Islamic Finance: Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen und

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Financial Services Management – Band 8
Daniel Kügler
Islamic Finance
Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen
und deren Finanzierung in Deutschland
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Umschlagbild: Entwurf des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main
(© Stefan Laub, Wien, www.laublab.com)
Umschlagentwurf: Sascha Krenzin, Weißensee Verlag, Berlin
Printed in Germany
ISSN 1863-7663
ISBN 978-3-89998-156-8
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ................................................................................... VII
Abkürzungsverzeichnis .................................................................................VIII
Vorwort .............................................................................................................IX
1
Einführung in Islamic Finance ................................................................... 1
1.1
Hintergründe .......................................................................................... 5
1.1.1
Neo-Revivalismus und dessen Auswirkung auf das Bankensystem . 5
1.1.2
Bankenboom durch Ölexport............................................................ 6
1.1.3
Entstehung der Islamic Development Bank und ihre Aufgaben ....... 7
1.1.4
Etablierung wichtiger Organisationen............................................... 7
1.2
Grundlagen der islamischen Ökonomie ............................................... 10
1.2.1
Theologische Hintergründe............................................................. 10
1.2.2
Rechtssystem .................................................................................. 11
1.2.3
Ethnische Gruppierungen im Islam und dessen Rechtsschulen ...... 14
1.2.4
Shariah-Board ................................................................................ 16
1.2.5
Investments-Rating ......................................................................... 19
1.3
2
Die Kernelemente des Islamic Finance ................................................ 22
Shariah-konforme Immobilientransaktionen .......................................... 29
2.1
Shariah-konforme Nutzungsarten ........................................................ 29
2.2
Shariah-konforme Investitions- und Finanzierungsinstrumente .......... 31
2.2.1
Asset-based Instrumente ................................................................. 33
2.2.1.1
2.2.1.2
2.2.2
Murabahah ................................................................................ 33
Istisnaa und Salam .................................................................... 38
Profit-Sharing Instrumente.............................................................. 44
2.2.2.1
2.2.2.2
Musharakah............................................................................... 44
Mudarabah ................................................................................ 51
V
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
2.2.3
Leasing and Bonds.......................................................................... 57
2.2.3.1
2.2.3.2
Ijarah ......................................................................................... 57
Sukuk ........................................................................................ 62
2.3
Risikomanagement............................................................................... 68
2.4
Steuerrechtliche Aspekte...................................................................... 70
3
Beispieltransaktionen in Deutschland ...................................................... 75
3.1
Erwerb der Zehlendorfer Welle in Berlin durch Arab Investments...... 75
3.2
Erwerb des Telekom Gebäudes in Köln durch die Qatar Islamic Bank 77
3.3
Stichting Sachsen-Anhalt Trust............................................................ 78
4
Ausblick und Fazit ..................................................................................... 81
Quellenverzeichnis.........................................................................................XIII
VI
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Interregionale direkte gewerbliche Immobilieninvestitionen,
2007 ............................................................................................. 3
Abbildung 2: Regionale Ausdehnung des islamischen Glaubens ....................... 4
Abbildung 3: Eingliederung des Finanzsektors im islamischen System........... 10
Abbildung 4: Quellen zur islamischen Rechtsfindung...................................... 12
Abbildung 5: Sunnitische Rechtsschulen ......................................................... 15
Abbildung 6: Zertifizierung shariah-konformer Investments........................... 18
Abbildung 7: Auflistung unzulässiger Branchen für Investments .................... 20
Abbildung 8: Grundprinzipien des Islamic Finance ......................................... 23
Abbildung 9: Übersicht Immobilieninvestments .............................................. 30
Abbildung 10: Islamische Investitions- und Finanzierungsinstrumente ............. 32
Abbildung 11: Häufigkeitsverteilung der Investitions- und
Finanzierungsmodelle, 2005....................................................... 32
Abbildung 12: Murabahah-Modell ..................................................................... 35
Abbildung 13: Parallel-Istisnaa-Modell ............................................................. 42
Abbildung 14: Permanent Musharakah-Modell.................................................. 48
Abbildung 15: Veränderung der Eigentumsanteile bei der diminishing
Musharakah ................................................................................ 50
Abbildung 16: Mudarabah-Modell ..................................................................... 55
Abbildung 17: Darstellung eines zweiseitigen Mudarabah-Vertrages der
FIBE ........................................................................................... 56
Abbildung 18: Ijarah-Modell.............................................................................. 59
Abbildung 19: Ijarah-Modell mit Hilfe von Zweckgesellschaften ..................... 61
Abbildung 20: Sukuk al-Ijarah ........................................................................... 65
Abbildung 21: Risiken für islamische Finanzintermediäre................................. 70
Abbildung 22: Architektonischer Entwurf der Zehlendorfer Welle ................... 75
Abbildung 23: Entwurf der straßenseitigen Ansicht der Zehlendorfer Welle..... 76
Abbildung 24: Telekomgebäude in Köln............................................................ 77
Abbildung 25: Struktur des „Stichting Sachsen-Anhalt Trust“ .......................... 80
VII
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
Abkürzungsverzeichnis
AAOIFI
Auditing Accounting Organisation of Islamic Financial
Institutions
ABS
Asset Backed Securities
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BOT
Buy, Operate and Transfer
CIA
Central Intelligence Agency
DIB
Dubai Islamic Bank
EURIBOR
European Interbank Offered Rate
FIBE
Faisal Islamic Bank of Egypt
GCC-Staaten
Staaten des Golfkooperationsrates
GrESTG
Grunderwerbssteuergesetz
HGB
Handelsgesetzbuch
IBB
Islamic Bank of Britain
ICB
Industry Classification Benchmark
IDB
Islamic Development Bank
IFSB
Islamic Financial Services Board
M&A
Merger & Acquisition
MBS
Mortgage Backed Securities
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
PPP
Public Private Partnership
PTC
Participation Term Certificate
RICS
Royal Institution of Chartered Surveyors
PLS
Profit-Loss-Sharing
SPV
Special Purpose Vehicle
UBS
Union de Banques Suisses
USt
Umsatzsteuer
VAE-ZGB
Baurecht der Vereinigten Arabischen Emirate
ZGB
Zivilgesetzbuch
VIII
Vorwort
Vorwort
Die Rahmenbedingungen der Finanz- und Investitionsmärkte haben sich auf
Grund der wachsenden weltweiten wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen in der Vergangenheit wesentlich verändert. Die Möglichkeiten der Kapitalanlagen sowie das Angebot von Produkten und Dienstleistungen für Immobilientransaktionen sind inzwischen wesentlich vielfältiger und individueller geworden. Wettbewerbsvorteile können in der heutigen Zeit vor allem durch Spezialisierung und den Einsatz von maßgeschneiderten Instrumenten erreicht werden.
Auch der Markt für innovative Finanzprodukte hat sich in den letzen Jahren in
Bezug auf Struktur und Volumen grundlegend geändert. Der Einsatz von Finanzinnovationen steigt stetig und diese Produkte werden in Zukunft eine immer
wichtigere Rolle einnehmen.
Durch die zunehmende Globalisierung treten vermehrt ausländische Investoren,
unter anderem auch mit bislang fremden wirtschafts-ethischen Ideologien, als
Immobilienkäufer auf den deutschen Markt, die sämtliche Stakeholder bei einer
Immobilientransaktion vor neue Herausforderungen stellen. Die neuen Zielgruppen möchten bedient werden, so dass die deutschen Marktteilnehmer sich immer
höheren Anforderungen hinsichtlich der Service-, Beratungs- und Betreuungsqualität stellen müssen.
