann-Wendel
→ Frauensolidarität
Töchtergenerationen:
→ Themen, die ausgeklammert wurden; Streit unter Frauen
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
ethische Zielvorstellung:
Wirklichkeitssicht: Gottesverständnis → Schluß auf die Welt
männliche und patriarchale Weltsicht ⇒ weiblichen Seiten Gottes entdecken
→ Sprachproblem im Hinblick auf die Eigenschaften Gottes (Herrscher, König, Herr):
Leidensfähigkeit, Zärtlichkeit, Ja zum Leben und zur Weisheit ist immer ausgegrenzt worden
Interesse an der Sophia und der Heiligen Geistin
Orientierung an Jesus Christus:
→ Jesus Christus hat Frauen für Zeugnis- und Dialogfähig gehalten
→ Jesus Christus ist integrative Person, nicht herrschend, sondern heilend,
offen für Leben, Fest und Feier, Mensch der Liebe und des positiven Leidens
Kreuz:
- Opferung des Sohnes; Gott, der ein Erst-Opfer braucht, um versöhnt zu sein
- Kreuz ist kein Kultzeichen des Todes, sondern Ort an dem Jesus seinen Weg für andere zu Ende geht
- Kreuz wird zum Lebenszeichen, zum Ort der Befreiung
Feministische Kritik am Kreuz: Opfercharakter (Heldentum/Moral) soll dem Leiden des Lebens weichen!
ethische Wirklichkeitssicht:
2 Positionen
a) zum Wesen der Frau gehörige Erfahrungen und Grundentscheidungen
- Frauen gebären → näher an Lebensprozessen
→ wegen Menstruation näher an Lebensrhythmen dran
→ ganzheitlicher
All dies sind gesellschaftliche Rollenzuschreibungen, die man ändern kann.
multi-Geschlechterrollenwahrnehmung
b) neue Ringung um das Sündenverständnis
Thomas: Affekte, Bedürfnisse, Triebe, Sex haben Nähe zur Sünde
Reformation: Ort der Sünde ist der ganze Mensch
Sünde im Verstand ist schlimmer als Sünde im Affekt
Auffälligkeit der Frau für die Sünde
1. Zusammenhang von Sünde und Lieblichkeit auflösen
2. Kritik gegenüber der Beschreibung der Sünde
erst nach neuem Sündenverständnis kann man Frauen und Männer als ethische Subjekte näher erfassen
vieldimensionale Befreiung, ausgehen vom Doppelgebot der Liebe
neues Verhältnis in Selbstentfaltung und Selbsthingabe
Selbsthingabe ohne Selbstangabe und Liebe entspricht nicht der biblischen Botschaft
neue auf sich stolz sein und neu ihre Schönheit entdecken
Leiblichkeit und Güte sind gute Gaben Gottes
⇒ als ganze Menschen für das Leben eintreten
Handlungsziele:
- Ausgangspunkt: Doppelgebot der Liebe
- Befreiung: Selbstannahme und Dienst am Nächsten (Selbsthingabe)
→ neues Selbstbewußtsein für Frauen
- neue Sensibilität gegenüber der Wahrnehmung der Gefühle
- Ethik der Beziehungen
Ethik der Beziehungen:
lebendige Beziehungen, nicht den anderen zum Objekt machen
Fürsorglichkeit
produktives Leiden für andere
Beziehungen der Gegenseitigkeit und der Solidarität, aber auch Streit mit Männern und Patriarchat
Visionen und Utopie
Ethik und Spiritualität gehören zusammen
andere Arten von Heilkunst → Prozeß der Befreiung, wo Frauen nicht nur Objekte sind
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
miteinander Zielvorstellungen entwickeln
gemeinsam Farbe bei der Reflexion gewinnen
b) Kritische Auseinandersetzung
Leistungsfähigkeit:
neuer feministischer und notwendiger Aufbruch
nicht nur Blick auf Unterdrückung von Schöpfung
Umkehr nur als Befreiung von Frauen und Mönnern
methodischer Aufbruch: starke Einbeziehung der Erfahrung und Betonung auf das Gemeinsame
Sünde: falscher Umgang mit Schuld
Doppelgebot der Liebe und spirituelle Praxis
theologisch:
Gott der Beziehung
Gott der Macht hat aber als Macht der Liebe fürs Leben da ist
Sünde ist das Instrument, um andere klein zu halten
wo haben wir falschen Umgang mit der Schuld
Beteiligung der Frauen in der Welt
Kritik:
wahnsinnig hohe Erwartung an die Veränderung der Welt
→ erlebt in der Studentenbewegung ⇒ Resignation als es nicht klappte
Befreiung (Brasilien als Kind der Theologie der Befreiung) → Ernüchterung
es ist richtig, daß Frauen mit der Macht der Liebe rechnen, sie sollen mit der Ohnmacht gegenüber der
Welt rechnen
These: Die Enkelinnen haben Vorbehalte gegenüber Müttern und Töchtern
§6 Der eigene Ansatz
1. Zu Ansatz und Aufgabe der theologischen Ethik
a) Die Notwendigkeit theologischer Ethik
- Notwendigkeit ethischer Stellungnahme ergibt sich aus der Eigenart des Menschen, daß er zum Handeln
herausgefordert ist
- Fragestellung ist notwendig
- aus der Wirklichkeitserfahrung nicht ablesbar, was gut und schlecht ist
- Notwendigkeit aus der Begegnung mit anderen Menschen (andere Wertvorstellungen, Normen, Ziele)
- Ethik beginnt immer mit der Parteinahme der eigenen Verantwortung des eigenen Lebens
- Verantwortung des Handelns aus christlichem Glauben
→ Entdeckung des Menschen als Gegenüber Gottes , d.h., daß wir im christlichen Glauben davon ausgehen,
das die Würde des Menschen mehr als sein Tun ist
- Glaube ist vorgeordnet
- als Mensch nichts weiter tun als uns die Liebe und Annahme Gottes im Rechtfertigungsgeschehen
gefallen lassen
- Ethos ist etwas anderes als Ethik
- Reflexion tritt häufig erst ein, wenn die Entscheidungen schon gefallen sind;
vgl. Spitzensituation und Alltagssituation
- begrenzte Leistungsfähigkeit aller ethischen Reflexion
- in der kritischen Reflexion unseres Lebens und im Handeln nach Kriterien beginnen wir frei zu werden
- Glaube ist mehr als Vernunft, aber soll nie ohne Nachdenken geschehen
- nicht Opfer unserer eigenen Voruteile → sehen, was in Jesus Christus geschehen ist
- Ethik ist nicht Rezeptologie, die festlegt, was der Glaube zu tun hat
⇒ gemeinsames Nachdenken in der Reflexion
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
b) Offenbarung, Erfahrung, Vernunft in der theologischen Ethik
- Gegenstand und Aufgabe der theologischen Ethik = Gegenstand und Aufgabe der philosophischen
⇒ Entfaltung der Lebensführung und Handlungsorientierung für die Menschen
- Ausgangspunkt: Sicht der Wirklichkeit und des Menschen als ethische Subjekte
- Analyse wie die Möglichkeiten sind ⇒ Handlungsorientierung: Güter, Tugenden, Pflichten
- Sicht der Wirklichkeit der ethischen Subjekte
2 Richtungen:
a) Außenverhältnis:
Verhältnis zwischen Offenbarung, Erfahrung, Vernunft zwischen Theologie und Philosophie
gesehen, daß Philosophie ethischer Ansatz zu ihrem Programm macht
sich auszeichnen, daß sie Geschichte und Erfahrungen der ganzen Wirklichkeit aufnehmen und
reflektieren wollen
Philosophie sagt, daß alle ihre Einsichten prüfbar und revidierbar sein sollen
nicht bestimmte Quellen bevorzugen
faktisch ist dieses ziel nie erreicht worden
man will nur alles zur Geltung bringen, man kann nur bestimmte Erfahrungen machen
immer nur Wirklichkeitswahrnehmung in meiner Geschichte
philosophische Ethik ist mehr geschichtsgebunden
Einsichten sind auf Bewahrung hin angenommen und man ist bereit, sie zur Diskussion zu stellen
Ist theol. Ethik anders?
b) Innenverhältnis:
innerhalb des theologischen Zirkels
unterschiedliche Versuche
Ethik als Grudwissenschaft → christl. Sicht ist Vertiefung
Zum Glauben gehört nicht, daß er alles zur Disposition stellt
- der Gegenstand der allgemeinen und Theologischen Ethik ist der Gleiche
- theologische Ethik ist gebunden an die Offenbarung des dreieinigen Gottes
- Streit um das, was das Gute ist
→ alle Versuche von der Antike bis zur Gegenwart eine Begründung zu finden, ist gescheitert
→ auch wenn die Letztbegründung gescheitert ist, hat sich die Diskussion als sehr fruchtbar erwiesen
→ man kann sich nicht auf die Natur des Menschen berufen
→ man kann nicht eindeutig aus der Wirklichkeit erkennen, was das Gute ist
- so zeigt die Debatte, daß eine Vielzahl von Einflüssen unsere ethische Urteilsbildung bestimmt
- Entscheidungen und Erfahrungen spielen eine Rolle
- Geschichte der philosophischen Ethik ist Geschichte der Einsichten
Theologische Ethik:
- Barth: Der Mensch kann außerhalb von Jesus Christus nicht erkennen, was das Gute ist.
Wenn er das Gute partiell erkennt, benutzt er die Einsicht zur Selbstrechtfertigung
- andere Seite: im Gesetz weiß der Mensch um das Gute; christliche Ethik ist Vertiefung dieser Vision
- Doppelgebot der Liebe, Bergpredigt
- man muß ein Frage-Antwort-Modell ausschalten
- Thomas: Menschen können nicht ablesen, was das Gute ist
- der Barthsche Ansatz (s.o.) ist abzulehnen, weil es auch außerhalb von Christus ein Wissen um das Gute
gibt
- Erfahrung ist Erfahrung des Schöpfungs- und Bewahrungshandeln Gottes
- mit den in Jesus Christus erkannten Gütern wird immer wieder falsch umgegangen
- Wir müssen anerkennen, daß es das Gute gibt und es an Ort und Stelle erkennen
- Dogmatik und Ethik wollen immer alles oder nichts → man muß die Situation mitbedenken
- unterschiedliche Bezugsfelder von Offenbarung, Erfahrung, Vernunft und Erkenntnis
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- Offenbarung: Welche Sorte von Erkenntnis?
