Braucht Coaching eine philosophisch begründete Ethik?

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Harald Geißler
Braucht Coaching eine philosophisch begründete Ethik?
Zur Begründung eines systemisch-wertrationalen Imperativs für Coaching1
Obwohl ein breiter Konsens darüber besteht, dass der Coach gegenüber dem Klienten eine
hohe Verantwortung wahrzunehmen hat, wird der Aspekt der Ethik in der vorliegenden
Literatur nur marginal berücksichtigt und theoretisch wenig reflektiert. Ein Grund hierfür
liegt in der vorherrschenden Präferenz systemischer Ansätze, die Ethik unter funktionalen
Aspekten subsumieren. Von einem philosophischen Standpunkt aus lässt sich zeigen, dass dem
Paradigma einer solchen systemischen Funktionalität undiskutierte ethische Implikationen
zugrunde liegen. Es wird deshalb mit Bezug auf die philosophisch-ethischen Positionen von
Kant, Habermas, Prange, Heidegger, Bauman und des XIV. Dalai Lama der Vorschlag
gemacht, das Paradigma systemischer Funktionalität weiterzuentwickeln zu dem Paradigma
systemischer Wertrationalität und dieses zur philosophischen Grundlage von Coaching zu
machen. Auf dieser Basis wird in einem letzten Abschnitt versucht, an den kategorischen
Imperativ Kants anschließend einen systemisch-wertrationalen Imperativ für Coaching
vorzulegen.
The general claim that coaches have to take responsibility for their clients most carefully is in
contrast to the low interest in scientific discussion about ethics in coaching. One of the most
important reasons for that seems to be the fact that this discussion is dominated by systems
thinking and its conviction that ethical aspects should be discussed as matter of contingency.
From a philosophical point of view we can realize that this statement contains many ethical
implications. For further development of coaching theory in this article these implications are
being discussed with some philosophical concepts of Kant, Habermas, Prange, Heidegger,
Bauman and the Dalai Lama leading to the proposition that systems thinking should be more
based on value orientation. On this theoretical grounds an ethical coaching imperative can
be formulated.
In der Theorie und Praxis des Coaching besteht weithin Konsens darüber, dass Coaching sich
mit ethischen Fragen auseinandersetzen muss und dass diese eng mit dem praktisch zugrunde
gelegten bzw. programmatisch geforderten Coaching-Konzept zusammenhängen. In diesem
Sinne spricht Werner Vogelauer vom ethisch-konzeptiven Bereich und meint damit „alle
Fragen der Einstellung des Coaches zum Leben: Wie gehe ich an die Dinge heran? Welche
Einstellung habe ich zum Thema, zu Menschen zum Umfeld? Welche Konzepte über
Mensch-Sein, Wirklichkeit, Erfolg usw. habe ich im Hinterkopf?“ (Vogelauer 2003, S. 177)
Dieses Zitat macht deutlich, wie große Teile der heutigen Theoriebildung zum Coaching mit
Fragen der Ethik umgehen, nämlich vorrangig als ein persönliches Bekenntnis bzw. Appell an
die Praxis, der nicht fehlen sollte, aber im Wesentlichen nur pragmatisch ausgerichtet, d.h.
theoretisch wenig reflektiert und deshalb mit der Theoriebildung wenig verbunden ist.
1
Abdruck in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 11 (2), 2004; Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften, Tel.: 0611/7878151
-2-
An dieser Stelle setzt meine Kritik ein. Denn so richtig es ist, dass Autoren wie Vogelauer
und andere sich zur Ethik im Coaching bekennen, so problematisch finde ich es, dass es
weithin nur bei pragmatischen Ethikbekenntnissen und -appellen bleibt und eine theoretische
Reflexion der ethischen Dimension und eine systematische Integration dieser Reflexion in die
Theoriebildung als Ganze vernachlässigt wird. Um dieses Defizit zu überwinden, möchte ich
in diesem Beitrag an einige Gedanken der Philosophie anschließen. Sie ist eine Wissenschaft,
die eine besondere Position hat. Denn in gewisser Weise steht sie über den anderen
Wissenschaften, erstens weil sie die semantischen Kategorien und Gütekriterien untersucht,
die jene benutzen, um ihre jeweils untersuchte Praxis empirisch angemessen zu erfassen und
theoretisch abzubilden, und zweitens weil sie die Vorannahmen reflektiert, die gewählt
werden, um die wissenschaftlich gesammelten Einzelerkenntnisse systematisch
zusammenzufügen.
Bezogen auf Coaching bedeutet das, dass es ein erster sinnvoller Schritt wäre, den Diskurs
über Coaching systematisch auf seine philosophisch-ethischen Implikationen hin zu
untersuchen und die diese explizit zu diskutieren. Aus pragmatischen Gründen wäre dabei zu
empfehlen, sich nicht der gesamten Breite und Pluralität dieses Diskurses zuzuwenden,
sondern sich auf ihren Mainstream zu konzentrieren. Er wird im wesentlichen durch die
Systemtheorie bestimmt (siehe z.B. Backhausen/Thommen 2003, König/Vollmer 2002,
Müller/Hoffman 2002).
Dieser Überlegung folgend werde ich mich im vorliegenden Beitrag auf das systemische
Denken im Coaching fokussieren und den Vorschlag machen, an seine Leistungen
anzuschließen und die Schwächen, die es mit Blick auf den Aspekt der Ethik hat, dadurch zu
überwinden, dass das heute – nicht nur im Coaching, sondern in den Sozialwissenschaften
insgesamt - vorherrschende Paradigma der systemischen Funktionalität zum Paradigma der
systemischen Wertrationalität weiterentwickelt wird.
Zu diesem Zweck wird im Folgenden der systemtheoretisch zentrale Begriff der Kontingenz
hinsichtlich seiner ethisch-philosophische Implikationen untersucht, und zwar in
Auseinandersetzung mit verschiedenen Ethik-Konzepten (Kant, Habermas, Prange,
Heidegger, Bauman und dem Dalai Lama). Vor diesem Hintergrund werden zwei
Paradigmen systemischen Denkens erkennbar, nämlich dasjenige der systemischen
Funktionalität und dasjenige der systemischen Wertrationalität. Erstere subsumiert die
ethischen Dimension unter funktionalen Gesichtspunkten, während letzteres dazu
sensibilisiert, sie systematisch zu explizieren. Was das nicht nur theoretisch-philosophisch,
sondern durchaus auch pragmatisch für Coaching bedeutet, soll im letzten Abschnitt deutlich
werden, in dem der Grundgedanke des kategorischen Imperativs von Kant noch einmal
aufgenommen und zu einem systemisch-wertrationalen Imperativ für Coaching reformuliert
wird.
Systemisches Denken und der Handlungsbegriff der kritischen Theorie
Es gibt kaum jemanden, der den systemischen Ansatz im Coaching ernsthaft infrage stellt
oder der kritisch nachfragt, was denn „systemisch“ eigentlich meint. Nicht nur unter
philosophischen Gesichtspunkten, sondern auch systemisch betrachtet ist das auffällig und
wird zum Anlass für Fragen wie zum Beispiel: Welche Funktion könnte dieser Konsens
haben? Was könnte sein (heimlicher) Nutzen sein? Wovor soll er möglicherweise schützen?
