Der folgende Text stellt einen Auszug aus einer interdisziplinären Facharbeit dar. Das dazu gehörende Musikstück kann momentan leider noch nicht gehört werden. Markus Krusche „Es ist Zeit, dass es Zeit wird“ – Interpretation und Vertonung des Gedichts Corona von Paul Celan PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 3 Inhaltsverzeichnis: 1 Einleitung ................................................................................................. 3 2 Der Lyriker Paul Celan ............................................................................ 4 2.1 Biographische Hintergründe .................................................................... 4 2.2 Die Celansche Dichtung im Spannungsfeld von Hermetik und Engagement ............................................................................................. 8 3 Interpretation des Gedichts „Corona“ ..................................................... 11 4 Musikalische Umsetzung ......................................................................... 18 5 Schluss ...................................................................................................... 28 Literaturverzeichnis .................................................................................. 30 Anhang ................................................................................................................. 32 Notentext (Partitur) PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 4 1 Einleitung „Das Gedicht ist einsam. Es ist einsam und unterwegs. Wer es schreibt, bleibt ihm mitgegeben. Aber steht das Gedicht nicht gerade dadurch, also schon hier, in der Begegnung – im Geheimnis der Begegnung? Das Gedicht will zu einem Anderen, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Es sucht es auf, es spricht sich ihm zu.“1 Paul Celan Die Lyrik Paul Celans scheint sich dem Leser in ihren dunklen Bildern und Chiffren, in ihrer Verschlossenheit seltsam zu entziehen, als sträube sie sich förmlich gegen das Verstandenwerden, als zöge sie sich bewusst in eine nur schwer zu durchdringende Dunkelheit zurück, um die ihr eingeschriebene Botschaft zu verbergen und im Geheimen und Rätselhaften zu bleiben. Celans Gedichte sind keine Texte, die sich dem flüchtig Lesenden, der nur an oberflächlichem „Kunstgenuss“ interessiert ist, öffnen, sie fordern vielmehr eine tiefgehende Beschäftigung mit und ein Sich-Einlassen auf das Gedicht. Dies bedeutete für Celan selbst vor allem das intensive, „eintauchende“ Lesen2, das sich nicht durch die anfängliche Hilflosigkeit angesichts der scheinbaren Kryptik oder gar Unverständlichkeit des Textes entmutigen oder abschrecken lässt, sondern immer tiefer in die Welt der Chiffren und Symbole eindringt und sich auf diese Weise dem Gedicht und damit auch dem Dichter nähert. Darüber hinaus ist es für das Verständnis Celanscher Lyrik unverzichtbar, sich mit dem zeit- und kulturgeschichtlichen Hintergrund sowie mit der Biographie des Dichters auseinanderzusetzen, sich mit den dem Gedicht eingeschriebenen „Daten“, wie Celan es ausdrückte, vertraut zu machen. Nur dann erschließen sich die zahlreichen, verschlungenen, oftmals scheinbar gegensätzlichen Bedeutungsebenen der außergewöhnlichen Sprachkunst dieses Dichters, das Dunkel lichtet sich und es kann zur „Begegnung“ mit dem „einsamen“ Gedicht kommen, das „unterwegs“, auf der Suche ist zu einem Anderen, einem Gegenüber (dem aufmerksamen Leser), dem es sich zuschreiben kann. 1 Paul Celan: Der Meridian. In: Paul Celan. Gesammelte Werke in fünf Bänden. Bd. II/III. Hrsg. von Beda Allemann und Stefan Reichert unter Mitwirkung von Rudolf Bücher. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983, Bd. III, S. 198. 2 Von seinem Biographen Israel Chalfen um eine Verständnishilfe zu einem „schwierigen“ Gedicht gebeten, antwortete Celan: „Lesen Sie! Immerzu lesen, das Verständnis kommt von selbst.“ (zit. nach Wolfgang Emmerich: Paul Celan. Reinbek: Rowohlt 1999, S. 12.) PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 5 Die vorliegende Arbeit strebt eine solche „Begegnung“ mit dem Gedicht „Corona“ aus Paul Celans erstem Gedichtband Mohn und Gedächtnis an. Es soll versucht werden, sich dem Text und damit auch dem ihm mitgegebenen Dichter zu nähern, Licht ins Dunkel der zahlreichen Chiffren und Symbole zu bringen und das Gedicht damit aus seiner Einsamkeit zu befreien. Aus dem „Geheimnis der Begegnung“ entsteht hierbei auch eine eigene künstlerische Reaktion, der Versuch, Celans Gedicht in Musik zu übertragen, musikalische Entsprechungen zu suchen für die Motive, Bilder, Farben und Chiffren des Textes und so eine Art „Klangsprache“ zu schaffen, die in der Vereinigung von Wort und Ton ein intensives, unmittelbares Erleben des Gedichtes ermöglicht. Im Folgenden sollen zunächst kurz die biographischen Hintergründe sowie allgemein charakteristische Züge des Celanschen Dichtens dargestellt werden, als Grundlage für die anschließende Interpretation des Gedichts „Corona“, aus der sich die Komposition, die musikalische Umsetzung entwickelt. 2 Der Lyriker Paul Celan 2.1 Biographische Hintergründe „Du liegst hinaus über dich, über dich hinaus liegt dein Schicksal.“ Paul Celan3 Paul Antschel (so Celans ursprünglicher Familienname) wurde am 23. November 1920 in Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina, als Sohn deutsch-jüdischer Eltern geboren. Für seine Entwicklung als Persönlichkeit und v.a. als Dichter spielte diese Herkunft eine wichtige Rolle, war doch in der Bukowina, damals ein deutschsprachiger Teil des Königreiches Rumänien, eine Symbiose von deutscher und jüdischer Kultur gelungen, die ihren Ausdruck in einer florierenden, überaus lebendigen Kulturlandschaft fand. Insbesondere die Hauptstadt Czernowitz war eine im wahrsten Sinne des Wortes multikulturelle Stadt, in der vier Sprachen (deutsch, 3 Paul Celan: Zeitgehöft. In: Gesammelte Werke, Bd. III, S. 73. PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 6 rumänisch, ukrainisch und jiddisch) gesprochen wurden und in der es eine Vielzahl von Dichtern und Schriftstellern verschiedener Nationalitäten gab, die „viersprachig verbrüderte / Lieder“ sangen, wie die Czernowitzer Lyrikerin Rose Ausländer, eine Freundin Antschels, in einem Gedicht schreibt 4. Während der junge Paul zu seinem Vater Leo ein eher schwieriges Verhältnis hatte, bedingt durch dessen autoritäres Gebahren und seine strenggläubige, jüdischorthodoxe Weltanschauung, verband ihn mit der Mutter Friederike eine tiefe Liebe, der Biograf Israel Chalfen spricht von einer „intensiven Mutterbindung“ des jungen Mannes, „in der sein ganzes Gefühlsleben aufging“5. Diese Dominanz der Mutter bringt über mehrere Jahre eine Verdrängung des Sexuellen aus dem Gefühlsleben Antschels mit sich, der, wie Wolfgang Emmerich in seiner Celan-Monografie schreibt, über längere Zeit „beträchtlich darin gehemmt“ war, „erotisch erfüllte Beziehungen einzugehen“6. Diese enge Bindung wurde jedoch auf brutale Weise auseinandergerissen: Im Juni 1942 wurden Leo und Friederike Antschel von den Nationalsozialisten deportiert, der 22-jährige Paul, der sich in einem Fabrikgebäude versteckt gehalten hatte, seine Eltern aber nicht dazu hatte überreden können, sich ihm anzuschließen, sollte sie nie wieder sehen. Im Herbst ‘42 erhielt der mittlerweile im Arbeitslager Internierte den letzten Brief seiner Mutter aus dem Konzentrationslager Michailowka, der unter anderem die Nachricht vom Tode des Vaters beinhaltete. Im folgenden Winter ‘42/‘43 wurde die Mutter durch Genickschuss umgebracht. Das Trauma des Verlustes der Eltern bedeutete für Antschel eine tiefe Prägung, eine sein Leben wie auch sein lyrisches Werk gleich einem blutroten Faden durchziehende Belastung, verbunden mit extremen Schuldgefühlen und dem Unverständnis, warum ausgerechnet er überlebt hatte, als das jüdische Volk und namentlich die deutsch-jüdische Kulturlandschaft der Bukowina vernichtet wurden: Hier hatte er ja die fruchtbare Symbiose von deutscher und jüdischer Kultur erleben können, so dass es ihn nun um so härter treffen musste, die Vernichtung der jüdischen Tradition und des gesamten jüdischen Volkes durch die Deutschen zu erleben. Antschel war in eine bis an sein Lebensende nicht aufhebbare existentielle Ausweglosigkeit geraten7: Wie konnte er als Jude nach dem Grauen des Holocaust 4 Zit. nach Emmerich, S. 20. Zit. nach Emmerich, S. 34. 6 Emmerich, S. 35. 7 Vgl. Emmerich, S. 55. 