Im Himmel über Heidelberg. - Archiv der Max-Planck

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Veröffentlichungen aus dem
Archiv der Max-Planck-Gesellschaft
Begründet von Eckart Henning
Herausgegeben von Lorenz Friedrich Beck und Marion Kazemi
Band 21
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Der Sternhaufen NGC 602 in der Kleinen Magellanschen Wolke, einer Nachbargalaxie der Milchstraße. Der junge Sternhaufen (~ 5 Mio. Jahre alt) ist umgeben von Staub und Gas seiner Geburtswolke, in der weitere Sterne entstehen. Die Kleine Magellansche Wolke in einer Entfernung von
200000 Lichtjahren war mehrfach Forschungsobjekt von Astronomen des Max-Planck-Instituts für
Astronomie. Auf diesem Hubble-Bild sind im Hintergrund viele Galaxien in Entfernungen von
einigen Hundert Millionen Lichtjahren zu erkennen (NASA, ESA).
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Im Himmel über Heidelberg
40 Jahre Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg
(1969–2009)
von
Dietrich Lemke
Berlin 2011
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite a4
REDAKTION:
Dr. rer. nat. Marion Kazemi
(Anschrift s. Auslieferung)
ISBN: 978-3-927579-25-5
ISSN: 0935-7459
Herstellung und Druck: mhv, Prinzessinnenstraße 26, 10969 Berlin - Kreuzberg
Tel.: (030) 530 08-100
Satz: 5 pt Satzstudio Perl, Zum Feld 24, 15569 Woltersdorf
Tel.: (03362) 58 94 30
Verkauf: Max-Planck-Institut für Astronomie,
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Tel.: (06221) 528-0
Fax: (06221) 528-246
email: [email protected]
www.mpia.de
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 4
REDAKTION:
Dr. rer. nat. Marion Kazemi
(Anschrift s. Auslieferung)
ISBN: 978-3-927579-25-5
ISSN: 0935-7459
Herstellung und Druck: mhv, Prinzessinnenstraße 26, 10969 Berlin - Kreuzberg
Tel.: (030) 530 08-100
Satz: 5 pt Satzstudio Perl, Zum Feld 24, 15569 Woltersdorf
Tel.: (03362) 58 94 30
Auslieferung: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft,
Boltzmannstraße 14, 14195 Berlin-Dahlem
Tel.: (030) 84 13-37 01; Fax: (030) 84 13-37 00;
e-mail: [email protected]
www.archiv-berlin.mpg.de
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Inhalt
Geleitworte ..........................................................................................11
Vorbemerkung ......................................................................................14
1 Aufbruch ins All................................................................................17
2 Vorgeschichte und frühe Jahre des Max-Planck-Instituts für Astronomie ........19
2.1 Ein Kaiser-Wilhelm-Institut für Astronomie ? ..................................19
2.2 Die Denkschrift zur Lage der Astronomie vom Jahre 1962 ..................22
2.3 Von der Denkschrift zur Gründung des Max-Planck-Instituts
für Astronomie ........................................................................25
2.3.1 Drei Kommissionen prüfen das Vorhaben ..............................26
2.3.2 Der Gründungsbeschluss ..................................................31
2.4 Arbeitsbeginn auf dem Königstuhl ................................................33
2.4.1 Erste Mitarbeiter..............................................................33
2.4.2 Der Neubau – preisgekrönt ................................................34
2.5 Calar Alto – die Nord-Sternwarte..................................................47
2.6 Gamsberg – Besitz auf der Südhalbkugel ........................................54
2.7 Eigene Teleskope ......................................................................63
2.7.1 Das 1.23 m-Teleskop – damals das größte der Bundesrepublik ....63
2.7.2 Zerodur-Spiegel für die 2.2 m-Teleskope................................66
2.7.3 Das 3.5 m-Teleskop – eines der größten der Erde ....................70
2.8 Südsternwarte – die kleine Lösung in Chile ....................................79
2.9 Extraterrestrische Forschung ........................................................82
2.9.1 Heidelberger Astronomen am Deutschen ElektronenSynchrotron DESY ..........................................................84
2.9.2 Raketen-Experimente........................................................85
2.9.3 Die Sonnensonde HELIOS ................................................88
5
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2.9.4 Ballonteleskop THISBE ....................................................91
2.9.5 Ein GIRL wird kaltgemacht................................................96
2.10 Wissenschaftliche Programme am Calar Alto und auf La Silla
(1970 – 1990) ..........................................................................98
2.10.1 Geburtsstätten der Sterne ..................................................99
2.10.2 Galaxien und Quasare ....................................................104
2.11 Instrumentelle Entwicklungen an der technologischen Zeitenwende ....109
2.11.1 Von der Photoplatte zum CCD ........................................109
2.11.2 Von der Bleisulfid-Zelle zum Infrarot-Array ..........................114
2.11.3 Spektrographen ............................................................117
3 Das Max-Planck-Institut für Astronomie wird zu einem weltweit führenden
Institut ........................................................................................120
3.1 Erweiterung des Direktoriums....................................................120
3.1.1 Erfolgreiche und abgelehnte Berufungen (1974 – 1991) ..........120
3.1.2 Generationswechsel und Zeitenwende: Steven Beckwith
(ab 1992) ....................................................................123
3.1.3 Steven Beckwith: wissenschaftliche und instrumentelle
Initiativen ....................................................................125
3.2 Die deutsche Wiedervereinigung erlebt am Institut..........................133
3.3 Hans-Walter Rix: Nachfolger für den Gründungsdirektor
Hans Elsässer ........................................................................137
3.4 Thomas Henning aus Jena: Nachfolger für Steven Beckwith ..............142
3.5 Neugliederung des Instituts ......................................................144
3.6 Abteilung Planeten- und Sternentstehung ....................................148
3.6.1 Braune Zwerge ..............................................................148
3.6.2 Die Geburtsstätten der Planeten ........................................152
3.6.3 Suche nach extrasolaren Planeten ......................................156
3.6.4 Labor-Astrophysik ..........................................................158
3.7 Abteilung Extragalaktische Astronomie und Kosmologie ..................160
3.7.1 Der fernste Quasar und die Durchleuchtung der Urmaterie ....161
6
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3.7.2 Die Milchstraße – Fallstudie für den Zusammenbau einer
Galaxie ........................................................................163
3.7.3 Galaxienentwicklung in der zweiten Lebenshälfte des
Universums ..................................................................165
3.8 Selbstständige Nachwuchsgruppen ..............................................169
3.9 Ausbau des Heimatinstituts auf dem Königstuhl ............................171
4 Technische Abteilungen für den wissenschaftlichen Gerätebau....................180
4.1 Feinmechanische Werkstatt und Konstruktions-Abteilung ................180
4.2 Abteilungen für Elektronik und Elektronische Datenverarbeitung ......183
5 Observatorien im Weltraum und am Boden ..........................................189
5.1 Astronomie mit Weltraumteleskopen ..........................................189
5.1.1 Infrared Space Observatory (ISO) ......................................190
5.1.2 ISO-Beobachtungen und -Zufallsdurchmusterung ................193
5.1.3 Herschel ......................................................................198
5.1.4 James Webb Space Telescope (JWST)..................................202
5.1.5 GAIA und andere Durchmusterungssatelliten ......................206
5.2 Beteiligung an internationalen Observatorien am Boden ..................208
5.2.1 Das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte ..210
5.2.2 Das Large Binocular Telescope (LBT) in Arizona ..................215
5.2.3 Das Europäische „Extremely Large Telescope“ (E-ELT) ..........219
5.3 Die Calar-Alto-Sternwarte im Wandel ..........................................221
6 Verbindungen zu Universität und Öffentlichkeit ....................................224
6.1 Studenten und Lehre................................................................224
6.2 Internationale Max-Planck-Forschungsschule für Astronomie und
Kosmische Physik an der Universität Heidelberg ............................227
6.3 Berufliche Aufstiege von Wissenschaftlern des Instituts ....................229
6.4 Öffentlichkeitsarbeit ................................................................232
6.4.1 Institutsführungen, Pressearbeit, Vortragsreihen ....................232
6.4.2 Tage der Offenen Tür......................................................234
6.5 Die Zeitschrift „Sterne und Weltraum“ und das Haus der Astronomie..241
7
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6.6
Astronomische Forschung an weiteren Heidelberger Instituten
(ARI, ITA, MPIK, ZAH, HITS) ................................................246
7 Ein Ausblick: Das kommende Jahrzehnt
Gespräch mit den Direktoren Thomas Henning und Hans-Walter Rix ........252
8 Ein Rückblick: 400 Jahre Astronomie in Heidelberg und der Kurpfalz..........275
8.1 Johannes Keplers „Astronomia Nova“ wird 1609 in Heidelberg
gedruckt ..............................................................................275
8.2 Jacob Christmann und seine Fernrohre ........................................279
8.3 Die Sternwarten in Schwetzingen und Mannheim (ab 1764) ............284
8.4 Christian Mayers erfolgreiche Denkschrift von 1771........................286
8.5 Spektralanalyse der Gestirne – Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen
(1859) ..................................................................................290
8.6 Die Landessternwarte Heidelberg ................................................298
8.6.1 Max Wolf – Stammvater der Heidelberger Astronomie ............299
8.6.2 Raumfahrt-Pionier Hermann Oberth – ein abgelehnter
Doktorand ..................................................................305
8.6.3 Wolfs Nachfolger an der Landessternwarte: Heinrich Vogt,
Hans Kienle, Hans Elsässer, Immo Appenzeller,
Andreas Quirrenbach ......................................................308
9 Übersichten zur Geschichte des Max-Planck-Instituts für Astronomie ..........313
9.1 Wissenschaftliche Mitglieder......................................................313
9.2 Meilensteine der Institutsgeschichte ............................................313
9.3 Kleinplaneten mit Namen von MPIA-Wissenschaftlern ....................318
10 Wegweiser zu Stätten der Astronomie in Heidelberg und Umgebung ..........320
10.1 Geburtstätte der Astrophysik in der Heidelberger Hauptstraße ..........321
10.2 Privatsternwarte Max Wolf in der Heidelberger Märzgasse ................323
10.3 Universitätsmuseum ................................................................324
10.4 Bergfriedhof Heidelberg............................................................325
10.5 Studentenwohnung von Hermann Oberth in Heidelberg ..................326
10.6 Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl ......................................327
10.7 Haus der Astronomie Heidelberg-Königstuhl ................................328
8
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10.8 Die Kurpfälzer Grundlinie ........................................................329
10.9 Carl-Bosch-Museum ................................................................330
10.10 Kirchhoff-Institut für Physik......................................................331
10.11 Max-Planck-Institut für Kernphysik ............................................332
10.12 Mannheimer Sternwarte ..........................................................333
10.13 Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim......................334
10.14 Planetarium Mannheim ............................................................335
10.15 Sternwarte auf dem Schwetzinger Schloss ......................................336
10.16 Walter-Hohmann-Höhe in Hardheim ..........................................338
10.17 Wegweiser zum Max-Planck-Institut für Astronomie ......................340
Quellen- und Literaturverzeichnis: ..........................................................341
Abkürzungen ......................................................................................347
Danksagung ......................................................................................351
Personenregister ..................................................................................353
9
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Im Herbst des Jahres 1618 „ist ein schröcklicher Comet-Stern mit einem sehr langen brennenden
Schwanz am Himmel erschienen und in ganz Europa mit sonderlichem Schrecken gesehen worden“.
Im gleichen Jahr brach der Dreißigjährige Krieg aus, der Deutschland verwüstete
(„Krieg/Auffruhr/Blutvergiessen viel/Dir ein Komet verkünden will“). Der Kupferstich von
Matthäus Merian aus dem „Theatrum Europaeum“ (1635) zeigt den Kometen über dem noch
unzerstörten Heidelberg (Näheres: Stefan Oldenburg, SuW 48 (2009) 4, S. 94-97).
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Geleitworte
Das Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin versteht sich traditionell als zentrale
Einrichtung und als Gedächtnis der gesamten Max-Planck-Gesellschaft. Besonders aus
Anlaß von Jubiläen nutzen ihre Institute gern seinen Service und den Fundus seiner
Quellen – für Ausstellungen und historische Darstellungen, aber auch in Rechtsfragen.
In seinen Veröffentlichungen hat das Archiv vor allem Hilfsmittel zu den historischen
Quellen bereitgestellt. In der gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte
an der Humboldt-Universität zu Berlin herausgegebenen Buchreihe „Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte" konnten bereits verschiedentlich
Darstellungen aus der Geschichte der Gesellschaft und ihrer Institute erscheinen.
Die Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Astronomie anläßlich seines
40jährigen Jubiläums bietet nun eine schöne Gelegenheit, die Verbundenheit des Archivs
mit den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft zu demonstrieren. Im Umfeld des
100jährigen Jubiläums der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft ist dieses Institutsjubiläum Gelegenheit, erstmals auch in die Reihe „Veröffentlichungen aus dem
Archiv der Max-Planck-Gesellschaft“ eine Institutsgeschichte aufzunehmen.
Lorenz Friedrich Beck
Direktor des Archivs
der Max-Planck-Gesellschaft
11
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Am 24. November 1967 ist es soweit: Immer wieder vorangetrieben von Reimar Lüst
und Hans Elsässer beschließt der Senat der Max-Planck-Gesellschaft die Gründung eines
Max-Planck-Instituts für Astronomie. Als Standort dieses neuen Instituts wird der
Königstuhl – der Heidelberger Hausberg – gewählt. Auf diesem Berg befindet sich bereits
die Landessternwarte, deren Existenz einen zügigen Aufbau des neuen Instituts wesentlich
erleichtert. Eng mit der Gründung des MPI für Astronomie in Heidelberg ist der Aufbau
des Calar-Alto-Observatoriums in Spanien verbunden. Mit diesem Observatorium für
den optischen und infraroten Spektralbereich steht den Astronomen in Deutschland
erstmals wieder eine leistungsfähige Sternwarte zur Verfügung. Gleichzeitig beginnt das
Institut mit astronomischer Forschung vom Weltraum aus – ein erster Höhepunkt ist die
führende Beteiligung am Infrared Space Observatory. Die wissenschaftlichen Entdeckungen
folgen unmittelbar: Extrem schnelle optische Jets von jungen Sternen, die Charakterisierung sehr leuchtkräftiger Infrarot-Galaxien und die erste vollständige Durchmusterung
des Taurus-Sternentstehungsgebietes nach Doppelsternen gehören zu den wichtigsten
Forschungsresultaten der frühen Jahre des Institutes.
Über die 40 Jahre seines Bestehens war das Institut immer wieder im Wandel begriffen.
Heute baut das MPI für Astronomie Instrumente für mehrere der größten bestehenden
Teleskope, das Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile und das
Large Binocular Telescope auf dem Mt. Graham in den USA. Gleichzeitig bereitet es seine
Beteiligung an der Instrumentierung für das European Extremely Large Telescope vor. Im
Weltraum folgt, nach erfolgreichem Instrumentenbau und Einrichtung eines Bodenobservatoriums für ESA’s Herschel-Mission, eine Beteiligung am James Webb Space Telescope.
Die enge Zusammenarbeit zwischen den wissenschaftlichen Abteilungen des Institutes
und den leistungsfähigen technischen Gruppen, die erfolgreiche Kooperation mit der Heidelberger Universität, anderen Max-Planck-Instituten und Universitätsinstituten in
Deutschland sowie Forschungseinrichtungen in aller Welt, die Internationalität des Instituts – die Mitarbeiter kommen gegenwärtig aus mehr als 35 Ländern – sowie die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sind die Erfolgsrezepte des Instituts. Inzwischen beherbergt das Institut eine der größten, produktivsten und prominentesten
Gruppen an Nachwuchsgruppenleitern, Post-Doktoranden und Doktoranden in Deutschland.
Mit seinen beiden wissenschaftlichen Abteilungen erforscht das Institut die Planetenund Sternentstehung sowie die Bildung von Galaxien und die Struktur des Universums.
Zu den wissenschaftlichen Höhepunkten der letzten Jahre zählen die räumliche Auflösung von protoplanetaren Scheiben um junge Sterne und der Torus-Strukturen von Aktiven Galaktischen Kernen, die Entdeckung einer Vielzahl von Satellitengalaxien unserer
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Milchstraße und die direkte Abbildung von extrasolaren Planeten und die Messung ihrer
Atmosphärenspektren. Auf technischem Gebiet wird das MPI für Astronomie ein Vorreiter für die Entwicklung der Adaptiven Optik, der Infrarot-Interferometrie und von
Infrarot-Instrumenten für Weltraummissionen.
Die Entwicklung einer wissenschaftlichen Einrichtung benötigt die richtigen Randbedingungen: Eine interessante wissenschaftliche Landschaft, aber auch die Anziehungskraft einer Stadt – beides ist in Heidelberg in idealer Kombination gegeben. Ohne die
Mitarbeiter eines Instituts, ohne ihre Ideen und ihr Engagement, könnte sich jedoch ein
wissenschaftliches Institut auch bei besten Randbedingungen nicht entwickeln. So freut
es mich besonders, dass der Autor dieses Buches als Zeitzeuge der Institutsentwicklung
die Menschen in den Vordergrund seines geschichtlichen Abrisses gestellt hat.
Ich wünsche allen Lesern, dass sich bei der Lektüre dieses Buches zur Geschichte des
Max-Planck-Instituts für Astronomie die Spannung aktiver Forschung auf sie überträgt
und sie Wissenschaft und technische Entwicklung über die beteiligten Personen erleben.
Prof. Dr. Thomas Henning
GeschäftsführenderDirektor
des Max-Planck-Instituts
für Astronomie
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Vorbemerkung
2009 beging das Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) seinen 40. Geburtstag. Es
war ein Jahr mehrerer astronomischer Jubiläen mit Beziehungen zu unserer Stadt. Vor
400 Jahren haben Johannes Kepler und Galileo Galilei das mittelalterliche Weltbild zum
Einsturz gebracht. Diese beiden Ereignisse hatten die UNESCO veranlasst, das Jahr
2009 zum „Internationalen Jahr der Astronomie“ auszurufen. Keplers „Astronomia
Nova“ mit seinen ersten beiden Gesetzen zur Planetenbewegung wurde 1609 in Heidelberg gedruckt. Vor genau 150 Jahren hatten Kirchhoff und Bunsen in Heidelberg mit
ihrer Spektralanalyse der Sonne die Astrophysik begründet. Zum ersten Mal haben vor
40 Jahren Menschen einen fernen Himmelskörper betreten. Mondgestein war damals
zur Analyse nach Heidelberg ins Max-Planck-Institut für Kernphysik gekommen.
Sicherlich wäre ein 50. Instituts-Geburtstag ein noch bedeutenderer Anlass, ein solches
Buch zu schreiben. Aber vermutlich leben dann nur noch wenige von den „Gestalten der
ersten Stunde“ (Elsässer), und es ist eher unwahrscheinlich, dass die dann über 80-jährigen eine solche Aufgabe übernehmen würden. Der Verfasser dieses Buches hat als Wissenschaftler am MPIA die 40-jährige Geschichte des Instituts von der Gründung an miterlebt. Es waren glückliche und aufregende Jahre des Aufbruchs und der Erneuerungen.
Diese Schrift soll auch ein Dank an die Kollegen des Instituts sein, die mir hier in den
vier Jahrzehnten begegnet sind und mit denen ich zusammenarbeiten konnte. Die Darstellung durch einen Zeitzeugen kann persönlich gefärbt sein, anders als die neutrale
Geschichtsschreibung eines Außenstehenden, der sich in größerem zeitlichen Abstand
streng auf Akten und Dokumente stützt. Um die Gefahr der Subjektivität zu mildern,
wurden alle Kapitel des Buches von einigen Dabeigewesenen gegengelesen und nötigenfalls ergänzt. Ein Zeitzeugenbericht bietet die Chance, auch Ereignisse zu erzählen, die
sich nicht in den Akten und Veröffentlichungen finden. Damals wurden sie als unwichtig,
skurril oder unangenehm angesehen, heute amüsieren sie uns und runden das Geschichtsbild ab. Und manchem, der dieses Buch liest, wird später wohl eher Anekdotisches in
Erinnerung bleiben. Der damalige jährliche wissenschaftliche und technische Fortschritt
ist an anderen Stellen gut dokumentiert, aber heute interessiert davon meist doch nur das
Neueste. Deshalb werden hier ausführlicher die Menschen und Ereignisse in der Institutsgeschichte geschildert. Über die Wissenschaft wird in einigen ausgewählten und zu
ihrer Zeit passenden Beispielen berichtet. Wer tiefer in die astronomischen Forschungs-
14
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ergebnisse der letzten vier Jahrzehnte einsteigen möchte, dem seien die ausführlichen
Jahresberichte des MPIA empfohlen.
Bei der Quellenforschung für dieses Buch stieß der Verfasser immer wieder auf noch ältere
Spuren der Astronomie in Heidelberg und der Kurpfalz. Von ihnen lassen sich direkte
Linien zur Gründung des MPIA auf dem Königstuhl ziehen. Diese früheren Ereignisse
und Schauplätze sind es wert, hier zusammenfassend aufgezeichnet zu werden. Sie lassen
uns unser Hier und Heute besser verstehen. In das letzte Kapitel des Buches ist deshalb
auch ein kurzer Wegweiser zu Stätten der Astronomie in und um Heidelberg aufgenommen. Dem Interessierten können sie als Anregung zu eigenen weiteren Nachforschungen
dienen. Ihm wird dabei höchstwahrscheinlich weitergeholfen, hat doch Heidelberg von
allen deutschen Städten mit seinen sechs in der Astronomie arbeitenden Instituten den
höchsten Astronomen-Anteil an den Einwohnern.
Der Verfasser ist den beiden Direktoren des Instituts, Thomas Henning und HansWalter Rix, für die Ermutigung zum Schreiben dieser „Instituts-Chronik“ dankbar, insbesondere auch dafür, dass er es allein tun konnte. In einem andernorts oft begangenen
Weg hätten mehrere Mitarbeiter einzelne Beiträge zu ihren Fachgebieten verfassen können.
Herausgekommen wäre dabei sicher eine faktenreichere Darstellung (so wie im vorliegenden Fall die hoffentlich erträgliche Überbetonung der Weltraum-Astronomie), aber
eine vielleicht weniger unterhaltsame Geschichte.
So bleibt zu wünschen, dass diese Darstellung aus einer Feder flüssig lesbar ist. Sie möge
die Dabeigewesenen und die in die Hunderte gehende Zahl von Studenten, Gastwissenschaftlern und Freunden des Institutes an schöne und spannende Jahre des immer
neuen Aufbruchs und des stetigen wissenschaftlichen Fortschritts auf dem Königstuhl
erinnern. Und sie sollte junge Leser ermutigen, ihr Leben der Physik und der Astronomie
zu widmen. Das Goldene Zeitalter der Astronomie dauert an.
In diese Aufzeichnungen ist auch das Jubiläumsjahr 2009 weitgehend mit einbezogen, es
wird also tatsächlich über fast 41 Jahre Institutsgeschichte berichtet.
Dietrich Lemke
15
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Edinburgh
Groningen
Dwingeloo Stockholm
Durham
Helsinki
Amsterdam
Cambridge
St. Petersburg
Leiden
Manchester
Kopenhagen
Hamilton
Dublin
Warschau
Harvard
Pittsburgh
Oxford
Moskau
Chilton
Liège
Columbus
Budapest
Seattle
Stanford London
Chicago
Basel
Paris
Taschkent
Princeton Saclay
Padua
Tucson
Berkeley
Neapel
Middletown Versoix
Moffett Fields
Florenz
Tel
Aviv
Rochester
Nizza
Pasadena
Baltimore
Grenoble
Flagstaff
Charlottesville
Calar Alto
Los Alamos
Gainesville
Lissabon
Honolulu Las Cruces
Teneriffa
Houston
Tokyo
Kyoto
Taiwan
Nanjing
Seoul
Paranal
La Silla
Canberra
In den vierzig Jahren seines Bestehens wurde das Max-Planck-Institut für Astronomie zu einem
wichtigen Knoten im weltweiten Netzwek der Astronomie. Die Karte zeigt die Orte seiner wissenschaftlichen Partnerinstitute.
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1
Aufbruch ins All
Vor 40 Jahren wurde Wirklichkeit, wovon die Astronomen in Deutschland ein halbes
Jahrhundert lang geträumt hatten: der Bau einer eigenen Sternwarte im günstigen Klima
des Südens, ausgerüstet mit großen Fernrohren. Für dieses Ziel hatten sich in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrere Generationen von Wissenschaftlern leidenschaftlich
eingesetzt. Zu Stande gekommen waren aber nur zwei kleinere Beobachtungsstationen
bei La Paz und bei Windhuk, die für einige Jahre betrieben werden konnten. Zwei Weltkriege und ihre Folgen verhinderten die Verwirklichung der großen Wunschträume. Erst
15 Jahre nach dem Ende des letzten Krieges konnte im geteilten Deutschland mit Aussicht auf Erfolg eine neue Planung begonnen werden. Sie führte über viele Hürden im
Jahre 1969 schließlich zum Aufbau des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA).
Dem vorangegangen waren mehrjährige Bemühungen des Rates Westdeutscher Sternwarten zur Gründung einer deutschen Südsternwarte. Aus diesen Anstrengungen ragen
mehrere Persönlichkeiten heraus, deren richtige und zeitgemäße Ideen und deren Überzeugungskraft den Wunsch zur Wirklichkeit werden ließen. Diese Gründungsgeschichte
soll hier lebendig werden.
Die Arbeit des neuen Max-Planck-Instituts war anfangs auf das Ziel gerichtet, leistungsfähige Sternwarten in Südeuropa und auf der Südhalbkugel der Erde zu errichten. Der
Beginn für das Heimatinstitut in Heidelberg war ganz bescheiden. Es war zunächst
Untermieter in einigen Räumen der Landessternwarte auf dem Königstuhl. Wenige Mitarbeiter der Landessternwarte erhielten Anfang 1969 die ersten Arbeitsverträge des neugegründeten MPIA. Der Gründungsdirektor Hans Elsässer nahm ab diesem Zeitpunkt
zwei Aufgaben wahr: weiterhin die Leitung der Landessternwarte und zusätzlich die
Leitung des neuen Instituts. Man blieb noch einige Jahre Gast in den Räumen der Sternwarte, bis die neu errichteten Gebäude des MPIA in der Nachbarschaft auf dem Königstuhl bezogen werden konnten.
In 40 Jahren Forschungsarbeit am MPIA haben wir große Veränderungen durchlebt. Mit
dem Übergang von Photoplatten zu digitalen lichtelektrischen Sensoren gab es eine
gewaltige Empfindlichkeits- und Reichweiten-Steigerung beim Blick in den Kosmos. In
diesen Zeitraum fällt auch der Start von Fernrohren auf Satelliten und der Zugang zu
ganz neuen Spektralbereichen. Gehörten anfangs unsere neuen Teleskope auf dem Calar
17
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Alto zu den größten, ist heute die Nutzung und Beteiligung an multinationalen Großteleskopen in noch trockeneren Klimazonen unerlässlich geworden. Institute wie das
MPIA konnten nicht länger wie große Sternwarten betrieben werden, sondern wurden
zu international ausgerichteten Wissenschaftszentren. Diese Entwicklung verlief nicht
stetig, die größten Veränderungen brachten die Generationswechsel in der Leitung des
Instituts mit sich. Anfangs den Nachholbedarf in Deutschland aufholend, wurde das
Max-Planck-Institut für Astronomie im letzten Jahrzehnt ein führendes Institut der weltweiten „Big Science“ .
Der Geschichte des MPIA, von der ersten Erwähnung der Idee in der Kaiser-WilhelmGesellschaft vor über 80 Jahren bis zu seinem 40. Geburtstag im Jahre 2009, ist der
Hauptteil des Buches in den folgenden fünf Kapiteln gewidmet. Das noch vor uns liegende Jahrzehnt bis zum 50. Institutsgeburtstag wird im Kapitel 7 durch ein Gespräch
der beiden gegenwärtigen Direktoren des Institutes mit dem Verfasser vorausgeahnt. Im
Jahre 2019 werden wir überprüfen können, welche Überraschungen die Zukunft bereithielt.
Im 8. Kapitel geht es in einem Zeitsprung zurück zu den Wurzeln der Astronomie in
Heidelberg und seinem Umland. Bereits vor 400 Jahren gab es an der hiesigen Universität
eine Sternwarte und es wurden hier zeitgleich mit Galileo die ersten Fernrohre gebaut.
Die benachbarte Mannheimer Sternwarte war im 18. Jahrhundert eine der berühmtesten
der Erde. Von Heidelberg aus trat vor 150 Jahren die Astrophysik ihren weltweiten Siegeszug an, begründet durch Kirchhoffs und Bunsens Spektralanalyse der Sonne. Schließlich
entstand vor 110 Jahren die erste Bergsternwarte Deutschlands auf dem Heidelberger
Königstuhl. Aus ihr heraus wuchs in enger Nachbarschaft das neue Max-Planck-Institut
für Astronomie, was uns zum Anfang des Buches zurückführt.
Wer einen nur knappen Überblick über die Institutsgeschichte sucht, oder ein herausragendes Ereignis in den letzten 40 Jahren datieren möchte, dem kommt die kurze
„Meilenstein-Geschichte“ im Kapitel 9 entgegen. Dort findet sich auch die vollständige
Liste der Wissenschaftlichen Mitglieder des MPIA seit dessen Gründung.
18
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2
Vorgeschichte und frühe Jahre des Max-Planck-Instituts
für Astronomie
2.1
Ein Kaiser-Wilhelm-Institut für Astronomie?
Ein erster Vorschlag zur Errichtung einer deutschen Südsternwarte geht auf den berühmten
Astronomen Karl Schwarzschild vom Astrophysikalischen Observatorium Potsdam
zurück. Auf einer Konferenzreise im Jahre 1910 besuchte er die wichtigsten amerikanischen Sternwarten und war von den großen Fernrohren, dem guten Wetter in Kalifornien
und der produktiven Arbeitsweise der amerikanischen Astronomen angetan. Das Lickund das Harvard-Observatorium betrieben damals bereits kleinere Sternwarten als
Außenstationen unter dem Südhimmel in Chile und Peru. Dort wurden wichtige Entdeckungen gemacht. Zurück in Deutschland, berichtete Schwarzschild einer breiteren
Öffentlichkeit in der „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik“ über den inzwischen großen Vorsprung der beobachtenden Astronomie in Amerika.
Um mithalten zu können „müssen wir mit dem einen oder anderen großen Instrument
künftig in den Süden gehen, am besten gleich auf die Südhalbkugel“. Und: „ob ein
kleiner Anfang in Windhuk in [Deutsch-] Südwestafrika nicht den Kern für eine
solche Institution [Sternwarte] bilden könnte.“ Schwarzschild, der sich bei Ausbruch des
Ersten Weltkrieges als deutscher Jude freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte,
erkrankte 1916 schwer und starb im Alter von nur 42 Jahren. Und auch die Kolonie
Deutsch-Südwestafrika ging mit dem Krieg verloren.
Einen erneuten Anlauf unternahm Erwin Finlay Freundlich (Abb. 2.1-1) vom Astrophysikalischen Observatorium Potsdam im Jahre 1928. Er war vorher (um 1920) Wissenschaftliches Mitglied des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin unter der Leitung
von Albert Einstein. Freundlich hatte das berühmte Turm-Teleskop (Einstein-Turm) in
Potsdam wissenschaftlich konzipiert und widmete sein Forscherleben damals der experimentellen Bestätigung der Relativitätstheorie durch Lichtablenkung und Rotverschiebung.
Freundlich legte im Sommer 1928 der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft
eine Denkschrift vor: „Zu der Frage der Errichtung einer auswärtigen astronomischen
Beobachtungsstation“. Deren Vorsitzender, Staatsminister Friedrich Schmidt-Ott, sah
die Angelegenheit bei der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) besser aufgehoben, war
19
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Abb. 2.1-1: Erich Finlay Freundlich vom Astrophysikalischen Institut Potsdam legte 1928 eine erste
Denkschrift zur Errichtung einer deutschen Südsternwarte vor. Die beginnende Weltwirtschaftskrise
hinderte die „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ und die „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ an der
Durchführung der Pläne. Der Ehemann seiner MusikKollegin, Erich Mendelsohn, wurde Architekt des
berühmten Einsteinturmes, den Freundlich wissenschaftlich ausgelegt hatte (MacTutor History of
Mathematics Archive).
er doch gleichzeitig in den Jahren 1920 bis 1937 deren Vizepräsident. In einer gemeinsamen Besprechung am 26. Juli 1928 in den Räumen der Notgemeinschaft im Berliner
Schloss wurde Freundlichs Vorschlag günstig aufgenommen. Der Generaldirektor der
KWG, Friedrich Glum, notierte: „dass die Errichtung eines deutschen Instituts im Auslande in der Linie der Pläne der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft läge“. Auf Wunsch der
Besprechungsteilnehmer legte Freundlich im September 1928 mit einer noch ausführlicheren Fassung seiner Denkschrift nach: „Über die Notwendigkeit der Errichtung eines
auswärtigen astronomischen Forschungsinstituts“. Beigelegt war als Anhang eine Untersuchung seines Potsdamer Kollegen Fritz Löhle: „Die klimatischen Verhältnisse im Mittelmeerbecken in Hinsicht auf ihre Eignung für Himmelsbeobachtungen“.
Freundlich schildert zunächst die Gründe für den Rückgang der deutschen Astronomie.
Erstens haben sich die Sternwarten nicht rechtzeitig den instrumentellen Entwicklungen
der Astronomie angepasst, und zweitens haben sich die Astronomen nicht rechtzeitig
den sich darbietenden, neuen Forschungsmethoden angepasst. Im Klartext: „… Dadurch,
dass bei den ersten Unternehmungen der A.G. Kataloge [Sternkataloge der Astronomischen Gesellschaft] eine ganze Generation junger Astronomen gezwungen wurde, die
sonst produktivsten Jahre ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit mit langwierigen unproduktiven Messungen zu verbringen, ist das wissenschaftliche Leben vielfach erstarrt gewesen
und auch die folgende Generation nicht in dem Maße zu Naturforschern, mit dem auf
die lebenden Probleme gerichteten Blick herangezogen worden, wie dies z. B. in den
20
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Nachbargebieten der Physik und Chemie der Fall gewesen ist“. Und noch deutlicher:
„dass unleugbar bisher unter der Mehrzahl der Astronomen starke Hemmungen bestehen, die noch sehr hypothetischen, aber ungemein fruchtbaren Erkenntnisse der
modernen Atomphysik sich zu Nutze zu machen und ihre Kenntnisse dauernd dem Fluss
der Forschung anzupassen, wie dies z.B. von den Physikern bis in ihr spätes Alter dauernd
verlangt wird.“ Er empfiehlt den Übergang vom bisherigen Datensammeln mit immer
weiter verfeinerten Methoden zur modernen Astrophysik. Dafür sind lichtstärkere Spiegelteleskope und höher auflösende Spektrographen vonnöten. Freundlich konzipiert
detailliert Aufgaben, Aufbau, Instrumente und Anforderungen an die Mitarbeiter und
den Direktor des neuen Instituts. „Dieses sollte keiner der bisherigen Sternwarten als
Filiale anzugliedern sein, sondern als selbständiges Institut zu gründen sein, jedoch durch
eine besondere Organisation allen Astronomen Deutschlands zugänglich sein.“ Auch
könnten in Deutschland vorhandene Fernrohre nach dem neuen Beobachtungsort „verpflanzt“ werden, um sie dort voll ausnutzen zu können. Die neue Sternwarte sollte im
günstigen Klima des Mittelmeerraums liegen: „Spanien müsste bei seiner hochentwickelten
Kultur und den günstigen klimatischen Voraussetzungen eine in jeder Hinsicht vorteilhafte Lage zur Errichtung einer Sternwarte gewährleisten“.
Diese sehr gut durchdachte Denkschrift liest sich wie die Handlungsanleitung zum
tatsächlichen Geschehen 40 Jahre später. Freundlichs Vorschläge kamen leider zu ungünstiger Zeit – der beginnenden Weltwirtschaftskrise. In diesen Jahren verzeichnen die Sitzungsprotokolle der KWG Kürzungen der bewilligten Mittel und Mittelkürzungen auch
bei der Notgemeinschaft, die die Vorhaben der KWG unterstützte. Anträge auf Neugründungen von Instituten wurden in diesen Jahren nicht behandelt. Noch härter traf es
Freundlich selbst. Wegen einer jüdischen Großmutter galt er nach dem Machtantritt der
Nationalsozialisten als „Beamter nichtarischer Abstammung“ und hatte fortan keine
Berufsaussichten. Er verließ 1933 seine deutsche Heimat. Dennoch baute er weitere drei
Sternwarten auf: Istanbul (1933), Prag (1937) und St. Andrews in Schottland (1939).
Vorher bereits hatte er Carl Boschs Privatsternwarte in Heidelberg (1920) und das
Einstein-Turmteleskop (1921) errichtet. Was hätte dieser hervorragende und produktive
Wissenschaftler und Organisator für eine deutsche Südsternwarte leisten können, wenn
ihn nicht die unglücklichen politischen Verhältnisse damals in Deutschland gehindert
hätten …
Einen weiteren Anlauf nahm Hans Kienle von der Göttinger Universitätssternwarte. Er
beantragte im Jahre 1938 die Errichtung einer Sternwarte im Großglockner-Gebiet im
Rahmen eines Kaiser-Wilhelm-Instituts für Astronomie. Der Antrag wurde vom Senat
in der Sitzung vom 30. Mai 1938 abgelehnt. Nach Ansicht des Generalsekretärs der
21
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KWG, Ernst Telschow, „ist der Zeitpunkt noch nicht gekommen, um diesem Projekt
näherzutreten“ Er verwies auf die kostengünstigere Nutzung der vorhandenen Jungfraujoch-Station. In einer weiteren Senatssitzung der KWG vom 4. April 1939 wird erneut
über einen Antrag Kienles zum Bau einer Sternwarte in Deutschland verhandelt. Angedacht war beim damaligen deutschen Autarkiestreben eine Hochlage der Schwäbischen
Alb oder der östliche Rand des Schwarzwaldes. Die Vorarbeiten wurden auf 10000 Reichsmark jährlich geschätzt. „Zu dem Plan nimmt eingehend Geheimrat Bosch Stellung, der
die Bereitstellung des Betrages empfiehlt. Der Senat beschließt dementsprechend“. Dies
dürfte die erste Bereitstellung eines größeren Geldbetrages für ein astronomisches Vorhaben im Rahmen der KWG gewesen sein.
Die Bewilligung hing sicherlich damit zusammen, dass Präsident Carl Bosch selbst ein
starkes Interesse an der Astronomie hatte, betrieb er doch auf seinem Villenanwesen am
Heidelberger Schlosswolfsbrunnenweg eine gut ausgerüstete Privatsternwarte. Bosch
hatte bereits als Generaldirektor der BASF in den frühen 1920er Jahren in Ludwigshafen
Quarzschmelz-Versuche für die Herstellung eines 2.5 m-Fernrohrspiegels veranlasst.
Seine Mitarbeiter Ernst Hochheim und Fritz Winkler vom Ammoniak-Laboratorium
der BASF in Ludwigshafen stellten bald 60 cm Quarz-Scheiben her. Ebenso erfolgreich
verliefen Experimente mit hochreflektierenden Spiegelbelägen aus Silber und Aluminium. Angeregt zu diesen Arbeiten wurde Bosch durch Erwin Freundlich. Die Weltwirtschaftskrise führte allerdings im Jahre 1931 zum Abbruch der Teleskopspiegel-Entwicklungen bei der BASF. Als Präsident der KWG liebäugelte Bosch nun mit dem Bau einer
großen Sternwarte (für 5 bis 6 Millionen Reichsmark), und die sollte bevorzugt in Südwestafrika entstehen. Dafür glaubte er, etwa 2 Millionen RM für ein großes Teleskop von
der Chemischen Industrie beitragen zu können. Den Plänen Boschs und den seit 1939
von der KWG geförderten Vorarbeiten Kienles war jedoch kein Glück beschieden. Noch
im gleichen Jahr begann Hitler den Zweiten Weltkrieg, und das Vorhaben einer großen
deutschen Sternwarte kam für ein weiteres Vierteljahrhundert zum Erliegen.
2.2
Die Denkschrift zur Lage der Astronomie vom Jahre 1962
Der in der Nachkriegszeit der 1950er Jahre immer offensichtlicher werdende museale
Zustand der deutschen Sternwarten veranlasste die Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG), eine umfassende Bestandsaufnahme an allen Standorten einzuleiten. Sie sollte
aus einer Hand kommen, und so wurde Paul ten Bruggencate, Professor für Astronomie
22
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und Direktor der Göttinger Sternwarte, um einen Personenvorschlag für den Entwurf
einer Denkschrift gebeten. Er empfahl, seinen jungen und tüchtigen Privatdozenten
Hans-Heinrich Voigt mit diesem Zukunftsprojekt zu betrauen. Der erhielt im Jahre
1959 von der DFG einen kleinen Reiseetat und konnte damit die 16 astronomischen
Einrichtungen in der Bundesrepublik besuchen: auf einer Nordreise von Kiel bis Münster
und auf einer Südreise von Heidelberg bis München. In Gesprächen mit allen Sternwarten-Direktoren erhielt er ein zwiespältiges Bild. Da gab es viel Stolz auf das nach dem
Krieg schon wieder Erreichte und gleichzeitig Klagen über die schlechte Lage der Astronomie in Deutschland. Aus dieser Vielzahl von Berichten und Inaugenscheinnahmen
hat Hans-Heinrich Voigt einen Sachstandsbericht für das ganze Land kondensiert und
Empfehlungen zur Modernisierung gegeben. Um breite Unterstützung unter deutschen
Astronomen sicherzustellen, wurden nun Mitverfasser hinzugezogen: die Professoren
Friedrich Becker aus Bonn, Hans Elsässer, gerade von Göttingen nach Heidelberg berufen,
Walter Fricke aus Heidelberg und Dipl. Phys. Erich Kirste von der Forschungsgemeinschaft. Fachlicher Rat wurde außerdem von vielen herausragenden Personen aus Ministerien, der Industrie, den Universitäten und der Max-Planck-Gesellschaft eingeholt, die
dann, ebenso wie alle Sternwarten-Direktoren, Mitunterzeichner der Denkschrift wurden.
Im Dezember 1962 war es so weit: Die Denkschrift zur Lage der Astronomie wurde von
Abb. 2.2-1: Die Denkschrift der DFG zur Lage der
Astronomie vom Jahre 1962 gab auf 60 Seiten wichtige
Anstöße für eine deutsche Südsternwarte, die im
Rahmen des MPIA verwirklicht wurde (DFG).
23
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der DFG der Öffentlichkeit vorgestellt (Abb. 2.2-1). Sie sollte in den folgenden Jahren
Bedeutung für den Ausbau der Astronomie in Deutschland gewinnen. Sie beeinflusste
Berufungsverhandlungen und schaffte auch die Voraussetzungen für die Gründung des
MPIA. Mit der folgenden Zusammenfassung ihres Inhaltes soll an die Lage und die
Wünsche von vor ~ 50 Jahren erinnert werden.
Während die Astronomie in Deutschland noch im 19. Jahrhundert in hoher Blüte stand
(erinnert wird an die Arbeiten von Carl Friedrich Gauß, Friedrich Wilhelm Bessel, Friedrich
Wilhelm August Argelander, Gustav Kirchhoff, Robert Bunsen und Karl Schwarzschild),
war sie seit dem 1. Weltkrieg stark hinter anderen Ländern zurückgeblieben. Nur auf
Teilgebieten wie Positionsastronomie, theoretische Astrophysik und der (im 2. Weltkrieg
als kriegswichtig geförderten) Sonnenphysik hatte man etwa internationalen Standard.
Für Spektroskopie und Photometrie, die wichtigsten Antreiber des Fortschrittes, waren
nur veraltete Instrumente an zu kleinen Fernrohren vorhanden. Die Radioastronomie
hatte kriegsfolgebedingt einen späten Start, und die Weltraum-Astronomie stand ganz
am Anfang. Der Vergleich zu anderen Ländern wie Holland, Frankreich und den USA,
die große Observatorien bauten, fiel ungünstig für die Bundesrepublik aus. Bereits
damals erkannten die Verfasser, dass die föderalistische Struktur der Bundesrepublik die
Planung überregionaler Forschungseinrichtungen erschweren würde.
Ähnlich betrüblich war die finanzielle und personelle Ausstattung der Sternwarten. Es
gab im Jahre 1962 im ganzen Lande nur 12 Lehrstühle für Astronomie und eine viel zu
geringe Zahl von Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Zwischen 1950 und
1960 haben 62 Studenten in Astronomie promoviert, nur 19 konnten in Stellen an Universitätsinstituten eingewiesen werden. Vergleichsweise wurden damals mehrere tausend
Stellen in der Weltraumforschung in den USA besetzt, wohin es auch viele junge
Wissenschaftler aus Deutschland zog. Die jährlichen festen Haushaltsmittel einer mittelgroßen Sternwarte betrugen nur 20000 DM, so dass selbst bescheidene Forschungsarbeit nur mit Drittmitteln möglich war, die unter anderem bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragt werden konnten. Ganz unzureichend und starr war der
für die astronomische Forschung wichtige Reiseetat zu Beobachtungsaufenthalten. Angesprochen wurde auch die mangelhafte Verbindung der Astronomie mit der Physik an den
deutschen Universitäten. Überschneidungen bei Kernphysik und stellaren Energiequellen
oder bei der Plasmaphysik und dem interstellaren Medium hätten die Zusammenarbeit
schon damals dringend nahegelegt.
Es musste also vieles besser werden, und dafür zeigten die Verfasser der Denkschrift die
Ziele auf. Die erhoffte Aufbruchsstimmung wurde auch durch das „Wirtschaftswunder“
in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik beflügelt. Empfohlen wurden:
24
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– Der Ausbau der bestehenden Institute durch Schaffung neuer Lehrstühle, gut dotierter
Stellen im akademischen Mittelbau für selbstständige Forschungsarbeit und technische
Spezialkräfte, beispielsweise für Elektronik.
– Verdreifachung der Haushaltsmittel mit „elastischen“ Verwendungsmöglichkeiten für
Personal, Reisen und Auslandsaufenthalte.
– Bau einer optischen Sternwarte mit einem großen Fernrohr in günstigem Klima,
bevorzugt auf der Südhalbkugel.
– Bau eines großen Radioteleskops, um den Anschluss an die internationale Forschung
zu sichern, was mit der Bonner 25 m-Antenne auf dem Stockert nicht möglich sein
würde. Da ein neues großes Teleskop nicht einem Universitäts-Institut angegliedert
werden konnte, wurde bereits die Suche nach einem Betreiber mit Verbindung zur
Universität, aber ohne Abhängigkeit von deren Finanzierung und Personalstruktur,
empfohlen.
– Aufbau von Arbeitsgruppen für die Weltraumforschung, insbesondere für die Astronomie von einem extraterrestrischen Standort aus. Damit sollten neue Wellenlängenbereiche erschlossen und die Luftunruhe überwunden werden. Gerade weil gleichzeitig die gemeinsame „European Space Research Organisation“ (ESRO) aufgebaut
wurde, sollte die Bundesrepublik hier investieren, um in das Gemeinschaftsunternehmen
mit dem gleichen personellen und wissenschaftlichen Potenzial zu starten, das die
anderen europäischen Mitgliedsländer schon besaßen.
– Förderung des Nachwuchses durch astronomische Grundvorlesungen an allen Universitäten und Technischen Hochschulen. Behandlung astronomischer Fragen in den
Schulen und Förderung von Volkssternwarten, Planetarien und der Arbeit der
Liebhaberastronomen.
2.3
Von der Denkschrift zur Gründung des Max-Planck-Instituts
für Astronomie
Die Denkschrift hat die unbefriedigende Lage der Astronomie in unserem Lande zu
Beginn der 1960er Jahre treffend dargestellt. Auch die Schwerpunkte für die gewünschte
Entwicklung waren richtig gewählt: Optische Sternwarte, Radioastronomie und Weltraumforschung. Aber es war ein Sachstandsbericht mit einer langen Wunschliste. Sie
reichte von größeren Teleskopen, über besser ausgestattete Bibliotheken, den Neubau
von Instituten, mehr Ordinarien und Dauerstellen für Wissenschaftlern bis zu stärkerer
25
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Förderung internationaler Projekte und besserem Schulunterricht. Damit waren in unserem
förderalistisch gegliederten Land sehr verschiedene mögliche Helfer angesprochen: die
Bundesregierung, die damals noch gar kein Forschungsministerium hatte, die Länderregierungen mit ihrer ausschließlichen Zuständigkeit für Universitäten und Schulen, die
Deutsche Forschungsgemeinschaft. Der Denkschrift fehlte aus heutiger Sicht ein „Implementierungsplan“. Die gewünschten Vorhaben waren nicht hinreichend konkretisiert, es
gab keine Kostenabschätzung und keine Zeitpläne. So ist es nicht verwunderlich, dass
die Sache kein Selbstläufer wurde.
Abb. 2.3-1: Walter Fricke war im Jahre 1962 Direktor
des Astronomischen Rechenzentrums in Heidelberg
und Vorsitzender des Rates Westdeutscher Sternwarten.
Er hat wichtigen Anteil an der Schaffung des MPI für
Astronomie und des Instituts für Theoretische Astrophysik
in Heidelberg (ARI).
2.3.1 Drei Kommissionen prüfen das Vorhaben
Der Rat Westdeutscher Sternwarten, oft gerügt als „aus zu vielen Individualisten bestehend“ (Wolfgang Gentner), wurde diesmal erstaunlich schnell aktiv. Der Vorsitzende,
Walter Fricke (Abb. 2.3-1) vom Astronomischen Recheninstitut Heidelberg, schrieb im
Sommer 1962 an den Bundesinnenminister Hermann Höcherl mit der Bitte um Unterstützung für „eine deutsche Sternwarte auf der Südhalbkugel“. Das Ministerium erbat
zunächst eine Stellungnahme des Wissenschaftsrates, um gute Karten bei den intermini-
26
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 27
steriellen Beratungen zu bekommen. Zu dieser Zeit waren die Zuständigkeiten für die
Forschungsförderung im Nachkriegs-Deutschland noch unübersichtlich geregelt. In
einem interministeriellen Ausschuss waren das Innenministerium, das Außenministerium, das Verkehrsministerium und das Atomministerium vertreten. Bei der
allgemeinen Forschungsförderung war das Innenministerium federführend, bei der Weltraumforschung das Atomministerium. Der 1957 gegründete Wissenschaftsrat koordinierte die Wissenschaftsförderung zwischen den damals 11 Bundesländern und dem
Bund, wobei letzterer in der föderalistischen Gliederung der Bundesrepublik für Bildung
und Wissenschaft kaum zuständig war. Der Präsident des Wissenschaftsrates, Ludwig
Raiser, wurde von Fricke um die von der Politik gewünschte Empfehlung für eine Südsternwarte gebeten. Beigelegt hatte Fricke seinem Schreiben ein neunseitiges Memorandum „Über die Notwendigkeit einer deutschen Sternwarte auf der Südhalbkugel“. Dieses
Papier hatte der Rat Westdeutscher Sternwarten im April 1962 von einer eigenen Kommission unter dem Vorsitz von Hans Elsässer erarbeiten lassen. Mit der erfolgten Befürwortung durch den Wissenschaftsrat setzte sich Minister Höcherl für die Gründung der
Sternwarte ein. Er musste die Angelegenheit aber kurze Zeit später an das neue Wissenschaftsministerium abgeben. Dort wurde angestrebt, die Sternwarte mit Bundesmitteln
zu errichten und als Bundesanstalt zu unterhalten. Diese Absicht wurde aber sogleich
von den Kultusministern der deutschen Bundesländer durchkreuzt, die es nicht als Aufgabe des Bundes sahen, eine solche Anstalt zu gründen, sondern als eine Aufgabe der
Länder. Eifersüchteleien bei der Standortfrage für das Heimatinstitut und damit weitere
Verzögerungen waren zu befürchten. So entstand schließlich die Idee, die Angelegenheit
in die Max-Planck-Gesellschaft zu tragen, da diese gemeinsam von Bund und Ländern
finanziert wird.
