Vergangene Informationsgesellschaften. Oder: auch in der Antike gab es schon Kommunikationsmedien Turing�Galaxis 0 Christoph Markschies Ein Beitrag zur Tagung Shapes of Things to Come am 15.2.2006. Transkribiert und redaktionell nachbearbeitet von Stefan Ullrich für turing-galaxis.de. Erstellt am am 9. Februar 2012. Das, was ich Ihnen jetzt vortragen werde, beschreibt exakt die rhetorische Mitte zwischen einem präsidialen Grußwort und einem richtigen Referat. Wie Herr Coy schon völlig richtig gesagt hat, bin ich kein Informatiker wie unser Vizepräsident. Ich bin ein Altertumswissenschaftler und mich interessiert genau das Problem, über das Herr Coy am Anfang gesprochen hat, nämlich die Frage: Worin besteht eigentlich die Neuheit der gegenwärtigen Entwicklung der Informationsgesellschaft? Mich interessiert eine möglichst präzise Antwort auf die Frage, weil ich den Eindruck habe, dass sie gewöhnlich dual beantwortet wird: die Minderheit votiert für »alles schon da gewesen«, die Mehrheit vertritt die Position, es habe sich alles völlig geändert. Sie ahnen, ein Historiker, wie ich es bin, der sich mit antiken Gesellschaften beschäftigt, ist daran interessiert, jenseits dieser unattraktiven und zu einem Stück auch trivialen (und damit immer auch falschen) dualen Antworten zu einer etwas präziseren Bestimmung des Neuheitswertes gegenwärtiger Entwicklungen zu kommen. Wenn Sie einen Historiker dazu fragen, wird er Ihnen zunächst einmal vergangene Entwicklungen vorführen und versuchen, die jeweilige differentia specifica in Hinblick auf gegenwärtige zu beschreiben. Dazu muss ich Sie kurz behelligen mit der Begriffsgeschichte des Wortes Information. Ich werde Sie danach zu drei Beispielen entführen, die Sie vielleicht für sehr speziell halten; Sie werden aber merken, dass jedes der drei Beispiele genau auf die Frage zielen wird: was war eigentlich anders und was ist gleich geblieben? Am Ende werden wir drei Antwort erhalten, von denen ich hoffe, dass Sie sie ein wenig für das Tagungsthema verwenden können. Und wenn nicht, dann schieben Sie es auf die übliche Funktion eines präsidialen Grußwortes, das mehr oder weniger in eine solche Tagung einleitet. Das erste Interessante bei der Betrachtung der Begriffsgeschichte des Wortes Information in Antike und Mittelalter scheint mir zu sein, dass der Begriff Information jeweils an sehr allgemeinen geistesgeschichtlichen Paradigmen hängt. 1 Der Begriff Information bezeichnet in der Antike ein sehr breites Spektrum: Bildung und Weisheit. In der Spätantike, grob gesagt ab dem vierten Jahrhundert, ab den Umbrüchen der diokletianischen Reichsreform, erfährt der Begriff, genau wie das ganze Reich, eine religiöse Aufladung. Das Reich wird, etwas trivial gesagt, frömmer, und das können Sie beim Informationsbegriff nachvollziehen, sowohl bei Heiden wie bei Christen. Augustinus schreibt in einem Brief Anfang des fünften Jahrhunderts in Nordafrika: ›Das, was Jesus Christus in Menschengestalt tut, »ad eruditionem informationemque nostram«, das ist zu unserer Erziehung und Information, Bildung, geschehen.‹ Der pagane, also der heidnische Historiker Amian Marcellin, der sehr eng mit dem letzten großen Aufbruch des Heidentums unter Kaiser Julian am Ende des vierten Jahrhunderts verbunden ist, sagt, einem bestimmten Kaiser sei es deshalb so schlecht gegangen, weil ihm »praeclara informatio doctrinarum«, die herrliche Weltweisheit verborgen geblieben sei, die ›durch ein Geschenk des Himmels den Glücklichen zuteil wird und sogar oft mangelhafte Naturen veredelt hat.