WISSEN 32 WIE GEHT DAS? Radioaktivität versorgt Bakterien Aufsehen erregende Theorie vorgestellt Von unserem Redakteur Jürgen Wendler BREMEN. Ohne Kohlenstoff kein Leben: Dies lernen schon Schulkinder. Organisches Material besteht aus Kohlenstoff-Verbindungen. Und wie andere Lebewesen, so benötigen auch Menschen solches Material aus Pflanzen und Tieren, um zu überleben. Mit Hilfe von Sauerstoff wird dieses Material im Körper in Energie umgewandelt. Was aber, wenn kein Sauerstoff vorhanden ist? Dass selbst unter solchen Bedingungen Energie gewonnen werden kann, beweisen Mikroorganismen, die sich an extrem lebensfeindliche Bedingungen – zum Beispiel im Meeresboden – angepasst haben. Statt Sauerstoff nutzen sie chemische Verbindungen wie Sulfat. Noch schwieriger jedoch wird es, wenn kein oder nicht genügend organisches Material zur Energiegewinnung zur Verfügung steht. Selbst dann scheint aber Leben möglich zu sein. Wissenschaftler haben dies jetzt anhand von Mikroorganismen, die tief im Meeresboden leben, zeigen können. Sie liefern eine Erklärung dafür, die nicht nur die Phantasie vieler Forscher beflügeln dürfte: Entsprechende Vorgänge wären nämlich auch auf anderen Planeten vorstellbar. Professor Dr. Bo Barker Jørgensen vom Bremer Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie hatte zusammen mit Kollegen bei Bohrungen im Pazifischen Ozean im Meeresboden Proben von bis zu 400 Meter tief liegenden Sedimenten gewonnen und war darin auf Leben gestoßen. In den oberen Sedimenten ermittelten die Forscher bis zu 100 Millionen einzellige Organismen pro Milliliter. Tiefer unten – in den bis zu 35 Millionen Jahre alten Sedimenten – waren es immerhin noch eine Million. NR. 270 · FREITAG, 17. NOVEMBER 2006 Die Faszination des Meeres Lesebuch bietet mehr als trockene Forschungsberichte Von unserem Redakteur Jürgen Wendler BREMEN. Das Meer bedeckt mehr als zwei Drittel des Planeten Erde. Es bietet Winzlingen wie Algen und Krill ebenso eine Heimat wie riesigen Walen. Es ernährt einen Großteil der Menschheit. Und es trägt wesentlich dazu bei, den Anteil des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre zu verringern. Der Erforschung des Meeres widmen sich auch im Land Bremen zahlreiche Wissenschaftler. Deshalb ist es kein Zufall, dass genau hier jetzt ein lesenswertes Buch zu diesem Thema erschienen ist. „Faszination Meeresforschung“ lautet der Titel des mehr als 460 Seiten starken Werkes, zu dessen Herausgebern Professor Dr. Gotthilf Hempel zählt. Der Meeresbiologe war von 1981 bis 1992 Direktor des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung und anschließend bis 1997 Direktor des Instituts für Ostseeforschung in Rostock-Warnemünde. Bremens Ex-Bürgermeister Dr. Henning Scherf machte ihn zum „Persönlichen Berater des Präsidenten des Senats für den Wissenschaftsstandort Bremen/Bremerhaven“. In dem neuen Lesebuch, das mit Unterstützung der Stiftung Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung entstanden ist, haben Hempel und seine beiden Mitherausgeberinnen mehr als 90 Einzelbeiträge unterschiedlicher Fachleute versammelt. Die Palette der Themen reicht von der Physik des Ozeans über dessen Bewohner, unterschiedliche Ökosysteme und biologische Prozesse wie den Kohlenstoff-Kreislauf bis hin zu Fragen der Fischerei und des marinen Umweltschutzes. Korallenriffe werden ebenso ausführlich erörtert wie Muschelbänke, das Leben der Humboldtpinguine am Rande der chilenischen Atacamawüste, der Fang von Kabeljau und Hering oder der Bau von Windkraftanlagen. Weitere Themen sind die tropischen Küstenzonen, das arktische Meereis sowie Nord- und Ostsee. Wie das Salz in die Ostsee