Gestützt vom Rat Westdeutscher Sternwarten unternahmen daraufhin Reimar Lüst
(Abb. 2.3-2), Mitglied des Wissenschaftsrates und Direktor des Instituts für extraterrestrische Physik des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik, und Hans Elsässer,
seit knapp zwei Jahren Direktor der Landessternwarte, einen Vorstoß beim Präsidenten
der Max-Planck-Gesellschaft. Am 22. Mai 1964 konnten sie Adolf Butenandt überzeugen, dass die MPG der richtige Träger für das deutsche Sternwartenprojekt ist. Sein einziger Vorbehalt war, in einem Gespräch mit Wissenschaftsminister Hans Lenz zu klären,
ob sich die MPG hier einschalten solle, nachdem sich auch das Ministerium bereits für
die Südsternwarten-Pläne interessierte. Nach grünem Licht aus Bonn und vom Senat der
MPG beauftragte der Präsident am 13. Januar 1965 den Vorsitzenden der ChemischPhysikalisch-Technischen Sektion (CPTS) des Wissenschaftlichen Rates der MPG,
Werner Köster, mit der Bildung einer entsprechenden Kommission. Sie solle prüfen, ob
27
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Abb. 2.3-2: Reimar Lüst
hat sich als damaliges
Mitglied des Wissenschaftsrates große Verdienste bei
der Schaffung des MPI für
Astronomie erworben.
Als Präsident der MaxPlanck-Gesellschaft
förderte er den weiteren
Aufbau des Instituts und
seiner Sternwarten.
die Voraussetzungen für die Gründung einer solchen Sternwarte in der MPG gegeben
seien. Er empfahl außerdem, der schon weiter vorangetriebenen Gründung eines MPI
für Radioastronomie Vorrang vor der optischen Astronomie zu geben und wegen der
engen sachlichen Verbindung die „Radioastronomie-Kommission“ auch für das Sternwartenprojekt einzusetzen. Dieser Kommission gehörten neben dem CPTS-Vorsitzenden
Köster auch Ludwig Biermann, Walter Dieminger, Wolfgang Gentner, Reimar Lüst,
Arnulf Schlüter und Carl Wagner an. In mehreren Sitzungen in den Jahren 1965 und
1966 hat diese Gruppe sehr sachkundig und fleißig alle relevanten Fragen behandelt:
wissenschaftliche Ziele, Instrumentierung und internationaler Vergleich, Standortwahl,
28
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Mittelbedarf, Zeitskala der Realisierbarkeit, Verhältnis zu den Universitätsinstituten.
Um Befürchtungen der Universitäts-Sternwarten von Anfang an entgegenzutreten, wurde
klar gesagt, dass das neue Institut nicht die „guten Leute von den Sternwarten abziehen“,
sondern dass es überwiegend Physiker rekrutieren wird. Einigkeit herrschte auch darüber,
dass nach den jahrzehntelangen vergeblichen Bemühungen der deutschen Astronomie
dieses Projekt schnellstmöglich realisiert werden sollte, da „die gegenwärtigen Umstände
günstiger sein dürften, als sie jemals zu Lebzeiten eines der heute lebenden Astronomen
gewesen sind“. Ausführlich wurde auch die Besetzung des Direktorpostens diskutiert;
dabei wurden die Stärken der verschiedenen Kandidaten aus Deutschland und den USA
abgewogen. Vorgespräche zeigten schnell, dass die erstklassigen amerikanischen Kandidaten die hervorragenden Arbeitsmöglichkeiten in ihrem eigenen Land bevorzugten und
kaum für eine lange Aufbauphase im Ausland zu gewinnen wären. Unter den deutschen
Kandidaten hatte sich Hans Elsässer bereits als guter Organisator und vielseitiger Wissenschaftler qualifiziert. Seine neuen Aktivitäten an der Landessternwarte (Infrarot, Weltraum, 1.23 m-Teleskop, …) und sein mehrjähriger Einsatz für eine Südsternwarte hatten
Eindruck gemacht.
Ein Vorhaben von damals geschätzten 75 Millionen DM konnte die MPG nicht aus dem
laufenden Haushalt finanzieren, sie musste sich wegen der Anfangsinvestitionen erneut
an den Bund wenden. Vor der Prüfung einer Sonderfinanzierung für größere Institutsbestandteile wünschte das Wissenschaftsministerium deshalb im Mai 1966 eine aktuelle
Stellungnahme des Wissenschaftsrates. Der musste sich nun zum dritten Male mit der
Angelegenheit „Errichtung eines Max-Planck-Instituts für Astronomie“ befassen. Der
Rat setzte eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Reimar Lüst ein. Die Gruppe war
hochkarätig besetzt, ihr gehörten neben Vertretern der Regierung die Astronomen Otto
Heckmann (Hamburg), Bengt Strömgren (Kopenhagen) und Jan Hendrik Oort (Leiden)
an. Diese Gruppe entwickelte die Leitlinie mit zwei Sternwarten für die Nord- und Südhalbkugel und einem Heimatinstitut als geistigem Zentrum. Dieser große Wurf ging
deutlich über die Empfehlung der Denkschrift von 1962 für eine Südsternwarte zur
Nutzung durch alle kleineren astronomischen Institute hinaus. In der Stellungnahme
begründete der Wissenschaftsrat die Notwendigkeit der Ausstattung mit mehreren
großen Teleskopen. Betont wurde, dass die neue Europäische Südsternwarte (ESO) kein
Ersatz für eine nationale Einrichtung sein könne. Im Gegenteil, wollte man den hohen
deutschen Beitrag zur ESO nutzen, müssten erstklassige Forschungsmöglichkeiten im
eigenen Lande entwickelt werden. Als einzigen Kostendämpfer empfahl der Wissenschaftsrat die Aufstellung des 3.5 m-Teleskops an der „Mittelmeer-Station“ statt auf der
Südhalbkugel. Die Errichtung des Instituts sei nun nach mehrjährigen Verzögerungen
29
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Abb. 2.3-3: Lichtsammelnde
Fläche der Teleskope mit
einem Durchmesser > 50 cm
einzelner Länder seit 1945.
Während die USA mit
~ 80 m2 uneinholbar vorn
liegen, ist die Bundesrepublik
Deutschland mit ~ 2 m2 selbst
vergleichbaren Ländern
gegenüber weit im Rückstand
(Wissenschaftsrat 1967).
80
70
60
50
40
30
USA
Lichtsammelnde Fläche [m2]
20
18
16
14
12
10
Großbritannien
8
6
Frankreich
4
Italien
2
Bundesrepublik
Deutschland
1945
30
1950
UdSSR
1955
Jahr
Japan
1960
1965
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dringend notwendig, denn inzwischen waren das Max-Planck-Institut für Radioastronomie
und das Teilinstitut für extraterrestrische Physik gegründet worden, „nur die optische
Astronomie als dritte Komponente fällt bei uns fast völlig aus“ (Abb. 2.3-3). Der Wissenschaftsrat empfahl, das Heimatinstitut aus einem bestehenden Hochschulinstitut herauswachsen zu lassen und das neue MPIA mit seinen beiden Sternwarten für Astronomen
anderer Hochschulen „in einem bestimmten Umfang als eine Art Dienstleistungsbetrieb“
zu öffnen. Bei seiner Gesamtbetrachtung der Astronomie in der Bundesrepublik empfahl
der Wissenschaftsrat interessanterweise bereits damals, mit Überlegungen zum Bau noch
größerer Teleskope (5 bis 6 m) für die 1962 gegründete Europäische Südsternwarte zu
beginnen, deren Mitglied Deutschland ist.
2.3.2 Der Gründungsbeschluss
Im Juli 1967 musste der Kommissionsvorsitzende Reimar Lüst in einer Sitzungspause
des Wissenschaftsrates mit PANAM von Berlin nach Hamburg und am gleichen Tage
wieder zurück fliegen, um dem zögernden Kollegen Heckmann die Unterschrift unter
die weiterreichende Empfehlung der Arbeitsgruppe förmlich abzuringen. Heckmann,
der inzwischen erster Direktor der Europäischen Südsternwarte ESO geworden war,
hatte etwas andere Vorstellungen zur Leitung des geplanten Max-Planck-Instituts. Nach
positiven Signalen aus Bonn konnte die MPG die Gründung eines Max-Planck-Instituts
für Astronomie endlich beschließen. Das geschah in der Senatssitzung vom 24. November
1967 in Göttingen. Wenige Tage später unterrichtete MPG-Präsident Butenandt dann
Hans Elsässer über den Beschluss zur Gründung und seine Berufung zum Direktor. Zu
einem späteren Zeitpunkt sollten weitere Direktoren für ein Direktorenkollegium berufen
werden. Das alles stand noch unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit. Nun begannen
die Verhandlungen der MPG mit Bund und Ländern zur finanziellen Sicherstellung des
Vorhabens. Sie sollten innerhalb eines Jahres erfolgreich abgeschlossen werden.
Dass die Hürden in drei Kommissionen, in Sektion, Verwaltungsrat und Senat der MPG
erfolgreich übersprungen wurden, war keinesfalls selbstverständlich. In den 1960er
Jahren hatte es eine Fülle von Vorschlägen für Instituts-Neugründungen gegeben, so für
Radioastronomie, Festkörperforschung, Psycholinguistik, Biologische Kybernetik,
Lebensbedingungen in der wissenschaftlich-technischen Welt. Deshalb befasste sich
der Erweiterte Verwaltungsrat der MPG in einer Sitzung im Juli 1963 in Göttingen
kritisch mit der neuen „Gründungsfreudigkeit“. Allein in den letzten fünf Jahren seien
24 Institute, selbstständige Abteilungen und Forschungsstellen entstanden, die zusätzlich
31
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15 Mio. DM laufende Mittel erforderten. Zwei Beispiele von „herangetragenen Vorhaben“, die bereits bei der Vorprüfung ausgeschieden werden konnten, wurden dort
genannt: ein Institut für Astronomie („wird nicht für notwendig gesehen ein solches
Institut im Rahmen der MPG zu gründen“) und ein MPI für Blutforschung. Im März
1963 wandte sich ein Förderndes Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft, Generaldirektor
Emil Frey von der Mannheimer Versicherungs-Gesellschaft, an den Vizepräsidenten der
MPG. Nachdem er die 1962er Denkschrift „Astronomie“ gelesen hatte, sei ihm unwillkürlich der Gedanke gekommen: “Warum hat sich nicht die Max-Planck-Gesellschaft
dieses Wissenschaftszweiges speziell angenommen?“ Ludwig Biermann, Direktor des
Institutes für Astrophysik im Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik in München
nahm dazu Stellung. Die MPG trüge doch zur Förderung der Astronomie bei, mit den
Instituten für Astrophysik und für extraterrestrische Physik, und dann gäbe es auch noch
die Europäische Südsternwarte und das Projekt einer deutschen optischen Südsternwarte.
Er meinte: „wenn ich die für die Neugründung eines Max-Planck-Institutes üblichen
Maßstäbe auf dieses Projekt anwende, möchte ich eher davon abraten, sich im Augenblick
dafür zu interessieren“. Als dann der Vorschlag für die Gründung des Astronomie-Institutes wenige Jahre später doch Fahrt aufnahm, gab es noch einmal einen ernsthaften Mitbewerber. Der Vorschlag für ein Max-Planck-Institut für Musik wurde von mehreren
Naturwissenschaftlern, darunter Nobelpreisträgern, und in der Spitze der MPG unterstützt. Auch der mögliche Direktor (ein Vertreter der neuen Musik) war schon gefunden.
Dieses Institut wäre durchaus kostspielig geworden, da an ein eigenes Orchester mit großem
Konzertsaal für die musikwissenschaftliche Forschung gedacht war. Realitätssinn führte
in jenen Aufbaujahren der Bundesrepublik dann doch zunächst zu naturwissenschaftlichen Instituten.
Neben der Personalie spielte der Standort des Heimatinstitutes eine wichtige Rolle. Die
Vorentscheidung für Hans Elsässer war auch eine Vorentscheidung für Heidelberg. Hier
konnte das neue MPI aus „seiner“ Landessternwarte herauswachsen, während die wissenschaftliche Arbeit weiterlief. Wolfgang Gentner vom MPI für Kernphysik unterstützte
Heidelberg gegen die starke Münchner Konkurrenz. Gentner war selbst sehr am Kosmos
interessiert und wollte das MPIA am liebsten neben seinem Institut am Bierhelderhof
ansiedeln, um fruchtbare Wechselwirkungen auf einem großen Wissenschaftscampus zu
erzielen.
Mit all diesen Entscheidungen wurden die seit den späten 1920er Jahren in der KaiserWilhelm-Gesellschaft verfolgten Pläne für die Astronomie schließlich in ihrer Nachfolgeorganisation doch noch schrittweise verwirklicht. 1947 schuf Werner Heisenberg
in seinem Max-Planck-Institut für Physik in Göttingen eine Abteilung für Astrophysik
32
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unter der Leitung von Ludwig Biermann, der theoretisch arbeitete. Dieses Institut wurde,
da Heisenberg einer Berufung folgen wollte, 1957 nach München verlegt. Es wurde dort
in zwei Teilinstituten fortgeführt: Physik (Heisenberg) und Astrophysik (Biermann).
1963 entstand in Garching ein weiteres Teilinstitut für extraterrestrische Physik. Unter
der Leitung von Reimar Lüst sollten Teleskope und Experimente für den Weltraum entwickelt werden. Das war der Einstieg in die beobachtende Astronomie. Es folgte 1965
die Gründung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn unter der Leitung
von Otto Hachenberg, und schließlich im November 1967 der Gründungsbeschluss für
das Max-Planck-Institut für Astronomie. Damit wurden für die Max-Planck-Institute
astronomische Beobachtungen in allen Spektralbereichen möglich. Bis zur Arbeitsaufnahme dieses neuen MPIA sollten allerdings noch 13 Monate vergehen.
2.4
Arbeitsbeginn auf dem Königstuhl
2.4.1 Erste Mitarbeiter
Im Oktober 1968 wurde Hans Elsässer offiziell zum Wissenschaftlichen Mitglied und
Direktor des neu gegründeten Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg berufen.
Er war damals 39 Jahre alt. Zunächst aber blieb er Direktor der Landessternwarte und
Ordinarius an der Universität und damit Beamter des Landes Baden-Württemberg. Deshalb begann seine Leitung des MPIA formal als Nebentätigkeit. Die beiden Ämter sollten
solange gleichzeitig von ihm ausgeübt werden, bis das neue MPIA über eigene Räume in
einem Neubau verfügte. Drei Jahre waren dafür eingeplant.
In diese Zeit fielen auch die 68er Unruhen an den Universitäten. Hans Elsässer war zu
jener Zeit Prodekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität.
Von diesem Amt trat er Anfang 1969 zurück und folgte damit dem Rücktritt des Dekans
Heinz A. Staab, dem späteren Präsidenten der MPG. Zur Begründung schreibt Elsässer:
er sehe die Universitäten zwar auch als reformbedürftig an, vermisse aber in der angestrebten neuen Grundordnung das Leistungsprinzip. „Mitspracherecht [der Nichtordinarien],
das nicht durch fachliche Kompetenz begründet ist, wird zu unsachlichen Entscheidungen führen, denen stundenlange, zermürbende Diskussionen in zahllosen vorgesehenen
Gremien vorausgehen“. Institutsbesetzungen, Kundgebungen, Sit-Ins, wie sie damals
vor allem unter den geisteswissenschaftlichen Studenten verbreitet waren, gab es in den
astronomischen Instituten in Heidelberg nicht.
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Die ersten fünf Vollzeitmitarbeiter konnte das MPIA ab Februar 1969 einstellen. Es waren
die Mechaniker und Sichtexpeditions-Techniker Wolfgang Hormuth und Franz Pihale,
der Elektroniker Bodo Schwarze und die Wissenschaftler Thorsten Neckel und Dietrich
Lemke. Im April 1969 folgten die Sekretärin Traudel Filsinger und die Wissenschaftler
Walter Herrmann und Josef Solf. Bis zum Ende dieses ersten Jahres war das Personal auf
sechs Wissenschaftler und sieben Angestellte in Technik und Verwaltung angewachsen.
Die Mitarbeiterzahl des MPIA stieg in den Folgejahren stetig an, und so wurden die
„Gäste“ in den Räumen der Landessternwarte (LSW) bald zahlreicher als die Hausherren.
Trotz zunehmender räumlicher Enge war die Zusammenarbeit der verschiedenen
Institutsmitglieder gut. Hans Elsässer verfasste den Jahresbericht für die „Mitteilungen
der Astronomischen Gesellschaft“ in den Jahren 1969 bis 1974 für beide Institute
gemeinsam. Diese mehrjährige enge Verflechtung der unterschiedlich finanzierten Institute
in Räumen eines Landesinstituts zog bald die Aufmerksamkeit des Landesrechnungshofs
Baden-Württemberg auf sich. In einem mehrseitigen Prüfbericht wurden an den Direktor
der beiden verschachtelten Institute Fragen nach der räumlichen und finanziellen
Abgrenzung zwischen MPIA und LSW gestellt, so nach den Mieten des MPIA für die
Raum- und Labornutzung in der Landessternwarte. Elsässer antwortete darauf sehr gelassen, dass vom Land immer wieder die enge Zusammenarbeit der Heidelberger Astronomischen Institute verlangt werde, die in der Praxis auch gut funktioniere. Er könne die
Trennung der gemeinsamen Projekte auf die letzte D-Mark nicht ohne großen Aufwand
vornehmen. Und im Übrigen profitiere die Landessternwarte doch beträchtlich bei
gemeinsamen Vorhaben vom MPIA, so bei Telefon- und Reisekosten. Der Landesrechnungshof war mit der Antwort nicht ganz zufrieden, beharrte aber nicht weiter auf
Details. Erst als die Verlängerung der Nebentätigkeitsgenehmigung nicht pünktlich
beantragt wurde, hakte er wieder nach …
Im Mai 1975 endete die gemeinsame Leitung von LSW und MPIA durch Hans Elsässer.
Er bat das Land Baden-Württemberg um Entlassung als Landesbeamter und konzentrierte sich von nun an auf die Leitung und den weiteren Aufbau des MPIA. Auf die freigewordene Direktorenstelle an der Landessternwarte wurde Immo Appenzeller berufen.
2.4.2 Der Neubau – preisgekrönt
Einen schnelleren Start als mit dem Neubau eines Institutgebäudes hätte der Kauf einer
geeigneten Immobilie in Heidelberg ermöglicht. Der Max-Planck-Gesellschaft wurde
von einer Mannheimer Immobilien-Firma 1967 die Villa Bosch am Schloßwolfsbrun-
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Abb. 2.4-1: Die Villa Bosch mit mehreren Nebengebäuden und dem umgebenden Park (Bildmitte)
am Schloßwolfsbrunnenweg war als Heimatinstitut für das MPIA im Gespräch. Auch die im
Vordergrund befindliche Villa hätte erworben werden können. Oben rechts ist die Alte Brücke zu
erkennen und am Ufer die Ziegelhäuser Landstrasse, an der ebenfalls ein exklusives Grundstück
angeboten wurde. Nachdem der Süddeutsche Rundfunk die Gebäude der Villa Bosch genutzt hat,
beherbergen sie heute die Klaus Tschira Stiftung, die dem MPIA vielfältig verbunden ist (LossenFoto, MPG Archiv).
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nenweg im Stadtteil Schlierbach angeboten (Abb. 2.4-1). Da gab es mehrere prächtige
Gebäude auf einem sehr ausgedehnten Grundstück. Wunderbare Blicke ins Neckartal
und die historische Verbindung zu einem ehemaligen Präsidenten der Kaiser-WilhelmGesellschaft, Nobelpreisträger und Astronomiebegeisterten, machten das Angebot zusätzlich attraktiv. Hans Elsässer wurde daraufhin um eine Aufstellung der Nutzflächen für
das projektierte Heimatinstitut gebeten. Die MPG-Bauabteilung prüfte Elsässers Planung
und befand, dass sich das Raumprogramm in der Villa Bosch verwirklichen ließe. Aber
die Chance für den Erwerb der wertvollen Immobilie (~ 3.6 Mio. DM) war nur für kurze
Zeit gegeben: knapp drei Monate nach dem Angebot wurde der MPG der inzwischen
erfolgte Verkauf an den Süddeutschen Rundfunk mitgeteilt. Die Maklerfirma legte
weitere Angebote an die MPG nach: 15000 Quadratmeter am Wieblinger Neckarufer
mit eigenem Wasserkraftwerk (Kaplan-Turbine mit 12 cbm Schluckvermögen und
185000 KWh monatlicher Stromerzeugung), ein großes Grundstück an der Ziegelhäuser
Landstraße mit unverbaubarem Schloss- und Königstuhl-Blick … Aber Hans Elsässer
wollte den Neubau eines eigenen größeren Institutsgebäudes auf einem Bauplatz neben
der Landessternwarte auf dem Königstuhl. Die berühmte Villa Bosch übrigens wechselte
Abb. 2.4-2: Das erste eigene Gebäude des geplanten MPI für Astronomie war eine Holzbaracke von
„Streif-Elementebau“, bestehend aus zwei der abgebildeten Bau-Elemente. Sie wurde vom fertig
gestellten MPI für Kernphysik am Bierhelderhof abgegeben und im Herbst 1967 auf das Gelände der
Landessternwarte transportiert. Aufgestellt neben der heutigen Durchgangstüre zwischen LWS und
MPIA, wurde sie damals vom Baubeauftragten Klaus Heckl und den Mitarbeitern der Sichtexpeditionen für die Süd-Sternwarten bezogen (Streif Firmenprospekt).
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Abb. 2.4-3: Der Bebauungs- und Landschaftsgestaltungs-Plan wurde am 1. Dezember
1970 dem Bauausschuss des Heidelberger Gemeinderats vorgetragen und dort unter
der Voraussetzung genehmigt, dass „… die endgültigen Eingabepläne keine wesentlichen
Änderungen gegenüber heutiger Planung aufweisen“. Wichtig war der Sichtschutz
durch Bäume gegen die angrenzenden Waldwege. Oben rechts grenzt das MIPAGelände an das der Landessternwarte. Das schräg stehende Gebäude am Übergang
ist die bereits 1967 aufgestellte MPIA-Baracke, siehe Abb. 2.4-2 (MPG Archiv).
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nochmals den Besitzer, sie ist seit 1997 Sitz der Klaus Tschira Stiftung. Klaus Tschira ist
heute Kuratoriumsmitglied des MPIA und stiftete den Bau des „Hauses der Astronomie“
auf dem jetzigen MPIA-Gelände auf dem Königstuhl. So verflechten sich Geschichten.
Das allererste Gebäude des neuen Institutes auf dem Königstuhl war eine Holzbaracke
der Firma Streif-Elementbau (Abb. 2.4-2), mit den Abmessungen 17.5 m × 6.25 m. Sie
wurde im September 1968 vom MPI für Kernphysik am Bierhelderhof, wo die Bauarbeiten abgeschlossen waren, zum Königstuhl gebracht. Diese erste kleine Baumaßnahme
war schon eine gute Übung für Größeres: Da das MPIA offiziell noch gar nicht mit seiner
Arbeit begonnen hatte, verfügte es über kein Gelände und keinen Etat. Deshalb ließ
Elsässer die Baracke auf dem Gelände der Landessternwarte aufstellen. Aber nun verlangte
das Forstamt Heidelberg aus Sicherheitsgründen 30 m Abstand zum Stadtwald, das
Gewerbeaufsichtsamt den Einbau von Aborten. Die neugeschaffene Institutsbetreuung
mit Günter Preiß in München regelte alle Auflagen bestens: verzichtete auf mögliche
Schadensersatzansprüche, ließ Sanitäres installieren und übernahm die Betriebskosten
bis zum Jahresende 1968. Der Vorgang zeigte deutlich, dass das MPIA zum weiteren
Aufbau dringend einen Baufachmann mit eigenem Sekretariat benötigte.
Im Jahre 1969 erwarb die Max-Planck-Gesellschaft von der Stadt Heidelberg das 5.2 ha
große Waldgelände neben der Landessternwarte. 2 ha wurden sofort gekauft, der Rest
sollte bis 1973 gekauft werden. Maßgeblich gefördert wurde das Neubauvorhaben durch
Oberbürgermeister Reinhold Zundel, der Heidelberg durch Ansiedlung neuer Institute
zu einer auch wirtschaftlich starken Stadt der Wissenschaft machen wollte. Der Bebauungs- und Landschaftsgestaltungsplan (Abb. 2.4-3) wurde am 1. Dezember 1970 dem
Bauausschuss des Heidelberger Gemeinderates vorgetragen. Er wurde dort genehmigt,
unter der Voraussetzung, dass „die endgültigen Eingabepläne keine wesentlichen Änderungen gegenüber heutiger Planung aufweisen“. Wichtig war dem Ausschuss der Sichtschutz durch Bäume gegenüber den angrenzenden Waldwegen. Auch von der Rheinebene
aus sollte das Institut nicht auffallen. Kurz zuvor hatten die umfangreichen Rodungsarbeiten auf dem Königstuhl begonnen (Abb. 2.4-4).
Da der gleichzeitige Aufbau von Heimat-Institut und den beiden Sternwarten für mehrere Jahre einen erheblichen Mittelbedarf bei der MPG erwarten ließ, bemühte sich
Elsässer um weitere Fördermittel. So erklärte sich das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung (BMwF) ihm gegenüber grundsätzlich bereit, Mittel aus der „Förderung der Weltraumforschung“ zuzuschießen. Elsässer begründete seine extraterrestrischen Pläne mit dem Ballon-Teleskop THISBE und der Sonnensonde HELIOS, beides
Projekte, die er von der Landessternwarte ans MPIA verlagern wollte. Verhandlungen
zwischen der MPG und dem Ministerium führten dann zu der Aufteilung des Bauvor-
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Abb. 2.4-4: „Schiebebagger dröhnen. Feuer rauchen. Gerodete Baumstümpfe werden verbrannt.
Riesenfindlinge aus Sandstein liegen mitten im Schlammfeld des aus dem Wald herausgenommenen
5.2 Hektar großen Geländes hinter der Landessternwarte auf dem Königstuhl. Hier bereitet man
den Baugrund … für das Max-Planck-Institut für Astronomie“. Zitat aus dem „Heidelberger
Tageblatt“ vom 19. November 1970 (Archiv Ballerin).
habens auf dem Königstuhl in zwei Bauabschnitte: 1. Extraterrestrische Astronomie und
2. Allgemeine Astronomie. Das Ministerium wollte ausschließlich die Extraterrestrik
finanzieren, nicht aber allgemeine Einrichtungen wie Verwaltung, Bibliothek und Kantine. Der Finanzierungsantrag an das BMwF unterscheidet deshalb die Aufteilung in drei
Institutsbereiche mit folgenden Nutzflächenanteilen: 1. Extraterrestrische Astronomie
(32 %), 2. Allgemeine Astronomie (49 %) und 3. Gemeinsame Einrichtungen (19 %).
Klugerweise enthielt der beantragte Bereich 1 neben den Extraterrestrik-Labors (den
heutigen Experimentierhallen) auch die gesamte Werkstatt. Diese Sonderfinanzierung
erklärt die Aufteilung des Institutgebäudes in zwei rechtwinklig zueinander angeordnete
Baukörper. Bewilligt wurden im August 1971 schließlich 4.3 Millionen DM, abzurufen
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Abb. 2.4-5 a, b, c: Die drei Bilder dokumentieren den Baufortschritt vom Beginn im Herbst 1971
bis zur Fertigstellung im Jahre 1975. Auf allen Luftbildern ist die benachbarte Landessternwarte zu
erkennen, aus der das MPIA herauswuchs (MPIA).
in den Haushaltsjahren 1971 bis 1973. Der Baufortschritt in jenen Jahren gestaltete sich
etwas langsamer, und so mussten durch viele kluge Maßnahmen der Generalverwaltung
der MPG der Mittelabfluss und die Bindung der Gelder dem jeweiligen Baubedarf angepasst werden (Abb. 2.4-5 a, b, c).
Die Bauvollmacht für den Königstuhl blieb bei der Bauabteilung der Max-Planck-Gesellschaft in München. Bauherr war das MPIA, vertreten durch Hans Elsässer. Der wiederum
beauftragte im Juni 1970 Dipl. Ing. Klaus Heckl mit der Wahrnehmung der Aufgaben.
Für sein kleines Bauaufsichtsbüro benötigte dieser eine Sekretärin, die Elsässer für ihn
einstellte, ohne dass Heckl sie vorher sehen konnte. Es stellte sich schnell heraus, dass die
neue Sekretärin keinerlei Schreibmaschinenkenntnisse besaß, sie musste alles in der Baubaracke erlernen. Elsässer hatte möglicherweise die Fachkenntnisse falsch eingeschätzt,
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Abb. 2.4-5 b
Abb. 2.4-5 c
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Abb. 2.4-6: Die Großbaustelle des MPIA im Sommer 1974. Die Gebäude wurden von den Architekten Fritz Jarchow und Robert Wächter vom Heidelberger Architekturbüro Mutschler entworfen.
Gebaut wurden sie von Arbeitern der Mannheimer Baufirma Renner und Butsch (Foto Ballerin).
nicht aber das Talent der jungen Dame. Einige Jahre später wurde sie die Chefsekretärin
des Vorstandsvorsitzenden eines der größten deutschen Verlagshäuser.
Den Architektenwettbewerb für den Bau des Heimatinstitutes auf dem Königstuhl
gewann das Architekturbüro Carlfried Mutschler aus Heidelberg. Diese Architekten hatten
sich durch Entwürfe für größere öffentliche Gebäude in Mannheim und Heidelberg
(Helmholtz-Gymnasium) einen Namen gemacht. Sie bevorzugten die Stilrichtung „Sichtbeton“ (Abb. 2.4-6). Der Entwurf berücksichtigte die sehr unterschiedlichen Anforderungen an Arbeitsräume, Labors, Experimentierhallen, Werkstätten, Gemeinschaftseinrichtungen und Begegnungsräume. Mutschler entwickelte das Gebäude von „innen nach
außen“. Die ideal gestalteten Innenräume wurden schließlich in eine Außenhülle aus
nacktem Beton gepackt, die auch die beiden unterschiedlich finanzierten Baukörper der
„Extraterrestrik“ und der „Allgemeinen Astronomie“ harmonisch zusammenfasste.
Außen gibt es nur wenige schmückende Elemente am Bau. Sie beschränkten sich weitgehend auf wasserfallähnliche Regenabläufe mit bizarren Eiszapfenbildungen im Winter
und auf die Tropfen fangende Betonpyramide am Haupteingang. Das Gebäude sollte, aus
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Abb. 2.4-7: Als letztes Gebäude wurde das Astrolabor ab Anfang 1974 in Angriff genommen, ebenfalls im Sichtbeton-Stil. Hier sollten die Instrumente für die Teleskope an den Süd-Sternwarten getestet
werden („im Probierstübchen“, so das „Heidelberger Tageblatt“).
einigem Abstand gesehen, an eine Felsgruppe auf dem Berggipfel erinnern. Durch Treppenvorbauten und abgeschrägte Wandflächen passt sich das große Gebäude der abfallenden
Landschaftsform der Bergkuppe an. Die einzelnen Bauelemente, wie Wände und Geländer, wurden in (zu) sparsamer Dicke ausgeführt. Das bedeutete, dass die Stahlarmierung
oft nur ~ 2 cm unter der Betonoberfläche liegt. Damals fehlte die Erfahrung, dass so
etwas in wenigen Jahrzehnten Betonsanierungen erforderlich machen würde. Insbesondere auf dem häufig in Wolken gehüllten Königstuhl setzte die in den Regenwolken enthaltene Säure aus Abgasen dem Baustoff zu. Die Verschalung für den flüssigen Betoneintrag bestand aus schmalen Bretterwänden, deren Abdrücke mit Ritzen, Holzmaserung,
Astlöchern und Laubblättern in einigen bisher nicht überstrichenen Wandflächen auch
gegenwärtig noch gut erkennbar sind. Das Haupttreppenhaus mit verschachtelten Säulen
und Querbalken aus nacktem grauem Beton gibt heute noch den besten Eindruck von
diesem Baustil der späten 1960er Jahre. Ebenfalls typisch für die Sichtbetonarbeiten aus
dieser Zeit sind die gebrochenen Kanten am gesamten Gebäude. Das MPIA ist der letzte
große Sichtbetonbau aus dieser früheren Bau-Epoche in Heidelberg (Abb. 2.4-7). Inzwi-
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Abb. 2.4-8: Einweihungsfeier des neuen Institutes am 4. Mai 1976. Erste Reihe von rechts: Hans
Elsässer (Direktor), Wolfgang Gentner (Direktor MPI für Kernphysik), Reinhold Zundel (Oberbürgermeister), Ruth Elsässer, Reimar Lüst (Präsident der Max-Planck-Gesellschaft), Adolf Butenandt
(Präsident der Max-Planck-Gesellschaft im Gründungszeitraum). In der ersten Reihe dritter und
vierter von links: Padre Romana (Direktor Ebro-Observatorium), Nunez de las Cuevas (Generaldirektor Instituto Geografico Nacional). In der zweiten Reihe von rechts: Ludwig Biermann (Direktor
MPI Physik und Astrophysik), Bengt Strömgren (Vorsitzender MPIA-Fachbeirat), Walter Fricke
(Direktor des Astronomischen Recheninstituts). Links außen: Horst Schneider und Otto Meitinger
von der MPG-Bauabteilung (MPIA).
schen wird in der Stadt ein veränderter Sichtbeton-Stil mit glatten Verschalungen und
scharfen Kanten wiederbelebt (Südasien-Institut, Polizeipräsidium).
Beim Bau des Heimat-Institutes gab es, ähnlich wie gleichzeitig am Calar Alto, einiges
Unvorhergesehenes. So musste das Restgelände von 3 ha auf dem Königstuhl schon zwei
Jahre vor dem geplanten Termin erworben werden, da die geplanten zwei Bauphasen
doch enger verzahnt waren als anfangs gedacht. Ein größeres Vorfinanzierungsproblem
musste daraufhin gelöst werden. Die veranschlagten Kosten und Termine wurden, wie
üblich bei großen Bauvorhaben, überzogen und auf die dringenden Mahnungen des MPIA
im Jahre 1974 antwortete der Architekt: „es ist mir nicht möglich, als planender und
koordinierender Architekt irgendwelche verbindlich garantierten Termine zuzusagen“.
Am 4. Mai 1976 konnte der Neubau feierlich eingeweiht werden. Anwesend beim Festakt
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Abb. 2.4-9: Institutsbesprechung im neuen Institut. Von links die Kollegen (mit ihren damaligen
Aufgaben): Karl-Heinz Sorg (Verwaltungsleiter), Josef Solf (Spektroskopie, Bipolare Nebel), Thorsten
Neckel (Gamsberg, OB-Sterne), Hans Hippelein (Fabry-Perot), Hans Elsässer (Direktor), Dietrich
Lemke (THISBE, HII-Regionen), Klaus Bahner (Teleskope), Christoph Leinert (HELIOS, Zodiakallicht), Ronald Weinberger (Bipolare Nebel) (MPIA).
am Vormittag waren für die Max-Planck-Gesellschaft unter anderen Ehrenpräsident
Adolf Butenandt, Präsident Reimar Lüst, die Leiter der Bauabteilung und die Institutsbetreuung (Abb. 2.4-8). Vertreten waren die Stadt mit dem Oberbürgermeister Reinhold
Zundel, das Land Baden-Württemberg und die dem MPIA über den Calar Alto verbundene spanische Astronomie mit wichtigen Repräsentanten. Am Nachmittag stellten
Wissenschaftler des Institutes in einem Festkolloquium die laufenden Forschungen vor.
Am Folgetag begann die Beratung des neuen Wissenschaftlichen Fachbeirates unter dem
Vorsitz von Bengt Strömgren (Nordita Kopenhagen, Präsident der Internationalen Astronomischen Union). Der im neuen Gebäude reichlich vorhandene Platz machte es ab jetzt
möglich, die in der Institutssatzung vorgesehenen Institutsbesprechungen regelmäßiger
durchzuführen (Abb. 2.4-9). Die Tagesordnung hatte in diesen Anfangsjahren üblicherweise nur zwei Punkte: 1. Bericht des Vorsitzenden(Elsässer), 2. Verschiedenes.
Der MPIA-Neubau wurde im Jahre 1978 als „Gesamtkunstwerk“ mit dem Architekturpreis von Baden-Württemberg ausgezeichnet und hat Eingang in Kunst- und Architekturführer gefunden. Die Auszeichnungs-Plakette findet sich an einer Betonsäule im linken Eingangsbereich zum Hauptgebäude. Teil des „Gesamtkunstwerks MPIA“ ist auch
die Vorplatzgestaltung. Hier und auf der südöstlichen Außenterrasse wurden Katzenkopf-Pflastersteine verlegt. Das sind sehr grob behauene Sandsteinquader aus dem am
Königstuhl anstehenden Gestein. Diese Pflasterung sollte nach der Vorstellung des
Architekten ein Stück Heidelberger Altstadt symbolisieren, zu der der Königstuhl ver-
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Abb. 2.4-10: Nicht die Instituts-Fußballer, sondern Wildschweine haben den Sportplatz im InstitutsGelände verwüstet. Der Jagdpächter des Königstuhl-Reviers ersetzte den Schaden und versuchte weiteren
vorzubeugen, durch „Ablenkungs-Fütterungen“ und „..durch 2 Drückjagden in Ihrem Bereich
konnten einige Sauen zur Strecke kommen, wir wünschten, es wären einige mehr gewesen“ (MPIA).
waltungsmäßig gehört, und sie sollte den Anblick des rauhen grauen Betons mildern. Das
Heidelberger Schloss und viele historische Gebäude in der Altstadt bestehen aus diesem
rötlichen Odenwald-Sandstein. Obgleich die alten Pflastersteine aus dem aufgelassenen
Alt-Klinikum stammten, sollte Hans Elsässer, nach Einrede seines Architekten, im Vorplatz auch ein Stück des ähnlich anmutenden Schlosshofes wiedererkennen.
Die Lage im Walde verschaffte dem Institut bald ungewohnte Gäste. Aus den Büroschränken im Astrolabor schauten gelegentlich Siebenschläfer heraus, nachdem sie die
Akten zu behaglichen Nestern zerpflückt hatten. Wildschwein-Rotten zerpflügten den
gärtner-gepflegten Rasen (Abb. 2.4-10). Der Jagdpächter lag daraufhin einige Abende
lang mit seiner Flinte auf dem Dach des Instituts, aber in jenen Nächten zeigten sich die
Tiere nicht. Ein Elektrozaun um das gesamte Institutsgelände, errichtet mit Kostenbeteiligung des Jagdpächters, hielt seither die ungebetenen nächtlichen Besucher dauerhaft
fern.
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2.5
Calar Alto – die Nord-Sternwarte
Trotz der jahrzehntelangen Bemühungen der deutschen Astronomen um eine Sternwarte
in günstigem Klima, hatte es nur wenige vorbereitende Standortuntersuchungen gegeben.
Als die Firma Zeiss beim Vertragsabschluss für das 1.23 m-Teleskop der Landessternwarte
im Jahre 1966 eine Lieferzeit von nur 3 Jahren angab, musste es schnell gehen: Wo konnte
in so kurzer Zeit ein Kuppelgebäude zu seiner Aufnahme errichtet werden? Der Anschluss
an eine bestehende Sternwarte im Mittelmeerraum schien unbefriedigend, denn es wurde
auf Dauer mehr Platz gebraucht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die das 1.23 mTeleskop bezahlte, erwog bereits auch den Umzug des großen Hamburger Schmidt-Spiegels an den noch auszuwählenden klimatisch günstigen Ort zu finanzieren. Und es gab
in diesen Jahren Hoffnungen auf die baldige Gründung eines Max-Planck-Instituts für
Astronomie, das eigene große Teleskope haben würde. Elsässer bevorzugte deshalb die
Suche nach einem neuen Platz, der Erweiterungsmöglichkeiten bot. Unter dem gegebenen Zeitdruck wurde in Heidelberg mittels meteorologischer und geographischer Karten
eine Vorauswahl getroffen. Bedingungen waren dabei:
1
2
3
4
Geringe Bewölkung für möglichst viele Beobachtungsnächte;
Lage oberhalb der bodennahen Dunstschicht, also höher als 1500 m;
Keine Himmelsaufhellungen durch Siedlungen und Industrie-Abgase;
Keine Beeinträchtigung durch atmosphärische Sandeintrübungen aus
der Sahara;
5 Schnelle Erreichbarkeit von Deutschland aus;
6 Möglichst weit südlich, um auch im Sommer dunkle Nächte zu haben.
Erörtert wurden Sizilien (aber: Ätna-Rauch, Schirokko), das Taurus-Gebirge in der Türkei (aber: zu weit weg, zu wenig erschlossen), Spanien (aber: Calina-Staubdunst, höhere
Bewölkung auf küstenferneren Bergen), Kanarische Inseln (aber: zu weit weg, Saharastaub) und Griechenland. Insbesondere der östliche Peloponnes, berühmt durch die sonnenreiche Ägäis-Küste, schien verlockend. Im parallel zu dieser Küste verlaufenden Parnon-Gebirge wurden ab Dezember 1967 Sichtbeobachtungen durch die Heidelberger
Sternwarte durchgeführt. In der 1800 m hoch gelegenen Station wurden atmosphärische
Durchsichtigkeit, Luftunruhe (Seeing), Bewölkungsgrad, sowie Temperatur, Feuchte
und Windgeschwindigkeit in verschiedenen Höhen über dem Boden gemessen. Die
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Abb. 2.5-1: Sichtexpedition in
Südspanien in der Sierra Nevada
im August 1969. Von links:
George Herbig (Lick-Observatorium
und später Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied des MPIA),
Hans Elsässer, Kurt Voelcker
(Kurt Birkle).
Ergebnisse schienen vielversprechend, mit etwa 200 Beobachtungsnächten konnte
gerechnet werden. Nachteilig war, dass es ausgedehntere Bergplateaus nur bis zu einer
Höhe von etwa 1800 m gab, der Gipfel des Parnons mit 1935 m bot kaum Fläche für
eine größere Sternwarte.
Parallel zu Griechenland wurde vor allem Andalusien in Spanien im Auge behalten (Abb.
2.5-1). In der Sierra de Gador, der nordwestlich von Almeria gelegenen Gebirgskette,
führten französische Astronomen eine Sichtexpedition durch. An deren Erkundung hat
Kurt Voelker aus Heidelberg zeitweise teilgenommen. Mit den übrigen Heidelberger
Sichtexpeditionen wurden Messdaten ausgetauscht und Besuche vereinbart. Der Standort
in der Sierra de Gador wurde trotz befriedigender meteorologischer Daten schließlich
von keinem Partner ausgewählt, da naher Erzabbau zu Staubbildung führte und der
Himmel durch die wachsende Stadt Almeria und den zunehmenden Tourismus längs der
Küste im Süden aufgehellt war.
Inzwischen war beim Studium von neu beschafften Militärlandkarten Spaniens in Heidelberg die weiter von der Küste entfernte Bergregion der Sierra de los Filabres mit
Höhen über 2000 m als interessant aufgefallen. Im Wettstreit um die besten Standortvorschläge hatte Theodor Schmidt-Kaler aus Bochum auf der Bamberger Tagung der
Astronomischen Gesellschaft im Jahre 1967 diesen Gebirgszug bereits genannt. Kurt
Birkle und Kurt Voelcker, beide griechenland-sichtexpeditionserfahren, wurden mit der
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Abb. 2.5-2: Standortsuche in Spanien mit dem Dienst-„Käfer“. Kurt Birkle und Kurt Voelcker vor
dem schneebedingt unpassierbaren Puerto de la Ragua in der Sierra Nevada am 31. Januar 1970.
Am gleichen Tag „entdeckten“ beiden den Calar Alto (Kurt Birkle).
Erkundung des Gebirges beauftragt. Am 31. Januar 1970 erreichten beide im Volkswagen-Käfer über Forstwege den Gipfel des Calar Alto (Abb. 2.5-2). Dass sie tatsächlich
oben gewesen waren, bemerkten sie erst, als es wieder abwärts ging. Denn der Berg war
an jenem Tag in Wolken eingehüllt. Am 4. Februar 1970, einem klaren Tag, beeindruckte
sie das weitläufige flache Gipfelplateau in 2160 m Höhe. Sofort wurden meteorologische
Instrumente aufgebaut, darunter Seeing-Monitore zur Messung der Luftunruhe mittels
Sternspuren und später lichtelektrischer Aufzeichnung (Abb. 2.5-3). Es folgten eine
Hütte und dann Baracken zum Leben und Arbeiten auf dem Berg. Birkles Anruf bei
Elsässer, mit der Mitteilung einer möglichen Eignung des Berges, veranlasste diesen zu
einem sofortigen Besuch Mitte Februar 1970: Es schien Liebe auf den ersten Blick zu
sein. Ab jenem Zeitpunkt wurde, neben Vergleichsmessungen in der Sierra Nevada, vor
allem dem Calar Alto die volle Aufmerksamkeit mit sorgfältigen Messungen aller meteorologischen und astronomischen Daten gewidmet. Der Vergleich mit den Sichtmessun-
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Abb. 2.5-3: Photographische Seeing-Monitore auf dem Calar Alto im Winter 19701971. Im Hintergrund links die Sierra Nevada mit Spaniens höchsten Bergen (bis
fast 3500 m) in 70 km Entfernung (Kurt Birkle).
gen aus Griechenland und den französischen und eigenen aus der Sierra de Gador zeigte,
dass an allen Standorten etwa gleich viele klare Nächte zu erwarten waren. Der Calar Alto
zeichnete sich vor allem durch etwas besseres Wetter im Winter und das leichter zugängliche große, flache Gipfelgelände aus (Abb. 2.5-4). Bei den folgenden lückenlosen ganzjährigen Sichtbeobachtungen zeigte sich allerdings, dass die klimatologischen Werte
etwas hinter den Erwartungen zurückblieben. Das wurde mit einem „merklichen Abfall
des Klimas im gesamten Mittelmeerraum“ in den späten 1960er Jahren erklärt. Statt von
200 wurde nun von 180 Beobachtungsnächten von mindestens 6 Stunden Dauer ausgegangen. Erfreulicherweise erwiesen sich die Seeing-Werte am Calar Alto als sehr gut.
Diese Richtungs- und Helligkeits-Schwankungen des Sternlichtes lieferten oft Sternbilder
mit weniger als einer Bogensekunde Durchmesser (Abb. 2.5-5). Das ist für viele astronomische Messungen ebenso wichtig wie ein großer Fernrohrdurchmesser.
Nach dieser Vorentscheidung für den Calar Alto als Standort für die NordhalbkugelSternwarte begannen im Jahre 1970 Verhandlungen zwischen der Max-Planck-Gesellschaft und den spanischen Regierungsstellen. Der Boden für diese Gespräche war gut
vorbereitet: Im Jahre 1963 hatte MPG-Präsident Adolf Butenandt auf Einladung des
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Abb. 2.5-4: Die wüstenähnliche trockene Landschaft in der spanischen Provinz Almeria. Im Hintergrund im Norden der 2168 m hohe Calar Alto mit seinem flachen Gipfelgelände. Das Bild entstand
nach dem Bau des 3.5 m-Teleskopes (Kurt Birkle).
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Abb. 2.5-5: Sternspuren bei verschiedener Luftunruhe, aufgenommen mit einem nicht nachgeführten
10 cm-Fernrohr auf Film. Das oberste Bild zeigt sehr gute Bedingungen mit einer Richtungsschwankung
von ~ 0.2 Bogensekunden an, das untere ist bei schlechtem „Seeing“ von ~ 3.6 Bogensekunden aufgenommen. Solche photographischen und später lichtelektrischen Seeing-Monitore wurden vom MPIA bei
den Sichtexpeditionen in Griechenland, Spanien und Südwestafrika eingesetzt (Kurt Birkle).
spanischen Wissenschaftsrates das Land besucht und eine Vertiefung der wissenschaftlichen
Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland vereinbart. Die spanische Seite
zeigte daher bei den Verhandlungen über die Errichtung einer Sternwarte auf dem Calar
Alto viel Entgegenkommen, stellte das Gelände und eine umgebende Schutzzone von 95
Quadratkilometern, baute die Zufahrtsstraße, Strom- und Wasserleitungen (Abb. 2.5.6).
Die deutsche Seite sollte alle Gebäude und die Instrumente der Sternwarte finanzieren
und für die laufenden jährlichen Betriebskosten aufkommen. Das alles wurde in einem
Vertrag zwischen der Max-Planck-Gesellschaft und der Spanischen Nationalen Kommission für Astronomie geregelt, eingebettet in ein Deutsch-Spanisches Regierungsabkommen vom Jahre 1972. Für die Laufzeit des Vertrages gab es unterschiedliche Vorstellungen: Deutschland strebte 99...50 Jahre an, Spanien dagegen wünschte 10...20 Jahre mit
nur 5-jährigen Verlängerungsperioden (allein wegen der gewaltigen Größe des Geländes).
Die Einigung sah dann 30 Jahre Laufzeit mit 10-jährigen Verlängerungen vor. Das Thema
rückte 1973 nochmals in den Brennpunkt, als die Aufstellung des 3.5 m-Teleskops auf
dem Calar Alto beschlossen wurde und dessen lange Bauzeit eine Inbetriebnahme nicht
vor 1980 zu ermöglichen schien. Dann wären bereits 25 % der Vertragslaufzeit abgelaufen
gewesen. Für diese große Investition wünschten das Bundesministerium und die MPG
nun eine Laufzeit von 60...99 Jahren. Spanien aber wollte keine Vertragsänderung, beide
Seiten verzichteten schließlich auf das Kündigungsrecht nach den ersten zwei Verlänge-
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Abb. 2.5-6: Karten-Anhang zu den Deutsch-Spanischen Verträgen über
die Errichtung der Calar Alto Sternwarte. Neben dem zentralen Sternwarten-Gelände ist eine 95 Quadratkilometer große Umgebungszone
ausgewiesen. Dieses Gelände wurde kostenlos überlassen, blieb aber
Eigentum des Spanischen Staates. Spanien trägt dafür Sorge, dass dort
„… keine Beeinträchtigung des wissenschaftlichen Tätigkeit erfolgt“
(Archiv MPG).
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rungsperioden. Spanien erhielt anfangs 10 % der Beobachtungszeit an den neuen Fernrohren. Das Land entsandte ein Mitglied seines nationalen Komitees für Astronomie in
den Fachbeirat des MPIA und wirkte im Wissenschaftlichen Programmkomitee für die
Beobachtungszeit-Vergabe am Calar Alto mit. Spanien stellte mit Felix Lahulla den zweiten Direktor des neuen Observatoriums, neben Kurt Birkle aus Heidelberg, der das
MPIA als örtlicher Direktor auf dem Calar Alto vertrat.
2.6
Gamsberg – Besitz auf der Südhalbkugel
Die Suche nach einem Standort für die Sternwarte auf der Südhalbkugel konzentrierte
sich von Anfang an auf das südliche Afrika. Hans Elsässer hatte noch als Universitätsassistent in Tübingen an astronomischen Beobachtungen am Boyden-Observatorium
bei Bloemfontein in Südafrika teilgenommen. 1956 war Elsässer als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft Teilnehmer einer Sichtexpedition der Europäischen Südsternwarte in Afrika. Er kannte daher die Vorteile des südlichen Afrika gegenüber dem
von der ESO später bevorzugten Chile: geringere Entfernung und nur eine Stunde Zeitverschiebung (im Sommer keine) gegenüber Deutschland.
