Rüdiger Klatt Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem Zur Methode der funktionalen Analyse wirtschaftlicher Organisationen Abstract Der Aufsatz versucht, für die oft problematisch verlaufenden Kommunikations- und Interaktionsprozesse innerhalb eines Betriebes einen neuen soziologischen, interpretativen Rahmen auf dem Hintergrund sozialphänomenologischer, systemtheoretischer und konstruktivistischer Prämissen zu entwickeln. Dieser zielt auf die Unterscheidung unterschiedlicher Kommunikations- und mithin Rationalitätstypen im Sozialsystem ‘Betrieb’. Der Episodenrationalität situationsspezifischer Kommunikation z.B. wird die Zähl- und Meßbarkeitsrationalität indirekter, (z.B. über Kommunikationsmedien oder Schrift codierter) Kommunikation gegenübergestellt. These ist, daß diese Prozesse der Generierung unterschiedlicher, selbstorganisierender Sinnhorizonte und Symbolwelten mit je spezifischen eigenen zeitlichen, sachlichen und sozialen Grenzen zu »Eigenwerten« (Routinen) betrieblicher Kommunikation führen, die den Bestand des Betriebes zugleich ermöglichen und gefährden. In einer handlungs- und praxisorientierten Perspektive könnten die hier vorgestellten ersten Überlegungen zu einer Aufklärung über die Existenz unterschiedlicher »Sinnprovinzen« (Schütz) innerhalb des Betriebes beitragen. Der Aufsatz versteht sich auch als methodische Vorstudie zu einer Ergänzung und Verkettung sozialphänomenologischer Arbeits- und Betriebssoziologien mit neueren systemtheoretischen und konstruktivistischen Forschungen. 1. Einleitung Die hier vorgelegten Überlegungen zu einem funktionalen, systemtheoretischen Interpretationsrahmen des betrieblichen Kommunikationssystems gehen von drei Prämissen aus: Wir untersuchen zum einen ausschließlich sinnhafte, sprachliche Interaktions- und Kommunikationsprozesse, weil wir diese als Grundelemente des Sozialen begreifen. Technische oder sinnlich-vorsprachliche Tätigkeiten gehören somit nicht zu unserem soziologischen Gegenstandsbereich (wohl aber: sprachlich-kommunikative Interpretationen dieser Vorgänge). Zum anderen ist unser Untersuchungsgegenstand der »Betrieb« als soziales System, d.h. als Insgesamt aller Kommunikationsstrukturen und -prozesse, die in einem Betrieb stattfinden. Dabei ist entscheidend, daß wir uns an der Unterscheidung von System und Umwelt orientieren, so daß die Reproduktion des Betriebes über die Analyse differentieller Sinnreproduktionsbedingungen (SituatioArbeit, Heft 4, Jg. 2 (1993), S. 375 - 395 376 Rüdiger Klatt nen, mediengesteuerte Kommunikation) rekonstruiert werden kann. Zu erwarten sind dabei vertiefende systemtheoretische Einsichten über das betriebliche Interaktionsund Kommunikationsgeschehen, deren möglicher Gehalt innerhalb der Arbeits- und Industriesoziologie noch kaum Berücksichtigung findet. Des weiteren fragen wir zunächst nur nach der Funktion von Systemprozessen für die Bestandserhaltung in einer sich wandelnden, unbeherrschbaren Umwelt. Eine “Bedeutungs”-Analyse: die (Mit-Konstitution) und “Verarbeitung” sozialen Sinns durch das individuelle (leibliche) Bewußtsein, die folgen müßte, hätte eines eigenen Aufsatzes bedurft.1 Zugleich ist damit eine konstruktivistische Zugangsweise wissenschaftlicher Beobachtung beschrieben, deren »Viabilität« (Varela) sich erst im interdependenten - sich wechselseitig beschränkenden - “Spiel” von theoretischer Arbeit, methodischer Reflexion und empirischer Tatsachen zu bewähren hätte. Im Ertrag ist u.a. eine funktionale Reformulierung und Spezifikation des Problems “typisch relevanter Handlungen” (Schütz 1981, 323) aus systemtheoretischer Sicht durch das Konzept systemischer »Eigenwerte« zu erwarten, die eine weitere wechselseitige Befruchtung dieser beiden Theorieansätze ermöglichen könnte. 2. »Eigenrecht« der Situation Die Bedeutung und Funktion von Situationen, also von Interaktionseinheiten unter Anwesenden, die in zeitlich-sachlich-sozialer Unmittelbarkeit (“Hier”, “Jetzt”, “Subjektivität”) operieren (vgl. hierzu: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen, Bd. 1 u. 2, 1973; Schütz/Luckmann 1975, 113 ff.), für das betriebliche Sozialsystem wird im allgemeinen in der Arbeits- und Industriesoziologie eher unterschätzt (siehe aber: Bahrdt 1958, 5 ff.; Löffler 1991; Peter 1992, 197 ff.; Popitz u.a. 1957, 92 ff.; Thomas 1969). Dafür mag es gute Gründe geben: etwa im Hinblick auf die Möglichkeiten einer gehaltvollen quantitativempirischen Forschung, die auf wie immer geartete Generalisierungen und Systematisierungen angewiesen ist.2 Zum Teil dürfte aber der Ausgang von Strukturen (z. B. Schmiede 1992, Altvater u.a. (Hg.) 1985) oder von “Akteuren” (z.B. Küpper/Ortmann (Hg.) 1988, 7 ff.) eine schematische Begrenzung der wissenschaftlichen Beobachtung 1 Ein Konzept, das methodisch phänomenologische und systemtheoretische Realitätskonstitution innerhalb der Arbeits- und Betriebssoziologie miteinander zu verknüpfen trachtet, kann sich insbesondere auf die Arbeiten von Pöhler (vor allem 1969) sowie im Anschluß daran an Peter (1992) orientieren. Freilich wollen wir nicht verhehlen, daß hier eher der systemtheoretische Ausgang gewählt wurde; eingeschränkt werden muß dieser Zugang daher im Hinblick auf die mangelnde Thematisierung der subjektiven Dimension, die insbesondere beim Thema »Interaktion« und »Situation« (z.B. bezüglich der zureichenden Erfassung von “Kollegialität”) nur ein unzureichendes Bild des betrieblichen Geschehens vermittelt (vgl. mit einem ähnlichen Standpunkt Pöhler 1969, 117/118; zu einer ausführlichen Kritik des funktionalen Paradigmas Pöhler 1969, 75 ff.) Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem 377 auf Fragen sei es nach Strukturkonformitäten und -abweichungen, sei es nach Handlungsmöglichkeiten, -interessen, oder -vermögen bedingt haben. Um vitiöse Zirkel zu vermeiden wird hier versucht, über die Analyse von innerbetrieblichen »Selbstorganisationsprozessen« die »Polykontexturalität« (Günther 1979) des betrieblichen Sinngeschehens zu erweisen. Für den Betrieb als das Insgesamt aller innerbetrieblichen, tatsächlichen Kommunikation gilt es zu zeigen, daß und warum “alle Beobachtungen und Beschreibungen (...) abhängig von einer vorgängigen Kontextwahl (sind), die in unserer Gesellschaft nur als kontingent präsentiert werden kann.”3 2.1 Doppelte Kontingenz Einfache “face-to-face”-Interaktionen - informale “soziale Situationen” oder formale Gespräche - sind in einem Betrieb unter Betriebszugehörigen durch das Vorliegen institutionalisierter4 betrieblicher oder personaler Erwartungsstrukturen vorstrukturiert. In beiden Fällen bilden sich eigensinnige Kommunikationsformen,5 die weder allein auf subjektive noch auf betriebliche Erwartungen und Intentionen zurückgeführt werden können.6 Das liegt zum einen daran, daß mit den Intentionen, Verhaltens-Inkonsistenzen und