Beschrieb UNESCO-Welterbe Tektonikarena

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UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona
Eine Region von aussergewöhnlichem, universellem Wert
Thomas Buckingham
Simon Walker
Jürg Meyer
Harry Keel
07.06.2013, v3.0
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INHALTSVERZEICHNIS
DIE „MAGISCHE LINIE“ DER TEKTONIKARENA SARDONA
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Die Glarner Hauptüberschiebung – einzigartiges Naturphänomen
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TEKTONIKARENA SARDONA – WAS HEISST DAS?
Tektonik
Arena
Sardona
WARUM EIN WELTERBE?
UNESCO – Wächter des Friedens
Die Welterbe-Idee
Wie kam die Tektonikarena Sardona in die Welterbeliste?
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DAS WELTERBEGEBIET
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Situation und Lage
Und der Geopark Sardona?
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DAS RÄTSEL DER LOCHSITE
LOCHSITE
Die „verkehrte“ Gesteinsabfolge im UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona
GELEHRTE RINGEN UM ERKLÄRUNGEN
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Forscherstreit im 19. Jahrhundert und die Durchsetzung der Überschiebungshypothese 12
ZÄHE KLEINARBEIT TRÄGT FRÜCHTE
Die geologische Erforschung der Alpen und das heutige Bild des Alpengebäudes
DIE ERDMASCHINE – MOTOR DER GEBIRGSBILDUNG
Wie die Erde aufgebaut ist, wie sie funktioniert und warum es Gebirge gibt
HEBUNG UND ABTRAG
Das Auftriebsprinzip als eigentlicher Grund der Heraushebung von Gebirgen
DIE IMMER NOCH RÄTSELHAFTE LOCHSITE
Aktuelle Forschungen zum Mechanismus der Glarner Hauptüberschiebung
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DIE „MAGISCHE LINIE“
LINIE“ DER TEKTONIKARENA SARDONA
Die Glarner Hauptüberschiebung – einzigartiges Naturphänomen
Was ist diese messerscharfe Linie in der Tektonikarena Sardona im Grenzgebiet der drei
Kantone Glarus, St. Gallen und Graubünden, die sich an den steilen Bergflanken entlang
zieht. Eine geheime Militärstrasse? Ein exponierter Wanderweg? Nein, es handelt sich um ein
Naturphänomen. Die „magische Linie“ ist eigentlich der Schnitt einer Fläche mit der
Topographie, die sich domartig gewölbt durch die Berge zieht. Die Geologen nennen sie
„Glarner Hauptüberschiebung“. Sie steigt im Süden steil aus dem Rheintal hoch, erreicht
unter dem Piz Sardona ihre Scheitelhöhe und senkt sich dann weniger steil gegen Norden ab
– im Glarnerland ein letztes Mal sichtbar an der Lochsite am Eingang des Sernftals bei
Schwanden / Sool.
Abb. 1: Luftbild Ringelspitz mit der „magischen Linie“ der
Glarner Hauptüberschiebung.
Hauptüberschiebung.
Abb. 2: Luftbild Ringelspitz mit der nachgezeichneten Glarner
Hauptüberschiebung.
Hauptüberschiebung. Diese ist in Wirklichkeit eine Fläche!
Jeder kann erkennen, dass oberhalb dieser Fläche andere Gesteine liegen als unterhalb.
Darüber erkennt man dunkle, massige Gesteine, die ruppige Felswände bilden, etwa an den
Grauen Hörnern im Pizolgebiet, an den Tschingelhörnern, am Kärpf, am Foostock oder am
Ringelspitz. Unter der Fläche liegen weichere, häufig geschieferte Gesteine.
Heute wissen wir, dass es sich bei der „magischen Linie“ um eine Überschiebungsfläche
handelt, an der das obere Gesteinspaket bei der Bildung der Alpen über das untere geschoben
wurde, mindestens 40 Kilometer weit von Süden nach Norden. Solche Gesteinspakete werden
als „Decken“ bezeichnet. Die Alpen sind ein Deckengebirge, voll von derartigen
Deckenüberschiebungen. Aber nirgendwo in den Alpen ist eine solche Fläche dermassen klar
und dreidimensional im Gelände sichtbar wie in den Bergen zwischen St. Gallen, Glarus und
Graubünden – und sogar nirgendwo in der ganzen Welt!
Schon die ersten Alpengeologen waren fasziniert von diesem Naturphänomen. Sie wussten
jedoch noch nichts von der Verschiebung der Kontinente, die Ursache aller Gebirgsbildungen
ist. Eine Überschiebung von Gesteinspaketen derartigen Ausmasses lag ausserhalb ihrer
Vorstellungskraft. Sie versuchten andere Erklärungsmodelle. Nach einem epischen
Wissenschaftsstreit setzte sich aber die Erkenntnis der Deckenüberschiebungen durch – die
Beweislage in den Glarner Alpen war zu klar. Deshalb ist die Glarner Hauptüberschiebung
auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte.
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Was ist eine Überschiebung?
Überschiebungen sind ein wichtiger Mechanismus bei der Gebirgsbildung. Dabei zerbrechen
zer
ehemals
nebeneinander liegende Gesteinspakete durch enorme kompressive Kräfte und werden entlang einer
flachen Trennfläche aufeinander gestapelt. Diese Trennfläche bezeichnet man als Überschiebung. Die
Stapelung führt dazu, dass entlang der Überschiebungsfläche alte Gesteine direkt auf jüngere zu liegen
kommen.
Abb. 3: Schematisches
chematisches Blockdiagramm
einer Überschiebung
Die abgetrennten und überschobenen Gesteinspakete werden als Überschiebungsdecken oder einfach
nur Decken bezeichnet. Diese können mehrere Kilometer dick sein. Der Transportweg längs der
Überschiebungsfläche kann durchaus mehrere zehn Kilometer betragen.
Bei der Kollision von Kontinentalplatten entstehen viele solcher Überschiebungsbahnen. Die
Überschiebungsdecken zwischen den Bahnen werden ähnlich wie Schnee an der Front eines Pfluges
übereinander gestossen. Die Erdkruste wird durch die Ausbildung von Überschiebungen und Decken
einerseits stark verkürzt, anderseits aber auch verdickt.