Seit Mitte der 1960er Jahre betrieb die Landessternwarte am Boyden-Observatorium ein
eigenes 50 cm-Teleskop, an dem Heidelberger Astronomen regelmäßig den Südhimmel
erforschten. Aber Boyden war kein idealer Standort, da in nur 1300 m Höhe gelegen und
relativ häufig bewölkt. Als sich 1967 die Nachricht von der beabsichtigten Gründung des
Max-Planck-Instituts für Astronomie verbreitete, veranlasste sie zwei zeitweise in Boyden
arbeitende junge Astronomen aus Heidelberg zu einer mutigen Erkundung in Richtung
Westküste zu reisen – in das ehemalige Deutsch-Südwestafrika. Dort sollten die astronomischen Beobachtungsmöglichkeiten viel besser sein. Der aus der Antarktis kommende
kalte Benguela-Meeresstrom kühlt auf seinem Weg entlang der afrikanischen Westküste
die darüber liegende Luft stark ab, so dass sie wenig Feuchte enthält. Erwärmt sich diese
Luft beim Transport auf das südafrikanische Festland, sinkt die relative Luftfeuchte noch
weiter und führt zu einem wolkenarmen, trockenen Klima. Auf ähnliche Weise bewirkt
der Humboldt-Strom die Trockenheit in Nord-Chile. Diese erste, auf eigene Faust und
Kosten unternommene Afrika-Expedition über eine Entfernung von 2000 km, führte
Thorsten Neckel und Thomas Schmidt im Südwinter 1968 in die Karrasberge. Sie
bestiegen den 2202 m hohen Schroffenstein, der sich aber für den möglichen Bau einer
Sternwarte als zu schwierig zu erschließen zeigte. Die angetroffenen guten klimatischen
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Abb. 2.6-1: Der Gamsberg gesehen mit Google Earth (zum Selbersuchen: -23°20´32´´,
16°13´31´´E). Der Berg erhebt sich ~ 500 m über die umgebende Landschaft. Seine fast ebene
Fläche von ~ 2.9 km × ~ 0.8 km2 Fläche besteht aus einer 30 m dicken Quarzitplatte. Im
Norden ist die vom MPIA veranlasste Zufahrtsstraße erkennbar (Google Earth).
Verhältnisse in Südwestafrika ließen sie nicht mehr los, und so startete ein Jahr später die
nächste Heidelberger Expedition von Bloemfontein in jenes Gebiet. Neckel wurde dieses
Mal vom Doktoranden Gerhard Schnur begleitet. Nach eingehendem Kartenstudium
hatten sie sich für die Erkundung des fast auf dem südlichen Wendekreis bei – 23.5°
Breite gelegenen Gamsberges entschieden (Abb. 2.6-1). Das bergsteigerische Überwinden
des von Steilwänden umgebenen 2347 m hohen Berges erforderte über 1.5 Stunden. Am
31. Mai 1969 betraten erstmals Mitarbeiter des MPIA den Gamsberg und waren beeindruckt von der großen, fast ebenen Fläche dieses Tafelberges. Neckels begeisterter Bericht
in Heidelberg veranlasste Elsässer zu einer Besichtigungsreise im kommenden Südwinter
(Abb. 2.6-2). Begleitet von Neckel und dem ortskundigen Farmer Jürgen Cranz bestiegen
sie am 25. Mai 1970 den Berg. Mit seiner Plateaufläche von 2.9 × 0.8 km2 erschien auch
Elsässer der Berg als ein guter Standort für die geplante Südsternwarte. Sicherheitshalber
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Abb. 2.6-2: Im Mai 1970 stand Hans Elsässer zum ersten Mal vor dem Berg, den das MPIA wenig
später als möglichen Standort für die Südsternwarte käuflich erworben hat (Thorsten Neckel).
mietete er noch ein Kleinflugzeug und ließ sich einige Male über die Abbruchkanten
des Berges fliegen: keine Turbulenzen, also wahrscheinlich gutes Seeing, weitere Untersuchungen schienen lohnend...
Ab jetzt trieb Thorsten Neckel das MPIA-Geschäft voran, im August 1970 zog er mit seiner
Familie nach Afrika. Ziel waren das sofortige Umsetzen des Heidelberger 50 cm-Teleskops von Bloemfontein zum Gamsberg und Wettermessungen auf dem Gipfel. Mitarbeiter des Boyden-Observatoriums bereiteten den Lastwagentransport des Teleskops
nebst Instrumenten vor. Dazu wurde die Ladefläche dick mit Sägespänen gepolstert, alles
gegen Staubentwicklung gut angefeuchtet und mit einer Plastikfolie abgedeckt. Auf der
Fahrt auf schlechten Straßen unter brennender Sonne hämmerte das Teleskop auf diese
Unterlage. Neckel, der in einem Kleinflugzeug vorausreiste, wurde bei einem Tankstop
in den Kontrollturm gerufen: „There is something wrong with your telescope“. Die gut
gemeinte Polsterunterlage hatte sich nach Gärung selbst entzündet, und das Teleskop
war verbrannt (Abb. 2.6-3). Ein langer Rechtsstreit zur nur mündlich abgesprochenen
56
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Abb. 2.6-3: Das 50 cm-Teleskop des MPIA auf dem Wege von Bloemfontein zum Gamsberg.
Die feuchte und luftdicht abgeschlossene Polsterunterlage aus Sägespänen hatte unter der afrikanischen
Sonne ein hohes Selbstentzündungspotential: Der Brand auf dem Lastwagen verursachte Totalschaden. Sogar das Metall der Teleskop-Elektronik schmolz (Thorsten Neckel).
Transportversicherung führte schließlich zur Zahlung einer Entschädigung, und im
Jahre 1972 konnte ein Nachbau des 50 cm-Fernrohres auf dem Gamsberg montiert
werden.
Die Zeit bis dahin wurde gut genutzt. Thorsten Neckel musste viele Talente entwickeln.
Er richtete sich auf dem Berg ein, zunächst im Zelt (Abb. 2.6-4), später in einer Hütte.
Das Baumaterial dafür konnte er selbst auf den Berg transportieren, nachdem das MPIA
eine „Straße“ in Auftrag gegeben hatte (Abb. 2.6-5). Er begann nächtliche Beobachtungen mit einem 8 cm-Teleskop zur genauen Bestimmung der atmosphärischen Extinktion
an helleren Sternen. Daneben musste er den Beobachtungsbetrieb an den Seeing-Monitoren und an sechs Wetterstationen auf dem weitläufigen Berg allein übernehmen. Und
er war Diplomat: Er erreichte den Transport mehrerer größerer Ausrüstungsgegenstände
in „Übungsflügen“ für Polizei-Hubschrauber. Vor allem hatte er den Kauf des gesamten
57
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Abb. 2.6-4: Die erste Dienstreise zum Gamsberg erforderte Pfadfindergeist. Thorsten Neckel (32) beginnt in der Regenzeit auf dem Gipfelplateau den Bau einer Sternwarte zu planen (Thorsten Neckel).
Abb. 2.6-5: Der Bau einer provisorischen Straße zum Gamsberg im Jahre 1970 wurde von Hans
Elsässer sehr einfach beauftragt: „… sie soll es Herrn Neckel ermöglichen, den Berg mit einem Fahrzeug
zu erreichen …“. Es zeigte sich bald, dass etwas genauere Anforderungen an die Baufirma für Mensch
und Maschine schonender gewesen wären. Selbst der für die Auffahrt eigens beschaffte Landrover 109
mit 6 Zylindern und verstärkten Federn und Stoßdämpfern machte häufig schlapp (Thorsten Neckel).
58
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Berges vorzubereiten. Dabei unterstützte ihn die in der Hauptstadt Windhuk beheimatete
„Wissenschaftliche Gesellschaft“. Sie hatte bereits jüngste deutsche Forschungsarbeiten,
so die des Instituts für Ionosphärenphysik im MPI für Aeronomie und von Göttinger
Geologen in der Gegend gefördert. Am Heiligabend des Jahres 1970 trafen Thorsten
Neckel, begleitet von dem befreundeten Farmer Jürgen Cranz, beim Besitzer des Berges,
dem Farmer Lois Richter, auf der Farm Picadilly ein. Sie boten 6 Rand für einen Hektar
Fläche. Das war dem Besitzer zu wenig, man einigte sich auf 7 Rand pro Hektar, also
0,4 Pfennig pro Quadratmeter. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in Heidelberg: Unser Institut hat einen ~ 2.4 Quadratkilometer großen Berg in Südwestafrika
zum Preise eines VW-Käfers erworben! Vertraglich wurde dann alles mit ortsansässigen
Rechtsanwälten durch die Max-Planck-Gesellschaft abgesichert.
Mit dem Aufbau einer ersten, einfachen Sternwarte (Abb. 2.6-6), ausgerüstet mit einem
50 cm-Teleskop mit einem lichtelektrischen Photometer (Abb. 2.6-7), begann auch eine
wissenschaftlich produktive Zeit am Gamsberg. Thorsten Neckel und Gerhard Klare
beobachteten 1660 südliche OB-Sterne im Farbsystem U, B, V, H und bestimmten ihre
Entfernungen. Damit konnten sie Spiralarmabschnitte unserer Milchstraße ausmachen:
den Cygnus-Arm, an dessen Rand die Sonne liegt, den Sagittarius- und den Perseus-Arm.
Diese Beobachtungen und die mit dem Vorgänger des 50 cm-Teleskopes am Boyden-
Abb. 2.6-6: Die erste Sternwarte auf dem Gamsberg. Die Hütte beherbergte das neu gebaute 50 cmTeleskop. Im Hintergrund Masten für die langfristige Erfassung der Wetterbedingungen (Thorsten
Neckel).
59
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Abb. 2.6-7: Das 50 cm-Teleskop des MPIA auf dem Gamsberg (Thorsten Neckel).
60
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Observatorium gemachten Polarisations-Messungen gingen in eine Veröffentlichung
ein, die 2009 zum 40-jährigen Jubiläum der Zeitschrift „Astronomy and Astrophysics“
als eine der meistzitierten Publikationen gewürdigt wurde (siehe Kapitel 5.1.5).
Was so gut begonnen hatte, erlitt nach 1972 einen unerwarteten Rückschlag. Es ging um
den angestrebten UNO-Beitritt der beiden deutschen Staaten im kriegsfolgenbedingt
gespaltenen Deutschland. Die Bundesregierung erwartete von der öffentlich finanzierten
Max-Planck-Gesellschaft die Befolgung einer UNO-Resolution, nach der mit der Südafrikanischen Union nicht über Angelegenheiten in Südwestafrika (jetzt Namibia) verhandelt werden solle. Grund war die noch immer andauernde Verwaltung Südwestafrikas
durch die südafrikanische Regierung, obwohl das Völkerbundsmandat dafür abgelaufen
war. Die Verhandlungen zum Bau einer Sternwarte in Südwestafrika hätten als indirekte
Stützung der südafrikanischen Präsenz in Namibia ausgelegt werden können. Der Chef
des Bundeskanzleramtes schrieb Ende 1972 an den Generalsekretär der Max-PlanckGesellschaft: „möchte ich deshalb der Max-Planck-Gesellschaft raten, den Gedanken an
einen Standort in Namibia aufzugeben und die Planungen für ein Observatorium auf der
Südhalbkugel auf einen anderen Standort abzustellen.“ Die Max-Planck-Gesellschaft
musste sich fügen. Das für die Südhalbkugel vorgesehene 2.2 m-Teleskop II war damit
zunächst heimatlos geworden. Um die hohen Aufbewahrungskosten beim Hersteller zu
umgehen, musste es 1976 auf dem Königstuhl eingelagert werden (Abb. 2.6-8). Als
nächstes wurde die Planung des 3.5 m-Teleskops geändert. Die Entwicklung wurde nun
für die Polhöhe des Calar Alto, also die Nordhalbkugel, weitergeführt. Ein Abwarten auf
günstigere politische Verhältnisse in Afrika und zeitliches Strecken des 3.5 m-Projektes
hätte die ohnehin angespannte Finanzierung des großen Teleskops gefährdet. Da aber
Hans Elsässer auf baldige Klärung der politischen Verhältnisse im südlichen Afrika hoffte,
wurde der Gamsberg mit seinem 50 cm-Teleskop weiter betrieben. So gewann Rolf Chini
(später Leiter des Astronomischen Instituts der Universität Bochum) als Doktorand dort
seine Daten aus den Sternentstehungsgebieten M16 und M17. Die letzten wichtigen
Beobachtungen führte Thorsten Neckel im Jahre 1986 am Kometen Halley aus, für eine
gemeinsame Publikation mit Guido Münch, Wissenschaftliches Mitglied des MPIA.
Zwei kurze aufregende Episoden folgten noch: Das erste Mal wurde der Gamsberg 1994
reaktiviert, als die ESO mit dem Bau des Very Large Telescope (VLT) auf dem Paranal in
Chile wegen Uralt-Erbrechten der Nachfahren eines historischen Admirals in Schwierigkeiten geriet. Jetzt wurde der Gamsberg als Ausweichstandort für das VLT untersucht.
Diesen von der ESO sehr sorgfältig durchgeführten einjährigen Klima- und Seeing-Messungen verdanken wir ein unabhängiges und endgültiges Urteil über die Qualität des
Berges, das die mehrjährigen Beobachtungen des MPIAs bestätigt: Seeing ebenso gut wie
61
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Abb. 2.6-8: Das für den Gamsberg vorgesehene 2.2 m-Teleskop II musste für einige Jahre im Untergeschoss des damaligen Astrolabors auf dem Königstuhl eingelagert werden. Hier wird im Jahre
1976 gerade ein Teil der Deklinationsachsen-Gabel entladen (Lemke).
in Chile, Wetter im Südwinter (mit den langen Nächten) besser. Auch wenn auf dem
Berg gegenwärtig nicht beobachtet wird, bleibt er ein interessanter Standort für eine
Südsternwarte – und er bleibt im Besitz der MPG. In seiner Nachbarschaft betreibt das
Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik sehr erfolgreich die großen „HESSTscherenkow-Teleskope“ für die Gammastrahlen-Astronomie.
1995 erkundete Südafrika die Möglichkeit, ein eigenes großes Teleskop (3.5 bis 11 m) auf
dem Gamsberg aufzustellen. Das veranlasste Elsässer zum Bau eines 70 cm-Teleskops in
der Heidelberger Instituts-Werkstatt, wichtig zur wissenschaftlichen Ergänzung des großen
Teleskops und klein genug, um nicht zu provozieren. Noch bevor das 70 cm-Teleskop in
Heidelberg fertig gestellt war, hatte Südafrika die Aufstellungspläne seines SALT-Teleskopes zugunsten seines Kernlandes geändert. Elsässer schenkte das nun nicht mehr benötigte und nicht vollendete Teleskop der neu gegründeten „Internationalen AmateurSternwarte Gamsberg“. Dieser gemeinnützige Verein mit 50 Mitgliedern darf nach einem
Vertrag mit der MPG den Berg und die alten Gebäude des MPIA kostenlos nutzen.
62
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Einige Mitglieder fanden aber den Aufstieg zu mühsam und haben auf der am Fuße des
Berges gelegenen Farm Hakos ihre Beobachtungshütten errichtet. Das „70 cm“ soll nach
Vollendung durch den Amateurverein auf dem Gamsberg 2010 aufgestellt werden. Mit
einem weiteren Vertrag zwischen der MPG und der „Gamsberg Tourism Projects Close
Corporation“, einer Vereinigung von ansässigen Farmern, darf der Berg wegen seiner
hervorragenden Aussicht auch als touristisches Ziel genutzt werden. Interessierte Besucher
werden mit Geländewagen auf den Gipfel gebracht, dafür unterhält die Vereinigung die
Zufahrtsstraße in einem benutzbaren Zustand. Diese von der MPG vertraglich genehmigten Nutzungen sind durchaus wichtig, um nach namibischem Recht durch die ständige
Kontrolle des Zuganges zum Gamsberg den Besitz auf Dauer zu sichern.
2.7
Eigene Teleskope
Das wichtigste Bestreben des neuen Max-Planck-Institutes war der Bau eigener Teleskope, mit denen der Anschluss an die internationale Spitzenforschung erreicht werden
sollte. Dabei half der fliegende Start aus der Landessternwarte heraus. Noch vor der
Gründung des MPIA hatte die Sternwarte auf Antrag von Hans Elsässer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Mittel für den Bau eines 1.23 m-Fernrohres erhalten.
Dieses Gerät wurde im Jahre 1966 bei Carl Zeiss in Oberkochen in Auftrag gegeben. Es
war bei seiner Fertigstellung im Jahre 1971 das größte Fernrohr der Bundesrepublik, vor
einem 60 Jahre alten 1 m-Fernrohr im nebligen Hamburg und dem 72 cm-Waltz-Reflektor
der Landessternwarte aus dem Jahre 1906 auf dem oft wolkenverhangenen Königstuhl.
Die Forschungsgemeinschaft stimmte der Einbringung des neuen Fernrohres in das
MPIA zu, weil so Aufstellung, Betrieb und Zugänglichkeit für die deutschen Astronomen
gesichert waren.
2.7.1 Das 1.23 m-Teleskop – damals das größte der Bundesrepublik
Das 1.23 m-Fernrohr war zu seiner Zeit sehr modern. Es bekam eine poluniversale Montierung, die das Gerät unabhängig vom damals noch unbekannten Aufstellungsort
machte. Dazu befand sich im Schnittpunkt von Stunden- und Deklinationsachse eine
große Stahlkugel, auf der das Fernrohr ölhydraulisch gelagert war. Der Hauptspiegel
wurde von der Firma Schott in Mainz aus Duran-Glas hergestellt. Dieses Material hat
63
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Abb. 2.7-1: Die erste Kuppel
auf dem Calar Alto beherbergt das 1.2 m-Teleskop. Sie
wurde vom spanischen Architekturbüro S. Margarit, Barcelona, entworfen und von der
Firma Dragados gebaut. Die
11 m-Stahlkuppel baute die
Firma Dillinger aus Saarlouis, die später auch die
Kuppeln für die größeren
Teleskope lieferte (Kurt Birkle).
einen kleinen thermischen Ausdehnungs-Koeffizienten, es ist bekannt als „feuerfestes
Jenaer Glas“. Haupt- und Sekundärspiegel wurden zu einem Ritchey-Chrétien-System
geschliffen, das ein großes fehlerfreies Bild von 15 Bogenminuten Durchmesser lieferte.
Mit dem zweilinsigen Feldkorrektor konnten Felder von 1.5 Grad Durchmesser belichtet
werden, also mit einer Kantenlänge vom dreifachen Vollmond-Durchmesser. Nach seiner
Fertigstellung bei der Firma Zeiss im Jahre 1971 vergingen aber noch über drei Jahre, bis
das Fernrohr sein Zuhause im neuen Kuppelgebäude auf dem Calar Alto fand (Abb. 2.7-1).
64
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Abb. 2.7-2: Das 1.23 m-Teleskop war von 1975 an als erstes Teleskop auf dem Calar Alto in Betrieb.
Es wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert und von der Firma Carl
Zeiss, Oberkochen, gebaut. Anfangs erfolgte die Bedienung vom Steuerpult in der Kuppel
(Windstosser / Zeiss).
65
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Im Juli 1975 begann der Beobachtungsbetrieb zunächst mit der Astrokamera (Photoplatten) und der Bildwandlerkamera für das nahe Infrarot (Abb. 2.7-2 u. 2.11-1).
2.7.2 Zerodur-Spiegel für die 2.2 m-Teleskope
Gegenüber dem „1.23“ war die wichtigste Verbesserung beim Bau der beiden 2.2 m- und
des 3.5 m-Fernrohres die Einführung eines neuartigen Spiegelmaterials. Bereits im Jahre
1966 hatte Hans Elsässer sich bei Schott erkundigt, ob die Firma größere Spiegelrohlinge
aus einer inzwischen bekannt gewordenen Glaskeramik mit sehr kleinem Wärmeausdehnungs-Koeffizienten herstellen könne. Diese Anfrage erfolgte noch vor dem Gründungsbeschluss für das Max-Planck-Institut und es sollte ein folgenreicher Schritt werden. Die
Glaskeramik war bereits im Jahre 1954 von S. D. Stookey in den USA erfunden worden,
und auch Schott begann damit zu experimentieren. Da der mehrstufige Herstellungsprozess schwierig war und kein verkaufsfähiges Produkt in Sicht war, verfügte die
Geschäftsleitung die Einstellung der Arbeiten. Aber J. Petzold von Schott hatte ein
wenig als „U-Boot“ in seinem Labor weitergeforscht. Als Elsässers Anfrage einging, war
die Firma deshalb in der Lage, eine Materialentwicklung mit der Aussicht auf den Verkauf
großer Spiegelscheiben für die Astronomie zu beginnen. Die Herstellung eines LiO2-Al2O3SiO2-Glases und dessen Überführung in eine Glaskeramik führte Schott in den späten
1960er Jahren zu mehreren Patenten und zu einem neuen Markenprodukt: ZERODUR,
ein Material mit dem Wärmeausdehnungskoeffizienten Null. Die Entwicklungsarbeit
von zeitweise bis zu 150 Mitarbeitern hat sich gelohnt, denn im Mai 1969 bestellte das
neue Max-Planck-Institut für Astronomie 11 Spiegelscheiben, darunter eine von 3.6 m
Durchmesser. Der Auftrag war ein mutiger Schritt, denn Schott hatte erst noch zu beweisen, dass die Firma tatsächlich große ZERODUR-Scheiben in hoher Qualität herstellen
konnte. Während die Verhandlungen mit Schott liefen, bot die Firma Owens Illinois der
Max-Planck-Gesellschaft einen großen Spiegelrohling aus ihrer bereits erprobten Glaskeramik Cervit an. Es wäre dies die vierte Scheibe einer erfolgreich gegossenen Serie für
andere Sternwarten im Ausland geworden und sie wäre deshalb sehr günstig zu erhalten
gewesen. Nach dieser Entscheidung für die heimische Industrie gab es im Jahre 1973
noch einmal Sorgen, als die ersten Gussversuche für die 3.6 m-Scheibe bei Schott nicht
zum Erfolg führten. Die folgenden Versuche ergaben dann aber hervorragende Qualität
und pünktliche Lieferung. Nach dieser Initialzündung durch das MPIA konnte Schott
viele Spiegelscheiben in alle Welt verkaufen, die größten mit 8.2 m Durchmesser für die
vier Fernrohre des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte ESO.
66
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Abb. 2.7-3: Glasschmelze eines ZERODUR-Spiegels (hier der 3.5 m Spiegel) bei Schott in Mainz
(Schott).
Das neue Material wurde schließlich millionenfach in CERAN-Kochfeldern und in
Geräten für die Mikrochipfertigung (Mobiltelefone) eingesetzt und brachte dadurch der
Firma auch einen großen wirtschaftlichen Erfolg.
Als erstes erhielt das 2.2 m-Fernrohr I für den Calar Alto einen ZERODUR-Spiegel
(Abb. 2.7-3). Das Teleskop wurde im August 1969 bei Carl Zeiss in Auftrag gegeben,
ebenfalls als Ritchey-Chrétien-System, mit dem im Cassegrain-Fokus ein Feld von 1°
Durchmesser fehlerfrei abgebildet werden kann. Dazu wurden bei 17 m Brennweite Photoplatten von 30 × 30 Quadratzentimetern benötigt, die größten damals verfügbaren. Dieses
Fernrohr erhielt eine Gabelmontierung, wurde also genau für die geographische Breite
des Calar Alto (37° N) gebaut. Vervollkommnet wurde dieses Fernrohr mit einem raumfesten Coudé-Spektrographen in einzigartiger Anordnung. Nach Haupt- und Sekundärspiegel wird das Licht über einen im Schnittpunkt von Stunden- und Deklinationsachse
67
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Abb. 2.7-4: Schnitt durch das
Kuppelgebäude des 2.2 m-Teleskops auf dem Calar Alto. Das
im Norden (links) angeordnete
„Sehrohr“ lenkt das Licht in den
vertikal angeordneten CoudéSpektrographen, dessen große
Baulänge über mehrere Stockwerke reicht (MPIA).
20 m
10 m
angeordneten dritten Spiegel polwärts geleitet. Es trifft dann auf einen vierten Spiegel,
der in einer Art U-Boot-Sehrohr das Licht senkrecht nach unten in das Coudé-Labor
lenkt (Abb. 2.7-4). Mit dieser neuen, von Klaus Bahner vorgeschlagenen Anordnung
werden Lichtverluste und Streulicht verringert. Den Bau des leistungsfähigen Spektrographen mit den größten herstellbaren Gittern von 30 × 40 Quadratzentimetern bei der
Firma Perkin-Elmer (USA) hat Josef Solf am MPIA betreut. Er war es auch, der die hohe
spektrale Auflösung von ~ 100000 bei detaillierten Untersuchungen von Sternentstehungsgebieten, darunter S106, nachweisen konnte.
Das 2.2 m-Fernrohr I wurde im Sommer 1974 gemeinsam mit dem 1.23 m-Fernrohr
von Carl Zeiss zum Calar Alto geliefert. Das „2.2“ musste zunächst auf dem Berg eingelagert werden, da das Kuppelgebäude noch nicht fertig gestellt war. Kurz nach seiner
Indienststellung im Jahre 1979 erfolgte dann die feierliche Einweihung des Deutsch-
68
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Abb. 2.7-5: Der Einweihungsfeier der Calar Alto Sternwarte wohnten über
100 Festgäste aus Deutschland und Spanien bei. König Juan Carlos I.
betrachtet Himmelsaufnahmen durch ein Mikroskop, links von ihm Königin
Sofia und Hans Elsässer, rechts Kurt Birkle und Dolmetscher H. Villain
(Blachian, MPG).
Spanischen Astronomischen Zentrums (Abb. 2.7-5). Die instrumentelle Erstausrüstung
des „2.2“ bestand aus dem oben erwähnten Coudé-Spektrographen und der großen
Astrokamera für Photoplatten, die aber bald von lichtelektrischen Kameras abgelöst
wurde. Nachdem das MPIA das Instrument fast drei Jahre lang allein genutzt hatte, weil
es laut Elsässer an ausgebildetem Personal mangelte, wollten natürlich auch andere deutsche Sternwarten das neue große Fernrohr nutzen. Der Druck von außen wuchs. 1981
beklagte sich Immo Appenzeller, der Direktor der benachbarten Landessternwarte und
Auswärtiges Mitglied des MPIA, beim Vorsitzenden des Rates Westdeutscher Sternwarten
Rudolf Kippenhahn und beim Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Reimar Lüst,
über den eingeschränkten Zugang der Universitätsinstitute: „Ist denn hier – überspitzt
ausgedrückt – nur Herrn Elsässers Privatsternwarte entstanden?“. Wenn es drei Jahre
nach Betriebsbeginn immer noch Probleme gäbe, könnten gerade erfahrene Gastbeobachter nützliche Anregungen geben. Der Brief hatte die gewünschte Wirkung, und auch
die drei vom Rat Westdeutscher Sternwarten in den Fachbeirat des MPIA entsandten
Mitglieder stellten künftig sicher, dass alle deutschen Astronomen Beobachtungsanträge
für sämtliche Instrumente mit Aussicht auf Erfolg stellen konnten.
69
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Das zweite 2.2 m-Fernrohr wurde im Jahre 1976 von Carl Zeiss ans MPIA übergeben.
Sein geplanter Standort auf dem Gamsberg auf der Südhalbkugel war zu diesem Zeitpunkt
aus politischer Rücksichtnahme nicht mehr zugänglich, Näheres dazu in Kapitel 2.6.
2.7.3 Das 3.5 m-Teleskop – eines der größten der Erde
Den Höhepunkt erreichte die Teleskop-Entwicklung am MPIA mit dem 3.5 m-Fernrohr,
das damals zu den zehn größten der Erde gehören sollte. Planung und Bau haben über
15 Jahre in Anspruch genommen. Es begann im Jahre 1969 mit dem Auftrag an Carl
Zeiss für eine Projektstudie zur Optik, Montierung, Steuerung und Entwicklungsplanung. Sie sollte vor allem Kostenschätzungen enthalten, die ein nachvollziehbares Preisangebot ermöglichten. Bedingt durch die erkennbare Komplexität des großen Projektes
wurde 1971 mit Zeiss ein Rahmenvertrag zur Herstellung des 3.5 m-Fernrohres abgeschlossen, der dann durch Einzelverträge zu verschiedensten Leistungen, beginnend mit
Management- und Ingenieursarbeiten, ausgefüllt wurde. Erst 1974 war der Gesamtvertrag unter Dach und Fach. Zeiss war dabei der Hauptauftragnehmer und beschäftigte als
Unterauftragsnehmer Voith (Heidenheim) für die Montierung, MAN (Gustavsburg) für
den Tubus, Schott (Mainz) für die Rohlinge von Spiegeln und Linsen, IDAS (Limburg)
für die Steuerungssoftware.
Betreut wurde diese industrielle Entwicklung von der „Teleskop-Gruppe“ am MPIA. Zu
ihr gehörten im Laufe der Aufbaujahre Rainer Wolf, Lutz Schmadel, Gerhard Schnur
und Ulrich Hopp. Geleitet wurde die Gruppe von Klaus Bahner, einem auch durch einschlägige Handbuch-Artikel ausgewiesenen Fachmann für Fernrohre und Optik. Er blieb
„Hauptobservator“ bei der Landessternwarte, hatte aber sein Büro im MPIA. Bahner
plante mit seinen Mitarbeitern die Gesamtsysteme: Teleskope mit maßgeschneiderten
Gebäuden, Hilfseinrichtungen und die wissenschaftlichen Instrumente der ersten Generation. Bei der Errichtung der Gebäude und der Kuppeln (Abb. 2.7-6) arbeitete er eng
mit dem Baubeauftragten Klaus Heckel im Heimatinstitut zusammen.
In der frühen Planungsphase stand das MPIA vor schwierigen Entscheidungen. Einerseits
war der Standort (Nord- oder Südhalbkugel) bis Ende 1972 nicht festgelegt. Weiterhin
entwickelten sich zu dieser Zeit die elektronischen Rechner und Steuerungen mit atemberaubender Geschwindigkeit, nach zwei Jahren war alles veraltet. Andererseits mussten
die technischen Anforderungen im Pflichtenheft für den Vertrag eingefroren werden,
wollte man nicht eine Kostenlawine für ständige Modernisierungen riskieren. Die
Gesamtkosten lagen mit ~ 110 Millionen DM (die Hälfte davon für das Zeiss-Konsor-
70
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Abb. 2.7-6: Werkmontage der 30 m-Kuppel für das 3.5 m-Teleskop bei Dillinger Stahlbau in
Saarlouis (Dillinger).
tium) ohnehin deutlich über den ursprünglichen Planungen. Zusätzliche Sorgen machte
die „Baustelle Calar Alto“, denn die beauftragte spanische Firma Dragados wollte zu den
ursprünglich vereinbarten Bedingungen an Kuppeln und Gebäuden nicht weiterbauen.
Der Standort in über 2000 m Höhe, die langen schneereichen Winter und die starke
Steigerung des Baukostenindex hatten inzwischen zu einer voraussichtlichen Verdopplung der Baukosten geführt. Das wurde auch vom für die MPG gutachtenden Architekten als „nicht überhöht“ angesehen. Als Reserve mussten jetzt die Mittel für die zurückgestellte zweite Sternwarte auf der Südhalbkugel eingesetzt werden. Daraufhin ließ das
Bundesministerium für Forschung und Technologie, das den Aufbau des MPIA mit Sondermitteln förderte, erkennen „dass es bei dieser Sachlage keine Möglichkeit zur Realisierung der Südhalbkugel-Station geben wird.“
71
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Abb. 2.7-7: Oberflächenbearbeitung der Zerodur-Scheibe für das 3.5 m-Teleskop bei Carl Zeiss,
Oberkochen. Wegen der vernachlässigbaren Wärmeausdehnung der Glaskeramik können Bearbeitung
und Prüfung schneller erfolgen als bei den früher verwendeten Gläsern (Zeiss).
Der Hauptspiegel für das 3.5 m-Teleskop wurde aus ZERODUR gefertigt (Abb. 2.7-7).
Das bescheidene Öffnungsverhältnis von f/3.5 führte zu der großen Kuppel mit 30 m
Durchmesser. Das Ritchey-Chrétien-System mit einem Öffnungsverhältnis von f/10
72
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Abb. 2.7-8: Aufbau der Hufeisen-Montierung für das 3.5 m-Teleskop in der eigens errichteten
Montagehalle bei Carl Zeiss in Oberkochen. Die Montierung besteht aus fast 400 Tonnen
Stahl und wurde von MAN entwickelt (Zeiss).
erlaubt im Cassegrain-Fokus die fehlerfreie Abbildung von 30 Bogenminuten-Feldern
auf 30 cm-Platten, mit einem Abbildungsmaßstab von 6 Bogensekunden pro mm. Besonderheit des „3.5“ war eine Primärfokuskabine, die Instrument und Beobachter aufnehmen
konnte. Mit einem dreilinsigen Korrektor kann im Primärfokus sogar ein 1 Grad-Feld
abgebildet werden. Zusätzlich gibt es Frontringe für den Coudé-Fokus und einen für den
kleinen Infrarot-Sekundärspiegel mit dem schlanken f/45-Strahlengang. Der Wechsel
73
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der Frontringe wird automatisch gesteuert vollzogen, sie schweben an Hebezeugen unter
der Kuppel ins Magazin am Kuppelboden bzw. auf den vorderen Tubus des dann senkrecht stehenden Teleskops.
Das Fernrohr erhielt eine äquatoriale Hufeisen-Rahmen-Montierung mit zum Himmelspol zeigender Stundenachse. Vorbild was das in den 1940er Jahren gebaute 5 mMount-Palomar-Teleskop. Bei guter Stabilität und Zugänglichkeit wird bei dieser Anordnung allerdings „viel Eisen verbaut“ (Abb. 2.7-8). Modern waren die hydrostatischen
Lager, bei denen die bewegten Teile praktisch reibungsfrei auf einem 0.1 mm dicken
Ölfilm schweben. Die optische und mechanische Qualität des Fernrohres erwies sich im
Probebetrieb des Jahres 1985 als hervorragend. Bei gutem Seeing und langen Nachführzeiten wurden schwache Sterne mit Durchmessern von ~ 1 Bogensekunde abgebildet. Die
Encoder der Steuerung lösen 0.05 Bogensekunden auf. Damit wurde eine Nachführgenauigkeit von 0.1 Bogensekunden erreicht, was noch heute als hervorragend gelten kann.
Was heute erstaunt, sind die großen Massen und Abmessungen: 430 t für das Gesamtteleskop, 225 t davon werden bewegt (Abb. 2.7-9). Der Hauptspiegel ist eine volle
Glaskeramikscheibe von 59 cm Dicke und 13 t Gewicht. Das Teleskopgebäude mit der
30 m-Kuppel ist insgesamt 42 m hoch (Abb. 2.7-10). Auch damals schon wäre die azimutale Montierung, die bei großen Teleskopen üblich ist, möglich gewesen. Sie spart viel
Masse ein. In Verbindung mit einem das Teleskop eng umgebenden und mitdrehenden
Kuppelgehäuse ließen sich am Ende beträchtliche Kosten einsparen. Man kannte auch die
Vorteile von auf der Rückseite gewichtserleichternd verrippten Spiegeln mit wesentlich
geringeren Massen und geringerer thermischer Trägheit. Die Verantwortlichen am MPIA
haben sich damals in den meisten Fällen für den konservativen, risikoarmen Weg entschieden. Dafür gibt es mehrere nachvollziehbare Gründe. Weder am neuen Institut
noch bei der deutschen Industrie gab es nach jahrzehntelangem Stillstand beim Bau von
größeren Teleskopen Erfahrungen, die zu ganz neuen Lösungen ermutigt hätten. Man
fürchtete teure und langwierige Entwicklungen bei einer Entscheidung für Technologien,
die als noch nicht ausgereift angesehen wurden. Und es sollte schnell gehen – Deutschland hatte in der beobachtenden Astronomie durch die zweifachen Kriegswirren fast den
Anschluss an die internationale Astronomie verloren. Schließlich begannen selbst bei
den gewählten konservativen Lösungen die Kosten der Teleskop-Entwicklung aus dem
Ruder zu laufen. Wichtig war, dass die getroffenen Entscheidungen für das Herkömmliche bei der wissenschaftlichen Nutzung keinen Nachteil gebracht hätten. Da Optik und
Mechanik hervorragend ausgeführt waren, konnte das „3.5“ in den folgenden Betriebsjahren ständig modernisiert werden: mit neuerer Elektronik, einer Spiegelkühlung für
schnellere Anpassung an die Temperaturen der bevorstehenden Nacht, mit wirkungsvol-
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Abb. 2.7-9: Das 3.5 m-Teleskop in der Kuppel. Es besitzt eine Hufeisenmontierung. Durch Drehung
um die Stundenachse (Rektaszension), gelagert im „Hufeisen“, folgt das Teleskop der scheinbaren
Drehung des Sternenhimmels. Der Einschnitt im Hufeisen (oben) erlaubt die Ausrichtung
des Teleskops zum Himmelsnordpol. Links sind die Spaltschieber zu erkennen, rechts die FrontringWechseleinrichtung (Windstosser).
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Abb. 2.7-10: Schnittbild durch das Kuppelgebäude des 3.5 m-Teleskops am Calar
Alto. Die schräge Stundenachse mit dem großen Hufeisenlager (links) zeigt zum
Himmelsnordpol, der sich 37° über dem Horizont befindet. Links in der Kuppel sind
die Wechseleinrichtungen für die Frontringe erkennbar (MPIA).
76
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ler Lüftung zur Seeing-Verringerung. Und das „3.5“ wurde als eines der ersten Teleskope
weltweit mit einer adaptiven Optik für noch schärfere Bilder ausgerüstet.
Mit dem Betriebsbeginn des 3.5 m-Teleskopes im Jahre 1984 war der Aufbau der CalarAlto-Sternwarte nach über einem Jahrzehnt abgeschlossen. Entstanden war das größte
astronomische Observatorium auf dem europäischen Festland (Abb. 2.7-11). Eine
Zusammenstellung der fünf Teleskope auf dem Calar Alto gibt die Tabelle 2.7 -1.
Abb. 2.7-11: Die Calar-Alto-Sternwarte in 2160 m Höhe. Von rechts: 3.5 m-, 2.2 m-, 1.2 m-,
Schmidt-, spanisches 1.5 m-Teleskop. Links der Bildmitte das Auswerte- und Werkstattgebäude,
rechts die Astronomenwohnungen. Im Vordergrund Cafeteria und Mitarbeiterwohnungen.
Inzwischen ist das Gelände etwas grüner, nachdem sich der örtliche Direktor Kurt Birkle mit der
spanischen Naturschutzbehörde Icona auf die Bepflanzung des Gipfelbereiches mit dort natürlich
vorkommenden Pflanzen und die Nichtweiterbeweidung durch Schafe geeinigt hatte (Atair-Foto,
Madrid).
77
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Tabelle 2.7-1: Teleskope des Calar-Alto-Observatoriums
Teleskop
Fokalstationen
HauptspiegelDurchmesser
Inbetriebnahme
Jahr
Hersteller
Wichtige
Fokalebenen Instrumente
3.5 m-Teleskop
Primär f/3.5
Cassegrain f/10
Coudé f/35
Cassegrain f/45
1984
ZEISS, Oberkochen
Omega 2000
MOSCA
LAICA
ALFA
MAGIC
Doppel-Spektrograph
2.2 m-Teleskop
Cassegrain f/8
Coudé f/40
1979
ZEISS, Oberkochen
CAFOS
Coudé-Spektrograph
1.23 m-Teleskop
Cassegrain f/8
Nasmyth f/8
1975
ZEISS, Oberkochen
Bildwandler-Kamera
CCD-Kamera
Schmidt-Spiegel
(1.2 m-Spiegel,
0,8 mKorrekturplatte)
f/3
1955
ZEISS, Jena
1955, HamburgBergedorf
1980, Calar Alto
Photoplatten
5°. 5 × 5°. 5
Spanisches
1.5 m-Teleskop
Cassegrain f/8
Coudé f/30
1976
REOSC, Paris
CCD-Kamera
IR-Photometer
78
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2.8
Südsternwarte – die kleine Lösung in Chile
Die politischen Vorgaben, nicht in Namibia zu investieren, hatten im Jahre 1973 zu der
Entscheidung geführt, das 3.5 m-Teleskop auf dem Calar Alto aufzubauen, entgegen
Elsässers ursprünglicher Hoffnung, es zusammen mit einem der 2.2 m-Teleskope in eine
neue Südsternwarte einzubringen. Die Absicht, wenigstens das zweite 2.2 m-Teleskop
doch noch auf die Südhalbkugel zu bringen, wurde nicht aufgegeben. Dazu bestand
Anlass, denn Südafrika geriet durch Freiheitsbewegungen gegen das Apartheitsregime
von innen und politischen Druck der Weltgemeinschaft von außen in Bewegung.
Als das im Jahre 1970 bestellte 2.2 m-Teleskop II nach fünfjähriger Bauzeit bei Carl
Zeiss fertig gestellt wurde, schien die Unabhängigkeit Namibias nur noch eine Frage
von wenigen Jahren. Nach der Werksabnahme im Jahre 1976 entschied das MPIA deshalb, das Teleskop vorläufig einzulagern. Da das bei Carl Zeiss zu teuer geworden wäre,
wurde das Teleskop nach Heidelberg auf den Königstuhl gebracht. Die Einlagerung der
vielen großvolumigen und schweren Kisten erfolgte im Kellergeschoß des gerade fertig
gestellten Astrolabors (Abb. 2.6-8). Dann wurde es einige Jahre ruhig um dieses Instrument, denn die Entwicklung des 3.5 m-Teleskops und der Aufbau der Calar Alto Sternwarte hatten die finanziellen und personellen Möglichkeiten des MPIA stark belastet.
Der gleichzeitige Aufbau einer Südsternwarte ab 1976 wäre schon deshalb kaum möglich
gewesen.
Erst Anfang der 1980er Jahre gab es Bewegung. Ein Staatssekretär des Forschungsministeriums wollte „eine Forschungsleiche im Keller nicht länger verantworten“, und teilte das
der MPG mit. Ein Aufbau in Namibia schied aber nach wie vor aus. Die ersehnte Unabhängigkeit als Voraussetzung für Investitionen am Gamsberg wurde übrigens erst im
Jahre 1990 erreicht. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Reimar Lüst, nahm
deshalb damals mit dem Generaldirektor der Europäischen Südsternwarte ESO, Lodewijk Woltjer, Kontakt auf mit dem Ziel, das 2.2 m-Teleskop II leihweise in die ESOSternwarte auf La Silla in Chile einzubringen. Das war nahe liegend, denn bereits 1966
wurde bei den Überlegungen zur Gründung eines MPI für Astronomie dessen Südhalbkugel-Beobachtungsstation auf dem neuen ESO-Gelände erwogen.
Hans Elsässer war über diese Entwicklung nicht glücklich. Er strebte einen eigenen
Standort auf einem anderen Längengrad an, um zeitlich veränderliche Erscheinungen
am Himmel lückenlos überdecken zu können. Nach schwierigen Verhandlungen konnte
Ende 1981 ein Vertrag zwischen der MPG und der ESO unterzeichnet werden, mit dem
„die Erforschung der südlichen Hemisphäre gemäß dem Gründungsvertrag der ESO
gefördert wird“. Die ESO übernahm darin die volle Zuständigkeit für das Teleskop, ein-
79
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schließlich der Installation, der Anpassung an den Breitengrad, der Modernisierung der
Elektronik nach eigenen Standards. ESO errichtete ein eigenes Gebäude, das in den technischen Anlagen zum Vertrag beschrieben wird. Es ist deutlich kleiner und einfacher als
das entsprechende auf dem Calar Alto, aber dennoch zweckmäßig eingerichtet und es
stellt gutes Seeing sicher. Einen Coudé-Fokus hat ESO, anders als beim 2.2 m-Teleskop I
auf dem Calar Alto, nicht realisiert. Dafür gab es inzwischen einen guten Grund: EchelleSpektrometer liefern hohe Auflösung auf einem einfacheren Weg. Dennoch wurden die
von ESO vorgenommenen „Abstriche“ von den Verantwortlichen des MPIA anfangs
stark bedauert. Aber das MPIA hat eine große Gegenleistung erhalten: für die Ausleihzeit
des Teleskops von 25 Jahren, beginnend am 1. Januar 1982, erhielt das MPIA 25 % der
Beobachtungszeit, gleichmäßig über die Jahreszeiten verteilt. Und das MPIA konnte an
der hervorragenden Infrastruktur und Arbeitsorganisation bei ESO teilhaben, gegen
Unkostenbeteiligung. Das Seeing am gemeinsam ausgewählten Aufstellungsort im
Observatoriumsgelände stellte sich als sehr gut heraus.
Abb. 2.8-1: Verladung des 2.2 m-Teleskops II für die Schiffsreise von Bremen nach Valparaíso, Chile
(MPIA).
80
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Abb. 2.8-2: Aufbau des 2.2 m-Teleskops II in dem von ESO errichteten Kuppelgebäude auf La Silla,
Chile (MPIA).
Das Teleskop wurde auf Kosten des MPIA mit dem Schiff von Bremen nach Valparaíso
transportiert (Abb. 2.8-1). Der Aufbau des Kuppelgebäudes erfolgte sehr zügig, und
bereits im Jahre 1984 konnten die Beobachtungen beginnen (Abb. 2.8-2). Beide Partner
brachten Instrumentierung ein. ESO lieferte anfangs eine CCD-Kamera („Adapter“),
das MPIA baute einen f/45-Sekundärspiegelchopper für Beobachtungen mit einer ESOInfrarotkamera ein.
Mit der Lösung „1/4 Teleskop für ein Vierteljahrhundert in Chile“ wurde zwar das
ursprüngliche Ziel einer eigenen Südsternwarte auf dem Gamsberg nicht erreicht, dennoch war dieses Vorgehen wirtschaftlich vernünftig, da es Kosten und Personaleinsatz
gespart hat. Und in den gleichmäßig über das Jahr verteilten Beobachtungs-Zeitblöcken
für das MPIA wurden sehr erfolgreich langfristige Programme von Heidelberger Astronomen ausgeführt. Da das Teleskop nach Vertragsabschluß mit ESO sehr viel schneller
betriebsbereit war, als es das MPIA je auf einem neu zu erschließenden Standort hätte
realisieren können, war die „kleine Lösung“ wahrscheinlich doch die bessere Idee. ESO
hatte mit dem „2.2 m II“ ein hervorragendes Instrument in die La Silla-Sternwarte ein-
81
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gliedern können, das bald sehr begehrt wurde. Drei Viertel der Beobachtungszeit wurden
nach dem ESO-Antragsverfahren an europäische Astronomen vergeben, dabei kamen
viele deutsche Forschungsgruppen zum Zuge.
2.9
Extraterrestrische Forschung
Die 1950er und 1960er Jahre waren beherrscht von Spannungen und Misstrauen zwischen den USA und Westeuropa einerseits und dem von der Sowjetunion angeführten
Osteuropa andererseits. Der Sowjetunion gelang mit dem Start des ersten Erdsatelliten
Sputnik im Jahre 1957 ein wichtiger technischer und propagandistischer Erfolg, der die
Überlegenheit des sozialistischen Blockes zeigen sollte. Der anschwellende Flüchtlingsstrom aus Mitteldeutschland veranlasste die DDR-Regierung zum Bau der Berliner
Mauer und damit zur weiteren Vertiefung der Spaltung Deutschlands und Europas. Vor
diesem bedrohlichen Hintergrund schlossen sich die westeuropäischen Staaten enger
zusammen, vereinbart in den Römischen Verträgen von 1958. Dazu gehörten auch
gemeinsame wissenschaftliche Großvorhaben wie CERN in der Elementarteilchen-Forschung und später die Europäische Südsternwarte ESO. Angeregt vor allem aus Frankreich, wurde auch der gemeinsame Einstieg in die Weltraumforschung vorangetrieben.
Ziele waren der Bau eigener Raketen und Startplätze sowie die Entwicklung von Satelliten
und wissenschaftlichen Instrumenten. Westdeutschland war in diesen europäischen
Gemeinschaftsunternehmen trotz der Erinnerungen an den nur ~ 15 Jahre zurückliegenden Angriffskrieg Hitlers willkommen, da es wirtschaftlich erstarkt war.
Eine erste Denkschrift zur Lage der Extraterrestrischen Forschung in der Bundesrepublik
wurde im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1961 erstellt. Sie beschäftigte
sich noch weitgehend mit Untersuchungen der hohen Atmosphäre und den physikalischen Bedingungen im erdnahen Weltraum. Das waren Forschungsthemen, die bereits
in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gepflegt wurden. Astronomische Beobachtungen
oberhalb der Atmosphäre spielten eine untergeordnete Rolle, denn zu den Verfassern der
Denkschrift gehörte noch kein Astronom. Diese Trennung sollte schon ein Jahr später
aufgehoben werden. Auf der Jahrestagung der Astronomischen Gesellschaft im September
1962 in Freiburg hielt Reimar Lüst vom Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik
in München zwei wichtige Ansprachen: einen Plenarvortrag vor den zur Tagung versammelten Fach-Astronomen zum Thema „Extraterrestrische Forschung“ und einen Abendvortrag für die interessierte Öffentlichkeit zum gleichen Thema. Er begeisterte seine Kollegen
82
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Abb. 2.9-1: Das Zodiakallicht am Abendhimmel, gesehen aus 4000 m Höhe vom Mauna Kea auf
Hawaii. Die dreiecksförmige Himmelsaufhellung wird durch Sonnenstreulicht an interplanetaren
Staubteilchen erzeugt. Das Zodiakallicht hat in der Ekliptik (Tierkreis) die größte Helligkeit. Oben
die Venus, unten der gerade aufgehende Mond (Christoph Leinert).
und die Zuhörer des Abends durch die Schilderung der Vorteile astronomischer Beobachtungen mit Ballons, Raketen, Satelliten: Ausdehnung der beobachtbaren Spektralbereiche über das Sichtbare hinaus, Vermeidung des Himmelsleuchtens der oberen Atmosphäre und Verbesserung des Auflösungsvermögens durch Überwindung der Luftunruhe.
Er schilderte die wissenschaftlichen Möglichkeiten der Erforschung der Sterne und des
interstellaren und interplanetaren Mediums vom Röntgen- und Ultraviolett-Bereich bis
zum Infraroten. Und dann berichtete er von den Vorbereitungen für den Aufbau einer
Europäischen Organisation für Weltraumforschung (ESRO), nach dem Vorbild der
Europäischen Organisation für Kernphysik (CERN). Lüst teilte auch gleich die Rezepte
mit, wie sich deutsche Sternwarten mit eigenen Experimenten an dieser neuen Forschungsrichtung beteiligen könnten: Die wissenschaftlichen Vorschläge werden über das
Bundesatomministerium (als damals zuständige nationale Organisation) an das ESRO-
83
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Gutachter-Komitee weitergeleitet. Die Baukosten für die Experimente müssten im vorschlagenden Land aufgebracht werden. ESRO würde Satellit, Rakete, Start und Datengewinnung übernehmen. Lüst wies auf zwei weitere wichtige Punkte hin. Einerseits muss
die deutsche Seite neben dem 20 % Mitgliedsbeitrag zur ESRO, entsprechend ~ 40 Millionen DM, unbedingt mindestens die doppelte Summe in ein nationales Programm
investieren, um die Beteiligung an ESRO sinnvoll nutzen zu können. Zweitens sollten
die Sternwarten nicht fürchten, dass ihnen durch die geplanten Extraterrestrik-Beobachtungen Geld entzogen würde. Er sagte voraus, dass die Astronomie durch die Weltraumforschung insgesamt sehr gestärkt würde und die neuen Möglichkeiten starke Anziehung
auf den wissenschaftlichen Nachwuchs ausüben würden. Hans Elsässer trug auf dieser
Freiburger Tagung gemeinsam mit Thomas Schmidt noch über ein ganz konventionelles
Thema vor: die Messung des Zodiakallichtes vom Erdboden aus (Abb. 2.9-1). Aber er
war einer der ersten deutschen Astronomen, der die von Reimar Lüst vorgestellten Möglichkeiten der Weltraumkunde in wissenschaftlicher und förderungspolitischer Hinsicht
erkannte und unverzüglich an der Heidelberger Sternwarte zu nutzen begann.
