Sa., 6. / So., 7. März 2010 Reportage Nummer 54 · III Von Philipp Brandl L einen los“ hieß es Ende Oktober 2009 für rund 20 Wissenschaftler und 30 Besatzungsmitglieder des deutschen Forschungsschiffs „Sonne“. Ausfahrt SO-203 führte die Forscher von Townsville im Nordosten Australiens in das Woodlark-Becken östlich von Papua-Neuguinea. Hier ist eine von weltweit vier Stellen, wo Kontinente auseinanderbrechen und ein neuer Ozean entsteht, und der einzige Ort, an dem der junge Meeresboden nicht sofort von Ablagerungen überdeckt wird. Blick bei Sonnenuntergang über das Achterdeck. Im Vordergrund die zahlreichen Kräne die für die Arbeit der Wissenschaftler unerlässlich sind. Bis zum Horizont reicht der Blick und offenbart nur eines: Man ist mitten auf dem offenen Ozean. Die Forscher unter Federführung des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-GEOMAR) versuchen dabei Fragen nach der tektonischen Entwicklung des Beckens und der Magmenquelle am Meeresboden nachzugehen und nach Anzeichen für hydrothermale Aktivität wie zum Beispiel Schwarze Rauchern zu suchen. Die dreitägige Überfahrt von Australien ins Woodlark Becken bei teils stürmischer See, verlangt besonders den See unerfahrenen Wissenschaftlern einiges ab. Gearbeitet wird rund um die Uhr, denn Schiffszeit ist teuer. Rund 30 000 Euro kostet ein Tag auf See. Zumindest die Wissenschaftler, die direkt mit der Probennahme betraut waren, arbeiten deshalb in drei Schichten. Die übrigen Forscher müssen aber auch immer bereit sein, wenn ihr Projekt an der Reihe ist oder neue Daten zu verarbeiten sind, auch wenn das bedeutet, mitten in der Nacht aufzustehen. Weit weniger bequem Das Leben an Bord eines Forschungsschiffes ist dabei wohl auch weit weniger bequem als man es beispielsweise von Kreuzfahrtschiffen kennt. Die Kammern, die man sich zu zweit teilen muss, bieten gerade genug Platz für eine kleine Sitzecke, ein Stockwerkbett und einen kleinen Schrank. Am schwersten fällt einem wohl am Anfang die Gewöhnung an den allzeit präsenten Schiffslärm, dem man nicht entfliehen kann. Ständig laufen die Maschinen und die tagsüber stattfindenden Instandhaltungsarbeiten verbreiten einen Flair wie auf einer Großbaustelle. Mit der „Sonne“ im Südwest-Pazifik Internationales Forscherteam untersucht die Entstehung eines neuen Ozeans vor Papua-Neuguinea tern vordringen und den Meeresboden auf wenige Dezimeter genau vermessen. Eine Genauigkeit, wie sie bis vor kurzem noch unvorstellbar war. „Abyss“ kann bis zu 20 Stunden tauchen und mit verschiedenen Sensoren dabei nach heißen Quellen am Meeresboden Ausschau halten. Hauptziel der Ausfahrt ist es, gute Proben des jungen Ozeanbodens an die Oberfläche zu befördern, um sie später im Labor analysieren zu können. Die wissenschaftliche Besatzung von Ausfahrt SO-203 ist dabei die erste überhaupt, die das Woodlark Becken systematisch erkundet. Immer entlang der Nahtstelle zwischen den zwei sich voneinander entfernenden Platten führt der Weg. Verschiedene Geräte stehen dabei zur Verfügung: Eine KettensackDredge, mit der man ähnlich einem Schleppnetz Gesteine vom Meeresboden abreißen und aufsammeln, ein Stoßrohr, mit dem man Gesteinsbruchstücke quasi herausstanzen kann, sowie ein TV-Greifer, ähnlich einer Baggerschaufel mit Kamera. Technisch gesehen ein wahres Highlight ist das autonome Unterwasserfahrzeug „Abyss“, das dem IFM-GEOMAR gehört. Das knapp vier Meter lange, zigarrenförmige Gefährt kann in Tiefen bis zu 6000 Me- Insgesamt blieb die „Sonne“ viereinhalb Wochen im Woodlark Becken, Zeit genug um den Übergang zwischen kontinentaler und ozeanischer Erdkruste genau zu studieren und den Mittelozeanischen Rücken, an dem sich seit circa sechs Millionen Jahren neuer Ozeanboden bildet, auf seiner gesamten Länge zu beproben. Klingt eigentlich nach viel Zeit, aber Meeresforschung ist ein zeitaufwendiges Unterfangen. Zur Person Der Autor Philipp Brandl wurde 1983 in Hirschau geboren und wuchs in Amberg auf. Nach Abitur und Zivildienst studierte er an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen Geologie und Paläontologie. Das Studium führte ihn nicht nur in die nähere Umgebung und das umgebende Ausland sondern auch nach Marokko, Südafrika und Spitzbergen. 164 Stationen Souvenir aus über 3000 Meter Wassertiefe: Ein Stück Kissenlava, wie es durch das plötzliche Abschrecken von heißer Lava beim Kontakt mit Wasser entsteht. Bilder: Brandl (4) Bergung des autonomen Unterwasserfahrzeugs „Abyss“ nach einer abgeschlossenen Tauchfahrt. Im Moment ist „Abyss“ vor Brasilien im Einsatz, um nach dem Flugschreiber der am 1. Juni 2009 im tropischen Atlantik abgestürzten Air France Maschine AF-447 zu suchen. Bei 3600 Meter Wassertiefe, wie sie hier nicht selten anzufinden ist, dauert es allein schon eine volle Stunde bis ein wissenschaftliches Gerät bis zum Meeresgrund hinabgelassen war. Bei den insgesamt 164 Stationen, die während der Ausfahrt abgearbeitet wurden und bei durchschnittlich vier bis fünf Stunden Zeitaufwand pro Station, ist die veranschlagte Arbeitszeit schnell um. Der Transit vom Arbeitsgebiet ins fast 2000 Seemeilen südlich gelegene Auckland ist gerade lang genug, um einen wissenschaftlichen Bericht über die Forschungsaktivitäten während der Ausfahrt zu verfassen und alle Proben und Gerätschaften sicher für den Transport nach Deutschland zu verstauen. Nach insgesamt sechs Wochen auf See endete die Fahrt SO203 in Auckland. Für die Forscher beginnt die richtige Arbeit erst daheim. Die nächsten zwei bis drei Jahre wird es dauern, bis zahlreiche Messungen im Labor abgeschlossen und die Daten ausgewertet sind. Schon direkt nach dem Ende der Ausfahrt kann man aber bereits sagen, dass die Expedition ein voller Erfolg war und weitere wichtige Puzzlesteine zum genauen Verständnis der Prozesse auf unserem Planeten gewonnen wurden. Der Autor in Arbeitsmontur bei einer der zahlreichen Nachtschichten. Im Sommer 2009 erlangte Philipp Brandl seinen Abschluss als Diplom-Geologe und ist seit Januar als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Endogene Geodynamik des GeoZentrums Nordbayern in Erlangen angestellt. In dieser Funktion arbeitet er an seiner Doktorarbeit über die Entwicklung des Erdmantels seit der Kreidezeit.