‹ Beide, die Heiden und die Christen, laden den Informationsbegriff religiös auf. Sie haben die Vorstellung, Information sei etwas, das von einer transzendenten Macht in einer Art zufälligem, gnadenhaftem Geschenk manchen Menschen zuteil wird und anderen nicht, das ist kontingent. Es ist auch keine Frage besonderer Voraussetzungen, sondern wem die heidnische Muse oder der heilige Geist Information schenken will, dem schenkt sie oder er die auch. Eine Informationstheorie in dem Sinne, dass gefragt wird, wie wir besser sicherstellen, dass eine Informationsübertragung erfolgt, die zerbröselt langsam und es herrscht tatsächlich die Vorstellung, es sei kontingent, da könne man nichts machen, so sei das eben. Der Informationsbegriff wird in ganz starker Weise durch allgemeine geistesgeschichtliche Paradigmen überformt. Die großen Umbrüche hin zur Spätantike sind im Informationsbegriff erkennbar. Ist es hinsichtlich der starken Kontextabhängigkeit des Informationsbegriffes überhaupt sinnvoll, einen Begriff wie »Informationsgesellschaft« der 1980er oder 1990er Jahre (vgl. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, BBAW) auf die Antike anzuwenden? Vergleicht man nicht Äpfel und Birnen? Sollte man nicht besser den Begriff »Informationsgesellschaft« reservieren für die gewaltigen medialen Umbrüche der unmittelbaren Gegenwart? Auf den ersten Blick scheint dies tatsächlich sinnvoller zu sein. Für die Reservierung des Begriffes spricht, dass zu einer Informationsgesellschaft die Globalisierung gehört. Das römische Reich war überhaupt nicht globalisiert, es bestand aus zahllosen, sehr spezifisch geprägten Gesellschaften, die in Blick auf ihre Sprache, auf kulturelle Eigenheiten ihre Eigenständigkeit bewahrten; man wird also keineswegs sagen können, dass das Römische Reich eine globalisierte Zivilisation gewesen sei. Auf der anderen Seite ist das Interessante am Römischen Reich, dass es eben doch eine uns in manchen Punkten vergleichbare globalisierte Zivilisation gewesen ist: manche Menschen fingen in Nordafrika ihre Beamtenkarriere an, landeten in Syrien und gingen dann nach Gallien. In der Sprache, in der Kultur, 2 ist zumindest für eine kleine Schicht von Leuten das Reich eine globalisierte Zivilisation. Die Frage, die ich mir an dieser Stelle gestellt habe, ist, ob es nicht doch so ist, dass der Kitt, der das Römische Reich zusammenhält, der also diese Einheit von Spanien über Nordafrika bis in den Nahen Osten zusammenhält, Informationen sind. Zumindest kann man sagen, dass dieser Kitt nicht das Militär war, denn das war nur eine vergleichsweise kleine Schicht von Leuten. Es wurde nicht durch militärischen Druck zusammengehalten, ebensowenig durch wirtschaftliche Zwänge. Ist der Kitt, der dieses riesige Reich mit minimalen Verwaltungsstrukturen zusammenhält, vielleicht die Information, der Informationstransfer? Rechtfertigt dies, dass wir das Römische Reich als »Informationsgesellschaft« – wenigstens in Anführungsstrichen – bezeichnen können? An drei Beispielen werde ich das genauer ausführen. Das erste Beispiel bezieht sich auf die Frage, wie mit Information Propaganda gemacht wird, das zweite bezieht sich auf Information und Werbung und das dritte bezieht sich auf Gesellschaftsgestaltung durch Zeitgestaltung. Sie wissen vielleicht – zum ersten Punkt – aus »Asterix und Obelix« oder woher auch immer, dass für das Römische Reich die Adler der Legion schlechterdings zentral waren, die Feldzeichen. Das ist ja bis ins 20. Jahrhundert so gewesen. Für das Militär gilt: Um Gottes Willen