2.9.1 Heidelberger Astronomen am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY
Der erste Schritt in diese Richtung war die Erweiterung der von Hans Kienle übernommenen Spektralphotometrie der Sonne und der Sterne aus dem sichtbaren Spektralbereich ins Ultraviolette. Der als „Sternthermometer“ bewährte Schwarze Körper lieferte
im Ultravioletten zu wenig Strahlung, da er höchstens auf ~ 3000 C erhitzt werden
konnte. Gesucht wurde als Ersatz eine im Ultravioletten hellere Quelle mit exakt berechenbarer Intensität. Geeignet erschien die Synchrotronstrahlung des gerade in Hamburg
fertig gestellten großen Elektronenbeschleunigers DESY. Betreut von Dietrich Labs gingen
ab 1965 eine Reihe von Doktoranden vom Königstuhl nach Hamburg. Dietrich Lemke
konnte experimentell zeigen, dass die Intensität der Synchrotronstrahlung den theoretischen Vorhersagen des amerikanischen Nobelpreisträgers Julian Schwinger folgte. Es
gelang die Bestimmung der momentanen Zahl der Elektronen im (damals noch ziemlich
unstabilen) Beschleuniger. Erste Quecksilber-Hochdrucklampen aus dem Heidelberger
Labor konnten als sekundäre Eichstandards für das mittlere Ultraviolett angeschlossen
werden. Eckhart Pitz gelang dann als nächstem Doktoranden die Schaffung einer Reihe
von exakt geeichten Deuterium-Lampen für Wellenlängen bis zum Vakuum-Ultraviolett.
Parallel dazu wurde im Happel-Strahlungslabor auf dem Königstuhl investiert: eine
große Vakuumkammer und neue fensterlose Lichtquellen wurden mit Mitteln der Welt-
84
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raumforschung beschafft, bewilligt vom Bundesforschungsministerium. Ziele waren der
Start von Raketenexperimenten zur genauen Helligkeitsmessung des Zodiakallichtes
und von Sternen im Ultravioletten.
In diese Zeit fielen die ersten Gespräche über die mögliche Gründung eines Max-PlanckInstituts für Astronomie, mit aktiver Anteilnahme von Hans Elsässer. Sollte es gelingen,
dieses Institut nach Heidelberg zu holen und aus der Landessternwarte herauswachsen
zu lassen, war Elsässer entschlossen, die „Extraterrestrik“ in das neue Institut zu überführen. Er förderte diese Arbeiten deshalb sehr, und bereits 1968 waren sie in drei Zweige
aufgeteilt: 1. Raketenexperimente, 2. Instrument auf der Sonnensonde und 3. Ballonteleskop. Von ihnen soll der Reihe nach die Rede sein. Begonnen haben sie formal alle noch
an der Landessternwarte, durchgeführt wurden sie ab 1969 aber im Rahmen des neuen
Max-Planck-Institutes. Das hat sich nicht nur wissenschaftlich und technisch ausgezahlt,
sondern auch dazu geführt, dass das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft
den Institutsneubau Anfang der 1970er Jahre durch einen bedeutenden Zuschuss aus
Mitteln der Weltraumforschung förderte. In der Institutssatzung vom Jahre 1969 wurde
deshalb im § 1 als Zweck des MPIA bestimmt: „Das Institut ist der Forschung auf dem
Gebiet der optischen und der extraterrestrischen Astronomie gewidmet.“
2.9.2 Raketen-Experimente
Christoph Leinert, Hartmut Link und Eckhart Pitz entwickelten zur technischen und
wissenschaftlichen Vorbereitung des geplanten größeren Experimentes auf der Sonnensonde ein kleines Raketen-Experiment. Fünf Photometer mit 5 cm-Linsen sollten Helligkeit, Farbe und Polarisation des Zodiakallichtes in verschiedenen Wellenlängenbereichen des Sichtbaren messen. Das Flugexperiment wurde bei der Firma Dornier gebaut
und in Heidelberg geeicht. Auf einer zweistufigen Skylark-Höhenforschungs-Rakete
wurde es als Projekt „R-214“ am 2. Juli 1971 von Sardinien aus in eine Flughöhe von
224 km gestartet (Abb. 2.9-2). In vier Minuten Messzeit wurden die wissenschaftlichen
Beobachtungen durchgeführt. Die Nutzlastspitze mit einem französischen RöntgenExperiment war auf die Sonne ausgerichtet, das dahinter im Schatten liegende Heidelberger Instrument beobachtete auf Kreisen um die Sonne mit einem geringsten Abstand
von 15 Grad das interplanetare Streulicht. Es wurde herausgefunden, dass die größte
Helligkeit des Zodiakallichts überraschenderweise nicht auf der Ekliptik liegt. Der Flug
brachte auch eine Bestätigung für das neu entworfene optische Streulicht-Blendensystem,
das das um Größenordnungen hellere direkte Sonnenlicht abschirmen musste und später
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Abb. 2.9-2: Start einer Skylark-Rakete am 2. Juli 1971 von Sardinien aus. In
der Nutzlastspitze befindet sich das erste Raketen-Experiment R214 des MPIA
zur Messung des Zodiakallichtes nahe bei der Sonne (Hartmut Link).
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Abb. 2.9-3: Die zweistufige Skylark-Rakete mit dem ZodiakallichtExperiment des MPIA vor dem Start in Huelva, Südspanien, im
Jahre 1975. Die Raketenspitze mit den empfindlichen Messinstrumenten ist noch mit einer lichtundurchlässigen Staubkappe abgedeckt, die erst kurz vor der Zündung entfernt wird. Der Start wurde
mit der mobilen Raketenbasis (MORABA) der damaligen Deutschen
Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt durchgeführt (Günther Hille).
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auf der Sonnensonde eingesetzt werden sollte. Unter der Leitung von Eckhart Pitz entstand in den frühen 1970er Jahren ein weiteres Raketenexperiment zur Messung des
Zodiakallichts im Ultravioletten. Als „ASTRO-7“ wurde es am 9. Oktober 1975 von
Huelva in Spanien auf einer Skylark-Rakete gestartet (Abb. 2.9-3). Dieses 2-Achs-stablisierte Instrument konnte den Himmel abrastern und legte Messbahnen über Ekliptik,
Milchstraße, den Pol der Ekliptik und Eichsterne. Mit den neuen Beobachtungen konnte
auch eine Theorie widerlegt werden, nach der das Zodiakallichtspektrum zum Ultravioletten hin im Vergleich zum Sonnenspektrum stark ansteigen sollte. Das glaubten amerikanische Astrophysiker aus Streurechnungen an kleinen Modell-Staubteilchen herausgefunden zu haben.
2.9.3 Die Sonnensonde HELIOS
Zum Gold-Standard der Zodiakallicht-Messungen im Sichtbaren sollten die Messungen
mit den beiden Sonnensonden HELIOS werden. Aus der Taufe gehoben wurde dieses
Raumfahrtvorhaben bei einem USA-Besuch des damaligen Bundeskanzlers Ludwig
Abb. 2.9-4: Bau der Sonnensonde
HELIOS bei der Firma MBB in
Ottobrunn. Die Außenseiten der
großen „Garnrolle“ sind mit
Sonnenzellen belegt. Dahinter sind
im Schatten die Experimente angeordnet, darunter das ZodiakallichtInstrument des MPIA (MBB).
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Erhard bei Präsident Lyndon B. Johnson im Jahre 1965. Das wichtigste Anliegen Erhards
bei dieser Reise war es, die drückenden Stationierungskosten für die amerikanischen
Streitkräfte in Deutschland zu verringern. Das verweigerten die Amerikaner. Um dennoch ein vorzeigbares Ergebnis der Reise heimbringen zu können, bot Präsident Johnson
einen Besuch des Raketenstartplatzes Cape Kennedy und die Zusammenarbeit bei einem
Raumfahrtprojekt an: einer Raumsonde, die sich der Sonne bis auf ein Drittel des Erdabstandes nähern sollte. Diese Sonde wurde in der Folge in Deutschland bei der Firma
Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) gebaut, ein anspruchsvolles Vorhaben, da der
Flugkörper in der Sonnennähe sehr warm und einem hohen Fluss energiereicher Teilchen
ausgesetzt werden würde. Ludwig Biermann vom MPI für Physik und Astrophysik war
um einen Vorschlag für die Instrumentierung der Sonnensonde gebeten worden. Unter
seinen Vorschlägen zur Erforschung des interplanetaren Raumes war auch ein Zodiakallicht-Instrument. Biermann benannte sogleich einen geeigneten Experimentator: Hans
Elsässer. Der nahm das Angebot an und beauftragte seinen frisch angestellten Doktoranden Christoph Leinert mit der Ausarbeitung der technischen Einzelheiten und eines wissenschaftlichen Messprogramms. Diese Aufgabe war schwierig, weil der Satellit nicht
„dreiachs-stabilisiert“ war, sich also nicht auf gewünschte Positionen am Himmel ausrichten ließ. HELIOS war „spinstabilisiert“, die 4 m hohe „Garnrolle“ (Abb. 2.9-4)
rotierte mit 1 Umdrehung / Sekunde. Leinert entwarf drei kleine Fernrohre mit 5 cmLinsen und einem langen Streulichtblenden-System (Baffle) vor jeder Linse, die das Sonnenlicht um das Billionenfache zu unterdrücken hatte (Abb. 2.9-5). Als Empfänger dienten Photomultiplier. Dem Drehen des Satelliten wurde durch Sammeln der Daten längs
kleiner Winkelabschnitte am Himmel und Mittelwertbildung begegnet. Zwei Fernrohre
rasterten Bahnen parallel zur Ekliptik ab und näherten sich dabei der Sonne bis auf 15°
Abstand. So dicht an die Sonne heran waren zuverlässige Zodiakallicht-Messungen noch nie
gelungen. Das dritte Fernrohr schaute in der Drehachse der Sonde zum Pol der Ekliptik,
dem dunkelsten Punkt am Himmel.
HELIOS-A wurde im Dezember 1974 mit einer Atlas-Centaur-Rakete von Cape Canaveral
gestartet. HELIOS-B folgte im Januar 1976. Diese zweite Sonde war gegenüber der
ersten „auf den Kopf gestellt“, sie beobachtete diesmal den Nordhimmel. Weil die interplanetare Staubwolke auf einer Strecke von 150 bis 45 Millionen Kilometer Sonnenabstand durchquert wurde, konnte mit den Sonnensonden durch „in situ“-Messungen ein
dreidimensionales Bild der Staubwolke im inneren Sonnensystem gewonnen werden. In
Erdbahn-Nähe findet man etwa ein Dutzend Staubteilchen pro Kubikkilometer mit
typischen Teilchengrößen von einigen Mikrometern. Der Staub stammt je zur Hälfte aus
dem Asteriodengürtel und von Kometen.
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Abb. 2.9-5: Die drei kleinen Zodiakallicht-Photometer für die Sonnensonde HELIOS werden von
Christoph Leinert (Principal Investigator, rechts) und Norbert Salm (Elektroniker) im Labor
geprüft. Auffallend sind die langen Blendenrohre aus Kohlefaser zur Verhinderung von Sonnenstreulicht (MPIA).
Der Erfolg der Sonnensonden veranlasste Vorschläge für weitere Vorhaben: HELIOS-C
und ULYSSES, eine Sonde mit einer Bahn aus der Ekliptik heraus über die Pole der
Sonne. Letztere wurde tatsächlich gebaut und zu einem bedeutenden wissenschaftlichen
Erfolg. An diesen neuen Forschungsmöglichkeiten waren die Wissenschaftler des MPIA
stark interessiert. Aber die Weichen wurden anders gestellt. Während der Verantwortliche
Wissenschaftler (Principal Investigator) Leinert und seine Kollegen Pitz und Link nach
dem geglückten Start von HELIOS-A noch auf der Rückreise von Cape Canaveral nach
Heidelberg waren, verkündete Elsässer bei der Weihnachtsfeier 1974 den übrigen Mitarbeitern des Institutes den Schlussstrich unter die Zodiakallicht-Forschungen. An weiteren
Sonden sollte sich das MPIA nicht mehr beteiligen, da ihm die offenen Fragen weitgehend gelöst schienen. Die verblüfften Rückkehrer haben dann aber noch über 12 Jahre
erfolgreich an der Datenauswertung für die beiden Sonden gearbeitet. HELIOS-A hat
elf Jahre und HELIOS-B vier Jahre gemessen, so dass ein ganzer Sonnenfleckenzyklus
90
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abgedeckt werden konnte. Bei diesem Projekt gab es lebhaften wissenschaftlichen Austausch mit dem MPI für Kernphysik, das unter der Leitung von Hugo Fechtig, Jochen
Kissel und Eberhard Grün Staubdetektoren auf HELIOS und ULYSSES flog.
2.9.4 Das Ballon-Teleskop THISBE
Parallel zu Raumsonden und Raketen begann im Jahre 1967 die Planung für ein Ballonteleskop. Während die Beteiligung an einem Experiment für eine Raumsonde oder einen
Satelliten viele Jahre erfordern und Raketenexperimente nur einige Minuten Beobachtungszeit erlauben, sollte ein Ballonteleskop jährlich stundenlange Flüge zu vergleichsweise sehr geringen Kosten ermöglichen. Mit der Leitung wurde Dietrich Lemke beauftragt, der gerade seine Doktorarbeit abgeschlossen hatte. Die Firma Dornier erhielt den
Auftrag zum Bau einer Ballongondel nach technischen und wissenschaftlichen Vorgaben
aus Heidelberg. Diese Gondel sollte in der Stratosphäre ein Teleskop auf jede Stelle des
Himmels ausrichten können. Sie musste die wissenschaftlichen Daten eines mehrstündigen Fluges zur Bodenstation funken können und eine sichere Landung mit einfacher
Instandsetzung für den nächsten Flug erlauben. Die Teleskope sollten leicht austauschbar
sein. Sie sollten je nach wissenschaftlicher Fragestellung von Diplomanden oder Doktoranden des Institutes gebaut werden. Mit einem Ballon lassen sich je nach Größe der
Hülle Flughöhen von 30 bis 40 km erreichen. Dabei können ~ 99 % der Erdatmosphäre
überwunden werden. Damit werden Beobachtungen im Infraroten und mittleren Ultraviolett möglich. Den bei solchen Vorhaben üblichen Wettstreit zur Namensgebung für
das „Raumfahrzeug“ gewann ein Mitarbeiter bei Dornier: THISBE = Telescope of Heidelberg for Infrared Studies by Balloon-Borne Experiments. (Thisbe und Pyramus, ein babylonisches Liebespaar, wurden in Shakespeares „Sommernachtstraum“ verewigt).
THISBEs Erstflug startete am 30. September 1969 vom Erprobungsgelände der Bundeswehr in Meppen im Emsland. Die technische Durchführung hatten Kollegen von der
Universität Kiel übernommen, die ähnliche Ballon-Experimente zur Erforschung der
kosmischen Strahlung durchführten. THISBE erreichte eine Flughöhe von 29 km,
musste aber wegen starken Westwindes bald landen. Keinesfalls durfte sie in die Nähe
der innerdeutschen Grenze („Eiserner Vorhang“) gelangen. Bei der Bergung der unbeschädigt gelandeten Gondel in der Lüneburger Heide durch einen Hubschrauber der
Bundeswehr wurde schnell klar, was die schwer deutbaren Datensignale verursacht hatte.
Die motorisch betriebenen Abdeckklappen der vier 10 cm-Fernrohre hatten sich nicht
vollständig öffnen lassen und auch der Höhenachsenantrieb der Gondel war steckenge-
91
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Abb. 2.9-6: Die beim ersten Testflug des Ballonteleskops THISBE aufgetretenen Schwierigkeiten bei
Mechanik und Elektronik waren offenbar durch die sehr niedrigen Temperaturen in der Stratosphäre verursacht worden. In Schutzkleidung betreten Hubert Schütz (links) und Dietrich Lemke
die Kältekammer der IABG in München-Ottobrunn. Hier konnte bei einer Temperatur von –45° C
gearbeitet werden, dabei wurden alle technischen Probleme erkannt und behoben. Die Kammer war
auch abpumpbar, so dass ein unbemannter Flug in die Stratosphäre vollständig simuliert werden
konnte (Lemke).
blieben. Offenbar hatte die Kälte in der Stratosphäre (– 60° C) die Probleme verursacht:
Vereisung, nicht ausreichend kältefeste Schmierung, Materialversprödung, zu geringes
Spiel von Lagern und Getrieben. Gründliche Fehleranalyse, Umbau und Erprobung des
gesamten Ballonteleskops in einer großen Kälte-Vakuumkammer in München-Ottobrunn (Abb. 2.9-6) haben dann alle durch die Kälte verursachten mechanischen Probleme beseitigt. Die dabei gewonnenen Erfahrungen hat das MPIA später zu immer
anspruchsvolleren Kryo-Mechanismen für die folgenden Infrarot-Satelliten-Experimente
auf GIRL, ISO, Herschel und JWST ermutigt.
Die meisten Flüge von THISBE wurden vom Startplatz des amerikanischen Zentrums
92
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Abb. 2.9-7: THISBE vor dem Start vom Flugplatz der National Centers for Atmospheric Research
in Palestine, Texas. Im Hintergrund wird ein 50000 m³ Plastik-Ballon zu 1% seines Volumens mit
Helium gefüllt. Beim Aufstieg dehnt sich das Gas aus und füllt schließlich die gesamte Ballonhülle.
Da der Ballon unten offen ist, sind dort Innen- und Außendruck gleich. Deshalb reicht die dünne
Plastikhülle (25 Mikrometer) aus, um das Füllgas gefangen zu halten. In 33 km Höhe sind 99 %
der Atmosphäre überwunden, beim Flug auf 41 km Höhe sogar 99,6 % (Lemke).
für Atmosphärenforschung (NCAR) in Palestine (Texas) durchgeführt (Abb. 2.9-7). Mit
kleinen Teleskopen, die von den damaligen Studenten Werner Gabsdil, Wilfried Hofmann, Albrecht Frey u. a. gebaut wurden, gelangen Messungen des Zodiakallichts vom
mittleren Ultravioletten bis zum nahen Infraroten. Mit einem trockeneisgekühlten
15 cm-Teleskop (Abb. 2.9-8) wurde der hinter dichten interstellaren Staubwolken verborgene Zentrumsbereich unserer Milchstraße im nahen Infraroten kartiert.
Die Arbeiten mit dem Ballonteleskop hatten einen völlig anderen Charakter als die späteren Weltraumexperimente auf Satelliten. Für die Ballongondel wurden alle Instrumente
im Institut gebaut, die Beobachtungsprogramme eigenhändig in den Lochstreifen für die
Steuerelektronik gestanzt. Umbauten der Instrumente für den nächsten Flug mussten in
93
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Abb. 2.9-8a u. b: Das trockeneisgekühlte Infrarotteleskop in der Ballongondel THISBE
vor einem Nachtstart. Daneben die bei diesem Flug gewonnene 2.4 μm-Karte des
Zentralbereiches der Milchstraße. Im Optischen ist dieser Bereich durch interstellare
Staubwolken verdunkelt. Im nahen Infraroten wird die Ansammlung von Milliarden
kühler Sterne erkennbar (Wilfried Hofmann).
94
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Abb. 2.9-8b
wenigen Tag- und Nachtschichten von Studenten und Technikern aus dem Institut
durchgeführt werden. Dabei waren alle Beteiligten vor Ort stark gefordert, es musste viel
improvisiert werden, aber es wurde auch sehr viel gelernt. Der heute bei modernen Satellitenexperimenten notwendige teure und lang andauernde Produktsicherungs-Aufwand,
die gewaltige Dokumentation und die vielen Projekt-Reviews wurden damals nicht
durchgeführt. Trotz dieser Einfachheit und schnellen Startfolge (bis zu drei Flüge in zwei
Monaten) haben über die Hälfte der insgesamt 17 Flüge mit THISBE wissenschaftliche
Daten geliefert. Die restlichen Versuche waren Fehlstarts, Erprobungen, technische Pannen. Satelliten-Experimente sind dagegen fast immer erfolgreich, kosten aber leicht das
Vielhundertfache und erfordern über ein Jahrzehnt für Vorbereitung und Durchführung.
THISBE hat dank ihrer robusten Konstruktion alle Urwald- und Gebirgslandungen fast
unbeschädigt überstanden. Selbst Einschusslöcher blieben ihr erspart, wie sie in anderen
Gondeln gefunden wurden, bei denen unwissende Einheimische die Landung der vermuteten „Extraterrestrischen“ verhindern wollten. Das Ballon-Teleskop wurde 2007
95
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zusammen mit einem Experiment der Sonnensonde Helios dem Landesmuseum für
Technik und Arbeit in Mannheim übergeben, dort warten sie auf eine geplante Ausstellung über „unzugängliche Räume“.
2.9.5 Ein GIRL wird kaltgemacht
Das THISBE-Programm wurde 1980 eingestellt, weil sich eine viel bequemere Beobachtungsmöglichkeit im richtigen Weltraum anbot. Auf der neuen amerikanischen Raumfähre (Space Shuttle) sollte das von Europa bereitgestellte Spacelab bis zu 250 Mal zum
Einsatz kommen. In Deutschland wurde für ein Nutzungsprogramm geworben, es schien
sogar möglich, dass gesunde Forscher mit ihren Laborgeräten an Bord gehen und nach
zwei Wochen mit ihren Daten wieder auf der Erde landen. Gefördert durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie wurde durch die Firma MesserschmittBölkow-Blohm ab 1978 ein mit flüssigem Helium gekühltes 40 cm-Infrarot-Teleskop
entworfen. Es erhielt den Namen GIRL = German Infrared Laboratory. Es sollte mit
dem von der Firma Dornier entworfenen Instrument-Pointing-System (IPS) vom Spacelab aus auf jeden Punkt des Himmels ausgerichtet werden können (Abb. 2.9-9). Das
GIRL-Teleskop wurde mit drei astronomischen Instrumenten (aus Garching, Tübingen
und Heidelberg) und einem atmosphären-physikalischen Instrument (aus Wuppertal)
ausgerüstet. Projektwissenschaftler von GIRL und Principal Investigator des Heidelberger
Infrarot-Photometers wurde Dietrich Lemke vom MPIA. Am MPIA wurde ein neuartiger Sperrklinkenantrieb für die Filterräder zum Messbetrieb nahe dem absoluten Temperatur-Nullpunkt (–273° C) entwickelt und zur Einsatzreife gebracht. Gemeinsam mit
der Industrie wurden hochempfindliche Detektoren für das ferne Infrarot entwickelt,
wobei das Heidelberger Labor die Charakterisierung unter simulierten Weltraumbedingungen übernahm. Ähnlich erfolgreich waren die Entwicklungen in den anderen deutschen Instituten und in der Industrie angelaufen.
Es war deshalb ein Schock für alle Beteiligten, als im Februar 1985 das Bundesministerium für Forschung und Technologie den Abbruch des GIRL-Projektes verfügte. Hauptgrund für diese Entscheidung war, dass die von der NASA genannten Flugkosten auf
dem Space Shuttle von Jahr zu Jahr immer höher wurden. Die Bemannung des Shuttles
erforderte einen viel höheren Sicherheitsaufwand als das bei unbemannten Flugkörpern
nötig ist. Und obwohl das Spacelab-Programm noch gar nicht richtig angelaufen war,
wurde bereits gleichzeitig die Raumstation geplant. Dort sollte wiederum alles besser
und billiger werden. Da an viele Einsätze von GIRL auf dem Spacelab nun nicht mehr
96
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Abb.2.9-9: Das German Infrared Laboratory GIRL in der Ladebucht des Space-Shuttles. Es
sollte astronomischen und aeronomischen Messungen mit einem heliumgekühlten 40 cm-Teleskop
dienen. Vor der Fertigstellung wurde das Projekt wegen der stark gestiegenen Flugkosten durch
das Forschungsministerium abgebrochen (MBB).
zu denken war, stoppte das Forschungsministerium die Entwicklung nach sieben Jahren
und Ausgaben von fast 50 Millionen DM. Die Ausgaben waren nicht komplett verloren,
sondern erwiesen sich doch noch als gute Investition. MBB konnte ein dem GIRL ähnliches Gerät im Rahmen des amerikanischen SDI-Programms liefern. Die wissenschaftlichen Experimentatoren von GIRL waren in eine gute Ausgangslage für die Bewerbung
97
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um anstehende europäische Satellitenprojekte gekommen. Ein halbes Jahr nach dem
Abbruch von GIRL wurde das MPIA mit Dietrich Lemke als Principal Investigator für
ein Instrument auf dem ersten Infrarot-Weltraum-Observatorium ISO der ESA ausgewählt, Näheres dazu im Kapitel 3.5.1 Die Abbruchsentscheidung des Ministeriums hat
sich nachträglich als Eingeständnis des Scheiterns der Spacelab-Nutzung erwiesen, denn
statt hunderter sind wegen der sehr hohen Kosten und Zeitverzögerungen nur wenige
Spacelab-Flüge vom Boden gekommen. Und auch die Raumstation wird, wie von den
Astrophysikern lange vorher befürchtet, astronomisch bisher kaum genutzt: ungünstige
Umlaufbahn, wechselnde thermische Umgebung, gestörte Stabilisierung, kontaminierte
Umgebung.
2.10 Wissenschaftliche Programme am Calar Alto und auf La Silla
(1970 – 1990)
Bereits während der Aufbauphase der neuen bodengebundenen Teleskope wurde deren
wissenschaftliche Nutzung intensiv vorbereitet. Dabei konnten die Fernrohre der Landessternwarte auf dem Königstuhl und die der Europäischen Südsternwarte in Chile
genutzt werden. Mehrere Mitarbeiter des MPIA waren längere Zeit als Gastwissenschaftler an ausländischen Instituten, vor allem in den USA, und hatten dort Zugang zum
Beobachten an großen Teleskopen. Mit der Inbetriebnahme der Teleskope am Calar Alto
kamen Wissenschaftler von anderen deutschen und internationalen Observatorien für
mehrjährige Forschungsaufenthalte nach Heidelberg. Dieser zunehmende Austausch
brachte neue Ideen und fruchtbare wissenschaftliche Diskussionen in die Institutskolloquien. Es begann ein breitgefächertes Forschungsprogramm, von Objekten des Sonnensystems bis zu den fernsten Galaxien. Die neuen Teleskope waren ständig überbucht.
Die Beobachtungszeit wurde von einem international besetzten Calar Alto Programmkomitee nach wissenschaftlicher Güte vergeben. Dabei diente für die Zeitvergabe als
Richtschnur: 45 % MPIA, 40 % deutsche Institute, 15 % Spanien. Ausländische Astronomen erhielten Beobachtungszeit als Kooperationspartner einer der vorstehenden Gruppen. Nach einigen Jahren Beobachtungsbetrieb schälten sich mehrere besonders interessante und erfolgreiche Forschungsrichtungen heraus. Zwei sollen hier als Beispiele für
die Arbeit der 1970er und 1980er Jahre am MPIA angeführt werden.
98
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2.10.1 Geburtsstätten der Sterne
Die Entstehung der Sterne wurde in den 1970er Jahren zu einem der spannendsten
Themen der Astronomie. Die frühen Phasen der Sternentstehung können optisch nicht
beobachtet werden, da sie im Inneren dichter interstellarer Wolken vor sich gehen. Die
Staubteilchen in diesen Wolken haben eine Größe vergleichbar der des sichtbaren Lichtes,
also etwa einige Tausendstel Millimeter. Das führt zu starker Wechselwirkung und
Absorption. Beobachtungen im neu erschlossenen Spektralbereich der längerwelligen
Infrarot-Strahlung dagegen erlauben einen Blick in das staubverdeckte Innere der
Wolken, auf die tatsächlichen Geburtsorte der Sterne. Gleichzeitig konnte mit den ersten
leistungsfähigen Rechnern der Kollaps einer interstellaren Wolke zu einem oder mehreren
Protosternen und die folgende Entwicklung zu einem Stern ähnlich dem unserer Sonne
theoretisch nachvollzogen werden.
Ein Erfolg versprechender Beginn war die eingehende Beobachtung von Objekten, die
Sternentstehungsgebiete enthalten. Das sind beispielsweise Gasnebel, die stets von mindestens einem sehr jungen, heißen Stern (Temperatur > 20000 K) zum Leuchten angeregt
werden. Um ihre hohe Leuchtkraft zu erzeugen, verbrauchen solche Sterne ihre Kernenergievorräte sehr schnell. Sie können deshalb erst vor astronomisch kurzer Zeit entstanden sein. Bekanntes Beispiel für diese Objektklasse ist der helle Orionnebel, zum
Leuchten angeregt durch vier in Form eines Trapezes beieinander stehende junge, heiße
Sterne. Wie wir heute durch räumlich hoch aufgelöste Beobachtungen mit dem HubbleWeltraumteleskop wissen, sind im umgebenden Orionnebel eine große Zahl gerade entstandener Sterne beheimatet.
Bei den Untersuchungen in den späten 1970er Jahren wurden die Forscher des MPIA
auf eine besondere Untergruppe von kompakten Gasnebeln aufmerksam: die bipolaren
Nebel. Sie zeigen zwei in entgegengesetzte Richtungen ausströmende Gaswolken (Flügel),
getrennt durch eine dunkle Lücke. Besonders intensiv wurde der bipolare Nebel S106
am Calar Alto untersucht, der damals geradezu zum „Wappentier“ des MPIA wurde
(Abb. 2.10-1). Messungen mit dem Coudé-Spektrographen durch Josef Solf zeigten,
dass mit Staub vermischtes heißes Gas mit vielfacher Schallgeschwindigkeit vom Zentrum in die beiden „Flügel“ fließt. Durch Infrarot-Messungen von Carlos Eiroa und Kollegen wurden in der dunklen Lücke, einer lichtabsorbierenden Staubscheibe, der das
Leuchten des Gases anregende heiße junge Stern gefunden. Bei Durchmusterungen der
Milchstraße konnten Thorsten Neckel und Jakob Staude viele weitere bipolare Nebel
finden und am Calar Alto nachuntersuchen. Alle zeigten einen ähnlichen Aufbau: von
einem heißen kurzlebigen Stern (vom Typ O oder B) strömt heißes leuchtendes Gas in
99
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Abb. 2.10-1: Der bipolare Nebel
S106, aufgenommen mit einer
Bildwandlerkamera im nahen
Infraroten. Im Zentrum (Pfeil) ist
der anregende junge, heiße Stern
erkennbar. Im Optischen ist dieser
Stern nicht zu sehen, da die ihn
umgebende Staubscheibe sein Licht
millionenfach schwächt. Der
untere vom Stern wegströmende
Gasflügel erscheint heller, da er auf
uns zu geneigt ist (Carlos Eiroa).
zwei Flügel, die senkrecht auf der Staubscheibe stehen, in ihrer Mitte befindet sich der
anregende Stern. Das führte Elsässer und Staude zu ihrem Modell für die Sternentstehung: Ein neuer Stern ist stets von einer dünnen Staub- und Gasscheibe umgeben, aus der
später Planeten entstehen können. In die Polrichtungen strömt Materie ab und führt
dabei überschüssigen Drehimpuls ab, was zur weiteren Kontraktion des Systems führt (Abb.
2.10-2). Dieses Modell wurde seither vielfach bestätigt und verfeinert.
Bei einer besonderen Gruppe sehr junger Sterne vom Typ T Tauri wurden ab 1983 von
Reinhard Mundt schlauchförmige Ausströmungen (Jets) entdeckt. Sie enden im dichten
interstellaren Material mit einer aufgestauten Kopfwelle. Manche dieser hellen Kopfwellen, oder auch helle Knoten im Jet, waren früher schon isoliert als Herbig-Haro-Objekte
wahrgenommen worden. Am MPIA wurde die direkte Verbindung zwischen diesen
Objektklassen geklärt. Thomas Bührke, Reinhardt Mundt und Tom Ray haben die
Eigenschaften des Stern/Jet-Systemes gemessen: Abströmgeschwindigkeit im Jet bis zu
400 km/s, Massenverlust des Sterns etwa ein Milliardstel Sonnenmasse pro Jahr, Gas-
100
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Abb. 2.10-2: Modell für junge Sterne, nach Elsässer und Staude. Die Sterne entstehen in dichten,
kalten Molekülwolken. Sie sind anfangs von einer Staubscheibe umgeben, aus der eventuell Planeten
entstehen. In Polrichtung des rotierenden Sternes strömt Gas ab, das durch die Ultraviolett-Strahlung des Sternes zum Leuchten angeregt wird. Vergleiche dazu Abb. 2.10-1 (Jakob Staude, Hans
Elsässer, MPIA).
dichten etwa 100 Teilchen pro Kubikzentimeter. In günstigen Fällen gelang durch CCDAufnahmen am 3.5 m-Teleskop der Nachweis des „Gegen-Jets“ (Abb. 2.10-3). Diese Jets
führen im Zeitraum von 1 Million Jahren den Drehimpuls aus der Geburtswolke des
Sterns ab und ermöglichen so die weitere Kontraktion von Stern und Scheibe. Bei verschiedenen Quellen konnten über einen Zeitraum von einigen Jahren sogar die Eigenbewegungen der Knoten in den Jets gemessen werden.
Mit dem Speckle-Interferometer stand ab 1985 am Calar Alto ein Instrument zur Abbildung mit hoher räumlicher Auflösung zur Verfügung. Statt der durch die Luftunruhe auf
etwa eine Bogensekunde begrenzten Auflösung, konnten im nahen Infraroten nun auf
101
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Abb. 2.10-3: Bipolarer Jet eines jungen
Sterns. Der südliche Jet ist im Licht
einer Schwefellinie über eine weite
Strecke erkennbar, er endet mit einer
Kopfwelle (Herbig-Haro 34S). Die
Kopfwelle des nördlichen Jets ist oben
als HH34N erkennbar, während der
größte Teil des nordwärts laufenden
Jets durch davor liegenden Staub
verdeckt ist. Aufnahme mit dem
3.5 m-Teleskop am Calar Alto
(Reinhardt Mundt, Thomas Bührke,
Tom Ray).
102
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4.0
FV TAU 17. Okt. 89
Signal [ V ]
3.0
2.0
1.0
0
0.5
1.0
t[s]
1.5
2.0
Abb. 2.10-4: Ende der Mondbedeckung des Sterns FV Tau am
17. Oktober 1989 um 23 h 25 m 58 s UT. Die gesamte Beobachtung mit dem 3.5 m-Teleskop am Calar Alto dauerte nur zwei
Sekunden. Dabei wurde FV Tau durch zwei Signalsprünge als
Doppelstern erkannt, mit einem Abstand von 0.537 Bogensekunden
der beiden Komponenten. Die beiden Helligkeitsanstiege sind
nicht ideal treppenförmig, sondern zeigen die zu erwarteten Beugungsmuster (Martin Haas, Christoph Leinert, Andrea Richichi,
Hans Zinnecker).
Zehntelbogensekunden scharfe Bilder erhalten werden. Dazu muss ein Objekt sehr kurz
belichtet werden (~ 1/100 s), dann erhält man „unterbelichtete“ Bilder, aber mit beugungsbegrenzter Information. Von denen wird eine große Zahl wie in einem digitalen
Film aufgezeichnet. Im Rechner kann daraus ein nahezu beugungsbegrenztes (scharfes)
Bild erzeugt werden. Bei der sonst üblichen längeren Belichtungszeit würden sich die
Beugungsscheibchen zu einem verwaschenen Fleck von etwa einer Bogensekunde Durchmesser (Seeing-Scheibchen) überlagern. Mit dieser Methode konnten Christoph Leinert
und Martin Haas die Durchmesser der Staubscheiben um sehr junge Sterne messen und
die häufige Doppelnatur der massearmen jungen Sterne nachweisen. Anschließend haben
die beiden Wissenschaftler die schnelle Speckle-Kamera für ein weiteres Verfahren zur
hohen räumlichen Auflösung eingesetzt: die Mondbedeckungen. Der Mond bewegt sich
vergleichsweise schnell am Himmel, in einer Stunde um etwa ½ Grad, was gerade seinem
103
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Winkeldurchmesser am Himmel entspricht. Taucht ein zuvor vom Mond bedecktes
Objekt am dunklen Mondrand wieder auf, zeigt die Strahlung eine charakteristische
Helligkeitsschwingung (Fresnel-Beugung), aus der der Durchmesser des Objektes berechnet werden kann. Die Abb. 2.10-4 zeigt die Mondbedeckung des jungen T Tauri-Sterns
FV Tau, bei dem die Doppelsternnatur dieses Objektes erkannt wurde. Da der Mond im
Laufe der Jahre einen mehrere Grad breiten Streifen am Himmel überstreicht, konnten
eine größere Zahl von Quellen aufgelöst werden. Das Verfahren erfordert allerdings
lange Vorausberechnungen für eine interessante Bedeckungserscheinung und kann natürlich nur in der Nacht und bei gutem Wetter durchgeführt werden.
Das Arbeitsgebiet der Sternentstehung, hier mit wenigen frühen Beispielen eingeführt,
ist bis heute ein Hauptarbeitsgebiet des MPIA geblieben. Seit der Ankunft von Thomas
Henning wurde es erweitert und um die damit zusammenhängende Planetenentstehung
ergänzt (Kapitel 3.6).
2.10.2 Galaxien und Quasare
Ein heißes Thema zu Beginn der 1980er Jahre war die Natur der Quasare, heller punktförmiger („quasistellarer“) Objekte mit hoher Rotverschiebung, die auf hohe Entfernungen im Kosmos hindeuteten. Viele dieser bläulichen Objekte zeigten außerdem starke
Radiostrahlung, andere waren „radioruhig“. Radioastronomen katalogisierten bei Durchmusterungen des Himmels zahlreiche Quellen, deren Spektrum auf ihre Quasar-Natur
hindeutete.
Am 1.23 m- und am 2.2 m-Teleskop begann eine Suche nach den optischen Gegenstücken
von kompakten Radioquellen, die eventuell Quasare sein könnten. Dabei erlaubten es
die neuen Teleskope mit den lichtelektrischen Kameras, schwächere Quellen zu erfassen,
als auf den berühmten Palomar-Photoplatten aufgezeichnet sind. Mit weiteren Beobachtungen zur Veränderlichkeit und Polarisation, charakteristischen Merkmalen dieser neuen
Objektklasse, konnten eine Reihe von bisher unbekannten Quasaren identifiziert werden.
Solange das 3.5 m-Teleskop noch nicht verfügbar war, musste Beobachtungszeit am 3.6 mTeleskop der ESO in Chile eingeworben werden. Dabei gelangen Peter Wehinger und
Thomas Gehren im Primärfokus Aufnahmen von Quasaren, die die hellen Punktquellen
eingebettet in eine ausgedehnte Hülle zeigten. Folgeuntersuchungen mit dem 2.2 mTeleskop bestätigten: die Radioquasare liegen in den Zentren von elliptischen Galaxien.
Quasare als Kerne von Galaxien, das war damals eine aufregende Entdeckung!
Viele Quasare zeigen im Radiobereich eng gebündelte Ausflüsse (Jets). Sie erreichen Aus-
104
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Abb. 2.10-5: Die riesige elliptische Galaxie M87 befindet sich im Zentrum des Virgo-Galaxienhaufens. Dem Zentrum von M87 entspringt ein Jet, möglicherweise von einem dort befindlichen Schwarzen Loch. Der Jet leuchtet im Synchrotronlicht, das durch schnelle Elektronen im Magnetfeld des Jets
erzeugt wird. Polarisationsmessungen an diesem Jet zeigt Abb. 2.10-6 (Hubble Space Telescope).
105
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dehnungen von mehreren 100000 Lichtjahren von der Ursprungsgalaxie und enden mit
einer Bugwelle im intergalaktischen Gas. Dort, am Ende der Beschleunigungsstrecke des
Teilchenflusses, entsteht ein „Hot Spot“, eine kappenförmige helle Radioquelle über
dem Jet. Die Radiostrahlung wird bei der Beschleunigung von Elektronen in kosmischen
Magnetfeldern erzeugt, die den Jet bündeln. Diese Synchrotronstrahlung (nach dem
gleichen Prinzip wird sie in irdischen Teilchenbeschleunigern erzeugt) sollte also auch im
Optischen zu sehen sein. Und tatsächlich gelang es im Jahre 1985 Hermann-Josef Röser
und Klaus Meisenheimer mit dem 2.2 m-Teleskop auf La Silla die optische Synchrotronstrahlung am Radiojet des Quasars 3C33 nachzuweisen. Mit einer doppelten Kalkspatplatte wurden Doppelbilder in verschiedenen Polarisationsrichtungen erzeugt, aus denen
ein Polarisationsgrad von 30 % abgeleitet wurde, charakteristisch für die optische Synchrotronstrahlung. Mit dieser Entdeckung wurde ein weiterer Zugang zum Verständnis
des Beschleunigungsmechanismus der Elektronen ermöglicht. Weitere optische Hot
Spots wurden entdeckt, darunter Pic A mit 45 % Polarisation. Mit Infrarotmessungen
konnte 1987 die Lücke im Spektrum zwischen der optischen und der Radio-Synchrotronstrahlung geschlossen werden. Daraus folgten typische Werte für die Hot Spots: die
Magnetfeldstärke beträgt etwa 40 Nanotesla, das ist ein Tausendstel der Stärke des Erdmagnetfeldes, das unsere Kompassnadel ausrichtet. Die Jet-Geschwindigkeiten erreichen
20 bis 50 % der Lichtgeschwindigkeit, und die Zeitskala für die Beschleunigung der
relativistischen Teilchen beträgt etwa 1000 Jahre. Ein Ringberg-Workshop zu diesem
„heißen“ Thema zog 1988 viele amerikanische und britische Astronomen an.
Mit den neuen Instrumenten am Calar Alto wurden von Martin Schlötelburg und Klaus
Meisenheimer auch die bekannten optischen Jets von Galaxien untersucht. Eindrucksvoll
ist die Polarisationskarte des Jets von M87, einer elliptischen Riesengalaxie (Abb. 2.10-5)
im Zentrum des Virgo-Galaxienhaufens. Abb. 2.10-6 zeigt die perfekte Übereinstimmung von optischer und Radio-Polarisation ausgehend vom Galaxienkern über die Knoten
bis zum Hot Spot im NW. Dies und die große Helligkeit längs des gesamten Jets bedeuten
auch, dass die Teilchen dort ständig nachbeschleunigt werden müssen, ein Befund, der
zu neuen theoretischen Modellen führte.
Zu einer anhaltenden Erfolgsgeschichte wurde die Untersuchung wechselwirkender Galaxien. Das sind Sternsysteme auf kosmischem Kollisionskurs. Dabei ergeben sich sehr
enge Begegnungen oder gar Verschmelzungen. Sie führen zu ungewöhnlichem Aussehen
der Galaxien, oft zu langen „Gezeitenschwänzen“, die eine ähnliche Ursache haben wie
die beiden durch den Mond erzeugten um die Erde laufenden Flutwellen. Mit den
damals neuen Bildwandler- und CCD-Kameras konnten Josef Fried und Hartmut Schulz
im Jahre 1981 in der Galaxie NGC 6240 zwei Kerne im Abstand von 1.8 Bogensekunden
106
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Abb. 2.10-6: Polarisationsmessungen lassen die Richtung der Schwingungsebene der Lichtwellen
erkennen. Optische (650 nm) und Radio (2 cm) Polarisationsvektoren sind um einen kleinen Betrag
verschoben gezeichnet – sie stimmen gut überein, ein starker Hinweis auf die ständige Nachbeschleunigung der Elektronen, die bei optischer Abstrahlung mehr Energie verlieren (Klaus Meisenheimer).
(oder 2000 Lichtjahren) entdecken (Abb. 2.10-7). Die Kerne stammen aus den beiden
ursprünglichen Galaxien, die sich gerade in einem Verschmelzungsprozess befinden.
Reichlich Datennachschub erhielt dieses Forschungsfeld ab 1983, als mit dem IRASSatelliten bei der ersten Himmelsdurchmusterung im fernen Infraroten bei vielen optisch
ungewöhnlich aussehenden Galaxien große Leuchtkräfte entdeckt wurden. Ulrich Klaas
und Hans Elsässer starteten eine ausgedehnte Untersuchung der optischen Gegenstücke
zu den hellen Infrarot-Galaxien. Mit einer CCD-Kamera im Primärfokus des 3.5 mTeleskops und dem großen Langspalt-Spektrographen im Cassegrain-Fokus dieses Teleskops fanden sie heraus, dass das Aussehen der Objekte durch eine enge Wechselwirkung
zweier oder mehrerer Galaxien stark verändert wird (Abb. 2.10-8). Bei diesem Vorgang
werden interstellare Wolken in den Galaxien komprimiert. In kosmisch kurzer Zeit entstehen dabei viele neue Sterne („Starburst Galaxien“). Diese jungen Sterne „heizen“ die
umgebenden Staub- und Gaswolken, innerhalb derer sie gerade erst entstanden sind, auf
Temperaturen von etwa 40° K (–230° C) auf. Das führt zu großen Helligkeiten im
fernen Infraroten bei Wellenlängen um 100 μm.
Mehrere der hier beispielhaft für die 1980er Jahre vorgestellten Forschungsfelder sind
aktuell geblieben und werden uns beim Überblick über die jüngste extragalaktische Forschung am MPIA wieder begegnen (Kapitel 3.7).
107
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Abb. 2.10-7: Die Galaxie NGC 6240 in einer
Entfernung von 300 Millionen Lichtjahren. Diese
frühe CCD-Aufnahme im Roten zeigt im
Zentrum zwei Kerne im Abstand von 1.8 Bogensekunden. Frühere photographische Aufnahmen
von NGC 6240 waren im Kern stets überbelichtet und konnten die Doppelquelle nicht auflösen.
Die Galaxie ist offenbar aus der Verschmelzung
zweier kleinerer hervorgegangen. Aufnahme am
2.2 m-Teleskop auf dem Calar Alto (Josef Fried).
Abb. 2.10-8: Zwei Galaxien im Stadium der
Verschmelzung. Dieses Objekt IRAS 14168 + 8256
hat im Infraroten die gewaltige Leuchtkraft von
200 Milliarden Sonnenleuchtkräften, ausgelöst
durch eine hohe Sternentstehungsrate bei der Kollision.
Es befindet sich in einer Entfernung von über einer
Milliarde Lichtjahren. CCD-Aufnahme im Primarfokus des 3.5 m-Teleskops, die Helligkeiten sind in
Falschfarben codiert (Ulrich Klaas).
108
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2.11 Instrumentelle Entwicklungen an der technologischen Zeitenwende
Der Aufbau des MPIA fällt mit der zweiten technologischen Zeitenwende in der
Geschichte der Astronomie zusammen. Die erste Wende wurde im Jahre 1609 durch die
Erfindung des Fernrohres eingeleitet: der Übergang vom Beobachten mit unbewaffnetem
Auge (5 mm Öffnung) zu Fernrohröffnungen von mehreren Zentimetern und dem
damit verbundenen Vordringen in hundertfach größere Raumbereiche im Kosmos. Die
vergrößernden Fernrohre erlaubten auch ein besseres Auflösungsvermögen und damit
das erstmalige Erkennen der Jupitermonde, der Mondkrater und der Venus-Sichel.
Die zweite Zeitenwende fand ab den 1960er Jahren statt. Sie wird durch eine Vielzahl
neuer Technologien für die Astronomie charakterisiert: die stürmische Entwicklung der
Radio-Teleskope, die Verdrängung der Photoplatte durch CCDs, die Einführung von
elektronischen Rechnern, neuen Materialien und Regelungstechniken, Lasern, Tiefstkühltechniken, Erschließung neuer Spektralbereiche mit Teleskopen auf Ballons, Raketen
und Satelliten. Damit wurde das „Goldene Zeitalter“ der Astronomie eingeleitet, das uns
eine bis heute nicht abreißende Fülle von Entdeckungen im Kosmos beschert. Auf
einige Beispiele dieses Technologiewandels blicken wir in den folgenden Abschnitten
zurück.
2.11.1 Von der Photoplatte zum CCD
Die Teleskope des MPIA wurden Ende der 1960er Jahre überwiegend für photographische
Aufzeichnungen ausgelegt. Sie besitzen bildfehlerfreie Gesichtsfelder für Aufnahmen großer
Himmelsfelder. In fast jedem Stockwerk der Teleskopgebäude und auch im Heimatinstitut
gab es gut ausgerüstete Dunkelkammern, in den Kuppelgebäuden sogar einen Photoplatten-Wechselraum. Einfache lichtelektrische Detektoren gab es zwar zu dieser Zeit
bereits, so Photomultiplier oder Photozellen für das nahe Infrarot, aber alle diese Sensoren
hatten nur ein oder wenige Bildelemente (Pixel). Ihre Signale oder Pulse wurden mit
einem Zähler oder auf Papierstreifen festgehalten. Eine große Photoplatte dagegen hat
hunderte Millionen Bildelemente und kann gleichzeitig als dauerhafter Signalspeicher
dienen. Ihr entscheidender Nachteil ist aber: Photoplatten sind nicht besonders lichtempfindlich. 100 Photonen (Lichtquanten) sind nötig, um eine nachweisbare Schwärzung der Photoschicht zu bewirken, d.h. die Quantenausbeute der Photoplatte beträgt
nur ein Prozent. Außerdem können Helligkeitsunterschiede nur über einen begrenzten
109
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 110
Abb. 2.11-1: Die BildwandlerKamera, entwickelt von Max Beetz,
war im Jahre 1975 das erste
lichtelektrische Aufzeichnungsgerät
am 1.23 m-Teleskop (Kurt Birkle).
(dynamischen) Bereich aufgezeichnet werden, und das leider nicht linear, d.h. beispielsweise ein zehnfaches Signal bedeutet nicht genau eine zehnfache Schwärzung.
Als erster elektronischer „Verstärker“ bei der Bildaufzeichnung wurde die von Max Beetz
entwickelte Bildwandler-Kamera am MPIA eingesetzt (Abb. 2.11-1). Bei ihr lösen Photonen aus dem unsichtbaren nahen Infraroten (Wellenlänge ~ 1 μm) aus einer halbdurchlässigen Photokathode Elektronen aus. Diese werden mit Hochspannung auf einen
phosphoreszierenden Bildschirm beschleunigt und fokussiert, dort erzeugen sie ein sichtbares Bild des Objektes. Das wurde dann auf einer herkömmlichen Photoplatte aufgezeichnet. Mit der Bildwandler-Kamera wurden die ersten vielbeachteten Bilder am Calar
Alto erzeugt: in staubverhüllten Sternentstehungsgebieten wurden deutlich mehr junge
Sterne sichtbar.
110
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 111
Pulszahl m101
1. Dezember 1979, 23:34:50 SE+,
BD 57 DDR 741 10 Min B
97.8
85.2
32.6
0
510
515
Wellenlänge [Im]
520
Abb. 2.11-2: Eines der ersten Spektren aufgezeichnet mit dem ~ 1000 Pixel Dioden-Array von
Reticon an der „langen“ Coudé-Spektrographen-Kamera am 2.2 m-Teleskop am Calar Alto im Jahre
1979. Im Spektrum des Sternes 9. Größenklasse (BD 57° 741), aufgenommen bei einer Dispersion
von 4.4 Å/mm, erkennt man die Magnesium-Triplett-Linien (Pfeile) (MPIA).
Nach einem ähnlichem Prinzip arbeiten Bildverstärker für den optischen Bereich, die in
mehreren Stufen aus ganz schwachen Signalen, sogar aus einzelnen Photonen, hellere
Bilder erzeugen konnten. Mit einem zweistufigen Bildwandler wurde so am CoudéSpektrographen die Grenzhelligkeit einer „ungebackenen“ Kodak IIaO Photoplatte um
sechs Größenklassen (Faktor 250) bei gleicher Belichtungszeit gesteigert! Mit diesen
Bildverstärkern wurden bis 1981 noch Photoplatten belichtet. Dabei musste die Bildwandler-Kathode auf –30° C gekühlt werden, um den Dunkelstrom klein zu halten.