5 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 7 noch Gedichte in deutscher Sprache schreiben, in einer Sprache, die für ihn neben der Vertrautheit der Muttersprache nun auch den tödlichen Beigeschmack der „Mördersprache“ in sich trug? Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Bukarest, während dem er seinen Familiennamen Ancel (die rumänisierte Form von Antschel) in das Anagramm Celan änderte und unter diesem Namen fortan seine Gedichte veröffentlichte, übersiedelte der aufstrebende Lyriker, der es zwischenzeitlich auch ernsthaft in Erwägung gezogen hatte, seine Gedichte in rumänischer Sprache zu verfassen, im Winter ‘47/‘48 nach Wien, um trotz aller Entfremdung von Deutschland in deutscher Sprache zu schreiben und auch im deutschen Sprachraum am kulturellen Leben teilzunehmen. Hier traf er nun in einem Kreis junger Literaten um den Mentor Hans Weigel auf Ingeborg Bachmann, mit der ihn eine ebenso intensive wie schwierige Liebesbeziehung verbinden sollte. Emmerich spricht in seiner Celan-Monographie von einer „dilemmatischen Liebe“8, waren die beiden doch derart unterschiedlich geprägt von den Geschehnissen des vergangenen Krieges, sie, die Nicht-Jüdin, die als Österreicherin sogar Staatsbürgerin des Großdeutschen Reiches gewesen war, er als jemand, dem seine Eltern, seine Herkunft, seine Wurzeln entrissen worden waren, „ein wirklich Exilierter und Verlorener“, wie Bachmann selbst schreibt9. So konnte die herkunftsbedingte Fremdheit der beiden leicht zu einer Entfremdung werden, die wohl letztendlich zum Scheitern der Beziehung führte. 1948 ging Celan nach Paris, da in Österreich die Nazivergangenheit noch immer allzu gegenwärtig war, er deshalb trotz enger Freundschaften in Wien nicht heimisch werden konnte und stattdessen für den Rest seines Lebens die Sprachfremde Frankreichs wählte: Er flüchtete vor Deutschland, vor den Deutschen und vor allem vor dem Deutschen als Alltagssprache, das er in dieser instrumentellen, alltäglichen Verwendung nicht ertrug, weil es zu sehr an die „Mördersprache“ der Nationalsozialisten erinnerte. In Paris befand er sich nun aber in der völligen Fremde, zunächst völlig allein, schlug sich „als Fabrikarbeiter, Dolmetscher und Übersetzer durch“10, setzte seine noch in der Heimat begonnenen Studien der Germanistik und allgemeinen Sprachwissenschaft an der Universität fort und bewegte sich in studentischen Kreisen. Nach einem zweiten Versuch einer 8 Emmerich, S. 76. Zit. nach Emmerich, S. 76. 10 Hans Weigel, zit. nach Emmerich, S. 83. 9 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 8 Liebesbeziehung zu Ingeborg Bachmann, die ihn in Paris besuchte, aber wenig später in der Erkenntnis der Unmöglichkeit dieser Liebe nach Wien zurückkehrte, lernte er im November 1951 die Malerin und Graphikerin Gisèle de Lestrange kennen, die er ein Jahr später heiraten sollte und mit der ihn bis an sein Lebensende, sogar über die Trennung 1967 hinaus, eine tiefe Zuneigung und sehr enge Beziehung verband, die auch künstlerisch sehr inspirierend war. Auf Drängen von Ingeborg Bachmann und anderen wurde Celan im Mai 1952 zu einer Tagung der Gruppe 47 eingeladen, die ihm auf schmerzliche Weise die Kluft bewusst machte zwischen ihm und den deutschen Autoren dieses Kreises, die im nationalsozialistischen Deutschland gelebt und von der Erfahrung der aktiven Kriegsteilnahme als Soldaten der deutschen Wehrmacht tief geprägt waren. Sein surrealistisch-poetischer Stil rief bei diesen Neorealisten nur Unverständnis bis hin zu höhnischem Spott hervor, sein pathetischer Vortagston erinnerte ein Mitglied der Gruppe gar an Goebbels11, wodurch sich Celan in höchstem Maße „be-fremd-et“ und angefeindet fühlen musste. Andererseits führte diese Lesung aber in der Folge endlich zur Veröffentlichung seines ersten Gedichtbandes Mohn und Gedächtnis in Deuschland und legte damit den Grundstein für Celans Entwicklung zu einem der bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegslyrik. In einem Leben voller Freundschaften, literarischer Korrespondenzen und heilendem Schreiben blieb für Paul Celan dennoch die schreckliche Vergangenheit und v.a. das Gefühl der Schuld, selbst überlebt zu haben, sowie damit in Verbindung die Sehnsucht nach Vereinigung mit den Opfern des Holocaust stets gegenwärtig. Ende der sechziger Jahre scheint ihn die Unauflöslichkeit seines Lebenstraumas mit derartiger Vehemenz übermannt zu haben, dass er sich nach immer wieder auftretenden stark depressiven Phasen im Frühjahr 1970 das Leben nahm. 2.2 Die Celansche Dichtung im Spannungsfeld von Hermetik und Engagement 11 Vgl. Emmerich, S. 93. PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 9 Der Holocaust, die Vernichtung des jüdischen Volkes und insbesondere natürlich die Ermordung seiner Eltern waren traumatische Erfahrungen, die nicht nur das Leben Paul Celans geprägt haben, sondern auch in seinen Werken geradezu allgegenwärtig sind. Wolfgang Emmerich spricht von drei „Momenten“, die dem Leser Celanscher Lyrik immer wieder begegnen, die „den bleibenden Akut von Celans Leben und Schreiben bilden“: Die anhaltende Trauer um den Verlust v.a. der geliebten Mutter, das Gefühl der Schuld, selbst überlebt zu haben, als ein ganzes Volk vernichtet wurde, und die Sehnsucht nach der „Vereinigung mit allen Juden der Welt, den toten wie den lebendigen.“12 Somit ist Celans Schreibweise eng verknüpft mit seiner Biographie, Leben und Schreiben bilden eine Einheit, seine Gedicht „sprechen“, wie er selbst sagt, „unter dem Neigungswinkel seines Daseins, dem Neigungswinkel seiner Kreatürlichkeit“, sie sind die „gestaltgewordene Sprache eines Einzelnen“ 13. Nach Theodor W. Adornos bekanntem Diktum ist es „nach Auschwitz [...] unmöglich“ geworden, „Gedichte zu schreiben“14, und Celan stimmte ihm insofern zu, als er es als unmöglich ansah, „Auschwitz aus der Nachtigallen- oder Singdrossel-Perspektive zu betrachten oder zu berichten.“15. Er war sich der Unmöglichkeit bewusst, in spätromantisch-poetischer Manier dem unbegreiflichen Grauen gerecht zu werden, das sich auf diese Weise ebenso wenig fassen lässt wie durch bloßes nüchternes Abbilden. Dass es jedoch sehr wohl möglich ist, Gedichte zu schreiben nach Auschwitz, das bezeugt Paul Celans Werk in exemplarischer Weise. Doch können diese Gedichte selbstverständlich keine solchen im traditionellen Sinne mehr sein, sie können sich auch nicht der Sprache in ihrer althergebrachten Form bedienen, denn all dies kann der neuen Dimension von Wirklichkeit, den ungeahnten Ausmaßen des Grauens des Holocaust nicht gerecht werden. Hierin ist der Grund dafür zu sehen, dass Celan sich, mehr als es dichterische Sprache auch schon vorher getan hat, von der „normalen“ Alltagssprache abwendet, der Grund dafür, dass er in Chiffren schreibt, die 12 Emmerich, S. 11. Celan: Der Meridian. In: Gesammelte Werke, Bd. III, S. 197. 14 Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft. In: Prismen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1955, S. 31. 15 Zit. nach Axel Gellhaus: Die Polarisierung von Poesie und Kunst bei Paul Celan. In: Celan-Jahrbuch 6 (1995), S. 55. 13 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 10 Bedeutung verschlüsselt, sich in Symbolen und Bildern ausdrückt, die zunächst völlig unverständlich erscheinen, weil sie ein „Wortmaterial“ verwenden, das „untauglich zu sein scheint zur Benennung aktueller bzw. alltäglicher Erfahrungen“16. Erkenntnistheoretisch liegt hier die Annahme zu Grunde, „daß die überkommenen Sprachformen der angemessenen Wahrnehmung aktueller Wirklichkeit hinderlich sein können; daß sie sich wie ein Schleier über das Wahrzunehmende legen und damit das erkennende Subjekt von der Welt entfremden.“17 Die neue Schreibweise Celans stellt „den Versuch dar, der Sprache ihre Wahrheit, ihre Angemessenheit an die Erfahrung von Wirklichkeit wiederzugeben.