Die neuen Marktteilnehmer stellen jedoch keineswegs eine Last dar, sondern
sollten vielmehr als Chance verstanden werden. Denn das Produktangebot für
Zielgruppen, die bislang fast unbeachtet blieben, unterliegt in der Regel nur
einem sehr geringen Wettbewerb, was es in Anbetracht des steigenden Wettbewerbdrucks wiederum besonders interessant macht. Es gilt, genau diesen Kunden
gezielt einen echten Zusatznutzen zu verschaffen, um so neue Kundenschichten
für sich gewinnen zu können. Das nicht ganz uneigennützige Engagement von
Unternehmen und Banken für Marktminderheiten wird im modernen wirtschaftlichen Jargon als „Minority Marketing“ bezeichnet. Allein die Tatsache, dass
hierfür bereits ein fester Marketing-Begriff entstanden ist, macht deutlich, dass
diese Produktinnovationen nicht nur zur Befriedigung besonderer ethischer
Bedürfnisse dienen, sondern durchaus auch unternehmerische Vorteile bieten.1
Eine dieser wichtigen neuen Kundenschichten sind Investoren aus dem islamischen Raum. In Deutschland stellen Muslime eine Minderheit dar, jedoch mit
weltweit circa 1,6 Milliarden Anhängern des muslimischen Glaubens wird dieser
1
Vgl. Rauscher; 2006, S. 20
IX
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
Gruppe ein nicht zu unterschätzendes ökonomisches Potential beigemessen. Der
Grund für das Erfordernis von islamischen Produktentwicklungen liegt in den
ethischen Verhaltensvorschriften der Muslime, die sich an der Morallehre der so
genannten Shariah orientieren. Dabei steht der Begriff Islamic Finance für ein
shariah-konformes ökonomisches Handeln, insbesondere im Bereich des Finanzund Investitionssektors, welches mit den Wertevorstellungen des Islam in Einklang gebracht wird.
Herangehensweise
In der vorliegenden Diplomarbeit wurde der Aspekt der shariah-konformen
Immobilientransaktion untersucht. Als Schwerpunkt der Ausarbeitung wurden
die gängigsten islamischen Finanzierungs- und Investitionsmethoden erläutert
und auf ihre Angemessenheit für eine Immobilientransaktion hin untersucht.
Besonderes Augenmerk lag dabei auf den Anwendungsmöglichkeiten bei Transaktionen in Deutschland und den Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel das
deutsche Steuer- und Vertragsrecht. Unterstellt wurde, dass muslimische Investoren in Deutschland investieren wollen und dafür Fremdkapital benötigen. Die
Diplomarbeit gibt somit, sowohl für deutsche Immobilienbesitzer (Verkäufer) als
auch deutsche Finanzintermediäre, Hilfestellungen, welche Servicepakete anbieten können, um den Wertevorstellungen der muslimischen Investoren gerecht zu
werden. Dies ermöglicht größere Chancen vom Marktpotential der muslimischen
Investoren partizipieren zu können.
Um die einzelnen Instrumente verstehen zu können, ist es notwendig, sich tiefer
mit dem geschichtlichen und ökonomischen Hintergrund des Islam zu beschäftigen. Hierzu wurde auf die Entstehung des islamischen Finanz- und Bankensystems eingegangen und die damit verbundenen Grundlagen der islamischen Wirtschaftsordnung. Letzteres umfasst den theologischen Hintergrund, welcher die
Grundlagen des Islamic Finance aufzeigt. Des Weiteren wurde auf das islamische
Rechtssystem näher eingegangen, welches den entscheidenden Faktor zur Etablierung von islamischen Finanz- und Investitionskonstrukten darstellt. Ergänzend
wurden die Besonderheiten des islamischen Finanz- und Bankensystems, wie das
Shariah-Board und das spezielle Rating für Investitionen, sowie die Schlüsselprinzipien des Islamic Finance beschrieben.
Nachdem die wesentlichen Voraussetzungen des Islamic Finance erläutert wurden, wurden im Kapitel 2 die beiden wichtigsten Aspekte für eine shariahkonforme Immobilientransaktion behandelt. Aufgrund islamischer Wertevorstellungen sind die Nutzungsarten der Immobilien entscheidend für ein erlaubtes
Investment. Erlaubte und nicht erlaubte Investments wurden anhand diverser
Beispiele verdeutlicht. Anschließend wurden die Finanzierungs- und Investiti-
X
Vorwort
onsmodelle ausführlich erläutert, und kritisch gewürdigt. Es konnte jedoch im
Rahmen dieser Diplomarbeit lediglich eine Auswahl der gängigsten Methoden
untersucht werden, so dass darüber hinaus weitere Varianten und weniger verbreitete Modelle nicht betrachtet werden konnten. Ferner wurden Versicherungen, ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Islamic Finance, nicht betrachtet.
Auftretende Risiken bei islamischen Finanzierungs- und Investitionsinstrumenten
wurden im Kapitel 2.3 dargelegt und die Problematik eines angemessenen Risikomanagement wurde erläutert. Im Kapitel 2.4 wurden steuerrechtliche Aspekte
im Ansatz aufgezeigt, die bei Immobilientransaktionen in Deutschland im Zusammenhang mit shariah-konformen Immobilientransaktionen auftreten können.
Vorschläge zur Optimierung bzw. Vermeidung von steuerlichen Nachteilen
wurden aufgezeigt.
Abschließend wurden drei Beispiele abgeschlossener shariah-konformer Immobilientransaktionen in Deutschland beschrieben und ein Fazit mit Ausblick zum
Thema Islamic Finance – Shariah-konforme Immobilientransaktionen dargelegt.
XI
1 Einführung in Islamic Finance
1 Einführung in Islamic Finance
Islamic Finance erreicht zunehmend auch den deutschen Markt. Gestärkt durch
den Ölboom mit stetigem Ölpreisanstieg in den vergangenen Jahren sowie vor
dem Hintergrund der strengeren Kontrollen der muslimischen Investoren in den
USA nach dem 11. September 2001, suchen diese vermehrt Alternativen, um ihre
Überschüsse profitabel anlegen zu können. Zu den Akteuren gehören vor allem
islamische Institutionen und besonders reiche private muslimische Kapitalanleger. Bereits 2005 schrieben Robert Ummen und Marcus Gärtner, dass „die islamische Finanzindustrie still und heimlich zu einer der bedeutendsten Käufergruppen auf den globalen Immobilienmärkten herangewachsen ist“.2
Islamic Finance umfasst sämtliche Finanz- und Bankaktivitäten im islamisch
geprägten Wirtschaftsraum und stellt einen Teil der ökonomischen Handlungen
dar. Diese unterliegen der Shariah, dem islamischen Recht, welches nicht nur
religiöse und rechtliche Rahmenbedingungen beinhaltet. Es bildet darüber hinaus
auch „das soziale und ethische Fundament für das gesamte islamische Finanzwesen“ 3 . Als Grundlage der Shariah dient der Koran, die islamische Tradition
(Hadithen) und die Rechtssprechung (figh) der islamischen Rechtsgelehrten.4
Das islamische Investitions- und Finanzwesen wird durch eine Reihe von Grundprinzipien stark beeinflusst. Dazu gehören vor allem das allgemeine Zinsverbot
(Riba), das Verbot der vertraglichen Unsicherheit und Spekulation (Gharar) und
das Glücksspielverbot (Maysir). Hinzu kommt, dass bei Investitionen moralische
und ethische Ausschlusskriterien (Haram) zu beachten sind.5
Das wichtigste Kernelement des Islamic Finance liegt im Zinsverbot der Muslime, dem so genannten Riba. Grundsätzlich ist jegliche Form von Geldzinsen
verboten.
Auch in anderen Religionen war das Zinsverbot bis ins Mittelalter noch Bestandteil der Glaubensideologie; während das Zinsgeschäft im Christen- und im Judentum jedoch wieder erlaubt wurde, hält der Islam bis heute an diesen, von
moralischen Werten bestimmten Handlungsnormen, fest.6 So sind Geschäfte, in
denen man sich durch die Ausleihe von Finanzmitteln an Ärmere bereichert und
2
Ummen/Gärtner, Welt-Online vom 09. November 2005
Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 13
4
Vgl. Roach, 2007, S. 2
5
Vgl. Solyga, 2006, S.1
6
Vgl. Altvater; 2004, S.12
3
1
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
durch den bloßen Austausch von Geld Gewinn erzielt, für Gläubige des Islams
bis heute nicht gestattet. Daher ist es nicht erlaubt, sowohl direkte als auch indirekte Immobilieninvestments, über konventionelle Darlehen zu finanzieren.