Außerdem musste viel Verlustwärme von der magnetischen Fokussiereinrichtung abgeführt werden. Weil diese Bildverstärker bei allen Instrumenten zur Bildaufzeichnung eingesetzt wurden, entstand im 2.2 m-Kuppelgebäude ein ganzes isoliertes Kühlrohrsystem,
mit Schlauchsteckern für Methanol (Kathode) und Wasser (Fokussierung).
Ab 1978 begannen dann schrittweise lichtelektrische Sensoren die photographische Aufzeichnung zu verdrängen. Zunächst wurden „Reticons“ eingesetzt, die in zwei Zeilen je
936 Photodioden (Pixel) boten. Mit einer Faseroptik an einem dreistufigen Bilderverstärker gekoppelt, konnten so Spektren elektrisch aufgezeichnet werden, zuerst am
Cassegrain-Spektrographen des 2.2 m-Teleskops (Abb. 2.11-2).
Guido Münch hat nach seinem Dienstantritt als Wissenschaftliches Mitglied am MPIA
1978 die Entwicklung der digitalen Bildsysteme vorangetrieben. Durch seine engen Verbindungen in die USA konnte er 1980 die Beschaffung einer ersten CCD-Kamera an das
MPIA erreichen. Sie wurde von Princeton Scientific Instruments geliefert, einer kleinen
111
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 112
Abb. 2.11-3: Das „CCD-Team“ des Institutes stellte ab Anfang der 1980er Jahre die Calar Alto
Sternwarte auf digitale Bildsysteme um, womit die bisher verwendeten Photoplatten aufgegeben
wurden. Von links: Walter Rauh (Steuerung und Datenerfassung), Karl-Heinz Marien (CCDs),
Uwe Graser (Verbindungs-Astronom auf dem Calar Alto) (MPIA).
von Wissenschaftlern betriebenen Firma, die diese Technik für das Hubble-Weltraumteleskop entwickelt hatte. Diese Kamera hatte 512 × 320 Pixel und wurde 1981 erstmals
für Direktaufnahmen im Cassegrain-Fokus des 2.2 m-Teleskops benutzt. Diese zweidimensionalen CCD-Kameras erlaubten auch die Aufzeichnung sehr langer Spektren,
wobei die Gitterspektren durch eine senkrecht dazu angebrachte Prismenanordnung in
mehreren Streifen nebeneinander aufgezeichnet werden konnten. In einer solchen „Echellette“-Konfiguration konnten der gesamte optische Spektralbereich und das nahe Infrarot
im Wellenlängenbereich 330 bis 1080 mm elektrisch registriert werden. Für die technische Entwicklung der digitalen Bildsysteme, insbesondere der CCDs, hatte seit 1979
Karl-Heinz Marien die Schlüsselrolle am Institut inne (Abb. 2.11-3).
Die Pixelzahlen der CCDs stiegen von Jahr zu Jahr an, ebenso ihre Empfindlichkeit. Ab
1990 wurde mit dem Tektronix CCD mit 1024 × 1024 Bildelementen und einer Pixelgröße von 24 μm eine „Standard-Kamera“ am Calar Alto eingeführt. Mehrere Exemplare
in stickstoffgekühlten Dewargefäßen konnten an allen Instrumenten eingesetzt werden
112
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 113
Abb. 2.11-4: CCD-Kameras ersetzten ab 1980 zunehmend die Photoplatte. Beispiele für den
technologischen Fortschritt am Calar Alto zeigen die drei CCDs von links nach rechts:
(1) 576 × 385 Pixel (je 22 μm), Hersteller GEC (1983);
(2) 1024 × 1024 Pixel (24 μm), Tektronix (1990);
(3) 4096 × 4096 Pixel (15 μm), Fairchild (2007)
(Karl-Heinz Marien)
(Abb. 2.11-4). Bei Direktaufnahmen des Himmels wurde nun nicht mehr das große
(~ 30 cm) Feld des Teleskops genutzt, denn die CCDs hatten damals nur eine Kantenlänge von knapp 2 cm. Aber dafür waren alle Daten der Kamera sofort in digitaler Form
vorhanden und mussten nicht, wie bei den Photoplatten üblich, langwierig mit Schwärzungsdichte-Messmaschinen digitalisiert werden. Der Hauptvorteil der CCDs ist ihre
große Quantenausbeute von ~ 90 % (gegenüber 1 % der Photoplatte), ihr hoher dynamischer Bereich und ihre gute Linearität. Im Jahre 1986 war der Technologiewechsel am
Calar Alto weitgehend vollzogen: Astrokamera, Photoplatten und Dunkelkammern hatten
ausgedient. Ein allerletztes mal kamen Photoplatten im Jahre 1991 bei Hans Elsässers
Suche nach großen Leerräumen zwischen Galaxien-Gruppen im Primärfokus des 3.5 mTeleskopes zum Einsatz. Für das Auffinden dieser „Voids“ sollten sehr große Felder
belichtet werden, das war damals mit den vergleichsweise kleinen CCDs noch nicht
113
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 114
möglich. Als wissenschaftlich ergiebiger als die Plattenaufnahmen erwiesen sich während
der Arbeit am Voids-Programm aber schließlich doch die empfindlicheren CCD-Aufnahmen mit dem Fokalreduktor des 3.5 m-Teleskopes, die ab 1993 von Elsässers letzter
Doktorandin Christina Popescu gewonnen wurden. Die sehr großen Himmelsfelder des
Schmidt-Spiegel (Kantenlänge 5.5°) konnten weiterhin nur auf Photoplatten aufgezeichnet werden.
Der schnelle Anfall großer Mengen digitaler Daten durch die neuen CCDs machte einen
schnellen Ausbau der Rechner am Calar Alto und im Heimatinstitut notwendig. Noch
1980 wurden die Rechner am MPIA nur werktags für zwölf Stunden betrieben, eine
Sicherheitsmaßnahme, veranlasst durch einen Brand im Rechenzentrum des Heidelberger
MPI für Kernphysik. Mit steigender Zuverlässigkeit und sinkenden Preisen der Rechner
wurde ab 1983 der Betrieb dann auch auf das Wochenende ausgedehnt. 1988 wurde zu
einer Cluster-Konfiguration für die Rechner übergegangen, mit der VAX 11/780 als
Zentrum. Und die ersten zehn PCs von Atari wurden in jenem Jahr für das Institut
beschafft.
2.11.2 Von der Bleisulfid-Zelle zum Infrarot-Array
Im Infraroten konnte anfangs nur das kurzwelligste Ende des neuen Spektralbereichs bis
zu 1 μm mit speziellen Photoplatten oder Photokathoden (Bildwandler, Multiplier)
erfasst werden. Um kühlere Objekte zu studieren und dichtere interstellare Staubwolken
durchdringen zu können, müssen aber die Bereiche des nahen (1 .. 5 μm) und des mittleren (5 .. 30 μm) Infraroten erschlossen werden.
Das erste Infrarotphotometer des MPIAs wurde bereits ab 1970 vom Doktoranden
Hans-Ulrich Fahrbach gebaut. Es war mit einer Bleisulfid (PbS)- Zelle als Einzeldetektor
für eine Wellenlänge = 2.2 μm ausgerüstet und wurde am 72 cm-Teleskop auf dem
Königstuhl eingesetzt. Bei einer größeren Zahl von Sternen wurden dabei langsame Helligkeitsschwankungen gefunden. Sie sind auf Veränderungen in den diese Sterne umhüllenden (zirkumstellaren) Staubwolken zurückzuführen: der Staub absorbiert die sichtbare
Strahlung und gibt sie als Wärmestrahlung im Infraroten wieder ab. Dieses Instrument,
ausgerüstet mit mehreren Breitbandfiltern, wurde der Prototyp für ein ab 1974 gebautes
IR-Photometer für das 1.23 m-Teleskop am Calar Alto. Es wurde mit einer Indium-Antimonid (InSb)-Zelle bestückt. Auch das war, dem technischen Stand der Zeit entsprechend, noch ein Einzeldetektor (Abb. 2.11-5). Damit konnten Wellenlängen bis
= 5 μm erfasst werden, wie sie von zirkumstellaren Staubhüllen mit einer Temperatur
114
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 115
Abb. 2.11-5: Ein Indium-AntimonidDetektor für das nahe Infrarot.
Anfang der 1970er Jahre waren nur
Einzelpixel erhältlich. Wegen der notwendigen Kühlung ist der Detektor in
einem kleinen Glas-Dewar untergebracht. Dem Größenvergleich dient
rechts unten eine Cent-Münze
(MPIA).
von ~300° C ausgesandt werden. Herbert Hefele baute dann für die größeren Teleskope
ein Instrument mit einem Bolometer als Detektor, das auch die langwelligsten vom
Boden aus erreichbaren atmosphärischen Fenster bei 10 und 21 m erfassen konnte. Das
Bolometer erforderte Kühlung mit flüssigem Helium, das umständlich aus Rotterdam
über Madrid zum Calar Alto transportiert werden musste. Das Abbilden eines ausgedehnten Objekts mit Einzeldetektoren, beispielsweise einer Galaxie oder einer Sternentstehungsregion, erforderte zeitraubendes zeilenweises Abrastern des Objekts mit dem
Teleskop. Auch das in den Jahren 1982 und 1983 in Betrieb genommene Infrarot-Polarimeter (Rainer Lenzen) und das Speckle-Interferometer (Christoph Leinert, Mel Dyck)
mussten dem Stand der Technik entsprechend Einzeldetektoren verwenden. Ab 1985
wurde erstmals eine Infrarot-Detektorzeile mit 32 Bildelementen von der Firma AEG
eingesetzt. Mit ihr konnten Bilder schneller gewonnen werden, allerdings überzeugte die
Empfindlichkeit nicht ganz, da diese Detektorzeile für ganz andere Anwendungen als die
Astronomie entwickelt worden war. Alfred Krabbe baute 1987 den ersten Infrarot-Spektrographen für das nahe Infrarot, der aber nur kurz im Einsatz war, da Alfred Krabbe
nach Abschluss seiner Doktorarbeit zu einem anderen MPI wechselte. Höhepunkt der
Infrarot-Instrumentierung in der hier besprochenen Periode war der Bau einer InfrarotKamera durch Rainer Lenzens Gruppe. Erstmals kam dabei ein neues zweidimensionales
Kamera-Array mit 58 × 62 Pixeln aus InSb zum Einsatz. Gekühlt mit festem Stickstoff
auf ⫺210° C, konnten Betriebszeiten von vielen Nächten nacheinander erreicht werden.
Jetzt ließen sich ausgedehnte Objekte in Minuten statt in Stunden abbilden (Abb. 2.11-6).
Der Erfolg dieser Kamera hat dazu beigetragen, dass Rainer Lenzen von der Europäischen
115
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 116
Abb. 2.11-6: Das Sternentstehungsgebiet Cepheus A ist im Optischen nicht beobachtbar. Diese
1 × 1 Bogenminuten Karte entstand im Jahre 1990 mit der ersten IR-Kamera am 3.5 m-Teleskop.
Bei einer Wellenlänge von 2.2 ␮m im nahen Infraroten wird ein Reflexionsnebel sichtbar, der von
einem im Staub eingebetteten sehr jungen Stern beleuchtet wird. In unmittelbarer Nähe befinden
sich Herbig-Haro-Objekte, Molekülwolken- und Maser-Radioquellen, alles Anzeiger für Sternentstehung. Die Quelle befindet sich in einem Abstand von 2000 Lichtjahren im Orion-Spiralarm
der Milchstraße (Rainer Lenzen).
116
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Südsternwarte ESO zum Principal Investigator für ein großes Infrarot-Instrument der
im Bau befindlichen vier 8 m-Teleskope (VLT) ausgewählt wurde. Über dieses Instrument (CONICA) wird im Abschnitt 5.2.1 berichtet.
Ab Mitte der 1990er Jahre wurden großformatige Quecksilber-Cadmium-Tellurit-Arrays
für das nahe Infrarot von der amerikanischen Firma Rockwell erhältlich. Angeregt durch
Steven Beckwith wurden solche Arrays (256 × 256 Pixel) in den Instrumenten MAGIC,
OMEGA-Cass und -Prime am Calar Alto eingesetzt (Abschnitt 3.1.3). Heute haben die
größten dieser HgCdTe-Arrays 2048 × 2048 Pixel. Sie sind nur von amerikanischen
Herstellern erhältlich, da die Technologie ursprünglich für militärische Zwecke gefördert
wurde. An der Entwicklung dieser leistungsfähigen Kamera-Chips für astronomische
Anwendungen war ein ehemaliger Student des MPIA wesentlich beteiligt: Klaus Werner
Hodapp, seit 1986 Mitglied der Universität von Hawaii. Die großen flüssigstickstoffgekühlten Arrays wurden vom MPIA beispielsweise in die Weitfeldkamera OMEGA
2000 (Hermann-Josef Röser) für das 3.5 m-Teleskop und in das LINC-NIRVANAInterferometer (Tom Herbst) für das Large Binocular Telescope eingebaut.
2.11.3 Spektrographen
Als wichtige Instrumente für die Calar Alto-Teleskope wurden in den 1970er und 1980er
Jahren leistungsfähige Spektrographen beschafft. Diese Geräte zerlegen das Licht eines
Himmelsobjekts mit optischen Beugungsgittern (vollkommener als Glasprismen das
tun) in ein farbiges Spektrum, bei dem Wellenlänge neben Wellenlänge in einem leuchtenden Streifen von Blau nach Rot erscheint. Dieses Spektrum ist durchsetzt von Linien,
hellen Emissionslinien des Objektes selbst und dunklen Linien von absorbierenden Stoffen in den kühleren Außenschichten des Objektes oder zwischen dem Himmelskörper
und uns. Aus ihnen kann der Astrophysiker die Chemie (stoffliche Zusammensetzung)
und Physik (Temperatur, Dichte usw.) der Himmelskörper und der interstellaren Materie
erschließen. Aus Linienverbreiterungen können Werte für Geschwindigkeit des Gases
und den Druck im Objekt, aus Linienverschiebungen für die Geschwindigkeit des
Objektes von uns weg oder auf uns zu abgeleitet werden (Doppler-Effekt). Eingeführt
wurde die Spektralanalyse an Himmelskörpern von Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen
im Jahre 1859 in Heidelberg. Sie wurden damit die Begründer der Astrophysik (siehe
Kapitel 8.5).
Eine Übersicht über die Spektrographen an den drei Teleskopen gibt die Tabelle 2.11-1.
Alle Geräte wurden von der Firma Boller & Chivens beschafft (gehört zu Perkin Elmer
117
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 118
in Kalifornien). Sie zerlegen das Licht mit großen optischen Gittern. Zwei der Spektrographen sind dauerhaft an die Teleskope gebunden: im Nasmyth-Fokus des 1.2 m- und
im Coudé-Fokus des 2.2 m-Teleskops. Drei weitere können als Wechselgeräte in den
bequem zugänglichen Cassegrain-Fokus gebracht werden. Die Spektrographen haben
sehr unterschiedliche Leistungsdaten, wichtig sind die spektrale Auflösung und die
Dispersion, die angibt, wie weit ein Spektrum zur Erkennung von Einzelheiten der
Linien auseinandergezogen wird (Wellenlängenintervall pro mm). Der mächtigste
Spektrograph ist der Coudé-Spektrograph am 2.2 m-Teleskop (Abb. 2.7-4). Er erreicht
eine Auflösung von 100000, was an relativ hellen Objekten erzielt werden kann.
Die lichtempfindlicheren Spektrometer erreichen ~ 30 000 an Objekten bis zur
18. Größenklasse bei einer Stunde Belichtungszeit.
Die Beschaffung der fünf Spektrographen war für das MPIA sehr arbeitsintensiv: Josef
Solf und seine Mitarbeiter mussten technisch-wissenschaftliche Pflichtenhefte entwerfen,
optisch-mechanische Studien durchführen und überwachen, Herstellung und Kostenentwicklung verfolgen und schließlich die komplizierten Geräte beim Hersteller abnehmen und am Calar Alto in Betrieb nehmen. Die Kosten der Spektrographen waren
erheblich: 1 Million Euro für den Coudé und jeweils einige 100000 Euro für die übrigen.
Die Signal-Aufzeichnungsgeräte für die Spektren wurden stets vom MPIA beigestellt:
anfangs Photoplatten, dann Bildverstärker und Diodenarrays und schließlich CCDs.
Eine Besonderheit waren die von Hans Hippelein mit Guido Münch für den Calar Alto
entwickelten Fabry-Perot-Interferometer (FPI). Durch Vielfach-Interferenz zwischen
planparallelen Glasplatten konnten schwache flächenhafte Objekte (Gasnebel usw.) mit
hoher Auflösung ( ~ 50000) spektroskopiert werden. Durch winzige Abstandsveränderungen zwischen den streng parallelen Glasplatten sind diese FPIs über einen kleinen
Wellenlängenvergleich durchstimmbar.
Unterstützt wurden alle optischen Geräteentwicklungen am MPIA durch das „Strahlungslabor“ von Eckhart Pitz und Günther Hille. Herzstücke dieses Labors waren große
Spektrometer und Eichlichtquellen für den optischen und infraroten Bereich. Hier konnten mit hoher Genauigkeit die wellenlängenabhängigen Durchlässigkeiten von Filtern,
die Reflexion von Spiegeln oder Strahlteilern bestimmt werden. Spezialität war die „absolute“ Strahlungseichung von Empfängern oder Lichtquellen, mit der aus dem gemessenen
elektrischen Signal (Volt) am Teleskop auf die Energie-Abstrahlung (Watt) eines Himmelskörpers geschlossen werden kann. Dieses Labor hat über drei Jahrzehnte neben den
Instrumententwicklern am MPIA sehr viele internationale Gäste aus der Wissenschaft
und Industrie unterstützt.
118
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Tabelle 2.11-1: Spektrographen für die Calar-Alto-Teleskope
Teleskop und Fokus
Inbetriebnahme
Eigenschaften
1.2 m-Nasmyth-Spektrograph
1976
- ständig verfügbar
- Auflösung ~ 20000
2.2 m-Cassegrain-Spektrograph
1979
- mit Echellette-Anordnung
- für große WellenlängenÜberdeckung
2.2 m-Coudé-Spektrograph
1979
- höchste spektrale Auflösung
bis 100000
- fest eingebaut
3.5 m- Cassegrain-Spektrograph
1986
- ähnlich zum 2.2 CassegrainSpektrograph
3.5 m-Zwillings-CassegrainSpektrograph
1988
- mit „blauem“ und „rotem“ Kanal
(320-550 und 420-1100 nm)
- Auflösung ~ 30000
- Spaltspinne für MultiobjektSpektrograph
119
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 120
3
Das Max-Planck-Institut für Astronomie wird zu einem
weltweit führenden Institut
3.1
Erweiterung des Direktoriums
3.1.1 Erfolgreiche und abgelehnte Berufungen (1974 – 1991)
Von der Gründung des MPIA an leitete Hans Elsässer als Geschäftsführender Direktor
die Geschicke des großen Instituts alleine für 22 Jahre. Dies war anders geplant: bereits
in den Gründungsverhandlungen war ein Direktorium von drei bis vier Personen
genannt. Ein erster Versuch zur Erweiterung um einen aktiven Astronomen begann im
Jahre 1974. Peter Strittmatter, Mitglied des Mt. Palomar Observatoriums in Kalifornien,
wurde ans MPIA berufen. Er arbeitete einige Wochen am MPIA und besuchte auch den
Calar Alto. Strittmatter hatte aber zu jener Zeit weitere nationale und internationale
Angebote, zum Beispiel vom Anglo-Australischen Observatorium in Siding Springs. Auf
vergleichbare Beobachtungsmöglichkeiten an der Calar-Alto-Sternwarte hätte er zu jener
Zeit noch einige Jahre warten müssen. Und den Aufbau des gesamten Institutes betrachtete Elsässer wohl als seine ureigenste Angelegenheit. Schließlich scheiterte diese Berufung. Aber die Wege Peter Strittmatter / MPIA kreuzten sich dann ab 1997 noch einmal,
als das MPIA sich am von Strittmatter geleiteten Bau des Large Binocular Telescope
(LBT) auf dem Mt. Graham in Arizona beteiligte.
Kurz nach Strittmatters Absage erfolgte ein weiterer Versuch, einen bekannten amerikanischen Astronomen vom California Institute of Technology (Caltech) an das MPIA zu
berufen. Diesmal erfolgreich: Guido Münch begann seine Arbeit in Heidelberg im Januar
1978 im Alter von 57 Jahren (Abb. 3.1-1). Als erfahrener Spektroskopiker förderte er
diese Arbeitsrichtung im neuen Institut und gewann für das MPIA den Anschluss an die
digitale Bildtechnik mit CCDs. Guido Münch fügte sich mit seinen Mitarbeitern in die
vorgefundene hierarchische Struktur des Instituts ein und übernahm nie die Aufgabe
eines Geschäftsführenden Direktors. Sein hervorragender wissenschaftlicher Ruf, vor allem
in den USA, machte das MPIA als seine neue Wirkungsstätte international bekannter.
Im Jahre 1988 begann ein neues Berufungsverfahren: Münch war mittlerweile 67 Jahre
alt, Elsässer 59. Deshalb strebte Elsässer jetzt die große Lösung zur Nachfolge und Verjüngung an. Er schlug der MPG die gleichzeitige Berufung von zwei Direktoren vor, in
120
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 121
Abb. 3.1-1: Guido Münch war von 1978 bis zu
seiner Emeritierung im Jahre 1989 Wissenschaftliches Mitglied des MPIA (Borchard).
Anlehnung an die vor über 20 Jahren beabsichtigte Besetzung des Direktoriums mit drei
bis vier Personen. Sein erster Vorschlag zielte auf einen deutschen Astronomen im mittleren Alter, der am Calar Alto ein großes extragalaktisches Beobachtungsprogramm
erfolgreich begonnen hatte. Der zweite Kandidat war ein junger amerikanischer Astronom, Steven Beckwith, der am Institut durch einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in Heidelberg im Jahre 1986 wohlbekannt war. Vom ersten Kandidaten konnte
erstklassige Forschung unter Nutzung der Calar-Alto-Teleskope erwartet werden, aber
trotz Muttersprachlichkeit „keine Entlastung bei den Aufgaben der Geschäftsführung“
(Elsässer). Von Beckwith wurde Vertiefung der laufenden Forschung zur Sternentstehung
erwartet, ebenso wie neue Instrumentierungs-Programme für den Calar Alto. Da Beckwith damals kaum Deutsch sprach, stellte sich hier die Frage nach der Übernahme der
Geschäftsführung nicht gleich.
Die Dinge entwickelten sich dann etwas anders als geplant. Die Berufungskommission
stimmte 1989 der „Tandem-Lösung“ nach eingehenden Beratungen nicht zu. Zunächst
solle die Berufung Beckwiths vorangetrieben werden. Steven Beckwith war damals 38
121
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 122
Abb. 3.1-2: Steven Beckwith war von 1991 bis
2001 Direktor am Institut (MPIA).
Jahre alt und Full Professor der Astronomie an der Cornell University, Ithaca, New York
(Abb. 3.1-2). Beckwith galt als Pionier der Erforschung des interstellaren molekularen
Wasserstoffs H2. Dessen Linienstrahlung kühlt interstellare Wolken und ermöglicht
deren Kollaps zur Entstehung neuer Sterne. Besonderen Wert legte Beckwith bei seinen
Beobachtungs-Programmen auf die Steigerung der räumlichen Auflösung, um Einblick
in die räumliche Struktur der jungen Objekte zu gewinnen. Mit Speckle-Interferometrie
im Infraroten und mit Millimeterwellen-Interferometern hatte er begonnen, die planetenbildenden Scheiben um junge Sterne zu sichten. Bereits im Jahre 1984 war er als einer der
hundert „Top Scientists“ im Alter unter 40 Jahren in den USA ausgezeichnet worden.
Im Sommer 1990 bot dann Heinz A. Staab, Präsident der MPG, Steven Beckwith Berufungsverhandlungen ans MPIA an. Beckwith informierte sich im November 1990 bei
Besuchen in Heidelberg und bei der Generalverwaltung in München ausführlich über
die künftigen Arbeitsmöglichkeiten. In einem Brief an Elsässer kündigte er für den Fall
seiner Zusage eine Reihe von Modernisierungen an. Dazu gehörten: ein uneingeschränkter 7-Tage Betrieb am Calar-Alto-Observatorium (bisher war die Beobachter-Unterstützung am Wochenende eingeschränkt), ein umfassender Ausbau des Rechnernetzes am
122
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MPIA, Zugang aller Wissenschaftler zu internationalen Telefonverbindungen (die hatten
bis dahin nur wenige), die Schaffung von wissenschaftlichen Beratungsgremien am Institut. Elsässer akzeptierte diese neuen Ideen und sagte auch eine Rotation in der Geschäftsführung zu. Inzwischen bedrohte ihn eine Erkrankung, er musste im Interesse des Instituts und seines Lebenswerkes zügig handeln. Er war mittlerweile im 62. Lebensjahr und
einziger Direktor an einem Institut mit ~ 130 Mitarbeitern und einem Jahresetat von
~ 15 Millionen DM, das auch noch die deutsche „National-Sternwarte“ am Calar Alto
betrieb.
3.1.2 Generationswechsel und Zeitenwende: Steven Beckwith (ab 1992)
Steven Beckwith trat seine Stelle in Heidelberg im Oktober 1991 an, offiziell als Nachfolger für Guido Münch, der 1989 im Alter von 68 Jahren emeritiert worden war. Beckwith wurde seinem vorauseilenden Ruf, dynamisch und erfolgsorientiert zu sein, von
Anfang an gerecht. In vielen Einzelgesprächen und Gruppenberatungen durchleuchtete
er unverzüglich das Institut und seine laufende Arbeit. Schon im August 1992 legte er
ein ausführliches „MPIA Planungsdokument Nr. 1“ vor. Erklärtes Ziel war die Steigerung der wissenschaftlichen Produktivität des Instituts. Er analysierte die Stärken und
Schwächen des MPIA und diskutierte zahlreiche Möglichkeiten zur Leistungssteigerung. Eine zentrale Rolle spielte dabei das Calar-Alto-Observatorium: es sei an einem
witterungsmäßig nicht optimalen Platz gebaut. Verbesserungs-Möglichkeiten für die
wissenschaftliche Produktivität der eigenen Sternwarte sah er: (1) in der Vergabe „klarer
Nächte“, statt „Nächten“, wie bisher, um interessante Beobachtungs-Programme zügig
zu Erfolgen zu führen, (2) im Bau adaptiver Optiksysteme zur Überwindung der Luftunruhe (Seeing), die alle Abbildungen „verschmiert“, und (3) in der Modernisierung
der wissenschaftlichen Instrumente für die Teleskope am Calar Alto. Darüber hinaus
sollte sich das Institut verstärkt um die Nutzung anderer größerer Teleskope an besseren
Standorten bemühen. Das könnte in erster Linie durch den Bau von fortschrittlichen
wissenschaftlichen Instrumenten für die von anderen Institutionen betriebenen Teleskope erfolgen. So regte er ein Interferometrie-Instrument für das Europäische Very
Large Telescope Interferometer (VLTI) und den Bau eines Sekundärspiegel-Choppers
für Infrarotmessungen am UKIRT auf Mauna Kea, Hawaii, an. Für besonders wichtig
hielt Beckwith die Schaffung einer Theorie-Gruppe am MPIA, um Beobachtungen
gründlich auszuwerten und physikalisch zu deuten und neue Messungen besser planen
zu können.
123
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 124
Beckwith anerkannte auch die Stärken des MPIA: eine große Zahl hervorragender Wissenschaftler und Techniker, ein langfristig stabiler Finanzhaushalt, Freiheit von politischem Druck, den Institutionen in anderen Ländern erleiden können. Zu den Trümpfen
gehörten ferner gut ausgerüstete Werkstätten, die komplexe Instrumente für den Boden
und den Weltraum bauen konnten, reichlich Labor- und Arbeitsräume, herausragende
Beteiligungen von Wissenschaftlern des MPIA an internationalen Forschungsprojekten.
Dennoch, so seine Analyse, sei das Institut international zu wenig bekannt, jedenfalls
nicht in seiner Heimat, den USA, dem führenden Land der Astronomie. Er schlug eine
Reihe von weiteren Schritten zur Verbesserung vor, vor allem die zeitgemäße Rechnerausstattung des Heimatinstitutes. Die wissenschaftlichen Fragestellungen müssten sich
den internationalen Trends („main stream“) anpassen, mit mehr Mut zum Risiko, um
neue Wege in neue Felder zu gehen („... no safe science ...“). Und die gemachten Fortschritte sollten laufend gemessen werden: durch die Zahl der Zitierungen wissenschaftlicher Arbeiten aus dem MPIA, die Zahl der Publikationen pro Wissenschaftler, die Zahl
der eingeladenen Vorträge, Preise, Patente und die Anzahl ausgewählter verantwortlicher
Wissenschaftler (Principal Investigators) für internationale Instrument-Konsortien (wie
damals CONICA oder ISOPHOT).
Beckwith legte sein Planungsdokument ausdrücklich als Diskussionsgrundlage vor und
forderte alle Mitarbeiter zu qualifiziertem Widerspruch oder Verbesserungsvorschlägen
auf. Diese Offenheit und Streitkultur waren neu am Institut. Die meisten Wissenschaftler
kommentierten das Planungsdokument, und Beckwith nahm alle Anregungen auf. Hans
Elsässer, damals noch Geschäftsführender Direktor, stimmte zwar Überlegungen zu längerfristigen Entwicklungen zu, kritisierte aber in einem an alle Wissenschaftler verteilten Antwortschreiben mehrere von Beckwiths Feststellungen so: „3.5 m-Teleskop an schlechtem
Platz“ „blanker Unsinn“, „internationale Reputation verbesserungsfähig“ „undifferenziertes Pauschalurteil“ und „kein Anlass, in Sack und Asche zu gehen“. In anderen wichtigen von Beckwith angesprochenen Punkten, wie dem Streben nach mehr Beobachtungszeit vorzugsweise an den 8 m-Teleskopen bei ESO, herrschte Übereinstimmung.
Die Vorlage des Planungspapiers und die folgenden umfassenden und wochenlangen
Diskussionen lösten eine kleine Zeitenwende im Institut aus: den Übergang von einer
hierarchisch geführten großen Sternwarte mit einem dominierenden Direktor zu einem
offenen, international geprägten Institut. Steven Beckwith schaffte ein „Wissenschaftliches Beratungskomitee“ (WBK), in dem alle führenden Wissenschaftler (~ 8) des Instituts
monatlich aktuelle Fragen zu Forschung, Instrumentierung, Finanzierung und personeller Entwicklung besprachen. Beckwith war stets sehr gut auf alle Tagesordnungspunkte
vorbereitet, nahm die folgenden Diskussionen ernst und modifizierte seine Vorstellungen
124
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nach der Anhörung anderer Gesichtspunkte im WBK öfters. Dabei hatte jeder Teilnehmer das Gefühl, unterrichtet zu sein und wichtige Gesichtspunkte beeinflussen zu können. Beckwith lernte intensiv Deutsch und konnte schon nach einem Jahr die Sitzungen
in der neuen Sprache leiten und öffentliche Ansprachen auf Deutsch halten. Er ließ den
Kantinenbetrieb wesentlich verbessern, so wurde erstmals ein Salatbuffet angeboten.
Speise- und Getränkeautomaten wurden aufgestellt, um auch abends länger arbeitende
Wissenschaftler und Studenten leistungsfähig zu halten. Jeder konnte ab jetzt sein Telefon
für dienstliche Ferngespräche nutzen, ohne die bisher notwendige Vermittlung durch die
Zentrale. Reiseanträge genehmigten ab sofort die Projektleiter (aus einem zugewiesenen
Etat), statt wie bisher der Geschäftsführende Direktor. Es gab viele Veränderungen und
eine Aufbruchstimmung, wie 22 Jahre früher zur Zeit der Institutsgründung.
3.1.3 Steven Beckwith: wissenschaftliche und instrumentelle Initiativen
In den 1990er Jahren waren weltweit mehrere Teleskope der 8 m-Klasse im Bau, darunter
das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO). Allein an diesem, aus vier 8 m-Teleskopen bestehenden Instrument, hatte Deutschland mit seinem
25%-Finanz-Beitrag zur ESO praktisch Anspruch auf die Nutzung eines ganzen Großteleskopes unter sehr guten Wetterbedingungen. Konnte da der witterungsmäßig ungünstigere Calar Alto mit seinem inzwischen nur noch mittelgroßen Fernrohren, auf die das
MPIA auch nur einen ~ 50-prozentigen Zugriff hatte, noch eine Chance in der Zukunft
haben?
Beckwith sah für die eigenen Teleskope folgende „Nischen“, in denen auch im folgenden
Jahrzehnt erfolgreich am Calar Alto geforscht werden könne:
– Durchmusterung großer Himmelsfelder zur Suche nach ausgewählten galaktischen
und extragalaktischen Objekten. Erst für detaillierte Folgebeobachtungen der so am
Calar Alto entdeckten interessanten Quellen würden 8 m-Fernrohre gebraucht.
– Beseitigung der „Bildverschmierungen“ durch die Luftunruhe (Seeing). Die dafür
notwendige „adaptive Optik“ begann sich weltweit gerade zu entwickeln, war aber
noch nirgends im Routine-Betrieb an einem Fernrohr einsetzbar. Ziel war das Erreichen schärferer Bilder, „beugungsbegrenzt“ nur noch durch den Durchmesser des
Teleskops. Damit konnten auch lichtschwächere Objekte abgebildet oder spektroskopiert werden. Im optischen Bereich war das vorläufig noch nicht machbar, aber aussichtsreich war die Technik für das etwas längerwellige nahe Infrarot.
125
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– Verstärktes Beobachten im nahen Infraroten (NIR), bei Wellenlängen von 0.9 bis 2.5
Mikrometern. Die NIR-Strahlung durchdringt dichte Staubwolken und erlaubt beispielsweise Einblicke in „unsichtbare“ Sternentstehungsgebiete. Bei sehr fernen extragalaktischen Quellen ist das optische Spektrum ins NIR rotverschoben.
Beckwith wollte schnelle wissenschaftliche Erfolge am Calar Alto und brach daher auch
mit dem bisherigen Vorgehen, neue Instrumente in fast allen Einzelheiten in Heidelberg
sorgfältig selbst zu konstruieren und in den Institutswerkstätten bauen zu lassen. Der
Einkauf der Geräte bei kleinen spezialisierten Firmen schien ihm der schnellere und war
oft auch der preiswertere Weg. Die Technischen Abteilungen im Institut sollten nur das
entwickeln und fertigen, was man nicht unverzüglich kaufen konnte.
Zuerst wurden 1993 und 1994 zwei Kameras für das nahe Infrarot bei der Firma Infrared
Laboratories in Tucson bestellt: Blue MAGIC und Black MAGIC. Beide waren mit den
besten verfügbaren Detektoren aus Quecksilber-Cadmium-Tellurid ausgerüstet, die
ursprünglich für die NICMOS-Kamera des Hubble-Weltraumteleskops entwickelt worden waren. Mit einem Abbildungsmaßstab von 0.8 Bogensekunden pro Pixel am 3.5 mTeleskop erlaubten die 256 × 256 Pixel-Kameras die Durchmusterung eines Gesichtsfeldes von fast 3.5 Bogenminuten Durchmesser in den guten atmosphärischen „Fenstern“
bei Wellenlängen bis zu 2.5 Mikrometern. Untersucht wurden damit beispielsweise
Galaxienhaufen, deren Entfernung durch die Rotverschiebung der Linien in einem hellen
Abb. 3.1-3: Jupiter im Infrarotlicht aufgenommen mit der MAGIC-Kamera am 3.5 m-Teleskop auf dem Calar Alto am 19. Juli 1994.
Inzwischen waren die Hälfte der größeren
Trümmerstücke (vgl. Abb. 3.1-4) auf dem
Jupiter eingeschlagen. Die dabei in der
Atmosphäre erzeugten Wolken haben sich wie
eine Perlenkette im Süden um den Planeten
gelegt. Ein einmaliger Anblick eines Planeten!
(Tom Herbst).
126
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Quasar im gleichen Haufen bekannt war. Mit einer großen Zahl von NIR-Schmalbandfiltern konnte dann in lang belichteten Aufnahmen die mögliche Zugehörigkeit lichtschwächerer Galaxien zu diesem Haufen geklärt werden. Bis heute im Gedächtnis geblieben sind die MAGIC-Aufnahmen der Einschläge des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf
dem Jupiter (Abb. 3.1-3). Tom Herbst hatte die MAGIC-Kamera mit Filtern so vorbe-
Abb. 3.1-4: Vor dem Einschlag: Der Komet Shoemaker-Levy 9 aufgenommen mit einer CCD-Kamera
am 3.5 m-Teleskop auf dem Calar Alto am 5. Mai 1994. Bei einem engen Vorbeiflug des Kometen
am Jupiter im Jahre 1992 haben dessen Gezeitenkräfte den ursprünglichen ~ 1 km großen Kern in
~ 20 größere Trümmerstücke zerlegt. Hier sieht man die meisten, auseinander gezogen über eine Strecke
von 800000 km. Jedes Bruchstück zeigt einen eigenen, von der Sonne wegweisenden Schweif (Kurt
Birkle).
127
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reitet, dass beim Einschlag hochgeschleudertes Material oberhalb der absorbierenden
Methan- und Wasserstoff-Schicht über dem Jupiter gesehen werden konnte. An jenem
Abend des 16. Juli 1994 herrschte am Calar Alto gutes Wetter, und so gelangen dort die
weltweit wohl besten Aufnahmen des Einschlages des ersten Kometen-Bruchstückes. Sie
erschienen in den folgenden Tagen als Titelbilder vieler Zeitschriften, die Deutsche Post
zierte eine Sonderbriefmarke damit. In den darauf folgenden fünf Nächten konnten am
Calar Alto hervorragende Bilder weiterer Einschläge aus einer Kette von über zwanzig
Kometen-Bruchstücken (Abb. 3.1-4) gewonnen werden.
Ebenfalls mit den MAGIC-Kameras begannen 1993 die ersten Experimente zur Erzielung schärferer Bilder mit den Calar-Alto-Fernrohren. Andreas Glindemann schaltete
vor die Kamera den von ihm entwickelten CHARM-Korrektor. Mit einem um zwei Achsen kippbaren ebenen „Tip-Tilt“-Spiegel konnten die durch die unruhige Atmosphäre
verursachten ständigen kleinen Positionsschwankungen des Sternbildes beseitigt werden:
die einfachste Form der adaptiven Optik. Mit diesem einen bewegten Spiegel wurde die
Bildschärfe um ~ 0.3 Bogensekunden verbessert.
Die großen und schnellen Erfolge mit den MAGIC-Kameras führten schon im Folgejahr
zur Bestellung der nächsten Generation von Kamera-Chips mit inzwischen 16-fach grö-
Zählrate
300
Unkorrigiert, FWHM:
1". 2
200
100
3"
2"
1"
1"
2"
3"
Abb. 3.1-5a-b: Helligkeitsprofile des Doppelsternes 72 Peg. Das obere Bild zeigt das durch die Luftunruhe verschmierte „Seeing-Scheibchen“ des Sterns. Die Doppelnatur des Sterns ist nicht erkennbar.
Mit der Adaptiven Optik ALFA des MPIA konnte der Stern 1996 in zwei eng benachbarte Sterne
unterschiedlicher Helligkeit aufgelöst werden (MPIA).
128
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ßerer Pixelzahl: OMEGA-Cass und OMEGA-Prime wurden für Cassegrain- und Primärfokus vor allem des 3.5 m-Teleskops entwickelt. Mit 1024 × 1024 Pixeln konnten jetzt
im lichtstarken Primärfokus Felder mit Durchmessern von fast sieben Bogenminuten
durchmustert werden. OMEGA-Cass sollte mit einem Abbildungsmaßstab von 0.04
Bogensekunden / Pixel benutzt werden, um beugungsbegrenzte Bilder am 3.5 m-Teleskop zu erhalten. Dafür wurde ab 1995 ein Zusatzinstrument für die vollständige adaptive
Optik (AO) gebaut. Mit ihr wurden die durch die turbulente Atmosphäre verbogenen
Wellenfronten der Sterne analysiert und durch kleine biegsame Spiegel wieder „zurückgebogen“. Alle komplizierten Einzelteile, wie deformierbare Spiegel, Wellenfrontsensor
usw. wurden eingekauft. Und so war ein AO-System nach nur zwei Jahren Entwicklungszeit Ende 1996 einsatzbereit. Es war damit eines der ersten in der weltweiten Astronomie
mit großen Teleskopen. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Calar-Alto-Sternwarte auf allen
internationalen Fachtagungen als Schrittmacher dieser neuen Technologie zitiert. Sogar
ein künstlicher Stern, erzeugt durch einen Laserstrahl vom Boden in der Natriumschicht
der hohen Atmosphäre (~80 km), gehörte dazu. Dieser Laserleitstern wurde weitgehend
vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE, Reinhard Genzel) entwickelt.
Er wurde benutzt, wenn kein heller natürlicher Leitstern als Referenz in der Nähe des
0 ". 53
Zählrate
300
Korrigiert, FWHM:
0 ". 15
0 ". 15
200
100
3"
2"
1"
1"
2"
3"
Abb. 3.1-5b
129
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Abb. 3.1-6: Der Laser-Leitstern für eines der 8 m-Teleskope des VLT der ESO wurde mit Beiträgen
des MPIA entwickelt und ging 2006 in Betrieb. Dieser Laser strahlt 10 000 mal intensiver als ein
gewöhnlicher Laser-Pointer (Stefan Seip).
130
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zu beobachtenden Objektes zu finden war. Mit ALFA, der „Adaptive Optics with Laser
for Astronomy“, wurden tatsächlich beugungsbegrenzte Bilder im Spektralbereich des
nahen Infraroten gewonnen (Abb. 3.1-5). Die Sternbilder hatten Durchmesser von nur
0.15 Bogensekunden, statt der durch die Luftunruhe meist auf ~ 0.8 Bogensekunden
verschmierten. Das Laserleitstern-System bewährte sich allerdings wegen der damals
noch geringen Laser-Intensität und der häufig dunstigen Atmosphäre über dem Calar
Alto nicht sonderlich und wurde nach etwa zwei Jahren außer Betrieb genommen. Die
gewonnenen Erfahrungen aber führten zu dem sehr erfolgreichen Laserleitstern-System
PARSEC für das 8 m-Teleskop der ESO, das gemeinsam von MPIA und MPE entwickelt
wurde (Abb. 3.1-6).
Steven Beckwith kümmerte sich bei dem von ihm und seinen engsten wissenschaftlichen
Mitarbeitern (Tom Herbst, Andreas Glindemann, Mark McCaughrean, Peter Bitzenberger, Stefan Hippler …) vorangetriebenen Projekten persönlich um viele Einzelheiten.
Da er einige Jahre zuvor selbst erfolgreich Instrumente gebaut hatte und ein erfahrener
Beobachter war, legte er größten Wert auf die höchste Leistungsfähigkeit der neuen
Geräte und auf effektive Beobachtungsabläufe. Bei jeder Inbetriebnahme eines neuen
Instrumentes war er nächtelang am Teleskop anwesend (Abb. 3.1-7), gelegentlich mit
Abb. 3.1-7: Das
„Team ALFA“ mit
Steven Beckwith,
Andreas Glindemann
und Don Hamilton
bei der Inbetriebnahme der Adaptiven
Optik am 3.5 m-Teleskop im Jahre 1996
(Stefan Hippler).
131
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der Stoppuhr, um alle Abläufe zu optimieren. Selbst beim Verpacken der Geräte auf dem
Königstuhl legte er Hand an, das MPIA sollte immer zu den Ersten und Schnellsten
gehören.
Während der „Beckwith-Zeit“ in den 1990er Jahren entstanden weitere erstklassige
Instrumente vor allem für die Durchmusterung und Spektroskopie extragalaktischer
Quellen im sichtbaren Spektralbereich, alle ausgerüstet mit CCD-Kameras. Dazu gehörten der Bau (1) des Multi-Objekt-Spektrographen MOSCA für den Calar Alto, geleitet
von Josef Fried, und (2) des Fokalreduktors CAFOS, geleitet von Klaus Meisenheimer.
Beckwith, der damals Mitglied des ESO-Instrumentierungs-Komitees war, regte (3) den
Bau einer Weitfeldkamera für das 2.2 m-Teleskop II auf La Silla an. Letztere wurde
gemeinsam mit ESO entwickelt, die MPIA-Projektleitung hatte wieder Klaus Meisenheimer inne. Mit den neuen leistungsfähigen Kameras begann das MPIA dann seine
Suche nach hochrotverschobenen „Urgalaxien“ im noch jungen Kosmos. Anfangs wurden weniger gefunden als erhofft, bis klar wurde, dass es einfach weniger Urgalaxien gibt,
als bisher vermutet. Diese großen und erfolgreichen Programme sind als CADIS- und
COMBO 17-Durchmusterungen international sehr bekannt geworden. Sie konnten
unter anderem belegen, daß vor einigen Milliarden Jahren deutlich mehr Sterne in den
Galaxien geboren wurden als heute.
Neben den Bemühungen zur Modernisierung der Calar-Alto-Instrumente suchte Steven
Beckwith Zugang zu weiteren Observatorien in günstigem Klima. Ab dem Jahre 1993
begann eine Zusammenarbeit mit den Betreibern des britischen UKIRT-Teleskops auf
dem 4200 m hoch gelegenen Mauna Kea, Hawaii. Für dieses infrarot-optimierte 3.8 mFernrohr baute das MPIA einen neuen Frontring. Der darin zentral angeordnete Sekundärspiegel wurde gleichzeitig als Tip-Tilt-Spiegel, als Sekundärspiegel-Chopper und zum
Fokussieren benutzt. Die von diesen bewegten Teilen ausgehenden mechanischen
Schwingungen mussten in den Halteblättern gedämpft werden, um kein „MikrophonieRauschen“ in den Infrarot-Sensoren zu verursachen. Für die Halteblätter wurde von
Eckhart Pitz ein neuartiges schalldämmendes Metall eingesetzt, das ursprünglich für den
U-Boot-Bau entwickelt worden war, um dort die akustische Ortung zu erschweren. Mit
der Entwicklung dieses Sekundärspiegel-Antriebes wurde vom MPIA bei der Karlsruher
Firma „Physik Instrumente“ die Entwicklung eines Hexapod-Systemes angestoßen, das
inzwischen vielfältige Anwendung in der Wissenschaft gefunden hat und auch wirtschaftlich erfolgreich geworden ist. Als Gegenleistung für den neuen Frontring erhielt
das MPIA von UKIRT über mehrere Jahre garantierte Beobachtungszeit. Für ihre Nutzung wurde gemeinsam von MPIA und IR-Laboratories in Tucson eine weitere Kamera
für das mittlere Infrarot (~ 10 μm) gebaut, die MAX-CAMERA. Sie diente unter anderem
132
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für Folgebeobachtungen der gerade begonnenen ISO-Mission, zu der das MPIA ein
Instrument beigetragen hatte.
Im Jahre 1997 ging Steven Beckwith auf die Einladung des Steward-Observatoriums der
Universität von Arizona in Tucson zur Beteiligung am Bau des Large Binocular Telescope
(LBT) ein. Dieses aus zwei 8.4 m-Spiegeln auf einer Montierung bestehende neuartige
Teleskop sollte preisgünstig und schnell von einem Konsortium mehrerer astronomischer
Institute auf dem Mount Graham östlich von Tucson errichtet werden. Betriebsbeginn
war damals für das Jahr 2002 geplant. Damit sollte das MPIA rasch Zugang zu garantierter Beobachtungszeit an einem echten Großteleskop gewinnen. Im Jahre 1998 schlossen sich weitere deutsche Institute der LBT-Betriebsgesellschaft an, so dass der deutsche
Anteil an diesem Teleskop auf 25 % stieg. Unter den neu Beteiligten war auch die Landessternwarte Heidelberg. Da Immo Appenzeller nach dem überraschenden Abgang von
Steven Beckwith (Kap. 3.3) im gleichen Jahr die kommissarische Leitung des MPIA
übernommen hatte, bedeutete das auch eine vertiefte Zusammenarbeit der Institute auf
dem Königstuhl.
3.2
Die deutsche Wiedervereinigung erlebt am Institut
Mit dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 durch die DDR-Machthaber schien
die Teilung Deutschlands für lange Zeit zementiert. Ziele der DDR und ihrer Schutzmacht Sowjetunion waren das Aufhalten des Flüchtlingsstromes und die internationale
Anerkennung Mitteldeutschlands als eigenständiger Staat. Deshalb grenzte man sich
überall von der Bundesrepublik ab, und die Teilung erreichte bald auch die Astronomen.
Im Jahre 1969 traten die mitteldeutschen Mitglieder auf Druck ihrer Institutsleitungen
aus der bis dahin gesamtdeutsch geführten Astronomischen Gesellschaft (AG) aus. Stattdessen wurde ein die Selbständigkeit demonstrierendes „National-Komitee“ für die Astronomie der DDR gegründet. Gemeinsame AG-Tagungen gab es nach jener in Eisenach
1965 nicht mehr, nur noch seltene Begegnungen von Astronomen aus beiden Teilen
Deutschlands bei Konferenzen auf ausländischem Boden. Es begannen Jahrzehnte der
Trennung.
Vor dem Hintergrund von „Glasnost“ und „Perestroika“ in der Sowjetunion erreichte in
den späten 1980er Jahren das politische Tauwetter auch Mitteleuropa. Im November
1986 kam nach fast einem Vierteljahrhundert der erzwungenen Sprachlosigkeit zwischen
Wissenschaftlern aus Ost und West erstmals ein Redner aus der DDR ins Astronomische
133
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Kolloquium nach Heidelberg. Karl-Heinz Schmidt, Direktor des Zentralinstituts für
Astrophysik der Akademie der Wissenschaften der DDR, sprach über „Galaxienhaufen“.
Pflichtgemäß leitete er seinen Vortrag mit einem Friedensappell für Mitteleuropa ein.
Dann stellte er das große Institut mit 200 Mitarbeitern in Potsdam und den Außenstellen
in Tautenburg und Sonneberg vor. Zum ersten Mal erfuhren die Zuhörer, die die halbe
Welt von Forschungsaufenthalten her kannten, was sich hinter dem Eisernen Vorhang im
eigenen Land in der Sonnen-, Stern- und extragalaktischen Astrophysik tat. Hans Elsässer
schrieb anschließend in den Mitteilungen der Astronomischen Gesellschaft von „einem
bewegenden Ereignis“. Diese „Westreisen“ von Astronomen aus der DDR setzten sich
zögernd fort, im Juni 1989 konnte Johannes Dorschner von der Universität Jena im MPI
für Kernphysik in Heidelberg über „Interstellaren Silikatstaub“ sprechen. Die Beziehungen zwischen der bekannten Jenaer Staubgruppe und dem MPIA sollten sich bald noch
enger gestalten.
Die friedliche Revolution in Mitteldeutschland stürzte im November 1989 die Berliner
Mauer und bald darauf das DDR-Regime. Bereits im Folgejahr verzeichnet das Gästebuch des MPIA zahlreiche Besuche von Astronomen aus Potsdam, Jena, Tautenburg –
oft „mehrmals“. Bereits 1990 erreichten Beobachtungsanträge von „drüben“ das MPIA.