kommt Dass die Ostsee mit ihren 390 000 Quadratkilometern nur unwesentlich größer ist als Deutschland mit seinen 357 000, ist nur eine von zahlreichen interessanten Informationen, die das Buch bereithält. „Die Ostsee hat eine junge, bewegte Geschichte von ungefähr 10 000 Jahren, während der Atlantik schon einige 100 Millionen Jahre alt ist. Bevor die Ostsee entstand, war das Gebiet von Gletschern bedeckt“, heißt es. In das Randmeer, das auch als Baltisches Meer bezeichnet wird, fließt ständig Süßwasser aus einem großen Einzugsgebiet. Salzwasser aus der Nordsee dringt hingegen nur in unregelmäßigen Abständen über die dänische Beltsee ein. Dieses salzige Wasser muss flache Schwellen überwinden, um in die Ostsee zu gelangen. Weil es schwerer ist als das Süßwasser, strömt es am Meeresboden entlang in Richtung Osten und füllt nach und nach die tiefen Becken. Besonders im Winter gelangt Salzwasser in das Randmeer. In dieser Zeit drücken starke Westwinde salz- und sauerstoffreiches Nordseewasser durch die Meerengen bei Dänemark. Die besondere Situation hat zur Folge, dass es im Durchschnitt 30 Jahre dauert, ehe das Wasser der Ostsee vollständig ausgetauscht ist. In der Nordsee geschieht dies innerhalb von vier Jahren. „Schadstoffe, die einmal in die Ostsee gelangen und im Wasser gelöst sind, werden daher nur sehr langsam heraustransportiert“, heißt es in dem Lesebuch, das neben den informativen Texten viele Bilder und Grafiken enthält. Viele Zahlen zur Fischerei Ein anderes, aber aus deutscher Sicht ebenfalls sehr nahe liegendes Thema ist die Fischerei. Ihr ist in dem Werk ein ganzer Abschnitt mit einer Reihe von Beiträgen gewidmet. In seinem einführenden Artikel zeichnet Dr. Werner Ekau vom Bremer Zentrum für Marine Tropenökologie ein dramatisches Bild der Situation. Seit vielen Jahrzehnten steige die Nachfrage nach Fisch, und bei ihrem Bemühen, sie zu befriedigen, nehme die Fischindustrie weder auf die Laichzeiten der Tiere noch auf sinkende Bestände Rücksicht. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Um 1900 wurden in aller Welt pro Jahr etwa vier Millionen Tonnen Fisch aus dem Meer gezogen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren es zehn, Ende der dreißiger Jahre knapp 20. Heute sind es zwischen 80 und 88 Millionen Tonnen. In Japan, das neben den USA, China, Peru und Indonesien zu den Ländern mit den größten Fangmengen zählt, wird besonders viel Fisch gegessen: Ein Japaner verzehrt im Durchschnitt mehr als 60 Kilogramm pro Jahr. Zum Vergleich: Ein Deutscher bringt es nur auf gut 15 Kilogramm. Allerdings hat auch hierzulande der Konsum stark zugenommen. 1988 waren es noch 12,6 Kilogramm Fisch, die ein Deutscher im Durchschnitt pro Jahr aß. 1923, so Ekau, sei in Deutschland nur das verzehrt worden, was die Fischer des eigenen Landes aus dem Meer gezogen hätten: 3,5 Kilogramm pro Person und Jahr. Wie schwierig es ist, den hohen Bedarf zu befriedigen, ohne Schäden in der Natur anzurichten, zeigen auch die Aquakulturen. Bei Ekau liest sich das so: „Für einen Großteil der in Aquakulturen gezogenen Fische müssen wir andere Fische zum Verfüttern fangen. Forelle und Lachs, als von Natur aus Man muss kein Meeresforscher sein, um der Faszination solcher Bilder zu erliegen. räuberische Arten, benötigen hochwertiges Futter mit einem hohen Eiweißanteil, der mindestens teilweise aus Fischmehl stammt. Für die Shrimp-Kultur gilt Ähnliches. Hier verlagern wir also das Problem.