Die Grenze der menschlichen Vernunft und die Rede von Gott

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Die Grenze der menschlichen Vernunft und die Rede von Gott
Eine Meditation über Heideggers Spätphilosophie
Von: Christoph Fleischer, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 12 / 2013
In seiner Freiburger Vorlesung "Der Satz vom Grund" unterzieht Martin Heidegger das moderne Denken der radikalen Kritik,
über der Frage nach der Berechenbarkeit der Welt die Frage nach dem Sein vergessen zu haben. Christoph Fleischer
umkreist die Gedanken Heideggers und konfrontiert sie mit theologischen Konzepten, die wachsam sind für die Frage nach
Gott als Frage nach dem Sein.
Mein Aufsatz stellt zunächst den Gedankengang eines Buches vor, das heute einmal mehr Beachtung verdient: Martin
Heidegger, Der Satz vom Grund.(1) Heidegger unterzieht dabei den modernen Rationalismus einer Kritik, die fundamental
argumentiert. Im Grunde ist es eine Art "Dekonstruktion"(2), da Heidegger hauptsächlich an der Begrifflichkeit entlang
argumentiert, diese sorgfältig untersucht und weiterführt. Die Untersuchung wandelt die Frage nach dem Grund (ratio) in die
Frage nach dem Sein (Ontologie). Dieser Schluss und die Orientierung an einer Aussage der Mystik macht Heideggers
Untersuchung für die Theologie interessant. Abschließend wird daher kurz die Frage behandelt, welche theologischen
Positionen die Ontologie in die Frage nach Gott einbezogen haben und zu welchem Ergebnis sie dabei kommen (Paul Tillich,
Dietrich Bonhoeffer). Dabei werden neuere ontologische Konzepte in der Philosophie zur Kenntnis genommen und gefragt,
welche Position eine ontologisch orientierte Theologie heute ­beziehen könnte.
Krise der menschlichen Rationalität
Die Entwicklung der Menschheit führte im 20. bis heute ins 21. Jh. zu einer zuvor nicht dagewesenen Entfaltung der
menschlichen Vernunft in der Anwendung der Technik, sei es in der Entfaltung der Produktion und in der Aneignung der
Natur für Rohstoffgewinnung und Energieerzeugung, sowie zugleich für die Zerstörungskräfte der Kriege. Die zunächst so
propagierte "friedliche" Nutzung der Atomenergie ist ebenso unbeherrschbar, was diverse Störfälle von Tschernobyl bis
Fukushima zeigen. Wenn der christliche Glaube nicht abgespalten wird von diesen Entwicklungen der Menschheit, sondern
eine Form des Umgangs mit ihnen ist, der dem, was Menschsein bedeutet, eine von innen und außen her betrachtete
Perspektive gibt, dann zeigt sich in der Grenzerfahrung der menschlichen Vernunft die Erfahrung des Göttlichen.
Die Rede von Gott kann nicht unabhängig von der menschlichen Wirklichkeit gesehen werden, die von der Vernunft
reflektiert wird. Daher ist es nötig, einen Blick auf die Philosophie zu werfen. Martin Heidegger (1889-1976) hielt im
Wintersemester 1955/56 die Vorlesung "Der Satz vom Grund" an der Freiburger Universität. Diese Vorlesung benennt im
Umgang mit der "Satz vom Grund" genannten Prämisse das Scheitern des menschlichen Rationalismus, der bis heute zu
den Voraussetzungen unserer technisch-wissenschaftlichen Welt gehört.
Auf die Ausführungen dieser Vorlesung von Heidegger sollte man genauer hören, um von dort aus die Aufmerksamkeit auf
den Umgang mit Gott auch vor dem Hintergrund der Krise der menschlichen Rationalität zu richten. Dabei würde zu kurz
greifen, mit Beispielen aus der vorreformatorischen Theologie wie z.B. Augustin oder Anselm von Canterbury die Entwicklung
zur Neuzeit quasi zu ignorieren oder gar rückgängig machen zu wollen. Die Ermächtigung des Menschen zur
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technisch-wissenschaftlichen Weltgestaltung wurde bis heute in der Kirche als Umsetzung des biblischen Schöpfungsauftrags
verstanden. Faktisch jedoch hat sich die Menschheit in der Gestaltung des Lebens und der Welt von dieser Vorstellung
gelöst und Gott jeweils nur an der Grenze und jenseits der menschlichen ­Vernunft erkannt.
"Nichts ist ohne Grund"
"Nichts ist ohne Grund" (Nihil est sine ratio)(3) - so lautet der Satz vom Grund in der negativen, vom Ausschluss
ausgehenden Fassung. Anders gesagt: Es gibt nichts, das ohne Grund ist. In dieser Form ist der Satz vom Grund nach
Heidegger klarer und verbindlicher als die positive Aussage: "Alles hat seinen Grund." Der Grund gehört zu jeder Art des
Seienden notwendig dazu. Heidegger beginnt in dieser Vorlesung die Entfaltung oder die De(kon)struktion der
Metaphysik(4), die den Satz vom Grund zum obersten Grundsatz erhebt, zugleich aber den Begriff "Grundsatz" als bekannt
voraussetzt. Heidegger zeigt hierdurch in der Grundlage der Metaphysik einen Zirkelschluss auf, der nach den Gesetzen der
Logik nicht möglich ist und daher als Denkfehler gilt.
