Bodensee-Wasserversorgung Wissensdurst · Juli 2008 Angewandte virologische Untersuchungen bei der Bodensee-Wasserversorgung Saskia P. Moser-Danhel und Jürgen Meyer Bodensee, Desinfektion, enteropathogene Viren, Mikrobiologie, Oberflächenwasser, Ozon, Risikoabschätzung, somatische Coliphagen, Wasseraufbereitung, Wasserqualität, Wasserversorgung In Oberflächengewässern ist generell mit dem Auftreten von humanpathogenen, enteralen Viren zu rechnen. Als „Indikatorviren“ wurden somatische Coliphagen im Bodenseewasser und zur Überprüfung der Aufbereitungsanlage untersucht. Halbtechnische Versuche an der Pilotanlage zeigten bei einer Ozonkonzentration von 0,6 mg/L unmittelbar eine Reduktion des Phagen ΦX174 um drei Log-Stufen. Im Bodenseewasser konnten somatische Coliphagen bis 15 pfu pro 50-100 mL nachgewiesen werden. In 6,8 % der Proben wurden somatische Coliphagen ohne einen gleichzeitigen Nachweis von E. coli gefunden. Im ozonierten Bodenseewasser waren in keinem Fall somatische Coliphagen nachweisbar. Die Ergebnisse zeigen, dass humanpathogene, enterale Viren mit großer Wahrscheinlichkeit nicht im Trinkwasser der Bodensee-Wasserversorgung enthalten sind. 1. Einleitung Die mikrobiologische Beschaffenheit des Trinkwassers ist der wichtigste Qualitätsfaktor im Hinblick akuter Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Dabei spielen Viren eine bedeutende Rolle, da sie zu den infektiösesten Krankheitserregern des Menschen zählen. Die Weltgesundheitsorganisation weist Viren im Trinkwasser eine hohe Bedeutung als Infektionserreger zu [1]. Dieser Tatsache trägt auch die Trinkwasserverordnung (TrinkwV 2001 § 5 Absatz 1) Rechnung, indem sie fordert, dass Krankheitserreger nicht in Konzentrationen im Trinkwasser enthalten sein dürfen, die eine Schädigung der menschlichen Gesundheit besorgen lassen. Nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG 2000 § 2 Absatz 1) ist ein Krankheitserreger ein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches Agens, das beim Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann. 2 Die Bezeichnung „Virus“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Gift“. Krankheiten, die nach heutigem Wissen durch Viren verursacht werden, standen in früherer Zeit im Verdacht ihren Ausgang von Giften zu nehmen. Viren sind infektiöse Einheiten, die zwischen 16 und 300 Nanometer groß sind [2]. Viruspartikel, auch Virionen genannt (extrazelluläre Form von Viren), besitzen keinen eigenen Stoffwechsel und keinen Bewegungsapparat. Um sich replizieren zu können benötigen Viren die Stoffwechselfunktionen eines Wirtes. Folglich können sie sich nur in stoffwechselaktiven Zellen vermehren. Streng genommen sind Viren deshalb keine Lebewesen. Viren können als unselbstständige intrazelluläre Parasiten bezeichnet werden [2]. Da mit der Vermehrung von Viren in der Regel eine Schädigung der Wirtszelle verbunden ist, sind Viren obligate Krankheitserreger [3]. Die verschiedenen Arten von Viren werden unter anderem mittels ihrer Wirte unterschieden. Demzufolge gibt es Viren, die Bakterien angreifen (so genannte Bakteriophagen bzw. Phagen), Viren, die Pflanzengewebe infizieren, und Viren, die tierisches so wie menschliches Gewebe befallen. Typische Viruserkrankungen beim Menschen sind akute Infektionskrankheiten der Atemwege und des Magen-Darm-Trakts. 2. Viren in Wasser Bei den im Wasserkreislauf auftretenden Viren handelt es sich ausschließlich um enterale Erreger (Darmviren) [4]. Enterale Viren zählen zu den humanpathogenen Viren. Sie treten im Darm als Krankheitserreger auf und werden mit dem Stuhl bzw. Kot von Mensch und Tier ausgeschieden. Dementsprechend gelangen enterale Viren das ganze Jahr über in die Umwelt. Enterale Viren gehören zu den am einfachsten aufgebauten und kleinsten Viren (27-80 nm, Coronavirus bis 160 nm). Sie besitzen keine Hüllmembran (unbehüllte Viren), was ihnen eine erhöhte Widerstandskraft gegenüber Umwelteinflüssen und Desinfektionsmaßnahmen verleiht. Im Gegensatz dazu sind Viren, die eine Hüllmembran besitzen (behüllte Viren), durch diese empfindlich für eine Inaktivierung mittels Detergenzien und Lösungsmitteln (z. B. InfluenzaViren) [2]. Enterale Viren zeichnen sich durch eine lange Lebensdauer speziell im wässrigen Milieu aus, wo sie mehrere Monate infektiös bleiben können [5]. Nach oraler Aufnahme können enterale Viren beim Menschen zu Erkrankungen führen. Die Infektionsübertragung erfolgt in der Regel auf direktem Weg von Mensch zu Mensch (Schmierinfektion), aber auch indirekte Übertragungen z. B. durch kontaminierte Lebensmittel oder verunreinigtes Trinkwasser sind möglich. Zu den Viren, die eine hohe gesundheitliche Bedeutung haben, wenn sie im Trinkwasser enthalten sind, zählen Rota-, Adeno-, Entero-, Noro- und Sapoviren sowie das Hepatitis-Aund Hepatitis-E-Virus [1]. Die Aufnahme einzelner Krankheitserreger führt nicht immer zu einer Infektion. Die Infektionsdosis enteraler Viren von durchschnittlich zehn bis 100 infektiösen Einheiten liegt im Gegensatz zu derjenigen vieler bakterieller Erreger jedoch vergleichsweise niedrig [5]. Als akzeptables Risiko trinkwasserbürtiger