Und im Folgejahr konnten Astronomen aus Potsdam (Swetlana Hubrig, Ralf Launhardt)
und Jena (Werner Pfau, Christian Friedemann, Hans-Georg Reimann) an allen Teleskopen des Calar Alto Forschungsprogramme durchführen. Sie umfassten die Untersuchung
von Begleitern, Scheiben und Hüllen um junge Sterne und das Studium der diffusen
interstellaren Banden. Hier bleibt ein mutiger Beobachtungs-Antrag aus dem Jahre 1988,
also vor dem Mauerfall, in Erinnerung: Thomas Henning und Werner Pfau aus Jena
waren an Messdaten von interstellaren Linien mit dem Coudé-Spektrogaphen am Calar
Alto interessiert. Da sie nicht reisen konnten, sollte Josef Solf vom MPIA die Beobachtungen ausführen. Der wissenschaftliche Vorschlag wurde vom Programm-Komitee und
Hans Elsässer gutgeheissen. Vor der Ausführung fiel unerwartet die Mauer und Werner
Pfau, der Leiter der Jenaer Universitäts-Sternwarte, konnte auf Einladung des MPIA zur
Beobachtung mitreisen. Sein sofort danach in der Zeitschrift „Die Sterne“ erschienener
Reisebericht („Als Neuling auf dem Calar Alto“) lässt uns heute noch die Begeisterung
für die gewonnene Freiheit spüren. Nach der staatlichen Wiedervereinigung 1990 gab
es die erste gemeinsame Tagung der Astronomischen Gesellschaft im September 1992
in Jena. Es begann unter anderem eine Zusammenarbeit Jenaer Astronomen (Johannes
Dorschner, Jochen Gürtler, Thomas Henning) mit dem MPIA für ein Beobachtungsprogramm mit dem ISO Satelliten: die Suche nach gefrorenen interstellaren Gasen in Sternentstehungsgebieten.
134
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In die große Freude über Deutschlands Einheit fielen kleine Wermutstropfen. Auch in
den neuen Bundesländern sollten flächendeckend Max-Planck-Institute entstehen, die
von den Ländern und dem Bund stets gemeinsam finanziert werden mussten. Der dafür
notwendige Finanzbedarf musste zum Teil durch Einsparungen in bestehenden Instituten
in den alten Bundesländern aufgebracht werden. In den frühen 1990er Jahren gab es deshalb beim MPIA kein reales Wachstum des Haushaltes. Ab 1995 sollten dann im Rahmen
eines „föderalen Konsolidierungsprogramms“ sogar Personalstellen eingespart und an
die MPG zurückgegeben werden. Bereits für die folgenden drei Jahre wurden vom Institut Personalmittel-Einsparungen von ~ 300 000 DM erwartet, das entsprach je nach
Qualifikation drei bis fünf Personalstellen. Außerdem nahm die Generalverwaltung der
MPG eine „überproportional gute Personalausstattung“ am MPIA wahr und schlug eine
Kürzung von fast 20 Stellen auf Sicht mehrerer Jahre vor. Natürlich anerkannte auch die
Heidelberger Institutsleitung damals die Unausweichlichkeit von Kürzungen, wehrte
sich aber gegen das vermeintliche „Rasenmäherprinzip“. Schließlich war das MPIA ein
ganz junges Institut, die Kürzungen hätten zuerst den noch nicht fest angestellten hoffnungsvollen Wissenschaftler-Nachwuchs betroffen. Zudem war ein großer Teil des Personals in der Calar-Alto- Sternwarte gebunden, die allen deutschen Astronomen diente.
Und wie sollte ein erstklassiger Nachfolger für Hans Elsässer gefunden werden, wenn
gleichzeitig das Institut schrumpfte? In langen Verhandlungen mit der MPG und einem
Gespräch mit dem Präsidenten konnte ein dem Institut angemessener Kompromiss
gefunden werden: das MPIA musste ein gutes Dutzend Stellen abgeben, aber gestreckt
über einen viel längeren Zeitraum. Erwogen wurden damals auch viele kleine Sparmaßnahmen, wie das „Outsourcing“ der Gebäude-Reinigungsarbeiten am Calar Alto.
Aber nicht nur am MPIA wurden Stellen gestrichen. Sehr viel härter traf es zeitgleich die
astronomischen Institute in der ehemaligen DDR. Eine Eingliederung des Zentralinstituts für Astrophysik in Potsdam-Babelsberg (ZIAP) in die Max-Planck-Gesellschaft kam
nicht in Frage. Zum ZIAP gehörten die Außenstellen Karl-Schwarzschild-Observatorium
Tautenburg und die Sternwarte Sonneberg. Die Institute waren, laut Elsässer, der sie von
Besuchen kannte, personell überbesetzt und überaltert. Der Deutsche Wissenschaftsrat,
das wichtigste einschlägige Beratungsgremium der Bundesregierung, sollte die Institute
evaluieren und prüfen, was erhalten, verkleinert oder geschlossen werden sollte. Wichtiges
Ziel war die Auflösung der zentralistischen Struktur und die Rückführung der Astronomie
an die Universitäten. Elsässer, der bei diesen Beratungen mitwirkte, setzte sich stark für
den Erhalt des neu hinzugekommenen „astronomischen Potentials“ ein, da Deutschland
kriegsfolgebedingt immer noch schwach in der Astronomie war. Durch seine Mitwirkung
in Gründungskommissionen wurden neue Träger für die Institute gefunden: Das Tau-
135
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tenburg-Observatorium wurde zur Thüringer Landessternwarte, mit einer Anbindung
an die Universität Jena. Mit der Auflösung des Zentralinstituts waren die Mitarbeiter
zum Ende des Jahres 1991 entlassen worden, aber in Tautenburg konnte eine fast unveränderte Anzahl von ihnen im neuen Landesinstitut Arbeitsverträge erhalten. Das Zentralinstitut am Standort Potsdam-Babelsberg kam zu den Instituten der „Blauen Liste“,
bei der Brandenburg 30 % finanziert und der Bund den Rest. An diesem Standort wurde
der Personalbestand halbiert. Die Sternwarte Sonneberg sollte in zwei Jahren geschlossen
und das wertvolle Plattenarchiv nach Tautenburg verlagert werden.
Parallel zu dieser Neuordnung entstanden in den neuen Bundesländern „Selbstständige
Arbeitsgruppen der Max-Planck-Gesellschaft“. Sie wurden finanziell gut gefördert und
sollten bei Erfolg zu Abteilungen oder Instituten der MPG oder ihrer Heimatuniversitäten
werden. In Jena entstand so die Gruppe „Staub in Sternentstehungsgebieten“, geleitet
von Thomas Henning, der einige Jahre später nach Heidelberg berufen wurde. Der Personalaustausch ging auch in die umgekehrte Richtung: Josef Solf, wissenschaftlicher
Mitarbeiter am MPIA und seit 1990 außerplanmäßiger Professor an der Universität Heidelberg, wurde 1993 zum Direktor der neuen Thüringer Landessternwarte Tautenburg
und Professor an der Universität Jena berufen.
Die Zusammenarbeit erfasste schnell auch die Bereiche der astronomischen Instrumentierung. Bei den Qualifikationstests für das Flugmodell des Heidelberger ISO-Instruments (ISOPHOT) arbeiteten über mehrere Monate Physiker aus Potsdam am MPIA,
eine hochwillkommene technische Unterstützung. Das MPIA leistete der neuen Thüringer Landessternwarte Tautenburg Hilfe beim Bau der „Spaltspinne“, einem Hebelwerk,
das das Licht mehrerer Galaxien über Glasfasern zur gleichzeitigen Messung in einen
Spektrographenspalt leitete. Bei dieser Zusammenarbeit wurden durch die Spaltung des
Landes lange verschüttete Freundschaften erneuert, neue entstanden. Die Astronomen
in Heidelberg lernten, dass im „Osten“ hochqualifizierte Kollegen arbeiteten, auch wenn
deren technische Ausrüstung gelegentlich nicht dem westlichen Standard entsprach.
Und die neuen Kollegen bemerkten, dass auch im „Westen“ nur mit Wasser gekocht
wird. So war schon wenige Jahre nach dem Mauerfall in der Astronomie die Deutsche
Einheit vollzogen.
136
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3.3
Hans-Walter Rix: Nachfolger für den Gründungsdirektor
Hans Elsässer
Hans Elsässer feierte am 29. März 1994 seinen 65. Geburtstag. Wegen seiner Unverzichtbarkeit beim Aufbau des Instituts und der Calar-Alto-Sternwarte war seine Emeritierung erst zum 68. Geburtstag vorgesehen, also zum März 1997. Bei zeitigem Beginn
der Suche nach einem Nachfolger und der Verfügbarkeit guter Kandidaten wäre die
Neuberufung ein Routinevorgang gewesen, der vielleicht drei Jahre in Anspruch genommen hätte. Am MPIA wurde sie zu einem etwas quälenden Prozess, bei dem die Mitarbeiter zeitweise um die Zukunft des Instituts bangten. Mehrere nicht vorhergesehene
Ereignisse verzögerten die Entscheidungen.
Im August 1993 wandten sich Elsässer und Beckwith an den Präsidenten der MaxPlanck-Gesellschaft und schlugen die Berufung eines glänzend beurteilten, jungen deutschen Astrophysikers als Nachfolger für Elsässer vor. Da wegen der laufenden finanziellen
Konsolidierungswelle (Kapitel 3.2) vor Elsässers Ausscheiden keine C4-Direktorenstelle
verfügbar sein würde, bot das MPIA die vorübergehende Schaffung einer institutseigenen
Stelle an. Diese sollte durch Aufstockung der durch Josef Solfs Berufung nach Tautenburg
frei werdenden C3-Stelle geschaffen werden. Aber der glänzende Kandidat erhielt gleichzeitig Angebote anderer Universitäten und entschied sich schließlich für eine andere süddeutsche Hochburg der Astronomie.
Im Juli 1995 setzte die MPG für die Nachfolge Elsässers eine Findungskommission ein,
der profilierte Astronomen aus der Max-Planck-Gesellschaft, von Universitäten und
internationalen astronomischen Institutionen angehörten. Ihnen trug der inzwischen
am MPIA Geschäftsführende Direktor Steven Beckwith im Oktober 1995 die Vorstellungen des Institutes zur weiteren Entwicklung vor. Nach der „Lex Heisenberg“ konnte
Elsässer sich erst bei einem späteren Termin vor der Findungskommission zu seinen
Zukunftsvorstellungen und seinem möglichen Nachfolger äußern. Die Kommission
fand sehr gute Kandidaten. Der bevorzugte leitete ein Observatorium an einem hervorragenden Standort in den USA und entschied sich nach längeren Vorgesprächen aber
doch, dort zu bleiben.
Im Januar 1997 wurde schließlich mit einer international geschalteten Stellenanzeige
Elsässers Nachfolger gesucht. Der Bewerbungsschluss im April 1997 lag bereits jenseits
Elsässers Emeritierung. Aus den zwölf Bewerbern ragte Hans-Walter Rix heraus. Nach
dem Studium an den Universitäten Freiburg und München hatte er hochangesehene
Forschungsstipendien erhalten und arbeitete einige Jahre an der Princeton University
137
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Abb. 3.3-1:
Hans-Walter Walter Rix
wurde 1997 als Direktor
ans MPIA berufen. Hier
auf dem höchsten Punkt
des Königstuhls, der Beobachtungs-Plattform des
Instituts in ~ 560 m
über N.N. (Lemke).
und am MPI für Astrophysik. Seine akademische Ausbildung hatte er an der Universität
von Arizona vollendet, wo er zuletzt als Associated Professor tätig war. Er arbeitete damals
auf dem Gebiet der Galaxien-Dynamik und konnte zeigen, dass die Kerne vieler Galaxien
dunkle Zentralmassen von der Größenordnung einer Milliarde Sonnenmassen besitzen.
Aus der Verzerrung des Lichtes ferner Quasare versuchte er die Massenverteilung der
Dunklen Materie im Universum zu bestimmen. Breite Interessen und vielbeachtete Beiträge aus der theoretischen und beobachtenden Astronomie machten ihn 1996, im Alter
von nur 32 Jahren, zu einem der 20 meistzitierten Wissenschaftler im führenden „Astrophysical Journal“. Im November 1997 stimmte die Chemisch-Physikalisch-Technische
Sektion der MPG der Berufung von Hans-Walter Rix ans MPIA zu (Abb. 3.3-1).
138
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Fast gleichzeitig mit dieser aussichtsreichen Neuberufung erreichte das Institut eine
Nachricht, die bei aller Freude Besorgnis auslöste: Steven Beckwith erhielt das Angebot,
als Direktor zum Space Telescope Science Institute (STScI) zu gehen. Dort wird das
berühmte Hubble Space Telescope betrieben, eine der erfolgreichsten „Wissenschaftsmaschinen“ der Menschheit. Zusätzlich laufen dort die Vorbereitungen für den Betrieb des
noch leistungsfähigeren Nachfolgers von „Hubble“, des James Webb Space Telescope
(JWST). Mindestens 500 Mitarbeiter unterstehen dem STScI-Direktor bei einem Jahresetat von 25 Millionen US-Dollar. Steven Beckwith unterrichtete alle Mitarbeiter des
MPIA im Januar 1998 in einem Memorandum ausführlich über die neue Entwicklung.
Er sagte klar, dass ihn diese große Herausforderung reizte, er aber bei einem Wechsel
weiter für das MPIA tätig sein würde, durch häufige Besuche und Telekonferenzen. Für
das MPIA, das Beckwith in den gut sechs Jahren seiner Anwesenheit in Heidelberg weltweit bekannt gemacht hatte, war die Berufung in diese Spitzenposition der Astronomie
eine hohe Anerkennung. Aber im Institut machten sich Sorgen um die Leitung und die
Zukunft des MPIA breit. Beckwith verließ Heidelberg im März 1998, Elsässer war emeritiert und inzwischen schwer erkrankt, mit Rix hatten Berufungsverhandlungen gerade
erst begonnen. Und selbst wenn Hans-Walter Rix im Laufe des Jahres zusagen würde,
wäre das Institut wieder bei nur einem Direktor angelangt, statt der ursprünglich angestrebten drei bis vier. In dieser „gefühlten“ Krise verbreiteten sich unter den Mitarbeitern
Gerüchte über eine mögliche Schließung des Instituts.
Steven Beckwith konnte vor seiner Beurlaubung durch die MPG Immo Appenzeller, den
Direktor der benachbarten Landessternwarte und gleichzeitig Auswärtiges Mitglied des
MPIA, überreden, vor Ort die kommissarische Leitung des Instituts für einen Zeitraum
von bis zu drei Jahren zu übernehmen. Im Sommer 1998 unterzeichnete die MaxPlanck-Gesellschaft mit Immo Appenzeller einen Vertrag, der ihn als kommissarischen
Geschäftsführenden Direktor des MPIA ohne Kompetenzeinschränkung bestätigte (Abb.
3.3-2). Appenzeller hatte für die Übernahme dieser zusätzlichen Aufgabe auch die Zusage
des Baden-Württembergischen Wissenschaftsministers erhalten, so dass eine Gefährdung
der Landessternwarte vermieden wurde. Die Zusatzbelastung meisterte Appenzeller
bestens, er war mindestens einen Tag pro Woche im MPIA anwesend und setzte Beckwiths
offenen Führungsstil fort. Er vertiefte die Zusammenarbeit der beiden Nachbarinstitute
auf dem Königstuhl, so durch den gemeinsamen Bau der beiden LUCIFER-Spektrometer
für das Large Binocular Telescope (LBT). In diese Übergangszeit fällt auch die erste Klausurtagung der verantwortlichen Wissenschaftler des MPIA mit dem scheidenden und dem
neuen Direktor. Beckwith und Appenzeller hatten dazu auf die „Kreidacher Höhe“ im
Odenwald eingeladen. In zwei Tagen wurden alle laufenden und geplanten Forschungs-
139
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Abb. 3.3-2: Immo Appenzeller, Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied und Direktor der benachbarten Landessternwarte, leitete 1998/99 kommissarisch das MPIA (LSW).
Programme am MPIA durchleuchtet und neu bewertet. Die folgende „Appenzeller-Zeit“
wurde von vielen als sehr angenehm empfunden, da das Feuerwerk von Beckwiths wissenschaftlichen und instrumentellen Initiativen vernünftig abgearbeitet werden konnte,
ohne Druck durch weitere, schnelle Vorhaben. Begonnen wurde zusätzlich nur OMEGA
2000 für das 3.5 m-Fernrohr am Calar Alto, die weltweit erste Weitfeld-Kamera mit
2000 × 2000 Pixeln für das nahe Infrarote an einem großen Teleskop (Abb. 3.3-3).
140
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 141
Abb. 3.3 -3: Omega 2000, die Weitfeld-Kamera für das nahe Infrarot, wird nach mehrjähriger
Entwicklung am MPIA im Jahre 2003 im Primärfokus des 3.5 m-Teleskops auf dem Calar Alto in
Betrieb genommen. Der lange rosa Zylinder enthält ein Kühlsystem mit flüssigem Stickstoff, mit
dem sowohl die großen IR-Kamera-Sensoren (2000 x 2000 Pixel), als auch ein Linsensystem zum
Erreichen der Abbildungsskala von 0.45 Bogensekunden/Pixel und ein Blendensystem gekühlt
werden. Im Vordergrund das Erbauer- und Erprobungs-Team. V.l.n.r.: Herrmann-Josef Röser
(Projektleiter), Arra Guijarro, Peter Bizenberger, Matthias Alter, Ulrich Mall, René Fassbender,
Zoltan Kovacs, Clemens Storz, Harald Baumeister (MPIA).
141
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 142
Im November 1998 nahm Hans-Walter Rix den Ruf ans MPIA an. Der offizielle Jahresbericht des Instituts für das Jahr 1999 konnte nun doch drei Direktoren aufführen:
Immo Appenzeller (kommissarisch), Steven Beckwith (beurlaubt), Hans-Walter Rix (ab
1.1.1999). Letzterer hatte bei seinen Berufungsverhandlungen mit dem Präsidenten der
MPG, Hubert Markl, erreichen können, dass mit der Suche nach einem Nachfolger für
Beckwith sofort begonnen werden könne und dass auf längere Sicht die Berufung eines
dritten Direktors, vorzugsweise einer Direktorin, möglich sei. Hans-Walter Rix konnte
außerdem die Erhöhung des deutschen Anteils am LBT um ein zweites Achtel erreichen,
um dem MPIA langfristig Zugang zu einem Großteleskop zu sichern. Nach seiner
Ankunft in Heidelberg konnte Rix die LBT-Angelegenheiten noch für ein halbes Jahr der
kommissarischen Betreuung Appenzellers überlassen.
3.4
Thomas Henning aus Jena: Nachfolger für Steven Beckwith
Während des Jahres 1999 standen für Immo Appenzeller und Hans-Walter Rix zwei
Zukunftsfragen auf der Tagesordnung: (1) eine nüchterne Analyse der Bedeutung des
eigenen Calar-Alto-Observatoriums im beginnenden Zeitalter der 8 m-Teleskope, unter
Berücksichtigung der Forschungsinteressen der Wissenschaftlichen Mitglieder am Institut, und (2) das Finden und Berufen eines Nachfolgers für Steven Beckwith.
Nach seiner Berufung an das Space Telescope Science Institute war Steven Beckwith ab
1998 für fünf Jahre von seinem Direktorenamt am MPIA beulaubt worden, was eine
Rückkehrmöglichkeit nach Heidelberg einschloss. Im Jahre 2002 unterrichtete er den
Präsidenten der MPG dann, dass er auf Dauer in den USA bleiben würde. Gleichzeitig
nahm er die Einladung des Präsidenten an, Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied des
Heidelberger Instituts zu werden.
Für die Suche nach dem zweiten Direktor setzte die MPG Anfang des Jahres 2000 eine
Findungskommission ein. Sie schrieb die Stelle öffentlich aus und wies interessante Kandidaten auf die Möglichkeit zur Bewerbung hin. Das Einholen von Gutachten und
Gespräche mit den Kandidaten der engeren Wahl zogen sich längere Zeit hin. Absagen
von Kandidaten, die ihre Stellung an ihren Heimatinstituten durch solche auswärtigen
Interessenbekundungen verbessern konnten, verzögerten die Entscheidungen weiter. Im
Januar 2001 war alles geklärt, der Spitzenkandidat war Thomas Henning von der Universität Jena (Abb. 3.4-1). Diese Wahl wurde von den Wissenschaftlern des MPIA
begrüßt, da seine Forschungsinteressen gut zu denen des Instituts passten.
142
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 143
Abb.3.4-1: Thomas
Henning wurde 2001
als Direktor ans MPIA
berufen (MPIA).
Thomas Henning hatte in den Jahren 1992 bis 1996 an der Universität Jena die MaxPlanck-Forschungsgruppe „Staub in Sternentstehungsgebieten“ geleitet. Dabei hatte er
drei sich ergänzende Wege verfolgt: 1. Astronomische Beobachtungen im Infrarot- und
Submillimeterbereich, 2. Theoretische Berechnungen und Simulationen zur Staubentstehung und 3. Laborexperimente mit künstlich hergestelltem „kosmischen“ Staub. Dazu
gehörten auch Versuche zum Zusammenballen der Staubteilchen zu immer größeren
Körpern wie bei der Planetenentstehung in zirkumstellaren Scheiben. Einer seiner Mitarbeiter in Jena wurde damals Jürgen Blum, der vorher seine Diplomarbeit am MPIA
und seine Doktorarbeit am MPI für Kernphysik in Heidelberg durchgeführt hatte. Nach
dem Ende der Förderzeit der Forschungsgruppe durch die MPG konnte die leistungsstarke Gruppe als Abteilung des Astrophysikalischen Instituts in Jena weitergeführt wer-
143
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 144
den. Thomas Henning war 1999 zum Ordinarius für Astronomie an der Universität Jena
berufen worden.
Während der Berufungsverhandlungen mit der MPG im Jahre 2001 unterrichtete sich
Henning durch die Teilnahme an mehreren Institutsbesprechungen über die Arbeiten in
Heidelberg. Dabei teilte er auch seine Pläne mit, er wolle auf instrumentellem Gebiet
den Ausbau der adaptiven Optik, der Interferometrie und der Beobachtungs-Möglichkeiten im mittleren und fernen Infraroten erreichen. Im November 2001 sagte er zu,
nach Heidelberg zu kommen und ab sofort im Nebenamt mitzuwirken. Ab Juni 2002
übernahm er sein neues Amt auf dem Königstuhl vollständig.
Mit dieser Berufung nach Heidelberg waren die Zusagen der MPG und der Universität
Jena verbunden, im Jenaer Institut für Festkörperphysik gemeinsam ein Laboratorium
für kosmischen Staub zu betreiben. Damit hatte das MPIA eine weitere interessante
Außenstelle bekommen.
3.5
Neugliederung des Instituts
Seit der Institutsgründung hatte Hans Elsässer das Amt des Geschäftsführenden Direktors
für 25 Jahre inne gehabt. Damit sollte Beständigkeit im Aufbau des Heimatinstituts und
der Calar-Alto-Sternwarte sichergestellt werden. Elsässer war der Steuermann des Instituts, der diesen Anspruch durch unermüdlichen Einsatz auf allen Arbeitsfeldern des
Instituts rechtfertigte. Für viele Mitarbeiter war er zusätzlich eine Vaterfigur, da er sich
auch der persönlichen Sorgen der Mitarbeiter annahm. Sein Lebenswerk wurde im Jahre
1995 durch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse gewürdigt, verliehen durch den Bundespräsidenten und überreicht durch den baden-württembergischen Wissenschaftsminister
Klaus von Trotha (Abb. 3.5-1).
Mit dem Arbeitsbeginn von Thomas Henning am MPIA Mitte des Jahres 2002 begann
eine neue Entwicklungsstufe des Instituts: die Gliederung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit in getrennte Abteilungen, geleitet von je einem Direktor. Die beiden
Direktoren arbeiten auf unterschiedlichen Forschungsgebieten, die sich in dem Namen
der Abteilungen widerspiegelt: „Planeten- und Sternentstehung“ (Thomas Henning)
und „Galaxien und Kosmologie“ (Hans-Walter Rix). Die bisherigen wissenschaftlichen
Mitarbeiter des MPIA wurden bei der Aufteilung jeweils einer dieser Abteilungen zugeordnet. Unterstützt werden beide durch die zentralen technischen Abteilungen, vor allem
die Institutswerkstätten und durch die Institutsverwaltung. Die Leitung der Technischen
144
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 145
Abb. 3.5-1: Hans Elsässer erhält das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, überreicht vom Wissenschaftsminister Klaus von Trotha. Bei der Feierstunde am 17. Oktober 1995 wurden Elsässers Verdienste für den Aufbau des MPIA und der Calar Alto Sternwarte gewürdigt, aber auch seine
astronomische Öffentlichkeitsarbeit und seine Mitarbeit bei der Neuordnung der mitteldeutschen
Forschungseinrichtungen nach der Wiedervereinigung. In der ersten Reihe (am Mittelgang) sitzt
Steven Beckwith, Elsässers Nachfolger als Direktor des MPIA, links Heinz A. Staab (MPIA).
Abteilungen wurde ab dem Jahre 1999 jeweils einem in instrumentellen Fragen erfahrenen Wissenschaftler am Institut übertragen (bis 2004 Dietrich Lemke, danach Martin
Kürster), der den Direktoren regelmäßig berichtet. Dieser große Institutsumbau führte zu
einer stetigen Leistungssteigerung, die sich bis heute fortsetzt.
Die neue Abteilungsgliederung erlaubt es den Direktoren, einen überschaubareren Bereich ihres Fachgebiets anzuleiten. Beide Abteilungen veranstalten spezialisierte wissenschaftliche Seminare, aber zusätzlich gibt es weiterhin abteilungsübergreifende Kolloquien. Die Zahl der wissenschaftlichen Gäste am Institut ist von einigen Dutzend jährlich
in den 1990er Jahren auf inzwischen über 200 gestiegen. Die Zahl der wissenschaftlichen
Publikationen hat sich vervielfacht. Aus der „großen Sternwarte“, die das MPIA in der
145
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 146
Abb. 3.5-2: Gäste der Gedenkfeier für den verstorbenen Gründungsdirektor des MPIA Hans Elsässer,
versammelt am 25. November 2003 auf dem Königstuhl. In der ersten Reihe von links nach rechts:
Brigitte Weber-Bosse, Reimar Lüst, Hans-Walter Rix, Albrecht und Gisela Elsässer. In der zweiten
Reihe: Steven Beckwith, Josef Solf, Reinhard Genzel, Karl-Heinz Schmidt, Immo Appenzeller,
Werner Pfau (MPIA).
146
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Gründungszeit war, ist ein international bekanntes, leistungsfähiges Wissenschaftszentrum geworden. Auch wenn damit das Ziel eines Max-Planck-Instituts, Leuchtturm der
Wissenschaft zu sein, erreicht wurde, bleiben einige moderne Umstände gegenüber den
frühen Jahrzehnten für schon länger beschäftigte Mitarbeiter gewöhnungsbedürftig.
Viele neue Mitarbeiter bleiben auf befristeten Stellen oder mit Stipendien nur für ein bis
drei Jahre am Institut. Deshalb kennt sich ein Teil der inzwischen über 250 Kollegen
nicht mehr näher. Amerikanisch/Englisch ist zur täglichen Arbeitssprache geworden.
Auf Deutsch kann man noch in der Kantine bestellen: Chickenwings, Wraps, Pizza,
Cappuccino, Cevapcici. Als ein junger Wissenschaftler seinen Vortrag auf Deutsch ankündigte, erhielt er unverzüglich eine e-mail des Direktors mit dem Hinweis auf das
wegen der Internationalität der Zuhörer gewünschte Englisch.
Das Institut bietet seinen fremdsprachigen Gästen (im Jahre 2009 aus 25 Ländern) kostenlos Deutschkurse an, die durchschnittlich von etwa zehn Teilnehmern besucht werden.
Zu den besonders erfolgreichen Kursteilnehmern gehören Franzosen und Ungarn; für
Chinesen ist Deutsch eine schwierige Sprache, und Englisch scheint ihnen für eine internationale Karriere wichtiger.
Parallel zur Neugliederung begann auch der schrittweise Rückzug vom Calar Alto. An
seiner Stelle wurden für die astronomische Datengewinnung beider Abteilungen die
Teleskope der ESO und Weltraum-Observatorien immer wichtiger. Durch Mitwirkung
an internationalen Vorhaben, so an den SLOAN- und Pan-STARRS-Durchmusterungen,
am Large Binocular Telescope in Arizona und an der Instrumentierung der europäischen
Teleskope der ESO und Satelliten der ESA, erhielt das Institut Zugang zu einzigartigen
Beobachtungs-Möglichkeiten und Datenarchiven. Diese neuen Beteiligungen erforderten nicht mehr den Aufwand für den Dienstleistungsbetrieb, mit dem die Calar-AltoSternwarte in den bisherigen drei Jahrzehnten viele Kräfte und Mittel des Instituts gebunden hatte.
Die abnehmende Bedeutung der Calar-Alto-Sternwarte war eine schmerzhafte Erfahrung
für Hans Elsässer, sah er doch hier sein Lebenswerk wanken. Ab 2000 kamen weitere Sorgen dazu, eine heimtückische Krankheit führte zu mehreren Klinik-Aufenthalten und
band ihn schließlich ans Haus. Am 10. Juni 2003 starb er im Alter von 74 Jahren in Heidelberg. Er wurde auf dem Bergfriedhof beerdigt, wo schon andere große Astronomen
ihre letzte Ruhestätte gefunden haben (siehe Kapitel 10.4). Zu einer Gedenkfeier im
Institut haben sich am 25. November 2003 über hundert Weggefährten und Schüler eingefunden, darunter die Direktoren der anderen astronomisch orientierten Max-PlanckInstitute, die Vertreter der Max-Planck-Gesellschaft, der Heidelberger Akademie der
Wissenschaften, der Universität Heidelberg und der Industrie (Abb. 3.5-2). In einer
147
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Reihe von Ansprachen von wissenschaftlichen Kollegen wurde in dieser Stunde Elsässers
überragender Leistungen für den Neuaufbau der Astronomie in der frühen Bundesrepublik gedacht. Zur bleibenden Erinnerung an den Gründungs-Direktor erhielt das Astrolabor ab diesem Tage den Namen „Elsässer-Labor“; die neuen Namenstafeln wurden am
Schluss der Gedenkfeier enthüllt.
3.6
Abteilung Planeten- und Sternentstehung
Mit der Neuordnung des Instituts nach der Tätigkeitsaufnahme von Thomas Henning
im Jahre 2002 wurden die schon am MPIA auf dem Forschungsgebiet Sternentstehung
arbeitenden Wissenschaftler in die neu entstandene Abteilung eingegliedert. Über die bis
dahin erreichten wissenschaftlichen Erfolge wurde in Beispielen im Kapitel 2.10.1 berichtet.
Henning erweiterte das Forschungsfeld um die Suche nach extraterrestrischen Planeten,
um eine Theoriegruppe zur Planetenentstehung, und die Labor-Astrophysik. Einige
Ergebnisse der letzten Jahre aus diesen neuen Gebieten sollen hier beispielhaft angeführt
werden. Vorangestellt ist ein Forschungsthema, das bereits seit 1993 am MPIA bearbeitet
wird und auch heute in der neuen Abteilung reichlich wissenschaftliche Früchte liefert:
Braune Zwergsterne.
3.6.1 Braune Zwerge
Sterne mit Massen, die deutlich geringer sind als die unserer Sonne, haben wesentlich
geringere Leuchtkräfte und niedrigere Temperaturen. Sie sind viel langlebiger als unsere
Sonne (~ 9 Milliarden Jahre), da sie ihren Kernbrennstoff (Wasserstoff ) sparsamer nutzen.
Ihr Anteil an der Sternbevölkerung ist um so größer, je geringer ihre Massen sind. Unterhalb einer bestimmten Masse sollte die durch die Schwerkraft im Kern eines solchen
Zwergsternes erzeugte Druck- und Temperatur-Erhöhung nicht mehr ausreichen, die
Verschmelzung von Wasserstoff zu Helium zu ermöglichen. Ohne Zündung des „Wasserstoffbrennens“ kann kein richtiger Stern entstehen, sondern nur eine Gaskugel, die
anfangs noch die Gravitationsenergie in Wärmestrahlung verwandelt und sich später
immer weiter abkühlt. Die spannende Frage war, ob es solche „Braunen Zwerge“ wirklich
gibt. Theoretiker hatten die Existenz dieser Objekte bereits seit den 1960er Jahren vorausgesagt. Seit 1993 haben Christoph Leinert und Martin Haas vom MPIA mit der
148
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 149
Speckle-Methode gezielt Braune Zwerge als Begleiter von massearmen und wenig leuchtkräftigen Sternen in der Sonnenumgebung gesucht. Entdeckt haben sie zwar sehr massearme Begleiter, aber für die noch lichtschwächeren Braunen Zwerge reichte die Empfindlichkeit ihrer Speckle-Kamera offenbar nicht aus. Gefunden wurden die ersten
Braunen Zwerge im Jahre 1995, darunter „Teide I“, ein Mitglied des Plejaden-Sternhaufens. Ihre spanischen Entdecker aus Teneriffa veranstalteten im Jahre 1998 zu diesem
neuen Thema eine wissenschaftliche Tagung, die auch von Mitarbeitern des MPIA
besucht wurde. Reinhard Mundt und Coryn Bailer-Jones, der gerade von der Universität
Cambridge ans Institut gekommen war, waren von den auf Teneriffa vorgetragenen
Ergebnissen so begeistert, dass sie ihre Arbeit um die Erforschung der Braunen Zwerge
erweitern wollten. Und wie so oft bei der Eroberung von wissenschaftlichem Neuland,
konnten sie schnell Erfolge erreichen. Dazu trugen die guten Beobachtungsmöglichkeiten
am Calar Alto und die damals begonnene enge Zusammenarbeit mit den Astronomen
des Instituto de Astrofisica de Canarias (IAC) bei. Der spanische Entdecker der Braunen
Zwerge und vielseitige Astronom Rafael Rebolo wurde im Jahre 2001 zum Auswärtigen
Wissenschaftlichen Mitglied des MPIA berufen.
Im Jahre 1998 waren gerade fünf Braune Zwerge nachgewiesen. Wichtige Fragen waren
damals:
1. Wo beginnt der Übergang von massearmen (aber richtigen) Sternen zu Braunen Zwergen?
Ist das bei einer Masse von 0.072 Sonnenmassen (entsprechend 75 Jupitermassen),
wie aus Modellrechnungen vorhergesagt?
2. Wie entstehen diese Objekte? Anfänglich ähnlich wie Sterne, deren weiteres Anwachsen
aber wegen Materialmangel oder Störstrahlung eines heißen Nachbarsterns unterbrochen wird?
Mit dem CAFOS-Instrument am 2.2 m-Teleskop am Calar Alto begannen im Jahre
1999 Nachbeobachtungen zu den in den Plejaden entdeckten Braunen Zwergen. Ziel
war das Auffinden von regelmäßigen Helligkeitsschwankungen, aus denen die Rotationsperiode der Objekte abgelesen werden kann. Sehr massearme Sterne zeigen solche
Lichtkurven, weil sich in ihren kühlen Atmosphären Staubwolken gebildet haben. Im
Unterschied dazu wurde bei den Braunen Zwergen keine regelmäßige Veränderlichkeit
gefunden, was auf das Entstehen und Vergehen der Wolkenstrukturen innerhalb einiger
Tage hindeutet. Aber bereits ein Jahr später gelang eine andere viel beachtete Entdeckung.
Beim Vergleich der Infrarot-Bilder des σ Orionis-Sternhaufens (dicht beim Pferdekopfnebel, Abb. 3.6-1), aufgenommen vom MPIA mit dem 3.5 m- Teleskop mit dem entspre-
149
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 150
S Ori 60
S Ori 56
S Ori 52
Abb. 3.6-1: Im Sternhaufen σ Orionis wurden vom spanischen IAC und Wissenschaftlern des MPIA
mehrere Braune Zwerge gefunden. Die Vergrößerungen zeigen den Sternhaufens beim linken Gürtelstern des Orions und stark vergrößert drei Beispiele der lichtschwachen Braunen Zwerge. Darunter
ein Modellbild dieser kühlen Objekte mit etwa 1/10 des Sonnendurchmessers (IAC/MPIA; JB 2000,
S.14, II.1).
150
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 151
chenden optischen Bild der spanischen Kollegen des IAC, fielen einige extrem rote
(kühle) Objekte auf. Gemeinsame Nachfolgebeobachtungen vom Calar Alto und von
Hawaii aus ergaben für mehrere dieser sehr lichtschwachen Objekte Massen der Größenordnung 10 Jupitermassen. Das ist noch weniger als die Masse eines Braunen Zwerges,
der am Anfang seiner Entwicklung kurzzeitig noch Deuterium (den seltenen schweren
Wasserstoff ) brennen kann. Bei Objekten mit weniger als 13 Jupitermassen ist auch die
Deuterium-Verbrennung nicht mehr möglich. Solche Leichtgewichte sind Planeten, oft
Super-Jupiter genannt. Mundt und Bailer-Jones hatten also gemeinsam mit ihren spanischen Kollegen freifliegende, an keinen Zentralstern gebundenen Planeten entdeckt.
Damals galt als gesichert, dass Planeten in den Staubscheiben um junge Sterne entstehen.
Waren die neuentdeckten Freiflieger aus solchen Scheiben herausgeworfen worden, beispielsweise durch Begegnung des Muttersterns mit einem Nachbarstern? Oder sind sie,
ähnlich wie richtige Sterne, in einem Haufen durch das Zusammenballen einer großen
interstellaren Wolke und deren anschließenden Zerfall in kleinere Bruchstücke entstanden? Die Antwort auf diese Fragen suchten die Astronomen des MPIA auf zwei Wegen.
Bei Untersuchungen im mittleren Infraroten fanden sie bei mehreren Braunen Zwergen
Staubscheiben. Diese Beobachtung spricht mehr für eine Entstehung als sehr massearmer
Stern. Der zweite Ansatz vergleicht die Häufigkeit von Doppelsternsystemen bei massearmen Sternen mit der von Braunen Zwergen. Etwa die Hälfte der sonnenähnlichen
Sterne lebt in Doppel- oder Mehrfachsystemen. Mit dem Hubble-Weltraumteleskop
wurden im Jahre 2002 von MPIA-Wissenschaftlern über 100 Braune Zwerge mit höchster räumlicher Auflösung (0.06 Bogensekunden) abgebildet. Dabei wurde ein Anteil von
~ 20 % Doppelsystemen gefunden. Das ist zwar weniger als bei massearmen Sternen,
bezieht sich aber bisher nur auf etwa gleichhelle Partner, da bei ungleichen Partnern der
schwächere vom helleren überstrahlt sein könnte. Der dennoch vergleichsweise hohe
Anteil an „gebundenen“ Systemen spricht ebenfalls für einen Entstehungsweg ähnlich
dem der Sterne.
Die Erforschung der Braunen Zwerge als Bindeglieder zwischen Sternen und Planeten
bleibt auch in den nächsten Jahren ein aufregendes Forschungsgebiet am MPIA. Inzwischen kann die schwierige Frage angegangen werden: Wie groß sind die masseärmsten
Braunen Zwerge und Super-Jupiter, die in einer kollabierenden Wolke neben den Sternen
entstehen können? Die Theorie sieht diese Grenze bei etwa 4 Jupitermassen, kleinere
Wolken-Bruchstücke bringen wahrscheinlich kein sternähnliches Objekt hervor. Ein
Mangel vieler bisheriger Untersuchungen ist, dass das Alter der Objekte nicht aus ihren
Spektren abgelesen werden kann, weil die bekannte Physik der Sternentwicklung hier
nicht greift. Die Altersbestimmung wird aber möglich, wenn man die Braunen Zwerge
151
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als Mitglieder von Sternhaufen findet, denn das Alter der „richtigen“ Sterne kann genau
festgelegt werden. Da diese Sternhaufen typischerweise ~ 500 Lichtjahre entfernt sind,
wird man für die Untersuchung der extrem lichtschwachen Objekte aber sehr große Teleskope mit adaptiver Optik benötigen. Das ist ein wichtiger Grund für das MPIA, am
Europäischen 42 m-Teleskop (E-ELT) mitzuarbeiten (Kapitel 5.2.3).
3.6.2 Die Geburtsstätten der Planeten
Seit der Entdeckung des ersten Planeten bei einem anderen Stern im Jahre 1995 werden
jedes Jahr Dutzende neuer extrasolarer Planeten gefunden, im Jahre 2009 waren es über
400. Offenbar ist unser Sonnensystem nicht einzigartig, und deshalb ist es ein spannendes
Forschungsziel, eine „zweite Erde“ zu finden. Thomas Henning hat seit dem Jahre 2002
eine große Forschungsgruppe am Institut aufgebaut, die die Entstehung von Planeten
mittels der bekannten Gesetze der Physik verstehen will. Die dabei entwickelten Theorien
sollen durch Beobachtungen nachvollzogen werden. Bei der theoretischen Simulation
sind gewaltige Skalen zu durchschreiten: (1) Stern- und Planetenentstehung dauern viele
Millionen von Jahren, im Rechner müssen sie in Tagen ablaufen, und (2) vom ersten
Staubkorn zu einem erdähnlichen Planeten wächst der Durchmesser des Objekts um das
zehnbillionenfache (1013) an.
In groben Zügen scheint der Vorgang verstanden zu sein. Beim Kollaps einer kalten
dichten Molekülwolke zerfällt diese in Bruchstücke, aus denen durch weiteres Zusammenballen unter der Wirkung der Massenanziehungskräfte Sternembryos entstehen.
Sie rotieren schnell, da die Turbulenzen der großen Mutterwolke auf sie übertragen
werden. Und sie sind von einer mitrotierenden Staub- und Gasscheibe umgeben, von
der noch lange Zeit Material auf den entstehenden Stern herunterspiralt. Wegen der
großen Entfernung der Sterne erscheinen diese protoplanetaren Scheiben so klein, dass
sie bis auf wenige Ausnahmen (so im Orionnebel) nicht direkt abgebildet werden konnten. Am einfachsten sind sie im Infraroten nachzuweisen, denn sie liefern im Spektrum
des Sterns ein zweites Maximum (Abb. 3.6-2). Messungen mit dem ISO-Satelliten
konnten zeigen, dass in jungen Sternhaufen fast alle Sterne von einer warmen Scheibe
umgeben sind. Mit zunehmendem Alter der Sternhaufen werden Temperatur und Helligkeit der Scheiben geringer, offenbar weil die sternnahen wärmeren Bereiche der
Staubscheibe verschwinden und eine zentrale Lücke in der Scheibe entsteht. Die Vermutung liegt nahe, dass sich dort durch das Zusammenklumpen des Staubes Planeten
gebildet haben.
152
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 153
1
–16
NOph
Häufigkeit
lg (Spektrale Energie / (W/cm))
–15
–17
–18
0,5
–19
R Cr A
Taurus
Lupus
SX Cha
0
Cham I
IC 2602
Perseiden
Plejaden
NGC 7092
TW Hya
–20
1
10
Wellenlänge [Im]
100
10
106
107
108
109
Alter [Jahre]
Abb. 3.6-2: Links: Spektrum des Sterns SX Cha (durchgezogene Linie) mit einer Staubscheibe, die
am zweiten Emissions-Maximum im Infraroten bei Wellenlängen von 10 bis 100 μm zu erkennen
ist. Rechts: Untersuchungen der Häufigkeit solcher Scheiben bei Sternhaufen verschiedenen Alters
zeigten, dass sie im Laufe von ~ 10 Millionen Jahren verschwinden, weil sich im inneren Bereich
(< 3 Astronomische Einheiten) Planeten gebildet haben (Michel Meyer, Steven Beckwith 1998).
Die direkte Abbildung entstehender Planeten ist aber ganz schwierig, da der Mutterstern
viele Millionen mal heller ist und einen eng benachbarten Planeten überstrahlt. Es wäre
deshalb ein großer Fortschritt, wenn man die Planetenentstehung im Rechner nachbilden könnte. Die Eigenschaften des Ausgangsmaterials, der interstellaren Materie, sowie
diejenigen des Sterns und die eines fertigen Planetensystems sind gut bekannt und können physikalisch-mathematisch genau beschrieben werden. Die Theoriegruppen der
Abteilung, mit Hubert Klahr, Sebastian Wolf, Cornelius Dullemond und Kollegen arbeitete seit dem Jahre 2003 an dieser Planetenentstehung im Computer. Sie mussten den
gewaltigen Wachstumsvorgang um 13 Größenordnungen zunächst in handhabbare Teilstrecken zerlegen. Der erste Schritt, die Bildung von millimetergroßen Körnern aus den
nur einige tausendstel Millimeter großen interstellaren Staubteilchen gelang im Rechner.
Da millimetergroße Teilchen noch nicht beobachtet waren, versuchten Jens Rodmann
und Thomas Henning sie bei den Wellenlängen nachzuweisen, bei denen sie die meiste
Wärme abstrahlen: Das ist im Millimeter-Wellenlängenbereich. Gemeinsam mit ameri-
153
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 154
kanischen Kollegen benutzten sie dafür das Very Large Array (VLA), ein aus 27 Einzelantennen von je 25 m Durchmesser bestehendes Radiointerferometer in New Mexico,
USA. Die Messungen an T-Tauri-Sternen, ganz jungen Sternen, die noch von einer dichten
Staubscheibe umgeben sind, ergaben bei Wellenlängen zwischen 7 mm und 3.6 cm Signale, die auf das Vorhandensein von Staubteilchen mit Größen von einigen Millimetern
schließen lassen. Damit war durch Beobachtungen das theoretisch berechnete frühe
Staubteilchenwachstum in protoplanetaren Scheiben bestätigt. Als Nächstes galt es zu
verstehen, wie aus diesem „Sand“ kilometergroße Brocken, sogenannte Planetesimale
entstehen. Bei diesen Rechnungen stießen die Theoretiker des MPIA auf ein schon in
früheren Simulationen von anderen Forschern erkanntes Hindernis, das unüberwindlich
schien. Durch den Stoßen-Haften-Mechanismus wachsen die Gesteinsbrocken nur bis
zu einer Größe von etwa 10 cm an. Ab dieser Größe zerstören sich die Brocken bei Begegnungen in der rotierenden protoplanetaren Scheibe öfter, als dass sie zusammenzuwachsen. Im MPIA wurde aber in den Jahren ab 2006 ein Weg gefunden, wie die Natur diese
„Zehn-Zentimeter-Grenze“ überwinden kann. Es sind vermutlich Wirbel in der protoplanetaren Gas- und Staubscheibe, in denen sich Verdichtungen von Gesteinsbrocken
durch gegenseitige Massenanziehung zusammenlagern können. In solchen Wirbeln können innerhalb kurzer Zeit Körper von der Größe unserer Asteroiden (~ 100 km) entstehen. Aber gibt es diese Wirbel wirklich? Auf Grund ihrer Kleinheit wird man sie nicht
direkt beobachten können. Aber im Rechner ließen sie sich von den MPIA-Theoretikern
erzeugen und bildlich darstellen. Zwei Effekte führen zu Turbulenzen und Wirbeln in
der protoplanetaren Scheibe. Dicht beim Stern wird das Gas in ein heißes elektrisch leitendes Plasma verwandelt, auf das die Magnetfelder des Sterns bremsend einwirken:
Dabei entstehen „Magnetorotations-Turbulenzen“. Weiter außen bewirken leicht unterschiedliche Umlaufgeschwindigkeiten des kalten Scheibengases und der Gesteinsteilchen
in und über der Scheibenebene die „Kelvin-Helmholtz-Turbulenzen“ (Abb. 3.6-3).
Für diese Rechnungen haben der Doktorand Anders Johansen und seine Kollegen über
20 Millionen Teilchen im Rechner kreisen lassen. So konnten sie überzeugend und dreidimensional die Verwirbelungen nachzeichnen. Möglich wurde das durch den äußerst
leistungsfähigen Rechner PIA, der den Theoriegruppen beider Abteilungen des MPIA
zur Verfügung steht. Dieser Superrechner wurde nicht auf dem Königstuhl aufgestellt,
sondern im modernen Rechenzentrum der Max-Planck-Gesellschaft in Garching. Er
wird über Internetverbindungen so genutzt, als stände er im Heidelberger Institut. PIA
kann 1100 Milliarden Rechenschritte pro Sekunde (1.1 Teraflop) ausführen und wurde
damit zum wichtigsten Mitarbeiter der Theoriegruppen. In jüngster Zeit wird die ultimative Simulation zur Entstehung von kilometergroßen Planetesimalen aus winzigen
154
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 155
0.10
t=0
z/H
0.05
0
-0.05
-0.10
0.10
t = 20 70–1
z/H
0.05
0
-0.05
-0.10
0.10
t = 46 70–1
z/H
0.05
0
-0.05
-0.10
0.10
t = 50 70–1
z/H
0.05
0
-0.05
-0.10
0.10
t = 54 70–1
z/H
0.05
0
-0.05
-0.10
0.10
t = 58 70–1
0.05
z/H
Abb. 3.6-3: Simulation zur Entstehung von Planetesimalen. Anfangs (oben) haben sich
Zentimeter große Körner um die
Mittelebene der zirkumstellaren
Scheibe angesammelt. Durch
Instabilitäten entwickeln sich im
Laufe der Zeit Wirbel mit höherer
Materiedichte. In diesen
„Verklumpungs-Instabilitäten“
können Planetesimale heranwachsen (Hubert Klahr).
0
-0.05
-0.10
-0.2
-0.1
0
y/H
0.1
0.2
155
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 156
Staubteilchen „in einem Zuge“ vorbereitet. Der Superrechner erlaubt die gleichzeitige
Einbeziehung der verschiedenen Turbulenzmechanismen und der Massenanziehungskräfte der Felsbrocken untereinander. Vorgänge, die im Kosmos Hunderttausende von
Jahren dauern, können im Superrechner in Wochen nachvollzogen werden. Rechner und
Fernrohre ergänzen sich in idealer Weise.
3.6.3 Suche nach extrasolaren Planeten
Mitarbeiter der Abteilung beteiligten sich an verschiedenen Suchprogrammen und hatten
dabei Erfolg. Im Jahre 2005 wurde der erste Heidelberger extrasolare Planet gefunden.
Er umkreist einen Roten Riesenstern von zweifacher Sonnenmasse in einem Abstand von
300 Millionen Kilometern und einer Umlaufzeit von 711 Tagen. Entdeckt wurde der
Planet mit der „Radialgeschwindigkeits-Methode“. Wegen des umlaufenden Planeten
bewegt sich der Stern ebenfalls auf einer engen Bahn um den gemeinsamen Schwerpunkt
dieses fernen Planetensystems. Weil sich der Stern dabei periodisch auf uns zu und von
uns weg bewegt, verschieben sich seine Spektrallinien durch den Dopplereffekt geringfügig, aber periodisch nach „blau“ beziehungsweise „rot“ (Analogie: Tonveränderung
vorbeifahrender Polizeisirene). Der neuentdeckte Planet hat eine Masse von mindestens
6.5 und höchstens 66 Jupitermassen. Diese Unsicherheit in der Massenangabe besteht,
weil wir die Neigung der Umlaufbahn gegen die Sichtlinie nicht kennen (beim senkrechten Blick auf die Bahnebene gäbe es gar keine Linienverschiebung). An dieser Entdeckung
war neben Johny Setiawan und Jens Rodmann vom MPIA eine größere Gruppe europäischer Astronomen beteiligt, und es kam das 2.2 m-Teleskop II des MPIA bei ESO in
Chile zum Einsatz. Johny Setiawan (Abb. 3.6-4) war übrigens nicht nur ein erfolgreicher
Planetenjäger, sondern auch ein Spitzenkoch: In Erinnerung bleibt sein festliches Weihnachtsmenü für das gesamte Institut.
Im Jahre 2007 konnten dann Johny Setiawan, Thomas Henning und Kollegen die Entdeckung des jüngsten extrasolaren Planeten bekannt machen. Er wurde, noch eingebettet
in seine Staubscheibe, beim nur 10 Millionen Jahre alten Stern TW Hydrae gefunden.