Abb. 4: Schematische
Überschiebungsdecken mit Pflug
All diese Prozesse laufen tief in der Erdkruste ab. Der Überschiebungsprozess an der Glarner
Hauptüberschiebung erfolgte in rund 10-15
15 km Tiefe und dauerte mehrere Millionen Jahre. Erst durch
die stetige Hebung und der gleichzeitige Abtrag des Gebirges wurde die Überschiebungsbahn an der
Erdoberfläche sichtbar. Die Glarner Hauptüberschiebung ist heute nicht mehr aktiv – sie wurde durch
die Hebung „eingefroren“. Aber
ber neue Überschiebungsbahnen entstehen tief in der Erdkruste, ausgelöst
durch die andauernde Kollision von Afrika und Europa.
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Die Alpen – das Produkt einer Kontinentalkollision
Abb. 27: Dort, wo Kontinentalplatten
gegeneinander driften und miteinander
kollidieren, entstehen Deckengebirge wie die
Alpen oder der Himalaya. Die Alpen sind das
Resultat einer Kollision zwischen Europa und
Afrika und ein paar kleineren Platten
dazwischen.
dazwischen.
Die Kontinentalplatten prallten aufeinander (A(AC). Der Überschiebungsprozess über eine
Distanz von mehr als 40 km, bei einer
Geschwindigkeit von einigen Millimetern
Millimetern pro
Jahr, dauerte mehrere
mehrere Millionen Jahre. Dies
führt zu einer Verdickung der Kruste und
und
anschliessend zur Hebung des gesamten
Gebirgskörpers.
Die von Süden nach Norden gerichtete
Bewegung hält bis heute an (D). Die „Glarner
„Glarner
Hauptüberschiebung“
Hauptüberschiebung“ ist nicht mehr aktiv, aber
neue Überschiebungsbahnen entstehen tief in
der Erdkruste (D
Der Stern repräsentiert den Weg eines
heutzutage an der Oberfläche angetroffenen
Gesteins über die letzten 2020-40 Mio Jahre.
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Wissenschaftliche Vergleichsstudie
Die Beurteilung des “aussergewöhnlichen universellen Werts” (outstanding universal value OUV)
erfolgte durch die Strukturgeologen Prof. A. Pfiffner (Bern), Prof. St. Schmid (Basel) und Prof. M.
Burkhard († Neuchâtel) in einer Studie namens „Comparative Study on Thrust Faults“. Diese sehr
umfassende Studie zeigt einen Vergleich der bedeutendsten Überschiebungen weltweit. Beurteilt
wurden dabei die wissenschaftliche, landschaftliche, geomorphologische und pädagogische
Einzigartigkeit.
Im weltweiten Vergleich mit anderen Überschiebungen kristallisierte sich die Glarner
Hauptüberschiebung in sämtlichen Kriterien als weltweit einzigartig heraus. Diese Einschätzung wird
durch diverse international angesehene und unabhängige Experten sowie Schweizer Institutionen
geteilt, welche ihre Unterstützung bekundeten und den „aussergewöhnlichen universellen Wert“ der
Glarner Hauptüberschiebung unterstrichen bzw. bestätigten.
TEKTONIKARENA SARDONA – WAS HEISST DAS?
Tektonik
Tektonik ist ein Spezialgebiet der Geologie. Sie befasst sich mit dem Studium der Strukturen
der Erde, der Bewegungen in ihrem Innern und an der Erdoberfläche sowie der Mechanismen
und Kräfte welche diese Bewegungen antreiben.
Im Gebiet des UNESCO-Welterbes Tektonikarena Sardona bildet die Glarner
Hauptüberschiebung das prägende und zentrale tektonische Element. Daneben können im
Welterbe Sardona aber auch vielfältige andere tektonische Vorgänge wie Falten & Brüche in
den tief eingeschnittenen Tälern beobachtet werden.
Arena
An den Gipfeln rund um den Piz Sardona ist die Glarner Hauptüberschiebung in drei
Dimensionen sichtbar. An manchen Orten wie z.B. auf dem Fil de Cassons, auf dem Segnesoder dem Heidelpass hat man als Besucher daher das Gefühl, mitten in einer Arena zu
stehen.
Sardona
Der 3056 m hohe Piz Sardona – weder der eindrücklichste noch der höchste Gipfel der
Region – vereint drei Eigenschaften, die dazu führten, dass das knapp 330 km2 grosse
Welterbegebiet nach ihm getauft wurde: Er liegt in der Mitte des Gebietes und ist Grenzberg
zwischen den drei am Welterbe beteiligten Kantone Glarus, St. Gallen und Graubünden. Er
steht für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der drei Kantone und 13
Welterbegemeinden. Am Piz Sardona ist die Glarner Hauptüberschiebung rund um den
Gipfelaufbau herum von allen Seiten her sichtbar.
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Deshalb: Tektonikarena Sardona – das einzigartige Gebiet rund um den Piz Sardona, in
welchem Prozesse der Gebirgsbildung besonders schön sichtbar sind!
Abb. 5.1
5.1:
.1: Der Piz Sardona (3056 m) vorne links in einer Flugaufnahme von Norden aus gesehen. Er gibt dem
Welterbegebiet den Namen. Die Überschiebungsfläche ist klar erkennbar.
Abb. 5.2: Wiederum Piz Sardona (3056 m) im Vordergrund, hinten Ringelspitz. Die Überschiebungsfläche wurde
hier graphisch hinzumodelliert und zeigt deutlich derren Kuppelform.
Kuppelform. So sieht der Geologe im Felde die Glarner
Hauptüberschiebung.
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WARUM EIN WELTERBE?
UNESCO – Wächter des Friedens
Manche Dinge sind so wertvoll, dass die ganze Menschheit darüber wachen muss: einmalig
schöne Städte, Landschaften und Kulturgüter etwa. Und der Friede. «Da Kriege im Geist der
Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.» Das
ist die Leitidee der 1945 gegründeten UNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für
Bildung, Wissenschaft und Kultur. Ihr oberstes Ziel ist die Wahrung des Friedens.
Sie verwaltet auch das Welterbe der Menschheit bestehend aus Weltkultur- und
Weltnaturerbestätten.
Die Welterbe-Idee
1972 verabschiedete die UNESCO die Konvention zum Schutz des weltweiten Kultur- und
Naturerbes. Die Idee des Welterbes ist es, einzigartige Natur- und Kulturwerte in die Obhut
der gesamten Menschheit zu stellen und für kommende Generationen zu erhalten. Die
Schweiz unterzeichnete sie 1975. Zentrale Voraussetzung für ein Welterbe ist die weltweite
Einzigartigkeit, der so genannte „aussergewöhnliche universelle Wert“ (= outstanding
universal value OUV). Neben der Einzigartigkeit zeichnen sich UNESCO-Welterbestätten auch
durch die weiteren Kernwerte "Authentizität" (Echtheit) und "Integrität" (Unversehrtheit) aus.