→ Wie er den Menschen bestimmt hat, wie er mit ihm handeln will
→ Strukturen dieser Welt erkennen, den Sinn sehen
→ Offenbarung offenbart nicht Weltwissen (z. B. technische Fertigkeiten; Evolution)
⇒ die Vernunft muß dieses mit Hilfe des Glaubens leisten
Außenverhältnis: Theologie zu anderen Wissenschaften
- Wir behaupten, aufgrund der Offenbarung das Ziel und den Grund des Menschen zu erkennen
Gottes Bild → unbedingte Betroffenheit
→ in neue Sicht interpretiert (Integration)
- Marx: der Mensch ist das, was er aus sich macht
↑
Theos: Mensch besteht nicht nur aus Taten, Mensch ist mehr
- im Verhältnis zwischen Offenbarung und allgemeiner Vernunftserkenntnis kommt es zum Konflikt
Innenverhältnis:
- theol. Ethik behauptet, daß Gott sich ihnen im Handeln begegnet
- empirisch faßbar ist nur, daß der Menschen dies behaupten und mit ihrem Glauben dafür eintreten
- 1. Zusammenbringen von Offenbarung und Erfahrung
Ethik: Jesus macht deutlich: nicht neue Gebote, sondern neue Zeit (Reich Gottes), die zur Erfahrung
kommen will
2. Offenbarung und Vernunft
Wir werden als Menschen, die wir sind angeredet
Mit unserem Gott kann man argumentieren
Kreuz ist Torheit und Zeichen der Zuwendung
Doppelgebot der Liebe ⇔Töten eines zu Rächenden → Frage bei Interventionskrieg oder Notwehr
- auch im Innenverhältnis kommen wir ohne Vernunft nicht aus
- Ethik muß wirklichkeitsgemäß sein und aufpassen, daß sie nicht sinnbestimmt wird
Südafrika / 3. Reich:
→ Staat kommt der Aufgabe nicht nach
→ Lutherische Theologie: Ordnung das höchste Gut, nur leidend Widerstand leisten
→ nur wenige waren bereit revolutionäre Gewalt zu leisten
c) Christusgemäße Ethik
- aus Überlegungen zu b) ergibt sich daß die Ethik nur eine christusgemäße sein kann (vgl. Bonhoeffer)
→ wirklichkeitsgemäße Ethik
- Wahrnehmung der Welt unter dem Aspekt der Schöpfung
- Schöpfung hat von Christus her die letztgültige Bestimmung und Begründung
- Angebot, die Realität christusgemäß zu erfassen
- Grund und Maßstab christlicher Ethik sind keine Vorschriften
- Ethik der Verheißung, der Liebe, des Glaubens
Vernunft:
- von dem wie Jesus Christus Gott offenbart, lernen wir neu begreifen, wie die Schöpfung an ihr Recht und
Ziel kommen soll
- realistisch in unserem Sinne ist nur eine Wirklichkeitswahrnehmung, daß unsere Welt die alte Welt ist
aber nicht mehr das letzte Wort hat
- realistisch: das Böse nicht verdrängen, Böses hat nicht das letzte Wort
- neue Lebens- und Handlungsmöglichkeiten
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Glauben:
- Einsicht: Mensch wird verändert bei Anbruch des Reiches Gottes
- Via Regia: nicht mit Geboten und Anordnungen; neues Vertrauensverhältnis zu Gott, sich und anderen
Anbruch des Reiches Gottes als Zeit der Vergebung und Liebe
Liebe:
- von der Offenbarung Gottes her nicht nur was tun können und tun sollen, sondern letzte Bestimmung, was
gut ist
- Zuspruch Gottes ⇒ tun, was zum gelingenden Leben für sich und andere gehört
leben, was dem Doppelgebot der Liebe (zu Gott und Mensch) entspricht
- Grundlinie, wozu uns das Evangelium einlädt (Barth)
- Track: Leben bewahren, Recht und Geerechtigkeit schaffen, Liebe üben (←Steigerungsformel)
→ in allen Bereichen, an allen Orten dazu kommen, diese Steigerung zu überbieten
d) Die Grundannahmen, die Grundnorm und die Modelle
- Ethik der Verheißung des Glaubens, der Liebe
- grundlegende Norm: Liebesgebot, Motiv und Ziel des Handelns
- dieses Gebot bedarf der Differenzierung:
1. Wie ist das mit dem Handlungsziel angesichts der Spannung Äonen?
2. Was bedeutet dieses Unterscheiden zwischen altem und neuem Äon?
→ Gesetze und Bedingungen dieser Welt gelten weiter
→ Alter Äon = Macht der Sünde, böses Unrecht (beides durch den Menschen wirksam geworden)
→ Eigendynamik
→ aus Christus heraus wurde gesehen, daß der Mensch sich nicht selbst befreien kann
→ Menschen können Gutes zu Bösem machen
Neuer Äon:
- steht gg. den Alten Äon; Rede vom Widerspruch gg. den alten Äon
- im Neuen Äon zur Wiederherstellung der Schöpfung gelangen
- Intention: Wiederaufrichten der Schöpfung
- gg. Schleiermacher, Rendtorff, Althaus, Barth: Äon ist Erfüllung des von Gott gefaßten Planes
- Handeln Christi gewinnt in der Liebe eine neue Gestalt, Gottes Gerechtigkeit bekommt neue Form:
Liebe umsonst aus Gnade
- Neuer Äon nur in Gestalt des Aufbruchs der Liebe Gottes, Versöhnungshandeln in Kreuz und
Auferstehung
christliche Ethik:
- 1. keine einfache, sondern differenzierte Wirklichkeitssicht [alter und neuer (schon und noch nicht) Äon]
Gott ist Liebe → Wie sollen wir lieben?
- 2. differenzierte Wirklichkeitssicht des ethischen Subjekts (← 3-fach bestimmt)
a) Mensch wie er geschaffen ist und wozu er bestimmt ist als Ebenbild Gottes
b) Sünder gegen Gott
c) Mensch, der in der Umkehr des Rechtfertigungsgeschehen erneuert wird und neu handeln kann
Mensch ist zugleich alter und neuer Mensch, aber für diese Neuerung gilt, daß wir so über das Neue nicht
einfach verfügen.
Christliche Ethik ist nicht am Gelingen orientiert; Menschen entziehen sich den Möglichkeiten
Ethik darf nicht von Christen als neue Könner ausgehen, da sie sonst gesetzlich wird
Immer wieder neue Anfragen sind von Gott her möglich
in der fem. Ethik wird zu sehr von dem neuen Können ausgegangen
- 3. Wie soll diese Linie (aus Liebe handeln) in dieser differenzierte Situation gehalten werden
→ Vorschlag, Unterscheidung:
Für alle notwendig, denjenigen im Glauben möglich und in der Situation angemessen
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- fast alle Ethiken wissen, daß wir nicht über Liebe verfügen können
4 Gesichtspunkte:
1) In unserer Welt erfahren wir Widerstand gg. Liebe und Macht des Bösen
Ohnmacht der Liebe; Liebe kann verletzt, übergangen, getötet werden
Von daher muß man um der Lebenserhaltung willen nicht nur auf die Liebe setzten
2) aufgenommen: die Zuordnung von Gesetz und Evangelium
Wir werden nicht durch Leistungen gerecht. Wir sollen heilsam wirken durch das Eintreten für die
Lebenserhaltung, Gerechtigkeit und Liebe
Liebe ist weder uns verfügbar, noch läßt sie sich fordern, erzwungenes zu tun
erkennen, nur im Maß unseres Glaubens handeln und das Mögliche in Liebe zu tun
sich nicht zur Liebe zwingen lassen
christliche Ethik ist in Bezug auf Liebe potentialorientiert
in Kirche und Gesellschaft gemeinsam mit anderen fragen, was im Glauben aus Liebe möglich ist
3) Es kommt nicht nur auf das ethische Subjekt an
Liebesgebot gilt auch für andere, also für die, die von meinem Handeln betroffen sind
(Luther: Für das was mich persönlich betrifft, lebe ich nach der Bergpredigt
Wenn ich in der Verantwortung für andere bin, dann nicht.)
Gott gewollte Selbstentfaltung + Selbsthingabe
Frage, inwieweit wir unser Maß zwischen Selbstentfaltung + Selbsthingabe finden
Frage, ob dem anderen das hilft, wenn wir ihm Liebe schenken
Maß finden: „Nicht alles Geld für die Armen geben, wenn man das Geld noch für die Familie braucht.“
Maß finden (veränderbar) zwischen dem Notwendigen / Möglichen und der Situation angemessenen
4) Liebe durch Struktur
Was ist das angemessene, regelfähige?
Liebe läßt sich nicht regelfähig machen.
Liebe ist ein Beziehungsgeschehen zwischen Personen in einer Situation.
Es müssen Leute dasein, die z.B. „Plüschis“ im Pfarramt mittragen.
Die Unterscheidung zwischen Notwendigem und Angemessenem befähigt dazu, mit diesen Spannungen
umzugehen.
2. Reichweite und Geltung der theologischen Ethik
a) Zur Reichweite
- Welche Subjekte? In welchem Bereich? In welcher Situation?
- christliche Ethik zielt auf alle Menschen und Situationen
- alle sollen gelingendes Leben gewinnen
- universale Ethik: Subjekte, Situationen, Bereiche
- Ethik für die Glaubenden: von Christus her für das Notwendige eintreten
- Theorie der Lebensführung und des Handelns für die Glaubenden
- mittelbar für alle anderen Menschen, auch die, die nicht glauben, sich von der Handlungsorientierung
leiten zu lassen
- unmittelbar für die Glaubenden
- Was ist mit Leuten, die nicht glauben und das christusgemäße Handeln nicht wollen?
- Wir selber finden uns immer in der Spannung der Äonen (Sünder und Gerechte)
→ Dialog zwischen Christen und Nichtchristen und uns selber (Ernst Wolf)
Zielvorstellung:
- Gutes von Jesus Christus her bestimmt
- christliche Ethik wird jeder philosophischen widersprechen, die sagt, der Mensch muß aus sich selbst
heraus das Gute
- in allen Bereichen gilt das Notwendige aus Liebe mögliche
- immer das Maß zwischen dem in der Situation möglichen und dem angemessenen und der Liebe finden
- dazwischen gibt es noch Geschichte ethischen Lernens → Situationsethik ist ungenügend
- evangelische Ethik hat viele Kriterien
→ für sich das beste in der jeweiligen Situation rauspicken; alle sind eingeladen
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
b) Zur Geltung
- Für wen soll es möglich sein, so zu handeln?