Infektionen wird in den „Guidelines for Drinking-water Quality“ eine Infektion unter 10.000 Exponierten pro Jahr angegeben [1]. Auf Grund der geringen Infektionsdosis von enteralen Viren bedeutet dies, dass in 10.000 bis 100.000 Liter Trinkwasser keine Viren enthalten sein sollten [6]. Der wasserbürtige Übertragungsweg enteraler Viren erfolgt über Abwasser, Oberflächenwasser und Übergang ins Trinkwasser nach unzureichender Trinkwasseraufbereitung [3]. Untersuchungen eines DVGW-Forschungsprojektes am Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg zeigen, dass enteropathogene Viren regelmäßig in Oberflächengewässern vorkommen [5]. Nach Botzenhart [3] schwanken die Viruskonzentrationen in Oberflächengewässern in Abhängigkeit von der Abwasserbelastung. Seiner Meinung nach kann die Viruskonzentration im Abwasser hypothetisch berechnet werden: Geht man davon aus, dass pro Tag und Person ca. 150 g Stuhl abgegeben und ca. 150 L Wasser verbraucht werden, ergibt sich eine Fäkalienkonzentration im Abwasser von 1 g/L [3]. Bei einer Konzentration von 109 Viruspartikeln pro Gramm Stuhl infizierter Personen wird sich bei einer Infektion unter 100.000 Einwohnern eine Viruskonzentration von 104 Viruspartikeln pro Liter Abwasser einstellen [3]. Rotaviren werden von akut infizierten Personen in extrem hohen Konzentrationen bis zu 1012 Partikeln pro Gramm Stuhl ausgeschieden [7], so dass unter Umständen auch höhere Viruskonzentrationen im Abwasser auftreten können. Untersuchungen von Myrmel et al. [8] zeigen, dass eine hohe virale Belastung im Kläranlagenzulauf trotz Abwasserbehandlung nicht zufrieden stellend reduziert und so eine große Menge an Viren über Kläranlagen in die Umwelt abgegeben wird [8]. Nach Literaturangaben liegt die Viruskontamination in Oberflächengewässern zwischen 100 und 102 infektiösen Viruspartikeln pro Liter Wasser [3]. In anthropogen stark belasteten Gewässern und dichter besiedelten Regionen sind mindestens zehn infektiöse Viruspartikel pro Liter zu erwarten [9]. Dabei sind enterale Viren nicht gleichmäßig über das ganze Jahr im Wasser nachzuweisen. Untersuchungen ergaben, dass Enteroviren vorwiegend in den Sommermonaten im Wasser zu finden sind wohingegen in den kalten Monaten kein Nachweis von Enteroviren im Wasser geführt werden kann [5]. Umgekehrt können Adenound Rotaviren überwiegend im Winter erfasst werden, während sie im Sommer nur sporadisch vorkommen [5]. Gleichermaßen werden auch Noroviren vermehrt in den kalten Monaten im Wasser gefunden. Diese jahreszeitliche Verteilung der enteralen Viren im Wasser gibt einen Hinweis auf die humane Herkunft dieser Erreger, die typischerweise in derselben jahreszeitlichen Verteilung beim Menschen zu Infektionen führen. Dies ist speziell bei den Enteroviren so ausgeprägt, dass das von ihnen verursachte Krankheitsbild im deutschsprachigen Raum als „Sommergrippe“ bezeichnet wird [4]. Als Erreger der virusbedingten Gastroenteritis kommen nach Botzenhart [3] vor allem Rota-, Noro- und Adenoviren in Frage. Sie können in Abwasser und belastetem Oberflächenwasser relativ häufig gefunden werden. Rotaviren werden weltweit für jährlich mindestens eine Million Todesfälle über kontaminiertes Wasser verantwortlich gemacht [7]. Noroviren wurden in Oberflächenwasser [10], Grundwasser [11], Trinkwasser [12] und Mineralwasser [13] gefunden und sind als Ursache wasserbürtiger Krankheitsausbrüche akuter Gastroenteritis bekannt [14, 15, 16, 17, 18]. Von 348 Gastroenteritis-Ausbrüchen, verursacht durch Noroviren, die den US Centers for Disease Control and Prevention (CDC) gemeldet wurden, waren 3 % der Fälle auf kontaminiertes Wasser zurückzuführen [19]. In Deutschland sind Erkrankungsausbrüche durch enterale Viren über das Trinkwasser, die ursächlich auf 3 Bodensee-Wasserversorgung Wissensdurst · Juli 2008 eine unzureichende Trinkwasseraufbereitung zurück zu führen sind, nicht bekannt [6]. Dennoch traten schon Krankheitsausbrüche infolge kontaminierten Trinkwassers auf. So beispielsweise bei Leipzig, als im Oktober 2003 von 95 Anwohnern in 30 Haushalten 88 Personen an akuter Gastroenteritis durch Infektion mit Noroviren erkrankten. Ursache für die Verunreinigung des Wassers war eine Baumaßnahme zur Sanierung der Trinkwasserleitung [20]. 3. Coliphagen als Indikatorviren Im Bereich der mikrobiologischen Trinkwasserkontrolle ist es üblich, Indikatororganismen zu untersuchen, die die Anwesenheit fäkaler Verunreinigungen und die damit verbundene Möglichkeit der Anwesenheit pathogener Mikroorganismen anzeigen. Dies beruht letztendlich auf der Tatsache, dass es nicht möglich ist, Wasserproben auf jeden erdenklichen Krankheitserreger zu untersuchen. Als Indikatororganismen werden prinzipiell apathogene Organismen eingesetzt, die mit den Faeces von Mensch und warmblütigen Tieren ausgeschieden werden. Der Nachweis solcher Indikatorparameter ist ein Hinweis auf fäkale Verunreinigungen und damit auf eventuell vorhandene enterale Pathogene. Ein typischer Indikatororganismus in der Trinkwasserkontrolle ist beispielsweise Escherichia coli, ein Darmbakterium, das in großen Mengen mit den Faeces ausgeschieden