Weltweit gibt es heute rund 725 Weltkulturerbe- und 180 Weltnaturerbestätten. In der
Schweiz bestehen derzeit acht UNESCO - Kultur- und drei Naturerbestätten (Stand 2011).
Wie kam die Tektonikarena Sardona in die Welterbeliste?
Die weltweit einzigartige Sichtbarkeit von Naturphänomenen der Gebirgsbildung, die
beispielhafte Erforschungsgeschichte sowie die andauernde Bedeutung für die geologische
Forschung waren für die UNESCO die Gründe, dem kantonsübergreifenden Gebiet 2008 die
Auszeichnung als Weltnaturerbe zu verleihen. Dies ist die höchste Auszeichnung, welche
einem Naturwert weltweit verliehen werden kann.
Die Tektonikarena Sardona befindet somit in der gleichen Liga wie etwa der Grand Canyon,
die Galapagosinseln, das Great Barrier Reef oder die Vulkaninseln von Hawaii! Eine
grossartige Auszeichnung – aber auch eine Verpflichtung für die drei beteiligten Kantone und
dreizehn Welterbe-Gemeinden, zu diesem Gebiet langfristig Sorge zu tragen. Daneben bietet
die Tektonikarena Sardona in einer ursprünglichen Landschaft eine ungewöhnlich grosse
Dichte an Naturwerten sowie Biotope und Geotope von nationaler Bedeutung.
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Abb. 6: Logo UNESCOUNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona
Das Logo der Tektonikarena Sardona ist in den Braunfarben der VerrucanoVerrucanoGesteine gehalten. Die Gebirgsskizze zeigt die Glarner Hauptüberschiebung in
Weiss, mit unterschiedlichen Gesteinen darüber und darunter. Im obersten
Teil ist das UNESCOUNESCO-WelterbeWelterbe-Logo dargestellt. Es verdeutlicht die
Wechselbeziehungen zwischen Kultur und Natur. Das zentrale Viereck
symbolisiert eine vom Menschen geschaffene Form, während der Kreis die
Natur darstellt. Beide Formen greifen eng ineinander. Das Emblem ist rund
wie die Erde,
Erde, zugleich aber auch ein Symbol des Schutzes.
DAS WELTERBEGEBIET
Situation und Lage
Das Gebiet des UNESCO-Welterbes Tektonikarena Sardona befindet sich im Grenzgebiet der
Kantone St. Gallen, Glarus und Graubünden. Es umfasst die Ringelspitz - Kette, das
Calfeisental, das Pizolgebiet, den Foostock und das südliche Weisstannental, die
Flumserberge, das südliche Murgtal und das südliche Kerenzerberggebiet, die Mürtschen Gruppe, das Mülibachtal und das nördliche Chrauchtal, die Tschingelhoren – Vorab – Gruppe,
die Piz Sardona – Piz Segnas - Gruppe und den Crap da Flem (Flimserstein). Der tiefste Punkt
befindet sich in Ennenda (GL) auf knapp 540 m ü. M., die höchste Erhebung ist der
Ringelspitz mit 3247 m ü. M.
Der Welterbeperimeter folgt vor allem topographischen Elementen wie Gewässern, Tälern,
Bergkreten, Waldgrenzen und Strassen. Oftmals ist er mit den Grenzen bestehender
Schutzgebiete identisch. Die gesamte Fläche des Gebietes erstreckt sich über mehr als 300
Quadratkilometer, verteilt auf die dreizehn Gemeinden Bad Ragaz, Flums, Mels, Pfäfers,
Quarten, Vilters-Wangs, Flims, Laax, Tamins, Trin, Glarus, Glarus Nord, Glarus Süd.
Und der Geopark Sardona?
Die Tektonikarena Sardona bildet das Kernstück des seit 1999 bestehenden Geoparks
Sardona. Dieser umschliesst das UNESCO-Welterbe von allen Seiten. Der Verein Geopark
Sardona leistete wichtige Aufbauarbeit bei der Kandidatur zum Welterbe.
Als Netzwerk vielfältiger GeoStätten bietet der Geopark Sardona eine optimale Ergänzung zum
Welterbe. Der Verein Geopark Sardona fördert und unterstützt Aktivitäten in den Bereichen
Geologie, Untertagbau, Bergbau und Gesteinsverarbeitung. Er setzt sich für die Stärkung des
Erlebnis- und Bildungstourismus, für den Ausbau von Forschungsstandorten und für die
Unterstützung von Betrieben im Bereich Steine und Erden ein.
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Abb. 7: Karte mit dem Perimeter des UNESCOUNESCO-Weltnaturerbe Tektonikarena Sardona (gelb) und des Geopark
Geopark
Sardona (grün). Die Nummern bezeichnen die GeoStätten des Geoparks Sardona.
DAS RÄTSEL DER LOCHSITE
Die „verkehrte“ Gesteinsabfolge im UNESCO-Welterbe Tektonikarena
Sardona
Kurz nach Schwanden, wo heute eine Passerelle über die Strasse führt, befindet sich einer
der berühmtesten Gesteinsaufschlüsse der Alpen. Ein unscheinbarer Abhang im Wald, eine
Felswand von 50 m Länge, 40 m hoch: Die Lochsite. Eine Art „heiliger Gral“ der
Alpengeologen. Hier kann das, was an der „magischen Linie“ hoch oben in den Bergen
sichtbar ist, bequem studiert werden: Die Glarner Hauptüberschiebung. Sie können den
Finger auf die Überschiebungsfläche legen.
Der Aufschluss ist den Geologen seit 200 Jahren bekannt. Erstmals beschrieben wurde er
vom berühmten Hans Conrad Escher von der Linth im Jahr 1807. Er stellte fest: Unten an der
Basis der Felswand steht ein schiefriges Gestein an. Darüber liegt mit einem Überhang ein
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wesentlich festeres und härteres, viel älteres Ablagerungsgestein, bestehend aus vielen
kleinen Gesteinsbruchstücken. Und dazwischen eingeklemmt eine Schicht von 30 – 50 cm
Dicke von kalkähnlichem Gestein, mit wilden Knet- und Faltenstrukturen Dieses tauften die
Geologen später „Lochsitenkalk“. Also eine ältere Ablagerung über einer jüngeren – da kann
doch etwas nicht stimmen? Wie, wann und warum wurde die Ablagerungsabfolge auf den
Kopf gestellt? Das Rätsel der Lochsite!