Erträge, die auf einem Handel oder einer Investition in ein bestimmtes Produkt
basieren, sind jedoch erlaubt. Gleiches gilt für Vermietungen und Formen des
Leasings. 7 Darüber hinaus wurden anstelle von Kreditfinanzierungen diverse
Beteiligungsfinanzierungen entwickelt, die so genannten Profit-Loss-SharingModelle (PLS-Modelle).
Bei großvolumigen Immobilientransaktionen ist es oft unumgänglich, auf Fremdkapital zurückzugreifen und somit Zinszahlungen zu leisten. Daher müssen
Investitions- und Finanzierungsgeschäfte für Muslime derart modifiziert werden,
dass sie nicht gegen die Regeln des Islams verstoßen und somit shariah-konform
sind. Islamic Finance beinhaltet also Investitions- und Finanzierungsgeschäfte,
die den Wertvorstellungen des Islam gerecht werden.
Einige wenige der westlichen Banken haben bereits ihre Finanzprodukte erweitert, die die Bestimmungen des Islams berücksichtigen, um den gläubigen Muslimen trotzdem eine profitable Investition anbieten zu können. Dabei stellen
Immobilien für muslimische Investoren ein sehr gutes Investment dar. Als Begründung lassen sich die in den meisten Fällen sehr sicheren Renditen anführen,
die nicht leicht bei anderen islamischen Produkten erreichbar sind.8 Dies wird
auch deutlich in muslimischen Portfolios, die einen Immobilienanteil von durchschnittlich 60 - 70% beinhalten. Hingegen beträgt der Immobilienanteil bei konventionellen Portfolios maximal 30% und liegt damit weit unter den islamischen.9 Es ist anzumerken, dass ein geringer Immobilienanteil in einem Anlageportfolio eine höhere Liquidität gewährleistet. Jedoch ist der alternative Investmentmarkt für muslimische Investoren zur Erzielung der fixen Erträge unausgereift, so dass direkte Immobilieninvestitionen derzeit die beste Anlage darstellen.
Die nachfolgende Abbildung illustriert Kapitalziel und -herkunft für direkte
gewerbliche Immobilieninvestitionen im internationalen Vergleich. Der Mittlere
Osten tätigte dabei im Jahr 2007 die meisten Immobilieninvestitionen (gemessen
7
Vgl. Institute for Islamic Banking
Vgl. Roach, 2007, S. 3
9
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 96, sowie lt. der Immobilienzeitung Online vom
07.07.2008 liegt der höchste Immobilienanteil am Gesamtvermögen mit 22 % bei Schweizer
Pensionsfonds. Deutsche Anleger stecken im Durchschnitt nur 7 % ihres Vermögens in Immobilien.
8
2
1 Einführung in Islamic Finance
am gesamten investierten Kapitalvolumen) in Europa in Höhe von US$ 9,1 Mrd.
Auch die nicht weiter spezifizierte Region Asien-Pazifik mit einem hohen Anteil
an muslimischer Bevölkerung (siehe Abbildung 2), investierte US$ 5,8 Mrd. in
Europa. Dabei stiegen die direkten Immobilienkäufe von Investoren aus den
Staaten des Golfkooperationsrates (GCC-Staaten) in Deutschland von 2006 zu
2007 um 92% auf US$ 1,2 Mrd. 10 an. Das Investitionsvolumen der AsienPazifik-Investoren belief sich auf US$ 0,7 Mrd. Der Fokus der GCC-Investoren
liegt besonders auf Büro- und Hotelimmobilien. 11 Europa steht ganz klar im
Blickfeld der muslimischen Kapitalanleger.
Abbildung 1: Interregionale direkte gewerbliche Immobilieninvestitionen, 2007 12
Quelle 1: Lin u. a., 2008, S. 11
Bereits im Vorwort erwähnt, gibt es weltweit 1,6 Milliarden Muslime, davon
leben 3,5 Millionen in Deutschland.13 Das geschätzte Kapitalvolumen der muslimischen Weltbevölkerung beträgt je nach Datenlage US$ 750 Mrd. bis US$
900 Mrd. Für das Jahr 2012 wird ein Volumen von US$ 1 Billion prognosti-
10
GCC $US 0,7 Mrd. und Isreal $US 0,5 Mrd.
Vgl. Lin u. a., 2008, S. 13 sowie Fortescue (geb. Kamarowsky), Email vom 22.07.2008
12
inklusive Hotelinvestitionen; exklusive Wohnimmobilien und Projektentwicklungen
13
Vgl. Gassner, Vortrag vom 02.08.2008
11
3
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
ziert.14 Die Grafik auf der nächsten Seite zeigt den Anteil der Muslime an der
Gesamtbevölkerung der einzelnen Länder.
Das Potential ist demnach vorhanden, jedoch steckt Deutschland bislang in den
Kinderschuhen, was das Produktangebot und Marketing diesbezüglich angeht. In
Großbritannien hat sich bereits 2004 eine reine islamische Bank etabliert. Um
das Kundenpotential jedoch nicht an derartige Institutionen zu verlieren, müssen
sich auch deutsche Finanziers mit shariah-konformen Produkten auseinandersetzen.
Abbildung 2: Regionale Ausdehnung des islamischen Glaubens
Quelle 2: CIA World Factbook 2007
Islamic Finance stellt eine viel versprechende Perspektive aufgrund der folgenden Faktoren dar:
• Stetig wachsender Wohlstand einiger muslimischer Länder;
• Zweistellige Wachstumsraten bedingt durch eine enorm starke Nachfrage;
14
4
Vgl. El-Mogaddedi, Skript vom 07.03.2008, S. 8f
1 Einführung in Islamic Finance
• Bislang sehr geringer Marktanteil an vorhandenen Finanzdienstleistungen auf globaler Ebene.
Dieses Potential gilt es mit entsprechenden Rahmenbedingungen, Werbemaßnahmen und Vertriebswegen zu erschließen.
1.1 Hintergründe
Der Begriff Islamic Finance und dessen heutiges allgemeines Begriffsverständnis
ist auf drei wesentliche geschichtliche Ereignisse zurückzuführen:
• Neo-Revivalismus;
• Bankenboom;
• Entstehung der Islamic Development Bank.
Darüber hinaus kam es in der jüngsten Vergangenheit zur Etablierung diverser
Nicht-Regierungs-Organisationen und regierungsnaher Institutionen. Diese tragen maßgeblich zur Standardisierung islamischer Finanzkonzepte und zur Weiterentwicklung der vorhanden Produkte, Prozesse und Unternehmensstrukturen
bei.15 Im Folgenden werden die drei wesentlichen geschichtlichen Ereignisse dargestellt und darüber hinaus die wichtigsten Organisationen, die Accounting and
Auditing Organisation of Islamic Financial Institution (AAOIFI) sowie das
Islamic Financial Services Board (IFSB), vorgestellt.
1.1.1 Neo-Revivalismus und dessen Auswirkung auf das Bankensystem
Im Zuge der fortschreitenden Verweltlichung der muslimischen Länder bis Ende
des 19. Jahrhunderts entstand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine
Erweckungsbewegung („Neo-Revivalismus“). 16 Diese forderte eine Rückkehr
zum ursprünglichen Islam – aufgrund der negativen Einflüsse der westlichen
Staaten. Die Ansiedlung konventioneller Banken (auf Zinsen basierende Finanzsysteme) erfolgte rigoros ohne Rücksicht auf die jeweiligen Gegebenheiten der
muslimischen Länder und deren religiöse Ausrichtungen.
Vor allem kritisierten die Anhänger des Neo-Revivalismus den zunehmenden
Verfall der moralischen Wertevorstellungen, einhergehend mit Habgier und
materialistischer Einstellung sowie Atheismus. Damals argumentierten sie schon,
15
16
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 48
Vgl. Muzaffar, 1986, S. 10
5
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
dass die westlichen Zivilisationen am Rande eines Kollaps stehen würden und
demzufolge Muslime den Islam nicht ablehnen sondern die Ideen der „Insolvenzzivilisation“ ablehnen sollten.17 Sie appellierten, den Koran und die Sunna
strikt einzuhalten und jegliche Umdeutung und Modifizierung zu unterlassen.