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Welche (latenten) Ängste soll er möglicherweise bannen? Worüber sollte bzw. darf
möglicherweise nicht gesprochen und gestritten werden?
Meine – spekulative – Antwort auf diese Fragen lautet: Der Wert systemischen Denkens liegt
möglicherweise nicht zuletzt in seiner Attraktivität, die sich auf zwei Merkmale stützt, die
ethisch betrachtet als durchaus problematisch einzuschätzen sind, nämlich der Eindruck
scheinbar grenzenloser Erklärungspotenz in Verbindung mit einer höchst geschickten
Konfliktvermeidungstendenz.
Dieser Hypothese will ich im Folgenden nachgehen, indem ich systemisches Denken bzw.
systemisches Coaching mit dem vor allem in der Aufklärung entfalteten alteuropäischen
Gedanken konfrontiere, dass es Sinn macht, zwei „Welten“ zu unterscheiden. Die erste dieser
beiden „Welten“ nennt Immanuel Kant (vgl. Blaß 1978, S. 17 ff.) das „Reich der
Notwendigkeit“. In ihm herrschen die Gesetze der Kausalität. Sie sind eine Gegebenheit, die
keiner Rechtfertigung unterliegen. Ganz anders hingegen ist es in der zweiten „Welt“, im
„Reich der Freiheit“. In ihr hat der Mensch die Möglichkeit hat, seinen Willen, der nicht den
Gesetzen der Kausalität unterworfen und deshalb frei ist, zu entfalten. Wie immer er diese
Freiheit wahrnimmt, er muss sie verantworten. Das ist der entscheidende Unterschied zur
Kausalität. Aber es gibt noch einen weiteren Unterschied, der gerade für Coaching von
größter Bedeutung ist. Denn im Gegensatz zum „Reich der Notwendigkeit“ ist das „Reich der
Freiheit“ eine ganz andersartige Realität. Denn sie existiert zunächst einmal nur als eine
Möglichkeit. Das heißt, jene Freiheit und Verantwortung ist zunächst einmal nur eine
Möglichkeit und noch keine Tatsache. Denn der Mensch hat auch die Freiheit, die Freiheit
seines Willens nicht zu entfalten und so in „selbst verschuldeter Unmündigkeit“ zu bleiben.
Diese alteuropäische Denktradition führt den Menschen an die Grenzen seiner
Verstehensfähigkeit, indem die Suche nach den Bedingungsmöglichkeiten menschlicher
Vernunft mit dem moralischen Appell des „Sapere aude“ verbunden wird, d.h. mit der
Aufforderung zum Mut, die Möglichkeiten der Vernunft zu nutzen, was nichts anderes heißt
als: Befreie dich – und andere - aus selbst verschuldeter Unmündigkeit! Die Entfaltung des
„Reichs der Freiheit“ wird damit zu einem moralischen Projekt. Es mündet in den bekannten
und letztlich auch für Coaching grundlegenden kategorischen Imperativ Kants als einer
Aufforderung, die Möglichkeiten menschlicher Vernunft zum Wohle der eigenen Person, zum
Wohle des anderen und letztlich zum Wohle der Menschheit zu nutzen, und zwar so, dass das
eigene Wohl und dasjenige des anderen und der Menschheit koinzidieren: „Handle so, dass
du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit
zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (Kant 1974, S. 61).
Ganz zweifellos ist auch die moderne Systemtheorie (siehe für die Soziologie vor allem
Luhmann 1985 und für die Psychologie/Psychotherapie vor allem Schlippe/Schweitzer 1996)
ein „Kind“ dieser gerade angesprochenen alteuropäischen Denktradition. Das wird vor allem
daran deutlich, dass auch sie sich - in Kooperation mit der Erkenntnistheorie des radikalen
Konstruktivismus (z.B. von Glasersfeld 1987) - vorgenommen hat, die Möglichkeiten
menschlichen Denkens zu ergründen und zu entfalten. Aber es ist ein „Kind“, das weniger
konfliktfreudig ist. Denn für die Systemtheorie ist die Entfaltung der vorliegenden
Verstandesmöglichkeiten kein „moralisches Projekt“, sondern eher ein Spiel. Das wird vor
allem im Zusammenhang mit der Frage nach Ethik und Moral deutlich (z.B. Luhmann 1990,
von Foerster 1993).
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Meines Erachtens fällt sie damit hinter aussichtsreiche Möglichkeiten der oben
angesprochenen alteuropäischen Denktradition zurück, indem sie die Überzeugung jener
Tradition nicht teilt, dass die Differenz zwischen jenen beiden „Welten“ Sinn macht.
Ausgedrückt in der Sprache des modernen Business: Ihr gewissermaßen „genialer“ Wurf
besteht darin, das „Reich der Notwendigkeit“ mit dem „Reich der Freiheit“ zu einem
„systemischen Einheitsreich“ zu „fusionieren“. Der „Gewinn“ dieses Merger-Projekts ist,
dass das, was alteuropäisches Denken meinte, philosophisch mit den „zwei Augen“ der
„theoretischen“ und „praktischen“ Vernunft betrachten zu müssen, nun gewissermaßen
zyklopenhaft nur mit einem Auge, und zwar demjenigen systemischen Denkens bzw.
systemischer Funktionalität betrachtet wird.
Mit dieser Kritik schließe ich an den Soziologenstreit (Habermas/Luhmann 1971) der 70er
Jahre an, der vor allem zwischen dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann und Jürgen
Habermas als Vertreter der sog. „kritischen Theorie“ ausgefochten wurde. Habermas knüpfte
dabei an den oben angesprochenen Dualismus der alteuropäischen Denktradition an, zwei
Arten der Vernunft zu unterscheiden, nämlich – in der Sprache des Aufklärungsphilosophen
Immanuel Kant ausgedrückt – die „theoretische“ Vernunft, die sich mit der Erforschung der
Kausalität und den Möglichkeiten ihrer Nutzung durch (Sozial-)Technologie befasst, und der
„praktischen“ Vernunft, die den Fragen der Bedeutung, des Sinns und der ethischen
Begründung menschlichen Handelns nachgeht.
Vor diesem Hintergrund befasst sich Habermas mit den grundlegenden Aspekten
menschlichen Handelns und entwirft das Konzept des „kommunikativen Handelns“, das m.E.
für Coaching konstitutiv sein sollte. Es setzt sich aus drei Dimensionen, nämlich einer
sachlichen, sozialen und personalen Dimension zusammen. Die sachliche Dimension
menschlichen Handelns entfaltet Habermas mit Bezug auf das Konzept des teleologischen
bzw. strategischen Handelns, die soziale Dimension mit Bezug auf das Konzept des
normenreguliertem Handelns und die personale
mit Bezug auf das Konzept des
dramaturgischen Handelns.