der Distanz beteiligter Individuen bezüglich der institutionalisierten Erwartungen zu rechnen ist. Zum anderen dürfte - prinzipieller - die (doppelte) Kontingenz von Kommunikation (vgl. Parsons/Shils 1951, 3 - 29; Luhmann 1984, 148 - 190) gerade für diesen Fall direkter Kommunikation konstitutiv sein: nach dieser Vorstellung kann 2 Dies zeigt im übrigen auch, daß Methoden Realitätszugänge herstellen. Deren Evidenz wird durch wissenschaftsinterne Kriterien (z.B. Verallgemeinerbarkeit, Anschlußfähigkeit an den Forschungsstand, Neuigkeitswert, Kausalität) reguliert. Über betriebliche “Wirklichkeit an sich” ist damit freilich noch nicht entschieden; die Beschränkung auf bestimmte Methoden bedeutet immer auch Beschränkung der wissenschaftlichen Erfahrung auf die durch die Methode konstituierte »soziale Welt« (vgl. Maturana 1982; Schmidt (Hg.) 1987, Watzlawick/Krieg (Hg.) 1991). In ähnlicher Weise konstatiert Pöhler (1969, 4): “Es ist die Methode, die erst eine wissenschaftliche Betrachtung des Gegenstandes möglich macht und die diesen Gegenstand als ein Objekt der wissenschaftlichen Betrachtung konstituiert.” 3 Luhmann 1992, 666; siehe hierzu auch das Konzept der “lokalen Rationalitäten” bei Cyert/March 1963, zitiert nach Wehrsig/Tacke 1992, 223. 4 Vgl. zu dem hier verwendeten Begriff der Institution aus systemtheoretischer Sicht: Klatt 1992, 19 f. Institutionalisierte Erwartungen lassen sich als sinnhaft-soziale, (subjektiv) internalisierte “Muster” des Erlebens und Handelns charakterisieren, die eine “generalisierende” - also selektive und handlungsentlastende - “(Wert-) Beziehung” zwischen “Subjekten” und “sozialen Systemen” herstellen (vgl. auch Göhler (Hg.) 1987; Peter 1992). Dazu zählen in dem hier interessierenden Zusammenhang neben den arbeitsvertraglich eingegangenen Rechten, Verpflichtungen und Leistungserwartungen gegenüber Organisationen auch exogene - über Recht oder “industrielle Beziehungen” - determinierte Relevanzkriterien für innerbetriebliches Verhalten. 5 Um einen anschaulichen Vergleich aus der Physik zu verwenden: es handelt sich bei (situativen) Selbstorganisationsprozessen sozusagen um autokatalytisch stabilisierte “Kettenreaktionen”, in denen Themenbeiträge immer neue Themenbeiträge “anstoßen”, die in einer bestimmten Konstellation auf dem Boden personaler und sachlich-organisationaler Sinn-Ressourcen “auftauchen”, sich weiter fortsetzen oder “verschwinden” können, wenn nicht genügend “Energie” (etwa formale Zwänge oder subjektive Motive) zugeführt wird. Kern/Schumann z.B. (1984, 37 f.) sprechen in einem ähnlichen Sinne im Anschluß an Bahrdt von »situationsgebundenen Eigenlogiken«. 378 Rüdiger Klatt »ego« zu keinem Zeitpunkt einer Interaktion wissen, ob »alter ego« versteht, was »ego« meint, wenn er sagt, was er sagt. Zugleich weiß »ego«, daß »alter ego« nicht (eindeutig) weiß, was »ego« meint, wenn er sagt, was er sagt. Und »alter ego« weiß, daß »ego« nicht weiß, ob »alter ego« versteht, was »ego« meint, wenn er sagt, was er sagt et vice versa. (siehe auch Luhmann 1984, 207/208) Die einem Sprechakt folgende Kommunikation dürfte demnach - folgt man dieser Vorstellung - “frei” und “determiniert” zugleich entweder am informativen Gehalt, an der gemeinten subjektiven oder objektiven Referenz der Information oder an dem anhand dieser Differenz Verstandenem anschließen (vgl. Schneider 1992, 421 f.).7 In dieser ganz spezifischen Diktion kann Kommunikation allgemein als relativ offener sozialer Prozeß8 der Informationsverarbeitung bezeichnet werden. Dies einmal unterstellt: dann folgt daraus für jede Kommunikation, daß sie sich in ihrem Verlauf selbst fixieren muß, d.h. vermittels bestimmter Kommunikationstechniken eine Selbstfeststellung leisten muß, die ein freies ‘Flottieren’ von Bewußtseinsassoziationen - die phänomenologisch durchaus sinnhaft und zusammenhängend sein können - und den sozusagen ungebremsten Zufluß an sozialem Sinn verhindert. Dies geschieht in und durch die Kommunikation selbst dadurch, daß eine einmal getane Äußerung (gesagt ist gesagt!) den Spielraum daran anschlußfähiger Akte begrenzt. Damit wird hier die - einer genaueren Begründung und empirischen Überprüfung bedürftige - These vertreten, daß die Sprache selbst nicht genügend “Schranken” enthält, um die Kommunikation zu dirigieren, so daß jede Kommunikation zu jeder Zeit prekär ist und zerbrechen kann (Luhmann 1984, 191-241; dagegen z.B. Habermas 1981). 2.2 Medien betrieblicher Kommunikation Die empirische Tatsache, daß tagtäglich eine unbestimmte Anzahl von Menschen sich mehr oder weniger sicher in verschiedenartigsten Situationen bewähren, dürfte plausibel machen, daß trotzdem (oder gerade deshalb) relativ stabile Situationen mit relativ verhaltenssicheren Beteiligten vorkommen. Die Frage ist, wie dies möglich ist, d.h. welche Mechanismen bzw. Techniken der Kommunikation dies gewährleisten. Nach systemtheoretischer Vorstellung geschieht dies mit Hilfe von »Kommunikationsmedien« (Parsons 1980; Luhmann 1975; Künzler 1989). 6 7 8 Dies hat spätestens die empirische, sozialpsychologische sowie die sozialphänomenologische (Klein)Gruppen- und Interaktionsforschung (vgl. Brunner/Tschacher 1991) gezeigt. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Hier ist zu unterscheiden zwischen subjektiven Intentionen einerseits, die sehr wohl eine weiterreichende Bedeutung für das einzelne Subjekt haben können, und den nicht-intendierten Folgen andererseits, die gerade in und durch Intentionen in der Kommunikation entstehen können und die die Kommunikation ungewollt auf andere Geleise bringen kann. Es geht hier also gerade nicht um “Subjektivität”, sondern um die »Kontingenz von Kommunikation«. Wenn im folgenden von Prozessen die Rede sein wird, dann ist genau dies gemeint: die aktuell ablaufende Selektion der doppelt kontingenten Kommunikation mit Hilfe codierter Medien (Sprache, technische und symbolisch generalisierte Kommmunikationsmedien). Die Generierung von (zeitstabilen) Strukturen erfolgt dann unter Rekurs auf die eigene Kommunikationsgeschichte unter dem Aspekt der Wiederholbarkeit. Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem 379 Zum Aufbau eines mehr oder weniger differenzierten Kommunikationsnetzes unter Anwesenden bedarf es danach zunächst der Reduktion von Kommunikation auf ein gemeinsames Medium, das die Organisation sinnhaften Sprechens ermöglicht, ohne daß gleichsam “alles” entschieden ist. Für diese Funktion stehen im betrieblichen Kontext - neben der Sprache selbst - mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: Im Bereich direkter Kommunikation unterscheiden wir formale, über das betriebliche Medium »institutionalisierte Erwartungen« strukturierte Kommunikation,9 von informaler Kommunikation, die über das Medium: Kollegialität als systemspezifische Form des Ausdrucks von Subjektivität (vgl. Luhmann 1976 b, 314 ff.) integriert sein kann.10 Gemeinsam sind diesen beiden Formen unmittelbarer, direkter Kommunikation situative Grenzen wie die Sichtbarkeit des Raumes, die Überschaubarkeit der Zeit und die Beschränkung auf unmittelbar Anwesende. In »Situationen« stellen Themen, die die sequentielle Produktion von Beiträgen anleiten, die selbstreferentielle Form der Relationierung von Situationsrelevanzen und Umgebungswerten her (vgl. Schütz/ Luckmann 1975, 115 ff.; Luhmann 1976 a, 3 ff.).11 3. Formale, direkte Kommunikation Formalisierte, situative oder direkte Kommunikation - Arbeitsgruppengespräche, Besprechungen, Sitzungen, Konferenzen - zeichnet sich gegenüber einfachen, subjektivitätsorientierten Face-to-face-Interaktionen durch eine Standardisierung über institutionalisierte Erwartungen12 aus. Die Formalität formaler Strukturen übt in der Zeitdimension den Zwang zu Pünktlichkeit, Regelmäßigkeit und dauerhafter, wenigstens suggerierter Konzentration der Beteiligten, auf der Sachebene den Zwang zur Einigung auf Themen, Zuständigkeiten und Entscheidungsprozessen aus. In der Sozialdimen- 9 Hier wird lediglich zeitliche und räumliche Koinzidenz vorausgesetzt, was sowohl für ein “zufälliges” Gespräch in einer Arbeitspause, auf dem Gang, in der Kantine oder am Rande formeller Veranstaltungen gelten kann. Die Übergänge zu formalisierten, betrieblichen Situationen sind im Übrigen natürlich fließend. 1 0 Inwieweit informale Kommunikation sich darüberhinaus anderer Medien bedienen kann, ist in diesem Rahmen nicht hinreichend zu klären. Zu fragen wäre auch danach, inwieweit ‘Kollegialität’ überhaupt mit systemtheoretischen Prämissen hinreichend zu verstehen ist. Man darf generell vermuten, daß die Systemtheorie nur eine sehr beschränkte Sicht auf »Situationen« erlaubt, da sie auf die Explikation und Einbeziehung intentionaler Bewußtseinsleistung verzichtet (vgl. auch Fußnote 13). 1 1 Von diesem systemtheoretischen Verständnis von Situationen als unmittelbarem Kommunikationsprozeß ist ein an »Bewußtsein« orientierter, phänomenologischer Situationsbegriff zu unterscheiden, den Popitz/Bahrdt (1957, 106) so charakterisieren: “Unter Arbeitssituationen verstehen wir die Bedingungen eines Arbeitsvollzuges und den Vollzug selbst, insoweit und in der Weise, wie sie dem Bewußtsein des Arbeitenden gegeben sind.” 380 Rüdiger Klatt sion institutionalisierter Erwartungen wirkt der Pflichtcharakter formaler Kommunikationsformen, die Anerkennung formaler Macht-, Status-, und Hierarchiebedingungen, der Zwang zu relativ geordneter, sequentieller, regelgeleiteter Kommunikation mit normalerweise geregelten Konsens- bzw. Entscheidungsfindungsregeln (über Macht, Wahrheit, Kompetenz) strukturierend. Der so geprägte “formelle” Charakter “dienstlicher” Gespräche ließe sich empirisch bis in die feinen Verästelungen der unmittelbaren Nuancierung der Kommunikation verfolgen (Goffman 1986). 3.1 Institutionalisierte Erwartungen Diese wenigen Eindrücke dürften die These mit einer gewissen Anfangsplausibilität ausstatten, daß über formale, institutionalisierte Erwartungen ein Kommunikationsprozeß in Gang kommt, der innerbetrieblich eigene Grenzen zieht. Diese Grenzziehung ist in erster Linie der Regelgeleitetheit und Betriebsthemenabhängigkeit von formalen Situationen zu verdanken, die damit die unmittelbare Abhängigkeit von reziproker Subjektivität, Emotionen und dem ganzen Bereich dadurch geprägter informeller Beziehungen aufhebt. Tendenziell steigt damit die Sachbezogenheit und Ergebnisorientierung - also die Dominanz von institutionalisierten Erwartungen -, wenn auch deren individuelle Auslegung sich auf formale Situationen weiterhin auswirken kann. Die Konnektivität zum betrieblichen Gesamtprozeß - zur symbolverarbeitenden Ebene der System/Umwelt-Beziehungen - dürfte aber der Entscheidungszentrierung keinen Abbruch tun. Die Eigensinnigkeit institutionell integrierter Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung im betrieblichen Sozialsystem emergiert über die Routinisierung (Schütz/Luckmann 1975, 118) von Kommunikation durch die Kombination der Selektion von formal-betrieblichen Themen und doppelt-kontingent zustandenkommender Beiträge der unmittelbar Beteiligten. Die Spezifik dieser Art “Informationsverarbeitung” führt zu “Eigenwerten” (von Foerster 1987, 147 ff.), die - so meine These - weder sichtbar machen, ob die Motivation und Eigenleistungen der sie erbringenden, interessengeleiteten Subjekte dauerhaft gewährleistet ist, noch können die Dynamiken betrieblicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Makroprozesse (etwa der Wandel allgemeiner und spezieller Produktionsrahmenbedingungen, neue Technologien, neue Produktionsformen, “Wertewandel” in Bezug auf die Arbeit etcetera) in den »Routinen« formalisierter Situationen hinreichende Berücksichtigung finden. Es sind immer mehr betriebsrelevante Themen, Informationen und Wissensbestände im betrieblichen Gesamtsystem verfügbar und wirksam, als in den »fraglos 1 2 Zum Begriff der »Erwartung« vgl. Luhmann 1984, 362 ff. Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem 381 gegebenen« Selbstverständlichkeiten von Konferenzen oder Arbeitsgruppengesprächen und den Prozessen alltäglicher Arbeitsroutine thematisiert werden.13 Die “Selbstfeststellungen” von informalen und formalen Situationen wirken in unterschiedlicher Weise selektiv. Die Strukturen (d.h. “Eigenwerte”) von Situationen wirken in der Beobachtung daher oft spröde, starr, unflexibel und wenig innovativ. Sie gewinnen den Status des “Bewährten” in der Binnenperspektive der Beteiligten über ihre Funktion der Handlungsentlastung. Die routinemäßige Informationsverarbeitung in formalisierten sozialen Situationen läßt sich kaum auf ein integriertes Rationalitätskonzept oder eine “kapitalistischen Logik” des Betriebes zurückrechnen. Das läßt sich erkennen (und empirisch überprüfen), wenn man den je konkreten Eigenwerten bzw. dynamischen Eigenzuständen formalisierter Situationen nachspürt. Typisch werden sich routinemäßige Formen der Gesprächsführung und Themenbearbeitung finden. Es werden sich typische Formen der Strukturdetermination (Formvorschriften für Redebeiträge, Diskussionsdominanz durch Eloquenz oder Hierarchie, Entscheidungsfindungsprozeduren etc.) sowie informelle betriebliche bzw. kulturell naheliegende Tabu-Zonen des Verdrängens und Verschweigens14 stabilisieren, die abhängig von einer vorgängigen, “kontingenten” Kontextwahl jeder einzelnen Situation sind (vgl. Goffman 1986; Luhmann 1976 a; Schütz/Luckmann 1975; Schütz 1962). 