wird. Für das Vorkommen von enteralen Viren im Wasser besteht jedoch nur eine fragliche Korrelation zu den bakteriellen Fäkalindikatoren. Von großer Bedeutung ist dabei die erhöhte Widerstandsfähigkeit der Viren. Es muss damit gerechnet werden, dass trotz Abwesenheit bakterieller Fäkalindikatoren noch enterale Viren im Wasser vorhanden sein können. Im Vergleich zum Grundwasser ist in Oberflächenwässern verstärkt mit enteralen Viren zu rechnen. Da es aus methodischen und finanziellen Gründen nicht möglich ist, alle enteralen Viren quantitativ nachzuweisen, können bezüglich viraler Verunreinigungen Coliphagen als Indikatororganismen für enterale Viren eingesetzt werden [6]. Der Begriff „Coliphagen“ bezeichnet die Gruppe von Phagen, der E. coli als Wirtszellen dient. Die Vermehrung von Phagen, wie 4 auch von enteralen Viren, findet hauptsächlich im Darmtrakt von Mensch und warmblütigen Tieren statt. Phagen replizieren in Bakterienzellen, enterale Viren in den Epithelien des Darmes. Phagen und enterale Viren teilen viele Eigenschaften: vor allem den Aufbau, die Struktur, die Morphologie, die Größe und den Replikationsmechanismus. Vergleichbar ist weiterhin das Verhalten und Überleben in der (aquatischen) Umwelt und die Widerstandsfähigkeit gegenüber verschiedenen Wasseraufbereitungsstufen und Desinfektionsmitteln. Bei Phagen und enteralen Viren handelt es sich um unbehüllte Viruspartikel. Dies bedeutet, dass diese Viren eine hohe Umweltstabilität aufweisen und somit Wochen bis Monate infektiös bleiben können [4]. Da Phagen humanpathogenen Viren ähnlicher sind als den bakteriellen Fäkalindikatoren, sind Phagen auch die potentiell besseren Indikatoren, um das Verhalten von enteralen Viren in der (aquatischen) Umwelt und in der Wasseraufbereitung und um die Empfindlichkeit gegenüber der Wasserdesinfektion abzuschätzen [1, 6]. Der Nachweis von Coliphagen nach Aufbereitungsschritten, die auch zur Inaktivierung von Viren dienen, deutet auf Mängel bei der Wasseraufbereitung und/oder -desinfektion hin [1]. Es ist zu beachten, dass kein direktes numerisches Verhältnis zwischen der Phagenanzahl und der Anzahl einer bestimmten humanpathogenen Virusart in einer Wasserprobe besteht. Der Nachweis von Coliphagen stellt einen hygienisch relevanten Befund dar, da die Anwesenheit von Coliphagen mit dem Vorhandensein von menschlichen und/oder tierischen Exkrementen verbunden wird. Folglich kann daraus auf die potentielle Möglichkeit der Anwesenheit von enteralen Viren geschlossen werden. Das Fehlen von Coliphagen bestätigt hingegen nicht in jedem Fall die Abwesenheit von Pathogenen wie z. B. enteralen Viren. 4. Nachweis somatischer Coliphagen Da sich Viren nur innerhalb lebender Zellen replizieren können, erfordert die Forschung an Viren die Verwendung von geeigneten Wirtszellen. Für die Quantifizierung von Viren wird im Allgemeinen die Auswirkung auf die von ihnen infizierten Wirtszellen gemessen. Für den Nachweis von Viren mittels Wirtszellen sind dementsprechend vermehrungsfähige, intakte Viren Voraussetzung. Der Nachweis und die Zählung von somatischen Coliphagen wird bei der Bodensee-Wasserversorgung in Anlehnung an die DIN EN ISO 10705-2 [21] durchgeführt. Die Quantifizierung erfolgt durch Plaquebestimmung mit der Agarbeschichtungstechnik. Die genannte Norm wurde vorab insofern optimiert, dass die Praktikabilität der Methode um den Faktor 100 verbessert wurde. So können Wasserproben mit einem Volumen von 100 mL statt bislang 1 mL in einem Probenansatz untersucht werden (Abbildung 1). Initiiert ein Phage eine Infektion im Wirtsbakterienrasen wird durch allmähliche Infektion der benachbarten Bakterienzellen eine Lysiszone (lichte Stelle) im Bakterienrasen sichtbar. Diese Zone wird als Plaque bezeichnet. Man nimmt an, dass jeder einzelne Plaque aus Replikationsergebnissen stammt, die mit einem einzigen Virus begonnen haben. Virulente Phagen erzeugen kreisrunde, klare, transparente Plaques im Bakterienrasen, da alle Bakterienzellen am Infektionsort zerstört werden. Die Größe und Gestalt der erzeugten Plaques kann sehr unterschiedlich sein. Beispielhaft ist in Abbildung 2 eine Petrischale mit gewachsenem Bakterienrasen und darin befindlichen Plaques abgebildet. 5. Untersuchungen und Ergebnisse Für eine Risikoabschätzung bezüglich Viren im Wasser bilden Informationen über die Effektivität der einzelnen Aufbereitungsschritte und Informationen über die Belastung des Rohwassers die Grundlage. Hierfür wurden bei der Bodensee-Wasserversorgung 2004/2005 Versuche im halbtechnischen Maßstab durchgeführt. Zusätzlich wird seit Anfang 2004 Abb. 2: Plaques im Bakterienrasen Bodenseewasser und teilaufbereitetes Wasser kontinuierlich auf somatische Coliphagen untersucht. Abb. 1: Schematischer Probenansatz zur Untersuchung von somatischen 5.1 Halbtechnische Untersuchungen Coliphagen in 100 ml Wasserprobe Die Versuche im halbtechnischen Maßstab bilden Vorgänge der Ozonung innerhalb der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ der Bodensee-Wasserversorgung ab. Die Ozonung ist nach der Mikrosiebung (Maschenweite 15 µm) der zweite Aufbereitungsschritt und bewirkt