Das Konzept des teleologischen bzw. strategischen Handelns ist verbunden mit den – auch
für Coaching zentralen - Begriffen „Sachverhalt“, „Meinung“, „Absicht“, „Erfolg“,
„Nutzenkalkulation“, „Wahrheit“ und „Wirksamkeit“:
„Der Begriff des teleologischen Handelns setzt Beziehungen zwischen einem Aktor und einer
Welt existierender Sachverhalte voraus. Diese objektive Welt ist als Gesamtheit der
Sachverhalte definiert, die bestehen oder eintreten bzw. durch gezielte Intervention
herbeigeführt werden können. Das Modell stattet den Handelnden mit einem ‘kognitivvolitiven Komplex’ aus, so daß er einerseits (durch Wahrnehmungen vermittelt) Meinungen
über existierende Sachverhalte ausbilden und andererseits Absichten mit dem Ziel entwickeln
kann, erwünschte Sachverhalte zur Existenz zu bringen. (...) Über seine Meinungen und
Absichten kann der Aktor grundsätzlich zwei Klassen rationaler Beziehungen zur Welt
aufnehmen. (...) Er kann Behauptungen aufstellen, die wahr oder falsch sind, und
zielgerichtete Interventionen ausführen, die Erfolg haben oder scheitern, d.h. den
beabsichtigten Effekt in der Welt erzielen oder verfehlen. Diese Beziehungen zwischen Aktor
und Welt lassen also Äußerungen zu, die nach Kriterien der Wahrheit und der Wirksamkeit
beurteilt werden können.
Im Hinblick auf die ontologischen Voraussetzungen können wir teleologisches Handeln als
einen Begriff klassifizieren, der eine Welt, und zwar die objektive Welt voraussetzt. Das
gleiche gilt für den Begriff des strategischen Handelns. Dabei gehen wir von mindestens zwei
zielgerichtet handelnden Subjekten aus, die ihre Zwecke auf dem Wege der Orientierung an,
und der Einflussnahme auf Entscheidungen anderer Aktoren verwirklichen.“ (Habermas 1981,
S. 129ff.).
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Von teleologischem und strategischem Handeln streng zu unterscheiden ist das
normenregulierte Handeln, das sich auf die soziale Dimension menschlichen Handelns
bezieht. Der Zentralbegriff des „Sachverhalts“ wird hier durch denjenigen der „Norm“ und
derjenige der „Wahrheit“ und „Wirksamkeit“ durch denjenigen der ethischen Legitimation,
d.h. „Gültigkeit“ ersetzt:
Der Begriff des „normenregulierten“ Handelns setzt „Beziehungen zwischen einem Aktor und
genau zwei Welten voraus. Neben die objektive Welt existierender Sachverhalte tritt die soziale
Welt, der der Aktor als rollenspielendes Subjekt ebenso angehört wie weitere Aktoren, die
untereinander normativ geregelte Interaktionen aufnehmen können. Eine soziale Welt besteht aus
einem normativen Kontext, der festlegt, welche Interaktionen zur Gesamtheit berechtigter
interpersonaler Beziehungen gehören. Und alle Aktoren, für die entsprechenden Normen gelten
(von denen sie als gültig akzeptiert werden), gehören derselben sozialen Welt an.
Wie der Sinn der objektiven Welt mit Bezugnahme auf das Existieren von Sachverhalten, so kann
der Sinn der sozialen Welt mit Bezug auf das Bestehen von Normen erläutert werden. Dabei ist es
wichtig, das Bestehen von Normen nicht im Sinne von Existenzsätzen zu verstehen, die aussagen,
daß es soziale Tatsachen von der Art normativer Regelungen gibt. Der Satz >Es ist der Fall, dass
q geboten ist< hat ersichtlich eine andere Bedeutung als der Satz: > Es ist geboten, dass q<.
Dieser Satz drückt eine Norm bzw. ein bestimmtes Gebot aus, wenn er in geeigneter Form mit
dem Anspruch auf normative Richtigkeit, d.h. so geäußert wird, daß er für einen Kreis von
Adressaten Gültigkeit beansprucht. Und wir sagen, daß eine Norm besteht und soziale Geltung
genießt, wenn sie von den Normadressaten als gültig oder gerechtfertigt anerkannt wird.“
(Habermas 1981, S. 132)
Die personale Dimension menschlichen Handelns schließlich entfaltet Habermas mit Bezug
auf das Konzept des sogenannten „dramaturgischen“ Handelns. Es ist ein Begriff, der m.E.
etwas unglücklich gewählt ist und - in Anlehnung an die Kommunikationstheorie von Schulz
von Thun (1981) - vielleicht besser als „selbstoffenbarendes“ Handeln bezeichnen werden
könnte. Denn in dem kommunikativen Akt der Selbstoffenbarung zeigt sich das Subjekt
kognitiv unreflektiert und damit gewissermaßen naiv und ungeschützt in seiner Emotionalität
und Intentionalität. Die Zentralkategorie dieses dritten Handlungstypus, der gerade für das
Coaching von zentraler Bedeutung ist, ist die „Wahrhaftigkeit“:
„Im dramaturgischen Handeln muß sich der Aktor, indem er einen Anblick von sich
präsentiert, zu seiner eigenen subjektiven Welt verhalten. Diese habe ich als die Gesamtheit
der subjektiven Erlebnisse definiert, zu der der Handelnde einen gegenüber anderen
priviligierten Zugang hat. Dieser Bereich der Subjektivität verdient den Namen einer ‚Welt‘
freilich nur, wenn die Bedeutung der subjektiven Welt in ähnlicher Weise expliziert werden
kann, wie ich die Bedeutung der sozialen Welt durch Bezugnahme auf ein zum Existieren von
Sachverhalten analoges Bestehen von Normen erläutert habe. Vielleicht kann man sagen, daß
Subjektives so durch wahrhaftig geäußerte Erlebnisse repräsentiert wird, wie existierende
Sachverhalte durch wahre Aussagen und gültige Normen durch gerechtfertigte Sollsätze.
Subjektive Erlebnisse dürfen wir nicht als mentale Zustände oder innere Episoden auffassen;
damit würden wir sie an Entitäten, an Bestandteile der objektiven Welt angleichen. Wir
können das Haben von Erlebnissen also als etwas zum Existieren von Sachverhalten Analoges
begreifen, ohne eins ans andere zu assimilieren. Ein äußerungsfähiges Subjekt ‚hat‘ oder
‚besitzt‘ nicht in demselben Sinne Wünsche oder Gefühle wie ein beobachtbares Objekt
Ausdehnung, Gewicht, Farbe u.ä. Eigenschaften. Ein Aktor hat Wünsche und Gefühle in dem
Sinne, daß er diese Erlebnisse nach Belieben vor einem Publikum, und zwar so äußern könnte,
daß dieses Publikum die geäußerten Wünsche oder Gefühle dem Handelnden, wenn es seinen
expressiven Äußerungen vertraut, als etwas Subjektives zurechnet“ (Habermas 1981, S. 137).
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Mit Bezug auf diese drei Dimensionen menschlichen Handelns entwirft Habermas sein
Konzept kommunikativen Handelns bzw. ethischer Kommunikation. Es ist mehr als die
Summe jener drei Dimensionen, denn seine Besonderheit besteht darin, dass hier die Sprache
in den Mittelpunkt rückt, und zwar als das zentrale Medium für die Erkundung der
sachlichen, sozialen und personalen Weltbezüge. Entscheidend – und gerade für Coaching
von größter Bedeutung - ist dabei, dass die alltagspraktische Erkundung der Welt in ihrem
Kern strukturell identisch ist mit der wissenschaftlichen Erkundung. Denn letztere begründet
sich auf Kommunikationsstrukturen, die – wenn auch in der Regel unbewusst und nicht
explizit entfaltet – jeder alltagspraktischen Kommunikation als implizite Tiefenstruktur
zugrunde liegen. Diese Tiefenstruktur rekonstruiert Habermas als Diskurs und definiert ihn
durch folgende Regeln:
„(3.1) Jedes sprach- und handlungsfähige Subjekt darf an Diskursen teilnehmen.