- Unmittelbar für die Glaubenden
- nicht ein autoritärer Gott will etwas, sondern ein Gott, will, weil er uns zu einem gelingendem Leben führen
will
→ gute Gründe zum Handeln, die allerdings durchaus umstritten sind
- christliche Ethik soll bei den Glaubenden gelten, im Bereich des Notwendigen bei allen Menschen, die zur
Geltung gebraucht werden
1. in der Gesellschaft argumentieren und um Einverständnis bitten
2. Christliche Ethik gilt dort, wo eine Gesellschaft solidarisch ist und wir um Einverständnis werben
- im Bereich des Notwendigen muß die Ethik mit Macht und rechtlich disziplinierter Gewalt durchgesetzt
werden; begrenzte Leistungsfähigkeit dieser Gewaltanwendung
äußerste Situation:
a) Krieg: Recht und Gewaltmonopol diszipliniert gibt es nicht, ist aufgehoben
b) auch innerhalb einer Gesellschaft und eines Staates:
innerhalb der letzten Mittel zur revolutionären Gewalt bereit zu sein, um in der Situation zu überleben
c) Die Grenzen der Ethik
- Ethik als Theorie ist notwendig und notvoll
- Ethik, Liebe ist nicht ans Ziel gekommen
- Mischung aus Einsichten und Interessen
- Glauben kann man nicht schaffen
- Was nützt gute Theorie, wenn sie an der Praxis (zum guten Leben zu führen) scheitert?
3. Die Kriterien der theologischen Ethik und ihre Anwendung
a) zur Übersicht über die Kriterien
Philosophisch:
1) Begründung von Zwecken und Werten immer innerhalb eines Normengefüges
Grundnorm, Basisnorm, Metanorm interpretieren sich gegenseitig
2) alle Versuche eine grundlegende Metanorm zu entfalten kann nicht letztbegründet werden
immer in einem Zirkel argumentieren
3) Unterhalb dieser Frage der philosophischen Letztbegründung nicht willkürlich Normen setzen, sondern
begründen, wie und warum man zu ethischen Einsichten kommt
4) Weil Ethik umstritten ist, sollen alle, die davon betroffen sind sich an der Beratung beteiligen
⇒ dies schließt die Opferrolle von einigen aus
5) Immer haben sich Menschen Gründe als die Wichtigsten zu eigen gemacht
bestimmte Ethik und Handlungsorientierung
Theologisch:
eine Seite christusgemäß, die andere wirklichkeitsgemäß
alle Ethik muß an den Kriterien des Notwendigen, Möglichen und Angemessenem gemessen werden
dies vollzieht sich in Wahrnehmung der Wirklichkeit, des Handelns Gottes und der Situation
1) Person zum Kriterium; Frage: Ist das der Zweck der Sache?
2) Offenbarung in Jesus Christus nimmt die Vernunft in Anspruch und zerstört sie nicht
christusgemäß schließt wirklichkeitsgemäß und vernunftgemäß (←Streit darüber) mit ein
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Näherbestimmung des Kriteriums christusgemäß:
- Jesus Christus begegnet uns als der Auferstandene
- man muß erst lehren, was christusgemäß ist und die Zugänge lehren, bevor wir es anwenden können
- 3 Näherbestimmungen:
1) Jesus Christus kommt in die Geschichte hinein → Schrift
schriftgemäße Aussagen = christusgemäß
2) Jesus Christus ist Herr der Geschichte
bekenntnisgemäß und traditionsorientiert
3) Jesus Christus will in allen Bereichen gegenwärtig wirksam sein vgl. Barmen
theologische und ethische Aussagen sind zeitgemäß
- Aufstellungen argumentieren innerhalb des theologischen Zirkels
- Tradition: bekenntnisgemäß und traditionsorientiert
- Christus als Herr in der Gegenwart → zeitgemäß
⇒ Kriterien argumentieren innerhalb eines theologischen Zirkels !!!
- Anwendung dieser Kriterien
- christlicher Glaube stützt sich auch auf Erfahrungen
- eine christlich-ethische Orientierung bewährt sich im Leben
→ gelingendes Leben? Wie?
Das Kriterium „christusgemäß“ ist ein formales Kriterium. Es ist noch nichts darüber ausgesagt, wer dieser Jesus
war. Man muß also klären, wo man Zugänge zu ihm findet. Wie kann also der Glaube seine gefundene Kriterien
begründen, indem er sich auch Christus beruft? Dazu sind 3 Näherbestimmungen nötig:
1. Jesus wird in der Schrift verkündet. Deshalb sollen christusgemäße Aussagen schriftgemäße Aussagen sein.
2. Auch in der Geschichte der Kirche und der Theologie wird um das Christusgemäße gerungen. Aussagen über
Jesus können diese Erkenntnisse nicht einfach überspringen. Es kommen deshalb die Kriterien „bekenntnisgemäß“ und „traditionsorientiert“ hinzu.
3. Christus will in allen Situationen und Bereichen wirksam sein. Deshalb gehört das Kriterium „zeitgemäß“ zur
christlichen Ehtik. Sie muß an die Bedürfnisse der Zeit angepaßt sein.
Jede Aufstellung von Kriterien geschieht innerhalb eines theologischen Zirkels. Diesen kann man zwar nicht
aufheben, aber man soll die Gründe für seine Entscheidung aufzeigen, damit man dialogfähig wird. Außerdem
sollten im Bereich der Anwendung und Auslegung alle, unter dem Aspekt des Priestertums aller Gläubigen,
beteiligt sein.
Es muß ein Gespräch mit den philosophischen und empirischen Einsichten geführt werden. In diesem Dialog
nach außen haben wir unsere guten Gründe darzustellen, und aufzuzeigen, daß unsere Theorien zumindest
denkbar sind. Außerdem muß man die Erfahrungen nennen, die zu ihnen geführt haben, und dann die
Möglichkeit zum Nachvollziehen geben. Als drittes sollen wir zeigen, wie christlicher Glaube zum Verständnis der Welt und zum ruhigen Miteinander beitragen kann.
b) Die spezifisch-theologischen Kriterien
schriftgemäß:
- Zeugnis der ersten Zeugen („Gegenwart Christi“), Kanonbildung
- Schrift ist inspiriert in allen ihren Aussagen; Gott will mittels Heiligem Geist für die Glaubenden
wirksam werden
- Inspiration heißt nicht, daß wir alles für zeitlos gültig nehmen
- auf die Schrift hören → ihr zutrauen, daß sie uns etwas zu sagen hat; Erwartungshaltung
- Prozeß des Verstehens! → Dialog
- Mitte der Schrift muß flexibel bleiben
- Auslegung und Hermeneutik der Schrift geschieht mitten in der Anfechtung (vgl. Luther)
→ Kritik der Schrift mit der Schrift
- Normen / Gebote:
→ es gibt keine zeitlos gültigen Normen
→ nur eine Richtschnur Doppelgebot der Liebe
→ Worte Jesu, Bergpredigt leiten zur Lebenspraxis an
- es gibt kein geschichtsloses und objektives Schriftverständnis
- Regel von der Äußeren Klarheit der Altprotestantischen Orthodoxie
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- Einheit und Mitte der Schrift steht nicht ganz fest → ökomenische Tendenz
- fürs Bekenntnis gilt dasselbe; Mitte ist aus der Zeit heraus formuliert, man muß hören und dann das
Gehörte prüfen
traditionsorientiert:
- Ebeling: Kirchengeschichte ist Auslegungsgeschichte der Schrift
Beachtung dieser Auslegungsgeschichte kann helfen zu sehen, wie die Leute den Glauben
verstanden haben
- Bekenntnis will Auslegung der Schrift sein; Mitte des Bekenntnisses?
- Bekenntnis steht nicht über der Schrift
- Kirche wird Identität verlieren, wenn sie grundlegende Bekenntnisse bestreitet
⇒ Anwendung, Kritik, Auslegung des Bekenntnisses
zeitgemäß:
- theologische und ethische Aussagen auf die Zeit bezogen und werden in der jeweiligen Sprache der Zeit
formuliert
- in der Zeit entfalten, wieweit der Glaube orientierungsfähig ist auch unter Einbeziehung anderer
Wissenschaften
- rausfinden, was an der Zeit ist, was uns und dem anderen in Liebe möglich ist → miteinander entscheiden
- christliche Ethik als Ethik des Angebots
Im folgenden sollen die theologischen Kriterien noch genauer untersucht werden:
Schriftgemäß: Wir glauben, daß Christus eine geschichtliche Person ist, die geschichtlich gewirkt hat.
Außerdem gehen wir davon aus, daß man in der Geschichte mit Jesus Erfahrungen machen kann, auch durch den
Gebrauch der Schrift. Trotzdem gilt, daß sei ein menschliches Zeugnis ist, eine Antwort auf das Handeln Gottes.
In ihr setzte sich aber immer wieder das Wort Gottes durch. sie ist inspiriert, da Gott durch sie wirksam werden
will. Inspiration heißt nicht, alles für zeitlos gültig zu erklären. Wir müssen mit ihr umgehen und etwas von ihr
erwarten. Wir dürfen nicht vorschnell Festlegungen im Bereich ihrer Bedeutungen treffen. Die Schrift kann mit
der Schrift kritisiert werden. Das gilt auch im Hinblick auf die Normen. Es gibt nur eine klar Linie, das
Doppelgebot der Liebe. Unterhalb finden sich Weisungen mit unterschiedlicher Reichweite. Bei all diesen
normen ist zu fragen, ob sie zeitbedingt sind , und welche bestimmten Voraussetzungen sie haben. Wir müssen
sehen, daß wir nicht alle Aussagen aus der Bibel übernehmen können. Wir müssen uns auf einen Prozeß des
Verstehens einlassen.
Des Weiteren ist eine geschichtliche Summierung nötig. Man muß auf die Unterschiedlichkeit der Situation in
Reden von Gott Rücksicht nehmen. Dabei wird man auch nach der „ökumenischen Tendenz“ (Mitte der Schrift)
fragen. Aber auch diese Mitte steht nicht unveränderlich fest.
Traditionsorientiert: Ebeling sagte einmal, daß die Kirchengeschichte eine Auslegungsgeschichte der Schrift ist.
Diese Auslegungsgeschichte kann uns helfen, unserem eingenen Verständnis mehr Tiefe zu verleihen. Eine
Kirche gewinnt ihre Gestalt durch ihr Bekenntnis. Das Bekenntnis will also Auslegung der Schrift sein. Es will
nicht über der Schrift sein, sondern muß von ihr geprüft werden.
Zeigemäß: Da Jesus der Herr aller Zeit ist, müssen theologische Aussagen auf die aktuelle Zeit bezogen sein.
Wenn man ihre Relevanz für die Zeit heute zeigen will, muß man auf die Einsichten der Soziologie und
Anthropologie eingehen. Es wird deutlich, daß es in der christlichen Ethik nicht nur um richtige und falsche
Handlungsweisen gehen kann, sondern auch um das in der Situation angemessene. Wir müssen also
herausfinden was nötig und möglich ist, in der jeweiligen aktuellen Situation.
c) Die Kriterien der Vermittlung
- gute Gründe und Erfahrungen, auf die der christliche Glaube baut
- Bewahrung in der Handlungsorientierung
- christliche Daseins- und Handlungsorientierung als Diskussionswendungen und denkbaren Vorschlag
aufzufassen
- Ort der christlichen Ethik aufzeigen → um was es geht
- alle Lebensbereiche müssen von ihr erfaßt und druchdrungen werden
- christliche Daseins- und Handlungsorientierung will Identität aufzeigen und zum Handeln und Leben
befähigen
- bleibende und verläßliche Orientierung geben
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- Bewahrung dieser christlichen Daseins- und Handlungsorientierung
→ Erfahrungsangaben
→ in der Bewahrung zeigen, daß hier nichts Fremdes geschieht
- dort, wo Gott und gelingendes Leben zusammenkommen entsteht neue Hoffnung
Theodizeefrage nicht ausklammern
- Wiedersinniges ist immer von der Zusage Gottes eingeschlossen
→ Anklage gegenüber Gott
3-fache refletive Bewertung:
1) Diese Kriterien stellen immer Zusammenhang dar.
