Neurobiologische Grundlagen der Psychotherapie

Werbung
Neurobiologische
Grundlagen der
Psychotherapie
Marc-Andreas Edel
Fliedner Klinik Gevelsberg
Übersicht
1.  Psychotherapie ist ein komplexes System aus Gen-UmweltInteraktionen
§ 
Sie wirkt auf das Produkt aus genetischen Voraussetzungen und UmweltPrägungen eines Patienten ein
§ 
und verändert die Psyche und das Gehirn des Patienten (und Therapeuten)
2.  Psychotherapie (und Psychotherapeut) sollten sich
störungsbezogen auf individuelle Gen-Umwelt-Interaktionen
einstellen
Fliedner Klinik Gevelsberg
Gen-Umwelt-Interaktionen
determiniert
Genetik
Erleben und Verhalten
moduliert (epigenetisch)
Fliedner Klinik Gevelsberg
Komplexes System mit Gen-Umwelt-Interaktionen
(Störungsspezifität)
störungsspezifisch
Psychotherapie
Patient
(Gen-Umwelt-Interaktionen)
Fliedner Klinik Gevelsberg
Komplexe Interaktion aus Gen-Umwelt-Interaktionen
(Intersubjektivität)
individuell
Therapeut(in)
Patient
(Gen-Umwelt-Interaktionen)
(Gen-Umwelt-Interaktionen)
Fliedner Klinik Gevelsberg
Die neurowissenschaftliche Perspektive
Neurowissenschaftliche
FORSCHUNG
(psychische Vorgänge)
Gehirn + Psyche
Forscher
Fliedner Klinik Gevelsberg
GEHIRN
(Strukturen und
Funktionen)
Psychische Vorgänge
Proband, Patient
Die psychotherapeutische Perspektive
PSYCHOTHERAPIE
(psychische Vorgänge)
PSYCHISCHE
VORGÄNGE
Psyche + Gehirn
Gehirn
Therapeut
Patient
Fliedner Klinik Gevelsberg
Brauchen wir die neurowissenschaftliche Perspektive für die
Psychotherapie?
§ 
Nein, aber Hypothesen über ihr „Substrat“ (die Interaktion
zwischen Psyche und Gehirn)
Psychotherapie
Psychische Verarbeitung
Fliedner Klinik Gevelsberg
Gehirn
Brauchen wir die neurowissenschaftliche Perspektive für die
Psychotherapie?
§ 
Nein, aber Hypothesen über ihr „Substrat“ (die Interaktion
zwischen Psyche und Gehirn)
§ 
Wobei wir auf Ergebnisse der Grundlagenforschung
§ 
und überwiegend prä-post-Studien zu strukturellen (neurobiologischen) und
funktionellen (psychischen) Veränderungen bzw. deren Korrelation
angewiesen sind
Psychotherapie-Methode
Fliedner Klinik Gevelsberg
Neurobiologische
Psychische
Veränderung
Veränderung
Grundlagenforschung
(nach E. Kandel)
§ 
Alle psychischen Funktionen reflektieren Funktionen des Gehirns
§ 
Gene tragen entscheidend zu psychischen Funktionen bei und
somit auch zu psychischen Störungen
§ 
Verhalten(sänderung), auch durch Psychotherapie, kann Einfluss
auf Genexpression haben (epigenetische Mechanismen)
§ 
Neue Perspektiven auf eher erbliche und eher erworbene
psychische Störungen (Endophänotypen) sind dadurch möglich
§ 
Die durch Umwelterfahrungen bewirkte Genexpression kann
molekulare/strukturelle Veränderungen von Neuronen, Synapsen,
Projektionen und Netzwerken bewirken (Neuroplastizität)
§ 
Epigenetische Veränderungen können vererbt werden
Fliedner Klinik Gevelsberg
Formen der Psychotherapie
§ 
Klassische Psychotherapie (Lernen auf der Grundlage von
Bindung, gemäß der Hebbschen Regel: „what fires together,
wires together“)
§ 
kognitive und emotionale Lernprozesse
§ 
verstärkt durch die Erfahrung einer Vertrauensbeziehung
(Bindungssicherheit und Lernen am Modell)
„Food or Security“:
Experimente mit Rhesus-Affen
von H. Harlow
Fliedner Klinik Gevelsberg
Formen der Psychotherapie
§ 
§ 
Klassische Psychotherapie (Lernen auf der Grundlage von
Bindung, gemäß der Hebbschen Regel: „what fires together,
wires together“)
§ 