Demzufolge wurden und werden im Allgemeinen jegliche Zinserhebungen- und
Zahlungen als Riba betrachtet. Als Ergebnis sind zahlreiche Werke über die
Theorie des Islamic Finance und dessen Zinsproblem verfasst wurden.
1.1.2 Bankenboom durch Ölexport
In der Literatur umstritten, aber dennoch nicht von der Hand zu weisen ist die
Entwicklung islamischer Banken in den Golfstaaten durch den Aufschwung des
Erdölexports. Die ersten Versuche, islamische Banken zu etablieren, erfolgten u.
a. in den 50er Jahren mit der Islamic Financial Institution Pakistan, der Gründung
der ägyptischen Mit Ghamr Savings Banks (1963) sowie der Perbadanan Wang
Simpanan Bakal-Bakal Haji in Malaysia. 18 Für Ausaf Ahmad stellten der
Wohlstand einhergehend mit dem enormen Anstieg des Erdölpreises und die
wachsende Anzahl an islamischen Banken keinen wirklichen Zusammenhang
dar.19
Nachweisbar ist jedoch die enorme Zunahme an islamischen Banken nach dem
Ölembargo von 1973. Der Ölpreis stieg rasant an und damit die Einnahmen der
Golfstaaten. Beinahe sämtliche islamische Banken wurden entweder direkt oder
indirekt durch den generierten Reichtum finanziert. So entstanden die Islamic
Development Bank (1975), Dubai Islamic Bank (1975), Kuwait Finance House
(1977), Bahrain Islamic Bank (1979) und die International Islamic Bank for
Investment and Development (1980), um nur einige zu nennen.
Die enormen Einnahmen wurden genutzt, um Waren aus dem Westen zu importieren, in heimische und ausländische Projekte zu investieren und Gelder an
ölarme Länder zu verleihen.20 Aber auch wohlhabende private Muslime eröffneten islamische Finanzinstitute wie z. B. Prinz Muhammed al-Faisal mit der Faisal
Islamic Bank of Egypt (1977) und der Faisal Islamic Bank of Sudan.21 Insgesamt
stieg die Zahl der Banken bis 1985 auf ungefähr 50 an und erschlossen auch
17
Vgl. Saeed, 1996, S. 7
Vgl. DiVanna, o. J., Word Islamic Economic Forum (WIEF)
19
Vgl. Ahmad, 1987, S. 7
20
Vgl. Ali, 1986, S. 33
21
Vgl. Saeed, 1996, S. 15
18
6
1 Einführung in Islamic Finance
nicht muslimische Länder wie u. a. die Schweiz, die Vereinigten Staaten und
England. Erst kürzlich entstand durch Fusion drei großer islamischer Banken
eines der wichtigsten ägyptischen Bank- und Finanzinstitute – die United Bank.22
Heute existieren ca. 300 islamische Banken weltweit.23
1.1.3 Entstehung der Islamic Development Bank und ihre Aufgaben
Man muss jedoch eine der o. g. islamischen Banken, die Islamic Development
Bank (IDB), hervorheben und als dritten Meilenstein in der Entwicklung des
Islamic Finance benennen. Diese wurde basierend auf der „Declaration of Intent“
auf der islamischen Konferenz der Außenminister (OICFM)24 ins Leben gerufen.25 Zu den Aufgaben der IDB gehört die gesellschaftliche und wirtschaftliche
Förderung der Mitgliedstaaten sowie der muslimischen Gemeinden in nicht
Mitgliedstaaten. Dazu zählen unter anderem Aufgaben wie die Bekämpfung der
Armut und die Handelsförderung der Mitgliedstaaten untereinander. Darüber
hinaus stellt die IDB finanzielle Mittel für die muslimischen Gemeinden der
Nicht-Mitgliedstaaten zur Verfügung.26
1.1.4 Etablierung wichtiger Organisationen
Accounting and Auditing Organisation of Islamic Financial Institution27
Gegründet 1991 mit ihrem Sitz in Manama, Bahrain, ist die Accounting and
Auditing Organisation of Islamic Financial Institution (AAOIFI) die bedeutendste Organisation für Standardisierungen. In den Bereichen Auditing, Rechnungslegung, Ethik und Shariah-Standards sowie Corporate Governance wurden seit
Ihrer Gründung bereits 70 Standards erlassen. Darüber hinaus wird permanent an
neuen Standards gearbeitet und bestehende an die aktuellen Situationen angepasst. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Entwicklung weiterer islamischer
Finanzierungstools und Produkte.
22
Vgl. United Bank, Zusammenschluss der United Bank of Egypt, der Islamic International
Bank for Investment and Development und der Nile Bank
23
Vgl. Lodhi, Vortrag vom 02.06.2008
24
Vgl. Organisation of the Islamic Conference
25
Vgl. IDB, die Islamische Entwicklungsbank wurde im Dezember gegründet und am 20.
Oktober 1975 offiziell eröffnet
26
Vgl. IDB, 2007, S. 1
27
Vgl. AAOIFI (a)
7
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
Die Bedeutung dieser Organisation ist daran zu erkennen, dass bereits in vielen
muslimischen Ländern diese Regelwerke für Banken und Versicherungsunternehmen verpflichtend sind. Darüber hinaus dienen diese Vorgaben zuständigen
Regulierungs- und Aufsichtsbehörden auch als Richtlinie für eigene Regelwerke.
Mitglieder der Organisation sind mehr als 180 islamische Finanzdienstleister aus
über 46 Ländern. Die wichtigsten Finanzplätze wie Bahrain, Sudan, Jordan,
Malaysia, Qatar, Saudi Arabien, Dubai, Syrien, Libanon, Singapur und Süd
Afrika operieren bereits nach diesen Standards.
Des Weiteren werden durch die AAOIFI Konferenzen zu diversen ShariahThemen abgehalten, die wiederum als Basis für Diskussionsrunden von Fachleuten, Wissenschaftlern und Behörden genutzt werden. Auch werden Programme
zur Zertifizierung von Professionals angeboten wie zum Beispiel das Certified
Islamic Public Accountant (CIPA) Programm oder das Certified Shari'a Adviser
and Auditor (CSAA) Programm.
Als wichtigste Aufgaben der AAOIFI werden folgende Zielsetzungen zusammenfassend genannt:28
Unter Berücksichtigung internationaler Standards konventioneller Finanzdienstleister werden interne und externe Rechnungslegung, Corporate Governance und ethische Aspekte islamischer Finanzinstitutionen weiterentwickelt;
Überwachung der Einhaltung und Integration der Regelwerke von islamischen
Finanzdienstleistern unter zur Verfügungstellung diverser Publikationen, Newsletter, Research-Berichten und Schulungen;
Harmonisierung der Rechnungslegungsprinzipien bei islamischen Finanzinstituten durch stetige Entwicklung und Vereinheitlichung von bestehenden Standards;
Hilfestellung bei der Anwendung sowie Interpretation der Rechnungslegung für
einzelne islamische Finanzanbieter und derer Veröffentlichung sowie Förderung
der Qualität der Rechnungslegungspraxis.
Islamic Financial Service Board 29
Auch das Islamic Financial Service Board (IFSB) ist eine Standardisierungsorganisation mit Sitz in Kuala Lumpur. Die 2002 gegründete Organisation hat als
28
29
8
Vgl. AAOIFI (c), sowie Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 49
Vgl. IFSB sowie Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 50
1 Einführung in Islamic Finance
Ziel, die Stabilität und Zuverlässigkeit der islamischen Finanz-Industrie zu
fördern. Ein wesentlicher Unterschied zur AAOIFI ist die Fokussierung auf die
Gestaltung der Regulierungs- und Aufsichtssysteme für den Kapitalmarkt und
denen darin operierenden islamischen Banken- und Versicherungsinstitutionen.