nicht die Fahne verlieren, bei der Fahne bleiben! Diese Fahnen sind aber gelegentlich verloren worden, und zum militärischen Ruhm des Augustus gehörte es, dass er in den Parther-Kriegen – das war im Osten die einzig wirklich ernst zu nehmende militärische Bedrohung des Römischen Reiches – verlorene Feldzeichen zurückgewonnen hat. Das war einer der militärischen Erfolge, die zum Aufstieg des Augustus um 20 v. Chr. führten. Nun kam es darauf an, diesen großen militärischen Sieg, dass man die Fahnen bekommen hatte, einer ganzen Gesellschaft bzw. einem Weltreich zu kommunizieren. Das Interessante ist, dass die Propaganda des Augustus dazu zwei Möglichkeiten der Informationsweitergabe wählt. Zur internen stadtrömischen Information wird ein Triumphbogen auf dem forum romanum gebaut. In einer Gesellschaft, in der zehn Prozent der Leute Lesen und Schreiben können, wird einerseits mit Schrift gearbeitet; in der Inschrift des Triumphbogens ehren der Senat und das Volk von Rom den Imperator Caesar Augustus, der elf Mal Konsul war usw., weil er die römischen Bürger und die Feldzeichen aus den Händen der Parther wiedergewonnen hat. Da aber ein großer Teil der Gesellschaft überhaupt nicht lesen kann, ist oben auf dem Triumphbogen andererseits ein Viergespann abgebildet, als Statue steht Augustus auf dem Wagen des Viergespanns und links und rechts daneben gucken die Feldzeichen heraus, in Kopie, die er gewonnen hat. Nun ist es so, dass Sie mit einem solchen stadtrömischen Triumphbogen in einem Weltreich von Spanien bis an die Parthergrenze nicht viele Menschen erreichen. Es muss daher noch in einer anderen Weise kommuniziert und informiert werden. Dies geschieht mit Hilfe von Münzen. Vorn auf den Münzen ist der Triumphbogen abgebildet, auf der Rückseite steht ein Auszug der Inschrift. Menschen, die diese Münze in die Hand nehmen – und das tun sie überall, da 3 die Münzen überall verteilt werden –, können das mitvollziehen und dank der imperialen Propaganda des Augustus seinen großen militärischen Sieg nachvollziehen. Information wird also in einer gewissen Weise globalisiert: wenn Sie diese Münze in der Hand haben und entweder lesen können oder jemanden kennen, der Ihnen die Münze erklärt, dann verstehen Sie auch, welche Informationen die Münze in die Gesellschaft hineinstreuen will. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, das ist mit einer heutigen globalisierten Information, beispielsweise einer eMail der Deutschen Post, die Ihren Computer zum Absturz bringen soll, nicht wirklich vergleichbar: zum einen ist es natürlich ein sehr langsames Medium. Bis die Münze an den äußersten Enden des Reiches in ihrer Originalform angekommen ist, bis sie nachgeprägt ist und dadurch an Deutlichkeit verliert, kann man das Münzmotiv unter Umständen dort überhaupt nicht mehr verstehen. Das Element der Beschleunigung der modernen Informationsgesellschaft soll durch diese Ausführungen überhaupt nicht in Abrede gestellt werden. Der Rhythmus des Lebens der Antike war wesentlich langsamer und weil man in anderen zeitlichen Dimensionen lebte, ist auch der Informationstransfer wesentlich geringer gewesen. Man muss zudem sofort hinzufügen: da nur etwa zehn Prozent der Leute damals überhaupt Lesen und Schreiben können, ist der Zugang zu den Informationen ein ganz anderer. Vielen Menschen fehlen schlicht die geographischen Kenntnisse. Sie können sich ungefähr vorstellen, dass sowohl Münze als auch Triumphbogen auf vielen verschiedenen Ebenen rezipierbar sind. Es gibt eine Bildungs- und Literalitätsschicht, die