(3.2) A. Jeder darf jede Behauptung problematisieren.
B. Jeder darf jede Behauptung in den Diskurs einführen.
C. Jeder darf seine Einstellungen, Wünsche und Bedürfnisse äußern.
Kein Sprecher darf durch innerhalb oder außerhalb des Diskurses herrschenden Zwang daran
gehindert werden, seine in (3.1.) und (3.2) festgelegten Rechte wahrzunehmen.“ (Habermas
1983, S. 99)
Der ethische Gehalt eines tiefenstrukturell so begründeten kommunikativen Handelns besteht
darin, dass sich in ihm die drei grundlegenden Ansprüche der Wahrheit bzw. Wirksamkeit,
der Geltung sozialer Normen und der Wahrhaftigkeit der Person verbinden. In diesem Sinne
kann man nur dasjenige Handeln als ethisch bezeichnen,
ƒ das sich auf diskursiv überprüfte Vorstellungen von der sachlichen Welt stützt, die dem
Anspruch der Wahrheit bzw. Wirksamkeit genügen,
ƒ das sich an sozialen Normen orientiert, die diskursiv überprüft sind und deshalb dem
Anspruch der Gültigkeit bzw. Legitimation Rechnung tragen,
ƒ und das wahrhaftig ist, weil das handelnde Subjekt sich diskursiv mit seinen Gefühlen und
Motiven auseinandergesetzt hat.
Mit Bezug auf diese Gedanken lässt sich Coaching als ein „stellvertretender“ Diskurs
zwischen Coach und Klient fassen, der der systematischen Erkundung der sachlichen,
sozialen und personalen Dimension der bestimmter Klientenprobleme durch kommunikatives
Handeln dient, indem alle von der Klientenproblematik Beteiligten und Betroffenen zwar
nicht persönlich, dafür aber gedanklich im Rahmen der Coach-Klient-Interaktion angemessen
zu Wort kommen. Ein so angelegtes Coaching-Konzept (vgl. Geißler 2003b, S. 19 f.)
überschreitet den Rahmen der zurzeit vorliegenden Ansätze systemischen Coachings, denn es
folgt dem kategorischen Imperativ Kants und wird damit zu einem moralischen Projekt, dem
es in seinem tiefsten Grund um die Befreiung des Menschen aus selbstverschuldeter
Unmündigkeit, d.h. um die Entfaltung humaner Verantwortung geht.
Was damit weitergehend gemeint ist, soll im Folgenden zunächst mit Blick auf die
existenzialistische Zeitphilosophie Heideggers und seine Rezeption durch den
Erziehungsphilosophen Klaus Prange und dann mit Bezug auf die postmodernen
Ethikvorstellungen von Zygmunt Bauman und die tibetanisch-buddhistische Ethik des XIV.
Dalai Lama ausgeführt werden.
Von der systemischen Funktionalität zur systemischen Wertrationalität
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Der gerade entwickelte Gedanken lässt sich mithilfe der Erziehungsphilosophie von Klaus
Prange (1978) weiter verfolgen. Seine Konzeption gründet sich auf den Gedanken, dass das
Handeln des Menschen sich immer im Medium der Zeit vollzieht und dass es in seinem
innerersten Kern durch die Vorstellungen geprägt ist, die wir uns von dem Phänomen Zeit
machen (Prange 1978, S. 52 ff.). Für besonders aufschlussreich hält er in diesem
Zusammenhang den Vorschlag des Existenzphilosophen Heidegger, zwei komplementäre
Zeitvorstellungen zugrunde zu legen, nämlich die sogenannten „ekstatische“ und die
„dimensionale“ Zeit. Erstere bezieht sich auf das subjektive Zeiterleben, das das Jetzt der
Gegenwart zum Ausgangs- und Bezugspunkt wählt und auf dieser Grundlage mit Begriffen
wie „gestern“, „heute“ und „morgen“ oder „früher“ und „zukünftig“ arbeitet. Die
„dimensionale“ Zeit hingegen setzt die Position eines distanzierten Beobachters voraus, der
Zeit ähnlich wie anderen Objekte unserer Realität beobachtet und sie kategorial beschreibt
mit Begriffen wie z.B. „Montag“, „Dienstag“, Mittwoch“ oder „im Mittelalter“, im letzten
Jahrhundert“, „im Jahr 2004“ usw.
Dieser Ansatzpunkt muss für systemisches Denken und systemisches Coaching interessant
sein, denn Systemtheorie ist eine Theorie des Beobachters. Lässt man sich auf den gerade
angesprochenen Gedanken Heideggers ein, erscheint es – im Gegensatz zum vorliegenden
systemtheoretischen Denken sinnvoll, zwei verschiedene Typen von
Beobachtungsstandpunkten zu unterscheiden, nämlich einen innerhalb und einen außerhalb
des Subjekts bzw. einen objektivierenden Standpunkt, der es uns ermöglicht, unsere externe
und interne (psychische) Realität so wahrzunehmen, dass wir sie zu Objekten unserer
Erkenntnis machen können, und einen subjektiven bzw. subjektkonstitutierenden Standpunkt,
der es uns ermöglicht, uns im Medium der wahrgenommen externen und internen Realität als
Subjekt zu erfahren.
Diese Differenz sieht systemtheoretisches Denken nicht. Denn es konzipiert
Selbstbeobachtung als einen Prozess, bei dem das sich selbst beobachtende System sich
gewissermaßen neben sich stellen und einen objektivierenden Beobachterstandpunkt
einnehmen muss. Den Preis, den es dafür zahlt, sind Unschärfen bei zwei Begriffen, die für
Coaching von zentraler Bedeutung sind, nämlich Kausalität und Freiheit. Es sind zwei
Begriffe, die im Zentrum einerseits der „theoretischen“ und andererseits der „praktischen“
Vernunft stehen. Denn ersterer geht es um die Aufklärung und technische Nutzung von
Kausalität, während letztere sich mit der Freiheit und der daraus resultierenden
Verantwortung des Menschen auseinandersetzt.
Der Grundgedanke systemischen Denkens ist es, Kausalität und Freiheit kategorial
zusammenzuführen, und zwar vor allem mithilfe des Begriffs der Kontingenz (Luhmann
1985, S. 148 ff.). Mit Kontingenz ist dabei gemeint, dass die Sachverhalte der Realität immer
auch anders sein könnten, als sie aktuell sind. Versucht man den systemtheoretischen
Zentralbegriff der Kontingenz alteuropäisch zu denken, wird man nicht umhin kommen, zwei
Typen von Kontingenz zu unterscheiden, nämlich
• dem Paradigma der „theoretischen“ Vernunft folgend eine Kontingenz, die sich auf die
Zufälligkeit und kausalanalytischen Nichtkalkulierbarkeit von Realitätsprozessen bezieht,
• und dem Paradigma der „praktischen“ Vernunft folgend eine Kontingenz, in der sich die
Freiheit eines menschlichen Willens ausdrückt, der sich nicht in das Prokrustesbett
kausalanalytischen Denken zwängen lassen will.