eine Desinfektion des Wassers (Abbildung 3). Ziel der Desinfektion ist die Abtötung bzw. Inaktivierung von Krankheitserregern (Viren, Bakterien und Parasiten) sowie die Verringerung der Zahl unspezifischer (nicht pathogener) Mikroorganismen [22]. Ein „Nullwert“ (frei von Krankheitserregern) kann nicht erwartet werden, sondern nur eine Reduktion der Erregerkonzentration endlichen Ausmaßes [23]. Um in Bezug auf Phagen von einem chemischen Desinfektionsmittel sprechen zu können, ist eine Herabsetzung der Infektiosität um mindestens vier Log-Stufen erforderlich (DIN EN 13610 [24]). Auch die Surface Water Treatment Rule fordert im Trinkwasser eine Virenreduzierung um vier Log-Stufen [25]. Mit den Technikumsversuchen wurde die Reaktion von Ozon mit somatischen Coliphagen in der ersten Kontaktzeit von ca. zwei Minuten simuliert. Die Desinfektion mit Ozon kann erheblich durch Wasserinhaltsstoffe, die mit Ozon reagieren, beeinträchtigt werden. Aus diesem Grund wurde als Basis für die Simulationsversuche Bodenseewasser verwendet, um möglichst realitätsnahe Versuchsbedingungen zu schaffen (Partikelgehalt, Temperatur, pH-Wert etc.). Da die Konzentration an Viren im Bodenseewasser sehr gering ist, wurde für die Bestimmung der Inaktivierungsleistung von Ozon die Konzentration der Coliphagen in der Technikumsanlage durch 5 Bodensee-Wasserversorgung Wissensdurst · Juli 2008 zudosierte Phagenlösung erhöht. Mittels dieser Phagenlösung (hergestellt mit dem Phagen ΦX174, DSM-Nr. 4497) konnte eine Konzentration von 104 plaque forming units (pfu) pro 100 mL mikrogesiebtem Bodenseewasser in der Technikumsanlage erreicht werden. 5.1.1 Erste Versuchsreihe Abb. 3: Wasseraufbereitungsschema des Zweckverbandes Bodensee-Wasserversorgung (Anlage "Sipplinger Berg" bzw. Technikumsanlage) Abb. 4: Schematischer Aufbau der Rieslerkolonne als Ozoneintragssystem in der Technikumsanlage mit Probenentnahme- und Dosierstellen In einer ersten Versuchsreihe fand für den Kontakt zwischen somatischen Coliphagen und Ozon das Ozoneintragssystem „Rieslerkolonne“, wie es in der Technikumsanlage besteht, Verwendung (Abbildung 4). Hierfür wurde die Phagenlösung vor der Rieslerkolonne in das mikrogesiebte Bodenseewasser dosiert (Dosierstelle 1, Abbildung 4). Die Rieslerkolonne ist mit einer Füllkörperschüttung, so genannten Raschigringen, befüllt. Das mit Phagenlösung versetzte mikrogesiebte Bodenseewasser wird in der Rieslerkolonne über ein Verteilersystem auf die Füllkörperschüttung gegeben und so fein verteilt (Tröpfchenbildung). Im Gegenstrom wird Ozongas am unteren Teil der Rieslerkolonne zugeführt. Die Gasabsorption findet an dem Wasserfilm statt, der die Füllkörper benetzt. Am Ende der Rieslerkolonne wird das ozonte Wasser in einem Trichter aufgefangen und in den Sammelbehälter eingeleitet. Vor Dosierung der Phagenlösung wurde am Probehahn 1 (erster Probehahn nach der Rieslerkolonne, Abbildung 4) analog zur Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ (hier: Messung der Ozonkonzentration an definierter Stelle nach dem Hauptmischer mittels Stellgröße, Abbildung 5) eine Ozonkonzentration von 0,7 mg/L eingestellt (Die Konstanz- und Ozonmessungen während der halbtechnischen Versuche wurden mittels DPD- und Indigo-Methode in Anlehnung an die DIN 38408-3 [26] durchgeführt). Unter den genannten Bedingungen konnte am Ablauf der Rieslerkolonne eine Ozonkonzentration von 0,6 mg/L gemessen werden. Die Ozonzehrung in Höhe von 0,1 mg/L vom Probehahn 1 zum Ablauf der Rieslerkolonne (ca. zwei Minuten) kann auf die Reaktion des Ozons mit sämtlichen in Kontakt kommenden Stoffen/Materialien wie beispielsweise organischen Wasserinhaltsstoffen und Anlagenbestandteilen zurückgeführt werden. 6 Teilwasserstrom Vormischer mikrogesiebtes Wasser Hauptstrom Abb. 5: Aufbau des statischen Mischsystems der BodenseeWasserversorgung zum Eintrag von Ozon Während der Dosierung von Phagenlösung in die Technikumsanlage reduzierte sich die Ozonkonzentration am Probehahn 1 von 0,7 mg/L auf 0,6 mg/L und am Ablauf der Rieslerkolonne von 0,6 mg/L auf 0,4 mg/L Ozon. Untersuchungen ergaben, dass die Ozonzehrung an den einzelnen Probenentnahmehähnen durch die Nährbouillon (enthält verschiedene Eiweiße) verursacht wird, mit der die Phagen in die Technikumsanlage dosiert wurden. Zur Übersicht sind die herrschenden Ozonkonzentrationen nochmals aufgeführt, wobei die Reaktionszeit zwischen Probehahn 1 und Ablauf Rieslerkolonne ca. zwei Minuten beträgt: Ozonkonzentrationen vor Phagendosierung: Probehahn 1: 0,7 mg/L ‡ Ablauf Rieslerkolonne: 0,6 mg/L Ozonkonzentrationen während Phagendosierung: Probehahn 1: 0,6 mg/L ‡ Ablauf Rieslerkolonne: 0,4 mg/L Unter den beschriebenen Versuchsbedingungen konnte die Anzahl somatischer Coliphagen im mikrogesiebten Bodenseewasser in der Rieslerkolonne innerhalb von 15-30 Sekunden (mittlere Verweilzeit Rieslerkolonne) bei einer Ozonkonzentration von 0,6 mg/L am Probehahn 1 um vier Log-Stufen reduziert werden. Ausgehend von 104 plaque forming units (pfu)/100 mL konnte in den ozonierten Proben nur vereinzelt der Nachweis von 1-4 pfu/100 mL geführt werden. Dies bedeutet, dass Ozon Injektor Hauptmischer Zwischenbehälter unter den Versuchsbedingungen die eingesetzten somatischen Coliphagen bis an die Nachweisgrenze reduziert wurden. Eine Aussage über eine Reduzierung der Phagen im Bereich zwischen Probehahn 1 und Ablauf Rieslerkolonne kann aus den ermittelten Werten nicht getroffen werden, da hierfür bereits am Probehahn 1 deutlich messbare Mengen an Phagen vorhanden sein müssten. 