das in vollem Umfang rezipieren kann, und es gibt ganz abgestufte Formen der Rezeption dieser Information bis hin zu völlig abgeblassten Informationsresten. Soviel als erstes Beispiel, aus dem Sie erkennen, dass es schon Formen einer globalen Informationsdistribution gab, die aber in Blick auf das Tempo und die Rezeptionsintensität deutlich von heutigen Zeiten unterschieden sind. Mein zweites Beispiel, Werbung, ist der Versuch, Ihnen noch einmal deutlich zu machen, wie Informationen in der Antike auch funktionieren konnten. Das macht auf etwas aufmerksam, was vielleicht auch der Schnellebigkeit gegenwärtiger Zeiten immer mehr zum Opfer fällt – Sie kennen die berühmte Frage nach der Archivierung von Information –: In der Antike dient Information dazu, ein Gedächtnis zu erzeugen bzw. eine Memorialkultur durchzuführen. Dass dem so ist, können Sie sich ganz leicht klar machen. Ich lese Ihnen einen Text von dem aus der Schule bekannten Zensor Cato (Mitte des 2. Jh. v. Chr.) vor, in dem er die Funktion von Information im Rahmen antiker Memorialkultur beschreibt: Leonidas, der Lacedaemonier, also der Spartaner, der etwas vergleichbares bei den Thermopylen vollbracht hat wie ein namenloser römischer Militärtribun, wurde wegen seiner Leistungen von ganz Griechenland gerühmt, man dankte ihm in höchstem Maße und ehrte ihn an vielen Orten durch Monumente von allerhöchster Berühmtheit. »Monumenta«, das Wort hängt auch sprachlich mit monere, jemanden an etwas erinnern, zusammen. Cato beschreibt weiter: Bilder, Statuen, Ehrenschriften, historische Darstellung und andere Dinge hätten gezeigt, wie hoch man seine Tat schätzte. Nun sagt Cato, dass sie das in Rom nicht hätten. In Rom werde nicht viel Tamtam gemacht und der unbekannte Militärtribun, über den ich gerade erzähle, hat solche Ehrungen nicht erhalten. 4 Auch da sieht man wieder einen ganz spannenden Umbruch in der Informationskultur, den ich schon angedeutet hatte. So wie der Informationsbegriff in der Spätantike religiös konnotiert wird, so steigt das ursprünglich sehr zurückhaltende Rom, das eben eine nicht sehr weit ausgebreitete Informationskultur hatte, fast ein wenig distant war, in der Kaiserzeit in eine globalisierte Informationskultur ein und schreibt Ehrendekrete, stellt Ehrenstatuen auf, und es beginnt eine riesige Menge von Informationsproduktion zum Zweck der Memorialkultur. Was ich Ihnen nun vorführen möchte, ist, dass zu dieser in der Kaiserzeit neu aufkommenden Memorialkultur auch die Werbung gehört. Werbung ist eine sehr spezifische Form von Information, die unserer gut vergleichbar ist. Ich lese Ihnen eine Inschrift an einem Gasthaus »Bei Appollon und Merkur« in Lyon aus der Kaiserzeit vor. Sie müssen sich dazu die lateinische Versform dazuhören. Es ist so eine Art von Versmaß wie bei »Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso«, ein relativ einfacher Vers, mit dem Sie sich den Werbespruch gut merken können. Er lautet: ›Merkurius verspricht Gewinn, Apollo Segen, Septunanus – der Besitzer des Gasthauses – Unterkunft mit Verpflegung‹, also bed & breakfast. ›Wer kommt, wird es hernach zu besseren Konditionen nutzen. Gast, achte darauf, wo du gut unterkommst!