An dieser Stelle der Argumentation könnte man einwenden, dass dem Diskurs über
systemisches Coaching die Freiheit zugestanden werden müsse, mit Blick auf die Fragen und
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Aufgaben, mit denen sich Coaching auseinanderzusetzen hat, zu entscheiden, ob gute Gründe
gesehen werden, sich jener Differenzierung anzuschließen, weil sie Sinn macht, oder sie
abzulehnen, d.h. einzuebnen, weil sie zu wenig Sinn macht.
Im Gegensatz zur Systemtheorie soll hier die Position vertreten werden, dass diese Differenz
Sinn macht, weil es eine zentrale Aufgabe von Coaching ist, dem Klienten zu helfen, die
Grenze zwischen dem – wie Kant es nannte – „Reich der Notwendigkeit“ und dem „Reich der
Freiheit“ klar zu erkennen. Ganz offensichtlich ist das auch das Ziel des systemischen
Coachings. Problematisch daran ist nur, dass so wenig gesehen wird, dass diese Freiheit mit
Verantwortung, d.h. mit der Selbstverpflichtung verbunden ist, diese Freiheit moralisch zu
verantworten.
Aus diesem Grunde schlage ich vor, systemisches Coaching mit Bezug auf zwei verschiedene
Paradigmen zu diskutieren. Es ist zum einen das - heute vorherrschende - Paradigma der
systemischen Funktionalität, das einen objektivierenden Standpunkt bezieht und von ihm
ausgehend es nicht für sinnvoll hält, zwischen einem „Reich der Notwendigkeit“ und einem
„Reich der Freiheit“ zu unterscheiden, sodass Ethik nicht als ein eigenständiges Thema,
sondern als ein funktionalistischer Aspekt erscheint. Diesem Paradigma möchte ich dasjenige
der systemischen Wertrationalität gegenüberstellen. Es oszilliert zwischen einem objektiven
und einem subjektkonstituierenden Standpunkt und schließt an die Tradition der
Aufklärungsphilosophie an, dass es sinnvoll bzw. grundlegend ist, zwischen jenen beiden
„Reichen“ zu unterscheiden und Ethik einen eigenständigen Raum im Denken zu geben.
Das „moralische Selbst“ in der postmodernen Ethik Zygmunt Baumans und in der
buddhistisch-tibetanischen Ethik des XIV. Dalai Lama
Um Coaching nicht nur systemisch-funktional, sondern auch systemisch-wertrational
begründen zu können, d.h. ihm einen konzeptionellen Rahmen zu geben, der den Coach dazu
veranlasst, seinen Klienten und dessen Umfeld nicht nur von einem objektivierenden, sondern
gleichermaßen oder gegebenenfalls auch vorrangig von einem subjektkonstituierenden
Standpunkt aus zu betrachten, ist es gewinnbringend, sich in einem nächsten Schritt mit der
postmodernen Ethik von Zygmunt Bauman (1995) auseinandersetzen. Denn er schließt
einerseits an die Philosophie der Aufklärung an, indem er das Subjekt in den Mittelpunkt
seiner Überlegungen stellt. Andererseits jedoch kritisiert er das westliche Paradigma dieser
Philosophie, denn es neigt seiner Meinung nach dazu, das Subjekt zum Objekt
philosophischer Reflexion zu machen. Deshalb regt er an, statt eines objektivierenden einen
subjektkonstituierenden Betrachtungsstandpunkt einzunehmen und in diesem Sinne an die vor
allem durch Martin Buber geprägte nahöstliche (jüdische) Denktradition des Dialogs
anzuschließen. Er rückt damit konzeptionell in die Nähe der tibetanischen Ethik des XIV.
Dalai Lama. Denn auch er geht ebenso wie Kant und Buber davon aus, dass das Wesen des
Menschen durch seinen moralischen Kern bestimmt wird und dass dieser nur von einem
subjektkonstituierenden Standpunkt aus angemessen erkannt werden kann.
Bauman unterscheidet kategorial zwischen Moral und Ethik, wobei letztere für ihn das
geistige Produkt objektivierenden Denkens ist. Moral hingegen meint den in der „Welt“ des
subjektiven Erlebens entstandenen und wahrgenommenen vorsprachlichen Impuls, für den
anderen da zu sein bzw. sich ihm zuzuwenden. (Bauman 1995, S. 83 ff.) Ähnlich wie bei
Kant ist für Bauman Moralität eine Chance humaner Selbstentfaltung, die man nutzen, aber
auch ablehnen kann. D.h.:
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„(e)s besteht keine Notwendigkeit, moralisch zu sein. Moralisch zu sein ist eine Chance, die man
annehmen kann; aber man kann sie auch und ebensoleicht verwirken.
Der Punkt ist nur, die Chance der Moralität zu verlieren, heißt auch, die Chance auf das Selbst zu
verlieren. (...) Erwachen, um für den Anderen zu sein, ist das Erwachen des Selbst, welches die
Geburt des Selbst ist. Es gibt kein anderes Erwachen, keinen anderen Weg, mich als das
einzigartige Ich zu entdecken, das eine und einzige Ich, das sich von allen anderen unterscheidet,
das unersetzliche Ich, nicht das Exemplar einer Gattung.“ (ebd. S. 119).
Diese Begründung des moralischen Selbst vollzieht sich im Medium einer Beziehung, die im
Gegensatz zum Diskurs von Habermas (1983) nicht partnerschaftlich-symmetrisch angelegt
ist, sondern zutiefst asymmetrisch. Denn, so die Argumentation von Bauman, wir wenden uns
dem anderen nur dann als einem Gegenüber zu,
„wenn das Verhältnis zum Anderen programmatisch nicht-symmetrisch ist; d.h. unabhängig von
dessen Vergangenheit oder Gegenwart und von erhoffter oder antizipierter Reziprozität,
Gegenseitigkeit. Und Moral ist Begegnung mit dem anderen als Antlitz. Moralische Haltung
erzeugt eine wesentlich ungleiche Beziehung; diese Ungleichheit und Unfairneß, dieses Nichtnach-Reziprozität-verlangen und das Desinteresse an Beidseitigkeit, diese Indifferenz gegenüber
der Ausgewogenheit von Gewinn und Verlust - kurz, dieser organisch nicht ausbalancierte und
daher nicht reversible Charakter der Beziehung >Ich versus der Andere< macht aus einer
Begegnung ein moralisches Ereignis.“ (ebd., S.79)
Diese Beziehung zum anderen, die das moralische Selbst begründet, ist durch mitmenschliche
Nähe gekennzeichnet und weist dabei - so die Überzeugung des Philosophen Lévinas, der in
der Tradition Bubers steht und auf den Bauman sehr weitgehend zurückgreift - alle Merkmale
mitmenschlicher Liebe bzw. liebevoller Zuwendung auf. Sie ist der letztlich Grund des
moralischen Selbst (ebd. S. 147).