Die Frage, ob der Satz vom Grund der höchste Grundsatz ist, ist unbeweisbar, zugleich aber evident. Die Rede von
Grundsätzen allgemein wird im Satz vom Grund stillschweigend vorausgesetzt. Heidegger stellt allerdings fest, dass sich
auch in der Atomphysik ein Wandel des Umgangs zu den Gegenständen vollzieht, die "... auf dem Weg über die moderne
Technik die Vorstellungsweise der Menschen im ganzen verändert"(5). Was daraus folgt, ist hier erst angedeutet, wird aber in
seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen sein. Im Jahr zwei nach der Katastrophe von Fukushima, die sich 25 Jahre nach
Tschernobyl ereignete, ist erstaunlich, wie klar hier bereits durch Martin Heidegger die Konsequenzen der Atomenergie
unabhängig von der Frage ihrer Nutzung gesehen werden. Es besteht der Verdacht, dass die stillschweigende Annahme des
naturwissenschaftlichen Zeitalters, dass alles begründbar sei, dazu geführt hat, dass man auch alles, was denkbar scheint,
für durchführbar hielt.
Wenn der Satz vom Grund lautet, dass es nichts gibt, was ohne Grund ist, so muss im Gegensatz zu reinem
Wissenschaftspositivismus legitimerweise nach dem Grund gefragt werden, der den Satz vom Grund selbst begründet.
Leibniz, Aristoteles und Novalis treten als Zeugen dafür auf, vor einer übertriebenen Begründungssucht zu warnen. Es gilt zu
wissen, was begründbar ist und was nicht. So hat der Satz vom Grund etwas Grundloses und, wie von Heidegger gezeigt
wird, Zirkuläres, was aber im Rationalismus so nicht erkannt wird. Es geht immer noch um die Begründung des Prinzips. Das
Problem entsteht allerdings erst durch die Übersetzung von "principium" mit "Grundsatz". Entlehnt aus den Begriffen der
Geometrie bietet sich stattdessen nach Heidegger das griechische Wort "Axiom" an. Denn das Wort "Prinzip", das aus dem
Lateinischen stammt, geht von einer Rangordnung, einer Hierarchie aus. Das Wort "Grundsatz" entspricht dem griechischen
Wort für Hypothese und meint das, was anderem schon zugrunde liegt. Heidegger rührt hier zugleich an den Verdacht, dass
das Denken in Rangordnungen u.a. der lateinischen Sprache entspringt. Der Satz vom Widerspruch lautet etwa lateinisch:
"sine non potest, quod implicat contradictionem" (es gibt nichts, was ­einen Widerspruch beinhaltet).(6)
Grund und Ursache
Von diesem Satz her stellt sich die Frage: Ist Grundlosigkeit und damit zugleich die Unbegründbarkeit des Satzes vom
Grund im Sinn der Satzes vom Widerspruch ein Widerspruch? Seit Hegel ist der Widerspruch in allem möglich, wenn der
richtige Umgang damit beachtet wird. Heidegger wechselt von der Logik auf die Ebene der Bedeutung der Begriffe. Die
Unterschiede zwischen Prinzip, Axiom und Grundsatz spiegeln das abendländische Denken wider. Über den Begriff Axiom
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bestimmt die Technik die Menschheit (z.B. in der Mathematik). Bei Leibniz, der sich mit dem Satz vom Grund ausführlicher
befasst hat, kommt vom Grundsatzgedanken her das Prinzip der Kausalität dazu und wird mit dem Satz vom Grund
kombiniert oder gleichgesetzt. Doch wird der Satz vom Grund von Leibniz von der Kausalität unterschieden und als Satz des
"Zuzustellenden Grundes" konkretisiert. Der Satz vom Grund ist damit von der Funktion her gedacht, wenn es allein darauf
ankommt, ob es zu einer Sachfrage einen passenden Grund gibt. Die Frage der ontologischen Allgemeingültigkeit des
Satzes vom Grund ist damit zwar nicht geleugnet, aber ein wenig als für die Praxis nicht so relevant angesehen worden.
Damit ist bis jetzt gemeint: Im Diskurs ist jeder Satz begründbar, entweder direkt oder auf Nachfrage. Der Satz vom Grund ist
somit der universelle, gemeinsame Nenner aller Wissenschaft, da er die Begründbarkeit voraussetzt und nichts gelten lässt,
was nicht begründbar ist.
Wenn Heidegger nun danach fragt, wieso denn mit der Aufklärung der "Satz vom Grund" eine gesonderte Behandlung
verdient, kommt er damit zugleich auf Gott zu sprechen, der in der zuvor gültigen Theologie als prima causa bezeichnet und
als Gegenstand des Satzes vom Grund angesehen wird. Diese theologische Voraussetzung in der Philosophie muss sich im
Denken der Aufklärung verabschieden, da diese davon ausgeht, dass die Welt aus sich selbst heraus verständlich und
interpretierbar ist. Daher muss nun allgemein vom Grund gesagt werden, dass nur etwas ist, wenn der Grund dafür
angegeben wird. Es geht darum, vom Sein eines Gegenstandes so zu sprechen, dass der davon unterschiedene Grund
"zugestellt", also hinzugenommen wird, um das Ganze als Geschehen zu kennzeichnen.