Einheit / Innerer Zusammenhang der Kriterien: schöpferische Analyse
zeitgemäß ⇔ schriftgemäß
Kriterien sind Wegweiser unserer Ethik
2) immer sinnvoll argumentieren
Anwendung der Kriterien ist schwierig
3) Wir haben viele Gesichtspunkte zu beachten, aber keine eindeutige Basisaussagen, von denen man
deduktiv ableiten kann (Ausnahme Doppelgebot der Liebe)
offene Situation was zu glauben und zu tun ist
Weg der Freiheit ist der Weg, der dem der Glaubenden entspricht
Evangelium setzt sich selber gegen sich selbst durch
Man soll die guten Gründe für den christlichen Glauben aufzeigen. Natürlich können andere unsere Gründe auch
nicht nachvollziehen, aber man muß aufweisen, daß theologische Systeme zumindest denkbar sind.
Folgende Aspekte sind des Weiteren zu beachten:
1) Da christliche Ethik eine grundsätzliche Handlungsorientierung geben will, muß man eine konsequente
Gesamtschau entfalten.
2) Weiter gilt es zu zeigen, daß diese Handlungsorientierungen identitätsstiftend sind. Sie sind und bleiben verläßlich, aber dennoch in der Situation offen.
3) Auch ist zu zeigen, daß sie von der Verheißung her argumentieren, also keine geschlossene Ideologie darstellen.
4) Sie gehen auch nicht an der Realität vorbei, sondern setzen sich mit ihr auseinander.
5) Man muß zeigen, daß christliche Ethik ihre Gebote auch verantwortet und nicht absolut setzte.
6) Dann geht es auch um die Bewährung. Man soll zeigen, daß nicht etwas völlig Fremdes, sondern, daß das
gelingende Leben in den Blick kommt. Deshalb muß man sich der Theodizeefrage stellen
Abschließend drei Bemerkungen:
1) Die Kriterien stellen auf den verschiedenen Stufen eine Einheit das, sie beziehen sich aufeinander und helfen
sich gegenseitig zu erklären. Sie sind Wegweiser innerhalb der Begründung unserer Ethik
2) Wenn es Streitfälle gibt, muß man auf diese Kriterien zurückgreifen können.
3) Es zeigt sich, daß wir sehr viel haben und gleichzeitig sehr wenig. Es gibt viel zu beachten, aber keine
allgemeingültigen Grundaussagen. Es ist die Not und die Größe reformatorischer Theologie, daß man sich
nicht für ein Lehramt entschieden hat, das festlegt, was zu tun ist. Dieser Weg der Freiheit ist ein Weg, der
dem Glauben entspricht. Wir müssen damit leben, daß es sehr viele verschiedene Meinungen gibt.
4. Das methodische Vorgehen
a) die angewandte Methode
Lange Zeit bemühte sich niemand um die Ausbildung eine Methodologie zur Ableitung konkreter Normen.
Dies hatte seinen historischen Ursprung in Karl Barth, der forderte, nur von der Dialektik auszugehen. Seit
1969 gibt es jedoch auch methodische Entwürfe, z. B. von Martin Honnecker. Weiterentwickelt wurde
dieser Ansatz von Ernst Tödt. Auch Arthur Rich und Dietz Lange haben sich zu diesem Thema geäußert.
Auch in der allgemeinen Ethik gab es eine solche Methodendebatte.
In all diesen Vorschlägen wird sichtbar, daß Ethik mit der Wahrnehmung des Problems zu beginnen hat.
Danach muß die Situation geprüft werden und es wird festgelegt, welche Normen reflektiert werden sollen.
Als letzter Arbeitsschritt kommt die Urteilsfindung. Sie muß den Kriterien entsprechen und darf die nie
vergessen, daß andere zu anderen Urteilen kommen können.
Genauere Bestimmungen:
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Problemfindung: Alle Ethik und alle Theologie beginnt damit, daß wir lernen zu fragen. Das eigentliche
Problem wird häufig erst auf den zweiten Blick erkannt. Man muß herausfinden, wo das ethische Element bei
einem Problem liegt. Man muß beschreiben, um welche Situation, um welchen Konflikt, um welche
Herausforderung es geht, und wer von Entscheidungen betroffen ist. Es soll reflektiert werden, welche
Erwartungen vorliegen und was für Verhaltensalternativen zur Debatte stehen.
Am Ende der Problemfindung steht die Formulierung des eigentlichen ethischen Problems.
Problembearbeitung: Dieser Begriff wurde gewählt, da es meist keine glatten einsichtigen Lösungen gibt.
Folgende Schritte kann man unterscheiden:
1. Einordnung des Problems in einen weiteren Horizont (Dogmatik: Klassifikation). In der Ethik ist dieser
Schritt besonders wichtig. Welchen Ort und welche Reichweite hat das ethische Problem? Es muß auch
geklärt werden, welche Normen zur Debatte stehen. Auch muß man die Verhaltensalternativen in einen
weiteren Raum stellen.
2. Die Problembeantwortung anhand der eigenen Kriterien: Auch nach diesem Schritt wird es noch offene
Fragen geben. Auch muß man darauf achten, was passieren würde, wenn alle so handeln würden.
Anwendung: Diese wird in den meisten Ethiken nicht weiter behandelt. Es geht aber nicht nur darum, ein
ethisches Urteil zu finden, sondern dieses soll auch angewandt werden. Es muß überprüft werden, was in
der konkreten Situation passiert, wenn ich das theoretisch Erschlossene anwende. Man braucht also einen
Theorie-Praxis- Bezug. Es muß auch geklärt werden, was man mit der ethischen Antwort erreichen will. Soll
sie nur für mich gelten, oder möchte ich auch andere überzeugen, wenn ja, wie? Man muß sich fragen, ob
eine Norm in der Gesellschaft durchzusetzen ist.
Aber auch bei diesem Schritt kann man nicht immer nur formal vorgehen, sondern man braucht eine, an die
Situation angepaßte Methode.
Teil B: Das neue Maß (materielle Grundlegung)
Kapitel 3: Der Grund christlichen Lebens und Handelns
§7 Die eröffnete Wirklichkeit
1. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit als Schöpfung Gottes
a) Wirken Gottes
- der christliche Glaube geht von der Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes aus
- Gottes Handeln ist anders als unser Handeln
- Wirken Gottes in 3-facher Weise:
I) in Schöpfung II) in Geschichte III) am Ende / der Vollendung der Welt
I) Begriff Schöpfung bezeichnet ein Doppeltes
a) Akt des Erschaffens des Universums
b) Resultat dieses Schaffens (Mensch-Welt-Kosmos sind Schöpfungen Gottes)
→ kategorialer Unterschied zwischen Welt und Gott
Welt nicht aus sich selbst, verdankt sich jemand andererem
Gott hat seinen Grund in sich selbst, Grund der Schöpfung in der Welt
Gott ist die causa prima
Ursachen der Welt = causa secundae
Gott ist kein Teil der Welt, sondern Grund alles Seins und alles Seienden
Schöpfung verdankt Gott ihr Leben und ihr Sein
- Gott als Grund alles Seins und Seienden!
- Daseinskonstituierendes Wirken Gottes im Anfang der Schöpfung
altprotestantische Orthodoxie → creatio originans
↓
creatio inmedita (Schöpfung aus dem Nichts)
creatio medita (hat Materie geschaffen + dann weiter differenziert)
- Welt wurde geschaffen ex nihilo
- Augustin: Gott hat mit der Welt auch die Zeit erschaffen. Zeit ist nicht grenzenloses Kontinuum,
hat Anfang und Ende. Gottes Zeit ist die Ewigkeit
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- Gott schafft die Welt durch sein Wort, per Verbum
→ Bestimmung der Welt durch Gottes Willen
- Getragensein der Welt von Gottes Handeln
- Welt lebt vom weiterermöglichten daseinsorientiertem Handeln Gottes
- Welt ist nicht von Gott durchwaltet (Sicht der Griechen)
1) Gott gibt der Welt weiter ihren Bestand, indem er „ja“ sagt
→ creatio continua
2) Gott sagt weiter „ja“ zum Eigenbestand der Welt
→ creatio continua (fortgesetzte Schöpfung)
- Rede von der Erhaltung der Welt (conservatio)
II) Wirken Gottes in der Geschichte
- Gott erhält die Welt grundsätzlich
- Wie handelt er spezifisch?
- Altprotestantische Orthodoxie: spezifisches Handeln ist durch Lenkung bestimmt
→ gubernatio
→ wird in der Bibel nicht systematisch erörtert
- Gott wirkt durch Naturereignisse und Geschichtsereignisse (läßt Heere siegen oder verlieren)
- Gott wirkt durch Anrede und Indienststellung des Menschen
(auch Leute, die nicht an ihn glauben ← Kyros)
- Schleiermacher: Niemand hat das Handeln Gottes je gesehen (←Bezug auf Anfang der Schöpfung)
- zum Reden Gottes im Wirken der Geschichte gehört, daß der Glaube des Wirken Gottes als Glaube für
Erfahrung und Offenbarung einsteht
- im Versöhnungshandeln: neuer Himmel und neue Erde
- Rede über Wirken Gottes auf den Glauben verweisen → Erfahrungsbezug
- Das wir sein werden, ist noch nicht erschienen
Gottes Wirken und Wirken des Menschen:
- Reden von Schöpfer und Geschöpf
- Reden vom Schöpfer gibt es nicht ohne den Menschen
- Präsenz Gottes soll durch Glauben bezeugt werden
- Gott will nicht ohne seine Menschen wirken; er will durch und im Menschen wirken
- Gott schenkt befreienden und rettenden Glauben
- APO: cooperatio → Freiheitsermöglichendes Handeln, Mensch soll in Freiheit mitarbeiten
- concursus:
→ Zusammenwirken Gottes und des Menschen; dieses Wirken ist kein Wirken, daß die Eigenwirkung der
creatura unterdrückt
→ Mensch in seiner Eigenständigkeit in den Dienst genommen
→ Wirken Gottes als Erstursache
→ Menschen wirken immer auf der causae secundae
→ Gott ermöglicht den Grund der Freiheit und regt den Menschen an
Wirken und Handeln Gottes ist nicht das Gleiche!