“18 Es zeigt sich hier auch das fundamentale Problem Celans, nämlich die eigentliche Unmöglichkeit, als Jude nach der Erfahrung des Holocaust ein deutscher Dichter zu sein, in einer Sprache zu schreiben, die die eines Volkes ist, das den Tod seiner Eltern und die Vernichtung „seines“ Volkes zu verantworten hat. Ein instrumenteller Gebrauch insbesondere der deutschen Sprache ist für ihn im künstlerischen, poetischen Sinne unmöglich geworden durch die Verwendung des Deutschen durch die Nationalsozialisten („Mördersprache“). Durch die deutschjüdische Vergangenheit befindet er sich „auf einer anderen Raum- und Zeitebene“ als sein Leser, dieser kann ihn deshalb immer nur „entfernt“ verstehen, er kann ihn nicht „in den Griff bekommen, immer greift er nur die Gitterstäbe“ zwischen Leser und Dichter19. Dennoch ist seine Poesie keine reine, absolute Kunst, die sich, wie die Texte Stefan Georges etwa, in einen Elfenbeinturm zurückzieht, sich von der Realität lossagt im Sinne einer „poésie pure“. Nichts lag Celan ferner als dieser elitäre Kunstbegriff, er wollte verstanden werden, sind seine Gedichte doch häufig dialogisch angelegt, sie sprechen ein „Du“ an, sie suchen ein Anderes, dem sie „begegnen“, dem sie sich „zuschreiben“ können. Gegen die Rezeption seiner Gedichte als hermetische oder gar kryptische Lyrik wandte er sich in der Folge der Veröffentlichung ausgewählter Gedichte 1968 ganz entschieden: „Mein letztes Buch wird überall für verschlüsselt gehalten. Glauben Sie mir – jedes Wort ist mit direktem Wirklichkeitsbezug geschrieben. Aber nein, das wollen und wollen sie nicht verstehen.“20 16 Marlies Janz: Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans. Frankfurt a.M.: Syndikat 1976, S. 10. 17 Ebd., S. 14. 18 Ebd., S. 15. 19 Celan zit. nach Emmerich, S. 8. 20 Zit. nach Emmerich, S. 11. PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 11 Celan gelingt die scheinbar paradoxe Zusammenführung von ästhetischem Absolutismus und gesellschaftlichem Engagement21, seine Gedichte lösen sich zwar von der empirischen Realität - das ausdrücklich Gesagte erhält oft bei genauerer Betrachtung einen völlig anderen Sinn als es zunächst beim ersten Lesen scheinen mag -, doch trotzdem bleiben sie immer auf einen realen Hintergrund bezogen. Dabei ist die reale Welt nicht der einzige Bezugspunkt in Paul Celans Werk, eine zweite „Wirklichkeit“ bildet für ihn, der auch intensiv als Übersetzer tätig war und daher über enorme Textkenntnisse verfügte, die Literatur. Typisch ist für seine Gedichte deshalb die Intertextualität, also das Korrespondieren mit Texten anderer Autoren der Vergangenheit und v.a. der Gegenwart, seine Gedichte enthalten zahlreiche, sich oft nur dem äußerst Belesenen erschließende Anspielungen an Schriftsteller, Künstler und Denker, mit denen er sich verbunden fühlte. Neben Ossip Mandelstamm, Franz Kafka, Friedrich Hölderlin oder Vincent van Gogh ist an dieser Stelle vor allem Ingeborg Bachmann zu nennen, mit der Celan einen regelrechten Dialog in Gedichten führte, wovon gerade der Gedichtband Mohn und Gedächtnis in beispielloser Weise Zeugnis ablegt. Der Ausgangspunkt der Celanschen Dichtung ist und bleibt das Trauma des Holocaust, doch „reagiert“ seine Lyrik auch auf aktuelle politische und gesellschaftliche Geschehnisse wie die Studentenbewegung und den Prager Frühling 1968, den Vietnamkrieg, oder die Bombenangriffe auf Nagasaki und Hiroshima. Immer will sie für und mit den Verfolgten, Unterdrückten und Verachteten sprechen: „Mit den Verfolgten in spätem, un- / verschwiegenem, / strahlendem / Bund.“22 Paul Celan gebraucht Sprache nie primär instrumentell, als Mittel der Verständigung, er will die Wirklichkeit nicht beschreiben, weil sie sich nicht einfach beschreiben lässt. Völlig falsch wäre es aber, seiner Dichtung deshalb politisches Interesse und Engagement abzusprechen. Celans Kunstkonzeption ist eine, die das Kunstwerk zwar als ein absolutes sieht, „das sich selbst nicht zum Instrument für anderes macht“, es aber trotzdem als „Parteinahme für diejenigen versteht, denen das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, im äußersten Fall auch die physische Existenz verweigert worden ist und noch immer wird.“23 Die Sprache Paul Celans erschöpft sich nicht in ihrer Zeichenfunktion, sie transportiert nicht lediglich Bedeutungen, sondern „dient“ einem Gedicht, das auf seinem Recht, „für sich selbst 21 Vgl. Janz, S. 7. Paul Celan: Atemwende. In: Gesammelte Werke, Bd. II, S. 25. 23 Janz, S. 11. 22 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 12 und nicht für anderes zu sein“, beharrt und damit ein „Reich der Freiheit meint, das gesellschaftlich noch erst zu verwirklichen wäre.“24 Könnte ein solcher gesellschaftlicher Zustand der Freiheit und Humanität eines Tages herbeigeführt werden, so verlöre diese radikal kritische Art von Dichtung ihre Berechtigung und es entstünde eine neue Kunstform, die dem Preislied einer Menschheit entspräche, „die zur Übereinstimmung mit sich selbst gelangt.“25 Paul Celan ergreift in seinen Texten nie vordergründig politisch Position, aber er hält der Realität oft vor, was ihr fehlt. Marlies Janz spricht in diesem Sinne von der „Janusköpfigkeit“ Celanscher Dichtung, die darin besteht, dass Texte Celans sich oft gleichzeitig „auf die bestehende Wirklichkeit wie auf deren utopisches Gegenbild“ beziehen26. Das absolute Gedicht Paul Celans, das sich nicht zum Mittel für anderes macht, will durch die eigenen Sprachformen einen Zustand darstellen und poetisch „realisieren“, der eben durch die Verweigerung des Gedichts, fremden Zwecken zu dienen, als Antizipation einer Gesellschaft erscheint, in der „der Einzelne nicht bloß für anderes oder andere da wäre, sondern sich seinen eigenen Zwecken gemäß entfalten könnte.“27 3 Interpretation des Gedichts „Corona“ Das Gedicht „Corona“ stammt aus Paul Celans erstem Gedichtband Mohn und Gedächtnis, der seine Entwicklung zu einem der bedeutendsten deutschen Nachkriegslyriker begründete. Der Titel des Bandes ist ein Zitat aus einem Vers in „Corona“, der auf die Liebesbeziehung zu Ingeborg Bachmann anspielt (vgl. unten S. 15). Dass Celan diesen Vers als Titel des gesamten Gedichtbandes wählte, weist einerseits auf die zahlreichen Bezüge zu Ingeborg Bachmann hin, die in vielen Gedichten dieses Bandes zu finden sind, andererseits unterstreicht dieser Titel die besondere Stellung von „Corona“ in der Gesamtkonzeption der Zusammenstellung: Zwischen der programmatischen Todesfuge und dem drastischen Gedicht Spät und tief platziert, zweier Gedichte, denen ein stark negativer Tenor eigen ist, stellt 24 Ebd. Vgl. Janz, S. 11-12. 26 Janz, S. 15. 27 Ebd. 25 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 13 „Corona“ eine Art Ausgleich dar, eröffnet doch dieses Gedicht eine positive, wesentlich hoffnungsvollere Perspektive. Am Anfang des Gedichtes „Corona“ steht eine symbolische Versöhnung mit dem Herbst: Der Herbst, der im Werk Paul Celans meist stark negativ besetzt ist und als Chiffre für den Tod der Eltern zu sehen ist (denn im Herbst 1942 hatte der junge Lyriker ja den letzten Brief seiner Mutter aus dem Konzentrationslager Michailowka erhalten, was gleichzeitig die Nachricht vom Tod des Vaters und das letzte traurige Lebenszeichen der Mutter bedeutet), tritt hier in der Personifikation eines zutraulichen Tieres auf, das dem lyrischen Ich sein Blatt aus der Hand frisst (vgl. Corona, V.1). Das Grauen des Herbstes, die Todes- und Vernichtungsymbolik, die ihm in Gedichten Celans oft beigemessen ist, scheint er hier verloren zu haben, statt dessen spricht das lyrische Ich von einer Freundschaft der beiden (vgl. Corona, V.1). Das lyrische Ich hat keine Angst mehr vor dem Herbst, zeigt dieser sich ja auch in Form eines offenbar harmlosen Tieres; es herrscht eine vertraute, fast schon intime Nähe, denn der Herbst frisst dem lyrischen Ich ja sein eigenes Blatt aus der Hand. Das Blatt ist hierbei, wie Otto Pöggeler in einem Vortrag über Celans Lyrik ausführt, nicht nur „das herbstliche Blatt von Baum und Strauch“, sondern auch ein „Anruf zur Besinnung“, nämlich ein Blatt, auf das der Dichter schreiben kann, soll und sogar muss, um nicht zu vergessen28: Auch in der Versöhnung mit dem Herbst darf die Erinnerung an die Toten nicht verloren gehen. Gemeinsam „schälen“ der Herbst und das lyrische Ich, die beiden Freunde, „die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehen“ (Corona, V.2), womit die Zeit, sowohl die augenblicklich ablaufende als auch v.a. die vergangene, aus der Enge befreit wird und sich, auch sie personifiziert, ungehemmt bewegen kann. Nur in der Versöhnung des lyrischen Ich mit dem Herbst kann diese Befreiung der Zeit geschehen, denn um die Zeit aus den Nüssen schälen zu können, müssen diese zuvor - im Herbst heranreifen. Auf der symbolischen Ebene sind die Nüsse, in denen die Zeit gefangen ist, als ein Bild für Verdrängung zu sehen. Die vergangene Zeit, die in den Nüssen steckt, kommt nicht ans Licht, nicht ins Bewusstsein, sie belastet und kann nicht verarbeitet werden, wodurch sich wiederum auch die gegenwärtige Zeit nicht frei entfalten kann und ebenfalls gleichsam in Nüssen „gefangen“ ist. Das Schälen der Nüsse kommt also einem Eindringen in das Unterbewusste gleich, Vergessenes wird