Diesbezüglich pflegt das IFSB Kontakt zu vielen internationalen Vereinigungen
von Banken-, Versicherungs- und Kapitalmarktaufsichtsbehörden wie zum
Beispiel der Baseler Ausschuss (Basel Committee on Banking Supervision), der
International Organization of Securities Commission und der International Association of Insurance Supervisors (IAIS). Die aus diesen Institutionen erlassenen
Richtlinien, Standards und Vorschriften werden durch das IFSB aufgenommen
und an die islamischen Voraussetzungen für Finanzdienstanbieter angepasst.
Darüber hinaus ist ein wesentlicher Bestandteil die Festlegung von Kriterien zur
Identifikation, Messung und Veröffentlichung von Risiken bei Finanzanbietern.
Dies geschieht unter anderem mit Hilfe von internationalen Standards zur Bewertung von Risiken. Die IFSB unterstützt die Entwicklung und Etablierung von
Risk-Management-Systemen. Weitere Tätigkeitsfelder sind “Capital Adequacy,
Corporate Governance, Supervisory Review Process, Transparency and Market
Discipline, Recognition of Ratings on Shariah-Compliant Financial Instruments
as well as the Development of Islamic Money Markets”.30
Das IFSB hat bislang 164 Mitglieder, davon 41 Regulierungs- und Aufsichtsbehörden, Weltwährungsfonds, Weltbank, Bank for International Settlements,
Islamic Development Bank, Asian Development Bank, Islamic Corporation for
the Development of Private Sector und 117 market player und Unternehmen.
Genauso wenig wie bei den AAOIFI-Standards sind islamische Finanzinstitute
an die IFSB-Standards gebunden.
Hervorzuheben ist jedoch: Obwohl die einzelnen Länder nicht an die Standards
der beiden Organisationen gebunden sind, haben viele der Regulierungs- und
Aufsichtsbehörden der jeweiligen muslimischen Länder ihre eigenen Standards
und Gesetze an diese ausgerichtet. Die beiden Organisationen tragen wesentlich
zur Harmonisierung der Standards bei, obwohl, trotz der rasanten Entwicklung
der islamischen Finanzwelt diese weit hinter denen der konventionellen stehen.
30
IFSB
9
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
1.2 Grundlagen der islamischen Ökonomie
Um das Thema Islamic Finance im Detail erschließen zu können, ist es notwendig, sich mit dem Islam und dessen religiöse Hintergründe zu beschäftigen.
Anders als das westliche, ist das islamische Bankensystem stark verknüpft mit
ethischen, sozialen, moralischen und religiösen Aspekten. Abbildung 3 zeigt die
Stellung des Finanzsektors im islamischen System und macht deutlich, wie stark
das wirtschaftliche Handeln mit dem Islam verknüpft ist. Darüber hinaus ist ein
Grundverständnis des islamischen Rechtssystems und dessen Ursprung sowie der
wesentlichen Prinzipien, die Kernelemente des Islamic Finance, Voraussetzung
für ein besseres Verständnis des Themas.
Abbildung 3: Eingliederung des Finanzsektors im islamischen System
Islam
Aqidah
Shariah
Akhlaq
(Glaube)
(Recht)
(Moral & Ethik)
Ibadat
Mu‘amalat
(Mensch-Zu-Gott
Beziehung)
(Mensch-zu-Mensch
Beziehung)
Politische
Aktivitäten
Ökonomische
Aktivitäten
Andere
Ökonomische
Aktivitäten
Soziale
Aktivitäten
Banking +
Financial
Aktivitäten
Quelle 3: Eigene Darstellung in Anlehnung an Altundag/Haldi, 2005, S. 16
1.2.1 Theologische Hintergründe
Die Grundlagen des Islamic Finance richten sich nach der Shariah und der
daraus abgeleiteten konkretisierenden Rechtssprechung (Figh).31 Letztere basieren auf dem Koran und der Sunna. Der Koran ist das offenbarte Wort Gottes
31
Vgl. El-Mogaddedi, 2008, S. 27
10
1 Einführung in Islamic Finance
(Allah), welches durch den Erzengel Gabriel an den Propheten Mohammed
(a.S.) 32 weitergeleitet wurde. Unter der Sunna versteht man das überlieferte
Handeln (Fi’l) sowie die Worte (Qual) und die stillschweigende Duldung (Taqrir) des Propheten Mohammeds (a.S.). Die Sunna wird als weitere Quelle der
Shariah herangezogen. Die Verhaltensweisen und die Reden Mohammeds (a.S.)
wurden in den so genannten Hadithen festgehalten und dienen als Leitbild aller
Muslime.
Demzufolge stößt man auch bei Immobilientransaktionen im Islamic Finance
unweigerlich auf den Begriff der Shariah. Investments müssen nach islamischem
Recht shariah-konform sein. Dazu gehören das Investment selbst und dessen
Finanzierung. Bevor im Kapitel 2 näher auf die Besonderheiten einer Immobilientransaktion eingegangen werden kann, bedarf es einiger Begriffs- und Ablaufserklärungen.
Wenn heutzutage über den Islam diskutiert wird, ist Shariah das meist genannte
Stichwort, obwohl es im Islam kaum einen Begriff gibt, der weniger klar definiert ist. Der Ursprung des Wortes liegt im Arabischen und meint eigentlich den
Wüstenpfad, welcher zur Wasserquelle führt. Die Shariah ist die Gesamtheit
aller Gebote und Verbote und dient als eine Art Wegweiser, welcher den Menschen zu Gott, der Quelle der Menschheit führen soll. Sie ist kein schriftlich
niedergelegter Gesetzestext und schreibt nicht das Handeln und die Verhaltensweisen eines Menschen vor, sondern dient lediglich als Vorgabe, die Regeln des
Islam zu beachten. Dies beinhaltet das Verhältnis des Einzelnen zu Gott, der
Einzelnen untereinander sowie des Einzelnen zur Gemeinschaft. Ausnahmen gibt
es in den Ländern Iran, Pakistan und Sudan, in denen die Shariah Bestandteil des
Rechtssystems ist.33
1.2.2 Rechtssystem
Insgesamt basiert das islamische Rechtssystem auf einem Vier-Quellen-System.
Dieses System, bestehend aus Koran, Sunna, Ijma und Qiyas bildet den Eckpfeiler der orthodoxen rechtskräftigen Theorie des Islams.34
32
„a.S.“ bedeutet „alaihi Salam“ (Friede sei mit Ihm) und muss im Zusammenhang mit den
Propheten Mohammed (a.S.) benutzt werden
33
Vgl. Evangeliumsnetz
34
Vgl. Jokisch, 2007, S. 537
11
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
Als Primärquellen der Shariah wurden bereits der Koran und die Sunna genannt.
Jedoch ist anzumerken, dass zur Rechtsfindung im Laufe der Zeit zwei weitere
Instrumente hinzukamen. Zum einen kam die Ijma, ein Meinungskonsens der
Rechtsgelehrten (Fuqaha) zu einem bestimmten Fall, hinzu. Das bedeutet, dass
eine neue rechtliche Regelung in die Shariah aufgenommen wird, sofern die
bedeutendsten Gelehrten einer Generation sich darauf einigen. Es ist zu betonen,
dass der Ijma eine wichtige Rolle im Islamic Finance zukommt, da weder die
Theorie noch deren Instrumente im Koran oder in der Sunna zu finden sind.35
Zum anderen wurde die Qiyas, ein Analogieschluss als vierte Rechtsquelle hinzugezogen. So wurden neue Rechtsfragen in Anlehnung an bereits geklärte Fälle
durch logische Deduktion entschieden. Beispielsweise wurde das im Islam
geltende Verbot des Weingenusses mit Hilfe der Qiyas auf alle alkoholischen
Getränke ausgeweitet.36 Ijma und Qiyas sorgen also dafür, dass sich das islamische Recht ständig weiterentwickelt. Dennoch gibt es keine einheitliche Meinung
innerhalb der Rechtsgelehrten, weder bei den o. g. Quellen noch bei den Interpretationen der islamischen Normen und Werte.
Abbildung 4: Quellen zur islamischen Rechtsfindung
Shariah
Islamische Rechtsprechung
(Figh)
Primärquellen
Sekundärquellen
Koran
Ijma
Sunna
Qiyas
Quelle 4: Eigene Darstellung
35
36
Vgl. Tamer, 2005, S. 22
Vgl. Massing, Uni Kassel vom März 2002
12
1 Einführung in Islamic Finance
Es werden aber noch drei ergänzende Quellen zur Rechtsfindung herangezogen.