“ Hinzu komme die Verschmutzung des Wassers zum Beispiel durch Medikamente und der Flächenbedarf solcher Kulturen, der unter anderem zur Vernichtung von Mangrovenwäldern beitrage. FOTO: DPA EIN LESEBUCH AUS BREMEN Das Lesebuch „Faszination Meeresforschung“ richtet sich an Schüler, Lehrer, Studenten und andere, die sich für das Meer, seine Bewohner und die Arbeit von Meeresforschern interessieren. Herausgeber sind Gotthilf Hempel, Irmtraut Hempel und Sigrid Schiel. Das Buch ist im Bremer Hauschild-Verlag erschienen und kostet 39,50 Euro. Schon die Frühmenschen ernährten sich vielseitig Zahnschmelz aus 1,8 Millionen Jahre alten Backenzähnen gibt Aufschluss über Speiseplan WASHINGTON (DPA). Mit Hilfe des Zahn- wegen eines zu einseitigen Speiseplanes Primaten sei. „Diese Vielfalt erlaubt es dem schmelzes aus 1,8 Millionen Jahre alten Ba- ausgestorben sei. Nun müssten andere biolo- modernen Menschen, Nahrung aus aller ckenzähnen haben Forscher herausgefun- gische, soziale oder kulturelle Gründe für Welt zu essen“, schreibt Mitautor Thure CerBakterien unter einem Fluoreszenz-Mikroden, wie der Speiseplan von Frühmenschen das Aussterben des auch Paranthropus ge- ling von der Universität von Utah in Salt skop. Farbstoffe lassen sie gelb leuchten. aussah. Die Hominiden namens Australopi- nannten Hominiden untersucht werden, Lake City. thecus ernährten sich demnach äußerst viel- sagt Mitautor Matt Sponheimer von der UniDa der Paranthropus keine Werkzeuge beDie Sedimente entstehen, wenn organi- seitig, nämlich von Blättern, Früchten, Sa- versität von Colorado in Boulder. Paranthro- nutzt, sich aber dennoch vielseitig ernährt sches Material im Wasser zu Boden sinkt men, Wurzeln, Knollen und möglicherweise pus lebte in Afrika, starb jedoch aus, als das habe, lasse sich zudem folgern, dass Werkzeuge für die Evolution des Menschen doch und sich ablagert. Im Laufe der Zeit folgt so auch Tieren. Wie die Wissenschaftler im Klima trockener wurde. Die Studie zeige, dass eine vielseitige Er- keine so große Rolle gespielt hätten wie bisSchicht auf Schicht. Wie Jørgensen erklärt, Fachjournal „Science“ betonen, ist damit enthalten die Ablagerungen zwar Kohlen- die These widerlegt, dass die Primatenart nährung schon seit jeher ein Merkmal von lang angenommen. stoff-Verbindungen, doch die Menge des für Mikroorganismen verwertbaren Materials nimmt mit zunehmender Tiefe ab. „Dieses Material kann zum Beispiel in Form von Rohöl vorkommen, das für Mikroorganismen wie Bakterien nur schwer abbaubar Erbgut des Seeigels ähnelt zu großen Teilen dem des Menschen ist“, betont der Wissenschaftler. Auf Grund seiner Daten gelangte er zu dem Schluss, WASHINGTON (DPA). Indem sie das Erbgut dass die Zellen bei der vorhandenen Ener- des Purpur-Seeigels entziffert haben, eröffgiemenge aus organischem Material tau- nen Wissenschaftler der medizinischen Forsend Jahre bräuchten, um sich zu teilen. schung neue Perspektiven. Der Seeigel ist „Diese extrem lange Zeit ist mit dem jetzi- ein beliebter Modell-Organismus für die gen Verständnis von Biologie nicht in Ein- Wissenschaft. Er ist deutlich enger mit dem Menschen verwandt als andere Modell-Orklang zu bringen“, sagt er. Jørgensen und seine Kollegen fanden ganismen wie etwa die Fruchtfliege oder Faaber eine andere Erklärung, die sie jetzt im denwürmer. Das Erbgut des vorwiegend in BrandungsWissenschaftsjournal „Science“ vorgestellt haben. „Im Boden gibt es Stoffe wie Kalium, zonen lebenden Stachelhäuters bestehe aus Thorium und Uran, die radioaktive Strah- 814 Millionen Einzelbausteinen, so genannlung abgeben“, so der Professor. Diese ten Basenpaaren, berichtete die Gruppe um Strahlung sei auch der Grund für die Wärme George Weinstock vom Baylor College of im Innern des Planeten. Wenn zudem Was- Medicine in Houston (US-Bundesstaat Teser vorhanden sei, geschehe Folgendes: Die xas). Diese bildeten 