wiedererinnert, verlorener, „toter“, lebloser Zeit wird wieder Leben eingehaucht, sie PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 14 wird gehen gelehrt. Der Vorgang des Gehen-Lehrens der Zeit versinnbildlicht die langsame, schrittweise Verarbeitung einer schmerzlichen Vergangenheit, das Umgehen-Lernen mit dieser Vergangenheit: Indem man sie aus dem verschlossenen Dunkel der Nüsse befreit, sie ans Tageslicht holt und sich ihr stellt, sich mit ihr beschäftigt, wie man sich mit einem Kind beschäftigt, das Laufen lernen soll, verliert sie ihren Schrecken. Nun kehrt die Zeit, die gehen gelernt hat, die sich jetzt ganz uneingeschränkt und ungehemmt bewegen kann, und damit, wie Pöggeler schreibt, erst Zeit im eigentlichen Sinn geworden ist29, zurück in die Schale (vgl. Corona, V.3), womit sie wieder eingebettet ist in den ruhigen Kreislauf der Natur, und im Hier und Jetzt, in der Gegenwart, gemäß ihrem natürlichen Muster verstreicht. Die Schale der Nüsse aber, nachdem sie „ge-schält“ wurden, ist nun offen, was bedeutet, dass die vergangene Zeit, die schmerzliche Erinnerung, keineswegs wieder vergessen oder verdrängt wird, wenn die Zeit nun bildlich wieder in die Schale zurückkehrt. Die Erinnerungen bleiben gegenwärtig, dem Bewusstsein zugänglich, allerdings haben sie ihre drohende, dumpf-beängstigende Komponente verloren, die zuvor ein freies, unbelastetes Leben unmöglich gemacht hatte, sie fügen sich organisch ein in das Ganze des Lebens. Auf diese Kreisbewegung der Zeit, die erst aus den Nüssen geschält wird, um dann in die nun offene Schale zurückzukehren, ist bereits durch den Titel des Gedichts, der vielerlei Deutungen zulässt, in doppelter Weise angespielt: Das lateinische Wort „corona“ bedeutet Kranz, Kreis (was natürlich auch an den Totenkranz denken lässt, Symbol für das Gedenken der Toten), es erinnert aber auch an das griechische Wort „corone“, das eigentlich Krähe bedeutet, oft aber auch als „Chronos“ („Vater Zeit“) gelesen wurde30. Während das Zurückkehren der Zeit in die Schale in der Sekundärliteratur häufig als Ausdruck der Vergeblichkeit des Versuchs, die Zeit gehen zu lehren, gesehen wird, erscheint dem Verfasser dieser Arbeit jene Rückkehr, jenes Sich-Wieder-Einfügen in ein größeres Ganzes als Vollendung des Prozesses der Befreiung der zuvor verschlossenen Zeit und damit geradezu als Voraussetzung, gewissermaßen als Basis für jenen Zustand, der nun eintritt und in der zweiten Strophe charakterisiert wird: 28 Vgl. Otto Pöggeler: Lyrik als Sprache unserer Zeit? Paul Celans Gedichtbände. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1998(= Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 354), S. 18. 29 Vgl. Pöggeler, S. 18. 30 Vgl. Janz, S. 220. PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 15 Es ist ein „traum-hafter“, surrealer, quasi zeitloser Zustand, in dem die Wirklichkeit gespiegelt, gleichsam in der Umkehrung erscheint. Im Spiegel, „in dem das Leben sich selbst sieht“, so Pöggeler31, ist Sonntag, es wird nicht im Schlaf geträumt, sondern im Traum geschlafen; hier, und nur hier, in diesem schwebenden, unsicheren Zustand, bei dem nicht klar wird, ob es sich nun um Realität oder um eine Spiegelung der Wirklichkeit handelt, redet der Mund wahr. Entscheidend ist hierbei wiederum der Symbolgehalt der Worte: Wenn im Spiegel Sonntag ist, so will der Sonntag als ein Symbol für Ruhe und Feier, für Entspannung und Loslassen verstanden sein, wie auch die Tatsache des Schlafens im Traume auf eine vollkommene Ruhe und Entspannung hindeutet, stören doch oft Albträume den erholsamen Schlaf, holen einen doch gerade im Schlaf dunkle, unverarbeitete, belastende Erinnerungen ein. All dies scheint nun überwunden, so dass im Traum geschlafen und so „zur Tiefe des Lebens und zu seinem Einklang mit sich“ 32 zurückgekehrt werden kann. Aus der vollkommenen Ruhe, „von den Traumtiefen“ 33 des Lebens her, kann der Mund wahr reden. Das personifizierte Auge des lyrischen Ichs, Symbol für Erkenntnis, für Klar-Sehen und Bewusstsein, steigt nun hinab zum Geschlecht der Geliebten. Statt ihr ins Gesicht zu blicken, kommuniziert das lyrische Ich im Folgenden mit dem Geschlecht der Geliebten, es handelt sich also um eine sehr intime Begegnung von größter Nähe und Vertrautheit, können Gesichter doch Fassaden sein, die die wahren Gefühle eines Menschen verbergen, wogegen jetzt, da der Mund aus dunklen Traumtiefen wahr redet und mit dem normalerweise verborgenen Geschlecht der Geliebten, das jetzt offen liegt, Dunkles, Geheimnisvolles austauscht, eine tiefe Ehrlichkeit im Umgang miteinander herrscht. In diesem Sinne sehen sich die beiden Liebenden wirklich an. Darüber hinaus lässt das unmittelbare Ansehen des Geschlechtes der Geliebten auch an das dem Dichter nun mögliche Ausleben von Sexualität denken, war er doch durch die dominante Gefühlsbindung an die Mutter und deren frühen Tod lange Zeit nicht in der Lage gewesen, eine anders als platonisch geartete Beziehung zu einer Frau zu führen. Auch im Gedicht ist ja nun das Vergangene verarbeitet, die Zeit aus den Nüssen geschält worden, so dass auch diese Blockade aufgelöst ist. Doch das Hinabsteigen des Auges zum Geschlecht der Geliebten birgt noch eine zweite Bedeutungsebene, die sich erst bei näherer Beschäftigung mit dem Gedicht 31 Pöggeler, S. 18. Ebd., S. 19. 33 Ebd. 32 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 16 erschließt: Ein hebräischer Ausdruck bezeichnet die Märtyrer als das Geschlecht der Geliebten im Plural34, womit dieser Vers die Bedeutung eines Abstieges in die Totenwelt des Hades erhält, gleich Orpheus, der auf diesem Wege den Tod überwinden und seine geliebte Eurydike retten will. In diesem Zusammenhang erscheint es denkbar, dass Celan mit dem Geschlecht der Geliebten die geliebten Juden meint, die ihm entrissen wurden, die in der Gesamtheit ihres Volkes, ihres Geschlechtes ausgelöscht wurden, und denen er nun in der Totenwelt zu begegnen sucht. Kehrt man wieder zu der Zweisamkeit der Liebenden zurück, deren enge Zusammengehörigkeit durch den parallelistischen Satzbau wie auch v.a. durch die mehrfache, eindringliche Wiederholung des Wortes „wir“ unterstrichen wird, so lässt sich hier die Parallele zum Unterreich, zu welchem Orpheus gleich hinabgestiegen wird, insofern ziehen, als hier ebenso das Untergründige, Nächtliche des ErotischSexuellen gemeint ist, sind doch Liebesgedichte bei Celan häufig Nachtgedichte. Der Liebesakt, die Vereinigung der Liebenden, erscheint hier als Vereinigung der Gegensätze: Sie lieben einander wie Mohn und Gedächtnis, Vergessen und Erinnern, Erleichterung und schmerzende Belastung treffen sich, Traum, Rausch, Ekstase, Freiheit stehen nicht länger im Widerspruch zu mahnendem Gedenken, es herrscht eine „unio mystica“ von Leben und Tod, Bewußtem und Unbewußtem35, die durch die Liebe, durch den Akt des Liebens entsteht. Dieser Liebesakt ist also zugleich Lust und Befreiung als auch Totengedenken, Erinnern, es wird hier die für Celan typische Verknüpfung von Liebesgedicht und Erinnerung der Toten, insbesondere natürlich der geliebten Mutter, deutlich. An dieser Stelle liegt nun der Bezug zur realen Liebesbeziehung von Paul Celan und Ingeborg Bachmann auf der Hand: Wie Mohn und Gedächtnis liebten sie einander, er vom Gedächtnis, von der Erinnerung, dem Gedenken der Toten, von seinen Schuldgefühlen als Überlebender und der damit verbundenen, scheinbar unauflöslichen Unmöglichkeit seines Daseins, seines Am-Leben-Seins, geradezu erdrückt, sie, deren Schicksal nicht in derart tragischer Form gezeichnet war durch den nationalsozialistischen Vernichtungswahn, die sogar zeitweise Bürgerin jenes Großdeutschen Reiches war, dessen Einwohner ihm als grauenvollste Mörder, als 34 Vgl. Pöggeler, S. 19. Vgl. Klaus Voswinckel: Paul Celan. Verweigerte Poetisierung der Welt. Versuch einer Deutung. Heidelberg: Lothar Stiehm 1974, S. 129. 