Abb. 8: AufschlussAufschluss-Skizze Lochsite
Skizze des Lochsitenaufschlusses von Arnold Heim, wie sie in
zahlreichen Publikationen und Exkursionsführern zu finden ist.
1 Flyschgesteine, verfaltet;
2 Lochsitenkalk unteres und oberes Segment;
3 Messerscharfe Fläche, jüngste Struktur (sogenanntes Septum);
4 VerrucanoVerrucano-Gestein, deformiert;
5 VerrucanoVerrucano-Gestein, kaum deformiert
Bald realisierten die Geologen, dass diese „verkehrte Abfolge“ überall in den Glarner Alpen an
der so gut sichtbaren „magischen Linie“ auftritt; gut zugänglich etwa am Foostock und am
Segnespass, bestens sichtbar an den Tschingelhörnern.
Abb. 9: Gesteine an der Glarner Hauptüberschiebung
Hauptüberschiebung:
auptüberschiebung: Altes Gestein liegt auf jüngerem.
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Seit der Zeit von Hans Conrad Escher von der Linth pilgern die Geologen an die Lochsite,
auch heute noch. Alle Geologiestudierenden der Schweiz besuchen mindestens einmal
während ihres Studiums die Lochsite. Es gibt nur wenige Aufschlüsse in der Schweiz, welche
für die geologische Forschung und das Verständnis der Alpenbildung ähnlich bedeutsam sind
– im renommierten
mierten „American Museum of Natural History“ in New York befindet sich eine
naturgetreue Nachbildung der Lochsite! Wir verstehen heute einiges, zum Beispiel wie die
verkehrte Abfolge zustande kam, doch noch immer gibt die Lochsite Rätsel auf.
Überlagerungsgesetz auf den Kopf gestellt
Zwei wichtige geologische Gesetze für Ablagerungsgesteine wurden um 1670 vom dänischen
Universalgelehrten Nicolaus Steno formuliert. Sie scheinen heute fast selbstverständlich, damals
bedeuteten sie einen grundlegenden
nden Fortschritt in Richtung moderne Geologie:
1. Ablagerungsgesteine werden horizontal abgelagert. Finden wir sie in anderer Lagerung (steilgestellt,
verfaltet, zerbrochen), so muss sich dazwischen ein tektonisches Ereignis abgespielt haben.
Abb. 10: Horizontale KalkKalk- und Mergelschichten am
Mürtschenstock.
Abb. 11: Schräg gestellte Kalksteine südlich Ringelspitz.
2. Die Ablagerung von Sedimentgesteinen folgt Schicht auf Schicht. Somit sind bei ungestörter
Schichtenfolge die oberen Schichten jünger als die unteren. Entlang der Glarner Hauptüberschiebung
ist das zweite Gesetz „auf den Kopf gestellt“ – und bereitete deshalb den Geologen damals viel
Kopfzerbrechen.
Abb. 12: Die ungestörte Schichtfolge in der Säntisdecke der
Churfirsten (untere bis mittlere Kreidezeit).
Abb. 13: Die verkehrte Abfolge an der Glarner
Hauptüberschiebung mit altem Verrucano über jüngerem
Lochsitenkalk und Flysch.
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Portrait: Hans Conrad Escher von der Linth
1767 – 1823
„Ohne Eschers Einfluss hätte die Schweiz heute ein
anderes Bild!“
Dieser grosse Zürcher Universalgelehrte, Abkömmling
einer wohlhabenden Zürcher Kaufmannsfamilie,
bekleidete verschiedene politische Ämter und
engagierte sich für die Wissenschaften.
Sein Hauptwerk war die Regulierung des Flusses Linth
– daher auch sein „Adelstitel“. Sein wissenschaftliches
Interesse lag vor allem bei der Geologie. Seine
Beobachtungen hielt er in den "Fragmenten über die
Naturgeschichte Helvetiens", und in über 900
gezeichneten und aquarellierten Gebirgsansichten und
Panoramen fest.
Abb. 14: Hans Conrad Escher von der Linth
H.C. Escher beschrieb vor 200 Jahren die „verkehrt“
liegende Gesteinsabfolge in den Glarner Bergen,
zweifelte aber an der Richtigkeit seiner Interpretation.
Damals waren die Möglichkeiten der relativen
Altersbestimmung noch nicht voll entwickelt. Er kann
deshalb als „Urvater“ des Weltnaturerbes Tektonikarena
Sardona gesehen werden.
GELEHRTE RINGEN UM ERKLÄRUNGEN
Forscherstreit im 19. Jahrhundert und die Durchsetzung der
Überschiebungshypothese
Die Erforschung der Glarner Hauptüberschiebung ist ein Paradebeispiel dafür, wie in den
Wissenschaften um Erklärungsmodelle gerungen wird.
Der grosse Universalgelehrte Hans Conrad Escher von der Linth vermutete um 1800, dass in
den Glarner Alpen die übliche Gesteinsabfolge „unten älter – oben jünger“ nicht stimmt. Er
zeigte dies dem bedeutenden deutschen Geologen Leopold von Buch, der die Beweislage vor
Ort bestritt und lieber die Gesteine anders interpretierte. Was nicht sein kann, darf nicht
sein...
Arnold Escher, der Sohn Hans Conrads und erster Geologie-Professor in Zürich, wies dann
eindeutig nach, dass in den Glarner Alpen älteres auf jüngerem Gestein liegt. Er dachte sogar
an eine „colossale Überschiebung“ – heute als einzig mögliche Erklärung anerkannt! 1848
führte Arnold Escher einen der damals bedeutendsten Geologen, Roderick Impey Murchison,
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in die Glarner Alpen. Murchison war verblüfft von den angetroffenen Lagerungsverhältnissen
und stimmte den Interpretationen Eschers zu. Doch dieser schreckte davor
vor zurück, dies zu
publizieren. Die
ie Folgen für das damalige geologische Weltbild wären zu dramatisch gewesen:
gewesen
„Kein Mensch würde es glauben, man hielte mich für einen Narren“.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kam die Kontraktions-Hypothese
Kontraktions Hypothese auf, gemäss der die Erde
infolge Abkühlung schrumpftt und dadurch die Schichten an der Oberfläche in Falten
geworfen werden („Schrumpfapfelmodell“). So entwarf
entwarf Escher nach verschiedenen früheren
Erklärungsversuchen für die Glarner Alpen ein kompliziertes Faltenmodell,
Faltenmodell, die „Glarner
Doppelfalte“. Dieses wurde von Eschers noch berühmterem Schüler, dem grossen
Alpengeologen Albert Heim, detailliert beschrieben und ausformuliert. Die Doppelfalte besteht
aus zwei liegenden Falten, eine von Norden und eine von Süden, welche sich lederbeutelartig
schliessen.