5.1.2 Zweite Versuchsreihe Ziel der Versuche an der Technikumsanlage war es, Vorgänge der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ bestmöglich abzubilden. In der Technikumsanlage wird für den Ozoneintrag eine Rieslerkolonne eingesetzt. Dies entspricht der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ zu Beginn der 70er Jahre. Das System der Kolonnenbegasung im Gegenstromverfahren hat sich in der Großanlage für den Eintrag von Ozon bewährt. Dennoch zeigten Untersuchungen von 1996, dass die Kolonnenbegasung technische Nachteile wie Dichtigkeitsprobleme, Totzonen, schwer definierte Strömungsverhältnisse sowie einen hohen Sauerstoffeinlösegrad aufweist [27]. Dementsprechend waren die Ziele bei der Einrichtung eines neuen Ozoneintragssystems ein optimaler Ozoneinbringungsgrad, ein weitaus geringerer Sauerstoffeintrag sowie eine erhöhte Betriebssicherheit und damit ein besserer Personenschutz [27]. Weiterführende Untersuchungen von 1996 zeigten, dass die genannten Bedingungen mit einem statischen Mischsystem realisiert werden können [27]. Aus diesem Grund wurde 1998 der Eintrag von Ozon mittels Kolonnenbegasung in der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ auf ein statisches Mischsystem umgestellt. Statische Mischer 7 Bodensee-Wasserversorgung Wissensdurst · Juli 2008 bestehen aus strömungstechnischen Vorrichtungen, die so angeordnet sind, dass offene, sich kreuzende Kanäle entstehen. Der Mischeffekt wird durch eine relative Verschiebung der Teilströme sowie durch die erhöhte Turbulenz an den Kreuzungsstellen der Kanäle bewirkt [28]. Das statische Mischsystem, wie es in der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ eingesetzt wird, besteht aus einem Injektor und einem Vormischer für einen Teilwasserstrom sowie einem nachfolgenden Hauptmischer für die Vereinigung von Teil- und Hauptstrom (Abbildung 5). So kommt das zu desinfizierende, mikrogesiebte Bodenseewasser im Hauptstrom mit einem an Ozon hochkonzentrierten Teilwasserstrom in Kontakt. Da die Technikumsanlage nicht auf die derzeitigen Gegebenheiten der Großanlage bezüglich des Ozoneintrags umgerüstet werden konnte, stand für die Untersuchungen dieser Arbeit nur die Rieslerkolonne für den Ozoneintrag zur Verfügung (siehe auch 5.1.1 Versuchsreihe 1). Die Verfahrensbeschreibung der Rieslerkolonne und des statischen Mischsystems machen aber deutlich, dass die Stoffumsetzungsprozesse in der Rieslerkolonne der Technikumsanlage mit dem Ozoneintrag in der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ nur bedingt vergleichbar sind. Auch im Falle einer Umstellung des Ozoneintragssystems der Technikumsanlage auf ein statisches Mischsystem würden mit Sicherheit Skaleneffekte auftreten. Dies lässt sich mit variierenden Einflussgrößen wie z. B. Mischelementanzahl und Gas-/Wasserstrom-Volumenstromverhältnisse im technischen Ozoneintragsprozess begründen [27]. So wird deutlich, dass mit der Technikumsanlage erst nach dem Ozoneintragssystem Rieslerkolonne annähernd vergleichbare Prozesse zur Großanlage auf dem Sipplinger Berg geschaffen werden können. Um die Desinfektionswirkung des Ozons abschätzen zu können, nachdem das Wasser das Ozoneintragssystem Rieslerkolonne verlassen hat, wurden die somatischen Coliphagen in der zweiten Versuchsreihe mit mikrogesiebtem und schon ozontem Bodenseewasser in Kontakt gebracht. Dies wurde erreicht, indem die somatischen Coliphagen nach der Rieslerkolonne bzw. Ozonzugabe und vor dem Auffangtrichter des Sammelbehälters in die Technikumsanlage dosiert wurden (Dosierstelle 2, Abbildung 4). Die 8 Einmischbedingungen im Auffangtrichter über dem Sammelbehälter der Rieslerkolonne sind auf Grund von Ergebnissen von Vorversuchen der zweiten Versuchsreihe ausreichend. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch das Ozoneintragssystem Auswirkungen auf die Desinfektionswirkung von Ozon hat. Da die hydraulischen Verhältnisse in der Technikumsanlage im Vergleich zum statischen Mischsystem der Großanlage bei weitem ungünstiger sind (Kanalströmungen, Totzonen etc.), wird mit dem so angeordneten Versuchsaufbau praktisch eine WorstCase-Situation bezüglich den Einmischbedingungen und hydraulischen Verhältnissen im statischen Mischer der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ untersucht. Die Bedingungen für die Worst-Case-Situation während der zweiten Versuchsreihe an der Technikumsanlage im Vergleich zur desinfizierenden Wirkung von Ozon in der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ sind im Folgenden nochmals zusammengestellt: Wie beschrieben sind die Einmischbedingungen und hydraulischen Verhältnisse im Auffangtrichter der Technikumsanlage für den vorliegenden Fall einer versuchsbedingten Abschätzung