Für die Natur wird die erste Ursache von Leibniz jedoch immer noch mit Gott identifiziert. Gott wird so mit der Funktion des
Grundes gleichgesetzt, was den schon zuvor gesehenen Zirkelschluss darin einschließt, dass auch mit der Nennung Gottes
als Grund der Satz vom Grund sich immer wieder selbst begründet. Heidegger stellt erneut fest, dass das Grundprinzip der
Rationalität Wissenschaft und Universität als immerwährende Bewegung vom Grund zu Grund beschreibt. Interessant ist,
dass er so zu der Frage kommt, was das für den Begriff des "Atomzeitalter(s)"(7) bedeutet, also indirekt darauf, ob die
Entwicklung immer so weitergehen kann. Damit ist das Prinzip des zuzustellenden Grundes faktisch eine Denk-Ursache der
Bedrohung der Menschheit geworden, wenn diese Voraussetzung doch zu dieser katastrophalen Entwicklung der
Wissenschaft und ihrer technischen Anwendung geführt hat.
"Nichts ist ohne Warum"
Die Wissenschaft verlangt das Zureichen eines Grundes. Mit Leibniz beginnt laut Heidegger "die Metaphysik des modernen
Zeitalters"(8), die allerdings im Atomzeitalter an ihre Grenzen kommt. Die Metaphysik der Moderne ist im Sinn einer
Bezeichnung von Jürgen Habermas der Naturalismus, eine Metaphysik ohne Jenseits(9). In diesem Denken gibt es keine
Gegenstände mehr a priori, die als gesetzt und z.B. durch eine Metaphysik vorausgesetzt werden können. Die Gegenstände
sind der naturwissenschaftlichen Rationalität positiv gesetzt und vom jeweiligen Beweis abhängig. Dadurch ist nach
Heidegger die Frage nach dem Grund durch die Frage nach dessen Zustellbarkeit ersetzt worden. Das bedeutet kurz gesagt:
"Nichts ist ohne warum."(10) Die Warum-Frage ist die Frage des Atomzeitalters, die sich nicht auf den Grund richtet, sondern
auf Ursache und Wirkung.
Die Mystik beschreibt das Gegenbild, das "ohne Warum". Angelus Silesius scheibt: "Die Rose blühet ohne warum; sie blühet,
weil sie blühet." Heidegger sagt dazu: "Im "warum" gehen wir fragend dem Grund nach. Im "weil" holen wir antwortend den
Grund herbei."(11) Dass die Rose ohne Warum ist, ließe sich von der Biologie her hinterfragen. Was ist also gemeint?
Heidegger unterscheidet "warum" und "weil" in Beziehung zum Grund. Die Mystik, so Heidegger, beschreibt das
vordergründig grundlose Geschehen, auf das der Mensch direkt keinen Einfluss hat. Zwischen Rosen und Menschen ist ein
Unterschied; die Rose ist "ohne Warum", ohne das Zustellen des Grundes.
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Der Wahrheitsanspruch des Spruches von Angelus Silesius liegt darin, dass das "ohne Warum" der Rose auch für den
Menschen gilt, aber als eine verborgene, neu zu entdeckende Weisheit. Die Alternative, die nun auftaucht, ist die
Übertragung ins Positive. Die positive Gestalt des Satzes vom Grund gibt es in zwei Alternativen einmal: "Alles hat einen
Grund." Und: "Jedes Seiende hat einen Grund."(12)
Im Satz von Silesius selbst ist das "Weil" ohne Begründung; denn "sie blühet, weil sie blühet" ist eine Wiederholung. Es geht
im Hintergrund um die Frage der Beziehung zum Grund, die zugleich die Frage nach der Macht ist, die das Prinzip auf den
menschlichen Verstand ausübt, sich so oder anders zu entscheiden. Heidegger entscheidet sich für die ontologische
Variante des Satzes vom Grund, indem er feststellt, dass der Satz vom Grund im Prinzip eine Aussage über das Seiende ist,
wenn man das Wörtchen "ist" hervorhebt. Dies wird deutlich, wenn man das Verb "ist" zum Subjekt macht: "Das Sein ist
grundartig, grundhaft."(13).
Zwischenergebnis: Heideggers Themenwechsel
Faktisch markiert Heidegger einen Themenwechsel im Umgang mit dem Satz vom Grund. Der Satz vom "Nichts" wurde zu
einem Satz vom "Sein", zu einer ontologischen Aussage. Die Perspektive ist eine andere geworden. Heidegger gebraucht
dafür das Bild des Sprungs und markiert hierdurch eine Zäsur und beschreibt reflektierend den bisherigen Gang der
Argumentation:
1. Er stellt fest, dass der Satz vom Grund vom Beginn der Philosophie in Griechenland bis hin zur Neuzeit unentdeckt blieb,
obwohl er doch zu den Grundsätzen der Philosophie gehört.
2. Er bezeichnet ihn als einen der obersten Grundsätze der Philosophie.
3. Er stellt zeitkritisch fest, dass der Satz vom Grund ein Prinzip beschreibt, das besonders in der Neuzeit zu einem
bestimmenden Prinzip geworden ist.
4. Er stellt fest, dass man nach dem Grund mit "warum" fragen und mit "weil" antworten kann und dabei verschiedene
Perspektiven beschreibt.