Abb. 15:
15: Die Doppelfalte nach Heim (1878, 1891) sieht ähnlich aus wie ein Lederbeutel (Quelle: http://arthttp://art-ofofcrafts.com)
crafts.com)
Gegen die Jahrhundertwende verdichteten sich die Indizien, dass es tatsächl
ta sächlich grosse
Überschiebungen gibt, und dass die Alpen in erster Linie ein DeckenDecken und nicht ein
Faltengebirge seien. Doch Heim verteidigte das Doppelfaltenmodell vehement, mit dem
ganzen Gewicht seiner akademischen Autorität – bis er einsehen musste, dass er Unrecht
hatte. Er nahm die neue Erklärung nicht nur an, sondern entwickelte sie begeistert weiter. In
seinem berühmten Standardwerk „Geologie der Alpen“ schrieb er 1921: „Wer noch an der
grossartigen Deckentektonik zweifelt, der möge sich zuerst die Lochsite
ite ansehen...“
14
Abb. 16:
16: Überschiebung nach Heim (1921).
(1921). GL= Glarner Hauptüberschiebung, Mü=die kleinere Mürtschen
Überschiebung
Durch die gute Begehbarkeit und deutliche Sichtbarkeit der geologischen Phänomene wurde
die Glarner Hauptüberschiebung zu einem bedeutenden Schlüsselgebiet der neuen
Deckentheorie. Seither haben viele weitere Geologen die Aufschlüsse rund um die Glarner
Hauptüberschiebung besucht und sich intensiv mit genauer Kartierung, Zusammensetzung
und Altersabfolge von Sedimentgesteinen sowie den lokalen Strukturen beschäftigt. Die
Glarner Alpen zählen diesbezüglich zu einem der am besten untersuchten Gebiete weltweit.
Die Erde als „Schrumpfapfel“ – altes geologisches Weltbild
Der Schrumpfapfel steht symbolisch für ein Erklärungsmodell der Erde, welches sich in der Mitte des
19. Jahrhunderts durchsetzte und sich bis in das 20. Jahrhundert hielt. Wissenschaftlich redet man
vom Kontraktionsmodell (auch AbkühlungsAbkühlungs oder Schrumpfungstheorie). Die Theorie wurde entwickelt,
um die großräumigen Abläufe in
n der Erdkruste zu erklären.
Die zentrale Idee dabei war, dass die Erde zu Beginn heiß und glutflüssig war und mit der Zeit
abkühlte. Dadurch schrumpfte der Erdkörper langsam - jedoch ungleichmäßig, weil nicht alle Bereiche
der Oberfläche und darunter liegende
ende Schichten gleich schnell erkalteten. Diese Unterschiede
erzeugten Spannungen an der Erdoberfläche und im Erdinneren, die zu Erdbeben, Rissen, Auffaltungen
und Absenkungen in der Erdkruste führten.
Viele Lehrbücher verglichen die Kontraktion der Erde mit
mit einem Apfel, der beim Austrocknen durch den
Wasserverlust im Innern Runzeln bildet.
15
Abb. 17:
17: Dreidimensional gedrucktes
Schrumpfapfel--Modell aus dem Besucherzentrum
Schrumpfapfel
Glarnerland, Standort Elm
Die seither gewonnen Erkenntnisse über das Innere der Erde und die Struktur und Gesteine der Gebirge
führten dazu, dass das „Schrumpfapfelmodell“ aufgegeben werden musste. Die Erde kühlt sich nur
äusserst langsam ab, weil in ihrem Inneren laufend weiter Wärme produziert wird. Heute wissen wir,
dass Gebirge durch die Drift der Erdplatten auf dem zähflüssigen Mantel entstehen (mehr dazu im
Kapitel „Die Erdmaschine – Motor der Gebirgsbildung“). Die Theorie der Plattentektonik legte
schliesslich den Zusammenhang zwischen grosstektonischen Bewegungen und den beobachteten
Überschiebungsphänomene dar und untermauerte somit die Deckentheorie.
16
Portrait: Albert Heim
1849 – 1937
„Wer noch an der grossartigen
Deckentektonik zweifelt, der möge sich
zuerst die Lochseite ansehen...“
Abb. 18: Albert Heim
Dieser aussergewöhnliche Forscher trug
enorm zur geologischen Erforschung der
Alpen bei. Die Glarner Geologie
beschäftigte ihn besonders und prägte
seinen wissenschaftlichen Werdegang
entscheidend. Er entwickelte die
Doppelfalten – Hypothese von A. Escher
weiter und verhalf ihr zu breiter
wissenschaftlicher Anerkennung. Dass
dieses Erklärungsmodell dann immer
stärker unter Beschuss kam und er
schlussendlich einsehen musste, dass es
nicht mehr haltbar ist, muss für eine derart
starke Persönlichkeit eine schwierige
Erfahrung gewesen sein. Dass Heim dann
die neue Deckentheorie sehr rasch und
begeistert aufnahm, ist ihm hoch
anzurechnen.
ZÄHE KLEINARBEIT TRÄGT FRÜCHTE
Die geologische Erforschung der Alpen und das heutige Bild des
Alpengebäudes
Stellen Sie sich einmal vor, was es brauchte, bis der „Steindoktor“ Jakob Oberholzer (1862 –
1939) seine geologische Karten der Glarner Alpen publizieren konnte: Im Prinzip mussten er
möglichst jeden Quadratmeter des Gebietes begehen und die dort auftretenden Gesteine
eintragen. Viele Jahre Feldarbeit, bei denen Abertausende von Höhenmetern zurückgelegt
wurden.
Was wir heute über die geologische Entstehung und den tektonischen Bau der Alpen wissen,
basiert auf einer ungeheuer zähen und aufwändigen Feldarbeit der Geologen der letzten 200
Jahre.
Mit der Feldaufnahme ist es nicht getan. Die Gesteine müssen beschrieben, analysiert und
miteinander in Bezug gesetzt werden, die vorgefundenen Bauverhältnisse (Tektonik)
interpretiert werden. Dies geschieht meist mit konstruierten Profilschnitten. Zahlreiche
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Tunnel- und Stollenbauten (Verkehr, Wasserkraftwerke) sowie Bohrungen haben das
geologische Bild der Alpen weiter verfeinert. Seit wenigen Jahrzehnten können die Geologen
auch grössere, unzugängliche Tiefen mit Hilfe der Seismik untersuchen.