‹ Sie ahnen, wie ich das sehr ausführlich auslegen könnte: da gibt es Rabatt, wenn Sie mehrfach kommen, da wird darauf hingewiesen, dass Sie einen Preisvergleich durchführen sollen – Gast, achte darauf, wo du gut unterkommst –, und Sie finden auch noch ein wunderschönes Versmaß, dass es Ihnen erlaubt, Merkurs und Apollos Gästehaus im Kopf zu behalten und die anderen zu vergessen. Das Spannende hieran ist jetzt, dass sich solche Inschriften nicht nur am Gasthaus selber finden, sondern über die Stadt und, jetzt wird es noch besser, auch über das Römische Reich verteilt zu finden sind. Die Werbung ist in der römischen Kaiserzeit so weit globalisiert worden, dass Strategien der Informationsvermittlung, die auch heute noch zur Werbung gehören, und Strategien zur Globalisierung der Werbung über das ganze Reich verbreitet waren. Wenn Sie jetzt fragen, wo die Unterschiede zur heutigen Informationsgesellschaft und deren Umgang mit Werbung sind: ganz gewiss in der Finanzierung. Es hat im Römischen Reich keine eigene Truppe gegeben, die Werbung entwickelt oder verwendet hat, um wiederum Werbung zu finanzieren. Also viele Dinge, die mit heutiger Werbung zu tun haben, sind nicht gleich, und Sie ahnen, dass das, was ich beim letzten Abschnitt gesagt habe, auch hier gilt: Sie haben hier eine Langsamkeit der Kommunikationswege. Sie müssen natürlich Lesen und Schreiben können, um das Distichon überhaupt verstehen zu können, das am Gasthaus des Apollon und Merkur in Lyon hängt. Alles das, was ich in Bezug auf die Unterschiede der antiken Kommunikationsgesellschaft zu der heutigen gesagt habe, das gilt ganz gewiss auch für diese Werbung. Jetzt wollte ich Ihnen noch ein drittes Beispiel vorführen: die Gestaltung von Zeit und damit die Gestaltung von Leben und Gesellschaft durch Information, die im Sinne einer globalen Kommunikation ausgebreitet wird. Dazu beziehe ich mich auf etwas, das Sie vermutlich überhaupt nicht kennen: die so genannten Osterfestbriefe. In der reichen antiken Briefliteratur sind sie eine spezifische Gattung, mit der die christlichen Bischöfe Ägyptens den Osterfesttermin, also den 5 exakten Zeitpunkt des Osterfestes, im ganzen Land bekannt machen. Sie wissen vielleicht aufgrund von eigener Erfahrung, dass die Berechnung des Osterfestes nicht nur hoch kompliziert ist, in der Antike war es kirchlich umstritten. Dies sehen Sie an Jordanien oder Griechenland, wo sehr verschiedene Osterfesttermine gefeiert werden. Deswegen war es nötig, diesen Termin bekannt zu geben und Sie ahnen, dass dies erhebliche Folgen für das Leben eines Menschen hat, denn an Ostern kann er mit dem Fasten brechen und der Völlerei im Rahmen einer entsprechend großen Festwoche beginnen. Die Bekanntgabe des Osterfesttermins setzt den Kalender, setzt die Zeit, gestaltet Leben einer ganzen Gesellschaft. Auch hier ist wieder die Voraussetzung, dass Sie lesen können oder dass zumindest eine kleine Schicht die Briefe empfangen, lesen, und es dann der Gesellschaft weitergeben kann. Ich lese Ihnen mal den Brief vor, in dem der ägyptische Patriarch Athanasius – in Alexandria sitzend – 338 n. Chr. das Osterfest bekannt gegeben hat: ›Wir beginnen Fasten am 19. Monat Mechir.‹ Das meint also am 13. 2. 338. ›Wir brechen das Fasten am 29. des Monats Pamenos,‹ – das ist der 25. 3. – ›am späten Abend des Sonnabends.‹ Und dann kommt noch eine theologische Schlussklausel: ›Denn wenn wir über alle diese Dinge, so wie es sich gehört, nachdenken, wird es uns möglich sein, der ewigen Güter gewürdigt zu werden durch Jesus Christus, unsern Herrn, welchem sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit.‹ Sie merken, die schlichte terminliche Mitteilung wird wieder theologisch sanktioniert, sie wird religiös sanktioniert. Nur wenn Sie sich an die vom Bischof nach mathematischen Verfahren ausgerechneten Termine halten, wird Ihnen Ehre in Ewigkeit zuteil werden. Dann werden Sie im Himmel auch gut leben können, weil Sie sich an die Worte des Bischofs gehalten haben. Die schlichten mathematischen Berechnungen werden also durch hohe Theologie abgesichert. Das Wunderbare ist, dass uns das Ganze aus einer Handschrift eines syrischen Klosters überliefert worden ist. Ein syrischer Mönch hat neben diesen in koptischer Sprache überlieferten Text an den rechten Rand geschrieben: »Ich verstehe überhaupt nicht, was hier gemeint ist«. Daraus wird deutlich, dass Sie, um den Text zu verstehen, nicht nur die Kenntnisse des Lesens und vermutlich auch des Schreibens benötigen, Sie müssen darüber hinaus auch den ägyptischen Kalender kennen, weil Sie ansonsten mit den Monatsnamen nichts anfangen können. Das macht darauf aufmerksam, dass die antike Gesellschaft schon vergleichsweise segmentiert war, wiewohl sie auch eine globale Gesellschaft war. Es gab sehr verschiedene Zeitrechnungssysteme und wenn Sie keine synoptische Tabelle hatten, waren die verschiedenen Zeitrechnungen gar nicht ineinander überzuführen. Somit standen Sie völlig vereinzelt in dieser segmentierten Gesellschaft. Das verdeutlicht aber auch, dass ich für die Beschreibung der antiken Gesellschaft den Begriff »Informationsgesellschaft« gerne in Anführungsstriche setzen würde. Ich hatte Ihnen angekündigt, dass ich, da ich weder ein Informatiker noch ein Zeitgeschichtler bin, sondern mich mit der Antike beschäftige, Ihnen vorführe, was mich in meinem eigenen Fachgebiet an das Stichwort »Informationsgesellschaft« erinnert und Ihnen aber gleichzeitig deutlich mache, was die Unterschiede sind und Ihnen dann anbiete, wie das immer mit Grußworten ist, dass Sie es als angenehme Unterhaltung oder vielleicht auch als anregende In6 formation wahrnehmen. Wir haben festgestellt, dass das Römische Reich ein Stück weit durch Information konstituiert worden ist. Der Zusammenhalt in diesem Reich ist durch Informationen und weniger durch militärische Macht, weniger durch staatliche Institutionen, weniger durch zentralistische wirtschaftliche Maßnahmen hergestellt worden. Aber die Segmentierung des Römischen Reiches in verschiedene Gesellschaften wird durch diese Informationen nur sehr partiell aufgehoben. Sie können den Osterfestbrief des Athanasius nur verstehen, wenn Sie die ägyptischen Monatsnamen kennen und wissen, wie das im Kalender ist. Wenn Sie ein Syrer sind und nach dem Antiochenischen Kalender rechnen, nützt Ihnen das alles überhaupt nichts. Und wenn Sie zu den 90 Prozent der Menschen gehören, die gar nicht lesen und schreiben können oder nur sehr rudimentär irgendwelche Buchstaben erkennen können, nützt Ihnen die Information auch überhaupt nichts. Wichtig scheint mir zu sein, dass Sie sehen: Die Informationen halten nicht nur das Römische Reich zusammen, sondern sie steuern auch ein gutes Stück die alltäglichen Lebenszusammenhänge in einer vereinheitlichenden Art und Weise für bestimmte Regionen. Alle kriegen den Osterfestbrief des Athanasius vorgelesen. Der wird in der Kirche vorgelesen. Die ganzen dort anwesenden Leute in Ober-, Mittel- und Unterägypten erfahren davon, und die Information verändert ihr Leben. Die Antike hatte auch deswegen eine globalisierte »Informationsgesellschaft«, weil beispielsweise der berühmte Tatenbericht des Augustus an ganz vielen verschiedenen Orten in Stein gemeißelt an der Wand stand, und eine zentrale Behörde dafür sorgte, dass man überall in den Augustustempeln im Reich lesen konnte, was der Kaiser getan hat. Es gab also Instanzen, die für die Speicherung der Information sorgten. 7