zufrieden stellend, jedoch bei weitem nicht so optimal wie im Hauptmischer der Großanlage auf dem Sipplinger Berg. Auf Grund dessen kann darauf geschlossen werden, dass die zweite Versuchsreihe gegenüber der Großanlage Effektivitätsverluste in der Desinfektionswirkung mit sich bringt. Aus versuchstechnischen Gründen konnte bei den Untersuchungen an der Technikumsanlage am Probehahn 1 lediglich mit einer Ozonkonzentration von 0,6 mg/L und am Ablauf der Rieslerkolonne mit 0,4 mg/L gearbeitet werden. Dagegen liegt in der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ am Ablauf des Hauptmischers eine Ozonkonzentration in Höhe von 0,7 mg/L vor (Konstanthaltung über Stellgröße mittels Regel- und Steuertechnik). In der Großanlage auf dem Sipplinger Berg herrschen nach der Einleitung des Ozons in den Wasserstrom bis zum Ablauf des Hauptmischers partiell sehr hohe Ozonkonzentrationen mit einer entsprechenden Desinfektionswirkung. Diese bleibt in der zweiten Versuchsreihe unberücksichtigt. Die dem statischen Mischer nachgeschalteten Zwischenbehälter auf dem Sipplinger Berg weisen lange Verweilzeiten auf (mindestens zweieinhalb Stunden). Damit ergeben sich theoretisch sehr hohe ct-Werte, die eine entsprechend gesteigerte Desinfektionswirkung erwarten lassen. Trotz des beschriebenen Worst-Case-Szenarios zeigen auch die Ergebnisse der zweiten Versuchsreihe eine deutliche Wirkung des Ozons (Abbildung 6). Im Bereich zwischen Phagendosierung (Dosierstelle 2) und Probehahn 1 konnte bei einer Ozonkonzentration von 0,6 mg/L am Probehahn 1 ausgehend von 104 pfu/100 mL unmittelbar (t b 5 s) eine Reduktion der somatischen Coliphagen um drei LogStufen nachgewiesen werden. Im nachfolgenden Sammelbehälter unterhalb der Rieslerkolonne konnte bei einer Ozonkonzentration von 0,4 mg/L am Ablauf der Rieslerkolonne innerhalb der effektiven mittleren Verweilzeit des Sammelbehälters (t50 = 110 s) die Tendenz einer weiteren Verminderung der somatischen Coliphagen innerhalb einer Log-Stufe beobachtet werden. 5.2 Untersuchungen an Rohwasser und teilaufbereitetem Wasser Um Aussagen über die Wasserbeschaffenheit bezüglich Viren treffen zu können, werden bei der Bodensee-Wasserversorgung seit über drei Jahren zweimal wöchentlich Untersuchungen auf somatische Coliphagen durchgeführt. Hierbei werden kontinuierlich Daten auch während außergewöhnlichen Ereignissen und Belastungssituationen wie z. B. Starkregen, Sturm oder Hoch- und Niedrigwasser erhoben. Mit Paralleluntersuchungen der entsprechenden ozonierten Proben kann zusätzlich die Wirksamkeit der Desinfektionsstufe der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ bezüglich Viren überprüft werden. Für die Untersuchung von ozoniertem Wasser können an der Anlage „Sipplinger Berg“ an zwei Stellen Proben entnommen werden. Nach der Mikrosiebung und der Einlösung des Ozons wird das ozonte Wasser in zwei getrennte Zwischenbehälter geleitet und verbleibt dort für mindestens zweieinhalb Stunden. Währenddessen kann das Ozon einwirken und unverbrauchtes Ozon wird wieder zu Sauerstoff umgesetzt. Die Probenentnahmen des ozonierten Wassers erfolgen am Ablauf des jeweiligen Zwischenbehälters. Abbildung 7 gibt einen Überblick bezüglich somatischer Coliphagen im Bodenseewasser. Die dargestellten Untersuchungen erfolgten im Zeitraum zwischen Januar 2004 und April 2007. Zum Vergleich ist in Abbildung 8 der Parameter E. coli aufgeführt. Mittels diesem wird die Rohwasserbeschaffenheit im Untersuchungszeitraum deutlich. Der Nachweis somatischer Coliphagen liegt in einem Bereich zwischen null und 15 pfu in 50 bis 100 mL Bodenseewasser. In der Regel wurden somatische Coliphagen in 100 mL Bodenseewasser untersucht. Wie jedoch den Diagrammen entnommen werden kann, stiegen die Nachweise somatischer Coliphagen sowie von E. coli im Februar 2006 vermehrt an. Die zunehmenden Nachweise weiterer bakterieller Indikatoren im Bodenseewasser zu diesem Zeitpunkt ließen auf eine bevorstehende Durchmischung des Sees schließen. Während der warmen Jahreszeit ist die Schichtung im Bodensee stabil und somit das in 60 m Tiefe entnommene konstant 5 °C kal- Abb. 6: Inaktivierungsleistung von Ozon auf den Phagen ΦX174 (DSM-Nr. 4497) in Versuchsreihe 2, Mittelwerte mit Standardabweichung, logarithmische Skalierung Abb. 7: Untersuchungen des aus 60 m Tiefe entnommenen Bodenseewassers bzgl. somatischer Coliphagen 9 Bodensee-Wasserversorgung Wissensdurst · Juli 2008 und E. coli auf. Beide Parameter korrelieren mit der Schichtung bzw. Aufhebung der Schichtung im Bodensee. Somatische Coliphagen sowie E. coli zeigen Verunreinigungen mit Fäkalien an. Die statistische Auswertung der Untersuchungsergebnisse somatischer Coliphagen im Vergleich zu E. coli im Bodenseewasser ist in Tabelle 1 dargestellt. In 61,2 % der Untersuchungsergebnisse wurden weniger somatische Coliphagen als E. coli im Bodenseewasser nachgewiesen. In 8,8 % der Fälle konnten mehr somatische Coliphagen als E. coli gefunden werden. Der Nachweis somatischer Coliphagen ohne E. coli konnte in 5,3 % der Fälle geführt werden. Abb. 8: Untersuchungen des aus 60 m Tiefe entnommenen Bodenseewassers