TOTALES THEATER Der König verneigt sich und tötet nach Herta Müller Eine theatralische Intervention von Veronika Barnas und Markus Kupferblum Anna Hauf (Schauspiel, Gesang) Susanna Kellermayr (Schauspiel, Tanz) Bühne, Kostüme: Musik: Regie: Veronika Barnas Renald Deppe Martin Ptak Markus Kupferblum Spielort: Lentos, 4020 Linz Uraufführung: Weitere Vorstellung: 5.5. 2006, 20h 6.5. 2006, 20h Schellinggasse 5 1010 Wien Tel: +431710760 Email: [email protected] Bankverbindung: IBAN: AT082011131003100735 BIC: GIBAATWW Der König verneigt sich und tötet – eine theatralische Intervention In einer Rauminstallation von Veronika Barnas, einer „Subjektive Kartographie“, inszeniert Markus Kupferblum mit 2 Darstellerinnen und der Musik von Renald Deppe und Michael Bruckner eine theatralische Intervention, bei der die Sprachräume Herta Müllers lebendig werden, eine plastische Form annehmen und vom Publikum begehbar werden. Die Texte von Herta Müller, einer Schriftstellerin, der die Flucht aus Rumänien unter Ceausescu geglückt ist, bilden die Grundlage dieser Performance. Ihre subjektiven Sprachgebilde, mit der sich Veronika Barnas, die heuer an der Kunstuniversität Linz ihr Diplom machte, im Rahmen ihrer Donaureise am Schiff flagship europe (Abteilung raum&designstrategien, Kunstuniversität Linz) intensiv beschäftigte, bilden die Grundlagen für eine spartenübergreifende theatralische Installation. Die subtile Selbstbeobachtung und die Sprachanalyse von Herta Müller, die ja als Muttersprache Deutsch gelernt hat - aber ein Deutsch der Siebenbürgischen Enklave –, setzt Begrifflichkeiten „ihres“ Deutsch mit der deutschen Sprache Deutschlands entgegen und nimmt diese als Metapher der unterschiedlichen Lebenswelten und Erfahrungen. So wie es im Rumänischen z.B. kein Wort für „Wasserleiche“ gibt, was man im Verhör durch den Geheimdienst als utopisches Schlupfloch empfinden kann, ist wiederum nicht alles komisch, auf das man in Berlin „ist ja lustig“ sagt. Das Publikum wird in einen Raum geführt, der den Sprachwelten von Herta Müller entspricht. Obwohl es sich um einen kahlen weißen Raum handelt, der bereits starke Assoziationen zuläßt, spiegelt es doch die Innenwelten der Herta Müller wieder, so wie ein Kinosaal das „Innere des Kopfes des Filmemachers repräsentiert“ (Peter Kubelka). Veronika Barnas wird diesen Raum als Teil ihrer „Subjektiven Kartographie“ gestalten. 2 Darstellerinnen werden in der Inszenierung von Markus Kupferblum die äußere Welt und die empfundene Welt von Herta Müller mit einander konfrontieren. Sowohl die Texte, als auch das Sprachlose, das Schweigen und die Abwesenheit von Sprache werden als elementare Ausdrucksformen diese Performance bestimmen. Der Spielort wird der Veranstaltungssaal des Museums LENTOS sein. Dieser definiert den Raum als Durchgangsstation, Archiv, "Erinnerungslager", Aufbewahrungslager, Gepäckdepot, Zwischenlager, Umschlagplatz... dieser Raum kann in Ordnung oder in Unordnung sein, er ist länderneutral. Die Versatzstücke des Bühnenbildes werden recyclebare Materialien sein, Kisten, Karton, Schilder und Projektionen. Der Raum wird in Sektoren eingeteilt, in dem die verschiedenen Ebenen der Geschichte stattfinden, und denen sich das Publikum zuordnen kann. Veronika Barnas’ Subjektive Kartographie Nach einem Jahr Beschäftigung mit dem Thema Subjektive Kartographie, zu welchem auch schon zwei Arbeiten entstanden sind (innerer kompass; anderer karten), soll nun die Umsetzung von Herta Müllers Essayband „Der König verneigt sich und tötet“ als Bühnenstück folgen. Aus Herta Müllers Buch, das um ihre persönliche Geschichte kreist, ist die Konstruktion einer Subjektiven Kartographie zu lesen. Sie gibt Einblicke in die Welt, die sie mit sich herumträgt. Veronika Barnas Fragestellungen zur Subjektiven Kartographie waren und sind: Welche Strategien entstehen aus einer jedem Individuum eigenen Logik, welche sind nicht universell anwendbar und nicht für jeden anderen nachvollziehbar (was bei der klassischen Kartographie etwa angestrebt wird)? Welche Strategien wendet man an, um sich in der Komplexität des Lebens zu orientieren? Was sind die Orientierungspunkte/-systeme des Einzelnen, seine persönlichen Maßstäbe und Größen an denen er sich, seine