Dazu gehören die Al-Istihsan, Al-Istislah und Al-Urf.37 Wird von einem bereits
gefällten Urteil (Präzedenzfall) abgewichen, weil es auf eine höhere Notwendigkeit zurückzuführen ist, sprich man von Al-Istihsan38. Al-Istislah wird auf Grund
eines hohen öffentlichen Interesses gefällt und hat keinen Präzedenzfall als
Ausgangsbasis. Die letzte Entscheidung Al-Urf ist das so genannte Gewohnheitsrecht, welches Sitten und Bräuche einer Gesellschaft sowohl in Worten als auch
in Taten zum Ausdruck bringt.39
Die Rechtswissenschaft unterteilt das menschliche Handeln in fünf Kategorien.
Es handelt sich dabei um die Kategorien Haram, Fard, Mandub, Makruh und
Mubah.40
Der Begriff Haram umfasst alle Handlungen, die strengstens verboten sind, wie
zum Beispiel der Zinsertrag. Begeht ein Muslim eine nach der Shariah als verboten eingestufte Handlung, kommt dies einer Sünde gleich.
Fard bezeichnet eine Tätigkeit, die für jeden Gläubigen im Islam verpflichtend
ist und in keinem Falle umgangen werden kann. Unter diese Kategorie fällt
beispielsweise die Zakatpflicht.41
Mandub sind empfehlenswerte und erwünschte Handlungen, deren Nichtbefolgen allerdings keine Strafe nach sich zieht. Die Verleihung eines QuardDarlehens42 fällt beispielsweise unter diese Kategorie.
Verwerfliche und als nicht empfehlenswert eingestufte Handlungen werden als
Makruh bezeichnet. Wird eine solche verpönte Handlung, wie zum Beispiel
Rauchen durchgeführt, entsteht zwar kein Schaden, jedoch führt die Unterlassung
zu zusätzlichem Segen.
37
Vgl. Ramadan, 1980, S. 31
Vgl. Kalisch, 1999, S. 34
39
Vgl. Bundesminister für Unterricht und Kunst
40
Vgl. Evangeliumsnetz
41
Vgl. Islamic Relief Deutschland: Die Zakatpflicht bezieht sich bei Immobilien und Grundvermögen a) auf den Marktwert der Immobilie oder des Grundvermögens sowie auf den Gesamtgewinn. Die Abgabe entspricht 2,5% des Gesamtgewinns und wird einmal im Mondjahr
entrichtet b) nur auf den Gesamtgewinn bezogen und 5% einmal im Mondjahr. Letzteres wird
von den Rechtsgelehrten bevorzugt.
42
Quard-Darlehen werden an wirtschaftlich Schwache verliehen und entsprechen einem zinsfreien Darlehen.
38
13
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
Mubah umfasst alle Handlungen, für die nach religiösen Gesichtspunkten keine
Beurteilung möglich ist und die demnach grundsätzlich erlaubt sind.
Alle Handlungen die nicht unter Haram fallen sind demnach als erlaubt einzustufen (halal). Darunter fallen somit Handlungen die empfohlen, neutral oder unerwünscht aber geduldet werden.43
1.2.3 Ethnische Gruppierungen im Islam und dessen Rechtsschulen
Bereits erwähnt wurde, dass es keine einheitliche Rechtssprechung im Islam gibt.
Dies ist auf die differenzierte Glaubenslehre und auf die verschiedenen Rechtsschulen zurückzuführen. Es gibt zwei wesentliche Glaubensströmungen im
Islam. Auf der einen Seite gibt es die sunnitische, auf der anderen die schiitische
Glaubenslehre. Die Sunniten bilden mit 85% bis 90% die Mehrheit der islamischen Weltbevölkerung. 44 Die Herausbildung der zwei Strömungen im achten
Jahrhundert ist zum großen Teil auf den Konflikt um die Herrschaftsnachfolge
des Propheten (a.S.) nach dessen Tod im Jahr 632 zurückzuführen.
Als Nachfolger Mohammeds (a.S.) konnten nach sunnitischer Auffassung Kalifen45 eingesetzt werden, die zum Stamm des Propheten (a.S.) gehörten, einschlägige Kenntnisse der Quellen aufwiesen und Führungsqualitäten besaßen.46
Die Schiiten wiederum waren der Auffassung, dass nur rechtmäßige Nachfolger
in Frage kämen. Der einzig legitime Nachfolger war demnach Ali, dem aber
schlechte Führungsqualitäten nachgesagt wurden. So kam es unweigerlich zu
Auseinandersetzungen als Abu Bakr (632 – 634) als Nachfolger bestimmt wurde.
Der Streit verschärfte sich, als nach dessen Tod nicht Ali, sondern Omar ibn alChattab (634 – 644) und danach Omaijade Othman ibn Affan (644 – 656) an die
Macht kam. Durch die Ermordung Othmans wurde Ali (656 – 661) zum Nachfolger ernannt. Allerdings wurde Ali nicht von allen gebilligt und so kam es zum
ersten Krieg zwischen den Muslimen.47
In Hinsicht auf die Glaubenslehre ist die sunnitische sehr strikt und traditionsbewusst. Die der Schiiten hingegen ist etwas flexibler und auf einer hohen Anzahl
von Rechtsschulen basierend. Im nachfolgenden Teil wird jedoch nur kurz auf
43
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 24
Durchschnittswert lt. diverser Quellen
45
arabisch khalifa: Nachfolger
46
Vgl. Altundag/Haldi, 2005, S. 40
47
Vgl. Microsoft Encarta Online-Enzyklopädie
44
14
1 Einführung in Islamic Finance
die sunnitischen Rechtsschulen eingegangen, da diese die Rechtsgrundlage für
Islamic Finance darstellen und darüber hinaus bedeutend für die Mitglieder der
Shariah-Boards sind. Im Laufe der Zeit haben sich vier große Rechtschulen
herausgebildet und etabliert. Die Rechtsschulen sind nach ihren Gründern benannt.48
Abbildung 5: Sunnitische Rechtsschulen
Hanafi
SUNNI
ISLAM
Hanbali
Maliki
Shafi`i
Quelle 5: Eigene Darstellung in Anlehnung an Lee, 2007, S. 16
Hanafitische Rechtsschule
Imam Abu Hanafi (699 – 767) gründete die älteste der vier Rechtsschulen, diese
stand für Vernunft und Logik. Alle vier Hauptquellen der Rechtsfindung wurden
akzeptiert. Dies äußerte sich, indem die Ijma und Qiyas als fester Bestandteil der
Rechtsfindung genutzt wurde. Die Hanafitische Rechtsschule ist die weitverbreitteste, denn ca. ein Drittel aller Muslime sind Hanafiten. Vorzufinden ist sie vor
allem in der Türkei, Indien, China, Zentralasien, Pakistan, Irak und Afghanistan.
Malikitische Rechtsschule
Genauso wie bei den Hanafiten werden die vier Hauptquellen akzeptiert, jedoch
mit der Einschränkung, dass die Ijma lediglich durch die Bürger von Medina
zulässig ist. Deshalb wird die malikitische Rechtsschule auch als „Schule von
Medina“ bezeichnet. Ferner kommt der Aspekt des öffentlichen Interesses als
weitere Quelle hinzu. Gründer der zweit größten Rechtsschule ist Imam Malik
48
zu sämtlichen Rechtsschulen vgl. Tamer, 2005, S. 24ff und Altundag/Haldi, 2005, S. 42f,
sowie Microsoft Encarta Online-Enzyklopädie
15
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
Ibn Anas (715 – 795). Heute ist sie in Nord-, West- und Zentralafrika, Sudan,
Kuwait und Bahrain verbreitet.