→ Gott schafft Rahmenbedingungen für die Freiheit
→ Gott will zur Freiheit befreien
2. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit als Schöpfung Gottes
a) Die Frage nach dem Grundsinn der unterschiedlichen Aussagen
- Jahweglaube ist an den Erfahrungen Gottes in der Geschichte orientiert (→ Gott, der Vater, Exodus)
- Ausprägung des Schöpfungsglaubens
1) Credothese (von Rad):
Schöpfungsglaube soll geschichtliches Erfahren Gottes in weiteren Zusammenhang stellen
(verstärkt durch Exil)
Israel hat in der Geschichte Gott als Handelnden erfahren
Schöpfungsglauben soll dies in weiteren Rahmen stellen
Gott kann Israel aus Ägypten zurückführen, weil er der Gott der ganzen Welt ist
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Verbindung von Schöpfungsglauben und Heilserwartung
Schöpfungserzählungen erhalten eschatologischen Charakter
Grundordnung ist ausgerichtet auf ewigen Sabbat
2) C. Westermann: Schöpfungsglauben ist nicht nur im Zusammenhang mit Heilsglauben gewachsen
er ergibt sich aus den Grundbedeutungen des Lebens
Adam, Eva, Noah... als Repräsentanten der Menschheit
Rede der Schöpfung orientiert an den Konstanten der Geschichte (Fortpflanzung, Tag & Nacht)
eigenständige Auseinandersetzung mit den Grundbedingungen des Lebens (weisheitlich)
⇒ universaler Zug
⇒ im NT wird dies vorausgesetzt → Akzent liegt auf der Neuen Schöpfung (Neuer Himmel und Neue Erde
im Lichte der Versöhnung)!!!
Platon: Welt nach dem Vorbild der Ideen; Ordnung nach göttlichem Gesetz
- in trinitarischen Bekenntnissen wird die Einheit von Gott und Welt festgehalten
- seit 16. Jh. Infragestellung des traditionellen Weltbildes, Galileo, Kepler
Neuzeit: Bemühung eines angemessenen Schöpfungsglaubens angesichts sich ändernder
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse
20. Jh.: Herrschaftsauftrag wird fraglich → Schöpfungsglaube wird wieder wichtig
- Was ist als Grundsinn der Schöpfungsaussagen zu erkennen?
• ältere Weisheit (Hiob, Psalmen); jüngere Weisheit (Psalmen)
→ Erotik nicht negativ
• Schöpfungstexte (beide Schöpfungsberichte)
• Schöpfungsgeschichte / Heilsgeschichte
Grundsinn der Schöpfungsaussagen:
1) Schöpfungsbericht nicht in der Darstellung des Gotteskampfes
→ Interesse am Welt- und Menschenverständnis
2) Schöpfung, Leben, Welt sind Gaben Gottes
3) Mensch ist in Freiheit zur Verantwortung gerufen
4) Mensch als Gegenüber Gottes (Ebenbildlichkeit), als Mann und Frau.
Dies zeigt sich auch im Herrschaftsauftrag,
sich die Welt zu eigen machen und zu bewahren.
5) Wissen um die Gefährdung des Menschen → Gefährdung der Welt
→ Folgen für die Schöpfung ⇒ Geschichte der Sünde
6) Übergang von Schöpfungsgeschichte zur Vätergeschichte
zur Geschichte der Befreiung (neue Schöpfung)
AT
NT: Verkündigung und Lebenspraxis Jesu
- Relativierung der Welt durch eschatologische Ausrichtung in Leben und Predigt Jesu
- Bsp.: Vorsorge zu treffen nicht wichtig; Vater und Mutter verlassen, Sorget nicht
- Vertrauensvoller Umgang mit der Schöpfung
- Relativierung führt nicht zu Abwertung der Schöpfung
- Schöpfung ist gleichnisfähig
- Heilungen als Zeichen zukünftiger Herrlichkeit
- Schöpfung als Zeichen der Geduld Gottes und der Liebe Gottes: Herr-sein-Gottes
- Erneuerung der Schöpfung durch Jesus
- alte Schöpfung kann nur heil werden, indem sie neue Schöpfung wird, alte Schöpfung ist Teil der
Zukunft Gottes
- Schöpfung und Anbruch des Reiches Gottes widersprechen sich nicht
- Gott ist interessiert, wie mit den Geringsten umgegangen wird
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Paulus und Deuteropaulinen:
- Gott ist Herr und Schöpfer der Welt
- Gott erweist sich in Gerechtigkeit, erbarmt sich der Menschheit, die den Zorn verdient hatte (Römer 1)
- Gott schafft Versöhnung
Gemeinsamkeiten:
1) in der Verkündigungs- und Lebenspraxis Jesu relativiert und qualifiziert sich die Schöpfung neu
Schöpfung = Ort der Fürsorge; Schöpfung ist gleichnisfähig für Reich Gottes
2) deutlich
Rettung in dieser Welt von der Macht der Sünde nur im befreienden Handeln Gottes möglich
3) in Jesus Christus (wahres Gegenüber) ereignet sich die Erneuerung und Vertiefung des Schöpfungssinn
4) NT bekräftigt im Umgang mit der Schöpfung; neuer Himmel und neue Erde
vergehende Welt ist zugleich Welt des Heils; sie ist in Gottes Zukunft hineingenommen
b) Die Perspektiven christl. Wirklichkeitswahrnehmung im Horizont der Schöpfung
1) Glauben an Gott den Schöpfer eröffnet uns das Jahr zur Wirklichkeit
- Wirklichkeit als von Gott gewohnte Gabe sehen
- Schöpfungsglaube macht deutlich, daß wir aus der Gabe leben, die nicht in unserer Verfügung steht,
die wir aber annehmen
- das „ja“ zur Wirklichkeit Gottes ruft zum eigenen „ja“
- Welt ist nicht undurchschaubares Chaos sondern Ort des Vertrauens Gottes
- Welt hat Eigenständigkeit ⇒ Treue Gottes zeigt sich in den Gesetzmäßgikeiten der Welt
- Schöpfungsglaube eröffnet Hoffnung
→ wir sind nicht allein, sondern erfahren in Gottes Hand Sicherheit
⇒ im AT und NT haben die Glaubenden auf Schöpfung mit Dank reagiert,
vgl. Psalmen: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum!“
2) Schöpfungsglaube weist uns in das Eingebundensein in die Wirklichkeit
2 Sichten für die Daseins- und Handlungsorientierung
a) Mensch soll nicht Heil außerhalb der Wirklichkeit suchen
Lebens- und Schicksalsgemeinschaft mit der Natur
christliche Ethik kann Naturgegebenheiten und Gesellschaften nicht überspringen
Personen und Freiheiten werden richtig gesehen, wo die Gegebenheiten angenommen werden
b) Schöpfung ist begrenzte Welt
daß wir nicht alle Zeit haben, läßt uns die Verantwortung erkennbar machen
→ Möglichkeiten und Ernst von Gemeinschaft
→ Grenzen sind auch heilsame Strukturen des Lebens
3) Schöpfungsglauben weist Menschen in die Freiheit der Welt
- Lebensgemeinschaft mit Natur
- Gottesbeziehung und Wirklichkeit
- Gestaltung und Verantwortung der Welt ← Herschaftsauftrag
- Welt ist entdivinisiert + entsakralisiert
⇒ endliches Universum ist nicht göttlich
entdivinisiert: krit. Frage zur Handlungsorientierung (keine Autorität darf der Kritik entzogen werden)
- christliche Daseins- und Handlungsorientierung wehrt sich gegen die Entdivinisierung und
Entsakralisierung
- Mensch ist Sachverwalter und Mitarbeiter Gottes
4) Schöpfungsglaube führt uns zur Achtung aller Wirklichkeit
- Welt ist Lebensraum und nicht Ausbeutungsraum
- Welt ist nicht Objekt einer Beherrschung des Menschen
- Welt ist von Gott gewollt
- Ehrfurcht vor dem Leben
- Herren der Welt sein; Herr soll Herr unter Menschen und in der Natur sein
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
→ den anderen Menschen ihre Eigenständigkeit, Besonderheit und Zukunft lassen
- christlicher Glaube → Achtung alles Lebendigen, Freude an der Schönheit
5) Schöpfungsglaube führt uns zu einem Wirklichkeitsverständnis zu einem offenen und zielgerichteten
Prozeß
- Ziel und Grund in Gottes Handeln am Menschen
- christlicher Glaube ist unterwegssein (Lernbarkeit, Dingen zu guten Dingen machen)
- Geschichte in Dynamik hat nicht das letzte Wort
- Was ergibt sich für das christliche Weltverständnis
c) Die Perspektive christl. Wirklichkeitswahrnehmung im Horizont von Sünde und Erhaltung
- Gegenerfahrung in der natürlichen Welt dürfen nicht einfach übergangen werden
- ständige Ausbreitung des Bösen und Fall
- heuristische Funktion der Schöpfung, die niemand wahrgenommen hat, wird behauptet
→ nachdenken, wie es ursprünglich gedacht war
- Sünde gehört nicht notwendig zu dieser Welt
- durch Mensch kommt Sünde in die Welt
- Mensch=Ort des Bösen und der Sünde, wo Böses und Sünde Macht gewinnt; vgl. AT
⇒ Abwendung des Menschen von Gott → Zuwendung zu sich
- Machtsphären des Bösen ist dämonisch und gewinnt Eigendynamik
- Gott bewahrt die Welt:
a) Welt wird weiter erhalten
b) bewahrendes Handeln Gottes führt zur Handlung Gottes in der Geschichte; Gegengeschichte zum
Bösen (beginnt im Noahbund)
gibt Lebensregeln zum Gebrauch menschlicher Freiheit, in Tora (Weisung) zum guten Leben
gibt Schutzregeln (vgl. Kain)
- Gott straft und rettet zu Gunsten seines Volkes
→ Sühnemöglichkeiten im Kult gegeben
- christlicher Glaube kann sich Macht des Bösen eingestehen, weil es vom „ja“ Gottes begrenzt ist
3.a) Die Wahrnehmung der Wirklichkeit im Lichte der Versöhnung
- Aufnahme des Redens vom bewahrenden Handeln im NT durch das Versöhnungshandeln
- Gott will durch diesen Menschen erhalten
- Gott hat immer wieder neue Anfragen gemacht → durch Jesus Christus durch Geschichtstaten
- Gott selbst als Mensch zu den Menschen
- Gott setzt sich zur Bewahrung der Welt selbst aufs Spiel
NT: Was im AT gesagt ist, bekommt Siegel. Die Überwindung der Sünde nicht durch Bedrohung oder
Strafe. Mensch wendet sich neu zu. Wahrnehmung der neuen Zeit zu der wir eingebunden sind.
- Weg Jesu ist kein Weg geradlinigen Erfolges → wachsende Ablehnung
→ Weg Jesu in menschlichen Augen ist Weg des Scheiterns.