5. Er entdeckt den Wechsel der Tonart im Satz vom Grund, der zu einer Aussage über das Sein führt.
"Sein ist grundhaft"
In der Anwendung des Satzes vom Grund auf der Seinsebene finden sich nun noch mehr selbstverständliche
Abwandlungen, die fast an mathematische Formeln erinnern: Einerseits kann es heißen: "Sein und Grund dasselbe" und
andererseits: "Sein: der Ab-Grund"(14). Die Frage der Herkunft stellt das Denken vor eine Aufgabe. Heidegger weist
zunächst in der Metapher des Weges auf die Erörterungen hin, um dann auf den Sprung zwischen beiden Verstehensweisen
zu verweisen. Dazu kommt nun der Gedanke, dass der Sprung zwar Absprung ist, aber doch das alte Denken nicht abstreift.
Bewusstsein scheint auch hier ein Denken zu beschreiben, dass sich dem Neuen öffnet, indem es das Alte integriert oder
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verwandelt. Leitmotive sind immer wieder die Metaphern des Springens und des Gehens.
Geschichte oder Geschick - beide Begriffe sind verwandt - ist kein kontinuierlicher Verlauf, sondern das sich Ereignende,
indem es sich "zuschickt" oder sich "entzieht". Heidegger kommt immer wieder auf die Frage nach der sprachlichen
Bedeutung zurück. "Methode" etwa bedeutet griechisch: "den Weg nachgehen". Manchmal scheint "Sein" und "Gott" ähnlich
zu funktionieren, Gott also ein erweiterter Grundbegriff des Seins zu sein. Diese theologische Aussage wird in dem
philosophischen Text verständlicherweise nicht entfaltet. Es geht, wie schon angedeutet, um "Seinsgeschichte". Das Sein
wird nach Herkunft und Zukunft unterschieden. Der Satz vom Grund gewinnt mit der Aufklärung an Macht, ja es wächst ihm
ein "Herrschaftsanspruch"(15) zu. Das Sein bringt sich durch Gegenständigkeit zum Ausdruck. Damit wird der Satz vom
Grund zum principium rationis, zum Grundsatz neuzeitlichen Denkens, zum Rationalismus.
Das Denken Heideggers lässt sich von der Mystik berühren. Angelus Silesius schreibt ebenso: "Das Lautenspiel Gottes: Ein
Herze, daß zu Grund Gott still ist, wird gern von ihm berührt: es ist sein Lautenspiel."(16)
Der Satz vom Grund beschreibt den Grund als Sein und das Sein als Grund. Zuerst ist zu fragen, was es heißt, das Sein als
solches, als Sein zu denken. Der Gegensatz dazu ist das wohl geläufigere Verstehen, das vom Seienden auf das Sein
schließt. Der Anspruch, einen Sprung vollziehen zu müssen, führt zum Wesentlichen, was wiederum Konsequenzen für den
Begriff der Geschichte hat. Von Aristoteles her gedacht, ist das Sein das Offenkundige, wobei das Seiende das
Offenkundigere von beiden ist. Zum Sein selbst gehört von daher gedacht der "Entzug", das "Sich-Verbergen".
Dieser Begriff des Seins darf nicht von seiner Beschaffenheit her gedacht werden, da es sich dann schlicht auch um das
Nicht-Sein handelt. Das "Sich-Verbergen" soll ebenso als eine Weise des Seins verstanden werden. Hier ist zu notieren, dass
damit, durch den Begriff "Weise von" das Sein verbalen Charakter bekommt und als Geschehen oder Prozess verstanden
wird, als Geschick, nicht als Zustand.
"Grund ist das, worauf etwas ruht"
Mit Kant kommt nun die zweite Bedeutung des Wortes ratio ins Spiel, die Vernunft. Kants Arbeit hat es mit Grenzen zu tun
und fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit. "Vernehmen" und "Sein" gehören für ihn zusammen. Kant geht also noch
einen Schritt weiter als Leibniz und deutet die Rolle des Subjekts als der vernehmenden Vernunft an, in der ratio zugleich als
Grund gedacht werden kann.
Das Prinzip des abendländischen Denkens besteht nach Heidegger darin, dass Seiende zu überprüfen und zu hinterfragen.
Hier ist vom "Wink" die Rede, in dem das Sein zum Vorschein kommt. Dass Sein wechselt darin zwischen sich "entbergen"
und sich "verbergen". Die Philosophie wird somit als Seinsgeschichte verstanden.
Das Erleben des vernünftigen Subjekts orientiert sich an der Gegenständlichkeit des Seienden. Mit dem Wort
"Transzendenz" wird in diesem Zusammenhang ein Denken bezeichnet, mit dem in der menschlichen Erfahrung ein
Übergang vom Seienden zum Sein vollzogen wird. Dem vierten Buch der Metaphysik des Aristoteles folgend geht die
Vernunft vom Anwesenden aus und befragt es nach dem Grund des "Anwesend-Seins". Demnach konstruiert Kant die
transzendentale Methode, die dem Satz vom Grund entspricht. Mit der ratio wird die Vernunft unweigerlich in der Subjektivität
begründet, da nur das Subjekt erkennen kann.