kognitive und emotionale Lernprozesse
§ 
verstärkt durch die Erfahrung einer Vertrauensbeziehung
(Bindungssicherheit und Lernen am Modell)
Feedbackverfahren (Lernvorgänge, bei denen (sprachliche)
Interaktion eine Nebenrolle spielt)
§ 
Biofeedback
§ 
Neurofeedback (EEG- oder fMRT-gestützt)
§ 
Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR: direkte Anregung
emotionalen Prozessierens und entsprechende Anpassung der Stimulation)
Fliedner Klinik Gevelsberg
Psychotherapeutisches Lernen
§ 
§ 
§ 
Innerhalb von 30 Minuten kann es durch Lernprozesse zu
strukturellen Veränderungen des Gehirns kommen
Komponenten des Lernens: Bindung/Sicherheit – Lernen am
Modell – Heuristik – Reflexion/Bestätigung – Anwendung/
Wiederholung
Psychotherapeutische Lernprozesse sind begrenzt durch
§ 
„Genetische Grundausstattung“ des Patienten und/oder Therapeuten
§ 
Konsolidierte Negativerfahrungen des Patienten und/oder Therapeuten
§ 
Mangelnde Positiverfahrungen des Patienten und/oder Therapeuten
§ 
Aktuelle Stresssituation (z. B. Hyperarousal durch Schlafmangel), in der sich
der Patient und/oder Therapeut befindet
§ 
Falsche Methodik (z. B. ausbleibende Exposition/Konfrontation bei Trauma)
§ 
Ungünstiger Kontext (z. B. kalter Raum/Unterbrechung durch Telefon)
Fliedner Klinik Gevelsberg
Psychotherapie und Gedächtnis
§ 
Psychotherapie wirkt (möglichst komplementär) auf explizite
und implizite Vorgänge und Gedächtnisinhalte
§ 
§ 
Vor allem verhaltenstherapeutisch auf explizite („bewusste“) Vorgänge
§ 
Wahrnehmungen, teilweise Kognitionen/Überzeugungen, teilweise Emotionen,
Intentionen, Handlungen
§ 
Deklaratives und Biografisches Gedächtnis
§ 
Vor allem verarbeitet in Thalamus, medialem Temporallappen/Hippocampus
und anderen Kortex-Regionen
Vor allem klärungsbezogen auf implizite („unbewusste“) Vorgänge
§ 
Teilweise Emotionen, teilweise Kognitionen/Überzeugungen, Konflikte, Motive
§ 
Emotionales/Körpergedächtnis, Prozedurales Gedächtnis, Priming
§ 
Vor allem verarbeitet in Amygdala, Striatum, Zerebellum und (medialem)
präfrontalen Kortex
Fliedner Klinik Gevelsberg
Pharmako- und Psychotherapie: Unterschiede und
Gemeinsamkeiten
Unterschiede
Gemeinsamkeiten
Pharmakotherapie
Psychotherapie
Wirkt eher auf Temperament/
Bottom-up-Prozesse
(„Hardware“)
Wirkt eher auf Charakter/Top-downProzesse („Software“)
Wirkt schnell, aber nicht
anhaltend
Wirkt langsam, aber anhaltend
Hinweise, dass teils die gleichen Regionen/Neurotransmitter-Systeme
beeinflusst werden (u. a. bei Angst, Zwang und Depression) è
komplementäre Effekte
Beispiele
Methylphenidat zur Herstellung von Lernfähigkeit in einer
Psychotherapie bei ADHS
d-Cycloserin zur Ermöglichung/Verstärkung von Extinktion bei Phobien
Psychoedukation zur Verbesserung der Akzeptanz, Adhärenz und
Wirksamkeit (Plazebo-Effekt) hinsichtlich Antipsychotika-Gabe
Fliedner Klinik Gevelsberg
Psycho-neurale Entwicklung im Kindes- und Jugendalter
(nach G. Roth)
System
Lebensalter
System
Störung
StressVerarbeitungssystem
Vorgeburtlich bis
erste Lebensjahre
Kortisol-System (CRHACTH-Kortisol)
Angst- und depressive Störungen
mit Hyper-, schwere
Persönlichkeitsstörungen mit
Hypokortisolismus
Internes
Beruhigungssystem
Vorgeburtlich bis
erste Lebensjahre
Serotonin-System (5HTT, MAO-A)
Angst, Depression, Zwang,
Aggression
Bindungssystem
1. bis 20.
Lebensjahr
Oxytozin-System
Bindungsstörung („mistrustful
inner working model“ – BPS u.a.)