3.2 Zur Eigenlogik formaler Situationen Die in - auch anders möglichen - Routineverläufen empirisch kristallisierte Form betrieblicher Abläufe (die man unterscheiden muß von der Papierform der Selbstbeschreibung des Betriebes durch formale Aufbau- und Ablaufprogramme) verläuft im Normalfall problemlos, daher im wesentlichen wohl eher mit selbstbestätigender Interaktion. Anders im Fall von Problemen, Widersprüchen, unterschiedlichen Situationsdefinitionen, die die Kommunikation herausfordern und die vollziehende Konkretion betrieblicher Prozesse auf die normierende Funktion von Formalität beziehen. Man denke z.B. an den Fall eines Arbeiters, der sich mit dem Verweis: “Das gehört nicht zu meinen Aufgaben”, weigert, bestimmte Arbeiten zu erledigen und dafür explizit seine Stellen- und Aufgabenbeschreibung in Anspruch nimmt, die im Normalfall gar nicht im Horizont seines Bewußtseins liegt. Und dies, obwohl er in der Regel überschießende Tätigkeiten (etwa: Hilfestellungen für Anfänger) unaufgefordert übernimmt, sei es aus 1 3 Vgl. zum Konzept der »Eigenwerte« auch Küppers/Krohn (1992); deren Begriffsvorschlag der “Eigenlösungen” (181 ff.) suggeriert m.E. aber zu stark, als daß es sich um Ergebnisse rekursiver Operationen handelt, die als Information “nach außen transportiert werden” (183), um damit die “informationelle Offenheit sozialer Systeme” (184) herzustellen. Demgegenüber bleibt zu betonen, daß »Eigenwerte« nach unserer Vorstellung in erster Linie die interne Stabilität sicherstellen. 1 4 Dazu zählen z.B.: informelle Informations-Vorabselektionen und -entscheidungen; latente Machtbeziehungen, persönliche Animositäten, unerwünschte Meinungen etc. 382 Rüdiger Klatt Kollegialität, sei es um seine eigene Arbeit zu erleichtern. Das Beispiel zeigt auch, daß formale Strukturen nicht nur Kontroll- sondern auch Schutz- und Orientierungsfunktionen für Betriebszugehörige erfüllen, die gegebenenfalls auch einklagbar sind (Luhmann 1976 b, 72 f.). Das »Eigenrecht« von sozialen Situationen im betrieblichen Sozialsystem läßt sich auch daran ablesen, daß betriebsintern zwar Themen vorgegeben sein können, die Art und Weise des Umgangs mit diesen - die erbrachten Beiträge - aber im wesentlichen den beteiligten Individuen überlassen bleiben muß. Eine Punkt-für-Punkt-Abbildung solcher Situationen durch die betriebliche Formalstruktur wäre aufgrund der dann in der Selbstbeschreibung (Formalstruktur) des Betriebes notwendigen Komplexität und des Verlustes an Elastizität dysfunktional (Luhmann 1976 b, 283 ff.). Situationen unter Anwesenden, die durch Themen betrieblicher Provenienz (vor-) strukturiert sind, entfalten eigensinnige dynamische Prozesse über (themenorientierte) Beiträge, weil diese über die doppelte Kontingenz der Kommunikation betriebliche Sinnfestlegungen selektiv in Anspruch nehmen. Hinzu kommen zeitliche und sachliche Kapazitätsschranken der Situation. Ziel- und Planungsvorgaben oder Arbeitsanweisungen bestimmen zwar die gewünschte Relation zwischen “Input” und “Output”, das Wie der Ausführung obliegt aber den selbstkonstituierten Sinnhorizonten konkreter Situationen, in denen das geschieht. Die derart selbstdeterminierten »Eigenzustände« von Situationen, die sich ergeben, wenn sich durch »Immer-wieder-können« Wiederholbarkeit15 kondensiert, können also Routineverläufe oder typische Situationen genannt werden. Folgt man dieser These, so hat dies Konsequenzen für das Organisationsverständnis, das man als inner- oder außerbetrieblicher “Akteur” dann noch anlegen kann. Situationen ermöglichen gleichzeitig je verschiedenen Realitätskonstrukte, also plausible Unterstellungen dessen, was typischerweise wie zu tun und zu lassen ist. Sie haben eigene personale Referenzen der Beteiligten, eigene sachliche Grenzen, eigene Zeithorizonte, ein eigenes “Gedächtnis” (= Routinen) und eigene Raumgrenzen. Sie zerschneiden den betrieblichen Sinnzusammenhang, sie “verletzen” die betriebliche Innenwelt durch die Eigensinnigkeit ihrer Kommunikation. Sie entscheiden über den Relevanzraum ihrer “Beiträge”, sie entscheiden über Problemdefinitionen und mögliche Lösungen jenseits der thematisch gegebenen Aufgabe. Sie entscheiden zuletzt auch darüber, was in der “Situation” als “rational” gelten kann und was nicht. Unter diesen Hinsichten wirken Einflüsse von außen16 - und seien sie noch so gut “gemeint” -, die sich nicht mit dem “Eigensinn” von Situationen vertraut machen, wie Störungen, Irritationen, Perturbationen, die in einem mühsamen Prozeß durch die Beteiligten in die Selbstorganisation von Situationen überführt werden müssen.17 Eine Beobachtung 2. Ordnung, also eine Beobachtung sozialer Situationen von “außen”, kann klar machen, daß diese Grenze (zwischen Interaktionen und Umwelt1 5 Vgl. unter Rekurs auf Husserl: Schütz/Luckmann 1975, 29. Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem 383 Prozessen, die gleichzeitig ablaufen) hohe Selbstgefährdungspotentiale und Umweltrisiken in sich birgt. Dem hat man früher mit technisch oder autoritär induzierter Regulation (Taylorismus, lineares Organisationsmodell) zu begegnen versucht. In vielen Bereichen der Arbeit hat man es aber mittlerweile sowohl mit selbstbewußten, autonomen Individuen (Ulich 1992) zu tun, als auch mit einer Zunahme an Informationskomplexität, die strukturell eine “Beteiligung” der Beteiligten erzwingt, weil das notwendige Prozeßwissen eines Betriebes nicht mehr durch einzelne Personen oder durch Hierarchie repräsentiert werden kann,18 so daß man auf geeignetere Formen des) Umgangs mit diesem Sachverhalt verwiesen bleibt. 4. Informale Kommunikation Die Zunahme innerbetrieblicher (Sinn-) Komplexität hat nicht nur die betriebliche Intransparenz für die beteiligten Individuen und sozialen oder formal fixierten Gruppen erhöht.19 Sie dürfte auch zu einem wachsenden Bedarf an Ersatzkommunikation für verlorengegangene bzw. idealtypisch unterstellte, subjektiv erwartete personennahe Kommunikation (Motivation, Anerkennung, betriebsbezogene Selbstdarstellung) führen. Zur Lösung dieses Problems bieten sich “gemeinschafts”-orientierte Kommunikationsformen an, die wir hier unter dem Rubrum “Kollegialität” (Luhmann 1976 b, 314 ff.) fassen wollen. Unter Kollegialität begreifen wir dabei dasjenige Medium der Kommunikation, das die betrieblichen Prozesse in personenbezogene Matrizen zu übersetzen erlaubt und das so eine funktions-, und vor allem individuell notwendige Verbindung zwischen Betrieb und Individuum in sozialen Situationen wesentlich unterstützt und erhält.20 Über dieses Medium läuft - neben anderen - die Bildung sozialer Gruppen “neben” der betrieblichen Formalstruktur, die sich durch gemeinsame Orientierungen, seien diese betriebsbezogen (z.B. zur Lösung gemeinsamer Aufgaben, gegen gemeinsame 1 6 Worunter allgemeiner gesellschaftlicher oder technischer Wandel ebenso fällt wie neue Vorschriften betriebsinterner oder -externer (etwa: Arbeitsschutzvorschriften) Art. 1 7 Das erklärt mithin auch die Resistenz menschlicher Arbeit gegen Neues (neue Arbeitsmethoden, neue Techniken) und die mangelnde Lernbereitschaft “eingespielter” Teams sowie die Schwierigkeiten von Neulingen und Anfängern - aber auch deren größere Flexibilität und Lernfähigkeit am Arbeitsplatz. In der Qualifizierungsforschung wird derzeit auch folgerichtig über Möglichkeiten nachgedacht, die Differenz von Lernen und (routinisiertem) Arbeitsprozeß aufzuheben (vgl. z.B. Novak 1993, Kruse u.a. 1984) 1 8 Vgl. unter dem Stichwort “Wissensexplosion” z. B. Kosmath 1990, 12 ff.; zur Thematisierung von “Erfahrungswissen” vgl. Böhle 1989; auch die mittlerweile “klassische” empirische Studie von Kern und Schumann (1984) sieht “Autonomiegewinne” durch neue Produktionskonzepte. 