Heidegger erinnert an die Seinsgeschichte in der Epoche der Neuzeit. Er kommt auf die Ruhe zu sprechen und das, worauf
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etwas beruht. Das Sein ist im Gegensatz zum Seienden ein absoluter Begriff. In seinem Buch "Sein und Zeit" (1927)(17)
hatte Heidegger bereits vom Seins-Verständnis gesprochen. Schon Hegel meinte, der Mensch sei das denkende Wesen,
animal rationale. Das Sein wird in der Gegenständlichkeit erfasst und dadurch zugleich verfehlt. Nur, wenn ein Sprung
erfolgt, und wir in Distanz zur eigenen Sprache treten, ist die Erfahrung des Seins denkbar. In diesem Zusammenhang
scheint das Sein und der Grund dasselbe zu sein. Im Sein waltet ein Grund und der Grund gehört zum Seienden. Es ist nur
die Frage, ob der Begriff des Seins in der ursprünglichen Form, als Physis, noch angewandt werden kann. In der sprachlichen
Analyse des Wortes "Grund" findet Heidegger diese erneut in der Form von sprachlicher Vielfalt. Die Bedeutungen der
Begriffe und Worte Sein und Grund sind vom Verständnis der Sprache abhängig. Das Verständnis von Grund lautet: Grund
ist das, worauf etwas ruht. Ein Grund ist nach Heidegger also dem Sein immanent und damit zugleich transzendent. Seiendes
und Sein verhalten sich dann zueinander wie Immanenz und Transzendenz.
Die gerechnete Welt
Heidegger unterscheidet zwei Ebenen, die mit einem Sprung verbunden sind. Der Absprungbereich ist das, was vom
Geschick des Seins gebildet wird. Im denkenden Menschen spiegelt sich das Sein wieder, es ist aber nicht mit dem Wesen
der Menschen identisch(18). Er sagt, dass das Geschick des Seins uns in "Zuspruch und Anspruch" (S. 158) begegnet. Die
zweite Ebene der Sprungs ist keine andere Wirklichkeit, sondern der Vollzug des Bedenkens des Gewesenen, des
"An-Denkens" und des "Vor-Denkens".
Hier stellt Heidegger zum ersten Mal fest, dass sich das Bedenken von Sein und Grund nicht in eine Definition pressen lässt.
Die Vorstellung von Geschichte als Verwirklichung von Ideen wird als Resultat der platonistischen Aufspaltung der Welt
bezeichnet und damit kritisiert. Damit wird das metaphysische Denken erkannt und im Ansatz überwunden. Das menschliche
Denken ist in der Betrachtung des Seins immer in Vorstellungen gefangen, die zwangsläufig sind. Wer die sprachlich
vorgestellten Anschauungen beschreibt, kommt dem Wort "Grund" näher. Zunächst trifft man dabei auf eine Vielfalt von
Bedeutungen. Zugleich muss aber bedacht werden, dass es sich hierbei um eine Übersetzung des lateinischen Begriffes ratio
handelt. Dieses Wort ist doppelsinnig. Etwas verweist im Wort darauf, mit etwas zu rechnen, zu kalkulieren und etwas zu
berechnen. In diesem Sinne verstanden, rücken die Bedeutungen Vernunft und Grund wieder aneinander. Mit ratio ist nun
auch Rechenschaft-Ablegen gemeint. Das höchste Prinzip ist für Leibniz Gott. "Wenn Gott rechnet, wird Welt."(19) Im
Atomzeitalter wird dies zur Herausforderung an die Menschheit, da die "gerechnete Welt noch bleibt und den Menschen
überall in ihre Rechnung stellt"(20).
Heidegger entdeckt noch eine andere Perspektive durch den Blick auf die Wortbedeutung von ratio. Obwohl ratio sowohl mit
"Grund" als auch mit "Vernunft" wiedergegeben wird, ist die Grundbedeutung das Wort "Rechnung". Ratio heißt rechnen und
richten, selbst in einem auf Kunst bezogenen Zusammenhang. Im Begriff ratio ist also die Bedeutung von Berechenbarkeit
und Rationalisierung angelegt. Doch wieso ratio als Grund und als Vernunft wiedergegeben werden kann, zeigt Heidegger
am Beispiel des Zwiesel, eines Baumes mit zwei Spitzen. Die zwei Bedeutungen sind auch im Begriff des Rechnens
enthalten, einmal als Basis der Rechnung und zum anderen als Rechnungsvorgang.
Woran verbinden sich also ratio und Sein? Diese Frage lässt sich ebenfalls nur seinsgeschichtlich beantworten und setzt
beim griechischen Denken an. Ratio heißt griechisch logos. Der Satz heißt also nun: Logos und Sein sind dasselbe. Die
Wortbedeutung von logos geht über Rechnen, Richten oder Sich-beziehen-auf-etwas hinaus. Zugleich ist logos das Wort für
Sagen, für eine Aussage. Logos nennt das Sein, es nennt den Grund. Wichtig scheint daran zu sein, dass die
Wortbedeutung im Griechischen die verbale Variante betont. Durch den Rückgriff auf die griechische Sprache überwindet
Heidegger das statische Denken der lateinischen Begriffe und überträgt sie ins Prozesshafte. Im logos sind Sein und Grund
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noch miteinander verbunden. Im weiteren Prozess der Seins-Geschichte tritt ausschließlich die Differenz hervor. Die
Zusammengehörigkeit ist verborgen. Nach Heidegger zeigt sich darin dass Sich-Entziehen des Seins. Demnach ist Sein die
verborgene Fülle dessen, was zum Vorschein kommt.