Jesus scheitert auch an der Macht des Bösen
→ der Ort des Kreuzes wird nicht zum Anlaß der Abwendung, sondern zum Ereignis der Versöhnung
- Gott will nicht strafend und Gericht übend in die Geschichte eingreifen
- Gottes Weg ist nicht der Weg der expliziten Sprache
- Gott will Schöpfung bewahren, daß er ihr eine neue Zukunft gibt
- Gott will mit jedem einzelnen eine Geschichte haben
- Gottes Aufgabe besteht in Aufrichtung und Erneuerung der Herzen
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
b) Die Perspektive christlicher Wirklichkeit im Horizont der Versöhnung
3-fache Bestimmung des Verhältnisses:
1) Gott will, daß wir leben, die Welt wahrnehmen und gut gebrauchen
2) Erhaltungshandeln: Erhalten wird die Welt in der Überwindung des Bösen durch Jesus Christus
3) Neuschöpfung: Grenzen, die uns in der Macht des Bösen halten, werden aufgehoben
- Bedeutung für die Wirklichkeitswahrnehmung
- Glaube an den Schöpfer eröffnet „ja“ zur Wirklichkeit
→ „ja“ wird im Versöhnungshandeln erneuert
- Welt erhält neue Perspektive
→ vom neuen Anfang her leben, neue Perspektive der Welt
→ nicht aus, sondern mit der Welt sind wir erlöst
- Schöpfungsglaube ist Eingebundensein in die Wirklichkeit
→ zu dieser Welt gehören Grenze und Schuld und Sünde, die nicht von Gott und seiner Zukunft zu
trennen sind ⇒ Unterschied zwischen Person und Werk
- Ungleichheiten gehören der Vergangenheit an
→ in Zukunft ⇒ gleiches Recht für alle; Gott erwählt gerade die Geringen
- Versöhnung hebt die Grenzen nicht auf, sagt aber, daß sie so nicht mehr die maßgebenden Kriterien sind
- Schöpfungsglaube weist uns in die Freiheit der Welt ein
- wahre Freude in der Gemeinschaft mit Gott und nicht in der Abwendung
- Schöpfungsglaube führt uns ins Verständnis, daß Geschichte der Schöpfung ein zielgerichteter Prozeß ist
→ Verschenkung der Zeit
→ Gott stellt die Zeit unter seine Vergebung
→ entlastet uns, die wir in Zeitnot sind, indem er sagt, daß unsere Weltzeit aber nicht die Zeit bei
Gott begrenzt ist
c) Zur Frage der Schöpfungs- und Erhaltungsordnung
- allgemeine Frage, ob es vor und außer der Heilsoffenbarung Gottes eine Offenbarung Gottes in der
Schöpfung gibt
- Frage ob es Gottesoffenbarung in Geschichte und anderen Religionen gibt
- Gibt es jeseits der Heilsoffenbarung in Jesus Christus eine Erkenntnis des Guten?
→ Können wir im Gewissen erkennen, was das Gute ist?
→ Kath. Moral: Frage des Naturrechts
→ Was ist die grundlegende Verpflichtung?
- Biblischer Befund: Erkenntnis Gottes und Gottes Willen aus der Schöpfung
- allgemeine Gotteserkenntnis und Offenbarungserkenntnis im Widerspruch
→ Weisheit der Welt erkennt ihn nicht
→ erst, wenn man das Kreuz als Weisheit erkennt und Christus, erkennt man Gott
- JhEv: 1. Jesus ist Logos 2. Er kam in sein Eigentum und sie nahmen ihn nicht auf
- Paulus: Nomos = Tora → Sittengesetz → Doppelgebot der Liebe
Kath. Tradition:
- in Bezug auf Schöpfungsordnungen und Frage des Naturrechts:
Mensch kann außerhalb und vor Christus das Gute erkennen
von diesen Werten kann der Mensch nach summum bonum (Gott) zurückfragen
- Mensch ist befähigt und gefordert, das Gute zu tun
- wegen des Verlusts der similitudo (Ebenbildlichkeit) ⇒ Erkenntnis des Guten nicht ganz möglich
⇒ Naturrecht
- Autonome Ethik
→ Naturrechtsgedanken weiter aufgenommen
⇒ anknüpfend an Kant → Mensch kann in Selbstreflexion der Möglichkeiten erkennen,
Freiheit + Verantwortungsübernahme
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Lutherische Tradition:
- geht vom Selbstverständnis der Erkenntnis Gottes aus
- Luther unterscheidet zwischen Glaubens- und Handlungsfragen
- Glaubensfragen: Mensch kann erkennen, daß es Gott gibt
deus absconditus (fremd, bedrohlich, der hinter allem steht)
Gott des Gesetzes und des Gerichts
- Handlungsfragen: einerseits im Gesetz begegnet uns ein fordernder Gott
→ Scheitern am 1. Gebot: Wir können ihn nicht so lieben, wie wir sollen.
→ wenn man 1. Gebot erfüllen will → nur Selbstrechtfertigung ⇒ Gericht
→ vorgegebene Ordnungen für alle: Ehe, Familie, Beruf, Stand
→ ordinae divinae
→ Ständelehre:
Stand der Ehe / Hausstand
All dies sind Stiftungen Gottes
Obrigkeit
⇒ Grundanforderungen des sozialen Lebens
Kirchen
der Christen, larvae Gottes, durch sie handelt
er verborgen.
→ Nährstand, Lehrstand, Wehrstand
Erlanger Theologie:
- steht außer Frage, daß es erkennbare Ordnungen gibt
- Frage, ob Ordnungen aus Schöpfung oder aus dem geschichtlich gegebenen Gesetz Gottes abzulesen sind
Ehlert:
- Verhältnis zur Welt und Gott vor und außer Christus unter dem Stichwort „Gesetz“ zusammengefaßt
- Wie begegnet uns das Gesetz? In den Ordnungen der Natur / Seiensgefüge
- Seiensgefüge bringt Ordnungen heraus: Ehe, Familie, Volk, Beruf, Staat
⇒ vorgegebene Ordnugen ⇒ Mensch tritt ein, um zu leben und leben zu können
(natürliche Ordnungen Gottes)
- Gesetz des Sollens (Begegnung in Geschichte und Dekalog)
→ mit diesem Gesetz macht der Mensch 3-fache Erfahrung
1) Seiensgefüge und Sollensanforderungen gewähren Lebensraum und Schutz
sowohl gubernatorisches und legislatorisches Handeln Gottes ist gute Gabe
2) Ordnungen stellen Menschen in Frage
Endlichkeit (Mensch wird begrenzt), Grenze,
Gesetz (Verantwortlichmachung ⇒ Versagen, Schuldig werden) Begegnungserfahrung
3) Wir begegnen dem judikatorischen Handeln Gottes
Gott straft jeden, der sein Gesetz übertreten will mit Vergeltung
- Staat muß wie Gott durch Gewalt Recht schaffen ⇒ Anerkennung der Vergeltungsordnung
Künneth:
- Menschen kennen nach dem Fall die Schöpfungsordnung Gottes nur noch als Erhaltungsordnung
- die Ordnungen sind stärker dynamisch und geschichtlich
- überlegen, ob wir bereit sind, grundsätzlich dem Willen Gottes zu gehorchen
- Ordnungen sind Dämme / Schranken gegen Chaos und Absturz
- in allem Wandel müssen gewisse Kontakte beobachtet werden
Helmut Thielicke:
- Schöpfungsordnungen sind nicht Erhaltungsordnungen, sondern Notordnungen mit Zwangscharakter
- Aufdeckung der Spannung zwischen Altem und Neuem Äon
- usus eventicus ⇒ vergebungsbedürftig
- Frage inwieweit Liebe an der Erhaltung der Welt beteiligt werden kann
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
Paul Althaus:
- Schöpfungsordnungen im Zusammenhang mit der Uroffenbarungsthese
- Uroffenbarung: Gott hat sich von Anfang an in der Schöpfung offenbart und tut es weiter in Geschichte
und Gegenwart
- Mensch, der den Christusordnungen begegnet
- Evangelium ist die Erfüllung der Heilserwartung Israel und der ganzen Menschheit
- Uroffenbarung geschieht in der Selbstbezeugung Gottes in der Existenz des Menschen
Geschichte, Geist, Kultur
- Althaus geht davon aus, daß es Ordnungen gibt, die die Menschen aneinander binden
- Welche Ordnugen sind das? → Ehe, Beruf, Staat, Volk
- Ordnungen sind nicht nur Not- und Erhaltungsordnungen, sondern Raum des Gelingens und der Erfüllung,
haben von Gott her gesetztes Ideal und Ziel
- Ordnungen der Welt entsprechen dem, was Gott ursprünglich gewollt hat
- Umgang des Christen mit Ordnungen:
1) Bejahung, Gehorsam leisten um der Liebe willen
usus politicus
2) Ordnungen sind Erziehung auf Christus hin
usus paedagogicus
3) Schöpfungsordnungen können gleichnisfähig für das Reich Gottes werden
usus symbolicus
- Der Christ kann in dieser Situation nur mitwirken, indem er die Ordnungen gut gestaltet, den Mißbrauch
erkennt und ihm mit Gewalt entgegentritt
- Jede Gerechtigkeit hat Schatten der Ungerechtigkeit vgl. Riess: Alles ist ambivalent!
- Tracks Kritik: Theoretisch gut, aber Umsetzung für den Hund, weil er dann doch am Autorität orientiert
ist.
Luther:
- Ordnungen des weltlichen Regiments
- Stände für die Christen
- Frage ob er 2 Quellen benutzt hat: 2-Reiche-Lehre und Ständelehre des Mittelalters
Bonhoeffer:
- an Stelle von Ordnungen redet er von Mandaten (Ehe, Arbeit, Obrigkeit, Kirche, Kultur)
- Aufträge, die zu gestalten sind
- Ehe: Ort des Kinderzeugens und der Erziehung
Arbeit: Welt soll entstehen, Lebensraum schaffen, in dem Christus Gestalt gewinnen kann
Obrigkeit: Zusammenleben angemessen gestalten
- verschiedene Tätigkeiten und Aufgabenfelder
- Felder müssen christus- und wirklichkeitsgemäß durchgeführt werden
Emil Brunner:
- Auseinandersetzung mit Barth
- Schöpfungsordnungen, Erhaltungsordnungen, Sündenordnungen
- wir können keine natürliche Theologie betreiben
- Schöpfung christologisch interpretieren
- Trennung von Barth : Anspruch in Jesus Christus
- Schöpfung der Welt ist zugleich Offenbarung
⇒ wir müssen christliche Naturtheologie gewinnen
- Mensch kann um seine Geschöpflichkeit wissen und in Beziehung zu Gott eintreten
- Mensch zeigen, wie er von der Offenbarung her die Wirklichkeit erkennen kann
- wir erkennen die Schöpfungsordnungen nie rein:
• wg. geschichtlicher Bedingtheit und weil wir von der Sünde her bestimmt sind
• alle Verwirklichungen sind auch Verkehrungen relativer Geschichte
- Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus
- Erziehung auf das Letzte hin
- Gemeinschaftsordnungen
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
-
Ordnungen von unten her organisieren und schweizerförderalistisch aufbauen
Ordnungen der Ehe, Familie, Wirtschaft
Gestaltung der gerechten Ordnung des Staates und der internationalen Beziehungen
Kriterien angegeben → Mensch von Gott als freier gewollt
→ Ordnungen am gerechten Zusammenleben orientiert
- Track: Ansatz problematisch, weil er in seiner inhaltlichen Durchführung zu konservativer Linie neigt
Eilert Herms:
- von Schleiermacher herkommend
- Schleiermachers Ansatz mit der Rede von den Schöpfungsordnungen verbunden
- nicht die Schöpfungsordnung sondern die Schöpfungsordnungen
- wir leben davon, da diese Grundsituation weiter besteht → Treue Gottes
- Wie zeigt sich diese Grundsituation?