1 9 Intransparenz oder aus der Sicht des Subjektes formuliert: Sinnverlust ist damit sozusagen die “andere Seite” funktionaler Differenzierung. 384 Rüdiger Klatt Vorgesetzte, Abteilungen aber auch gegen betriebliche Randgruppen), seien es außerbetriebliche (Freizeitverhalten, gemeinsame Wohnorte, Familie etc.), kennzeichnen. Vertraute Umgebungen, eingelebte Gewohnheiten und ritualisierte Kommunikationen können z.B. als »Eigenwerte« typischer, informaler Situationen verstanden werden. Man betrachte z.B. das Gespräch zwischen Abteilungsleiter und einem Mitarbeiter, der durch unzureichende Aufgabenerfüllung auffällig geworden ist: z.B. bezüglich relativ genau fixierbarer Produktivitätskennziffern (Verkaufszahlen, Stückzahlen, Beitrag zur betrieblichen Wertschöpfung etc.). Das Gespräch zur Klärung des Sachverhaltes könnte z.B. rein schriftlich-sachbezogen oder symbolisch-wertbezogen sowie formal-hierarchisch - aber eben auch “kollegial” geführt werden. Die pure Faktizität des Leistungsverlustes mit Auswirkungen auf betriebsintern wichtige Prozesse wäre damit nicht aufgehoben, aber das Gespräch würde möglicherweise die personale Dimension des beanstandeten Verhaltens zunächst in den Vordergrund stellen (etwa mit Fragen nach persönlichen oder privaten Schwierigkeiten, Unzufriedenheit am Arbeitsplatz etc.), um über ein erweitertes Verständnis der beteiligten Individuen auch zu einem erweitert-rationalen Umgang mit betrieblich relevanten, sozial dimensionierten Problemen zu kommen. Das betriebliche Kommunikationsmedium “Kollegialität” unterliegt aber auch einigen Beschränkungen, die eine gezielte Ausweitung bzw. intensive Nutzung dieses Kommunikationstyps begrenzt. Neben zeitlichen und sachlichen Komplexitätsschranken nenne ich zwei: Zum einen kann individuell niemand zu kollegialem Verhalten gezwungen werden, und gerade unkollegiales Verhalten ist für die davon Betroffenen zumeist unangenehmer als “unpersönlichere” Techniken der Kommunikation. Zum anderen setzt “Kollegialität” ein gewisses Maß an personaler Vertrautheit, Nähe oder doch wenigstens Bekanntheit voraus, womit es per definitionem auf einen eingeschränkten Kreis von Betriebsangehörigen beschränkt bleibt. Die grundlegende Offenheit bzw. doppelte Kontingenz von situativen Prozessen führt zur Bildung von zeitstabilen Routinen, die in unterschiedlicher Weise bestimmte Kommunikationstechniken fallweise miteinander verknüpfen und zu einer Strukturbildung betrieblicher Mikroprozesse führen, die eine jederzeit prekäre Erwartungssicherheit unmittelbarer Kommunikation suggerieren. »Situationen« durchziehen den Gesamtbereich innerbetrieblicher Kommunikation. Es gilt nun nachzuspüren, welche Formen betrieblicher Kommunikation die Ubiquität situativer Kommunikation übersteigen, um die Einheit des betrieblichen Sozialsystems zu ermöglichen. 5. Indirekte, innerbetriebliche Kommunikation 2 0 Die funktional äquivalente Form auf der Ebene gesamtbetrieblicher wertbezogener, symbolischer Kommunikation dürften Geldleistungen sein. Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem 385 Die Weise der Kommunikation reguliert die Prozesse der Informationsverarbeitung im Betrieb. “Eine Kommunikation teilt die Welt nicht mit, sie teilt sie ein.” (Luhmann/Fuchs 1989, 7) Informale und formale soziale Situationen direkter Kommunikation zeichnen sich durch die hohen Freiheitsgrade in der “Wahl” ihrer Themen (und deren Bearbeitung) aus. Sie sind durch Kollegialität (Voranstellung subjektiven Sinns) oder durch institutionalisierte Erwartungen (Voranstellung betrieblichen Sinns) integriert. Das fallweise aktivierte, spontane, nicht formal gedeckte Gespräch zwischen Betriebsangehörigen, das subjektiv-intentional, durch raum-zeitliche (auch:personale) Koinzidenzien zustandekommt, zeichnet neben funktionalen Vorteilen (wie: Tempo, Flexibilität, schnelle Koordination des gemeinsamen Erlebens und Handelns und Subjekt-Nähe) auch einige Nachteile aus. Dazu zählen das bereits angesprochene Problem des ‘Erstarrens’ in Routinen, der rasche, oft organisations- oder betriebsneutrale Zerfall (wirkungsloses Verpuffen), die Personenabhängigkeit, die geringe Informationsverarbeitungskapazität, die Anfälligkeit für emotionale Gefährdung und Widerspruch, die »fraglose« Selbstverständlichkeit ihrer »Eigenwerte« sowie die schwer erreichbare, ergebnisorientierte thematische Zentrierbarkeit, die ebenso wie die Vorteile den zentralen Strukturierungsmerkmalen »Subjektivität« und (subjektiv ausgelegter) »institutionalisierter Erwartung« geschuldet sind. Daran kann Typenbildung und Routinisierung - Veralltäglichung - nur partiell etwas ändern. Betriebe, die eine auf Dauer gestellte Leistungsbeziehung zu ihrer Umwelt unterhalten, werden sich nicht ausschließlich auf die “Episoden-Rationalität” von “face-to-face”- Interaktionen verlassen, sondern durch die Einrichtung von zeitlich, sachlich und sozial neutraleren, dauerhaften Erwartungsstrukturen der betrieblichen Kommunikation für stabilere, situationsübergreifende betriebliche »Eigenzustände« sorgen. Dies geschieht durch indirekte Kommunikation über technische oder symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, die sich durch Transsituationalität und Transindividualität auszeichnen und eine spezifische, symbolische, oft mathematisierbare, rational-kalkulatorische Sinnproduktion generieren.21 5.1 Technische und symbolische Generalisierung Die Selbstorganisation formaler Situationen über die Dominanz »institutionalisierter Erwartungen«, Periodisierung und Entscheidungs- bzw. Ergebnisorientierung stellt durch ihre Beziehung auf gesamtbetriebliche Rahmendaten und Symbole die laufende Reproduktion betrieblicher Leistungen in je eigensinniger Weise sicher, ohne daß die Vielzahl formalisierter Situationen mit unterschiedlicher Reichweite und Relevanz die betriebliche Gesamtrationalität auf symbolischer Ebene herstellen oder wenigstens 386 Rüdiger Klatt repräsentieren könnte. Vielmehr ist mit einer Zunahme an (Sinn-) Komplexität zu rechnen. Die Möglichkeit nicht-kompatibler, “widersprüchlicher” Entscheidungen nimmt zu, je weiter die innerbetriebliche Differenzierung fortschreitet. Das kann “Machtspiele” provozieren oder ein Ausweichen auf