Dieser Planet von etwa 10 Jupitermassen umkreist seinen Stern in sehr geringem Abstand
in nur 3.5 Tagen. Damit wurde gezeigt, dass so massereiche Planeten innerhalb astronomisch kurzer Zeiten von weniger als 10 Millionen Jahre entstehen können. Vermutlich
ist der Planet aber viel weiter außen in der protoplanetaren Scheibe entstanden. Die
„Migration“ der Planeten von außen nach innen, wo sie wegen des stärkeren Dopplereffekts leichter gefunden werden, kann durch verschiedene Bremseffekte in der Scheibe
156
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 157
Abb. 3.6-4: Johny Setiawan bereitet die Suche
nach neuen Planeten vor. Oder denkt er schon
über das Festmenü nach der erfolgreichen Entdeckung nach? (Doris Anders).
verursacht werden. Diese sind ebenfalls Forschungsthema in der Theoriegruppe. Die
ursprüngliche Deutung der Beobachtungen als Planeten-Entdeckung ist auch im Lichte
jüngster Messungen die wahrscheinlichste, allerdings können andere Erklärungen (Sternflecken?) nicht völlig ausgeschlossen werden.
Rainer Lenzen und Wolfgang Brandner begannen ab dem Jahre 2004 ein Suchprogramm
nach Planeten in größerem Abstand vom Stern. Das geht nicht mehr mit der Radialgeschwindigkeitsmethode, da bei einem Abstand von fünf Astronomischen Einheiten
(1 AE = Abstand der Sonne zur Erde) die Umlaufzeit des Planeten bei etwa zehn Jahren
liegt und der Dopplereffekt zu schwache Wirkung zeigt. Deshalb wurde versucht, die
Planeten mit einem der 8 m-Teleskope des VLT und der vom Institut gebauten CONICAKamera direkt abzubilden. Dazu wurden die adaptive Optik (NAOS) und ein Zusatzgerät benutzt, das die Planeten in ihren charakteristischen Methanbändern (die die Sterne
nicht zeigen) leichter finden lässt. Im Ergebnis wurde bei keinem der 54 untersuchten
Sterne ein massereicher Planet in großen Abständen gefunden. Das ist eine wichtige
Erkenntnis: Möglicherweise wandern die Planeten während ihrer Bildungsphase sehr
rasch dichter an den Stern heran, wo sie als „Heiße Jupiter“ mit der Radialgeschwindigkeitsmethode bevorzugt gefunden werden.
Das MPIA beteiligt sich darüber hinaus in mehreren internationalen InstrumentenKonsortien an der Entwicklung leistungsfähiger „Suchmaschinen“ für extrasolare Planeten.
Für das VLTI der ESO wird PRIMA gebaut, von einem großen wissenschaftlichen Kon-
157
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 158
sortium mit der Sternwarte Genf (dort wurde der erste Planet gefunden), der Landessternwarte Heidelberg und dem MPIA. Dieses Gerät soll Positionsveränderungen eines
Sterns mit bisher unerreichter Genauigkeit von nur Hunderttausendsteln Bogensekunden
messen können. Das MPIA hat zu diesem Instrument die differentiellen Verzögerungsleitungen beigetragen, mit denen Abstände zwischen zwei benachbarten Objekten interferometrisch sehr genau bestimmt werden können. Dazu wurden vier KatzenaugenTeleskope mit 20 cm Durchmesser gebaut. PRIMA wird damit die durch einen
umlaufenden Planeten verursachten winzigen Bewegungen eines Sterns messen können,
relativ zu einem benachbarten feststehenden Stern. Das Instrument ist in der Erprobung
und soll ab 2011 die Entwicklung von Planeten in Abhängigkeit von Masse und Alter
des Zentralsterns erforschen. Wenige Jahre später werden die jetzt mit Beteiligung des
MPIA im Bau befindlichen Instrumente SPHERE zur direkten Abbildung und
GRAVITY zur noch genaueren Bewegungsmessung der planetenumkreisten Muttersterne an den 8 m-Fernrohren des VLT in Chile in Betrieb gehen.
3.6.4 Labor-Astrophysik
Auf Anregung von Thomas Henning wurde im Februar 2003 eine neue Forschungseinrichtung eröffnet, die astrophysikalischen Fragen mit Experimenten auf der Erde nachgehen soll. Das dafür notwendige Labor ist im Institut für Festkörperphysik der Universität Jena beheimatet. Es wird gemeinsam vom MPIA und der Universität Jena betrieben,
geleitet wird es von Thomas Henning in Heidelberg und Friedrich Huisken in Jena. Die
knapp zehn wissenschaftlichen Mitarbeiter werden zu einem Drittel vom MPIA finanziert, die übrigen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Universität Jena.
Ziel der Arbeiten ist es, eine Fülle von astronomischen Beobachtungsdaten, die bisher
unerklärbar sind, durch Experimente im Labor verständlich werden zu lassen. Dazu
müssen im Labor die Bedingungen im Weltraum (Vakuum, Kälte, …) nachgebildet und
die im Kosmos vermuteten Moleküle und Teilchen erzeugt werden. Seit über 80 Jahren
kennt man durch spektroskopische Untersuchungen die „Diffusen Interstellaren Banden“, das sind viele Absorptionslinien vom Ultravioletten über das Sichtbare bis ins
Infrarote. Der Stoff, der sie erzeugt, wurde bis heute nicht gefunden. Vermutet werden
„Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe“. Das sind mit Wasserstoff besetzte ringförmige (benzolähnliche) Kohlenstoffmoleküle, die in Ketten aneinanderhängen. Diese
Stoffe sind uns aus Warnungen vor Dieselruß und zu scharf gegrilltem Fleisch geläufig.
Die offenbar sehr stabilen Partikel sind mit dem ISO-Satelliten überall in der Milchstraße
158
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 159
und in fernen Galaxien entdeckt worden. Da es eine Vielzahl dieser Kohlenstoff-Verbindungen gibt, deren Spektren dann auch noch von der Temperatur, der elektrischen
Ladung und der Besetzung mit Wasserstoff abhängen, ist ihre Identifikation sehr schwierig.
In Jena werden die zu untersuchenden Verbindungen in Matrizen aus festem tiefkaltem
Argon oder Neon eingefroren oder in winzige Heliumtröpfchen eingebracht, um für ihre
Untersuchung die Bedingungen im Weltraum nachzubilden. Die bei der anschließenden
Untersuchung in kalten Düsenstrahlen gemessenen spektroskopischen „Fingerabdrücke“
der Teilchen werden dann mit den astronomisch gewonnenen Spektren von kosmischen
Quellen verglichen.
Abb. 3.6-5: An der Universität Jena wird gemeinsam mit dem MPIA ein Labor für Astrophysik
betrieben. Der örtliche Leiter Friedrich Huisken muss dabei mit Kälte- und Vakuum-Instrumenten
die Bedingungen im freien Weltraum simulieren. Hier werden Reaktionen in kalten Helium-Tröpfchen
vorbereitet (Friedrich Huisken).
159
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 160
Ähnlich rätselhaft ist die „Ausgedehnte Rote Emission“, die viele Gasnebel zeigen. Hier
werden Siliziumteilchen als Leuchtstoff vermutet. Die Teilchen müssen allerdings sehr
klein sein, um „Photoluminiszenz“ zu zeigen, also rote Strahlung aussenden zu können.
In Jena werden deshalb winzige Silizium-Nanoteilchen von etwa drei Nanometer (Milliardstel Meter) für die Leuchtexperimente hergestellt. Sie werden anschließend mit
ultraviolettem Licht (ähnlich dem von Sternen) bestrahlt, was zu rotem Leuchten führt.
Trotz der Komplexität der Aufgaben und der verwendeten Apparaturen (Abb. 3.6-5) gibt
es ermutigende Ergebnisse aus den letzten sechs Jahren. So passen beispielsweise ein im
Labor gemessenes Spektrum von positiv geladenen Naphthalen-Molekülen (C10H8) und
astronomisch gewonnene Spektren gut zusammen. Ein besseres Verständnis der physikalischen Chemie im Kosmos ist höchst wünschenswert. Die dort vorhandenen Moleküle
könnten, durch Kometen auf die frühe Erde gebracht und in den Urozeanen gelöst,
Keimzellen des Lebens gewesen sein. Für die seit 2002 am MPIA intensiv betriebene
Erforschung der Planetenentstehung ist die Labor-Astrophysik deshalb zu einer wertvollen Ergänzung geworden.
3.7
Abteilung Extragalaktische Astronomie und Kosmologie
Hans-Walter Rix konnte bei seiner Tätigkeitsaufnahme am MPIA im Jahre 1999 dem
Institut ein wertvolles Gastgeschenk aus den USA mitbringen. Einen Teil seiner Berufungsmittel hatte er für die im Folgejahr begonnene große Himmelsdurchmusterung,
den Sloan Digital Sky Survey (SDSS), angelegt. Dafür wurde am Apache Point in New
Mexico ein 2.5 m-Teleskop mit einer aus vielen CCDs bestehenden großen Mosaikkamera ausgerüstet, die den halben Nordhimmel in mehreren Farbbändern durchmustern
sollte. Herauszufinden war die Verteilung der Galaxien und Quasare in einem hundertfach größeren Raumbereich als bisher möglich. Damit sollten sich Schlüsse sowohl auf
die frühe Entwicklung dieser fernen Objekte als auch über die unserer Milchstraße
ziehen lassen. Der technisch anspruchsvollste Teil des SDSS-Unternehmens war die
schnelle und sichere Verarbeitung des riesigen Datenstroms. Dabei halfen Fachleute aus
Laboratorien der Elementarteilchenphysik (Fermi-Lab), die es gewohnt sind, wissenschaftliche „Stecknadeln im Heuhaufen“ zu suchen. Die Nutzung der Sloan-Daten
wurde ein großer und zudem kostengünstiger Erfolg. Zwei Beispiele für wichtige Folgebeobachtungen am MPIA und ihre Ergebnisse seien in den beiden folgenden Abschnitten
herausgegriffen.
160
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 161
Abb. 3.7-1: Der entfernteste Quasar ist auf
der SDSS-Entdeckungs-Aufnahme als schwach
leuchtendes rotes Objekt zu erkennen (Pfeil)
(SDSS).
3.7.1 Der fernste Quasar und die Durchleuchtung der Urmaterie
Bereits im ersten Beobachtungsjahr von Sloan wurde der damals am weitesten entfernte
Quasar gefunden (Abb. 3.7-1). Bei einer Rotverschiebung von z = 6.28 erscheinen uns
heute seine Spektrallinien aus dem fernen Ultravioletten ans rote Ende des Sichtbaren
verschoben. Quasare sind Galaxien mit einem Schwarzen Loch im Zentrum, das selbst
eine Masse von einigen hundert Millionen Sonnenmassen hat. Dieses materieverschlingende Schwarze Loch ist von einer sehr heißen rotierenden Gasscheibe umgeben, auf die
Materie der Galaxie einstürzt, bevor sie schließlich ins Schwarze Loch spiralt. Ein Quasar
ist deshalb sehr leuchtkräftig und bis zu den größten Entfernungen im Kosmos zu beobachten. Den neuentdeckten entferntesten Quasar sehen wir zu einer Zeit, als das Universum nur 5 % seines heutigen Alters hatte, also 700 Millionen Jahre nach dem Urknall
(das heutige Universum ist 13.7 Milliarden Jahre alt). Deshalb wurde dieser Quasar
SDSS 1030 + 0524 benutzt, um die Materie zwischen ihm und uns zu durchleuchten.
Hans-Walter Rix und Laura Pentericci vom MPIA untersuchten das Objekt an einem der
8 m-Teleskope des VLT der ESO. Das dabei gewonnene Spektrum zeigt die vom Quasar
im Ultravioletten bei einer Wellenlänge von = 1216 Å ausgesandte Lyman--Linie jetzt
rotverschoben bei = 8850 Å, also am roten Ende des sichtbaren Spektralbereichs (Abb.
3.7-2). Auf der kurzwelligen Seite der Lyman--Linie sollte helle Kontinuumsstrahlung
161
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 162
Abb. 3.7-2: Das Spektrum des entferntesten
Quasars zeigt die aus dem Ultravioletten ins
Rote zu = 8850 Å verschobene Lyman-Linie. Die kürzerwellige Ultraviolett-Strahlung
des Quasars wird vom neutralen Wasserstoff im
jungen Universum vollständig absorbiert
(Hans-Walter Rix, Laura Pentericci).
4
Relative Intensität
3
2
Lyman-alpha
1
0
800
820
840
860
880
900
920
Wellenlänge [nm]
aus dem heißen Gasplasma erscheinen, beobachtet wird aber Dunkelheit. Der Grund
dafür ist, dass diese energiereiche Strahlung vom neutralen, kalten Wasserstoffgas zwischen dem Quasar und uns verschluckt wird. Das Wasserstoffgas wird dabei ionisiert:
Das Elektron wird vom Atomkern, einem Proton, getrennt.
Diese wichtige Beobachtung bestätigte die theoretischen Vorstellungen von der Frühgeschichte des Universums. Etwa 300000 Jahre nach dem Urknall hatte sich das den expandierenden Kosmos erfüllende Wasserstoff- und Helium-Gas so weit abgekühlt, dass die
nackten Atomkerne und freien Elektronen zu neutralen Atomen zusammenfanden. Ab
dieser Rekombination war das Gas im gesamten Kosmos neutral. Da noch keine Sterne
existierten, war der Kosmos dunkel. Im doppelten Wortsinn wird dieser bisher nicht
beobachtbare Zeitraum als das „Dunkle Zeitalter des Universums“ bezeichnet. Nach
einigen hundert Millionen Jahren entstanden dann an Orten mit erhöhter Gasdichte die
ersten Sterne, Galaxien und Quasare. Die energiereiche Strahlung dieser ersten heißen
Objekte ionisierte (trennte) dann erneut die Wasserstoffatome in Proton und Elektron.
Ab diesem Zeitpunkt wurde der Kosmos durchsichtig. Wann genau diese Re-Ionisation
stattfand, konnte noch nicht beobachtet werden. Die wichtige Entdeckung der Heidelberger Astronomen zeigt, dass bei z = 6.28, also 700 Millionen Jahre nach dem Urknall,
noch viel neutrales Gas vorhanden sein musste, die Re-Ionisation also noch nicht abgeschlossen war. Die ersten Sterne, Galaxien und Quasare müssen bei noch höheren Rotverschiebungen entstanden sein, geschätzt wird bei z > 10.
162
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 163
3.7.2 Die Milchstraße – Fallstudie für den Zusammenbau einer Galaxie
Theoretische Studien erklären die Entstehung der großen Galaxien durch die Verschmelzung von kleineren Sternsystemen. Bei diesem kosmischen Kannibalismus verschlingen
die größeren Galaxien Nachbarn, die in ihren Anziehungsbereich gelangen. Zahlreiche
Beweise für diese Behauptung konnten am MPIA aus Daten der Sloan-Durchmusterung
(SDSS) erbracht werden. Grundidee von Hans-Walter Rix, Eric Bell, Eva Grebel und
ihren Mitarbeitern war es dabei, nach den verstreuten „Knochenresten“ (Sternen) des
„Fressens“ (Wechselwirkung) zu suchen.
Bereits im Jahre 2002 entdeckten sie, dass der alte Kugelsternhaufen Palomar 5 im Halo
unserer Milchstraße zwei Ausflüsse („Schwänze“) von Sternen längs seiner Bahn um
das Milchstraßenzentrum zeigt. Bei der Umrundung des Zentrums innerhalb von etwa
250 Millionen Jahren musste der Sternhaufen zweimal durch die Milchstraßenscheibe
hindurchfliegen. Dabei wirkten so starke Gezeitenkräfte auf Palomar 5 ein, dass der
Haufen sich nach einigen Runden aufgelöst haben sollte. Die herausgeschleuderten
Sterne verteilten sich im ~ 300000 Lichtjahre großen Sternhalo der Milchstraße. Für
diese Entdeckung mussten einerseits ganz geringe Erhöhungen der Sterndichten um den
abgemagerten Palomar 5 nachgewiesen, sowie andererseits die Zugehörigkeit dieser Sterne
zum sich auflösenden Haufen bewiesen werden. Letzteres gelang mit tiefen Farbaufnahmen und mittels Spektroskopie mit dem 2.2 m-Teleskop II und einem der 8 m-VLTTeleskope in Chile.
Aber nicht nur Sternhaufen aus dem Halo der Milchstraße werden zerrissen, sondern
sogar ganze Zwerggalaxien in ihrer Nähe. In den Sloan-Daten entdeckten die Astronomen des MPIA einen doppelten weit ausgedehnten Sternring durch das Sternbild Monoceros, dessen Mitglieder gemeinsame Eigenschaften wie Elementhäufigkeiten, Eigenbewegungen und Überhäufigkeit eines bestimmten Sterntyps zeigen. Die Sterne dieses
Monoceros-Stroms stammen offenbar aus einer kleinen Galaxie im Sternbild des Großen
Hundes. Der Nachweis dieses Ursprungs war schwierig, da die Zwerggalaxie sich dicht
neben der Scheibe der Milchstraße befindet und ihr Licht durch den interstellaren Staub
teilweise verschluckt wird (Abb. 3.7-3). Sogar die Umlaufrichtung des MonocerosGezeitenstroms konnte ermittelt werden: in Richtung der Milchstraßendrehung.
Die Erfolge dieser Untersuchungen regten weitere Arbeiten zur Entstehung des Halos
um die Milchstraße an. Wenn sich weitere Sternströme mit einem Ursprung in kleinen
Begleitgalaxien der großen Milchstraßengalaxie finden lassen, könnte in den Halo die
Geschichte des Zusammenbaus der Milchstraße durch Verschmelzungen mit ihren ehemaligen Nachbarn eingeschrieben sein. Die aus den Sloan-Daten als „klumpig“ entdeckte
163
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 164
Strom der Zwerggalaxie
Sonne
Kern der
Zwerggalaxie
im Sternbild
Großer Hund
Milchstraßensystem
Abb. 3.7-3: Eine von der Milchstraße fast verschluckte Zwerggalaxie ist am dabei herausgerissenen
Gezeitenstrom von Sternen zu erkennen. Hier die schematische Darstellung des Monoceros-Stroms,
der aus einer „angefressenen“ Zwerggalaxie im Sternbild Großer Hund entspringt (Hans-Walter Rix,
Eric Bell u.a.).
Struktur des Halos passte gut zu diesem Bild vom hierarchischen Aufbau unserer Milchstraße durch Kannibalismus. Rätselhaft blieb nur, wo das viele „Futter“ (Begleiter) für
das große Fressen herkommt. Die Milchstraße besaß nach dem Kenntnisstand vom Jahre
2005 nur 160 Kugelsternhaufen und neun begleitende Zwerggalaxien. Nach theoretischen Modellen hätten es aber heute noch 50 Zwerggalaxien in der Nähe der Milchstraße
geben müssen. Das wurde als das „Problem der fehlenden Satelliten“ bekannt. Im Jahre
2007 konnte eine internationale Gruppe von Astronomen unter Führung des MPIA
(Sergej Koposov, Hans-Walter Rix, Eric Bell) das Rätsel lösen. Sie fanden zusätzlich zu
den in den Vorjahren in den Sloan-Daten entdeckten vier Zwerggalaxien vier weitere
164
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:16 Seite 165
Begleiter. Diese lichtschwachen Galaxien sind auf den Sternkarten mit bloßem Auge
nicht auszumachen, sie wurden mit einem rechnergestützten Auswertungsprogramm in
der Sloan-Daten-Basis entdeckt. Mit den acht neuen Zwerggalaxien aus der SloanDurchmusterung, die nur ein Fünftel des Himmels überdeckt, kann man auf 40 Begleiter
am gesamten Himmel schließen. Dazu kommen die neun seit längerem bekannten
Zwerggalaxien, also nahezu 50, wie erwartet. Damit ist das „Problem der fehlenden
Satelliten“ wahrscheinlich gelöst. Dennoch bleibt viel zu tun: Die äußerst lichtschwachen
Objekte müssen in Folgeuntersuchungen an großen Teleskopen spektroskopisch auf ihre
Zugehörigkeiten studiert werden. Und die Jagd auf weitere Begleiter der Milchstraße
wird vorbereitet. Mit dem 2006 erfolgten Einstieg des MPIA in die Pan-STARRSDurchmusterung wird sogar ein Viertel des Himmels erfasst werden können. Damit
können künftig noch schwächere Objekte bei noch besserer Winkelauflösung als mit
Sloan erfasst werden.
3.7.3 Galaxienentwicklung in der zweiten Lebenshälfte des Universums
Die kosmologische Forschung versucht die Entwicklung der Galaxien seit ihrer Entstehung bis zum heutigen Anblick durch Beobachtungen aufzuklären. Die großen Durchmusterungen des Himmels nach hochrotverschobenen Galaxien im noch jungen Universum spielen dabei eine entscheidende Rolle. Als Beispiel für diese Forschungsrichtung
am MPIA sei das Unternehmen COMBO-17/GEMS herausgegriffen, das auch international viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Dessen Grundidee ist einfach: Mit einem leicht
verfügbaren mittelgroßen Teleskop werden einige zehntausend Galaxien in einem Rotverschiebungsbereich bis zu z ⱕ 1 (entsprechend einer Rückblickzeit von 8 Milliarden
Jahren seit heute) charakterisiert. Dabei erhält man für jede Galaxie Zahlenwerte zur
Entfernung, Farbe und Leuchtkraft. Anschließend werden diese ausgewählten Galaxien
mit hoher Auflösung abgebildet, um ihre Struktur, ihren Typ und mögliche Wechselwirkungen mit Nachbargalaxien zu erfassen. Für diese Bildgewinnung musste das HubbleWeltraumteleskop eingesetzt werden.
Der erste Schritt wurde bereits ab 1998 vollzogen. Geleitet von Klaus Meisenheimer
(Abb. 3.7-4) konnte das MPIA gemeinsam mit der ESO eine Weitfeldkamera für das
2.2 m-Teleskop II auf La Silla aufbauen. Ausgerüstet mit mehreren CCD-Kameras mit
zusammen 67 Millionen Pixeln, wurde mit der neuen Weitfeldkamera ein ungewöhnlich
großes Himmelsfeld (entsprechend dem Vollmonddurchmesser) abgebildet. Und das in
17 Farben, vom nahen Ultravioletten bis zum nahen Infraroten. Das ermöglicht die genaue
165
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:17 Seite 166
Abb. 3.7-4: Klaus Meisenheimer hat gemeinsam mit Herrmann-Josef Röser (Abb. 3.3-3)
mehrere große Durchmusterungen zu jungen
Galaxien durchgeführt. Studenten betreuten
sie oft gemeinsam („Rösenheimer“). Hier
verabschiedet Meisenheimer 2009 seinen langjährigen wissenschaftlichen Weggefährten Röser
in den Ruhestand (Doris Anders).
Bestimmung der Rotverschiebung der Galaxien und daher auch der Name: Classifying
Objects by Medium Band Observations with 17 Filters = COMBO-17. Mit diesem
Instrument wurden in 30 Nächten 25000 Galaxien klassifiziert. Das war Weltrekord,
denn bis dahin hatten vergleichbare Untersuchungen anderenorts nur etwa 500 ähnlich
weit entfernte Objekte erfasst.
Die COMBO 17-Durchmusterung konnte die Eigenarten der Galaxien in Zahlenwerten
erfassen, die ihre Entfernung, Leuchtkraft und ihr Alter beschreiben. Diese einzigartige
„Personaldatenkartei“ der Galaxienentwicklung im Universum sollte nun zusätzlich mit
„Passbildern“ aller erfassten Galaxien vervollständigt werden. Erst sie können zeigen, ob
die Sterne in einer Galaxie in einer Scheibe oder mehr kugelförmig verteilt sind, ob es
große Sternentstehungsgebiete gibt und ob eine Galaxie mit einer anderen wechselwirkt
oder gar schon verschmilzt. Wegen der sehr großen Entfernungen dieser jungen Galaxien
sind dazu höchstaufgelöste Bilder notwendig, die ein 2 m-Teleskop am Boden nicht liefern kann. Deshalb bemühten sich Eric Bell, Hans-Walter Rix und Kollegen vom MPIA
um eine lang dauernde Beobachtung dieses Galaxienfelds mit dem Hubble-Weltraum-
166
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Abb. 3.7-5: Siebzig helle Galaxien aus dem GEMS-Feld. Zu erkennen ist die
Vielfalt der Formen, Größen und Strukturen. Die Aufnahmen wurden 2003
mit dem Hubble-Weltraum-Teleskop gewonnen (Eric Bell, Hans-Walter Rix,
Klaus Meisenheimer u. a.).
167
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teleskop. Sie erhielten 150 Beobachtungsstunden und gewannen damit die größte je mit
Hubble gemachte Farbaufnahme (von etwa der Vollmondgröße). Mit einem Auflösungsvermögen von besser als einer Zehntelbogensekunde konnten dabei Strukturen von
wenigen tausend Lichtjahren, also etwa 1 % des Durchmessers einer Galaxie, erfasst werden. Das inzwischen berühmte gewordene GEMS-Bild zeigt 40 000 Galaxien in bisher
unerreichter Schärfe, von denen 10 000 mit den in COMBO 17 vermessenen deckungsgleich sind (Abb. 3.7-5). Zwar lässt sich aus einem solchen Bild nicht die zeitliche Entwicklung der einzelnen Galaxien ableiten, denn die dauert Milliarden von Jahren an. Da
aber in dieser großen Stichprobe „COMBO 17/GEMS“-Galaxien verschiedensten Alters
erfasst sind, lässt sich statistisch die Änderung ihrer Eigenschaften (Größe, Form, Leuchtkraft usw.) in den letzten 8 Milliarden Jahren der Entwicklung des Kosmos ableiten. Verknüpft mit den Daten anderer Durchmusterungen des MPIA konnten wichtige Schlüsse
gezogen werden. So lieferten im frühen Universum irreguläre Galaxien und solche mit
hoher Sternentstehungsrate den größten Teil der Leuchtkraft. In jüngster Zeit haben
elliptische und junge Spiralgalaxien diese Rolle übernommen. Dabei wuchsen die elliptischen Galaxien durch Verschmelzung mit kleineren Galaxien erst während der letzten
sieben Milliarden Jahre zu den heute massereichsten Sternsystemen an. Parallel zu dieser
Entwicklung sank die Sternentstehungsrate, die angibt, wie viele Sterne pro Jahr in einer
Galaxie entstehen. Gemessen wird diese Rate durch die Ultraviolettstrahlung junger, heißer Sterne. Und da Staub in den Galaxien die UV-Strahlung teilweise absorbiert und sich
dabei aufwärmt, musste vollständigkeitshalber auch noch dessen Infrarot-(Wärme)Strahlung erfasst werden. Da das COMBO 17/GEMS-Feld zu den in allen Spektralbereichen bestuntersuchten am Himmel zählt, konnten verlässliche Werte abgeleitet werden. Danach sinkt die Sternentstehungsrate von etwa 1000 Sternen pro Jahr und Galaxie
im ganz frühen Universum auf etwa 10 zur Halbzeit und etwa einen Stern pro Jahr heute
in der Milchstraßen-Galaxie. Die Ursache für diese sinkende Sternentstehungsrate liegt
einerseits in den mit der zunehmenden Ausdehnung des Universums seltener werdenden
Wechselwirkungen zwischen den Galaxien. Im früheren, kleineren Universum war die
Dichte der Galaxien höher und gegenseitige Wechselwirkungen regten durch Zusammenpressung des interstellaren Gases die Sternentstehung an. Eine weitere Ursache für
die sinkende Rate wurde in der Abnahme des interstellaren Gasvorrates in den Galaxien
erkannt: Es gibt immer weniger Rohstoff für neue Sterne. Für ein volles Verständnis
dieser Entwicklung wird dringend auf die Messungen mit dem Herschel-Satelliten im
fernen Infrarot gewartet, mit dem die gesamte Energieabstrahlung der Galaxien erfasst
werden kann. Hier hat das MPIA durch seine Beteiligung am Bau eines wissenschaftlichen Instruments Garantierte Beobachtungszeit zur Verfügung.
168
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3.8
Selbstständige Nachwuchsgruppen
Seit dem Jahre 1969 fördert die Max-Planck-Gesellschaft „Selbstständige Nachwuchsgruppen“ an ihren Instituten. Dabei erhält ein im internationalen Wettbewerb ausgewählter Wissenschaftler begrenzte, aber gesicherte Mittel und lernt, eine kleine, selbstzusammengestellte Gruppe zu leiten und die Mittel zu verwalten. Durch erstklassige
Forschungsergebnisse kann er auf sich und sein Heimatinstitut aufmerksam machen.
Die Tätigkeit als Nachwuchsgruppenleiter ist oft der Einstieg in eine Laufbahn als Hochschullehrer an einer Universität oder in eine führende Stellung in einem Forschungsinstitut im In- oder Ausland. In den ersten Jahren des MPIA wurde keine Nachwuchsgruppe angestrebt. Alles Bemühen von Hans Elsässer richtete sich auf den Aufbau der
Calar-Alto-Sternwarte und ihre eigenständige Nutzung.
Mit dem Generationswechsel in der Leitung des Instituts bemühte sich das MPIA um
die Anbindung von Nachwuchsgruppen. Gleichzeitig verbesserten sich die Möglichkeiten dafür, da die MPG begann, die Förderung von Nachwuchsgruppen auch themenoffen zu ermöglichen. Zusätzlich nahm die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Bewerbungen für selbstständige Nachwuchsgruppen entgegen. Letztere wurden, bei
Gewinn des Wettbewerbs, als „Emmy-Noether-Gruppen“ (benannt nach der Mathematikerin, 1882 – 1935) eingerichtet. Beide Fördereinrichtungen, MPG und DFG, finanzieren dabei jeweils den Forschungsgruppenleiter, einen jungen Wissenschaftler (Postdoc)
und etwa zwei Doktoranden. Das Institut kann weitere Personalmittel zur Verfügung
stellen. Personal- und Forschungsmittel werden im Allgemeinen für vier bis fünf Jahre
bereitgestellt. Spätestens zum Ende dieser Laufzeit sollte dem Nachwuchsgruppenleiter
durch wissenschaftliche Erfolge ein entscheidender Schritt in seiner Laufbahn auf eine
verantwortungsvolle Position gelungen sein.
Als erster Nachwuchsgruppenleiter konnte Sebastian Wolf, ein früherer Doktorand von
Thomas Henning in Jena, ab Januar 2004 eine Emmy-Noether-Gruppe am MPIA gründen. Er hatte sich mit dem Thema „Die Entwicklung von zirkumstellaren Staubscheiben
zu Planetensystemen“ im Wettbewerb um die begehrten Stellen durchgesetzt. Vielbeachtete Forschungsergebnisse am MPIA führten nach vier Jahren zu seiner Berufung als Professor an die Universität Kiel. Ende des Jahres 2004 entstand um Coryn Bailer-Jones eine
weitere Emmy-Noether-Gruppe zum Thema „Eigenschaften und Bildung von Objekten
mit substellaren Massen – Beobachtungen, Theorie und Datenarchive“. Nach vier Jahren
schaffte Bailer-Jones den Sprung auf eine feste Wissenschaftler-Stellung am MPIA und
übernahm die Verantwortung für die Institutsbeteiligung am Astrometrie-Satelliten
GAIA. 2005 konnte die Emmy-Noether-Gruppe „Die Bildung massereicher Sterne“ um
169
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Henrik Beuther eingerichtet werden. Auch er erhielt eine feste Wissenschaftler-Stellung
am MPIA, mit der er seine Forschung als Leiter der Arbeitsgruppe „Sternentstehung“
fortsetzen kann. Eric Bell gewann ab Anfang 2006 die Mittel für eine Emmy-NoetherGruppe zum Forschungsthema „Welche physikalischen Prozesse steuern die Entwicklung
massereicher Galaxien?“ Nach zweieinhalbjähriger Arbeit erhielt er eine Berufung auf
eine Professorenstelle an der Universität von Michigan in Ann Arbor in den USA. Die
jüngste Emmy-Noether-Gruppe wurde 2007 um Knud Jahnke zum Thema „Untersuchung der parallelen Entwicklung von massereichen galaktischen Zentralbereichen und
Schwarzen Löchern“ eingerichtet.
Mit Fördermitteln der Max-Planck-Gesellschaft konnten bisher zwei selbstständige
Nachwuchsgruppen am Institut eingerichtet werden. Frank van den Bosch und seine
Mitarbeiter erforschten seit 2005 die „Galaxieentstehung und großräumige Struktur“.
Nach gut drei Jahren erhielt er eine Berufung als Professor an die Universität von Utah
in Salt Lake City, USA. Die Finanzausstattung für diese Nachwuchsgruppe gehört auf
Dauer zum Institut, da sie Hans-Walter Rix bei Bleibeverhandlungen nach seiner ehrenvollen Berufung an die Universität Cambridge zugesagt wurde. Im Jahre 2006 errang
Cornelis Dullemond im Wettbewerb die MPG-Mittel für eine weitere Nachwuchsgruppe
„Bildung von Planetenbausteinen“.
Die Beheimatung von sieben Nachwuchsgruppen am MPIA in den letzten sechs Jahren
spiegelt die hohe Wertschätzung der hier geleisteten Arbeit wider. Die Gruppen, obwohl
„selbstständig“, arbeiten eng mit den übrigen Wissenschaftlern des Instituts längs der
Hauptforschungsrichtungen zusammen. Das belebt die Arbeit, da laufend neue ideenreiche Köpfe an das Institut kommen. Auch wenn einige Forscher das Institut in Richtung
Ausland verlassen, bleibt der Gewinn groß: Schöpferische Jahre mit vielen wissenschaftlichen Hervorbringungen wurden am MPIA gelebt, und der Ideen- und Studentenaustausch über die Grenzen hinweg wird meist Jahrzehnte fortgesetzt. Die internationale
Bekanntheit des Instituts wird damit weiter wachsen.
Im „Minerva-Programm“ zur Förderung hervorragender Wissenschaftlerinnen in der MaxPlanck-Gesellschaft konnten drei Wissenschaftlerinnen Mittel für ihre Stellen am MPIA
einwerben. Alle erhielten vom Institut zusätzliche Doktorandenstellen. Eva Grebel erhielt
im Jahre 2000 die erste Minerva-Stelle zum Thema „Stellare Populationen, Zwerggalaxien,
Halo-Struktur“ . Sie wurde 2003 als Professorin an die Universität Basel berufen und ist
inzwischen als eine Direktorin an das Astronomische Recheninstitut der Heidelberger
Universität zurückgekehrt. Eva Schinnerer arbeitet seit 2005 an der „Entwicklung von
Aktiven Galaxien in der Vergangenheit des Universums“. Cristina Afonso sucht seit Ende
2006 nach „Extrasolaren Planeten mit der Methode der Bedeckungsveränderlichkeit“.
170
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3.9
Ausbau des Heimatinstituts auf dem Königstuhl
In den ersten drei Jahrzehnten nach der Fertigstellung der Institutsgebäude beschränkte
sich die Bautätigkeit auf den Erhalt des Bestehenden. Ausbauten waren nicht nötig, da
die Größe der Gebäude für starkes Wachstum des Instituts bis zur ursprünglich geplanten Obergrenze von 150 Mitarbeitern ausgelegt war. Außerdem widersetzte sich Hans
Elsässer baulichen Veränderungen, da das architekturpreisgekrönte Bauwerk im
Ursprungszustand erhalten werden sollte. Zwingend notwendig war die lange Zurückhaltung nicht, da die Ansprüche aus dem Architekten-Vertrag von 1970 (Urheberrecht)
nach 5 Jahren verjährt waren. Mitte der 1990er Jahre kam aus dem Mitarbeiterkreis der
Wunsch nach zwei Umbauten hervor. Für das ISOPHOT-Instrument des Instituts auf
dem europäischen ISO-Satelliten musste ein Datenzentrum errichtet werden. Dazu bot
sich die Schaffung mehrerer zusammenliegender Räume im Astrolabor an, das bisher
kaum genutzt war. Elsässer stimmte dem Innenausbau zu, legte aber selbst die Raumaufteilungen fest. Dabei tauchte ein unerwartetes Problem auf. Zur natürlichen Beleuchtung
eines der neugeschaffenen Arbeitszimmer sollte eine Fensteröffnung in die große östliche
Betonaußenwand gesägt werden. Da das eine Veränderung am „Kunstwerk“ bedeutet hätte,
wurde die Arbeit erst möglich, nachdem sich die Generalverwaltung mit dem Architekturbüro des „Schöpfers“ geeinigt hatte. Der zweite Veränderungswunsch zielte auf die
Schaffung eines neuen Besprechungszimmers. Für die zunehmende Zahl von Projektbesprechungen in den internationalen Vorhaben mit ESA und ESO bot sich der Ausbau
der offenen überdachten Terrasse vor der Kantine zu einem Besprechungsraum an (Abb.
3.9-1). Erste Anträge zur Finanzierung dieses Ausbaus, gestellt in den späten 1990er Jahren,
scheiterten in der Generalverwaltung wohl an zu geringer Dringlichkeit.
Diese Ruhe am Bau änderte sich nach dem Jahre 2000 ganz beträchtlich. Mit dem Generationswechsel in der Institutsleitung und dem folgenden Anstieg der Mitarbeiterzahlen
wurden bauliche Anpassungen unausweichlich. Hier half eine glückliche Personalentscheidung von Hans-Walter Rix im Sommer 2000. Als Nachfolger für den in den Ruhestand tretenden Verwaltungsleiter Edgar Fink wurde Mathias Voss eingestellt. Und Voss
entwickelte ungeahnte Fähigkeiten im notwendigen Um- und Ausbau des Instituts. Er
wechselte zunächst den betreuenden Architekten, der sich sehr konservativ und ganz im
Sinne des Gründungsdirektors auf den Erhalt des Bestehenden konzentriert hatte. Die
Anträge des Instituts zu Baumaßnahmen wurden ab jetzt so überzeugend, dass seither in
jedem Jahr ausgebaut und modernisiert wurde. Der angestrebte Ausbau der Terrasse zu
einem Besprechungsraum wurde nun im Jahre 2004 als Schaffung eines „Multifunktionsraums“ abgeschlossen. Es ist ein moderner Konferenzraum entstanden, der durch Öffnen
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Abb. 3.9-1a-b: (a) Auf der Westseite des Hautgebäudes sind im hochgelegenen Erdgeschoß links die
Fenster der Kantine und rechts eine überdachte offene Terrasse zu erkennen. Letztere war nur im
Sommer als Freisitz in der Mittagspause nutzbar. (b) Die Terrasse wurde 2004 zu einem Multifunktions-Raum ausgebaut. Der dient seither ständig als Besprechungsraum, kann aber auch ganzjährig als Kantinen-Erweiterung genutzt werden (Architekturbüro HWP).
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raumhoher Türen auch als Kantinenerweiterung dienen kann. Dieser Umbau wurde
durch die Berufungszusage für Thomas Henning möglich und hat sich seither vielfach
bewährt, die Auslastung ist fast lückenlos. Im Jahre 2003 wurde das über zwei Stockwerke
verteilte Bibliotheksmagazin aufgegeben. In die freigewordenen Räume wurden vier
Arbeitszimmer mit 14 Arbeitsplätzen eingebaut. Auch hier mussten mehrere große Fensteröffnungen in die Betonwände gesägt werden, da das bisherige Magazin fensterlos war.
Das alte Bibliotheksmagazin fand seinen neuen Platz in einem Innenraum ohne Tageslicht, insgesamt eine sehr sinnvolle Veränderung. Die Präsenzbibliothek mit der Auslage
der neuesten Fachzeitschriften und einer ständig erneuerten Lehrbuch-Sammlung blieb
bei diesem Umbruch erfreulicherweise erhalten, obwohl einige Mitglieder des Instituts
das im Online-Zeitalter eigentlich für überflüssig hielten. Seit der Anstellung der Bibliothekarin Monika Dueck im Jahre 2001 genießen die wissenschaftlichen Mitarbeiter
zusätzlich jede Unterstützung bei schwierigen Literaturbeschaffungen.
Mit der Beteiligung des Instituts an immer größeren internationalen Instrumentierungsvorhaben wuchsen auch die Ansprüche an die Laborräume. Die Satelliteninstrumente
mussten unter strengen Sauberkeitsbedingungen aufgebaut werden, die in den beiden
großen Experimentierhallen mit Sichtbeton- und Kalksandsteinwänden nicht gegeben
waren. Beide Hallen wurden in den Jahren 2001 bis 2003 zu Reinräumen umgestaltet,
die nur über Schleusen betretbar sind. In die westliche Experimentierhalle wurde zusätzlich eine geräumige Reinraumkabine eingebaut, die höchste Ansprüche der Raumfahrt
erfüllt und die nur in Reinraum-Kleidung betreten werden darf. Da sich das Institut bei
seinen Weltraum-Instrumenten auf die opto-mechanischen Komponenten für tiefste
Temperaturen spezialisiert hatte, die allerdings auch bei verschiedenen Laborbedingungen betreibbar sein sollten, wurde eine Klimatisierung dieser Halle notwendig. Dafür
wurde im Jahre 2007 eine große Klimaanlage auf dem Dach über den Hallen aufgebaut.
Sie erlaubt das Einstellen von Temperatur und relativer Luftfeuchte in der Experimentierhalle, je nach Anforderung der Instrumente und unabhängig von den stark wechselnden Witterungsbedingungen auf dem Königstuhl.
Für die Beteiligung an den Interferometern und der Adaptiven Optik an den Großteleskopen der ESO und des LBT wurden neue Entwicklungslabors benötigt. Dafür mussten
im Untergeschoss des Instituts die ehemalige Schreinerei, die Studentenwerkstatt und
Räume des Technischen Dienstes aufgegeben werden. Dadurch entstanden in den Jahren
2003 bis 2007 überwiegend aus Berufungsmitteln von Thomas Henning drei moderne
Optiklabors, zum Teil als Reinraum nur über eine Schleuse betretbar.
Die Umsetzung von modernen Brandschutzverordnungen hat das gesamte Institut im
Jahre 2006 in eine monatelange Baustelle verwandelt. Sämtliche Decken mussten brand-
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Abb. 3.9-2a-b: Die stark angewachsenen Mitarbeiter- und Besucher-Zahlen verlangten 2006 nach
dem zeitgemäßen und geräumigeren Ausbau des Empfangsraumes (vorher/nachher) (HWP).
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hemmend ausgebaut, Leuchten erneuert und Brandmelder eingebaut werden. Gleichzeitig wurde der Empfang („Aquarium“) am Eingang in das Hauptgebäude in ein modernes
Informationszentrum umgestaltet (Abb. 3.9-2). Im neu gestalteten Seminarraum verschwand der Oberlicht-Turm mit seinen langsam rumpelnden Verdunklungs-Rollos, er
wurde durch ein weiteres in die Betonwand gesägtes großes Fenster ersetzt.
Die größte „Baumaßnahme“ konnte im Jahre 2005 begonnen werden: der Aufbau eines
ganzen Stockwerks auf dem Südflügel des Instituts. Der Bedarf an Büroarbeitsplätzen
war inzwischen durch Personalwachstum und zahlreiche wissenschaftliche Gäste mit
längeren Aufenthalten am Institut dringend geworden (Abb. 3.9-3). In einer Holz/
Glas/Metall-Konstruktion entstanden so auf neugeschaffenen 560 m2 Nutzfläche 19 Büros
mit 42 Arbeitsplätzen (Abb. 3.9-4). Zusätzlich konnten ein dringend notwendiger
Besprechungsraum und ein Kommunikationsbereich eingerichtet werden. Die neuen
Abb. 3.9-3: Um die immer zahlreicheren wissenschaftlichen Gäste unterzubringen, mussten im
Sommer Büro-Container auf dem Vorplatz des Institutes aufgestellt werden (MPIA).
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Abb. 3.9-4: Auf dem bisherigen Dach des Hauptgebäudes wurde 2005 in Leichtbauweise ein ganzes
Stockwerk mit 42 Arbeitsplätzen aufgesetzt (HWP).
Arbeitsräume sind durch großzügige Verglasung hell, was allerdings an sonnigen Tagen
zur Aufheizung führen könnte. Das verhindern Jalousien, die, von einem Sonnenstandsmesser gesteuert, herabgelassen werden. Gleichzeitig wacht ein Windmesser darüber,
dass die Jalousien bei starkem Wind nicht beschädigt werden und sie deshalb wieder
hochgezogen werden. Auf dem Königstuhlgipfel gibt es aber oft beides: Sonne und
Wind.
Nach dem Tode des Gründungsdirektors Hans Elsässer verkauften seine Kinder sein mit
Erbbaurecht auf dem Institutsgelände errichtetes Wohnhaus an die MPG. Das Institut
ließ es zu einem Gästehaus mit vier kleinen Wohnungen umbauen. Damit kann das
MPIA bei seiner stadtfernen Lage seit 2008 wissenschaftlichen Gästen mit längeren Aufenthalten und mit Familienbegleitung zusätzlich ein besseres Angebot machen, als das
mit den bisherigen vier Gästezimmern im Nachbarhaus möglich war.
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Abb. 3.9-5: Im Elsässer-Labor entstanden 2008 nach mehreren Aussägungen in der ursprünglich
geschlossenen Betonwand 12 neue Arbeitsplätze für Wissenschaftler und Studenten (Lemke).
Neben diesen größeren (verwaltungstechnisch aber „kleinen“) Baumaßnahmen sind auf
Initiative der Direktoren und des Verwaltungsleiters Mathias Voss in jedem Jahr zahlreiche weitere Modernisierungen durchgeführt worden: Alle älteren Fenster wurden durch
neue wärmedämmende ersetzt, fast alle Möbel wurden durch zeitgemäße ausgetauscht.
Im Elsässer-Labor (dem früheren Astrolabor) wurden, nach weiteren Fensterdurchbrüchen im Beton, 12 neue Arbeitsplätze errichtet (Abb. 3.9-5). Die Rechnerräume wurden
erweitert und modern klimatisiert, es wurden mehrere Kommunikationsräume im
Gebäude und Freisitze außen geschaffen (Abb. 3.9-6). Diese Liste ist noch viel länger. Sie
zeigt, dass seit dem Jahre 2000 der Übergang von einem nur behutsam zu modernisierenden „Architekturdenkmal“ zu einem sich laufend den wandelnden Bedürfnissen
anpassenden Funktionsgebäude vollzogen wurde (Abb. 3.9-7). Die Planungen des Verwaltungsleiters Voss (Abb. 3.9-8) für weitere Modernisierungen füllen die Kalender für
die nächsten Jahre. Zusätzlich war der Bau des „Hauses der Astronomie“ in den Jahren
2009 bis 2011 auf dem Institutsgelände zu begleiten.
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Abb. 3.9-6a-b: Durch die vom Architekten beabsichtigte Gliederung des Beton-Baukörpers wurden
mehrere im Klima des Königstuhls kaum nutzbare Terrassen geschaffen (oben). Eine wurde 2007 zu
einem stets gut genutzten Kommunikations-Raum der Wissenschaftler umgestaltet (unten) (HWP).
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Abb. 3.9-7: Mehrere der nach 2002 durchgeführten Baumaßnahmen haben auch die äußere Form
des Hauptgebäudes sichtbar verändert. Links das neue Stockwerk auf dem Südflügel, in der Mitte
über dem Haupteingang der verglaste Kommunikationsraum, rechts über den Experimentierhallen
die große Klimaanlage. Durch Betonsanierung und Schutzanstrich hat sich auch die äußere Sichtbeton-Anmutung des Gebäudes verändert. Siehe zum Vergleich das ursprüngliche Gebäude in Abb.
2.4-5c (Lemke).
Abb. 3.9-8: Der Verwaltungsleiter Mathias Voss schafft
häufig Gelegenheiten, notwendige Erweiterungsbauten
feierlich einzuweihen (Doris Anders).
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4.
Technische Abteilungen für den wissenschaftlichen Gerätebau
Der Wert eines Teleskops wird vor allem durch die Neuheit und Leistungsfähigkeit seiner
wissenschaftlichen Fokalebenen-Instrumente bestimmt. Diese Geräte wurden traditionell
in den Instituts-Werkstätten „selbstgebaut“. Den feinmechanisch-optischen Werkstätten
insbesondere war der Gründungsdirektor Hans Elsässer stets sehr zugeneigt. Die Werkstätten der Landessternwarte waren räumlich sehr beengt gewesen und mit einem bescheidenen Maschinen- und Messgeräte-Park nicht angemessen ausgestattet. Das wollte Elsässer
im neuen MPIA für den Aufbruch in die 1970er Jahre ganz wesentlich verbessern.
4.1 Feinmechanische Werkstatt und Konstruktions-Abteilung
Bereits 1969, als auf dem heutigen Institutsgelände noch der Hochwald rauschte, suchte
Elsässer mit einer Anzeige den Leiter für die künftige feinwerktechnische Abteilung des
geplanten Institutsneubaus. Er fand ihn in Heinrich Bellemann, der damals die Werkstatt
und Konstruktion am Kernforschungsinstitut in Karlsruhe leitete. Heinrich Bellemann
erhielt Mitte 1969 einen Beratervertrag vom MPIA und unterstützte Elsässer fortan bei
den Gesprächen mit den Architekten bezüglich der Werkstätten. Anfangs als freistehendes
Werkstattgebäude geplant, sorgten die ästhetischen Vorstellungen des Architekten und
die Mischfinanzierung des Baus dafür, dass die Werkstätten in den ost-west-verlaufenden
„Extraterrestrik“-Block (Kapitel 2.4.2) des gemeinsamen Baukörpers eingegliedert wurden.
Die feinwerktechnische Abteilung wurde für wachsende Aufgaben räumlich großzügig
geplant: eine Maschinenhalle von 270 m2, Meisterbüro, Messlabor, Galvanikräume,
Schlosserei, Lackiererei, Tischlerei, üppige Materiallager. Dazu kamen ein großes Konstruktionsbüro und eine große Montagehalle. Mit der Fertigstellung des Neubaus wechselte Heinrich Bellemann von Karlsruhe nach Heidelberg und wurde im Juni 1974 Leiter
der Feinwerktechnik und der Konstruktionsabteilung. Die Werkstatt war modernst ausgerüstet und beherrschte alle Techniken der Metall- und Kunststoffbearbeitung, zusätzlich alle Schweißtechniken. Bald waren für Werkstatt und Konstruktion 16 Mitarbeiter
eingestellt. Gepflegt wurde stets die Lehrlingsausbildung zum Feinwerktechniker, die
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mit dem Gesellenbrief abgeschlossen wurde. Dabei gewannen die Absolventen vom MPIA
überdurchschnittlich viele Anerkennungspreise der Handwerkskammer.
Die Zusammenarbeit mit der Werkstatt war für die Wissenschaftler unkompliziert. Man
erläuterte seine Wünsche mit einer Handskizze und den notwendigen Zahlenangaben
beim Leiter, und der sorgte für Konstruktion und Bau. Regelmäßig wurden die „Auftraggeber“ zu Besprechungen zum Sachstand eingeladen. Unstimmigkeiten gab es gelegentlich bei den in Aussicht gestellten Lieferterminen. Jeder wollte sein Gerät möglichst
gleich haben. Hier hat dann Elsässer bei einem morgentlichen Gang in die Werkstatt oft
die Prioritäten gesetzt. Die Produkte der Werkstatt aus den 1970er bis 1990er Jahren
konnten sich sehen lassen: Sie reichten von kleinen und komplexen opto-mechanischen
Abb. 4.1-1: Blick in die Feinmechanische Werkstatt mit ihren zehn Mitarbeitern im Jahre 2009.
Hinten die beiden großen rechnergesteuerten Fräßmaschinen. Hinten rechts der Werkstattleiter
Armin Böhm (schwarzes Hemd) bei der Anleitung eines Auszubildenden (Doris Anders).
181
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Präzisionsgeräten bis zum selbstgebauten 70 cm-Fernrohr, vom Tieftemperatur-Kryostaten
bis zu höchst zuverlässigen Fluggeräten für Ballon- und Satelliten-Teleskope.
Nach Heinrich Bellemanns Pensionierung im Jahre 1998 wurde Armin Böhm mit 29
Jahren Leiter der feinmechanischen Werkstatt. Er war nach einer Lehre im Mineralogischen Institut der Heidelberger Universität 1988 zum MPIA gekommen und hatte hier
1993 seinen Meisterbrief erworben. Seine Stärken lagen bei der Handhabung der neuen
programmierbaren rechnergesteuerten Werkzeug-Maschinen, hohem Qualitäts-Bewusstsein und „Kundenfreundlichkeit“ gegenüber seinen wissenschaftlichen Auftraggebern.