1) Wir erleben uns als Menschen, die in eine Situation gesetzt sind, die immer Handelnde sind
(Subjekt und Objekt des Handelns; Subjekt = Wir haben Möglichkeiten;
Objekt = abhängig vom Handeln anderer)
2) Ineinandergreifen von Vorgabe und Freiheit
Schöpfungsordnungen die vorgegeben sind: Praxissituation endl. Freiheit (+Leiblichkeit)
- 4 Aktionsordnungen:
1) Im Bereich der Ökonomie finden wir uns vor, Naturgesetze, Rahmenbedingungen
⇒ Ökonomie, Ressourcen und Wahrung von Dienstleistungen müssen da sein
2) Bereich der Politik
- soziale Regeln, die das Verhältnis von Mensch und Mitmensch regeln
- Herrschaft und Gewalt; angemessene Handhabe von Macht
- Ausbildung eines Rechtsystems und polit. Ordnungen
3) Wissenschaft und Kultur I
- Feld; Mittel und Folgen des Handelns (empirisch) schaffen
vgl. symbolisierende Handlungen nach Schleiermacher
4) Wissenschaft und Kultur II
- Religion und Weltanschauung ⇒ Sinnorientierung
Wie kann man dazu argumentieren?
Track:
1) Keine Ethik kommt darum herum, auf die Welterkenntnis auch vor und außer Christus Stellung zu
nehmen!
→ Es gibt Strukturen und Verhältnisse in dieser Welt, mit denen wir umgehen müssen
→ Erfassungen dieser Welt sind endlich, geschichtlich und Interessen geleitet
⇒ erkennen, was Gott tatsächlich als Strukturen schafft und was wir als Struktur erkennen
2) Rede von der Natur in diesem Zusammenhang ist schwierig
→ Natur ist immer schon gestaltet und geprägt
→ zur Natur gehört nicht nur Ablesbarkeit, sondern auch Undurchschaubarkeit und Unberechenbarkeit
→ man muß sich den Setzungen bewußt sein
→ nicht von den Schöpfungsordnungen, sondern von den Schöpfungsordnungen, wie wir
sie erkennen, reden
mit Althaus, Bonhoeffer, Herms:
- dem Menschen sind Strukturen, Verwaltungsaufgaben vorgegeben
- gegenüber der Reformation zeigt sich, daß dieses problematisch ist
1. nur bestimmte Anzahl von Ordnungen
2. und bestimmte Vorgaben
3. auch im Hinblick auf das Gewissen
→ Erfahrungsgeschichten und Einzugsgeschichten guten Handelns
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
4. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit in der Hoffnung auf Erlösung und Vollendung
a) Die Verheißung und Hoffnung christlichen Glaubens
- zum Menschsein gehört Hoffnung; vgl. Bloch
- Unterwegssein und Hoffnung haben
- Moltmann: Christentum ist Eschatologie, Hoffnung
- auf die Frage nach dem Ziel und nach dem, was Mut zur Hoffnung gibt, gibt das Christentum merkwürdige
Antworten
- Christi Geschichte ist nicht Siegergeschichte: zuerst ist es nicht nur gutgegangen; die Welt kreuzigte ihn
hinaus
- nicht denen, die ihn hinauskreuzigten, sondern ihm allein gehört die Welt auch über den Tod hinaus
- die Hoffnungsgeschichte unseres Glaubens ist unbesiegbar geworden
- Reden von Erlösung und Vollendung der Welt bedeutet:
• Gott gibt Ziel
• neuer Horizont
- Entgrenzung und Ende der Welt über den Tod hinaus und in Gottes Reich hinein
- Botschaft Jesu: Grenzüberschreitung der Feindschaft und des Todes
- Jesus hat Gott näher gebracht → von Gott her neuer Anfang möglich
- für jeden heißt das, daß Gott anders mit uns umgeht: nicht mehr Auge um Auge
- anderer Umgang Gottes mit uns in den Gegebenheiten dieser Welt durchs Leben Jesu
⇒ Wir werden nicht aus sondern mit dieser Welt erlöst. Diese Welt hat mit uns zusammen eine
Zukunft.
So weiß der Glaube um die Vergänglichkeit und des Leidens dieser Welt, aber die Liebe,
die aus dem Glauben kommt, läßt die Welt nicht los.
- Wir sind mit der Welt erlöst; Paulus: Für alle Kreatur neue Perspektive Hoffnung
- Doxa soll wieder über die Schöpfung schauen
→ Christen sollen darauf ausharren
→ Christen haben Erstlingsgabe des Geistes erhalten
⇒ Eintreten für die Schöpfung in-der-Verantwortung-sein der Menschen → alle sollen die zukünftige
Herrlichkeit Gottes spüren
- Sünde ist nicht privatio boni, sondern schlechter Gebrauch dessen, was gegeben ist
- in Christum sollen herrenlose Gewalten zurückgeholt werden, Bann des Bösen soll durchbrochen werden
vgl. Paulus und Kolosserbrief
b) Die Perspektive christlicher Wirklichkeitswahrnehmung
- von dieser christlichen Hoffnung her im Umgang mit der Welt 3-fache Funktion:
1) Umgang mit der Welt in kritisch distanzierender Funktion
→ um die Vorläufigkeit dieser Welt wissen
⇒ Haben als hätte man nicht
2.a) in dieser kritisch distanzierender Funktion wissen wir, daß alle Zielsetzungen und Ansprüche in Frage
gestellt werden müssen
→ Kritik gegenüber jeder unreflektierter Forschungsmeinung
2.b) gelöster Umgang mit Bestehendem und seinen Möglichkeiten
- zum Glauben gehört in allem Leid, Trauer..., doch die Gewißheit, daß Gott den Menschen zutraut,
daß sie neuen Anfang machen können
- christlicher Glaube muß sich nicht überfordern, nur so kann er das mögliche tun
Paulus: Alles ist Euer, Ihr aber seid Christi!
- Wer Zukunft hat, lebt gegenwärtiger
Nicht alles selber machen, sondern harren, was Gott schenkt!
3) ermutigende Funktion:
→ Geduld trotz schlechter Erfahrungen
→ Geduld, die die heilende Unruhe nicht verliert und keine Situation sich selbst überläßt.
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
c) Die Wirkung Gottes in Schöpfung, Erlösung und Vollendung
Die Frage der Theodizee
- Diese Frage stellt sich in Bezug auf das Schöpfungs- und das Versöhnungshandeln
- Voraussetzungen:
1) von Gott gesprochen, durch den die Welt so nach seinem Willen gestaltet wird
2) angenommen, daß er die Welt gut geschaffen hat und selbst gültig ist
⇒ 3 Fragen aus dem Schöpfungshandeln:
I) Frage nach dem malum methaphysikum
Warum hat er eine Welt geschaffen, die im Unterschied zu ihm endlich ist?
Ist diese Begrenztheit der Welt nicht grundsätzlich von Übel
II) Frage nach dem malum physikum
Einbruch des Bösen und der Sünde in dieser Welt
In dieser Welt gibt es Leiden aufgrund von Krankheit und Behinderung
Warum hat er das so geschaffen?
Wie ist das mit der Güte des Schöpfers zu vereinbaren?
All diese Antworten (Strafe, Erziehung Gottes) sind strittig ⇔ Güte Gottes
III) Ist es mit der Güte Gottes und der Schöpfung zu vereinbaren, daß es das malum morale
(Einbruch der Sünde und des Bösen in dieser Welt) gibt?
- Frage aus dem Versöhnungshandeln:
→ Gott beginnt von Anfang an Gegengeschichte zur Sünde, vgl. Noah-Bund
→ berührbarer Gott, der zornig über die Sünde ist, in Jesus Christus geht er den Weg bis zum
Äußersten; Gott der Versöhnung, Erlösung und des Neuen Anfangs ruft die Leute zum Glauben
(der Auferstandene besonders)
→ hat der Weg nicht einen unendlich hohen Preis?
-
Warum dieser Weg?
Warum greift er nicht unmittelbar ein?
Warum erfährt die Liebe so viel Widerstand?
Wie verhalten sich Gottes Ohnmacht in der Liebe im Verhältnis zu seinem Handeln?
3 allgemeine Bemerkungen:
1) Theodizeefrage ist m.E. keine Frage des Unglaubens, sondern gehört zum Glauben
Anfrage: Zum Glauben gehört die Nähe und Ferne Gottes ← Anfechtung
Mit Gott kann man streiten und klagen
2) Eine schlüssige Antwort auf die Theodizeefrage ist nicht möglich. Voraussetzung dazu wäre,
daß wir ihn und sein Handeln erklären könnten
⇒ man kann sie lösen, wenn man auf Gott als den Transzendenten verzichtet
unangemessen, die Frage zu lösen:
• Gott mußte so handeln
• Wenn er freien Menschen schuf, mußte er auch das Böse in Kauf nehmen
• Hegel & Co.: Böses geschaffen zur Selbstentfaltung Gottes
• Leibnitz: Gott ist vollkommen, wir nicht!