informelle, subjektivitätsorientierte Techniken der Problemlösung nahelegen. Die vorgängige Kontextwahl - die Schemata der Beobachtung - kondensieren hierdurch bei einem einzelnen Beobachter (einem “Akteur”), bei einer Konferenz oder bei einem kollegialen Gespräch Erfahrungen des Irrationalen. Der Steigerung sinnhafter Komplexität in der Kommunikation führt zu einer Steigerung der Annahmebereitschaft weitergehender “deflationierender” Techniken der Kommunikation: dazu zählen alle betriebsintern genutzten Formen indirekter, situationsunabhängiger - wohl aber Situationen voraussetzender - Kommunikation, wie sie beispielsweise im Gebrauch von Schrift und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und Zahlenrelationen technisch - durch Institutionalisierung von »symbolisch generalisierten« Kommunikationsmedien (Luhmann 1975) wie Geld/Eigentum, Recht, Macht, (durch die Anwendung von Technik induzierte) Wahrheit symbolisch gegeben sind. Ohne dies hier erschöpfend behandeln zu können, wird man sagen dürfen, daß die Möglichkeit der Steigerung von Informationsübermittlung durch Schrift und neue Kommunikationstechnologien (Vordrucke, Formulare, schriftliche Anweisungen, zirkulierende Mitteilungen, schriftliche Pläne, Arbeitsvorgaben, Buchführung, BDE- oder PPS-Systeme etcetera) durch Generalisierung in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht gegeben sind. Zeitlich: weil relativ unabhängig von der gegenwärtigen Situation und bewußtseinsmäßiger ‘Gestimmtheit’, unabhängig von der aktuellen Gegenwart der Betroffenen; sachlich: weil die vorgegebene (Informations) Lage mit erheblichen “Freiheitsgraden” dargestellt und variiert oder mathematisiert werden kann - z.B. zur Erzeugung bestimmter “Bilder”; sozial: weil weder von der Anwesenheit und dem Konsens (den institutionalisierten Erwartungen) bestimmter Personen noch von den sozialregulativen Standards situativer Kommunikation - von »Interaktionsritualen« (Goffman 1986) - abhängig. 5.2 Die Rationalität symbolischer Selbstbeschreibungen Im Unterschied zu sozialen betrieblichen Situationen formiert sich über Schrift oder Kommunikations- und Informationstechnologien ein soziales System eigener Art, das hochselektive, eigene Grenzen markiert: das geschieht durch die Externalisierung von direkter, subjektorientierter, reziproker Kommunikation, durch Absehen von der Aktualität im »Hier« und »Jetzt« und von visuellen Wahrnehmungsschemata (Gegenstände, Personen). Die Kommunikation läßt sich nur sehr vermittelt von der konkreten Gegen2 1 Vgl. dazu: Luhmann 1975, Parsons 1980, sowie Künzler 1989. Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem 387 wart, von der Wirklichkeit “sinnlicher Füllen” (Husserl 1982), irritieren und kann über diese Selektivität ein hohes Maß an interner Kohärenz, Stringenz, Widerspruchsfreiheit und formaler Geschlossenheit erreichen, die mit den konkreten, nicht-rationalen Betriebsprozessen kaum kompatibel sind. Wird diese Kommunikationsform noch mit zählund rechenbaren symbolischen Medien wie Geld bzw. Wert oder Wahrheit bzw. Technologie kombiniert, dann kann eine voll durchrationalisierte Form der Beschreibung betriebsinterner Vorgänge entstehen, die nur einen “Haken” hat: Sie hat keinen direkten Kontakt zu konkreteren Ebenen betrieblicher Kommunikation.22 Das ließe sich empirisch anhand des Phänomens der betrieblichen “Planung” als einer Form innerbetrieblicher Kommunikation, die Schriftlichkeit und symbolische, generalisierte Medien nutzt, um rechenbare, zahlenbasierte (betriebs-) zweckoptimale Modelle zukünftiger betrieblicher Prozesse zu konstruieren, zeigen. Die Ästhetik der »selbstreferentiell geschlossenen«, selbstproduzierten Rationalität von betrieblichen Handlungs- und Prozeßmodellen suggeriert Sicherheit und Berechenbarkeit zukünftiger Ereignisse und erfüllt somit de facto eine Funktion der »Unsicherheitsabsorption« für zukunftsorientierte Entscheidungen auf der betrieblichen Planungsebene. Dieser »schöne Schein« symbolischer Selbstbeschreibung droht durch die “Einfachheit” und “Abstraktheit” seiner Beobachtungsschemata einer »Diabolik« zum Opfer zu fallen, die der innerbetrieblichen Polykontexturalität und Komplexität jenseits des Planbaren geschuldet ist. Von mehreren Seiten werden Planungen dabei von den »multiplen Realitäten« (Schütz 1962) des Betriebes affiziert: Die von Planungen Betroffenen, aber nicht Beteiligten können Planungen beobachten und im Rahmen je eigener Relevanzen (etwa Eigenwerten der Situation) bewerten und eventuell Ansprüche und Kritik formulieren oder die Planung durch latenten Widerstand entwerten. Die Auslegungen von Planungsbestimmungen in unterschiedlichen Funktionsbereichen können differieren. Von einer unberechenbaren (zukünftigen) Umwelt können nichtvorhersehbare Störungen (Kostensteigerungen, Beschaffungsprobleme, Zeitplan- und Absatzschwierigkeiten, Zinsschwankungen, Ausscheiden von Mitarbeitern etcetera) ausgehen. Schließlich können unvorhersehbare Nebeneffekte bei der Durchsetzung geplanter Veränderungen im Produktions- oder Verwaltungsprozess eines Betriebes (etwa: die Einführung neuer Technologien, Werkstoffen, Produktionsformen) wie unbedachte Erkrankungen, Technikaversionen, und “subjektiv” eingefärbte Entscheidungen von Managern auftreten (Luhmann 1984, 635 ff.). Planungsprobleme treten auf, weil sich die hinter den Zahlen, Konzepten, Zeitplänen und Algorhytmen liegende komplexe Realität konkreterer Kommunikations- und Hand2 2 Vgl. Malsch 1992; Weltz 1991. Diese Differenz wird bei der eher technisch orientierten Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen von rechnergestützten Planungssystemen wie PPS oft vergessen. Ohne die Beachtung der kategorialen Differenz von informationstechnischen und sozialen, sinn-verarbeitenden Systemen gerät man sozusagen in eine “Komplexitätsfalle” und kann dann nur noch verwundert registrieren, daß nach Einführung rechnergestützter Produktionsplanung überhaupt nichts mehr klappt. 