Wohin führt dieses Denken? Heidegger gebraucht das Wort Spiel. Der Satz von Leibniz könnte umbenannt werden:
"Während Gott spielt, wird Welt."(21). Daraus folgt: "Das "Weil" versinkt im Spiel. Das Spiel ist ohne "Warum""(22). Wir sind
Beteiligte, Mitspieler, ob wir wollen oder nicht. Das Spiel des Denkens ist zum Karussell geworden, das man anhalten muss.
Jede und jeder einzelne kann und wird seine Rolle im Spiel bedenken. Aus Spiel ist Ernst geworden.
Gott als Grund des Seins
Von diesen ontologischen Gedanken her ist die Theologie danach zu befragen, wie sie Stellung bezieht zum faktischen
Ende des Rationalismus, dem, wie mit der Untersuchung Heideggers gezeigt wurde, als Kausalitätskette der letzte Grund
fehlt, womit er auch in jedem einzelnen Glied der Kette fehlt. Jede Begründung der Rationalität funktioniert so nicht
allgemeingültig und für immer, sondern nur bezogen auf die darin enthaltenen einzelnen Aussagen. Ohne eine
funktionierende Metaphysik muss man der Rationalität einen immanenten Relativismus unterstellen, der sich ja auch faktisch
in der Behandlung der einzelnen Probleme zeigt, wie sie etwas in der Frage der Atomenergie behandelt werden. In dieser
Hinsicht wäre das Wort Pragmatismus schon ein Euphemismus, denn in den naturalistischen Folgen von Kausalitäten wird
jede Antwort wenigstens eine neue Frage erzeugen.
In der Philosophie haben eine Glaubensbegründung, und heute auch die Metaphysik mit einer jenseitigen oder
ontologischen Begründung der Kausalität, keinen Platz und werden durch die zuzustellenden Gründe ersetzt, die jedem
Seienden zu Grunde liegen. Der Unterschied von Sein und Nichts wird ausgeblendet und stattdessen ein Perpetuum mobile
konstruiert, das letztlich ohne prima causa auskommt. Allerdings heißt dies auch: Wenn eine Begründung die Grundfrage der
prima causa ausblendet, spielt sie der Vernichtung in die Hände. Faktisch ist der Verzicht auf die prima causa nicht
rückgängig zu machen, was auch die Mystik nicht beabsichtigt. Sie verweist vielmehr auf die Komplexität des Lebens als
Ganzes. Folglich hat die Frage danach, worin eine Begründung der Zukunft des Lebens dient, konstitutiv zu sein, da sie
bereits in der prima causa mitgedacht wird. Zu erinnern ist an den in diesen Zusammenhang gehörenden kategorischen
Imperativ der Gegenwart, der inhaltlich so zu beschreiben wäre: Verhalte dich so, dass dein Verhalten nicht im Widerspruch
zur Zukunft des Lebens auf dieser Erde steht.(23)
Heidegger verfolgt das Thema der Mystik hier nicht weiter. Aber es ist die Frage, ob nicht die Rede vom Atomzeitalter immer
wieder danach fragt: Inwiefern ist Gott in diese Welt verwickelt? Dorothee Sölle und andere Theologen des 20. Jh. haben im
Leiden der Welt auch ein Leiden Gottes gesehen. Doch diese Aussage ist nur von zwei Voraussetzungen her möglich,
nämlich dass einmal Gott selbst in der Seinsgeschichte vorkommt und dass zweitens das Sein selbst an seiner eigenen
Zukunft interessiert ist.
Zunächst ist deutlich, dass durch Heidegger die Ontologie wieder ins Bewusstsein der Philosophie gerückt worden ist. Diese
Leistung ist wichtig, so sehr man Heidegger selbst seine eigene Verflochtenheit in die Geschichte des Nationalsozialismus
vorwerfen muss(24). Paul Tillich nimmt im Grunde Gedanken dieses Essays von Heidegger auf, indem er kurz und knapp
schreibt: "Das Sein Gottes ist das Sein-Selbst."(25) Einige Zeilen weiter stellt er fest, dass auch der Ausdruck "Grund des
Seins"26 gebraucht werden kann. Ausführlicher und auf den Glauben bezogen heißt das, dass Gott als Grund des Seins
auch die Struktur des Seins ist27, in der sich jedoch jeder befindet, der über Gott sprechen will. Die Struktur-Elemente des
Seins sind Elemente, die der Glaube als Symbole verwendet, die auf den Grund der Wirklichkeit hindeuten: "Diese Elemente
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machen ihn zu einem lebendigen Gott, einem Gott, der die Menschen konkret angehen kann."28 Tillich macht dies an der
bekannten Struktur der Korrelation deutlich. Die Wirklichkeit Gottes kann so immer zugleich auch als Wirklichkeit der
Erfahrung ausgedrückt werden. Am Beispiel des Wortes heißt das etwa: "Wenn Gottes-Selbst-Offenbarung das Wort
genannt wird, so symbolisiert das nicht nur Gottes Beziehung zum Menschen, sondern betont die Heiligkeit aller Worte als
Ausdruck des Geistes."29 Hier müssten nun die verschiedenen Aussagen über Gott ins Spiel kommen, die etwa im
trinitarischen Gottesbild verankert sind.