Der Kern bzw. Grund von Moralität und Subjekthaftigkeit entzieht sich damit jeder
Objektivation. Über Moral und Subjektivität zu sprechen, ist deshalb streng genommen ein
Widerspruch in sich. Thematisierbar, weil objektivierbar, ist alles, was mit Ethik und
Intersubjektivität zusammenhängt. Moral und Subjektivität aber kann nur gelebt, d.h.
praktiziert werden, - und zwar ausgehend von einem Impuls, der, wie wir gesehen haben,
letztlich sprachlos ist.
Für Coaching bedeutet das, zwischen der Ebene der Theorie und Praxis sorgfältig zu trennen
und für die Praxis des Coaching – zunächst mit Blick auf den Coach und über ihn vermittelt
dann auch mit Bezug auf den Klienten - ein moralisches Selbst zu fordern, das sich nicht
vollständig und bruchlos theoretisch abbilden, sondern nur praktisch leben lässt. Es kann
deshalb nicht der richtige Weg sein zu versuchen, für Coaching philosophisch-ethisch
begründete Gütekriterien zu entwickeln, um diese dann zu einem allgemein verbindlichen
Ethik-Codex zu verdichten. Jeder derartiger Versuche ginge, so würde Bauman sagen, am
Wesen des Moralischen vorbei. Denn das Moralische des Coaching würde Bauman vorrangig
an die Forderung binden, Mut zur Entfaltung des moralischen Selbst zu haben und Coaching
zu einem „moralischen Ereignis“ zu machen, das zunächst einmal vom Coach zu initiieren
wäre. In der Sprache von Habermas ausgedrückt würde das heißen: Coaching müsste die
„Welt“ der psychischen Prozesse und das Kriterium der Wahrhaftigkeit des moralischen
Selbst – zunächst des Coachs und über ihn vermittelt des Klienten - in seinen Mittelpunkt
stellen, ohne dabei allerdings die „Welten“ der Sachverhalte und der sozialen Normen aus den
Augen zu verlieren. Die Aufgabe der Theorie wäre dabei nicht, Vorgaben zu machen, die von
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der Praxis umzusetzen sind, sondern die allgemeinen sowie je konkret vorliegenden
Bedingungsmöglichkeiten für die Entfaltung des moralischen Selbst einerseits aufseiten des
Coaches und andererseits aufseiten des Klienten systematisch zu reflektieren und an die
Praxis zurückzuspiegeln.
Dieser Gedankengang lässt sich meines Erachtens mit Bezug auf die tibetanischbuddhistische Ethik des XIV. Dalai Lama noch etwas weitergehend konkretisieren und
differenzieren. Denn es ist eine Ethik, die für Coaching von ganz besonderem Interesse sein
muss, weil ihr oberstes Ziel darin besteht, den richtigen Weg zum Glück zu zeigen. Ähnlich
wie Kant geht der Dalai Lama dabei davon aus, dass der Mensch alle Möglichkeiten seines
Glücks immer schon apriori besitzt, sie aber mithilfe seiner – wie man im Anschluss an Kant
sagen würde - „praktischen“ Vernunft allererst zur Entfaltung bringen muss. Als Königsweg
wird dabei empfohlen, möglichst viel über die Welt und vor allem über sich selbst
nachzudenken. Im Gegensatz zu unserer westlichen Denktradition - und mit Zygmunt
Bauman - meint er damit jedoch nicht ein analytisch-objektivierendes, sondern ein
systemisch-meditatives Denken, das philosophisch betrachtet dem Paradigma der
systemischen Wertrationalität zuzuordnen ist. Coaching wäre in diesem Sinne professionelle
Hilfe zum systemisch-meditatives Denken.
Die Ethik des tibetanischen Buddhismus gründet sich auf eine Erkenntnistheorie, die die
wechselseitige Abhängigkeit aller Phänomene, d.h. das sogenannte „ten del“ (ebd. S. 45) mit
Bezug auf das erlebende und erkennende Ich betrachtet und damit der Position des radikalen
Konstruktivismus nahe steht (vgl. Seine Heiligkeit der XIV. Dalai Lama 2002, S. 52 ff.). In
diesem Zusammenhang kommt dem „Karma“ eine besondere Bedeutung zu, wobei zu
betonen ist, dass im Gegensatz zu weit verbreiteten Vorstellungen im Westen mit Karma
nicht ein universeller Determinismus bemeint ist, der das Konzept der menschlichen Freiheit
und damit auch Verantwortung zur Fiktion macht, sondern „eine aktive Kraft in dem Sinn,
dass der Verlauf zukünftiger Ereignisse von unseren heutigen Handlungen beeinflusst werden
kann.“ (ebd. S. 151) Der Autor des Karma, so der Dalai Lama, ist also immer der Einzelne
und sein freier Wille. Denn: „Was immer wir denken, sagen, anstreben, tun oder unterlassen –
wir erschaffen Karma.“ (ebd., S. 151)
In diesem Sinne darf sich Ethik nicht auf die Betrachtung der Handlungen und ihrer
Auswirkungen beschränken, sondern muss die letztlichen Ursachen dieser Handlungen
untersuchen, nämlich die Handlungsmotivation, und zwar nicht von einem objektivierenden,
sondern von einem subjektkonstituierenden Standpunkt aus. Das zentrale Ziel ist dabei
Selbsterkenntnis, d.h. Überwindung von Selbstverblendungen. Diese werden, so die
buddhistisch-tibetanische Ethik des Dalai Lama, durch „nyong-mong“, d.h. durch
„blockierende Gefühle“ (ebd., S. 98) verursacht, wie z.B. Hass, Zorn Stolz, Lust, Gier Neid
usw. Sie behindern die Entfaltung derjenigen Fähigkeit, die im Mittelpunkt jener Ethik steht,
nämlich die „Unfähigkeit, das Leid eines anderen mitanzusehen“ (ebd., S. 76). Sie steht in
engstem Zusammenhang mit „nying je“, (ebd., S. 86), d.h. der angeborenen Fähigkeit zu
„Liebe, Zuneigung, Freundlichkeit, Sanftmut, Geistesgröße, Toleranz und Warmherzigkeit“
(S. 86).
Vor diesem Hintergrund hat Ethik und Moral eine doppelte Aufgabe, nämlich zum einen
anzuleiten, wie man mittels einer „Ethik der Beschränkung“ (ebd. S. 92 ff.) sich gegen die
Übergewalt „blockierender Gefühle“ wehren bzw. sich vor ihnen schützen kann, und zum
anderen, wie man mittels einer „Ethik der Tugend“ (ebd. S. 114 ff.) die positiven Fähigkeiten
des Menschen stützen und fördern kann. In beiden Fällen ist das Ziel dabei die Einlösung
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dessen, was die westliche Aufklärung mit Kants „sapere aude“ (frei übersetzt: „wage, die
Möglichkeiten deiner Vernunft zu nutzen“) fordert, nämlich die Entfaltung der positiven
Möglichkeiten menschlicher Vernunft und Handlungsfreiheit.