35 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 17 Meister des Todes36 für immer im Gedächtnis bleiben sollten. Eben dadurch, dass ihr Leben nicht von jener Tragik getränkt war, die seines durchdrang, konnte ihre Liebe eine dem Klatschmohn vergleichbare, erleichternde, traumgebende Wirkung auf ihn ausüben, ihn in der Liebe das unendliche Leid ein Stück weit vergessen lassen. Anders als in der realen Beziehung, die letztendlich an der Entferntheit der beiden Liebenden zerbrach, weil sich diese „aus unbekannten, dämonischen Gründen [...] gegenseitig die Luft“ wegnahmen37, gelingt im Gedicht die Vereinigung des Unvereinbaren und die beiden Liebenden schlafen in großer Geborgenheit „wie Wein in den Muscheln, / wie das Meer im Blutstrahl des Mondes“ (Corona, V.11f.). Hier fällt nun die dem Mohn korrespondierende, ebenfalls berauschende Wirkung des Weines auf, der darüber hinaus nicht im Nautiluskelch aufgehoben ist, sondern in den Muscheln selbst38, womit Celan bereits jene Meeresmetaphorik evoziert, die er im folgenden Vers aufgreift: Der Schlaf der Liebenden wird hier dem des unbegrenzt weiten, unbewegten, stillen Meeres verglichen, das selbst im grellen Blutstrahl des Mondes keinerlei Regung zeigt und seine träumerische Ruhe nicht verliert. Der Mond hat die symbolische Bedeutung von weißer Reinheit, von klarer Kühle, er bringt Licht in die nächtliche Dunkelheit. Doch sein Strahl ist hier nicht weiß, sondern paradoxerweise blutrot, denn er bringt zwar Licht ins Dunkel, doch mit der Klarsicht kehrt auch die schmerzvolle Erinnerung an Tod und vergossenes Blut zurück in die traumhafte, vergessende Erleichterung spendende Dunkelheit der Liebe, die sich in das Nächtlich-Geheimnisvolle geflüchtet hatte. Doch selbst dieser Blutstrahl des Mondes, das scharfe, blendende Licht der Erinnerung an vergangene Qualen, erreicht und beunruhigt die beiden Liebenden nicht mehr, ihnen ist in ihrer zärtlichen Vereinigung die befreite, endlose Ruhe des Meeres eigen, das still sich erhellen lässt vom Licht des Mondes, welches blutrote, mahnende Erinnerungen an Tod, Mord und Vergänglichkeit in sich trägt. Das Paar stellt sich nun im Fenster den Blicken der Öffentlichkeit (vgl. Corona, V.13) : Die Liebe, die in der Vereinzelung des Privaten verwirklicht ist, soll nach draußen getragen werden, denn „es ist Zeit, daß man weiß!“ (Corona, V.14), weiß von einer schöneren Zeit, deren Zeichen die Liebe ist und die durch liebende Vereinigung, durch die Vereinigung der Gegensätze erreicht werden kann39. Hier 36 Vgl. Celan: Todesfuge. In: Mohn und Gedächtnis. 2.Aufl. Stuttgart, München: Deutsche Verlags-Anstalt 2000, S. 38. 37 Bachmann zit. nach Emmerich, S. 89. 38 Vgl. Pöggeler, S. 19. 39 Vgl. Voswinckel, S. 142. PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 18 lässt sich nun ein weiterer Bezug zum Titel des Gedichtes erkennen, das Wort „Corona“ bedeutet nämlich auch „Zuhörerschaft, Publikum“40, womit die Öffentlichkeit gemeint ist, die den Liebenden, die „umschlungen im Fenster“ (Corona, V.13) stehen, von der Straße, also von draußen, zusehen. Es zeigt sich der gesellschaftliche Anspruch des Gedichtes: Die Liebe und die Lust erscheinen in diesem Text als Überwinder des Todes, den Celan nicht „nur als die unvermeidliche Vergänglichkeit alles Endlichen“41 sieht, sondern als grundlegendes Prinzip eines gesellschaftlichen Zustands, einer Gesellschaft, die einer toten Zeit lebt, deren Zeit in Nüssen gefangen ist, die nicht gehen, sich nicht bewegen kann und eigentlich also gar nicht Zeit im eigentlichen Sinne ist. Lebendige Zeit aber entsteht durch die Liebe, durch sie wird es Zeit, es wird Zeit, dass der Stein, „das geronnene Leid“ 42 , poetisches Symbol für das Leblose, für die tote Zeit, für Erstarrung und Bewegungslosigkeit auch in der Gesellschaft, „sich zu blühen bequemt“ (Corona, V.15). Die Liebe tritt hier als Auslöser wie als Gewähr eines neuen Lebens auf43, sie bewirkt „das Organisch-werden des Anorganischen“44, ausgedrückt in der paradoxen Metapher vom blühenden Stein, der ja zu leben beginnt und damit quasi zur Blume wird. Durch die Verwirklichung der Liebe kann „der Unrast ein Herz“ (Corona, V.16) schlagen, die rastlose, herzlose und dadurch eigentlich gleich dem Stein tote Welt endlich zur Ruhe kommen und in ein neues Zeitalter aufbrechen, in dem die Zeit aus den Nüssen geschält werden, gehen gelehrt und damit zu wirklichem Leben erweckt werden kann. All dies ist aber in der gesellschaftlichen Gegenwart noch eine Utopie, deren Verwirklichung nur im Privaten, in der Zweisamkeit der Liebenden gelingt. Durch das symbolische Ans-Fenster-Treten, durch die öffentliche „Demonstration von Lust, die Ewigkeit will“45, soll der Welt gezeigt werden, wie die tote Zeit zum Leben erweckt werden kann, unterstützt durch den Ausruf „es ist Zeit, daß man weiß!“ (Corona, V. 14), dessen Anfang nun als Anapher mehrfach wiederholt wird, um mit größter Eindringlichkeit, in Verbindung mit Vergleichen von starker Bildkraft, die Veränderung auch des Gesellschaftlichen zu fordern. Auf die Frage, wie dieser antizipierte Zustand letztendlich aussehen soll, gibt Celan keine Antwort, er 40 Vgl. Janz, S. 220. Janz, S. 53. 42 Pöggeler, S. 19. 43 Vgl. Pöggeler, S. 17. 44 Voswinckel, S.142. 45 Janz, S. 54. 41 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 19 bekräftigt aber eindringlich seine Vision von der Möglichkeit einer solchen Veränderung, wenn er, unter starker Betonung des Schlüsselbegriffs „Zeit“, schließt mit der Feststellung „Es ist Zeit, daß es Zeit wird“ (Corona, V.17) , der jedoch nicht mehr das Pathos des Ausrufes innewohnt. Still, schlicht, aber visionär, heißt es im letzten Vers, der als eigene Strophe für sich steht: „Es ist Zeit.“ (Corona, V.18), es ist an der Zeit, dass die Zeit aus den Nüssen geschält wird, dass durch die liebende Vereinigung die Verbindung der Gegensätze möglich wird und damit der bewegungslos tote Stein ebenso lebendig wird wie die Unrast, die nur eine andere Form von Nicht-Leben-Können und damit von Tod ist, dass die tote Zeit zu lebendiger Blüte gelangt. Auf der individuellen Ebene des lyrischen Ichs ist der „traum-hafte“ Zustand in der Vereinigung mit der Geliebten bereits erreicht, der letzte Vers enthält also neben der gesellschaftlichen Ebene noch eine andere Bedeutung: Der Dichter postuliert hier seine eigene Zeit46, in der das Gegensätzliche seine Gegensätzlichkeit verliert, in der sich belastende Vergangenheit und ungewisse Zukunft in einem zeitlosen „MorgenGestern“47 zu einer schwerelosen, angstfreien Einheit verbinden und es einfach Zeit ist, lebendige Zeit, in der gelebt werden kann: „Es ist Zeit.“ 4 Musikalische Umsetzung Die im Rahmen dieser Arbeit entstandene musikalische Umsetzung des Gedichts „Corona“ von Paul Celan will als eine Art Klangcollage verstanden werden, die den Text in seiner Eindringlichkeit unterstützen und in der Verbindung von Wort und Ton ein intensives Gesamtbild entstehen lassen will, bei der auch die besondere farbsymbolische Komponente des Textes mit einbezogen wird. Die Komposition ist als das Bestreben des Verfassers zu verstehen, sich dem dichterischen Genie Celans zu nähern und dem Gedicht „Corona“ zu „begegnen“, durch eingehende Beschäftigung mit dem Text zum Verständnis der Chiffren und Bilder, der verschlossenen und förmlich sich verschließenden Geheimnisse in Celans Gedicht zu kommen, um diese dann in Musik, in „Klangsprache“ zu übertragen und sie damit für den Leser in großer Uunmittelbarkeit erfahrbar und erlebbar zu machen. 46 Vgl. Joachim Seng: Nachwort zu Paul Celan: Mohn und Gedächtnis, S. 90. PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 20 Flöte/Altflöte, Klarinette/Bassklarinette, zwei Violinen, Violoncello und Klavier spannen ein Klangfeld auf, zu dem der Text gesprochen wird, die kunstvollen Worte Paul Celans bleiben für den Hörer auch in der Komposition unmittelbar präsent, sie sind eingewoben in das klangliche Geschehen. Eine Vertonung als Kunstlied im herkömmlichen Sinne erschien angesichts der Abwendung Celans vom traditionellen Gedicht, von schematisierter Form und Struktur nicht sinnvoll. Vielmehr entspricht dieser Art von Lyrik, die sich vehement gegen den instrumentellen Gebrauch der Sprache wendet, auch eine Musik, die den althergebrachten Rahmen der Tonalität verlässt, nach anderen Ausdrucksmöglichkeiten sucht, bisweilen auch, an exponierter Stelle, zur Tonalität zurückkehrt, v.a. aber durch die Verwendung neuer klanglicher Kombinationen und teilweise Neuspieltechniken den neuartig-fremden Dimensionen der Celanschen Sprache gerecht zu werden sucht: Es entsteht eine „Stimmungsmusik“, die in klanglichen Bildern die geheimnisvolle Faszination des Gedichts „Corona“ einfangen und verstärken soll. Über weite Strecken basiert diese Annäherung an Celans Gedicht auf Theorien Athanasius Kirchers (1602 – 1680) zur sogenannten Farbenmusik, einem ästhetischen Credo der Hoch- und Spätbarockzeit, das eine Kunstsynthese aus Malerei und Musik fordert. Vor diesem Hintergrund ordnete der Jesuit Kircher, der sich als eine Art „Universal-Synästhetiker“ verstand und in zahlreichen, zu seiner Zeit viel gelesenen Lehrbüchern die Identität von Licht und Schall proklamierte, den 12 Tönen des abendländischen Notensystems jeweils eine Farbe zu. Sein „analytischsynoptisches System“ gibt folgende Zusammenhänge an48, die natürlich nicht wissenschaftlich-objektiv sein können, sondern letztendlich dem subjektiven synästhetischen Wahrnehmen Kirchers entsprungen, deshalb aber keineswegs weniger nachvollziehbar und überzeugend sind: c ? cis weiß d schwarz 47 Celan: Edgar Jené und der Traum vom Traume. In: Gesammelte Werke, Bd. III, S. 156. Vgl. Albert Wellek: Farbenmusik. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Bd. III. Hrsg. von Friedrich Blume. München, Kassel: DTV/Bärenreiter 1989, S. 1813-1814. 48 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 21 es gelb e hellrot f violett fis braun (auch: dunkelgrau) g goldgelb as feuerrot a violett b blau h purpurn Zu Beginn evoziert die Komposition den Herbst in seiner für Celan typischen Symbolhaftigkeit als Verkörperung von Vergänglichkeit, Tod und Schrecken, sowie insbesondere natürlich als Sinnbild für die Ermordung der Eltern des Lyrikers durch die Nationalsozialisten. Die kaum greifbare, aber doch stark belastende Erinnerung an den Tod der Eltern wird durch ein in Sekundenschlägen pulsierendes, hartes, aber zugleich dumpfes Pochen im Klavier dargestellt: Die Vergangenheit ist nicht verarbeitet, die Zeit noch in den Nüssen gefangen, so dass sie in mechanischregelmäßiger, unfreier, toter Weise „abläuft“, ohne wirklich erfülltes Leben zuzulassen. Die Saiten des Klaviers sind mit der rechten Hand abzudämpfen, wodurch metallische, harte, quasi leblose Klänge entstehen, die ebenso wenig frei schwingen können, wie sich die Zeit zu Beginn des Gedichtes frei entfalten kann. Die Töne des von der linken Hand angeschlagenen extrem tiefen Clusters sind ‚d‘, ‚fis‘ und ‚as‘, denen Kircher die Farben Schwarz, Braun bzw. Dunkelgrau und Rot zuordnet, wobei diese Farben hier jeweils eine symbolische Bedeutung haben: Das rote ‚as‘ steht für das vergossene Blut der Eltern, für großen Schmerz, das ‚fis‘ ist das Braun der Nationalsozialisten sowie in seiner zweiten Farbbedeutung das grau des unfreien, freudarmen Lebens mit der traumatischen Erinnerung, das ‚d‘ verkörpert die schwarze, dunkle, untergründige Belastung sowie die Dunkelheit der Verdrängung. Die Sekundschläge im Klavier werden vom „Herbstklang“ der restlichen Instrumente überlagert, wobei Violoncello, Altflöte und Bassklarinette in tiefer, dumpfer Lage agieren, sie stellen noch einmal die düsteren Erinnerungen sowie den toten, bewegungslosen, gleichsam gelähmten Zustand dar, in dem sich das lyrische Ich vor PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 22 der Versöhnung mit dem Herbst befindet, ebenfalls mit Hilfe der symbolträchtigen Töne ‚d‘, ‚fis‘ und ‚as‘. Ihre Klanglichkeit kann und soll aber auch als musikalische Entsprechung der Nüsse gesehen werden, in denen die Zeit, dargestellt durch die im Klavier durchlaufenden Viertel (Zeitmotiv), eingeschlossen ist, was auch der Grund dafür ist, dass sie in der klanglichen Balance präsenter sind als das Zeitmotiv im Klavier, das quasi vom Klang der anderen Instrumente „umschlossen“ wird. Eine ganz andere Komponente des Herbstklanges entsteht durch die in hoher, greller Lage gesetzten Violinen, die neben den dumpfen, pochenden seelischen Schmerzen (Klavier, Altflöte, Bassklarinette) die unmittelbare, penetrante Belastung verdeutlichen, die aus der stets gegenwärtigen und doch nicht wirklich bewussten Erinnerung entsteht. Der scharfe, schneidende Klang der beiden Geigen lässt an Kopfschmerzen, an Stress, an extreme seelische Anspannung denken, denen das lyrische Ich vor der Versöhnung mit dem Herbst ausgesetzt ist, wobei wiederum die Töne ‚fis‘ (braun) und ‚as‘ (rot) Verwendung finden. Bis hierher handelt es sich gewissermaßen, wenn man so will, um die „Ausgangssituation“ des Gedichts „Corona“. Nun folgt der musikalische Prozess der Versöhnung zwischen lyrischem Ich und dem personifizierten Herbst, der sich einerseits im Klavier zeigt - das Zeitmotiv verliert mit der Zeit seine metallische Härte, wird weicher, wärmer und kann ungehindert schwingen - während gleichzeitig auch die Aggressivität des scharfen, grellen Violinklanges abnimmt, bis er schließlich ganz ausgeblendet wird, ins Nichts verschwindet. Parallel zum Verschwinden der hohen Streicher, die sich in der Höhe ausblenden, um dann in der versöhnlichen Mittellage wieder einzusetzen, werden die tiefen Instrumente (Violoncello, Altflöte, Bassklarinette) allmählich lauter, wodurch sich der undefinierbare, dunkel-düstere „Klangbrei“ des Anfangs auflöst und die Töne deutlich erkennbar werden. Es entsteht nun ein warmer, freundlicher und freundschaftlicher Herbstklang, die Farben Schwarz, Rot und Braun haben ihre negative Symbolkraft verloren, sie sind nun einfach charakteristische Farben der herbstlichen Jahreszeit, denen die zweite Violine noch die „gelben Töne“ ‚es‘ und ‚g‘ beimischt. Dies ist die vertraute Atmosphäre, in der der personifizierte Herbst dem lyrischen Ich sein Blatt aus der Hand frisst, ein Klang der Freundschaft und Nähe. Diese geradezu intime Nähe wird auch deutlich durch die viel kleineren Intervalle: Während die Intervalle zu Beginn noch sehr groß waren, die Tonhöhen PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 23 also weit auseinander klafften, liegen die „herbstlichen Töne“ nun eng beieinander und bilden einen gemeinschaftlichen, versöhnlichen Mischklang. Wenn in der nächsten Strophe des Gedichts die Zeit aus den Nüssen geschält wird, findet dies seine musikalische Entsprechung insofern, als das Zeitmotiv des Klaviers nun im Klangbild immer präsenter wird, während der herbstliche Mischklang der anderen Instrumente, der ja auch die Früchte des Herbstes, die Nüsse, verkörpert, allmählich verschwindet. Das Zeitmotiv wird gewissermaßen aus dem gemeinsamen Klang von Geigen, Cello, Altflöte und Bassklarinette „herausgeschält“. Die unterschwellige Bedrohung und Belastung, die ihm vorher immanent war, ist nun verschwunden. Das offengelegte, „geschälte“ Zeitmotiv wird jetzt verändert, aus seinem Sekundenraster befreit, die Zeit wird gehen gelehrt: Das Violoncello übernimmt im Pizzicato die Viertel des Klaviers, die beiden Violinen lehren die Zeit gehen, indem sie, ebenfalls im Pizzicato, immer zwischen die „Sekundschritte“ des Cellos spielen und ihm so quasi das Laufen beibringen: Die Streicher lassen die Zeit sich frei im Raum bewegen, zuerst etwas zögerlich, unbeholfen und unregelmäßig, wie ein Kind, das seine ersten unabhängigen Schritte tut, aber dann immer schneller und schneller, einem freudig-befreiten Tanz gleich, bis die Zeit zurückkehrt in die Schale, musikalisch dargestellt durch das Wieder-Ritardieren in der Pizzicato-Bewegung der Streichinstrumente - bis hin zu dem Punkt, da das Cello wieder das Zeitmotiv aufnimmt, bei dem für eine Weile immer noch die Geigen unregelmäßig „dazwischenfunken“, sich aber bald beruhigen. Die Zeit ist nun auch musikalisch in die Schale zurückgekehrt, allerdings spielt das Cello nun statt den Tönen mit den zugehörigen Farben Schwarz, Rot oder Braun, die die Zeitmotivik im Klavier geprägt hatten, ein ‚cis‘, dem Athanasius Kircher die Symbolfarbe Weiß zuordnet. Hiermit soll die vollzogene Transformation der Zeit ausgedrückt werden: Durch die Rückkehr in die Schale fügt sich die Zeit wieder ein in das große Ganze, sie läuft nun ganz frei, ungehemmt, völlig natürlich und ruhig ab, was durch die sekündliche Repetition des weißen ‚cis‘ deutlich wird, wobei das Weiß hier vor allem als Symbol für die Befreiung der Zeit zu sehen ist, auch für die Reinigung des lyrischen Ich durch die Verarbeitung der Vergangenheit sowie die Versöhnung mit dem Herbst. Auch weist die Farbe weiß auf den Zustand voraus, der nun eintritt, und der klanglich durch eine tibetische Klangschale eingeleitet wird (in dem Moment, als die Zeit in die Schale zurückkehrt). PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 24 Es ist dies jener surrealistisch anmutende Zustand, in dem im Spiegel Sonntag ist und im Traum geschlafen wird, der weder eindeutig Wirklichkeit noch Fiktion ist, seltsam in der Schwebe befindlich, changierend und ungewiss. Ihre musikalische Entsprechung findet diese Atmosphäre in der klanglichen Überlagerung von tremolierenden Flageolett-Glissandi in den Geigen und einer Oberton-Improvisation der Flöte (sog. „whistle-tones“), unter der weiterhin, ruhig und frei, gewissermaßen „entgrenzt“, das Zeitmotiv