Belohnungs- und
Motivationssystem
Erste Lebensjahre
Dopamin-System
Suchterkrankungen, ADHS
ImpulsregulationsSystem
1. bis 20.
Lebensjahr
Realitätssinn und
Risikomanagement
3. bis ca. 20.
Lebensjahr
Alle o. g. Systeme
V. a. Persönlichkeitsstörungen
Fliedner Klinik Gevelsberg
Die Entstehung psychischer Störungen:
Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Psychische
Störung
Stress
Vulnerabilität
Fliedner Klinik Gevelsberg
Auslöser: Akutes Trauma, Life
Events, aktuelle Konflikte
Genetische bzw. epigenetische
Bedingungen / frühe aversive
Erfahrungen
Erworbene Vulnerabilität hinsichtlich Affektregulation auf der
Grundlage neurobiologischer Bedingungen
§ 
Störungen der Selbstregulation v. a. durch Störungen des
zentralen Serotoninsystems und der HPA-Achse sowie des
endogenen Opioidsystems
§ 
Störungen der Beziehungsregulation v. a. durch Störungen der
Oxytozin-/Vasopressin-Systeme sowie des endogenen
Opioidsystems
Fliedner Klinik Gevelsberg
Neurobiologische Studien zur Wirksamkeit von
Psychotherapie
§ 
§ 
Relativ viele Prä-post-Studien zur Untersuchung der Wirksamkeit
bestimmter Therapie-Programme
§ 
SPECT, PET, (f)MRT, weniger auch elektrophysiologische Methoden
§ 
Effekte, die plausibel erscheinen, v. a. „Normalisierung“ abweichender
Aktivierungs-Muster
Kaum Studien zu einzelnen Vorgängen und Mechanismen oder
zur therapeutischen Beziehung
§ 
Problem der unterschiedlichen neurobiologischen Erfassungsmethoden (z.
B. unterschiedlich leistungsfähige Scanner)
§ 
Problem der unterschiedlichen psychotherapeutischen Definitionen (z. B.
„entspricht ein psychoanalytisches Übertragungsphänomen einem
schematherapeutischen Bewältigungs-Modus?“)
Fliedner Klinik Gevelsberg
Neurobiologische Studien bestätigen im Wesentlichen
psychische Grundbedürfnisse (nach K. Grawe)
1.  Selbstwert
2.  Selbstwirksamkeitserwartung (Orientierung, Kontrolle)
3.  Bindung
4.  Spaß, Lust, Freude / Unlust-Vermeidung
Fliedner Klinik Gevelsberg
Neurobiologische Studien bestätigen im Wesentlichen
psychotherapeutische Wirkfaktoren (nach K. Grawe)
1.  Therapeutische Beziehung (Bindungssystem)
2.  Ressourcenaktivierung (Belohnungs- und Motivationssystem)
3.  Problemaktualisierung (Internes Beruhigungssystem;
Impulsregulations-System; Realitätssinn und Risikomanagement)
4.  Motivationale Klärung (Belohnungs- und Motivationssystem;
Realitätssinn und Risikomanagement)
5.  Problembewältigung (Bindungssystem; Belohnungs- und
Motivationssystem)
Fliedner Klinik Gevelsberg
Exkurs: Achtsamkeit und Neuroplastizität
§ 
„Akzeptierende und bewertungsfreie Wahrnehmung im Hier
und Jetzt“ kann bewirken:
§ 
Mehr grauer Substanz im Hippocampus (bei Meditations-Erfahrenen)
§ 
Zunahme der Konzentration der grauen Substanz des linken
Hippocampus und im posterioren Zingulum, der temporo-parietalen
Übergangsregion und im Zerebellum (nach 8-wöchigem MBSR-Training –
Achtsamkeits-basierte Stress-Reduktion)
§ 
Abnahme der Neuronen-Dichte in der Amygdala (nach mehrwöchigem
Achtsamkeits-Training)
Fliedner Klinik Gevelsberg
Psychotherapie ohne Emotionsaktivierung ist oft bloß
„Unterricht“
§ 
Achten Sie auf Emotionsaktivierung in der Psychotherapie, wofür
Sie „Vertrauenskredit“ brauchen
§ 
Achten Sie darauf, wie Sie Patienten (auch nonverbal)
begegnen
Still Face Experiment
von E. Tronick
Fliedner Klinik Gevelsberg
Danke für Ihr
Interesse.
Fliedner Klinik Gevelsberg
Herunterladen