Die Entfaltung dieser Handlungsfreiheit stellt der Dalai Lama sich in einer Weise vor, die
eine auffällige Ähnlichkeit mit dem Konzept des „Inneren Teams“ von Schulz von Thun
(1998) hat. Es geht von der Annahme aus, dass jeder Mensch verschiedene
Persönlichkeitsanteile hat, die untereinander oft im Streit liegen und der Anlass für
Verwirrung und schlechte Entscheidungen sind. Sie bedürfen deshalb eines
Persönlichkeitsanteils, das metaphorisch gesprochen die Rolle des Oberhaupts bzw. Chefs
übernimmt und für Versöhnung und inneren Frieden sorgt. Diese Metapher wählt auch der
Dalai Lama, wenn er sagt:
„Wenn wir von dieser Sichtweise ausgehen, dann können wir den Geist oder das Bewusstsein
mit einem Präsidenten oder Monarchen vergleichen, der sehr aufrichtig und reinen Herzens ist.
Unsere Gedanken und Gefühle entsprechen den Ministern seines Kabinetts. Manche von ihnen
erteilen gute Ratschläge, manche schlechte. Manchen geht es hauptsächlich um das
Wohlergeben anderer, aber einige nur um ihre eigenen, selbstsüchtigen Interessen. Die
Verantwortung des Haupt-Bewußtseins, also des Chefs, besteht darin, zu unterscheiden,
welcher seiner Untergebenen gute und welcher schlechte Ratschläge gibt, auf wen er sich
verlassen kann und auf wen nicht, um dann entsprechend den Ratschlägen der ersteren und
nicht der letzteren zu handeln.“ (ebd. S. 96)
Das Ziel einer so konzipierten ethischer Selbstbesinnung im Rahmen einer „Inneren
Teamkonferenz“ (Schulz von Thun 1998) ist die Entfaltung des kritischen Urteilsvermögens
im Sinne Kants „praktischer“ Vernunft und in diesem Zusammenhang die Selbsterkenntnis
der eigenen „blockierenden Gefühle“ (Seine Heiligkeit der XIV. Dalai Lama 2002, S. 106).
Denn sie sind die zentrale Ursache für Selbsttäuschungen als Ursache für seelisches Leid und
Belastung des inneren Friedens, der als die wichtigste Voraussetzung dauerhaften Glücks
erkannt wird (ebd., S. 68).
„Mentale und emotionale Eindrücke, die in diesem Sinne schlechte Ratschläge erteilen, lassen
sich als eine Art des Leidens ansehen. Wenn man ihnen erlaubt, sich in großem Maß zu
entwickeln, dann wird der Geist von quälenden und blockierenden Gefühlen heimgesucht
(...).“ (ebd. S. 96)
Eine zentrale Aufgabe systemisch-wertrationalen Coachings wäre deshalb, dem Klienten zu
helfen, seine Selbsttäuschungen und die sie bedingenden „blockierenden Gefühle“ zu
erkennen und an ihnen zu arbeiten. Neben dieser Aufgabe müsste noch eine zweite stehen,
nämlich die Stärkung der positiven Fähigkeiten des Menschen. Die wichtigste dieser
Fähigkeiten ist „sö pa“, d.h. Geduld bzw. Fähigkeit ertragen und aushalten zu können (ebd. S.
114), denn sie ist – so der Dalai Lama - die „Quelle der Vergebung“ (ebd. S. 119). Ihre größte
Stärke ist, dass sie „wie ein starkes Gegengift auf die Heimsuchung wirkt, die das SichÄrgern darstellt – diese größte Bedrohung unseres inneren Friedens und damit unseres
Glücks.“ (ebd. S. 120)
Vor dem Hintergrund dieser Gedanken wird erkennbar, dass systemisch-wertrationales
Coaching ein umfassendes moralisches Projekt ist. Sein Ziel muss es sein, das Glück des
Klienten zu fördern und sein Leid zu mindern und auf diese Weise auch das Glück des
Coaches zu fördern und sein Leid zu mindern. Grundlage hierfür ist es, den Klienten und
seine Problematik sowie sich selbst im Umgang mit ihm wechselweise zum einen von einem
systemisch-objektivierenden und zum anderen von einem systemisch-subjektkonstituierenden
Standpunkt aus zu betrachten. In diesem Sinne sollte sich systemisches Denken mit einer
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doppelten Herzensbildung verbinden, bei der zunächst beim Coach und über ihn vermittelt
dann auch beim Klienten die Fähigkeit zum Mitgefühl im Mittelpunkt steht.
Der ethische Imperativ systemisch-wertrationalen Coachings
Nach diesen Überlegungen möchte ich abschließend noch einmal auf den kategorialen
Imperativ Kants zurückkommen und versuchen, ihn für systemisch-wertrationales Coaching
zu reformulieren. Wie bereits ausgeführt ist der Grundgedanke jenes Imperativs, dass man bei
seinem Handeln immer sowohl das eigene Wohl, wie auch dasjenige des konkreten
Gegenübers und der gesamten Menschheit im Auge haben und versuchen sollte, diese drei
Ansprüche möglichst weitgehend zu integrieren. Es ist davon auszugehen, dass die
Wirksamkeit dieser ethischen Forderung nicht zuletzt davon abhängt, wie attraktiv ihre
praktische Befolgung eingeschätzt wird.
Für Coaching heißt das: Es ist damit zu rechnen, dass die ethischen Ansprüche systemischwertrationalen Coachings nur dann praktisch angenommen und umgesetzt werden, wenn sie
vom Standpunkt eines „aufgeklärten Egoisten“ von beiden Seiten, d.h. vom Coach wie auch
vom Klienten als attraktiv eingeschätzt werden. Es wurde in dem obigen Gedankengang
versucht, diesen Nützlichkeitsnachweis mit Bezug auf die Ethik des tibetanischen Buddhismus
zu erbringen und diesen für unser westliches Denken anschlussfähiger zu machen, indem der
heute vorliegende breite Konsens, dass Coaching systemisch begründet sein müsse, mit
einigen Grundgedanken der Aufklärungsphilosophie, mit ethischen Implikationen der
Erziehungsphilosophie Klaus Pranges und mit der postmodernen Ethik Zygmunt Baumans
konfrontiert und verbunden wurde.
Als praktischen bzw. praxisorientierenden Ertrag dieser Überlegungen möchte ich vier
Variationen eines systemisch-wertrationalen Imperativ für Coaching vorstellen, der seinen
konzeptionellen Ausgang bei Kants kategorischem Imperativ nimmt und diesen mit den
Gedanken anreichert, die in den obigen Abschnitten vorgestellt worden sind.
Die erste Fassung dieses Imperativs lautet:
Hilf dem Klienten, seine Selbstverblendungen zu erkennen und auf der Grundlage
dieser Selbsterkenntnis dafür zu sorgen, dass es ihm möglichst gut geht!
Voraussetzung dafür ist, dass du als Coach deine eigenen Selbstverblendungen
erkennst und auf dieser Grundlage dafür sorgst, dass es dir in der Arbeit mit dem
Klienten möglichst gut geht.“
Unter ethischen Gesichtspunkten mögen diese Worte auf den ersten Blick vielleicht wie Hohn
klingen, und zwar vor allem dann, wenn man sie als Aufforderung zu einem ungehemmten
Egoismus versteht bzw. missversteht, d.h. wenn man die geforderte Rahmensetzung
übersieht, die eigenen Selbstverblendungen zu erkennen und diese Selbsterkenntnis zur
Grundlage des eigenen Handelns zu machen, um auf diese Weise möglichst glücklich zu
werden. Was dieses Glücklich-werden/sein dabei im Einzelnen heißt, bleibt in dieser
Formulierung zunächst noch im Dunkeln. Gleichwohl deutet sich bereits ein Zusammenhang
zwischen Glücklich- sein/werden und Selbstverblendung an. Denn letztere erscheint als
Hindernis auf dem Weg zu diesem Ziel, sodass es geraten erscheint, sie zu überwinden, und
zwar durch Flow-Erfahrungen im Umgang mit Inhalten und Aufgaben und Flow-Erfahrungen
der Sympathie im Umgang mit anderen Menschen (Geißler/Sattelberger 2003, S. 94 ff.).