Gottes Mit-Sein in Christus
Auch Dietrich Bonhoeffer greift auf die Ontologie Heideggers zurück und wendet sie auf die Rede von Gott und auf die
Offenbarung selbst an: "für eine Seinsauslegung der Offenbarung (ist) die erforderliche Erkenntnis (richtig), dass die Existenz
des Menschen immer schon "Sein in ..." ist. Dies "Sein in ..." bedarf aber zweierlei entscheidender Bestimmungen: 1. Es
muss die Existenz des Menschen betreffen. 2. Es muss das Sein in Kontinuität gedacht werden können. Nehmen wir hinzu,
dass die Wirklichkeit der Offenbarung das seiende Sein selbst ist, dass das Sein (die Existenz) des Menschen selbst
ausmacht, dies Sein aber die dreieinige göttliche Person ist, so schließt sich das Bild, wenn dies als "Sein in Christus", d.h.
als "Sein in der Kirche" verstanden wird. Da dies Sein aber die Existenz des Menschen berühren soll, müssen mit ihm
Existenzakte zusammenstehen, die dies Sein ebenso konstituieren, wie (sie) durch es konstituiert werden."30
Mit dem letzten Satz des gegenseitigen Konstituierens durch Existenzinhalte greift Bonhoeffer faktisch auf das zurück, was
Tillich die Korrelation nennt. Ebenso ist vom Sein selbst die Rede, das hier der "Inhalt der Offenbarung" genannt wird.
Theologisch gesehen ist das aber kaum etwas anderes, als Tillich beschreibt, denn der Inhalt der Offenbarung ist Gott selbst
in seiner Zuwendung zum Menschen. Faktisch offenbart Gott sich als das Sein selbst, indem er mit Christus das Mit-Sein
verkörpert.31 Christiane Tietz-Steiding, die in ihrer Untersuchung der Habilitation Bonhoeffers beschreibt, wie er darin die
kurz zuvor erschienene Arbeit von Heidegger "Sein und Zeit" bearbeitet, fasst das über die Offenbarung Gesagte zusammen,
indem sie zwischen Sein und Seiendem unterscheidet: "Damit die Offenbarung Gegenstand der Erkenntnis sein kann und
doch nicht in die Macht des zu erkennenden Ichs gerät, muss ihr Sein im Seienden zu finden sein und das Sein zu dem
machen, was es ist, ohne mit diesem identisch zu sein."32
Wenn Gott der Schöpfer dieser Welt und des Lebens ist, dann gestaltet der Glaube an Gott die Verantwortung für das Leben
und die Zukunft der Welt. Wenn Gott der Grund des Seins ist, dann geschieht in der Anrede Gottes zugleich das absolute Ja
zum Leben in dieser Welt überhaupt, denn der Glaube stellt den Grund des Seins nicht in Frage, sondern vertraut darauf.
Schon Heidegger hatte, wie zuvor gezeigt, ohne diese theologische Zuspitzung das Denken des Seins als Zuspruch und
Anspruch gesehen. Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Gottes Gnade ist, dass wir leben dürfen. Unsere
Entsprechung und unser Dank bestehen darin, sich das Leben als Geschenk bewusst zu machen und sowohl individuell, als
auch global verantwortlich zu führen. In Jesus Christus wird der Grund des Seins als Liebe offenbart. Dieser Glaube führt
zuletzt in eine Tautologie, die anders in einer bestimmten Betonung auch als Aussage gelesen werden kann: Wir leben, um
zu leben und um dem Leben Zukunft zu geben. Im Glauben wird dementsprechend die Geschichte des Seins als Geschichte
Gottes in dieser Welt verstanden, als Deutung des Lebens im Horizont der Sinnhaftigkeit.
Das Geheimnis des Lebens respektieren
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Die Beobachtung Heideggers über die Zirkularität des kausalen Fragens nach dem Grund hat für die Theologie die
Konsequenz, dass es keinen metaphysischen Gottesbegriff im Sinn des letzten Grundes geben kann. Gott ist allerdings in
ontologischen Begriffen beschreibbar. Die Vorstellung vom Grund des Seins muss in die Idee des Sein-selbst übertragen
werden. Damit befindet sich das Sein im Verhältnis zum Seienden wie Transzendenz zu Immanenz. Das Sein ist aus
menschlicher Sicht leer und nicht darstellbar, was auf den Gottesbegriff angewandt nichts anderes als negative Theologie ist.
Doch Gott ist zugleich Anrede, ist Zuspruch und Anspruch. Theologie, die sich an den Begriffen des Seins orientiert, kann
eine Formulierung für die Gottesvorstellung bereitstellen, die immer von dem ausgeht, was Heidegger das "Eigentliche"
nennt.33
Dirk Baecker, der es in seinem Aufsatz "Kalkül des Seins"34 unternimmt, die Heideggersche Begrifflichkeit und Denkweise
einer logischen "Berechnung" nach dem System von George Spencer-Brown zu unterziehen, zeigt auf, dass beide auf den
Begriff einer Selbstreferenz stoßen, die "leer" ist. Auf die Frage, ob mit dieser Referenz theologisch gesehen auch der
Gottesbegriff gemeint sein kann oder zumindest als Angebot gebraucht werden könnte, antwortet er in einer e-Mail an den
Autor dieses Artikels: "Es ist meines Erachtens die Pointe bei Heidegger, in der Kybernetik zweiter Ordnung (der Begriff des
reliable organism from unreliable components stammt von John von Neumann) und bei Spencer-Brown, dass es keine
andere Zuverlässigkeit als die der unendlichen Rekursion einer leeren und daher laufend ergänzungsbedürftigen und
ergänzungsfähigen Selbstreferenz gibt. Diese leere Selbstreferenz ist die erstaunlich christliche (oder: religiöse) Denkfigur
bei Kant, Fichte und Hegel, die wir heute eigentlich nur weiterdenken - und dabei jede Transzendenz (Kant), jedes Licht
(Fichte) und jedes Absolute (Hegel) durch die Rekursivität selber ersetzen."