• Leiden als Erziehungsstrafe
3) Jedes theologische Erklären-Wollen der Theodizeefrage widerspricht der RF-Lehre
Fliehen vom deus absconditus hin zum deus relevatus
Nicht schweigen und hinnehmen ⇒ Ausstrecken nach der Erfahrung von der Liebe Gottes umschlossen
sein; Leben, Liebe und Gerechtigkeit kommen zusammen
- Vom Anfang an im Schöpfungsglauben will Gott Leben, Allmacht zum Leben
- Gott will Beziehung (lebendige) mit seinem Menschen und ihnen die Freiheit geben
- Gott will nicht anders mächtig sein als er die Macht zum Leben sein will
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I) damit hat sich Gott verwechselbar gemacht; an sein geschichtliches Handeln muß man nicht glauben
in seiner Liebe in Jesus Christus ist er verwechselbar und verletzlich
II) Schöpfung durch Endlichkeit und Grenzerfahrung gekennzeichnet
Erfahrungen sind ambivalent
Kreatürliches Leid ist unabhängig von den Eingriffen der Menschen
Leid ist in Gemeinschaft mit Gott besser zu ertragen, aber es bleibt
Hinweise für den Umgang mit de Theodizeefrage:
- Schöpfungsglaube: Gott als lebendiges Gegenüber, der das Leben will
Gott als Gott der Beziehung haben will
Gott als Macht zum Leben
Gott macht sich schon in der Schöpfung verwechselbar
→ aus Liebe → das Warum ist nicht beantwortbar
- Geschichte Gottes mit den Menschen:
Warum?? keine eindeutige Antwort, aber Gott will jeden Menschen, weil er uns so ernstnimmt, daß
er sich selbst ein Stück aufs Spiel setzt
Gott leidet am Widerspruch
⇒ Gott muß die Ohnmacht der Liebe ertragen!
- Geschichte Gottes mit den Menschen als Risiko
- Gott sagt „nein“ zur Sünde, aber „ja“ zum Sünder
- Gott will im Leid mit uns sein. Tod und Leid sollen nicht das letzte Wort haben
- Überwindung des Leides
- Kreuz: Liebe Gottes bis ans Ende; Gott leidet mit uns und für uns
- Gott will uns durch die Liebe zum Leben führen
- Gott ist nicht widersprüchlich, aber in unserem Verständnis treten Leben und Liebe auseinander
- Was bedeutet zum offenbarenden Gott (deus relevatus) fliehen?
→ Die Antwort können wir uns nicht selber geben. Es wird uns je und je geschenkt.
Wir können uns danach ausstrecken, aber müssen die Anfragen und Anklagen mitnehmen.
5. Die Freiheit des Menschen
a) Phänomenologische Beobachtungen
- Freiheit = Möglichkeiten und Fähigkeiten um Situation zu transzendiren
Vermögen der kritischen Unterbrechung
Möglichkeit darin spielerisch und schöpferisch tätig zu werden
und das ich als selbst zu konstituieren
unterschiedlich handeln, verhalten und interpretieren
- Freiheit = Beziehungsbegriff
zu diesem Schicksal muß man sich verhalten
- Freiheit bezeugt theoretisches und praktisches Problem
- Freiheit = unmittelbare Erfahrungen (liegen nur im Wahrnehmungsbereich)
⇒ hängt viel von der Deutung ab (Wir haben die Sache nur im Wort, wie wir deuten hängt von uns ab.)
- wo Mensch sich zur Freiheit bekennt, hat Freiheit 3-fachen Aspekt
1) Anfang in der Unterbrechung, Distanzierung von der Situation zeigt sich in der Negation
2) Akt, in dem der Mensch sich selbst bestimmt
3) Freiheit nicht nur Lösung und Negation im Akt des Loslassens vollzieht sich Wahl
⇒ nie die Freiheit wovon ohne die Freiheit an sich und das wozu zubestimmen
Akt der Lösung wovon und Selbstbestimmung wozu
- der geschichtliche Charakter → allgemeine und individuelle Freiheit
- allen Menschen kann ähnlicher Freiheitsspielraum zukommen (allgemein), in dessen sich die induviduellen
Freiheit konkretisieren
- aus der Differenz wovon und wozu läßt sich die Definition innere und äußere Freiheit ableiten
innere Freiheit: sich von Meinungen und Parolen zu distanzieren
äußere Freiheit: Verwirklichung der inneren Freiheit
- der Wille des Menschen kann bewußter Gebrauch von Freiheit machen
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VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- in der Geschichte werden Akzente der Aspekte (wovon) anders gesetzt
b) Geschichte der christlichen Freiheit
NT: im Zusammengehen mit Christus neue Existenz des Glaubens; Gal, Röm
Mensch wird als befreiungsbedürftiger Mensch wahrgenommen
Friede, Wahrheit und Liebe gehören zusammen
Grundthese Luther:
- Gott hat Freiheit und freien Willen geschenkt
- Mensch ist begrenzt, dessen Freiheit nur in rechter Gottesbeziehung erfüllt wird
- servo arbitrio: wo Mensch gebundene Freiheit sucht, da verfehlt der Mensch sein Wesen
im Augenblick, wo wir uns von Gott lösen, liefern wir uns an andere Mächte aus
⇒ wehrte er sich gg. die Schwärmer
- Mensch = Reittier Gottes; Freiheit = Freiheit durch Gott und für Gott
- Wir können nichts für unser Heil tun, sonst werden wir Christus als Mittler zu unserem Heil machen
- Wenn Jesus Christus Freiheit schenkt, ist dieses ein großes Geschenk
- Freiheit beginnt als innere Freiheit und will zur äußerer Freiheit werden
⇒ zeigt sich in Selbstdisziplin, Fasten, Wachen, Beten, eintreten für andere, Gottesdienst in der Welt
- gute Werke um des anderen Willen, nicht um der eigenen Selbstrechtfertigung Willen
c) Das Verständnis christlicher Freiheit und seine Bedeutung für die Ethik
1) christlicher Glaube versteht Freiheit nicht als Grundphänomen, sondern Folgephänomen, das sich
dem Handeln Gottes verdankt
(Freiheit, die die Folge von Befreiung von Seiten Gottes her ist, muß sich mit der Sünde immer wieder
neu ereignen)
2) Freiheit muß sich in den 3 Aspekten (Wovon, Selbstbestimmung, Wozu) neu orientieren
Wovon: kritische Negation, Lösung vom Vorgegebenen
gilt auch für das Gottesverhältnis
Gott, der auch unsere Verantwortlichkeit will
Selbstbestimmung: nicht Freiheit unterlaufen, wenn nicht ich selbst sein will
sondern mich in geschichtlichen Bedingungen annehmen
nicht Dinge von mir verdrängen, sondern annehmen (Leichen im Keller)
mich annehmen und unter die Vergebung Gottes stellen und annehmen (⇒ Freiheit)
Wozu: indem wozu ich mich entscheide, gewinne ich nicht, indem ich andere unterdrücke, sondern wenn
ich andere und mich frei sein lasse
Jesus: andere Lebensmöglichkeiten gewähren, selbst frei werden
⇒ NT für Wahrheit und Liebe entscheiden
3) Freiheit ist kein Besitz und kein Lernprozeß
- Handeln Gottes und menschliche Freiheit
- Gott hat mir Glauben geschenkt, nicht jenseits der Aufhebung der Person, ich war dabei
Wie ist der Mensch beteiligt am Prozeß des zum Glauben kommens?
Luther: Mensch kann von sich aus nichts tun
Schwächung (Sünde) des freien Willens → Kraftanstoß; gratia perveniens
- Sünde ist nicht Schwächung sondern Verkehrung des Willens
- Gott bestimmt uns zur Freiheit
⇒ auch den anderen zur Freiheit kommen lassen
- Gott will in uns das „ja“ wirken
- zur Erfahrung des Glaubens gehört es, daß Gott immer Menschen zum Glauben ruft
⇒ Warum sollen wir es besser machen wollen
keine (Holzhammer-) Mission, weil sie unjesuanisch ist
- Gott will Freiheit des Menschen nicht aufheben, sondern neu eröffnen
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Prof. Dr. Joachim Track
VL: Grundlegung der Ethik WS 1999/00
- Was kann man in dieser Situation tun? zusagen lassen und arbeiten, und den Menschen in den
Widerstand begleiten auch wenn man ihm den Gammel nicht abnehmen kann
6. Das Gewissen
a) Zur Geschichte der Gewissensthematik
consensia
synheresis – Mitwissen um die schlechten Taten anderer
sich seiner schlechten Taten bewußtsein angesichts der Schuld
Gewissen ist Stimme Gottes, der den Mensch beurteilt; Wächter im Mensch
Philosophie: Gewissen ist unserer innerer Gerichtshof
Seneca: Menschen haben wirklichen Funken, dies wird im Gewissen sichtbar und laut
Kant: stellt sich inneren Richter als göttliches Wesen vor
Mensch stellt sich unter das Gewissen
Gewissen, daß seine Pflicht tut, handelt nicht aus Neigung, Anregung
Nietzsche: schlechtes Gewissen ist Krankheit, die unter dem Druck der christlichen Moral entstanden ist
Moral sperrt Menschen ins Gefängnis
Bedürfnisse des Menschen richtet sich nach innen
Heidegger: Gewissen geht in das Selbstverständnis und Selbstverhältnis des Menschen
Gewissen ruft ins Dasein
Mensch wird von der Uneigentlichkeit in die Eigentlichkeit zurückgeholt
Freud: Mitte zwischen Es, Ich und Über-Ich
Anwalt des Über-Ichs
Mitte zwischen Libido, Todestrieb und Agressionstrieb
„Mensch ist viel moralischer als er weiß“
Schuld entsteht immer, wenn Triebe und Moral angesichts der Situation nicht im Gleichgewicht
stehen
Gewissen will nichts verändern aus Furcht vor Liebesentzug
unser Gewissen ist nicht geschult
Ericson: gutes Gewissen, ist wenn die Funktionen mit der Kontrolle, sowohl in Person als auch in
öffentlichen Konflikten durchgehalten werden
b) Die Aussagen christlicher Tradition
- im Hebräischen kein Äquivalent für Gewissen ⇒ Herz
- erst in der LXX findet sich Gewissensbegriff, wie innerer Gerichtshof
- Gewissen ist universal, betrifft Heiden wie Juden
- Ev macht Gewissen zum Ort des Freispruchs; vgl. Paulus
- nachpaulinisch 1. Tim 1; 1. Petr 3: Ein reines Gewissen ist die Grundstellung des Christen, die an der
Glaubensaussage festhält
- die paulinischen Aussagen ziehen in der Kirchengeschichte zwei Richtungen nach sich
a) Scholastisches Verständnis:
Bußthematik, Beichtverständnis, Ausbildung des Gewissensbegriffs, Thomas und Lombardus
→ Synheresis: • auch nach Sündenfall ist Erkennung des Guten möglich
• sich nach dem Naturrecht richten
• entsprechend dem guten handeln
→ Mystik: • möglich weil wir Funken an göttlicher Seele haben
• ursprungshafte Neigung zum Guten
• Habitusbezeichnung
→ conciensia: • Vollzug dieser sittlichen Einstellung
b) lutherisch:
→ hat zwischen Synheresis und Conciensia abgelehnt
→ Gewissen ist nichts wo man positiv anknüpfen kann
→ Ort an dem ich erfahre, daß ich mich an Gott vergehe
→ Ort der Urteilsverkündung Gottes
→ Wiederfahrnis des Glaubens
⇒ Ziel der Predigt: Unterweisung des Gewissens zur Freiheit
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