des Violoncellos durchschwingt. Die hohen, flirrenden Geigen in Verbindung mit den whistle-tones der Flöte, alles in extrem leiser, kaum wahrnehmbarer Dynamik, soll einerseits das „traum-haft“ Schwebende, Ir- bzw. Surreale der Stimmung unterstützen, andererseits auch ihre Fragilität und Subtilität zum Ausdruck bringen. Insgesamt schaffen die Instrumente hier eine entspannte Losgelöstheit, ein Gefühl des „Befreit-Seins“ von den Zwängen des Lebens, „Entgrenzung“ sei hier noch einmal als Stichwort genannt. Die Viertel im Cello mischen dem „Klanggemälde“ die Ton-Farbe Weiß bei, wobei die Farbe Weiß in diesem Zusammenhang als Symbol für die Reinheit und Freiheit, für das quasi Zeitlose der Situation zu verstehen ist. Die in ganz natürlicher Weise immer weiterlaufenden Pizzicati des Cellos drücken darüber hinaus die Kontinuität, den Zusammenhang zu der vorherigen Gedichtstrophe aus: Sie zeigen, dass der charakterisierte Zustand eine Konsequenz des Vorangegangenen ist, dass er erst durch die Befreiung der Zeit aus den Nüssen und v.a. die anschließende Rückkehr derselben in die nun geöffnete Schale (Symbol der „Entgrenzung“!) eintreten und verwirklicht werden konnte. In der Viertelbewegung des Cellos sind somit die surreale Zeitlosigkeit (durch die Verwendung des Tones ‚cis‘ in seiner metaphorisch aufgeladenen Bedeutung) und die gleichzeitig ganz real und natürlich fortschreitende, oder besser fortfließende Zeit in paradoxer Weise vereint, was der oftmals paradoxen Verwendung von Wörtern bei Celan korrespondiert, der bisweilen mit einem Wort zwei vollkommen konträre Dinge meint, um damit deren Polarität aufzuheben, die Gegensätzlichkeit zusammenzuführen49. In eben diesem Sinne ist das Zeitmotiv des Cellos an dieser Stelle zu sehen als die Vereinigung von „Zeitlichkeit“ und Zeitlosigkeit, als ein Symbol für das Zeitlose in der Endlichkeit. In diesem „entgrenzten“ Zeit-Raum redet der Mund wahr. Als klangliches Pendant dient dabei ein E-Dur-Dreiklang im Klavier, der eine große Klarheit und zugleich Einfachheit besitzt. An dieser Stelle begibt sich die Komposition zum ersten Mal in 49 Vgl. Janz, S. 15. PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 25 den Bereich traditioneller Tonalität, all die Mischklänge, all das Lautmalerische des Herbstklanges zu Beginn oder das flirrende, irreale Moment in Geigen und Flöte ist jetzt verschwunden zu Gunsten einer musikalischen Reinheit, die keinerlei Trübung durch Dissonanz erfährt, so wenig wie sich Wahrheit im abstrakten Sinne einfärben, trüben lässt. Wie das symbolkräftige Wort „wahr“ im Gedicht, so führt der Dreiklang als Keimzelle aller tonalen Musik, als Grundbaustein abendländischer Tonkunst zurück ins Greifbare, man hat wieder „festen Boden unter den Füßen“, wenn man so will. Die starke Leuchtkraft der Tonart E-Dur, der zugleich Wärme als auch Klarheit und Prägnanz innewohnen, zumal in der Ausführung durch das Klavier, welches ja das Instrument mit der klarsten, fasslichsten Klangfarbe ist, entspricht hierbei der Symbolik des Wortes „wahr“, Wahrheit ist ja Klarheit, Gewissheit, und sie schafft Leben und Wärme. Diese lebendige, warme Komponente der Wahrheit, die der Mund ausspricht, entsteht in der Komposition durch den Einsatz von Violinen, Violoncello und Flöte, die dem vor allem von gewissermaßen „abstrakter“ Klarheit geprägten Klavierklang wieder eine wärmere Färbung geben, ihm quasi Leben „einhauchen“, wenn sie sich in den allmählich verhallenden Dreiklang einblenden, unmerklich die Töne vom Klavier übernehmen und dann weiterführen. Durch diese Umfärbung verliert der E-Dur-Dreiklang jedoch nichts an Klarheit, fungiert er nämlich auch als musikalisches Bild für das personifizierte Auge des lyrischen Ichs, das nun handelt. Auch das Auge ist in Celans Gedicht Sinnbild der Klarsicht, der bewussten Wahrnehmung, des Verstehens, was wiederum dem reinen, ungetrübten Dur-Klang als seinem klanglichen Äquivalent korrespondiert. Mit dem Hinabsteigen des Auges im Text geht ein Hinabgleiten von Flöte und Streichern einher, die, ausgehend vom E-Dur-Klang ein diminuierendes Glissando nach unten ausführen, das den hinabgleitenden Blick des lyrischen Ich zum Geschlecht der geliebten Frau einerseits und das geisterhafte, mythische Hinabsteigen in die Welt der Toten zum Geschlecht der Geliebten im Plural andererseits darstellen soll. Die verschiedenen Bedeutungen des Gedichts bleiben somit in der klanglichen Umsetzung erhalten. Die Streichinstrumente erreichen, eine Oktave tiefer, den es-moll-Dreiklang, es handelt sich also musikalisch um ein zwei-, wenn nicht gar dreifaches Hinabsteigen: Das Offensichtliche, vielleicht gar etwas platt anmutende Glissando über eine Oktave, der fallende Halbtonschritt von „e“ zu „es“ und der Wechsel von klarem, hellem, lichtem Dur zu weichem, geheimnisvollem, dunklem Moll sind die verschiedenen Ebenen, auf denen sich musikalisch das Hinabsteigen des Auges manifestiert. Wir bewegen PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 26 uns jetzt im Ton-Raum von es-moll, es entsteht eine magische, nächtliche, warme, etwas morbide, auch sehr intime Stimmung durch die sul ponticello zu spielenden, tremolierenden Doppelgriffe in den Streichern, die den es-moll-Dreiklang im Raum schweben lassen, in Verbindung mit dem Klavier, das jegliche Klarheit im Klang durch die ständige Pedalisierung verliert und in der tiefsten Oktave Töne der es-mollSkala improvisatorisch zu dunkel-düsteren Clustern verbindet. All dies evoziert ein Klangbild, dem sowohl eine erotische Komponente immanent ist wie es auch Assoziationen an den Hades wecken, vielleicht Geister und Tote vor dem inneren Auge des Hörers entstehen lassen soll. Es wurde versucht, das Dunkle, Geheimnisvoll-Magische, Nächtliche, das beiden Bedeutungsebenen gemeinsam ist, durch die insgesamt tiefe Lage, durch die durchwegs sehr leise Dynamik und v.a. natürlich durch die Wahl der Tonart es-moll, einer ausgesprochen dunklen Tonart, einzufangen. Vor dem Hintergrund dieser dunklen Atmosphäre beginnen Altflöte und Bassklarinette einen geheimnisvollen Dialog, der mit dem gemeinsamen, akzentuierten Einsatz beginnt („wir sehen uns an“) und der ebenso als erotisches Zwiegespräch des lyrischen Ich mit dem Geschlecht der Geliebten als auch als Kommunikation zwischen lyrischem Ich und den toten Geliebten im Hades gesehen werden kann. In jedem Fall sagen sich Altflöte und Bassklarinette hier Dunkles, sie tauschen Geheimnisse aus. Die verwendeten Neuspieltechniken in der Altflötenstimme, wie beispielsweise Flatterzunge oder Singen in die Flöte, unterstreichen vor allem die Assoziation an das Geisterhafte, vielleicht etwas Unheimliche der Situation in der Unterwelt, lassen aber ebenso an NächtlichErotisches denken. Der Dialog der beiden Instrumente mündet in eine kleine Terz (‚g‘-‚b‘), die lange im Raum stehen bleibt, als Symbol für die Liebe, für die intime Nähe, für das „wir“, also die starke Zusammengehörigkeit der beiden Liebenden, die im Gedicht durch die mehrfache Wiederholung des Wortes „wir“ stark hervorgehoben wird: Wenn beschrieben wird, dass die beiden einander lieben wie „Mohn und Gedächtnis“, ist diese Vereinigung der Gegensätze musikalisch dargestellt durch ein Zitat des Traummotivs (Flageolett-Glissandi der Streicher, wie vorher, als im Traum geschlafen wurde) als klangliches Bild für den traumgebenden, vergessen-lassenden Mohn, verbunden, zusammengebracht mit einer Reminiszenz an den Anfang, an das pochende, drohende Zeitmotiv und damit an die schreckliche Vergangenheit, an den symbolträchtigen Herbst, an Tod, Vernichtung, PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 27 Vergänglichkeit; das Violoncello setzt mit drei stark akzentuierten, gewichtigen Pizzicato-Vierteln ein mahnendes Zeichen, erinnert, ruft das Geschehene ins Gedächtnis. Das Motiv hat aber seine Bedrohlichkeit, das Belastende verloren und erscheint nun beruhigt, geglättet als mahnendes Gedenken der Toten, als Gedächtnismotiv. Die Vereinigung, das Zusammentreffen der Gegensätzlichkeit von Mohn und Gedächtnis, von befreiendem Vergessen und mahnendem Erinnern kommt vor allem durch das ausgehaltene Flageolett der Geigen nach den Glissandi zum Ausdruck: Zusammen mit dem letzten Pizzicato des Cellos entsteht ein gemeinsamer Klang, der musikalisch die Gegensätze von Traum- und Gedächtnismotiv zusammenführt. Währenddessen klingt stets gegenwärtig die Terz von Altflöte und Bassklarinette weiter, Symbol für die beiden Liebenden im Gedicht, während sich um dieses musikalische