Oberfläche und Ereignis Komponieren ist das ästhetisch sinnfällige

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Oberfläche und Ereignis
Komponieren ist das ästhetisch sinnfällige Gestalten vergehender Zeit. Damit aber Zeit
überhaupt als etwas Form- und Gestaltbares wahrnehmbar wird und ihr Vergehen einer
einzigartigen ästhetischen Erfahrung gleichkommen kann, muss sie sich materialisieren, muss ihr
ein Körper gegeben, ein Volumen zugemessen werden. In der Musik Hèctor Parras vollzieht sich
diese Verkörperung mit technischer Avanciertheit und struktureller Konsequenz. Zugleich gibt
das klingende Phänomen in mancherlei Hinsicht Auskunft von der Affinität des Komponisten zur
bildenden Kunst: In Karst –Chroma II (2006) für großes Orchester steht am Beginn ein dichter,
homogener Anfangsklang, der im weiteren Verlauf des Stückes zunehmend aufgelöst,
ausgewaschen wird, ähnlich der titelgebenden Felsformation. An seine Stelle tritt sukzessive eine
Folge rhythmisch und klanglich dissoziierter Abschnitte, die, formal eher additiv angelegt, in
Extrembereiche instrumentalen Ausdrucks vorstoßen.
Die Vorstellung, die hinter einer solchen „géomorphologie acoustique“ steht, ist eine genuin
plastische: Das musikalische Material behauen wie einen Stein, das frappierende, individuell
geformte Detail aus einem opaken Grund hervormeißeln – dieser Maxime folgt Hèctor Parras
Musik auch dort, wo sie sich nicht explizit von geologischen oder bildnerischen Metaphern leiten
lässt. Seine 2009 uraufgeführte Kammersymphonie Nr. 3, Sirrt die Sekunde, inszeniert das
Verhältnis zwischen klingend präsenter Oberfläche und einer sie durchbrechenden Epiphanie
des Augenblicks im Anschluss an die Dichtung Paul Celans. Dabei beruht die Entwicklung des
Stücks auf der zeitlichen Ausdifferenzierung sowohl der einzelnen Stimmverläufe als auch der
sie bestimmenden instrumentalen Timbres: Klang, verstanden als komplexe, mehrere Parameter
umgreifende Kategorie, dient hier nicht nur der Einkleidung eines abstrakten Tonsatzes, sondern
ist in sich selbst vielgestaltig und fluktuierend. Eine solche potenzierte Polyphonie der
Klangfarben
prägt
auch
Form
und
Dramaturgie
von
Hèctor
Parras
bislang
wohl
ambitioniertestem Projekt, der Kammeroper Hypermusic Prologue (2009) für zwei Sänger, acht
Instrumentalisten
und
Elektronik
auf
ein
Libretto
der
Physikerin
Lisa
Randall.
Der
kompositorische Zugriff auf unterschiedliche Handlungsebenen, das Agieren in einer
mehrdimensionalen „Raum-Zeit“ mögen dabei aktuelle Entwürfe der theoretischen Physik
reflektieren; darüber hinaus aber geschieht hier und in der Musik Hèctor Parras generell, was
Kunst in ihrem Kern ausmacht: Sie lässt die sinnliche Fülle der verstreichenden Gegenwart
erfahrbar werden.
Markus Böggemann
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