23 300 Gene. Immerhin hochenergetische Strahlung spalte die Was- 7077 davon hat der Seeigel mit dem Mensermoleküle, die aus Wasserstoff und Sauer- schen gemein. Einige der Gene waren bisstoff bestehen. Damit werde Wasserstoff her nur von Wirbeltieren bekannt. Die Forscher stießen unter anderem auf frei, der eine ideale Energiequelle darstelle und von den Mikroorganismen genutzt wer- Gene, die beim Menschen Muskeldystrophie oder Veitstanz (Huntington-Krankheit) den könne. Die Abschätzung der Energiebilanzen verursachen können. Auch bei den Genen zeige, so der Bremer Wissenschaftler weiter, für das Sehen und Hören fanden die Wissendass dieser Prozess ausreichend Energie lie- schaftler unerwartete Gemeinsamkeiten fern könne. „Damit wären die Lebewesen von Mensch und Seeigel. Purpur-Seeigel hatief im Meeresboden, das heißt in der so ge- ben zwar keine Augen, können Licht aber nannten tiefen Biosphäre, unabhängig von mit Sinneszellen an ihren Füßen wahrnehden Prozessen auf der Erdoberfläche“, be- men. Das Immunsystem erstaunte die Forscher: tont Jørgensen. Es sei vorstellbar, dass sich ein derart exotischer Lebensraum auch auf Von keinem anderen bisher untersuchten anderen Planeten entwickelt haben könnte. Tier sei eine so ausgereifte angeborene AbEine entscheidende Rolle spiele die Radioak- wehr bekannt, betonten sie. Zugleich äußertivität im tiefen Meeresboden vermutlich ten sie die Hoffnung, dass ihre Arbeit dazu nur dort, wo besonders wenig organisches beitragen könnte, neue Möglichkeiten zur Material zur Verfügung stehe – also in den Bekämpfung von Krankheitserregern zu entPurpur-Seeigel an der Küste von Bamfield in Kanada. FOTO: DPA wickeln. zentralen Bereichen der Ozeane. Unerwartete Gemeinsamkeiten Die Forscher hatten mit einem Laser die Emaille-Schichten der Zähne untersucht, die ihren Angaben zufolge Baumringen vergleichbar sind. Die Zähne stammten von vier in Südafrika gefundenen Skeletten. Anhand der in den Schmelz eingelagerten Stoffe schlossen die Wissenschaftler auf die Ernährung der Hominiden. Mit dem Laser sei es gelungen, den Zahnschmelz zu untersuchen, ohne die Zähne zu beschädigen, betonen sie. Stacheliger Überzug zerstört Keime WASHINGTON (DPA). Wissenschaftler um Alexander Klibanov vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USBundesstaat Massachusetts) haben eine neue Möglichkeit erforscht, Oberflächen frei von Keimen zu halten. Wie sie in den „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften erläutern, könnte künftig ein Überzug aus mikroskopisch feinen Stacheln diese Aufgabe erfüllen. Die Forscher verwendeten für ihre Arbeit eine Substanz aus der Klasse der so genannten Polyethylenimine (PEI). Diese bildet eine stachelige Oberfläche – so zum Beispiel auch auf einer Glasscheibe. Wie Klibanov und seine Kollegen in ihrer Studie betonen, zerreißt an diesen Stacheln die Zellwand von Bakterien. Mit der Schutzhülle von Viren geschehe das Gleiche. Darüber hinaus weisen die Wissenschaftler vom angesehenen Massachusetts Institute of Technology darauf hin, dass sie die Wirkung der stacheligen Oberflächen bei verschiedenen Grippeviren sowie bei den Bakterien Escherichia coli und Staphylococcus aureus erfolgreich getestet hätten. Beide Bakterien könnten schwere Erkrankungen hervorrufen. Bereits nach wenigen Minuten seien alle Erreger zerstört gewesen, heißt es in den „Proceedings“. Mit anderen Worten: Die Beschichtung schaffe sterile Oberflächen, mit deren Hilfe sich die Übertragung von Krankheitserregern bremsen lasse. Bislang werden vor allem Chemikalien, Hitze und Druck eingesetzt, um zum Beispiel die Oberflächen von Operationsinstrumenten keimfrei zu halten.