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Mit dieser Fokussierung auf das Glück des Einzelnen grenzt sich der hier vertretene Ansatz
von allen Konzepten ab, Ethik als Opferethik anzulegen, d.h. ethische Forderungen zu stellen,
die auf der einen Seite allgemeine Zustimmung finden, weil sie als gut begründet eingeschätzt
werden, auf der anderen Seite jedoch Probleme bereiten, wenn es um ihre Implementierung
geht, weil zu wenige der Forderung nachkommen, ihre egoistischen Interessen
zurückzustellen. In diesem Zusammenhang hat der Wirtschaftsethiker Karl Homann die
These vertreten, dass die Implementationsproblematik ethischer Normen Konsequenzen für
ihre Begründung haben muss und dass sie deshalb nicht von ihr abgetrennt werden darf. Um
dieses sicherzustellen, empfiehlt er, einen „Homo-oeconomicus-Test“ durchzuführen
(Homann/Blome-Drees 1992, S. 95). Er könnte darin bestehen, den „aufgeklärten Egoisten“
aufzufordern, zunächst einmal alle eigenen Selbstverblendungen zu erkennen und auf der
Grundlage dieser Selbsterkenntnis sich wie ein „homo oeconomicus“ zu verhalten
(Geißler/Sattelberger 2003, S. 61 ff.).
Diese Forderung ist nicht immer leicht zu erfüllen, denn Selbsterkenntnis löst Ängste,
Abwehr und Widerstand aus. Die zweite Fassung des ethischen Imperativs systemischer
Wertrationalität für Coaching lautet deshalb:
Hilf deinem Klienten, den Mut zu finden, die Ängste zu überwinden, die ihn davon
abhalten, seine Selbstverblendungen wahrzunehmen und dabei ggf. zu erkennen, dass
er sein bisheriges Handeln auf Ziele ausgerichtet bzw. an Kriterien orientiert hat, die
ihm mit Blick auf ein erfülltes Leben letztlich nicht gut tun, und mache ihm Mut, aus
dieser Erkenntnis konsequent Folgen zu ziehen!
Voraussetzung dafür ist, dass auch du dich als Coach mit deinen eigenen Ängsten
auseinander setzt und klärst, was für dich ein sinnerfülltes Leben ist und welche
Bedeutung Coaching dabei hat bzw. haben sollte.
In dieser Fassung des ethischen Imperativs systemisch-wertrationalen Coachings kommt die
Erkenntnis zum Ausdruck, dass der „moral point of view“ nicht im Bereich des Beobachteten
liegen, sondern nur der Standpunkt des Beobachters sein kann, der über alle
Selbstbeobachtung hinausgehend letztlich praktisch gelebt werden muss. Die ethische
Verantwortung muss deshalb bei dem eigenen individuellen Glück bzw. erfüllten Leben
ansetzen. Das jedoch darf nicht zu Privatismus und Weltflucht führen. Denn mögliche
Selbstverblendungen lassen sich nur dann entdecken, wenn man offen ist, auch diejenigen
Aspekte und Bereiche der Realität klar zur Kenntnis zu nehmen, die verunsichernd,
beängstigend, beschämend oder schmerzlich sind. Die dritte Fassung des systemischenwertrationalen Imperativs für Coaching lautet deshalb:
Hilf deinem Klienten, den Mut zu finden, nicht nur das wahrzunehmen, was ihm
Sicherheit gibt und ihn beruhigt oder erfreut, sondern auch das, was ihn verunsichert,
ängstigt, beschämt oder schmerzt, – und hilf ihm, diese Erkenntnisse zur Grundlage
seines Handelns zu machen!
Voraussetzung dafür ist, dass auch du dich mit deinen eigenen Unsicherheiten,
Ängsten, Schamgefühlen und Schmerzen, die nicht zuletzt auch durch dein Coaching
ausgelöst oder reaktiviert werden (können), mutig auseinandersetzt.
Diese Fassung macht deutlich, wie für andere dadurch Verantwortung zu übernehmen ist,
dass man nicht wegschaut und sich damit die Möglichkeit zu bequemen selbstgefälligen
Selbstverblendungen eröffnet. Das Kriterium der Beobachtung liegt dabei wiederum im
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Beobachter selbst. Es ist – systemtheoretisch gesprochen – die produktive Selbstverwirrung
als notwendige Voraussetzung für strategisches Erschließungslernen und normatives
Identitätslernen (vgl. Geißler 2000, 2004) Denn wenn die Erkenntnis der Systemtheorie
richtig ist, dass nicht-triviale Systeme sich nicht steuern lassen, ist eine solche produktive
Selbstverwirrung die einzige Möglichkeit des Subjekts, tätig Verantwortung zu übernehmen
für die Welt und die Zukunft. Das jedoch setzt Mut zur Gelassenheit und Vertrauen in eine
Entwicklung zum Guten voraus. In diesem Sinne lautet die vierte Fassung des systemischwertrationalen Imperativs für Coaching:
Hilf deinem Klienten, den Mut zur Gelassenheit zu finden und darauf zu vertrauen,
dass er seiner Verantwortung gegenüber anderen am besten dann gerecht wird, dass
er seine eigenen Selbstverblendungen aufdeckt, die sich so ergebenden Einsichten zur
Grundlage seines Handelns macht und dabei den eigenen Heilungs- und
Selbstheilungskräften sowie denjenigen der anderen vertraut!
Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Gelassenheit auf deiner Seite als Coach.
Sie sollte auf der Überzeugung beruhen, dass du der Verantwortung, die du als Coach
gegenüber deinem Klienten hast, am besten dadurch Rechnung trägst, dass du
konsequent zu deinen und seinen Selbstverblendungen schaust und dabei den eigenen
Heilungs- und Selbstheilungskräften sowie denjenigen des Klienten vertraust.
Literatur:
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Backhausen, W./ Thommen, J.-P. (2003): Coaching. Durch systemisches Denken zu
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Geißler, H.: Coaching-Konzepte verstehen: Annäherungen an einen Modebegriff. In:
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Habermas, J. (1983): Diskursethik – Notizen zu einem Begründungsprogramm. In: Ders.:
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Habermas, J. (1991): Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt/M.: Suhrkamp
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Schulz von Thun, F. (1981): Miteinander reden. Bd. 1: Störungen und Klärungen. Reinbek:
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Schulz von Thun, F. (1998): Miteinander reden. Bd. 3: Das „Innere Team“ und
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Kommunikation. Reinbek: Rowohlt
Seine Heiligkeit der XIV. Dalai Lama (2002): Das Buch der Menschlichkeit. Bergisch
Gladbach: Bastei Lübbe
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