persönliche Geschichte und seine Umgebung mißt? Wie verändern sich diese Punkte/-systeme im Laufe der Zeit? Was sind wann die Entscheidungskriterien des Einzelnen? Was ziehen Ortswechsel nach sich? Wie prägt die Umgebung und herrschende politische (Macht-) Verhältnisse den Menschen? Welche Bedeutung haben Orte und auch was zeichnet Orte jenseits der Geographie aus? Was macht Heimat aus? Wie durchdringen sich Räume und Zeiten? Was für eine Rolle spielt Zeit? Wie sind alle Räume und Zeiten miteinander vernetzt, und dadurch alles in alle Richtungen erweiterbar? Herta Müller gibt Einblicke in ihre Strategien und ihre Geschichte: in ihre „mental maps“ Aus ihren Erzählungen erschließt sich ihre eigene Kartographie. Kartographie ist ein Phänomen der subjektiven Raum- Wahrnehmung und der kartographischen Raum-Konstruktion - ein Leitmotiv von Barnas bisherigen Arbeiten. Es geht bei der Umsetzung dieses Themas nicht, wie sonst in der Kartographie üblich, um eine Vereinfachung und Kategorisierung von Gegebenheiten und Geschichte nach wissenschaftlichen und logischen Aspekten in einer möglichst leicht lesbaren Sprache, auch nicht um die Suche nach einer Möglichkeit einer allgemeinen Anwendbarkeit oder Aussage, sondern um das Aufzeigen und den Versuch des Darstellens der Komplexität einer Subjektiven Kartographie, die hauptsächlich jenseits der Geographie angesiedelt ist. Es ist die Auseinandersetzung mit individuellen Weltbildern und dem persönlichen Raum, der sich ständig verändert und doch immer wieder der gleiche bleibt, sich erweitert und schrumpft, mit den immer gleichen und immer wieder neuen Versatzstücken bestückt ist. In ihrer Arbeit versucht Veronika Barnas immer wieder, nicht faßbaren Räumen einen eigenen Ausdruck, eine Gestalt zu geben und Methoden zu finden, den architektonischen und auch wissenschaftlichen Raumbegriff zu durchbrechen indem sie ihm andere Möglichkeiten der Wahrnehmung und andere subjektive Wahrheiten entgegenstellt und so neue räumliche Dimensionen ergründet. Das Medium Theater mit seinen inhärenten unterschiedlichen Darstellungsebenen (Sprache, Raum, Bild...) ist dazu geeignet, die Vielschichtigkeit dieses Themas einem größeren Publikum erfahrbar zu machen. Themen für das Bühnenbild: Fremdsein im eigenen Land Fremdheit und Ortlosigkeit Sprechen - Schweigen Unzulänglichkeit der Sprache - gleichzeitiger Anker Bedrohliche - tröstende Natur/ Landschaft Durchdringung/ Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeiten („treffe meine Vergangenwart in der Gegenheit“) Verschiebungen, Ver-rückt, Macht - Ohnmacht, Bedrohung, Todessehnsucht, Angst und Bedrängnis, Gewalt und Verrat, ... 3 Räume/ 3 Zeiten: Kindheit – Land - Stadt: Asphalt, neue Sprache (Rumänisch), Verhöre, Dahlien Deutschland: „neues“ Deutsch lernen, neue Bedeutung/Gebrauch von Worten, Fremdheit der vertrauten Sprache Materialien zur Subjektiven Kartographie „Wirklich Geschehenes läßt sich niemals eins zu eins mit Worten fangen. Um es zu beschreiben, muß es auf Worte zugeschnitten und gänzlich neu erfunden werden." „Wenn die Umgebung nur das spricht, was man nicht kann, horcht man mit der ganzen Gegend auf die Sprache. Und wenn man lange genug bleibt, dann lernt die in der Gegend vorhandene Zeit die Sprache für einen." „Wenn es einen Ort wirklich gibt, dann streift er nur das Verlangen“ „Die literarischen Orte sind innere Orte, weg gehoben von der Geographie“ Zitate von Herta Müller „...Landschaften im Kopf kann man nicht vermessen....bestehen aus Bildern, Erinnerungen, Gerüchen....haben sich so eingeprägt, daß ihnen nicht einmal die Zeit, der sonst alles zum Opfer fällt, etwas anhaben kann....unauslöschlich....nicht an konkrete Orte gebunden... daß sie bloß Phantasie sind, heißt nicht, daß ihnen keine Wirklichkeit oder Wirksamkeit zukommt... sind die unauffälligsten Orientierungsmuster...Menschen sterben für eine idee fixe... .....die Welt die jeder mit sich herumträgt.... mental maps implizieren soviel Räume wie Sichtweisen.... sind im Grunde das Ende der Vorstellung von Raum, eine radikale Subjektivierung von Raumvorstellung.... ...wie viele Räume erträgt der Mensch ohne sich in ihnen zu verlieren, ohne sein Zentrum zu verlieren.... .... sich von der falschen