Shafiitische Rechtsschule
Mohammed ibn Idris al-Schafii (767 – 820) wurde zunächst von den Hanafiten
und anschließend von den Malikiten ausgebildet. Jedoch lehnte Schafii die strikte
Auffassung der Malikiten bezüglich der Ijma ab und sprach sich für das öffentliche Interesse aus. Er war ein Verfechter der Qiyas. Er versuchte einen Mittelweg
zwischen den liberalen Hanafiten und den konservativen Malikiten einzuschlagen. Beheimatet ist diese Rechtsschule heute in Unterägypten, Libanon, Jordanien, Malaysia, zentralasiatischen Gebieten, Südarabien und Indonesien.
Hanabalitische Rechtsschule
Für Imam Ahmad Ibn Hanbal (780 – 855) war die Sunna die zuverlässigste
Quelle. Demzufolge trat die Tradition des Propheten (a.S.) und seiner Gefährten
in den Vordergrund und die anderen Rechtsmittel in den Hintergrund. Die hanabalitische Rechtsschule ist die kleinste unter den Rechtsschulen und ist vor allem
in dogmatischen Fragen sehr konservativ und rigoros ausgerichtet. Im Laufe der
Zeit wurde jedoch die Qiyas ebenfalls anerkannt. Verbreitet ist diese in Saudi
Arabien, Indien und Algerien.
Die vier sunnitischen Rechtsschulen unterscheiden sich demnach in einigen
Teilbereichen in der Verwendung und Zulassung der Rechtsquellen. Dies kann
hohen Einfluss auf die Produktentwicklung sowie auf die Anerkennung bestehender Produkte im Finanzwesen haben. Dennoch werden die meisten ShariahRegeln von allen vier Rechtsschulen gleich ausgelegt. Die Rechtsschulen tolerieren sich untereinander und jeder Muslim kann ihnen beitreten oder sie ohne
weiteres wechseln.49
1.2.4 Shariah-Board
Um Investments shariah-konform durchzuführen bzw. am Markt zu platzieren,
bedarf es der Zustimmung des Shariah-Boards. Es handelt demnach wie ein
religiöser Aufsichtsrat. Dieser setzt sich aus mindestens drei Gelehrten (ShariahScholars) zusammen, die sich sowohl in der „Theologie als auch in der Ökono-
49
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 25
16
1 Einführung in Islamic Finance
mie“ hervorragend auskennen.50 Die Qualifikation richtet sich nach dem jeweiligen Wissen in der Wirtschaftsrechtssprechung (figh al mu`amalat). Von der
AAOIFI wird maximal ein Mitglied zugelassen, welches nur über ein Grundwissen in der Rechtssprechung verfügt, dafür aber umfangreiche Expertise in dem
islamischen Finanzwesen aufweist. 51 Es gibt nur wenige, die sich auf diesen
Gebieten gleichermaßen gut auskennen. Darum kann es vorkommen, dass ein
Experte in verschiedenen Shariah-Boards gleichzeitig Mitglied ist. Voraussetzung ist, dass keines der Mitglieder in den Gremien der zu überwachenden
Unternehmen tätig oder Hauptaktionär ist. Dies dient der Vermeidung von Interessenskonflikten. 52 Jedes Institut beauftragt sein eigenes Shariah-Board und
sucht sich die Mitglieder selbst aus. Das Unternehmen ist an die Entscheidungen
der Shariah-Scholars zwingend gebunden. Die rechtliche Durchsetzbarkeit besteht allerdings nur im Innenverhältnis. Die Entscheidungen des Shariah-Boards
richten sich in Abhängigkeit der verschiedenen Märkte, besonders in nicht muslimischen Märkten, nach dem nationalen Recht. Dies hat zur Folge, dass nicht
immer diese Entscheidungen in der Praxis umsetzbar sind. So kommt das Prinzip
der Notwendigkeit zum Tragen (arabisch: darura), welches die Regeln der
Shariah außer Kraft setzen kann.53
Jedes Shariah-Board ist für zwei wesentliche Aufgaben verantwortlich. Zum
einen legen sie Kriterien fest, um die Einhaltung der Shariah-Vorschriften für
vorhandene Produkte zu wahren und zertifizieren nach sorgfältiger Prüfung neue
Investments. Zum anderen ist es für die Neuentwicklung von Banking- und
Insurance-Konzepten verantwortlich und überwacht den kompletten Produktprozess auf Shariah-Konformität. Hervorzuheben ist allerdings die Bedeutung der
Zertifizierung von Investitionsvorhaben und Prozessen.
Anhand des Verkaufsprospektes des UBS (Lux) Islamic Funds vom Dezember
200654 werden folgende Aufgaben zitiert:
„Die Verwaltungsgesellschaft und/oder der Portfolio Manager lassen sich von
einem Shariah-Board beraten;
50
Gemäß Accounting, Auditing and Governance Standards for Islamic Financial Institutions
2002, herausgegeben von der Accounting and Auditing Organization For Islamic Financial
Institutions
51
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 33
52
Vgl. El-Mogaddedi, Vortrag vom 07.03.2008
53
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 34
54
Vgl. UBS
17
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
Das Shariah-Board stellt sicher, dass das Anlageuniversum in jeder Hinsicht mit
den Grundsätzen der Shariah übereinstimmt;
Darüber hinausgehende Anlagetätigkeiten und Transaktionen werden zwischen
der Verwaltungsgesellschaft oder dem Portfolio Manager und dem ShariahBoard abgestimmt;
Das Shariah-Board erstellt jährlich einen Bericht über die Einhaltung der Grundsätze der Shariah, der Bestandteil des Jahresberichtes des Fonds ist;
Die Verwaltungsgesellschaft beabsichtigt, immer wenn die Anwendung der
Shariah-Regeln dies erfordert, vom Fondsvermögen Beträge entsprechend den
vom Shariah Board aufgestellten, festgelegten oder beurteilten Grundsätzen
abzuziehen, die aus Tätigkeiten stammen können, welche nicht mit den
Grundsätzen der Shariah übereinstimmen;
Diese Gelder werden jeweils Wohltätigkeitsorganisationen zugeführt, die von der
Verwaltungsgesellschaft auf Vorschlag des Shariah-Board benannt werden.“
Jedes Anlageprodukt in das investiert werden soll, muss sich einem gewissen
Rating (Kapitel 1.2.5) unterziehen, in dem das Produkt auf seine Shariah-Konformität geprüft wird. Die Shariah-Boards legen zum einem die Kriterien des
Ratings fest und wachen gleichzeitig über die Einhaltung der islamischen Vorschriften. Genügt ein Produkt den islamischen Kriterien, so wird es laut Shariah
als halal (erlaubt) eingestuft und vom Shariah-Board durch eine Fatwa (positive
Bescheinigung) zertifiziert.
Abbildung 6: Zertifizierung shariah-konformer Investments
Investitionsvorhaben
Korrektur
Prüfung
Shariah-Board
Genehmigung
Prüfung
Vertragsgestaltung
Quelle 6: Eigene Darstellung
18
Zertifizierung
Transaktion
Korrektur
Lfd.
Überwachung
(Audit)
1 Einführung in Islamic Finance
Das Shariah-Board ersetzt in Deutschland auf keinen Fall die Aufgabe der BaFin
(Bundesanstalt für Finanzen) sondern dient lediglich der Zertifizierung des
Investments. Beide Genehmigungen sind letztendlich erforderlich, um das entsprechende Produkt auf dem Markt vertreiben zu können.
Anzumerken ist noch, dass die einzelnen Shariah-Boards keiner Überwachung
unterliegen. Ausgestellte Fatwas zu Produkten oder Prozessen können sich
Beispielsweise widersprechen, d. h., dass eine mögliche Transaktion von einem
Board als erlaubt, von einem anderen als verboten eingestuft wird. In Fachkreisen wird deshalb bereits über ein übergeordnetes nationales oder supranationales
Shariah-Board diskutiert, welches die Einzelnen überwacht.55
1.2.5 Investments-Rating
Muslime dürfen sich, wie bereits erwähnt, nur an Transaktionen beteiligen, die
durch das Shariah-Board zertifiziert und somit als halal eingestuft wurden.