388 Rüdiger Klatt lungsprozesse der Planung entzieht, Planung gleichwohl auf diese »unbekannt bleibende Realität« (Luhmann) angewiesen bleibt. In gewisser Weise bleibt die Dispositionsfunktion eines Betriebes damit “Gefangener” der eigenen, aufgrund eigener Relevanzen (zahlenbasierter, rationaler Muster, Zeit-, Sach- und Personalkalkulation) festgestellten “Rationalität”. Betriebswirtschaftlichkeit könnte mithin als »Eigenwert« der betrieblichen Planung bezeichnet werden, die ihre eigene Rationalität - und Suggestivkraft - aus der hochabstrakten, integrativen, überindividuellen, nicht-situativen, gegenstandsneutralen, zirkulären Geschlossenheit wertbezogener Daten gewinnt. Es dürfte mit diesen wenigen Bemerkungen bereits andeutungsweise klar werden, daß und warum »Schrift« und andere »symbolische Generalisierungen« im betrieblichen Sozialsystem eine eigene Realitätsebene konstituieren, die über hochabstrakte Selektionen gleichwohl eine Integrationsfunktion für das gesamte soziale Geschehen im Betrieb darstellt. Es dürfte auch naheliegen, daß das betriebliche Gesamtsystem seine Selbstbeschreibung, seine Umweltkontakte - seine Selbst- und Fremdwahrnehmung als Handlungssystem - zunächst hierauf orientiert und somit die Differenz von Prozeß- und Beschreibungsrealität unterhalb der betrieblichen Selbstwahrnehmungsschwelle hält. Folgt man dieser Sichtweise, dann wird klar, das der betriebliche Gesamtzusammenhang für die »bounded rationality« einzelner Handlungen unbeherrschbar, jede Entscheidung mithin zu einem “Risiko” wird (Luhmann 1991, 201 ff.). Plausibel dürfte mithin auch sein, daß weder das klassische, lineare Organisationsmodell der Betriebswirtschaftslehre noch die alltagsweltlich orientierte Soziologie allein je für sich beanspruchen können, eine “vollständige” Fassung des Betriebes zu liefern, denn faktisch kommt eben beides vor, dirigiert Handlungen und steht somit in einem hochkomplexen Interdependenzzusammenhang auf unterschiedlich selektiven,23 emergenten Sinnebenen eines Betriebes. Resümierend läßt sich nach dem bisher Gesagten festhalten, daß sich der Betrieb als soziales System auf unterschiedlichen Ebenen selbst organisiert. In einfachen “faceto-face”-Interaktionen emergieren eigensinnige soziale Prozesse qua subjektivitätsorientierter Kommunikation (Kollegialität) unter thematischer Inanspruchnahme von betrieblich oder gesellschaftlich vorgegebenen Schematismen der Informationsverarbeitung. Die Übergänge zu den Formen direkter Kommunikation, die sich durch die Dominanz der angenommenen institutionellen Erwartungen konstituieren, sind fließend. Auch bleibt die Verkettung von thematisch zentrierten Beiträgen und die SubjektReferenz der Situation erhalten. Gleichwohl dürfte die Zurücknahme subjektiver Bedeutungsschemata und Situationsdefinitionen in formalisierten, direkten Kommunikationen eine andere Art der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung, ein Interaktionssystem eigener Art produzieren, das eigene Grenzen markiert und eine eigene Rationalität prozediert, die von der subjektivitätsorientierten Kommunikation Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem 389 sozialer Situationen zu unterscheiden ist. Dies dürfte empirisch daran abzulesen sein, daß man z.B. in informellen Situationen das eigene andere Verhalten im formalen Diskurs beobachten, thematisieren, kritisieren und für sich selbst zurücknehmen kann. Die dritte und stabilste Form der innerbetrieblichen Kommunikation stellt sich über die Nutzung von »zweitcodierten« Kommunikationsformen wie sie in Schrift und anderen Informationstechnologien sowie in symbolisch generalisierter, medialer Kommunikation vorliegen, her. Hier liegt die Eigenart des Kommunizierens in der Ermöglichung spezifisch “rationaler”, hochkomplexer, abstrakter, sinnhafter Beschreibungen sozialer Prozesse, die relativ unabhängig von zeitlichen, räumlichen, sozialen, psychischen Beschränkungen fungieren und die damit Einzelprozesse im Betrieb symbolisch übergreifen, ohne sie “aufzuheben”. Nur auf dieser Ebene kann vom einheitlichen, “handlungsmächtigen” Sozialsystem “Betrieb” gesprochen werden, weil nur hier diejenigen “Realitäten” sichtbar, d.h. zu Informationen werden, aufgrund derer sich das System in einer dynamischen Umwelt selbst erhalten kann. In den symbolischen Selbst(re)produktionen des Betriebes liegt damit der letzte Bezugspunkt für das Verhältnis des Systems zu seiner inneren und äußeren Umwelt. Daß auf diesem Hintergrund der Gemengelage »multipler« betrieblicher Realitäten (Schütz 1962) indirekte, nicht-lineare, mit unerwünschten Rückkopplungseffekten rechnende Verhaltensweisen des Managements - die nicht-rationalen Techniken rationaler Zielerreichung - an Bedeutung gewinnen, kann hier nur angedeutet werden. Manager müssen - zusätzlich zu den Unwägbarkeiten des “Marktes” - mit unbekannten, unvorhersehbaren, eigendynamischen Prozessen auf allen Ebenen der betrieblichen Realitäten rechnen. Sie müssen mit der eigenen Hilflosigkeit und Überforderung rechnen. 6. Reflexive Mechanismen Der Anstieg inner- wie außerbetrieblicher Komplexität z.B. durch Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft, technologischem Wandel, wachsender Individualisierung sowie der Ausdifferenzierung von inner- wie außerbetrieblichen, selbstorganisierenden, funktionalen (Sub-) Systemen führt nahezu zwangsläufig zu einem wachsenden Bedarf an (betrieblicher) “Reflexion” bzw. reflexiver Kommunikation. Damit ist - ganz grundsätzlich - die Selbstthematisierung einer bestimmten Kommunikation in der Kommunikation, also eine Art Meta-Kommunikation gemeint. Reflexion ist gekennzeichnet zum einen durch einen indirekteren, virtuellen Zugang zur “Realität”, z.B. durch die Thematisierung von “fraglosen, selbstverständlichen” 2 3 Die hier gemeinte Selektivität resultiert dabei - wie gesagt - aus den je spezifischen Beobachtungsschemata und darauf bezogener selbstreferentieller Formen routinisierter Kommunikation. 390 Rüdiger Klatt Kommunikationsprozessen im Hinblick auf andere (nicht-genutzte) Möglichkeiten, zweitens durch Entlastung von unmittelbaren Handeln unter Zeitdruck, drittens durch die selektive, symbolische Entfaltung von Interdependenzen zwischen Personen, Sachen, Prozessen, Systemen. Mit Luhmann können Reflexionen als Wiedereintritt, als “Einführung der Differenz von System und Umwelt in das System” (Luhmann 1984, 617) bezeichnet werden. Reflexionen fungieren damit als “Ketten” zur Vernetzung und Synchronisation unterschiedlicher Systemtypen bzw. System/Umwelt-Relationen. Sie können als Formen institutionalisierter Kritik verstanden werden. Sie ermöglichen gleichsam ein “Verstehen” heteronomer, aber voneinander abhängiger Systeme durch symbolische Repräsentationen des Wiedereintrittes der ausgeschlossenen Dimensionen des System/Umwelt-Verhältnisses (z.B. unter allgemeinen Konzepten wie “humane Arbeitsgestaltung”, “sozialverträgliche oder produktgerechte Technikgestaltung”, “Partizipation”, “umwelt- und gesundheitsgerechte Produktion”, “Persönlichkeitsförderung”, “Betriebsklima” etcetera). In und durch Reflexion kann ein soziales System eine Art “Meta-Rationalität” entwickeln, die über die Summe heterogener, “lokaler”, hochselektiver Einzel-Rationalitäten hinausgeht. Die »System-Rationalität« eines Systems variiert dann in dem Maße, in dem es gelingt, die »Wiedereintrittsfähigkeit« der System-Umwelt-Differenz durch reflexive Mechanismen im System zu gestalten.24 Grundlage und Ermöglichungsbedingung von Reflexionen sind individuelle Bewußtseinsprozesse, weil hier emergente soziale Sinnprozesse durch synthetische Leistungen des Bewußtseins, die die »Eigenwerte« des routinemäßigen Systemprozedere überschreiten