Zentrum, um dieses kontinuierliche Moment, musikalische Vergleiche und Bilder gruppieren, die denen in Celans Gedicht entsprechen. Die große Ruhe und Geborgenheit, die durch den Vergleich mit in den Muscheln schlafendem Wein deutlich wird, bedarf jedoch musikalisch keines weiteren Bildes als des Zusammenklanges von Flöte und Klarinette in intimer Nähe und Zusammengehörigkeit, so dass zu dieser Strophe nur der Terzklang dieser beiden Instrumente zu hören ist. Werden die beiden Liebenden aber dem Meer verglichen, das im Blutstrahl des Mondes unbekümmert ruht, so ist musikalisch das Meer durch ein gemäß Athanasius Kirchers Ton-Farben-Symbolik blaues ‚b‘ im Violoncello dargestellt, während der Blutstrahl des Mondes durch eine sehr hohe Terz in den Violinen verkörpert wird. Die paradoxe Verbindung des natürlicherweise weißen Mondes mit der roten Symbolfarbe des Blutes zum Blutstrahl des Mondes entpricht den gewählten Tönen der Violinen: Hier klingen zusammen das „weiße“ cis und das „rote“ as, die beiden Geigen vollziehen also in der Klanglichkeit die Vereinigung der beiden Farben und damit auch der weißen Reinheit des Mondes mit dem tödlichen, grausamen Rot des Blutes. Ganz leise beginnen die Geigen, gleich dem aufgehenden Mond, doch schnell verliert der Klang seine Sanftheit, verliert der Strahl des Mondes seine Kühle und wird zum schmerzlich-grellen, gleißenden Blutstrahl, der in die dunkle Zurückgezogenheit der beiden Liebenden (verkörpert durch den Zusammenklang von Flöte und Klarinette) eindringt und wieder das blendende, schmerzliche Licht der Erinnerung verströmt. Doch die Liebenden lassen sich nicht beunruhigen, die Terz klingt ruhig weiter, wie das Meer, das in seiner unendlichen PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 28 Weite und Gelassenheit durch das sehr tiefe, „tief-blaue“ ‚b‘ des Cellos dargestellt ist. Somit reißt der „blutige“ Klangstrahl der Violinen im Fortissimo ab, ohne eine Wirkung auf das Meer des Cellos oder die Liebenden (Flöte und Klarinette) zu haben, deren Klang immer noch im Raum steht. Die Geigen setzen mit einem hohen, feinen ‚cis‘ wieder ein, wobei die mit diesem Ton verbundene Farbe Weiß nun Symbol ist für die offene, weite, lichte Situation: Die Liebenden stellen sich im Fenster den Blicken der Öffentlichkeit. Diese Offenheit, das Heraustreten aus dem Privaten, das Einbeziehen der „Corona“, wird musikalisch unterstrichen durch die großen Intervalle (Cello und erste Violine liegen mehr als fünf Oktaven auseinander!), die gleichsam offen im Raum stehen. Nun wird die Welt eingeweiht, „es ist Zeit, daß man weiß! / Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt“. Auf das Signalwort „Stein“ setzt das Klavier ein und bringt durch ein langsames Arpeggio das Aufblühen des Steins musikalisch zum Ausdruck, steckt damit zugleich den tonalen Rahmen ab, in dem das Stück endet: Es ist dies ein C-Dur Septakkord mit großer Septe, ein sehr lichter, entspannter, freier Akkord, der das Visionäre, der Realität in gewisser Weise utopisch Entrückte am Ende des Gedichtes „Corona“ unterstreichen soll. Nach dem Arpeggio über zwei Oktaven übernimmt die Klarinette im feinsten Piano und in hoher Lage die große Septe des Klaviers, womit das Offen-Visionäre, Entgrenzte der Situation noch verstärkt wird. Durch ein Flötensolo, das auf einem quasi leblosen, „steinernen“ tiefen ‚c‘ beginnt und sich dann gleich einer Blüte öffnet und lebendig wird, in Freiheit und neuem Leben nach oben strebt und zu blühen beginnt, erhält die Metapher vom blühenden Stein, vom utopischen OrganischWerden des Anorganischen, große Prägnanz und Eindringlichkeit. Nun kann der Unrast, der Unruhe und Rastlosigkeit ein Herz schlagen, und so bleibt der Septakkord frei und zeitlos im Raum stehen, wenn visionär verkündet wird: „es ist Zeit, daß es Zeit wird.“, was dann in mehrmaliger Wiederholung ausgeblendet wird, parallel zum allmählichen Verschwinden des Klanges der Instrumente. Aus der völligen Ruhe, aus der Stille des Raumes, tritt das Postulat von entgrenzter Zeit, vom „Morgen-Gestern“, in dem frei und unbelastet gelebt werden kann: „Es ist Zeit.“ 5 Schluss PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 29 Die hier vorgestellte musikalische Umsetzung des Gedichts „Corona“ maßt sich in keiner Weise an, dem dichterischen Genie Paul Celans gerecht zu werden, ebenso wie sie es nicht aufnehmen kann und will mit den zahlreichen Vertonungen von Celan-Texten großer zeitgenössischer Komponisten wie Aribert Reimann („Eingedunkelt. Neun Gedichte von Paul Celan für Alt solo.“), Wolfgang Rihm („Lichtzwang. Musik für Violine und Orchester. In memoriam Paul Celan“, „Vier Gedichte aus ‚Atemwende‘ von Paul Celan.) oder Peter Ruzicka („Gestalt und Abbruch. Sieben Fragmente für Stimmen.“). Diese Klangcollage ist lediglich der kreative Ausdruck einer sehr persönlichen „Begegnung“ mit dem Gedicht „Corona“, Ausdruck des Bestrebens, Paul Celan auf der Grundlage einer eingehenden Beschäftigung mit seiner Persönlichkeit, seiner Biographie (hierbei v.a. seiner Beziehung zu Ingeborg Bachmann) und seiner außergewöhnlichen Art zu schreiben, in die Welt seiner Chiffren, Bilder und Symbole zu folgen, musikalisch-klangliche Entsprechungen zu finden und auf diese Weise der Dichtkunst dieses Ausnahmelyrikers eine eigene, künstlerische Reaktion entgegenzustellen. Es wurde versucht, den Text Celans, der ja selbst viele Werke französischer, italienischer und russischer Autoren ins Deutsche, also von einer Sprache in die andere, übersetzt hat, quasi in ein anderes Medium, in eine andere, vielleicht in eine ganz andere50 „Sprache“ zu „übersetzen“. Hierbei war vor allem wichtig, dass der Text in den Klang, in die „Toncollage“ integriert wurde, so dass ein „Gesamtkunstwerk“ entstehen kann in der Einheit, der Zusammengehörigkeit von gesprochenem Wort und unterstützendem, illustrierendem Klang. Es ist die vorliegende Vertonung also keine Musik, die den Text lediglich als Quelle der Inspiration verwendet, der Text wird vielmehr in seiner klanglichen Ästhetik, in seiner eindrucksvollen Bildkraft einbezogen in das musikalische Geschehen, er ist entscheidender Bestandteil der Komposition. Es ist hoffentlich gelungen, das Dunkel der Celanschen Dichtung ein wenig aufzuhellen, die Bedeutung des Gedichts „Corona“ gleich der Zeit, die im Gedicht aus den Nüssen geschält wird, aus der „hermetischen Nussschale“ zu „schälen“, die Nuss zu „knacken“ und den Text in unmittelbarer, lebendiger Weise erfahr- und erlebbar zu machen... 50 Vgl. Celan: Der Meridian. In: Gesammelte Werke, Bd. III, S. 196. PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 30 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 31 Literaturverzeichnis Texte von Paul Celan: Paul Celan: Mohn und Gedächtnis. 2.Aufl. Stuttgart, München: Deutsche VerlagsAnstalt 2000. Das Gedicht „Corona“ ist im Text zitiert als Corona, Verszahl. Paul Celan. Gesammelte Werke in fünf Bänden. Bd. II-III. Hrsg. von Beda Allemann und Stefan Reichert unter Mitw. von Rudolf Bücher. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983. Sekundärliteratur: Adorno, Theodor W.: Kulturkritik und Gesellschaft. In: Prismen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1955. Emmerich, Wolfgang: Paul Celan. Reinbek: Rowohlt 1999. Gellhaus, Axel: Die Polarisierung von Poesie und Kunst bei Paul Celan. In: CelanJahrbuch 6 (1995), S. 51-91. Janz, Marlies: Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans. Frankfurt a.M.: Syndikat 1976. Pöggeler, Otto: Lyrik als Sprache unserer Zeit? Paul Celans Gedichtbände. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1998 (= Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 354). Voswinckel, Klaus: Paul Celan. Verweigerte Poetisierung der Welt. Versuch einer Deutung. Heidelberg: Lothar Stiehm 1974. Wellek, Albert: Farbenmusik. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Bd. III. Hrsg. von Friedrich Blume. München/Kassel: DTV/Bärenreiter 1989, S.1811-1822. PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 32 Anhang PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 33 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 34 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 35 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 36 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 37 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 38 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de 39 PDF wurde mit FinePrint pdfFactory-Prüfversion erstellt. http://www.context-gmbh.de