So entstand nach und nach das moderne Bild vom Bau der Alpen, wie wir es heute haben:
Wir erkennen die ineinander verzahnten Ränder des europäischen und des afrikanischen
Kontinentalrandes, mit den Alpen als eine gigantische Knautschzone der Kollision dieser
beiden Kontinentplatten, die sich seit rund 100 Millionen Jahren abspielt. Ein höchst
kompliziertes Gebilde von übereinander geschobenen und teilweise dabei intensiv zerscherten
und verfalteten Gesteinsdecken.
Abb. 19:
19: Tektonisches Profil durch die ganzen Alpen: Tektonische Profile kann man sich vorstellen wie Schnitte mit einem
Messer durch eine Torte. Die Glarner Hauptüberschiebung ist markiert. Sie ist nur eine von unzähligen weiteren
Deckenüberschiebungen. In diesem Profil aus dem Jahre 2005 ist die minuziöse Arbeit hunderter Forscher aus 200 Jahren
zusammengefasst.
Der Begriff der „Alpenfaltung“ hält sich hartnäckig. Warum? Weil eben Gesteinsfalten gerade
für Laien sehr auffällig sind. Deckenüberschiebungen – mit Ausnahme der Glarner
Hauptüberschiebung! – sind jedoch oft nicht so offensichtlich und klar in der Landschaft
erkennbar. Die Alpen sind aber in erster Linie ein Deckengebirge, geprägt durch eine
Grosszahl von übereinander geschobenen Gesteinspaketen. Diese Decken können gigantische
Ausmasse annehmen und bis gegen 100 km weit überschoben sein. Falten bildeten sich im
Zuge dieser Deckenüberschiebungen als begleitende Phänomene.
Also: besser von Alpenbildung sprechen als von Alpenfaltung!
Auch die modernste Alpengeologie fängt immer wieder im Feld an. Jede noch so genaue
Labormessung, jedes noch so ausgetüftelte Computermodell muss vor den in der Natur
angetroffenen Beobachtungen bestehen können. Das ist das Schöne und Faszinierende am
Beruf des Geologen.
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Die Werkzeuge der Geologen
Für geologische Feldarbeit braucht es seit eh und je nur ein paar wenige Arbeitsinstrumente:
1 Feldgeologen identifizieren sich mit ihrem Hammer. Er begleitet sie häufig ein Leben lang.
2 Eine Lupe ist und bleibt ganz wichtig für eine korrekte Bestimmung und Beschreibung der Gesteine
im Feld.
3 Mit dem Geologenkompass kann der Geologe die Lage von geologischen Strukturen erfassen:
Schichtungs- und Schieferungsflächen, Faltenachsen, Brüche, Streckungslineationen etc. Neben der
Kompassnadel ist dazu eine Wasserwaage im Gerät notwendig, sowie ein Mechanismus zum Anlegen
des Kompasses an die Gesteinsstrukturen.
4 Das Feldbuch ist das Allerwichtigste für den Feldgeologen. Alle Beobachtungen werden darin
eingetragen, es werden Skizzen und Ansichten gezeichnet, die Gesteinsproben erfasst, Hyptothesen
und Fragen formuliert. Der Verlust eines fast vollen Feldbuchs ist die Horrorvorstellung für den
Geologen.
Abb. 2020-23:
23: Die wichtigsten Werkzeuge des Geologen
Heute bringen elektronische Geräte eine deutliche Vereinfachung und zusätzliche Möglichkeiten. Ein
Tablet PC oder Smartphone ist vieles in einem: Kartengrundlage mit genauer Ortsbestimmung via GPS,
Geologenkompass, Fotoapparat, Datenbank, Feldbuch. Neue Applikationen ermöglichen neuerdings
dreidimensionale Darstellungen geologischer Befunde, was für die Interpretation gewaltige Vorteile mit
sich bringt (Beispiele auf iPad). Nur den Hammer und die Lupe ersetzen solche Geräte noch nicht ...
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Jakob Oberholzer
1862 - 1939
„Der Umgang mit meinen Steinen und den
geologischen Problemen hat mich vielleicht den
Schülern und ihrer Psyche etwas zu stark
entfremdet.“
J. Oberholzer, Sohn von Bauern im Tösstal,
hatte seinen „Karrierestart“ als Verdingbub.
Aber er erarbeitete sich eine Ausbildung und
wurde ab 1887 in Glarus als Lehrer angestellt.
Seine Liebe galt den Naturwissenschaften und
schon bald konzentrierte er sich völlig auf die
Geologie der Glarner Alpen.
Der Autodidakt legte in seinen rund 40 Jahren
geologischer Feldarbeit die Grundlage für die
genaue Kenntnis der Glarner Geologie. Bei den
Sennen war er nur der „Steindoktor“. 1910
legte er die „Geologische Karte der Glarner
Alpen“ vor. Im Jahr 1917 wurde dem gebürtigen
Sekundarlehrer “in Anerkennung seiner
Abb. 24:
24: Jakob Oberholzer
hervorragenden Dienste um die geologische
Erforschung der Glarneralpen” der Ehrendoktortitel der Universität Zürich zugesprochen.1930
präsentierte er ein säuberlich handgeschriebenes Manuskript von 1000 Seiten zur „Geologie der
Glarner Alpen“, das 1933 publiziert wurde. Seine mitgelieferten Zeichnungen waren praktisch
druckfertig.
DIE ERDMASCHINE – MOTOR DER GEBIRGSBILDUNG
Wie die Erde aufgebaut ist, wie sie funktioniert und warum es Gebirge gibt
Warum wir in den Alpen von Bergen umgeben sind? Der Grund dafür ist im Eisen-NickelErdkern zu finden. Dort produzieren die Kristallisation geschmolzenen Eisens – ca. 1 Mio. kg
pro Sekunde! – sowie radioaktive Zerfallsreaktionen permanent gigantische Wärmemengen.
Diese Wärme strömt von unten in den zähflüssigen Erdmantel, die fast 3’000 km mächtige
Ummantelung des Erdkerns. Dessen Gesteine sind wegen der hohen Temperaturen von weit
über tausend Grad in einem plastischen Zustand. Die von unten zugeführte Kern-Wärme
erzeugt Konvektionsströme, mit denen die Wärme nach aussen geführt wird, vergleichbar mit
dem langsamen Brodeln der Gerstensuppe über der heissen Herdplatte. Nur dass die
Brodelströme im Erdmantel viel langsamer sind als im Kochtopf. Das plastische
Gesteinsmaterial fliesst mit etwa 10 – 20 cm pro Jahr.