Hierzu findet ein zweistufiges Rating statt. Im ersten Schritt wird ein Industrieraster angewandt. Dies findet sowohl bei Asset- also auch Sharedeals Anwendung. Bei direkten Immobilientransaktionen werden die jeweiligen Nutzungsarten auf shariah-Konformität überprüft. Welche Nutzungen im Einzelnen erlaubt
bzw. nicht erlaubt sind, wird im Kapitel 2.1 detailliert dargelegt. Bei indirekten
Immobilientransaktionen durch beispielsweise M&A Transaktionen werden die
Geschäftsaktivitäten der Unternehmen betrachtet. Darüber hinaus wird in einem
zweiten Schritt beim Kauf von Aktien eine Analyse der Finanzkennzahlen der
börsennotierten Unternehmen durchgeführt.
Das Industrieraster ist für Immobilienverkäufer und -käufer von immenser Bedeutung, da die Nutzungsmöglichkeiten der Immobilien durch die Vorgaben
beachtlich eingeschränkt sind. Dies führt zwangsläufig zu erheblichen Einschränkungen bei Immobilientransaktionen, da als Beispiel bereits der Handel
von Alkohol oder Schweinefleisch durch einen Mieter, als nicht halal eingestuft
werden kann. Dennoch spielt der Anteil der nicht konformen Nutzungen einer
Immobilie eine entscheidende Rolle, so dass etwa ein Bankschalter innerhalb
eines Shopping Centers nicht zwangsläufig ein Ausschlusskriterium der Investition darstellen muss. 56 Demzufolge muss sich der jeweilige Eigentümer im
Vorfeld im Klaren sein, ob die anzubietende Immobilie shariah-konforme Nut-
55
56
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 35
Vgl. Breuer; 2007, S. 22
19
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
zungsarten aufweist. Nur dadurch kann gewährleistet werden, dass islamische
Investoren deutsche Immobilien kaufen.
Wie bereits erwähnt, findet bei indirekten Immobilientransaktionen ein Screening
der Geschäftsaktivitäten der Unternehmen statt. Darüber hinaus betroffen sind
Aktieninvestments, die ebenfalls dem strengen Raster unterliegen. Die nachfolgende Grafik listet die Bereiche auf, die durch die Mehrheit der Shariah-Boards
für ein Investment nicht erlaubt sind und im Industry Classification Benchmark
(ICB) darüber hinaus aufgeführt werden.57
Abbildung 7: Auflistung unzulässiger Branchen für Investments
Branche
Branche
•
Verteidigung
•
Banken
•
Alkoholherstellung & Wein
•
Versicherungsunternehmen
•
Lebensmittelproduktion
•
Versicherungsmakler
•
Recreational Products
•
Schaden-/Unfallversicherung
•
Tabak
•
Rückversicherung
•
Lebensmitteleinzel-/Großhandel
•
Lebensversicherung
•
Fernsehen/Radio/Entertainment
•
Immobilien-Holding/Development
•
Medien
•
Konsumentenfinanzierung
•
Glücksspiel
•
Spezialfinanzierung
•
Hotels
•
Investment Services
•
Recreational Services
•
Hypothekenfinanzierung
•
Restaurants und Bars
Quelle 7: Eigene Darstellung in Anlehnung an Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 127
Nachdem die Nutzungsarten und die Geschäftsaktivitäten geprüft und ggf. bereinigt wurden, führt das Shariah-Board bei börsennotierten Unternehmen eine zusätzliche Analyse der Finanzkennzahlen durch. Für Aktiengesellschaften gelten
somit zusätzlich die folgenden Ausschlusskriterien:58
57
58
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 127
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 128f
20
1 Einführung in Islamic Finance
Ausschluss aller Unternehmen mit einem Verschuldungsgrad von 33% und mehr.
Wobei das Fremdkapital dem 12-Monatsdurchschnitt der Marktkapitalisierung
gegenübergestellt wird.
Gesamtverschuldung
Durchschnittliche Marktkapitalisierung
<
33 %
Ausschluss aller Unternehmen, deren Summe an liquiden Mitteln sowie zinsbasierten Verbindlichkeiten 33 % des 12-Monatsdurchschnitts der Marktkapitalisierung übersteigen.
Cash + zinsbasiertes Fremdkapital
Durchschnittliche Marktkapitalisierung
<
33 %
Ausschluss aller Unternehmen, deren Verbindlichkeiten aus Lieferung und
Leistung 49% der Marktkapitalisierung übersteigen.
Verbindlichkeiten aus LuL
Durchschnittliche Marktkapitalisierung
<
49 %
Ausschluss aller Unternehmen, deren Einnahmen aus unzulässigen Geschäften
mehr als 5% des Gesamtumsatzes übersteigen.59
unzulässiger Umsatz
Gesamtumsatz
<
5%
Durch die zweistufige Selektion des Ratings wird das Investitionsfeld der gläubigen Muslime erheblich eingeschränkt. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn
man den bekannten „Wilshire 5.000 Index“ zu Grunde legt: Denn von den 5.000
größten Unternehmen der Vereinigten Staaten, die der Index abbildet, können
nur etwa 700 Unternehmen den Kriterien der Shariah standhalten. Als Beleg für
die wirtschaftliche Bedeutung der o. g. Kriterien, kann das Beispiel des insolventen Telekommunikationsunternehmens Worldcom angeführt werden. Den Höhepunkt hatte das Unternehmen im Jahre 2000 mit einer Marktkapitalisation von
US$ 185 Mrd. Im Juni 2001 wurde das Unternehmen aus dem Dow Jones Isla-
59
El-Mogaddedi/Everling stellen diesen Ausschlusspunkt auf Zinseinnahmen ab hingegen
Gassner/Wackerbeck sämtliche nicht-erlaubte Aktivitäten unter jeglichem Ausschluss von
Zinseinnahmen stellen, letzteres ist aufgrund der Shariah naheliegend
21
Daniel Kügler: Islamic Finance. Neue Ansätze bei Immobilientransaktionen …
mic Market Index (DJIM) herausgenommen, da die Finanzkennzahlen nicht
mehr shariah-konform waren. Dies erfolgte also bereits ein halbes Jahr vor dem
finanziellen Kollaps des Unternehmens. Auch die beiden US-Unternehmen
Enron und Tyco wurden aufgrund Ihrer schlechten Finanzkennzahlen aus dem
Index herausgenommen.60
Aufgrund der unterschiedlichen Interpretationen und Auslegungen der einzelnen
Religionsgelehrten können die Beurteilungen durch verschiedene ShariahBoards über ein und dasselbe akquirierte Investment unter Umständen auch sehr
verschieden ausfallen. Somit erscheint einem das Rating partiell als sehr beeinflussbar bis gar willkürlich.61 Jedoch sollte man sich darüber im Klaren sein, dass
grundsätzlich jeder gläubige Muslim seine Investitionsentscheidung von der
Zertifizierung der Kommission abhängig machen wird.62 Westliche Institutionen
zum Beispiel werden nicht auf die Zusammenarbeit mit den islamischen Kommissionen verzichten können, wenn es darum geht, muslimischen Investoren
eigene Investments anzubieten.63
Genau diese Problematik soll künftig dadurch abgeschwächt werden, indem
derzeit an einer Art Leitlinie für Shariah-Boards sowie an übergeordneten Shariah-Boards gearbeitet wird. Hinzu ist es von großer Bedeutung, dass die Produkte
und Prozesse nach dem Rating und der Zertifizierung durch das Shariah-Board
permanent überwacht werden.64
1.3 Die Kernelemente des Islamic Finance
Die Rahmenbedingungen für das Islamic Finance stellen einige wesentliche
Prinzipien. Wie viele erlassene Richtlinien lassen auch die des Islam genügend
Freiraum zur Interpretation. Die folgenden Prinzipien werden als Grundvoraussetzung erachtet, um Islamic Finance shariah-konform durchführen zu können.
Dabei kommt dem Riba, Gharar, Maysir und Haram eine fundamentale Bedeutung bei.
60
Vgl. El-Mogaddedi/Everling, 2006, S. 48
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 36
62
Vgl. Schütz, Immobilienkosmos vom 30.11.2005
63
Vgl. El-Mogaddedi/Everling, 2006, S. 46, 48
64
Vgl. Gassner/Wackerbeck, 2007, S. 35
61
22
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