bzgl. Escherichia coli te Wasser nicht durch Verunreinigungen von der Wasseroberfläche beeinflusst. In den Wintermonaten kommt es durch die Abkühlung der Seeoberfläche zu einer Durchmischung/Zirkulation im See. So wird die Schichtung im See aufgehoben und es kommt zu einem Einfluss von Oberflächenwasser in der Tiefe des Sees. Auf Grund der höheren Belastung des Bodenseewassers wurde das Probevolumen der somatischen Coliphagen ab März 2006 bis zum Abfallen der Belastungssituation, d. h. bis Ende Mai 2006, reduziert. Dies liegt darin begründet, dass für den Nachweis somatischer Coliphagen die Methode ohne Antibiotikum (Nalidixinsäure) zur Unterdrückung einer bakteriellen Hintergrundflora angewandt wird. Mittels der Reduzierung des Probevolumens in Höhe von 100 mL um maximal 50 mL konnte eine eventuell auftretende Begleitflora im Probenansatz minimiert werden. Die Untersuchung somatischer Coliphagen in einem Probevolumen von mindestens 50 mL Bodenseewasser wurde ab Juni 2006 wieder auf ein Volumen von 100 mL umgestellt. Weiterhin kann Abbildung 7 entnommen werden, dass die höheren Nachweise somatischer Coliphagen im Bodenseewasser eher in der kalten Jahreszeit geführt werden können. In den Sommermonaten können somatische Coliphagen nur selten und nur in sehr geringer Anzahl nachgewiesen werden. Bei Betrachtung der Diagramme fällt auf den ersten Blick eine tendenzielle Korrelation zwischen somatischen Coliphagen 10 Betrachtet man die Proben, die eine fäkale Belastung anzeigen (somatische Coliphagen und/oder E. coli), muss die gesamte Probenanzahl (374) um die „fäkalfreien“ Untersuchungsergebnisse (80 Proben) reduziert werden. Dementsprechend ist in 93,2 % (274 von 294 Proben) der Untersuchungen von Bodenseewasser E. coli als geeigneter Fäkalindikator einzustufen. Die Tatsache, dass in 6,8 % der Fälle (20 Proben) somatische Coliphagen in Abwesenheit von E. coli nachweisbar waren, bestätigt die bessere Indikatorfunktion somatischer Coliphagen für eine potenzielle Belastung mit humanpathogenen, enteralen Viren. In den Paralleluntersuchungen, d. h. in den entsprechenden ozonierten Proben, konnte in keinem Fall ein Nachweis von somatischen Coliphagen oder E. coli (TTC-Verfahren) geführt werden (Untersuchungsvolumen je 100 mL). 6. Diskussion Die Ergebnisse beider Versuchsreihen zeigen eine sehr gute Desinfektionswirkung von Ozon gegenüber somatischen Coliphagen. Am Probehahn 1 wurden während der ersten Versuchsreihe vier Log-Stufen, während der zweiten Versuchsreihe drei Log-Stufen somatische Coliphagen bei einer Ozonkonzentration von 0,6 mg/L inaktiviert. Die Inaktivierungsdifferenz um eine Log-Stufe erklärt sich durch die Reaktionszeit und die Einmischbedingungen beider Versuchsreihen. Während der ersten Versuchsreihe wurden die somatischen Coliphagen vor, während der zweiten ≠ ≠ ≠ Tab. 1: Statistische Auswertung der Untersuchungsergebnisse somatischer Coliphagen in 50-100 ml Bodenseewasser im Vergleich zu E. coli in 100 ml Bodenseewasser (Colilert) im Untersuchungszeitraum von Januar 2004 bis April 2007 (n.n. = nicht nachweisbar). Versuchsreihe nach der Rieslerkolonne zudosiert. Dementsprechend haben die somatischen Coliphagen im Vergleich der ersten zur zweiten Versuchsreihe zusätzlich ca. 15-30 Sekunden Kontakt mit Ozon beim Passieren der Rieslerkolonne. Während dieser Zeit liegt das zu desinfizierende Wasser feinstverteilt vor. Es ist davon auszugehen, dass in dieser kurzen Zeit die somatischen Coliphagen sowohl Kontakt zu ozontem Wasser als auch zu Ozongas direkt haben. Zusätzlich sind die Einmischbedingungen und hydraulischen Verhältnisse in der Rieslerkolonne besser als die Bedingungen im Auffangtrichter während der zweiten Versuchsreihe. Dennoch konnte unter dem beschriebenen Worst-Case-Szenario der zweiten Versuchsreihe die genannte Inaktivierungsrate in Höhe von drei Log-Stufen in einer minimalen Reaktionszeit von t b 5 Sekunden erzielt werden. Betrachtet man vergleichend das statische Mischsystem der Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“, sind hier die Einmischbedingungen und hydraulischen Verhältnisse bei weitem besser als in der zweiten Versuchsreihe. Des Weiteren ist das statische Mischsystem der Rieslerkolonne bezüglich Totzonen und Kanalströmungen überlegen. Dies lässt den Schluss zu, dass auch die Ergebnisse der ersten Versuchsreihe als eine Art Worst-Case-Situation bezüglich der Ozonung auf dem Sipplinger Berg betrachtet werden können. Eine Aussage über die Desinfektionswirkung im Sammelbehälter während der ersten Versuchsreihe kann mit den ermittelten Werten nicht getroffen werden, da die somatischen Coliphagen schon am Probehahn 1 bis an die Nachweisgrenze reduziert wurden. Dementsprechend können bezüglich der Desinfektionsreaktion im Sammelbehälter Versuchsreihe 1 und 2 nicht miteinander verglichen werden. Die zweite Versuchsreihe zeigt eine weitere Verminderung der somatischen Coliphagen im Sammelbehälter innerhalb einer Log-Stufe. Diese verhältnismäßig geringe Inaktivierung (effektive mittlere Verweilzeit Sammelbehälter: t50 = 110 s, Ozonkonzentration am Behälterablauf: c = 0,4 mg/L) ist auf die