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Die äusserste feste Gesteinsschicht der Erde, die nur rund 100 km mächtige „Lithosphäre“,
ist zerteilt in zwölf grosse und zahlreiche kleine Platten, die auf dem plastischen obersten
Erdmantel herumdriften, mit Geschwindigkeiten von 1 - 10 cm pro Jahr. Die Folgen liegen
auf der Hand: Es gibt Zonen, wo Platten auseinander driften, solche wo sie aneinander vorbei
schrammen und solche, wo sie sich aufeinander zu bewegen. Diese „Plattentektonik“ lässt
viele geologische
gische Phänomene auf der Erde schlüssig erklären. Und ist doch erst seit rund 50
Jahren allgemein anerkannt.
Abb. 25:
25: Schematischer Querschnitt durch die Erde: Komplexe Wärmeströmungen bringen die Hitze des Erdkerns unter
die festen Gesteinsplatten der Erdhü
lle. Die Erdplatten werden weniger von den Wärmekonvektionsströmungen
Erdhulle.
angetrieben, sondern vielmehr von den abtauchenden, kü
hleren und schwereren Platten in die Subduktionszonen
kuhleren
gezogen. Die subduzierten Lithosphärenplatten können bis hinunter zur MantelMantel-KernKern-Grenze sinken.
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Bis vor kurzem nahm man an, dass es im Erdmantel relativ regelmässige WärmeKonvektionszellen gibt, welche die Erdplatten bewegen. Die aufsteigenden Konvektionszellen
lägen unter den Mittelozeanischen Rücken, wo neue Lithospähre gebildet wird, indem BasaltKissenlava am Meeresboden austritt und Peridotit unten ankristallisiert. Heute weiss man
aufgrund von Messungen mit „Seismischer-Tomografie“, dass die Konvektionszellen
komplexer angelegt sind. Die Erdplatten werden weniger von den
Wärmekonvektionsströmungen angetrieben, sondern von den abtauchenden, kühleren und
schwereren Platten in die Subduktionszonen gezogen („slap-pull“-Hypothese). Neu ist auch
die Erkenntnis, dass die subduzierten Lithosphärenplatten bis hinunter zur Mantel-KernGrenze sinken können.
Eduard Kissling
* 1953
„Zum besseren Verständnis der Alpen
müssen wir sie auch von unten her
ansehen.“
In Anlehnung an die Computertomographie
in der Medizin wurde in den 80er Jahren die
seismische Tomographie entwickelt. Diese
Methode erlaubt eine dreidimensionale
Analyse von Tiefenstrukturen.
Eduard Kissling faszinieren die Alpen seit
seinen Bergtouren der Kindheit. Er schrieb
seine Doktorarbeit über Krustenaufbau und
Isostasie in der Schweiz an der ETHZ.
Danach wirkte er an der Entwicklung der
seismischen Tomographie mit und begann,
diese auf die Alpen anzuwenden. Heute ist er
Professor für Geophysik an der ETH Zürich.
Dank seinen Forschungen ergab sich ein
neues Bild des Alpenkörpers bis in einige
Hundert Kilometer Tiefe. Dies hat die
Interpretation seiner Entstehung stark
verändert und weiterentwickelt.
Abb. 26:
26: Eduard Kissling
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HEBUNG UND ABTRAG
Das Auftriebsprinzip als eigentlicher Grund der Heraushebung von Gebirgen
Kollidieren zwei Kontinentalmassen aufgrund der Plattendrift miteinander – wie vor rund 35
Millionen Jahren Afrika und Europa – dann wird in der Regel der Rand der einen Platte ein
Stück weit unter den Rand der andern gedrückt. Dabei werden Späne beider Plattenränder
sowie Reste des dazwischen einmal vorhandenen Ozeans abgeschert und übereinander
gestapelt – das sind die Gesteinsdecken, die später das Gebirge aufbauen werden. So
entstand auch die Glarner Hauptüberschiebung: Ein Stapel aus alten Verrucano-Gesteinen
wurde über viel jüngere Flysch-Gesteine geschoben. Alle diese Prozesse spielten sich noch
kilometertief im Untergrund ab, an der Oberfläche gab es allenfalls ein frühes Gebirge aus
Gesteinsschichten, die längst abgetragen sind.
Die zahlreichen Deckenüberschiebungen in der Tiefe führen zu einer Verdickung der Kruste in
der Kollisionszone. Dadurch entsteht eine höhere Last auf den beiden Lithosphärenplatten,
welche als Folge davon in den zähflüssigen Mantel gedrückt werden. Diese verdickte
„Krustenwuzel“ führt zur eigentlichen Heraushebung des Gebirges, gemäss dem
archimedischen Auftriebsprinzip: Je dicker der auf dem Erdmantel schwimmende Bereich,
desto tiefer sinkt die Krustenwurzel darin ein. Durch das Einsinken in den spezifisch
schwereren, zähflüssigen Erdmantel ergibt sich gleichzeitig eine Auftriebskraft.
Abb. 28:
28: (A) In der Kollisionszone verdickt sich die Kruste durch das Ausbilden von Überschiebungen. (B) Die verdickte
Krustenwurzel taucht unter der zusätzlichen Last ein Stück weit in den Erdmantel. (C) Durch das Einsinken entsteht eine
Auftriebskraft.
Auftriebskraft.
So begannen sich die Deckenstapel der Alpen vor rund 40 Millionen Jahren langsam zu
heben. Einmal aus dem Meer emporgehoben setzt sofort auch die Erosion ein, und es
entsteht ein Wettlauf zwischen Hebung und Abtragung.
Wie auch immer dieser Wettlauf verläuft: ein Gebirge kann nie „in den Himmel wachsen“,
weil es ab einer Höhe von einigen Tausend Metern auch unter dem eigenen Gewicht seitlich
auseinanderzugleiten beginnt. Solche Abgleitstörungen kann man auch in den Alpen finden.
Wir wissen, dass die Alpen nie wesentlich höher waren als heute.
In den letzten 2.6 Millionen Jahre schufen dann die immer wieder bis ins Mittelland
vorstossenden Eiszeitgletscher das Relief der Alpen, wie wir es heute kennen. Auch wenn
Verwitterung, Erosion und Abtragung unablässig an den Bergen der Alpen nagen, sie wachsen
auch heute immer noch etwas in die Höhe.
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Wachsen die Alpen?