können, miteinander “vernetzt” werden (Hejl 1987).25 Reflexion kann in einem Betrieb zum einen auf der Ebene der Prozesse stattfinden - in diesem Fall müßte man mit Luhmann von »Reflexivität« sprechen -, zum anderen auf der Ebene der Strukturen - in diesem Fall sprechen wir von “reflexiven Mechanismen”. In jedem Fall ist eine Art Selbstbeobachtung der Kommunikation und des Handelns gemeint, die von der Unmittelbarkeit realer Prozeßvollzüge zeitlich, sachlich und sozial entlastet ist. Über diese Entlastung können Reflexionen relativ anspruchsvolle, komplexe Strukturen gewinnen, die die »fraglosen Selbstverständlichkeiten« des betrieblichen Alltags “transzendieren”. Die dadurch in Sichtweite kommenden “blinden Flecke” des betrieblichen Kommunikationsnetzes können mithin in dieses zurückgespiegelt werden und dadurch Entscheidungsinformationslagen beeinflussen, Prozesse steuern, neue Strukturen generieren. Dadurch kann sich die Anpassungselastizität des Betriebes gegenüber “Umwelt”-Prozessen, individuellen Motiven, arbeitstechnischer Systeme etc. erhöhen. Die Bedeutung betrieblicher Reflexivität und reflexiver Mechanismen dürfte nach unserer These von der Größe und Komplexität des Betriebes oder Unternehmens abhängen. Je größer der Betrieb, desto mehr unterschiedliche, eigensinnige Sinnkon2 4 Freilich darf dabei nicht in Vergessenheit geraten, daß die Rationalitätsgewinne durch reflexive Mechanismen durch Komplexitätssteigerungen erkauft werden müssen, die ihrerseits die “Unübersichtlichkeit” - damit die Möglichkeit für Irrationalismen - erhöhen. Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem 391 texte und Funktionssysteme werden gebildet. Je größer die innerbetriebliche Komplexität, desto mehr Informationen werden relevant, desto problematischer wird die Umwelt für das System. Je komplexer die System-Umwelt-Beziehungen, desto eher entsteht Bedarf an “Vermittlungsinstanzen”, die diese Unübersichtlichkeit dann kleinarbeiten und handhabbar machen. Der ansteigende Bedarf an “Reflexionen” läßt sich für moderne Industriegesellschaften vermutlich gut belegen. Das kann an dieser Stelle in extenso nicht geleistet werden. Auf der Ebene der Reflexivität einzelner Prozesse wird man z.B. an Gruppen- und Teamarbeitsformen denken, die auf prozessualer Selbstbeobachtung “trainiert” werden - etwa zum Zwecke der Ablaufoptimierung. Die Beobachtung der Produktion dürfte etwa durch Qualitätssicherungsinstanzen und technischen oder ergonomischen Abteilungen hergestellt werden, die eine Rückkopplungsschleife zwischen äußerer Umwelt (Markt, Abnehmer, neue Technologien), Arbeitssituationen und der symbolischen, wertbezogenen Kommunikation organisieren. Die Beobachtung des Betriebes durch sich selbst im Hinblick auf Risiken und Chancen der äußeren Umwelt wird z.B. durch wissenschaftliche, betriebswirtschaftliche, strategische und rechtliche beratende “Stäbe” geleistet. Zwischen den Individuen und der Kommunikationsweise des Betriebes ist die Selbstbeobachtung durch den Betriebsrat, verstärkt durch gewerkschaftliche Organisationsmacht, institutionalisiert, die sich als Interessenvertretung der Betriebsangehörigen mit schützender Funktion vor der “Diabolik” rein betriebswirtschaftlich-ökonomischer Entscheidungen definiert (vgl. Klatt 1992; Martens/Klatt 1993). Eine ähnliche Funktion dürften die “Persönlichkeits(förderungs)konzepte” des betrieblichen Sozial- und Bildungswesen haben. 7. Schluß Wir haben nunmehr das Spiel der Reduktion und des Aufbaus von innerbetrieblicher Komplexität durch eigenlogische, selbstdeterminierte Prozesse der Kommunikation verfolgt, die nicht nur technische oder symbolische (generalisierte) Übermittlung von Information, sondern auch die soziale Konstitution sinnhaft-selbstreferentieller Prozesse umfasst, in denen diese mitgeteilt und verstanden werden müssen. Einfach gesagt lautet meine These: Die “Bedeutung” einer Information variiert mit den eigendynamischen Kontexten, in denen diese “verwendet” wird. 2 5 Die Erläuterung dieser These müßte in einem eigenen Kapitel erfolgen und kann in diesem Rahmen - wie eingangs erwähnt - nicht geleistet werden. 392 Rüdiger Klatt Erst empirische Studien auf der Grundlage dieses Interpretationsrahmens könnten zeigen, ob systemtheoretisch orientierte Forschungen in der Arbeitssoziologie an hermeneutische und phänomenologische Konzepte anschließbar sind.26 Literatur Altvater, Elmar, Martin Baethge u.a. (Hg.) (1985): Arbeit 2000. Über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft. Hamburg Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hg.) (1973): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1 und 2, Reinbek bei Hamburg Bahrdt, Hans-Paul (1958): Industriebürokratie - Versuch einer Soziologie der industrialisierten Büros und seiner Angestellten. Stuttgart Böhle, Fritz (1989): Körper und Wissen. Veränderungen in der sozio-kulturellen Bedeutung körperlicher Arbeit, in: Soziale Welt, Jg. 40, Heft 4, 497 - 512 Brunner, Ewald, Wolfgang Tschacher (1991): Selbstorganisation und die Dynamik von Gruppen - Die systemische Perspektive in der Sozial- und Organisationspsychologie, in: Selbstorganisation. Jahrbuch für Komplexität in den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, Bd. 2: Der Mensch in Ordnung und Chaos, 53 - 67 Cyert, R.M., J.G. March (1963): A Behavioral Theory of the Firm. Englewood Cliffs, New Jersey Goffman, Erving (1986): Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt/M. Göhler, Gerhard, (Hg.) (1987): Grundfragen der Theorie politischer Institutionen. Opladen Günther, Gotthard (1979): Life as Poly-Contexturality, in: Gotthard Günther: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik, Bd. II, Hamburg, 283 - 306 Habermas, Jürgen (1981): Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt 1988 Hejl, Peter M. 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Wien, New York 2 6 Der Forschungsbereich 4 “Arbeitspolitik, Mitbestimmung und Interessenvertretung” der Sozialforschungsstelle Dortmund versucht, die konzeptionelle Verknüpfung von phänomenologischer und systemtheoretischer Methodik im Rahmen von zwei DFG-geförderten empirischen Projekten zu realisieren. Es handelt sich um die Projekte “Mitbestimmung als intermediäre Institution” und “Arbeitspolitik und Interessenvertretung in Ostdeutschland”. Der Aufsatz kann in diesem Zusammenhang als methodische Vorstudie verstanden werden. Kommunikation im betrieblichen Sozialsystem 393 Kruse, Wilfried, Gertrud Kühnlein, Ursula Müller, Angela Paul-Kohlhoff (1984): Betriebliche Lernorte aus der Sicht der Auszubildenden, sfs-Beiträge aus der Forschung, Bd. 3, Dortmund Künzler, Jan (1989): Medien und Gesellschaft. Die Medienkonzepte von Talcott Parsons, Jürgen Habermas und Niklas Luhmanns. Stuttgart Küpper, Willi, Günther Ortmann (Hg.) 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