Objektivität der Karte trennen... ...die Welt bleibt nach dem Durchgang nicht dieselbe.... Macht und Herrschaftsverhältnisse sind in mental maps verarbeitet, haben sich als Landschaft im Kopf „abgelagert“... der lange Atem des Imperiums weht nach.... ....der Begriff Heimat, der zur selbstständigen Größe meist immer nur dann wird wenn sie verloren ging.... ist vielleicht die intimste und zugleich am meisten der Öffentlichkeit zugängliche Erfahrung.... in ihr geht es um Details (Sofa, Katze...) Horizontbildungen sind mit gravierenden Erfahrungen verbunden...Landkarten im Kopf werden nicht nach Belieben erstellt.... es geht um Wesentliches, Entscheidendes und es muß Leidenschaft im Spiel gewesen sein....erratische Gedächtnislandschaften ... der Faden ist gerissen...der Jargon der Hilflosigkeit...Sprache der Sprachlosigkeit... frei zitiert aus „Im Raume lesen wir die Zeit“ Kap. mental maps, von Karl Schlögel Die literarische Vorlage Der König verneigt sich und tötet gibt das eindrucksvolle Bild einer Lebenserfahrung unter absoluter Herrschaft: In Rumänien erfuhr Herta Müller Sprache als Instrument der Unterdrückung, aber auch als Möglichkeit des Widerstands und der Selbstbehauptung gegenüber der totalitären Macht. Und dieses Sprachbewußtsein stellt sie neben Erinnerungen an die Kindheit in den Mittelpunkt ihrer poetischen und politischen Selbstbefragung. Im Collage-Verfahren erzählt sie ihre Biographie als die Geschichte ihres Lebens mit der Sprache. Hinein geboren ist sie in eine bäuerliche Umgebung, in der die Namen fest an die Dinge gebunden sind, Sprache steht unterm Generalverdacht der bloßen Verdopplung. Müller aber entdeckt, mit Schrecken, das "Niemandsland" zwischen Ding und Wort und tauft die Dinge um. „Oft werde ich gefragt, warum in meinen Texten so oft der König und so selten der Diktator vorkommt. Das Wort König klingt weich. Und oft werde ich gefragt, warum in meinen Texten so oft der Friseur vorkommt. Der Friseur mißt die Haare, und die Haare messen das Leben.“ Herta Müller Biographien Herta Müller, geboren 1953 in Nitzkydorf (dt. Dorf im Banat, Rumänien), Studium der Germanistik und Romanistik in Temesvar. Arbeitete als Übersetzerin und Lehrerin, Arbeits- und Publikationsverbot wegen ihrer Weigerung der Zusammenarbeit mit dem rumänischen Geheimdienst. Lebt seit 1987 in Deutschland, heute als freie Schriftstellerin in Berlin. Veronika Barnas, geb.1978 in Wien von 1999- 2001 Meisterklasse Metall, Prof. Helmuth Gsöllpointner, Kunstuniversität Linz ab 2001 raum&designstrategien, Prof. Elsa Prochazka, Kunstuniversität Linz Diplom 31. 1. 2006 Seit Februar 2006 Bühnenassistentin am Landestheater Linz beschäftigt sich in ihren Arbeiten hauptsächlich mit Phänomenen der RaumWahrnehmung/ Konstruktion Mitwirkung beim Stagedesign von "Hunt" von Franzobel, Regie Georg Schmiedleitner, Kohlgrube Bühnenbildassistentin am Linzer Landestheater Gründung des Totalen Theaters Linz www.veronikabarnas.net Susanna Kellermayr, geboren in Graz Schauspielausbildung an der Bruckner Privatuniversität in Linz, festes Engagement am Linzer Landestheater ab 2006. Martin Ptak, Posaune, Electronics studierte Posaune, Klavier und Komposition. Unter anderen arbeitete er mit Elliot Scharp, Bill Holman, Graham Collier, Christoph Cech und Renald Deppe zusammen. Er leitet das Takon Orchester; Nouvelle Cuisine Big Band; Quartett 'Spitzbergen'; Kompositionen für Janus Ensemble, Nouvelle Cuisine etc. Renald Deppe, geboren in Bochum Nach Studien an der Folkwangschule in Essen, arbeitet er als Musiker und Kurator in den meisten Europäischen Ländern, sowie in Südafrika, Korea, Japan und Südamerika. Er hat eine Professur an der Musikhochschule in Wien und der Bruckner Privatuniversität in Linz, wo er auch an zahlreichen Festivals und Kulturveranstaltungen teilnahm. Markus Kupferblum, geboren 1964 in Wien, Studium und Ausbildung in Wien, Paris, New York und Denpasar/Bali, arbeitet als freiberuflicher Regisseur Bisherige Arbeiten in Linz: Festival 4020, Hommage an Raoul Hausmann, Training der Cliniclowns, Regelmäßige Arbeit an der Bruckneruniversität, Mitarbeit am Linzer Landestheater, Inszenierung von „Volpone“, Stefan Zweig und „Das Maß der Dinge“, Neil LaBute www.kupferblum.com