Die Hebungsraten in den Alpen sind noch ein bisschen höher als die Abtragungsraten, wodurch das
Gebirge ganz leicht anwächst. Doch in geologisch gesehen naher Zukunft dürfte sich dies ändern und
in den Alpen ein Netto-Abtrag beginnen, welcher das Gebirge langsam einebnen wird.
Abb. 29:
29: Linien gleicher Hebungsraten in mm/Jahr zur heutigen Zeit, eingetragen auf ein Höhenrelief.
Die heutigen Hebungsraten
Hebungsraten liegen im Alpenraum zwischen 0,5 – 1,6 mm/Jahr. Die Verteilung ist
geprägt von markanten «Hochs» und «Tiefs». Die Gegend um Elm hebt sich mit rund 1 mm pro Jahr
an.(alle
an.(alle Angaben brutto, ohne Erosion)
Abb. 30:
30: Abtragungsraten, ermittelt aus Abflussmessungen von Alpenflüssen für ihr Einzugsgebiet. Sie
schwanken von 0,15 bis über 0,5 mm pro Jahr Abtrag.
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Adrian Pfiffner
* 1947
„Es gibt keine Überschiebung ohne
Falten.“
A. Pfiffner, Geologieprofessor an der Uni
Bern seit 1987, ist der Doyen der
Tektonikarena Sardona. Er war
Hauptautor des Eingabedossiers bei der
UNESCO und ist Präsident des
wissenschaftlichen Beirats der
Tektonikarena Sardona. Er forscht über
den Bau der Alpen und die Prozesse der
Gebirgsbildung, besonders über die
Zusammenhänge zwischen Falten und
Überschiebungen. Ihm verdanken wir die
aktuellen tektonischen Profile der Glarner
Alpen und eine Strukturkarte der
gesamten helvetischen Zone.
A. Pfiffner trug entscheidend zur
seismischen Erforschung der Alpen bei,
dank der wir wesentlich mehr über die
tieferen Strukturen der Alpen wissen.
Heute beschäftigt ihn die nach wie vor
andauernde Gebirgsbildung, sowie die
Gesteinsverformung im atomaren Bereich,
etwa am Beispiel des Lochsitenkalks.
Abb. 31:
31: Adrian Pfiffner
DIE IMMER NOCH RÄTSELHAFTE
RÄTSELHAFTE LOCHSITE
Aktuelle Forschungen zum Mechanismus der Glarner Hauptüberschiebung
Dass es sich bei der „magischen Linie“ der Tektonikarena Sardona um eine
Deckenüberschiebung handelt, darf man heute als bestens untermauerte wissenschaftliche
Tatsache betrachten.
Eine Zeitlang schien damit alles klar. Doch wie so oft in den Wissenschaften stellen die
jungen Generationen neue Fragen, sind neugierig, sehen mehr Fragezeichen als Klarheiten.
So auch bei der Glarner Hauptüberschiebung.
Die heutigen Fragestellungen kreisen um die Mechanismen dieser gewaltigen
Deckenüberschiebung. Wie ist so etwas mechanisch überhaupt möglich? Welche
Verformungsarten spielten sich ab? Welche Rolle spielten Tiefengrundwässer? In welchen
Zeiträumen und wie rasch erfolgten die Bewegungen? Und was ist der Lochsitenkalk wirklich
– ein echter Kalkstein, ein durch die Überschiebung gebildetes Gestein oder beides?
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Auch nach 200 Jahren geologischer Forschung bleiben die Glarner Alpen ein aktuelles Thema
für die modernen Geowissenschaften – mit ein Grund für die Anerkennung als UNESCOWeltnaturerbe!
Joseph Mullis
* 1945
Verrucano--Gesteine wurden wie auf
„Die Verrucano
einem Luftkissen aus Methan,
Flysch-Kohlendioxid und Wasser über die Flysch
und Kalkgesteine geschoben.“
J. Mullis, Professor an der Uni Basel,
untersucht mikroskopisch kleine FluidEinschlüsse in Mineralien. Diese liefern
Informationen über Drücke, Temperaturen
und Zusammensetzungen von
Tiefengrundwässern bei geologischen
Prozessen. Dank seinen Forschungen wissen
wir heute mehr über die alpine
Gesteinsmetamorphose und die Rolle von
Tiefenwässern bei der Gesteinsverformung.
Abb. 32
32: Josef Mullis
Er wies nach, dass unter der Glarner
Hauptüberschiebung viel Methan unter sehr
hohem Druck lag, welches an der Basis des
Verrucano zu Kohlendioxid umgewandelt
wurde. Dies führte dazu, dass Kalkzement im
darunter liegenden Flysch aufgelöst und an
der Überschiebungsfläche als Lochsitenkalk
ausgefällt wurde.
Der Lochsitenkalk – „Schmiermittel“ der Glarner Hauptüberschiebung?
Unter Bedingungen an der Erdoberfläche reagieren die allermeisten Gesteine auf Verformungen durch
sprödes Brechen. In grösserer Tiefe von mehr als einigen Kilometern, wo die Drücke mehr als 1000 bar
betragen und die Temperaturen über 230 °C liegen, beginnen Kalkgesteine sich plastisch zu
verformen. Die Glarner Hauptüberschiebung bildete sich in rund 10-15 km Tiefe bei Temperaturen um
230-340 °C. Unter diesen Bedingungen können durch Umkristallisationen und
Kristallgitterverschiebungen auf atomarer Ebene Gesteine förmlich zerfliessen.
Sind Gesteine nicht völlig trocken? Unsere Intuition täuscht: Ohne Wasser läuft in Gesteinen fast gar
nichts. Auch in vielen Kilometern Tiefe sind Tiefengrundwässer vorhanden, die sich aufgrund der hohen
Temperaturen und Drücke als „Fluide“ verhalten und mit den Gesteinen in mannigfacher Weise
interagieren. Fluide können die plastische Gesteinsverformung stark beeinflussen: Je mehr Fluide,
desto leichter geht die Verformung vonstatten. Die Untersuchung von Fluideinschlüssen in Gesteinen
und Mineralien liefert wichtige Informationen über Vorgänge in der Tiefe.
26
Abb. 33:
berschiebung. Dieses Gestein gibt der
33: Geschliffene Gesteinsprobe des berühmten
berü mten Lochsitenkalks an der Glarner Hauptü
Hauptuberschiebung.
Forschung auch heute noch Rätsel auf. Um seine Entstehung wird wissenschaftlich gestritten. Die Rolle von Tiefengrundwässern
(Fluids) dü
rfte entscheidend gewesen sein.
durfte
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