Bindung der Coliphagen an Partikel zurückzuführen. Nach einer gewissen Reaktionszeit noch vorhandene somatische Coliphagen liegen vorwiegend partikulär (ein)gebunden vor. In diesem Zustand sind Viren gegen die Einwirkung von Desinfektionsmitteln besser geschützt. Viren sind natürlicherweise meist nicht frei suspendiert, sondern an Zellen oder andere Partikel adsorbiert oder spontan aggregiert. Weiterhin ist auf Grund der nur noch geringen Anzahl vorhandener somatischer Coliphagen (101 pfu/100 mL) auch davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit des Kontakts zwischen Virus und Ozon kleiner ist und somit die Wirkung des Ozons zusätzlich zur Partikel(ein)bindung der somatischen Coliphagen weniger effektiv ist. 7. Zusammenfassung und Schlussfolgerung Die Ergebnisse insbesondere der zweiten Versuchsreihe lassen sich im Vergleich zum statischen Mischsystem als Worst-Case-Situation auf die Aufbereitungsanlage „Sipplinger Berg“ übertragen. Die somatischen Coliphagen standen für die Versuche in einer eiweißhaltigen Nährbouillon zur Verfügung. Um möglichst realitätsnahe Vorgänge mit der Technikumsanlage abzubilden, wurde die Nährbouillon mit den somatischen Coliphagen in Bodenseewasser dosiert. Auf Grund der Nährbouillon stellen die Untersuchungen eine Art Belastungssituation dar. Die somatischen Coliphagen haben verstärkt die Möglichkeit, sich an Partikel zu binden, wie das bei Viren in natürlichen Gewässern vorkommt. Durch die Partikel(ein)bindung sind Viren besser vor Desinfektionsmaßnahmen geschützt, so dass die Verwendung somatischer Coliphagen in der Nährbouillon die desinfizierende Wirkung von Ozon im Vergleich zu „natürlichen“ Vorgängen annähernd abbildet. Weiterhin wurden die Versuche mit Phagenkonzentrationen durchgeführt, die in Dimensionen liegen, welche mit natürlich vorkommen11 Bodensee-Wasserversorgung Wissensdurst · Juli 2008 den Viruskontaminationen in abwasserbeeinflussten Oberflächengewässern tendenziell vergleichbar sind. Autoren dieses Artikels: Die bis dato untersuchten Rohwasserproben weisen in Bezug auf somatische Coliphagen Konzentrationen zwischen null und 15 pfu pro 50-100 mL Bodenseewasser auf. Diese Werte entsprechen der in der Literatur beschriebenen viralen Kontamination für Oberflächengewässer [3, 9]. Im teilaufbereiteten, ozonierten Bodenseewasser sind keine somatischen Coliphagen nachweisbar. Saskia P. Moser-Danhel (B. Eng.) Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung Telefon: 07551 - 83 32 60 Email: [email protected] Dr. med. vet. Jürgen Meyer Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung Telefon: 07551 - 83 32 30 Email: juergen. [email protected] Die erzielten Ergebnisse im halbtechnischen Maßstab, speziell der Versuchsreihe 2, erlauben eine Einschätzung der desinfizierenden Wirkung von Ozon bezüglich Viren im teilaufbereiteten Wasser der Bodensee-Wasserversorgung. Angesichts der geringen Belastung des Bodenseewassers und der beschriebenen guten Desinfektionswirkung von Ozon ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass somatische Coliphagen durch die Ozonung „Sipplinger Berg“ vollständig inaktiviert werden. Daraus kann auf die vollständige Inaktivierung humanpathogener, enteraler Viren geschlossen werden. Das in der Aufbereitungsanlage der Bodensee-Wasserversorgung verwirklichte Multibarrierenprinzip schützt das Trinkwasser sehr gut vor viralen Beeinträchtigungen. Es folgen der Ozonung noch zwei weitere virenwirksame Aufbereitungsschritte: die Schnellsandfiltration und die Chlorung. So handelt es sich bei den hier durchgeführten Untersuchungen nur um einen Schritt in einem Komplex von Aufbereitungsverfahren, die bei der Bodensee-Wasserversorgung angewendet werden. Bezüglich der Sandschnellfiltration sind Untersuchungen geplant, um Aussagen über die genaue Effizienz dieser Aufbereitungsstufe bezüglich Vireninaktivierung bzw. -eliminierung treffen zu können. Literatur [1] World Health Organization: Guidelines for Drinking-water quality. Third Edition, Volume 1, Recommendations (2004) Geneva. [2] Modrow, S., Falke, D., Truyen, U.: Molekulare Virologie. 2. 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López-Pila (Umweltbundesamt Berlin) für die Hilfestellung bei der Methodenoptimierung zum Nachweis somatischer Coliphagen gedankt. [6] Szewzyk, R., López-Pila, J. M., Feuerpfeil, I.: Entfernung von Viren bei der Trinkwasseraufbereitung – Möglichkeiten einer Risikoabschätzung. Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch- Gesundheitsschutz 49 (2006), S. 1059-1062. [7] Walter, R.: Allgemeine Grundlagen der Umweltvirologie. In: [18] Boccia, D., Eugenio, A. E., Cotter, B., Rizzo, C., Russo, T., Walter, R. (Hrsg.) Umweltvirologie, Viren in Wasser und Boden. Buttinelli, G., Caprioli, A., Luisa Marziano, M., Ruggeri, F. M.: 2000 Springer Verlag Wien. Waterborne outbreaks of Norwalk-like virus gastroenteritis at a tourist resort, Italy. Emerg Infect Dis. 8 (2002), S. 563-568. [8] Myrmel, M., Rimstad, E., Berg, E. M. M., Grinde, B.: Enteric viruses in inlet and outlet samples from sewage treatment plants. 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