Wenn man theologisch Gott nicht gedanklich-statisch versteht wie in der Metaphysik, sondern variabel-lebendig, so
beobachtet man eine Entwicklung, die sowohl in der säkularen Philosophie als auch in der Theologie parallel verläuft.
Vielleicht hat die christliche Lehre immer schon bestritten, dass der Mensch die letzten Antworten und Gründe selbst finden
kann, hat aber dann Gott einfach an die Stelle des letzten Grundes gesetzt. Aber ist nicht der Gott der Bibel, der mit Christus
Mensch wird und stirbt letztlich darin genauso schwach, ratlos und hilfebedürftig wie seine Geschöpfe und ist es nicht
letztlich darum genau die Konsequenz des "Ohne warum" der Mystik, das Geheimnis des Lebens zu respektieren und es
nicht vervollkommnen zu wollen. Das Kalkül von Spencer-Brown zeigt eine Möglichkeit, wie man mit Variablen rechnen kann,
die variabel bleiben. Schon Feuerbach zeigte die Durchsichtigkeit eines Glaubens auf, der in die Gottheit nur die eigenen
Defizite projiziert, wie Heidegger nur der naturalistischen Metaphysik den letzten Grund verweigerte.
Anmerkungen:
1 Martin Heidegger: Der Satz vom Grund, Günter Neske Pfullingen 1957. Da die Abhandlung dieser Schrift folgt, verweisen
Anmerkungen nur dann auf den Text, wenn der Verweis direkt nötig ist.
2 Der Begriff stammt von Derrida und meint die Zerlegung einer Position in ihre Grundargumente und deren Kritik, z.B.
Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, in: Jacques Derrida: Die différance, Ausgewählte Texte, Reclam
Stuttgart 2008.
3 Heidegger: Der Satz vom Grund, a.a.O., 13.
4 Heidegger nennt es Destruktion, was Derrida später mit dem Begriff Dekonstruktion bezeichnet (s. Martin Heidegger: Sein
und Zeit, Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979 (14. Auflage), 22f: "Die Destruktion hat ebenso wenig den negativen Sinn,
einer Abschüttelung der ontologischen Tradition. Sie soll umgekehrt diese in ihren positiven Möglichkeiten, und das besagt
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immer, in ihren Grenzen abstecken, die mit der jeweiligen Fragestellung und der aus dieser vorgezeichneten Umgrenzung
des möglichen Feldes der Untersuchung faktisch gegeben sind".
5 Heidegger: Der Satz vom Grund, a.a.O., 19.
6 Vgl. ebd., 37.
7 Vgl. ebd., 57.
8 Vgl. ebd., 65.
9 Vgl. Jürgen Habermas: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Suhrkamp Frankfurt/M. 2009, 7.
10 Vgl. Heidegger, Der Satz vom Grund, a.a.O., 67.
11 Vgl. ebd., 72f.
12 Vgl. ebd., 75.
13 Vgl. ebd., 90.
14 Vgl. ebd., 105.
15 Vgl. ebd., 115.
16 Angelus Silesius, Spruch 366, zit. n. Heidegger, ebd., 118.
17 Martin Heidegger: Sein und Zeit, a.a.O.
18 Vgl. Martin Heidegger: Zur Seinsfrage, 1956.
19 Leibniz, o.A., zit. n. Heidegger, 170.
20 Ebd.
21 Ebd., 186.
22 Ebd., 188.
23 Vgl. Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt/M. 1979.
24 S. dazu Jacques Derrida: Vom Geist. Heidegger und die Frage, Suhrkamp Frankfurt/M. 1991.
25 Paul Tillich: Systematische Theologie, Bd. 1, Evangelisches Verlagswerk Stuttgart 1956, 273.
26 Ebd.
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27 Ebd., 276.
28 Ebd.
29 Ebd., 279.
30 Dietrich Bonhoeffer: Akt und Sein, Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1990, 105.
31 Vgl. zum "Mit-Sein" Jean-Luc Nancy: Singulär plural sein, diaphanes Zürich 2004, durchgesehene Neuauflage 2012, 22.
32 Christiane Tietz-Steiding: Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, Mohr Siebeck Tübingen 1999, 240.
33 Heidegger, Sein und Zeit, a.o.O.
34 Dirk Baecker: Kalkül des Seins (erscheint in: ­Johannes Weiß und Gallina Tasheva (Hrsg.): Existenzialanalystik und
Soziologie, Mohr Siebeck ­Tübingen, in Vorbereitung).
Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771
Herausgeber:
Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V
Langgasse 54
67105 Schifferstadt
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