Mit diesem personellen Wechsel wurde auch eine Trennung von Konstruktionsabteilung
und Werkstatt vollzogen mit dem Ziel, den Ideenwettbewerb zu fördern. Leiter der
neuen Konstruktionsabteilung wurde Ralf-Rainer Rohloff, Diplom-Ingenieur für die Technologie des Wissenschaftlichen Gerätebaus, der bei Zeiss Jena an Planetarien gearbeitet
hatte und 1988 zum MPIA kam.
Mit der Neustrukturierung hielt die Digitaltechnik verstärkt Einzug in die beiden Abteilungen. Wurde in den ersten Jahrzehnten des Instituts noch an großen Reißbrettern konstruiert, so geschah das ab Mitte der 1990er Jahre an Rechner und Bildschirm. Die bis
dahin üblichen Konstruktions- und Fertigungszeichnungen wurden zunehmend durch
elektronische Programmpakete ersetzt. Mit ihnen konnten die Werkzeugmaschinen komplizierte Teile dreidimensional fräsen, ohne Umweg über Zeichnung und einen Facharbeiter an der Maschine. Der Werkzeugmaschinenpark wurde ständig modernisiert, ab
dem Jahr 2000 kamen eine große Fräsmaschine für Werkstücke von bis zum 1 m Durchmesser und eine 5-Achs-Fräsmaschine hinzu (Abb. 4.1-1). Eine besondere Herausforderung für Werkstatt und Konstruktion waren die hohen Qualitäts-Anforderungen der
Weltraum-Instrumente. Hier musste vom Material-Ursprung bis zur Fertigung jedes Teil
und jeder Schritt vermessen und dokumentiert werden. Dazu wurden Reinräume
geschaffen und eine auf Mikrometer-Genauigkeit abtastende Messmaschine von Zeiss
beschafft.
Nach dem Abgang von Steven Beckwith in die USA übertrug der Geschäftsführende
Direktor Hans-Walter Rix die Leitung der Technischen Abteilungen (Werkstätten) im
Jahre 1999 an Dietrich Lemke. Diese Koordinierungsaufgabe tastete die bestehende
Eigenverantwortung der einzelnen Abteilungen nicht an. Es wurden eine Reihe von Regeln
aus der Erfahrungswelt der Weltraum-Instrumentierung übernommen, und so hielt ein
sanftes Projektmanagement Einzug. Ziel war die Verbesserung der Transparenz und eine
wirklichkeitsnähere Planung aller Instrumentierungs-Vorhaben. Dazu wurde die langfristige Projektplanung vertieft und an die verfügbaren Personalkapazitäten der Werkstätten angepasst. Quartalsmäßig wurden Sachstand und Auslastung festgestellt und die
182
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Planung laufend überarbeitet. Die Planzahlen wurden mit den wissenschaftlichen Projektleitern und den Werkstattleitern regelmäßig gemeinsam diskutiert. Den Direktoren
wurden diese Ergebnisse vorgetragen, dabei konnten bei Terminkonflikten Prioritäten
gesetzt werden. Die Personalausstattung der verschiedenen Technischen Abteilungen
wurde mittelfristig an den ermittelten Bedarf angepasst. Über diese Vorgänge erfuhren
die Mitarbeiter zeitnah in Institutsbesprechungen, so dass gelegentlicher Kritik („wir
machen zuviel“, „alles geht zu langsam“, „der Kollege X wird bevorzugt“, ...) der Boden
entzogen werden konnte. Nach der Pensionierung von Lemke wurde Martin Kürster sein
Nachfolger, der mit vielen Verfeinerungen die transparente Projekthandhabung fortführt.
4.2
Abteilungen für Elektronik und Elektronische Datenverarbeitung
Die Steuerung und Datenerfassung bei allen Teleskopen und den mit ihnen verbundenen
wissenschaftlichen Instrumenten besorgen maßgeschneiderte elektronische Geräte. Zur
Zeit der Gründung des MPIA war der Wechsel von der Vakuum-Röhren-Technik zur
Halbleiterelektronik (Transistoren) gerade vollzogen. Auch diese neue Technik hat sich
mit immer höherer Integration der Bauteile dramatisch fortentwickelt und zu mehreren
Technologiewechseln in der Elektronik-Abteilung des Instituts geführt. Gleichzeitig wurden elektronische Rechner und lichtelektrische Bildsysteme immer leistungsfähiger und
erforderten aufwendigere Elektroniken zur Steuerung der Geräte und zur Erfassung und
Verarbeitung der gewaltig angeschwollenen Datenlawinen. Diese technischen Umbrüche
der letzten vier Jahrzehnte spiegeln sich auch in der mehrfach veränderten Struktur und
Ausrüstung der Elektronik-Abteilung wider.
Begonnen hat es mit einer „System-Abteilung“ unter der Leitung von Dieter Fath, der
als Leiter einer Service-Außenstelle der Firma Control Data am MPI für Kernphysik zum
MPIA auf den Königstuhl gewechselt war. Hier bestand seine Abteilung zunächst aus
zwei Zweigen: der „Elektronik“ und der „Elektronischen Datenverarbeitung (EDV)“.
Diese beiden Unterabteilungen waren weiter gegliedert. Die „Elektronik“ in „Entwicklung“ (Dieter Fath) und „Fertigung“ (Hubert Schütz). Die „EDV“ gliederte sich in
„Rechner-Infrastruktur des Instituts“ (Fath, später sein früherer Mitarbeiter Walter Rauh)
und „EDV Instrumente“ (Fath, später Karl Zimmermann).
In den 1970er Jahren waren Video- und Bildwandler-Röhren-Technik verbreitet. Der
damalige Leiter der Elektronik-Fertigung, Hubert Schütz, war Meister der Fernsehtechnik und betrieb Lehrlingsausbildung zum Industrie-Elektroniker. Nach dem krankheits-
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Abb. 4.2-1a: Elektronik der 1980er Jahre. Für diesen Pulsmuster-Generator zum Testen der InfrarotKameras für ISO wurden auf der Vorderseite der Platine ~ 80 Logik- und Speicher-Bausteine
befestigt (links). Ihre Verbindungen erfolgten auf der Rückseite in Wire-Wrap-Technik (rechts)
(Ulrich Grözinger).
bedingten Ausscheiden von Dieter Fath erfolgte ein Umbau der Abteilung. Bernhard
Grimm, seit 1979 am Institut, übernahm ab 1989 die Leitung der „Elektronik“, in der
Entwicklung und Fertigung nun zusammengelegt wurden. Inzwischen hatte die Digitaltechnik die Analogtechnik der Aufnahme-Bildröhren (Vidicons) immer weiter verdrängt.
Die bisherige „EDV“ wuchs mit der rasanten Ausweitung der Rechnertechnik. Sie wurde
in zwei getrennt geleiteten Abteilungen fortgeführt: für die Rechner-Infrastruktur des
Instituts einerseits (Walter Rauh) und für die Programmierung der Steuerungen und
Datenerfassung der wissenschaftlichen Instrumente und Teleskope andererseits (Karl
Zimmermann). Diese organisatorische Gliederung besteht im Wesentlichen bis heute,
nur wurden durch Pensionierungen verschiedene Leiter ersetzt: Karl Wagner hat seit
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Abb. 4.2-1b
2007 die Verantwortung für die „Elektronik“, Frank Richter für die „Rechner“ des Instituts und Florian Briegel für die „EDV-Projekte“.
Als ein Beispiel für den Technologiewandel beim Bau von elektronischen Geräten am
MPIA soll hier an die handwerkliche Verbindungstechnik der verschiedensten Bauelemente in elektronischen Schaltungen erinnert werden. Vor vierzig Jahren baute man die
Schaltungen auf Loch-Raster-Platten auf – das sind gleichmäßig gelochte EpoxydharzPlatinen. In diese Lochraster konnten Sockel für elektronische Bausteine (Integrierte
Schaltkreise, ICs) oder vergoldete Kontaktstifte eingelötet bzw. eingepresst werden. Die
für die Schaltungslogik notwendigen vielfältigen Drahtverbindungen zwischen den Kontakten wurde mit der „Wire Wrap“- Technik erzeugt. Dabei wurden mit einer kleinen
Wickelmaschine, ähnlich einem Akkuschrauber, dünne Leiterdrähte um die Kontaktstifte geschlungen. Das ging schnell, war leicht änderbar, ergab aber unübersichtliche
und platzbeanspruchende Aufbauten (Abb. 4.2-1). In den späten 1980er Jahren wurden
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Abb. 4.2-2: Elektronik aus dem Jahr 2009. Diese Platine für die Auslese-Elektronik der großen
CCD-Kameras enthält mehrere hochintegrierte Bausteine, die mit Ball-Grid-Technik (je ~ 250
Kügelchen) auf die Platine „aufgebacken“ wurden. Ein einzelner Baustein (oben rechts) besitzt hier
die vielfachen Fähigkeiten der gesamten ~ 25 Jahre vorher entstandenen Platine der vorangegangenen Abbildung (Karl Wagner).
die Schaltungen auf für jede Anwendung maßgeschneiderten Platinen aufgebaut. Vorangegangen war jeweils die Simulation der Schaltung auf einem Rechner, die das FehlerRisiko verringerte und die teure Fertigung spezieller Platinen rechtfertigte. Für die allermeisten Verbindungen zwischen Bauteilanschlüssen wurden jetzt Leiterbahnen auf dem
isolierenden Trägermaterial fest aufgebracht, Drähte gab es kaum noch. Waren diese Platinen anfangs einseitig kontaktiert und bestückt, entwickelten sich bald beidseitig kontaktierte und schließlich vielschichtige Platinen. Getrieben wurde diese Entwicklung
durch die Schaffung immer höher integrierter elektronischer Bausteine, sie wurden
immer kleiner und hatten immer mehr und dichter beieinander liegende Kontaktpunkte.
Löten auf der Millimeter-Skala wurde zur Kunst. In der heutigen „Ball Grid“- Technik
werden die Verbindungen zwischen Bauteilen und Platinen auf der Sub-MillimeterSkala durch eine Vielzahl winziger Lötzinnkugeln hergestellt, die mit einer Art Waffeleisen zum Schmelzen gebracht werden (Abb. 4.2-2). Die elektronischen Bauteile können
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frei programmierbare Schaltungen sein, in die eine am Rechner entwickelte Logik einfach
hineingeladen werden kann.
Mit der drastischen Verkleinerung der Bauteile ging eine Steigerung ihrer logischen
Fähigkeiten und ebenso der Geschwindigkeit der Signalverarbeitung einher. Das hätte
eigentlich zur Verkleinerung der „Elektronik-Schränke“ für den Betrieb der Instrumente
führen sollen. Das Gegenteil war der Fall: Die Ansprüche an moderne Instrumente werden immer vielfältiger und der Elektronikaufwand wächst. Hatten die Instrumente der
Anfangsjahre beispielsweise zwei Filterräder, einen Verschluss und wenige Signalausgänge,
so haben heutige Geräte (wie LINC-NIRVANA für das LBT-Teleskop) 140 Motoren,
Piezoantriebe, Megapixel-Kameras usw. Die Datenübertragung zwischen den Elektronikmodulen und den Rechnern im Teleskopgebäude konnte mit kupfernen Leitungsdrähten
nicht mehr bewältigt werden. Seit den 1990er Jahren werden dafür gläserne Lichtleiterkabel benutzt, mit denen die Datenflut moderner Kameras schnellstens in die Rechner
übertragen werden kann.
Ein Glanzpunkt der Entwicklungen am MPIA war die Schaffung von Elektroniksystemen zum Betrieb großer CCD-Kameras. Durch Standardisierung vieler Baugruppen
konnten solche Elektroniken bald sowohl für CCDs für den sichtbaren Bereich als auch
für große zweidimensionale Infrarot-Kameras hergestellt werden. Sie wurden benutzt am
Calar Alto, am 2.2 m-Teleskop II auf La Silla und am Very Large Telescope der ESO auf
dem Paranal. Auch die mit MPIA-Beteiligung entstehenden Instrumente für das Large
Binocular Telescope auf dem Mt. Graham werden mit solchen hier gebauten lichtelektrischen Kameras ausgerüstet. Diese MPIA-Entwicklung kam darüber hinaus bei anderen
Observatorien zum Einsatz, so beispielsweise bei der Thüringer Landessternwarte in
Tautenburg. Seit den 1980er Jahren ist Karl-Heinz Marien der führende Kopf der CCDEntwicklungen am MPIA, unterstützt durch die „Elektroniker“ um Bernhard Grimm, seit
2007 um Karl Wagner.
Der Elektronik-Abteilung ist auch die jahrzehntelange und stetige Modernisierung der
Teleskope am Calar Alto zu verdanken. Alle Teleskope wurden ursprünglich durch MPIAMitarbeiter mit Fernseh-Leiteinrichtungen ausgerüstet, anfangs noch Fernsehkameras,
aber bereits mit einem digitalen Speicher (Rainer Wolf, Hermann Unser). In den 1990er
Jahren folgten am MPIA gebaute CCD-Leiteinrichtungen (Uwe Graser, Karl-Heinz
Marien). Die Teleskope selbst waren bei Zeiss in den 1970er Jahren in einer Phase des
schnellen Fortschritts in der Elektronik- und Rechner-Technik gebaut worden. Ihre
komplizierte und vergleichsweise störanfällige elektronische Steuerung wurde von den
Elektronikern des MPIA schon wenige Jahre nach dem „ersten Licht“ komplett durch
eine modernere Rechnersteuerung ersetzt.
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Die Elektronik-Abteilung hatte in den 1990er Jahren bis zu 15 Mitarbeiter (Ingenieure
und Techniker). Heute sind es 11 Mitarbeiter. Wertvoll sind dabei die Verbindungen zur
Fachhochschule Mannheim, deren Studenten im Rahmen von Diplomarbeiten und Praxissemestern viele Entwicklungen am MPIA hervorgebracht haben.
Parallel zur Leistungssteigerung der digitalen Kameras und ihrer Elektroniken wurden
auch die Rechner immer größer und schneller. Begonnen hatte es in den 1970er Jahren
mit den PDP-11/40-Rechnern, denen in den 1980er Jahren große Zentralrechner vom
Typ VAX 11-780 folgten. Sie wurden in den 1990er Jahren wieder abgelöst durch Einzelplatz-Rechner (Workstations), die den Wissenschaftlern am Arbeitsplatz zur Verfügung standen. Die verschiedenen Betriebssysteme dieser Rechner wurden ab dem Jahre
2000 durch das systemunabhängige „Linux“ verdrängt. Damit konnten aus üblichen
PCs auf dem Schreibtisch leistungsstarke Rechner werden, die mit zentralen Rechnern
in schallgedämpften und gekühlten Räumen verbunden sind. Dort wurden auch die
Plattensysteme zur Speicherung der riesigen Datenmengen und zur allnächtlichen Datensicherung aufgebaut. Das Institut ist aus Sicht der EDV-Abteilung in verschiedene Netzwerk-Segmente aufgeteilt, die unabhängig voneinander arbeiten, aber durch Glasfaserverbindungen schnelle Übertragung von Datenpaketen ermöglichen. Die Rechner sind,
nach vielen Umzügen in den letzten Jahrzehnten, gegenwärtig in den fensterlosen Räumen im Erdgeschoss des Hauptgebäudes (dem früheren zentralen Photolabor) und im
Ostteil des Elsässer-Labors untergebracht. Bei einem dieser Umzüge wurde ein archäologischer Fund gemacht: Als der VAX-Rechner Ende der 1980er Jahre abgebaut wurde,
kam unter dem doppelten Fußboden ein altes Bierfass zum Vorschein. Studenten hatten
es wahrscheinlich vor einer Examensfeier mittels der kräftigen Klimaanlage im Rechnerraum kühlen wollen und dann vergessen. Das Bier hatte nach vielen Jahren unbeabsichtigter Lagerung nicht an Geschmack gewonnen ...
Neben den lokalen Rechnern besitzt das Institut auch zwei Cluster, die im Rechenzentrum der MPG in Garching betrieben werden. Einer dieser Großrechner wurde 2005 zur
Nutzung durch die theoretischen Gruppen des MPIA beschafft, der andere 2006 für das
PanSTARRS-Vorhaben zur schnellen Himmelsdurchmusterung (Kapitel 7). Letzterer
ist mit einem umfangreichen Speicherplatten-System für den riesigen Datenstrom (Terabytes) ausgerüstet.
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5
Observatorien im Weltraum und am Boden
5.1
Astronomie mit Weltraumteleskopen
Während des Kalten Krieges in den 1950er Jahren entwickelte sich die Raketen- und
Satellitentechnik sehr schnell, gefördert aus üppigen Verteidigungshaushalten in Ost
und West. Bald standen die neuen Möglichkeiten auch für nicht-militärische Anwendungen zur Verfügung. Die von zehn europäischen Ländern, darunter Deutschland, im
Jahre 1975 gegründete Europäische Weltraum-Agentur ESA sollte mit einem eigenen
Satellitenprogramm Wissenschaftlern die Erforschung des Weltalls ermöglichen. Zusätzlich wurden, vorangetrieben vor allem von Frankreich, eigene Trägerraketen entwickelt,
um vom amerikanischen Raketenmonopol unabhängig zu werden.
Das neue MPIA begann frühzeitig nach Teilhabe an den europäischen Vorhaben zu streben. Das Interesse richtete sich auf den infraroten Spektralbereich, in dem bereits auf
dem Calar Alto und Anfang der 1970er Jahre mit dem Ballonteleskop THISBE gearbeitet
wurde. Näheres zu den Anfängen der extraterrestrischen Forschung des Instituts im
nationalen Rahmen findet sich im Kapitel 2.9.
Ab Mitte der 1970er Jahre wurden von der ESA mehrere Vorschläge für Infrarot-Weltraumteleskope studiert: ein ~ 3 m-Teleskop auf dem Spacelab (LIRTS), ein noch größeres
freifliegendes Teleskop für das ferne Infrarot (FIRST), und ein ~ 1 m-heliumgekühltes
Satelliten-Observatorium (ISO). Die Studien dazu wurden gemeinsam von der ESA, der
europäischen Industrie und Arbeitsgruppen von Wissenschaftlern aus den Mitgliedsländern durchgeführt. Sie wurden in jeweils mehrere Monate dauernden Phasen immer
weiter vertieft (Assessment-, Pre-Phase A-, Phase A-Study usw.). Dietrich Lemke arbeitete
für das MPIA über viele Jahre in mehreren dieser europäischen Studiengruppen mit. Im
Ergebnis konnte für das Fern-Infrarot-Teleskop noch kein sicheres Verfahren zur Entfaltung eines großen Spiegels zu optischer Qualität garantiert werden. LIRTS wäre von der
amerikanischen Raumfähre abhängig gewesen und hätte Missionszeiten von nur wenigen
Wochen erlaubt. Von den drei oben erwähnten Infrarot-Teleskopen erwies sich nach
einigen Studienjahren das kleine kalte „Infrared Space Observatory“ ISO als das aussichtsreichste. Deshalb sollte ISO im Wettbewerb gegen Projekte anderer Forschungsrichtungen zur Auswahl für eine Phase B-Studie antreten. Um erfolgreich zu sein, musste
es innerhalb eines gegebenen Kostenrahmens technisch umsetzbar sein, wissenschaftli-
189
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ches Neuland erforschen können und die breite Unterstützung der europäischen Wissenschaftler erhalten.
5.1.1 Infrared Space Observatory (ISO)
ISO wurde im Februar 1983 neben drei anderen Mitbewerbern (ein Ultraviolett-Teleskop
und zwei Planetensonden) im Kurhaussaal von Scheveningen in den Niederlanden den
Auswahlgremien der ESA vorgestellt. ISO war in diesem Wettbewerb wahrscheinlich das
risikoreichste Vorhaben. Viele bezweifelten, dass man eine so große Menge superflüssigen
Heliums (geplant waren 2300 Liter) in der Schwerelosigkeit sicher handhaben kann.
Superflüssiges Helium besitzt keine innere Reibung, eine winzige Undichtigkeit im Tank
würde zum „Superleck“ werden. Zwar war im Tieftemperatur-Labor der Freien Universität Berlin ein „poröser Stopfen“ erprobt, durch den das im Tank entstehende Gas abgezogen werden konnte. Der thermomechanische Effekt sollte dabei verhindern, dass die
Superflüssigkeit entweicht. Aber würde das auch nach dem rauen Raketenstart und dann
für weitere ~ 2 Jahre im Weltraum, bei Vakuum und Schwerelosigkeit, sicher funktionieren? Schließlich standen Missionskosten von mehreren Hundert Millionen „European
Accounting Units“ (ab 1999 „Euro“) auf dem Spiel.
Am Tage der Entscheidungsfindung halfen zwei Zufälle weiter. Das Ultraviolett-Teleskop-Team konnte kritische Fragen aus dem Wissenschaftlerpublikum nicht schlüssig
beantworten. Und zur Stunde der Entscheidung gelangten auf verschlungenen Wegen
die allerersten wunderbaren Daten des gerade gestarteten IRAS-Satelliten, der ebenfalls
heliumgekühlt war, aus den USA in das Kurhaus in Scheveningen. Diese beiden „Glücksfälle“ gaben vermutlich den Ausschlag im Kopf-an-Kopf-Rennen der Bewerber: ISO
wurde als nächster Wissenschaftssatellit der ESA ausgewählt. Nach einer vertieften Studienphase B (dabei schrumpfte das Teleskop von 1 m auf 0.65 m) lud die ESA im Juli
1984 die europäischen Wissenschafter zu Experimentvorschlägen für das neue Observatorium ein. Das MPIA beteiligte sich an diesem Wettbewerb und wurde zum verantwortlichen Institut für eines der vier vorgesehenen Instrumente auf ISO gewählt, mit
Dietrich Lemke als „Principal Investigator“ (PI). Das Heidelberger Photometerinstrument, mit Fern-Infrarot-Kamera und Nah-Infrarot-Spektrometer, erhielt den Namen
ISOPHOT, ein Vorschlag des dänischen Co-Investigators (Co-I) Herb Schnopper. Insgesamt beteiligten sich Wissenschaftler aus sechs weiteren Ländern (Großbritannien,
Dänemark, Finnland, Irland, USA und erstmals Spanien) an der Instrumentenentwicklung. Dazu gehörten auch wichtige Beiträge aus den Max-Planck-Instituten für Radio-
190
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Abb. 5.1-1: Schnittbild des europäischen
ISO-Satelliten. Das
Teleskop ist umgeben
von einem Tank mit
2300 l superflüssigen
Heliums. Eines der vier
Instrumente hinter
dem goldbelegten
60 cm-Hauptspiegel
ist ISOPHOT, das am
MPIA entwickelt
wurde. Der Start erfolgte im Jahre 1995
mit einer ARIANE
44P-Rakete (ESA).
astronomie in Bonn und für Kernphysik in Heidelberg. Die grundsätzlichen technischen
Konzepte und die Prototypen der Instrumente wurden am MPIA entwickelt, die Fluggeräte danach bei Dornier, Zeiss und Battelle gebaut. Die Erprobungen, Kalibrierungen
und die Schaffung der umfangreichen Programme für die Beobachtungen lagen dann
wieder beim ISOPHOT-Konsortium. Nach 12-jähriger angespannter Entwicklung (im
MPIA war damals neben einigen Postdocs nur ein Wissenschaftler mit unbefristetem
Arbeitsvertrag vollzeitig verfügbar) konnte der ISO-Satellit (Abb. 5.1-1) im November
1995 mit einer ARIANE 4-Rakete gestartet werden. Er wurde in eine hochexzentrische
191
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12-Stunden-Umlaufbahn gebracht, die täglich eine 16-stündige Beobachtungszeit
erlaubte. Im Bodenobservatorium der ESA in Villafranca nahe Madrid arbeitete eine
internationale Gruppe aus den beteiligten Instituten an der wissenschaftlichen Nutzung
des ISOPHOT-Instruments. Ihre Leitung hatte Ulrich Klaas aus dem MPIA. Erstmals
konnten Beobachtungen bei Wellenlängen jenseits der von IRAS erreichten 100 μmGrenze ausgeführt werden. Das ermöglichte das Studium noch kälterer Himmelsquellen.
So konnte die „Wärmestrahlung“ von Quellen mit einer Temperatur von – 260° C
erfasst werden. Im ISOPHOT- und im ISO-LWS-Instrument wurden dafür erstmalig
im Weltraum „gedrückte“ Germanium:Gallium-Detektoren (Ge:Ga) bei einer Temperatur von nur 1.8° über dem absoluten Nullpunkt bei – 273 °C eingesetzt. Durch das
Drücken der etwa einen Kubikmillimeter kleinen Halbleiterkristalle mit einer Schraube
bis an deren Bruchgrenze werden die Bindungen der Störstellen (Gallium im Germaniumkristall) gelockert und Photonen niedrigerer Energie können Ladungsträger freisetzen.
Damit wird ein solcher Detektor für Strahlung bis zu 240 μm Wellenlänge empfindlich,
statt nur bis 100 μm bei ungedrückten Ge:Ga-Kristallen.
Die ISO-Mission dauerte 29 Monate, dann war das flüssige Helium an Bord verdampft.
Zu dieser erfreulichen Verlängerung (garantiert waren nur 18 Monate) trug wieder ein
Zufall bei. Unmittelbar vor dem Start im November 1995 gab es ein „Halt“, denn in
einer gerade geprüften Rakete beim Hersteller in Europa wurde ein kleines technisches
Problem gefunden. Daraufhin sollte die startfertige Rakete in Kourou sicherheitshalber
überprüft werden. Enttäuscht reisten die „VIPs“ des Top-Managements von ESA und
Industrie vom Startplatz ab, aber die Techniker nutzten die Zeit zum weiteren Auffüllen
des Heliumtanks. Das geschah im zeitaufwendigen „Pilgerschritt-Verfahren“ zur Erreichung der Superflüssigkeit des Heliums: Füllen, Pumpen, Füllen, Pumpen, … So startete
ISO mit einer Woche Verzögerung, aber dafür mit einem zu 99 % gefüllten Tank (statt
der vorgesehenen ~ 90 %), was alleine schon eine drei Monate längere Beobachtungszeit
bedeutete.
An die Mission schlossen sich dann mehrjährige Archivphasen an, in denen weiter beobachtet wurde, nun aber „virtuell“ im riesigen Datenarchiv. Von den ersten Studien bis
zum Abschlussbericht erforderte das Projekt einen fast 20-jährigen Einsatz, darunter
etwa acht personalintensive Jahre. Dabei wurde die Forschungs-Arbeit im MPIA über die
gesamte Laufzeit mit Mitteln des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)
gefördert. Der ISO-Satellit, der nach dem Ende des flüssigen Heliums im April 1998
während des anschließenden langsamen Aufwärmens noch für einige Wochen im nahen
Infraroten messen konnte, wird die Erde auf einer hohen Umlaufbahn noch für fast 1000
Jahre umkreisen und schließlich in unserer Atmosphäre verglühen.
192
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5.1.2 ISO-Beobachtungen und -Zufallsdurchmusterung
Insgesamt brachte die ISO-Mission Ergebnisse für über 1400 wissenschaftliche Veröffentlichungen in referierten Zeitschriften und zusätzlich für eine ähnlich große Zahl von
Konferenzbeiträgen hervor. Ein Viertel davon geht auf das vom MPIA geführte Instrument zurück. Als besonders ergiebig haben sich dabei die instrumentellen Neuerungen
im ISOPHOT-Instrument erwiesen, die erste Messungen im 200 μm-Bereich und Spektrophotometrie im nahen und mittleren Infrarot ermöglichten. Wenige Beispiele sollen
davon einen Eindruck geben:
– Fast fünfzig ultraleuchtkräftige Galaxien mit dem Tausendmilliardenfachen der Sonnenleuchtkraft wurden studiert. Aus der erstmaligen Erfassung des fernen Infraroten
wurden deutlich größere Staubmassen in diesen Objekten ermittelt als bisher bekannt.
Der vermutete Zusammenhang „Wechselwirkung mit Nachbargalaxie erhöhte Sternentstehungsrate Ultraleuchtkraft“ konnte für viele Objekte bestätigt werden.
– Eine große Zahl von Quasaren wurde erstmals im fernen Infraroten gemessen. Damit
konnte das „Vereinheitlichte Modell“ für Quasare und Radiogalaxien mit aktiven Kernen bestätigt werden. Wegen des vom Kern geheizten Staubringes um das Zentrum
hängt das Verhältnis von Radio- zu Infrarot-Strahlung vom Blickwinkel auf das Objekt
ab.
– Nahe Galaxien konnten erstmals im fernen Infraroten kartographiert werden. Dabei
wurden neue innere Strukturen aufgedeckt, wie der „Sternentstehungsring“ im Andromedanebel (Abb. 5.1-2) oder ein entsprechender Balken in der Kleinen Magellanschen
Wolke.
– Die Emissionslinien der polyzyklisch-aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAHs) konnten überall in der Milchstraßenebene und in allen beobachteten Spiralgalaxien nachgewiesen werden. Offenbar sind diese „Rußpartikel“ sehr stabil und deshalb überall
im Kosmos vorhanden.
Die erstmals im Weltraum eingesetzten gedrückten Ge:Ga-Sensoren wurden zusätzlich
zu einem Beobachtungsverfahren eingesetzt, das bisher ohne Beispiel war. Bei den üblicherweise nicht nutzbaren Schwenks des Teleskops von einem Untersuchungs-Objekt
zum nächsten am Himmel konnte eine großräumige Zufallsdurchmusterung in dem neu
erschlossenen Spektralbereich durchgeführt werden. Der britisch-amerikanische CoInvestigator Bob Joseph schlug dafür den Namen „Serendipity Survey“ (ISOSS) vor
(Abb. 5.1-3). ISOSS erbrachte zusätzliche 500 Stunden Beobachtungszeit, in denen eine
193
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Abb. 5.1-2a u. b: Der Andromeda-Nebel ist die uns nächste Spiralgalaxie (~ 2.5 Millionen Lichtjahre) mit einem ähnlichen Aufbau wie die Milchstraße. Links ein optisches Bild, aufgenommen mit
dem Schmidt-Teleskop am Calar Alto. Rechts eine Aufnahme im fernen Infrarot mit ISOPHOT.
Deutlich treten Ringe hervor, in denen sehr junge Sterne den umgebenden Staub auf Temperaturen
von – 250°C „erwärmen“ (Martin Haas).
unvollständige Karte des Himmels bei einer Wellenlänge von 170 μm gewonnen wurde.
Manfred Stickel vom MPIA konnte damit für hunderte Galaxien erstmals statistische
Daten zu Leuchtkraft, Staubgehalt, Gas/Staub-Verhältnis und anderen Zustandsgrößen
liefern.
Die ISOPHOT-Zufallsdurchmusterung ist auch ein schönes Beispiel dafür, wie die
geplante Bearbeitung einer wissenschaftlichen Frage ganz unerwartet neue Forschungsgebiete eröffnen kann. Im Jahre 2003 glaubten britische Astronomen durch Beobachtungen des Supernova-Überrestes Cassiopeia A (Cas A) nachgewiesen zu haben, dass
dort in der Folge der Explosion viel interstellarer Staub entstanden sei. Das konnte die
Lösung für das Rätsel sein: Warum ist bereits im frühen Universum so viel Staub vorhanden? Er sollte von den Supernovae der ersten Generation massereicher Sterne stammen.
Nun war mit der ISOPHOT-Zufallsdurchmusterung die Region Cas A gut überdeckt
worden und eine große Staubwolke vor der Quelle deutlich auszumachen. Vermutlich
waren die von den britischen Forschern angegebenen Staubraten in Cas A durch diesen
Vordergrund-Staub verfälscht. Es begann eine gründliche Untersuchung der Quelle.
194
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Abb. 5.1-3: Himmelskarte der Zufallsdurchsuchung mit dem ISO-Satelliten. Der waagerechte hellere Streifen ist die Milchstraßenebene mit viel warmem Staub. Während der Schwenks von einem
Objekt zum nächsten wurde mit der Ferninfrarot-Kamera in ISOPHOT der Himmel durchmustert
(weiße Streifen). So konnten 17% des Himmels erstmals bei einer Wellenlänge von 170 μm kartiert
werden (Manfred Stickel).
Oliver Krause, der sich nach seiner Doktorarbeit in der Infrarot-WeltraumastronomieGruppe am MPIA für zwei Jahre als Postdoc am Steward-Observatorium der Universität
von Arizona aufhielt, hatte Zugang zum damals aktiven Infrarot-Satelliten Spitzer.
Stephan Birkmann, Doktorand in der gleichen Heidelberger Gruppe, beobachtete vom
Calar Alto aus im Optischen und Infraroten und von Hawaii aus im Submillimeterbereich. Die behaupteten Staubwerte für Cas A konnten durch diese Untersuchungen tatsächlich deutlich nach unten berichtigt werden (siehe dazu neueste Ergebnisse in Abb.
5.1-9).
Während dieser Untersuchungen wurden die Heidelberger Forscher auf eine Merkwürdigkeit aufmerksam. Auf ihren zu verschiedenen Zeiten gemachten Aufnahmen schienen
sich filamentartige Strukturen der Explosionswolke zu bewegen, und das anscheinend
195
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44:00
a
2 Okt 2006
b
23 Jan 2007
c
20 Aug 2007
d
7 Jan 2008
30
Deklination A2000
43:00
30
42:00
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41:00
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59:40:00
30
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Rektaszension > 2000
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Abb. 5.1-4: Infrarot-Aufnahme eines staubreichen Gebietes nahe dem Supernovae-Überrest Cas A.
Deutlich ist die zeitliche Veränderung zu sehen, ein besonders helles Lichtecho erscheint am 20. August 2007 (Quadrat). Aufnahme mit dem Spitzer-Satelliten (Oliver Krause).
mit rekordverdächtiger halber Lichtgeschwindigkeit ! So schnell kann sich Materie aber
nicht bewegen. Die Erklärung dieser überraschenden Entdeckung sind Lichtechos (Abb.
5.1-4). Der vom ursprünglichen Stern übriggebliebene Neutronenstern im Zentrum der
Explosionswolke zeigt immer noch kleine Ausbrüche von Gammastrahlung. Diese breitet
sich mit Lichtgeschwindigkeit aus und trifft dabei auf zufällig verteilte Staub- und Gasfilamente der Explosionswolke, die erwärmt werden und im Infraroten aufleuchten. So
entsteht eine Spur von aufglimmenden und wieder verlöschenden Staubfilamenten, die
eine echte Bewegung der Filamente nur vortäuschen. Es gelang sogar entfernte Filamente
zu finden, die von der vor über 300 Jahren stattgefundenen Supernovaexplosion beleuchtet werden. Oliver Krause begann nun diese Filamente spektroskopisch zu untersuchen,
um im „Originallicht“ der Explosion den Typ der Supernova zu bestimmen. Das gelang
im Jahre 2008 mit dem 8 m-Subaru-Teleskop auf Hawaii. Danach ist Cas A vom seltenen
Typ IIb einer Supernova, die das Ende eines massereichen Sterns bedeutet. Dabei werden
die äußeren Hüllen des Sterns mit einer Geschwindigkeit von ~ 10 000 km pro Sekunde
abgesprengt, im Zentrum bleibt ein winziger dichter Neutronenstern übrig.
Beflügelt von diesem Erfolg, wurde auch der Überrest von Tychos Supernova vom Jahre
1572 vom Calar Alto und von Hawaii aus untersucht (Abb.5.1-5). Hier zeigten die Spek-
196
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Abb. 5.1-5: Tychos Supernova konnte als Typ Ia erkannt werden. Das Bild ist zusammengefügt aus
Aufnahmen im Infraroten mit dem 3.5 m-Teleskop auf dem Calar Alto und mit dem Spitzer-Satelliten, sowie Röntgenaufnahmen mit dem Chandra-Satelliten. Der blaue Rand ist die Stoßwelle der
Explosionswolke ins interstellare Medium (Oliver Krause).
197
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tren den Typ Ia der ursprünglichen Supernova an. Sie zündete in einem Doppelsternsystem, bei dem Materie von einem Partner zum anderen, einem weißen Zwergstern, überströmt. Da sich dadurch in Letzterem der Druck im Kern ständig erhöht, führte das zu
einer thermonuklearen Explosion. Diese interessanten Untersuchungen haben es jetzt
ermöglicht, Jahrhunderte nach dem Tod eines Sterns die Physik der Geburt einer Supernova besser zu verstehen. Ungeahnt angestoßen durch ISOPHOT-Zufallsbeobachtungen
vor zehn Jahren, ist so ein neues Forschungsgebiet entstanden.
5.1.3 Herschel
Parallel zur Entwicklung des ISO-Satelliten führte die ESA die Studien zum Bau des
nächsten größeren Infrarot-Weltraum-Observatoriums fort. Aus ihnen ging 1985 ein
freifliegender Satellit FIRST (Far Infrared and Submillimeter Telescope) mit einem
~ 5 m-Spiegel als aussichtsreichste Mission hervor. In vertieften Untersuchungen wurde
dieses Teleskop zu einem bezahlbaren 3.5 m-Spiegel verbilligt, und FIRST erhielt den
Namen Herschel (nach dem deutsch-britischen Musiker, Astronomen und Entdecker der
Infrarotstrahlung Wilhelm Herschel). Für den Satelliten wurden drei wissenschaftliche
Instrumente ausgewählt, eines davon ist PACS, eine Fern-Infrarot-Kamera mit Spektrometer. Das MPI für extraterrestrische Physik in Garching erhielt die Verantwortung für
dieses Gerät, mit Albrecht Poglitsch als Principal Investigator (PI). Das MPIA Heidelberg
beteiligte sich seit Beginn an der Entwicklung von PACS: mit (1) der Charakterisierung
der Ge:Ga-Kameras für das Spektrometer, (2) dem Bau eines Choppers (Schwingspiegel
zur Vermeidung der Wärmestrahlung des Teleskopes und zur Einspiegelung der Eichquellen), und (3) größeren Anteilen am Bodenobservatorium, vor allem der Kalibrierung.
Ulrich Klaas und Dietrich Lemke aus Heidelberg wurden Co-Investigatoren (Co-Is) mit
zusammen 14 % Anteil an PACS. Nach dem Wechsel des Co-I Thomas Henning von
der Universität Jena nach Heidelberg kam der Jenaer Anteil dazu, so dass das MPIA ab
dem Jahr 2002 mit 15 % an PACS beteiligt ist. Diese Prozentzahlen spiegeln nicht nur
die geleistete Arbeit der Institute wieder, sondern auch den Anspruch auf „Garantierte
Beobachtungszeit“, die die Co-Is von der ESA als „Entlohnung“ erhalten.
Herschel wurde im Mai 2009 mit einer ARIANE-5-Rakete gestartet (Abb. 5.1-6). Es ist
mit seinem monolithischen 3.5 m-Spiegel aus leichtem, steifem Siliziumkarbid (SiC) das
bisher größte astronomische Teleskop im Weltraum (Abb. 5.1-7). Herschel bewegt sich
auf einer Halobahn um den masselosen Lagrange-Punkt 2 (L2). Dieser liegt 1.5 Millionen
Kilometer von der Erde entfernt in der sonnenabgewandten Richtung. Dort unterliegt
198
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Abb. 5.1-6: Start der europäischen ARIANE 5-Rakete im Mai 2009 mit den Herschel- und
Planck-Satelliten an Bord (ESA).
der Satellit der gemeinsamen Anziehungskraft von Erde und Sonne und läuft deshalb im
Gleichschritt mit der Erde ein Mal im Jahr um die Sonne. Da von Herschel aus gesehen
Sonne und Erde stets in gleicher Richtung stehen, kann deren Wärmestrahlung einfach
und gleichzeitig abgeschirmt werden. Dabei kühlt sich das Teleskop durch Abstrahlung
in den kalten Weltraum passiv auf – 190° C ab, notwendig zur Verringerung seiner eigenen Infrarot-(Wärme)-Strahlung.
Die ersten Monate der Beobachtungen mit Herschel, über die hier noch berichtet werden
kann, verliefen sehr erfolgreich. Das große Teleskop lieferte scharfe Bilder von Nebeln
und Galaxien, die mit bisherigen Infrarot-Observatorien nur verschwommen zu sehen
waren (Abb. 5.1-8). Damit können beispielsweise einzelne Sternentstehungsgebiete in
den Spiralarmen unterschieden und die gewonnenen Daten mit den entsprechenden
Messdaten aus anderen Spektralbereichen verknüpft werden. Das kann genauere Vorstel-
199
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Abb. 5.1-7: Der europäische Herschel-Satellit besitzt einen 3.5 m-Hauptspiegel, der sich durch Abstrahlung in den Weltraum auf – 190 °C abkühlt (ESA).
200
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Spitzer/MIPS
NASA/JPL-Caltech / SINGS
Herschel/PACS
ESA & The PACS Consortium
Spiral Galaxy M51 (“Whirlpool Galaxy”) in the Far Infrared (160μm)
Abb. 5.1-8: Eines der ersten von Herschel mit der PACS-Kamera im fernen Infraroten aufgenommenen Bilder zeigt die Galaxie M51 (rechts). Während die Sternentstehungsgebiete in den
Spiralarmen deutlich zu erkennen sind, zeigt das entsprechende Spitzer-Bild (links) kaum
Einzelheiten. Die Größe des Teleskopes (3.5 gegen 0.85 Meter) bewirkt diesen Fortschritt (PACS
Konsortium).
lungen zum Verlauf der Sternentstehung auf der Skala einer großen Spiralgalaxie liefern.
In einem weiteren Garantiezeit-Programm sollen die mit der ISO-Zufallsdurchmusterung entdeckten sehr kalten, aber räumlich nicht aufgelösten Sternentstehungs-Gebiete
detailliert untersucht werden. Zu den ersten Ergebnissen gehörte auch die erneute Kartierung des Supernova-Überrestes Cas A, der im Kapitel der ISO-Beobachtungen (5.1.2)
besprochen worden war. Die hohe räumliche Auflösung von Herschel erlaubte die ganz
klare Trennung des Staubes im Supernova-Überrest vom Staub in der Umgebung der
Quelle. Damit kann die Behauptung von der intensiven Staubbildung in den Supernovae
als endgültig wiederlegt gelten (Abb. 5.1-9), und die Frage nach der Herkunft des reichlichen Staubes im frühen Universum bleibt weiter offen.
201
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,ICHTJAHRE
"OGENMINUTEN
Abb. 5.1-9: Der Supernova-Überrest Cassiopeia A (Cas A) beobachtet mit Herschel-PACS im fernen
Infraroten (Falschfarben-Darstellung). Warmer Staub (weiß-blau) in dieser Quelle ist klar getrennt
vom kalten interstellaren Staub (rot) in der Umgebung. In Cas A konnten nur 0.07 Sonnenmassen
Staub nachgewiesen werden, deutlich weniger als bisher vermutet (Oliver Krause).
5.1.4 James Webb Space Telescope (JWST)
Bereits Mitte der 1990er Jahre, kurz nach dem Start des inzwischen weltberühmten
Hubble-Weltraum-Teleskops, entschloss sich die NASA zum Bau eines Nachfolgers. Für
die Entwicklung dieses „Next Generation Space Telescope“ (NGST) wurden mindestens
zehn Jahre veranschlagt. Die Europäer wurden zur Beteiligung eingeladen, und die ESA
begann die Koordinierung der hiesigen Arbeiten. Diese umfassen inzwischen die Entwicklung der Hälfte der wissenschaftlichen Instrumente, den Start des Observatoriums
mit einer ARIANE-5-Rakete und die Mitarbeit europäischer Wissenschaftler im Bodenobservatorium beim Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore, USA.
Seit dem Jahre 2001 beteiligt sich das MPIA an diesem großen internationalen Vorhaben,
das inzwischen nach dem früheren NASA-Administrator James Webb benannt wurde,
auf vielfältige Weise (Abb. 5.1-10). Für das Mid-Infrared-Instrument (MIRI), das zur
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Abb. 5.1-10: Das James Webb Space Telescope besitzt einen 6.5 m-Hauptspiegel. Es umkreist den
Lagrange-Punkt L2 in 1.5 Millionen km Abstand von der Erde. Sonne, Erde und Erdmond (unten
links) erscheinen vom JWST aus gesehen stets in gleicher Richtung, so dass ihre Wärmestrahlung
wirksam mit dem vielschichtigen Strahlungsschild abgeschirmt werden kann (NASA).
Hälfte aus Europa kommt, wurden Thomas Henning und Dietrich Lemke Co-Principal
Investigatoren (Co-PIs). Der Heidelberger Beitrag besteht aus der Entwicklung und
Lieferung der Filter- und Gitterräder für MIRI. Auf diesen Rädern werden optische
Elemente wie Prismen, Filter, Koronographen-Masken, Spektralgitter und Strahlteiler
angeordnet, die je nach Beobachtungsprogramm exakt in den Strahlengang gedreht werden müssen. Auch hier gelten die Anforderungen des Betriebes bei tiefsten Temperaturen
(– 270° C), im Hochvakuum, Beschränkung auf geringste Antriebsleistung (auf der Milliwatt-Skala) und Robustheit gegen die starken Vibrationskräfte des Raketenstarts. Das
MPIA entwickelte für diese „Kryomechanismen“ Prototypen in Anlehnung an das beim
203
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Abb. 5.1-11: Filterrad für das MIRI-Instrument im James Webb Weltraumteleskop. Bei diesem vom
MPIA für den Einsatz im Kryovakuum entwickelten Sperrklinken-Mechanismus treibt ein zentraler
Torque-Motor das Rad an, während die exakte Positionierung stromlos von der Sperrklinke (oben,
zwischen zwei Kugellagern am Rand des Rades) übernommen wird. Die Flugmodelle der Filterund Gitter-Räder wurden von Carl Zeiss, Oberkochen gefertigt (Zeiss).
ISOPHOT-Instrument erfolgreiche Sperrklinkenkonzept (Abb. 5.1-11). Mit dem Bau
der qualifizierten Flugkomponenten wurde die Firma Zeiss beauftragt (Abb. 5.1-12).
Gefördert wird dieses Vorhaben vom Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt
(DLR), Bonn.
Auch zum NIRSPEC-Instrument, einem leistungsfähigen Spektrometer für das nahe
Infrarot, trägt das MPIA zu den Filter- und Gitterrädern bei, geleitet von Oliver Krause.
Dieses europäische Instrument wurde von der ESA zur Entwicklung direkt an die Industrie
vergeben. Dieses Mal ist das MPIA formal ein (bezahlter) Unterauftragnehmer der Firma
Zeiss. Beraten wird die ESA bei der NIRSPEC-Entwicklung von einem internationalen
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Abb. 5.1-12: Werksbesichtigung bei Zeiss Oberkochen anlässlich der Unterzeichnung der Verträge
für den Bau der MIRI- und NIRSPEC-Instrumente für das James Webb Space Telescope im
November 2005. Von links nach rechts: MIRI-Manager Ralph Hofferbert (MPIA), die CoPIs
Dietrich Lemke und Thomas Henning, die Zeiss-Abteilungsleiter Georg Luichtel und Hans-Jürgen
Wiemer (Lemke).
Wissenschaftler-Kommitee, dem Hans-Walter Rix als „Instrument Scientist“ angehört.
Auch hier wird es eine Entlohnung mit Garantiezeit geben.
Damit hat das MPIA den höchsten Anteil aller deutschen Institute an der Entwicklung
des künftigen „Flaggschiffs“ der Weltraum-Astronomie erreicht. Die technischen Beiträge
sind eine Fortentwicklung der Kryomechanismen, begonnen bei THISBE und GIRL
und vervollkommnet für ISO und Herschel. Die wissenschaftliche Nutzung des JWST
wird sich vor allem auf Stern- und Planetenentstehung einerseits und Galaxien und Quasare
andererseits erstrecken, alles wichtige Forschungsfelder des MPIA.
205
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5.1.5 GAIA und andere Durchmusterungssatelliten
Mit dem GAIA-Satelliten bereitet die ESA die größte Astrometrie-Mission weltweit vor.
GAIA wird die Orte, Entfernungen, Bewegungen, Temperaturen, Farben und Leuchtkräfte von über einer Milliarde Sternen in unserer Milchstraße vermessen. Dabei wird ein
räumliches Bild unserer Heimatgalaxie entstehen, aus dem wir die Lage des Sonnensystems, der benachbarten Spiralarme und Dunkelwolken in der Milchstraße erkennen
können. Daraus werden sich Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte der Milchstraße und ihre Zukunft ableiten lassen.
GAIA besteht aus zwei Teleskopen und großen CCD-Kameras, die industriell entwickelt
werden (Abb. 5.1-13). Die wissenschaftliche Vorbereitungsarbeit begann lange vor der
Abb. 5.1-13: Der europäische GAIA - Satellit wird unsere Milchstraße durchmustern und dabei
mehr als eine Milliarde Sterne untersuchen (ESA).
206
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eigentlichen Mission, mit Simulationen und der Programmentwicklung für die vielfältigen
wissenschaftlichen Fragestellungen. Seit dem Jahre 2000 beteiligt sich das MPIA an der
Entwicklung der Datenanalyse für GAIA, mit der schließlich der einzigartige GAIAKatalog erzeugt werden wird. Coryn Bailer-Jones leitet hier die Koordinierungs-Einheit
„Astrophysikalische Parameter“, zu der neben vier Wissenschaftlern am MPIA weitere 17
Institute in 8 Ländern beitragen. Da der gesamte Himmel siebzigmal während der Mission abgebildet wird, enthält er einen „Film“ über die Bewegungen aller gemessenen
Sterne der Milchstraße, über ihre Entfernungen und ihre chemische Zusammensetzung.
GAIA wird voraussichtlich 2012 mit einer Soyuz-Fregat-Rakete zum Lagrange-Punkt L2
gestartet. Das MPIA wird an der wissenschaftlichen Ausbeute des Datenstroms während
des fünfjährigen Fluges, insbesondere der Objektklassifizierung und der Wirkung interstellarer Staubwolken auf das Sternlicht mitwirken. Die anschließenden Archiv-Beobachtungen werden bis zum Jahre 2020 andauern.
Mit GAIA wird ein frühes Vorhaben des MPIA seine Vollendung erfahren, nämlich die
Erkundung der Lage von interstellaren Wolken und Spiralarmen in der Sonnenumgebung. Thorsten Neckel und Mitarbeiter hatten dafür in den 1970er Jahren vom Gamsberg aus Tausende junger Sterne, die sich bevorzugt in den Spiralarmen befinden, beobachtet. Aus ihrer „Rötung“ durch interstellaren Staub konnte auf die Lage dieser
Staubwolken geschlossen werden. So konnten sie ein Teilbild der Milchstraße bis zu einer
Entfernung von einigen Tausend Lichtjahren liefern. Ihre damalige Veröffentlichung
(Neckel und Klare, 1980) wurde im Jubiläumsheft zum 40-jährigen Bestehen der Zeitschrift „Astronomy and Astrophysics“ im Jahre 2009 als eine der meistzitierten ausgewählt. Mit GAIA soll bald ein dreidimensionales Bild der Milchstraße über einen hundertfach größeren Raumbereich erkundet werden.
Das MPIA hat außerdem in mehreren ESA-Studien für kleinere Satelliten zur Himmelsdurchmusterung im nahen Infrarot mitgewirkt (PRIME, EUCLID). Zu den Zielen dieser Missionen gehörte die Untersuchung der Struktur des dunklen Universums, mit der
Absicht, die Natur der Dunklen Materie und Energie besser zu verstehen. Hans-Walter
Rix und Rainer Lenzen haben in den Jahren 2004 bis 2008 zum wissenschaftlichen Konzept und der instrumentellen Auslegung der vorgeschlagenen Satelliten beigetragen. Ein
weiterer Vorschlag unter Beteiligung von Thomas Henning zielt auf ein mittelgroßes
Weltraum-Teleskop THESIS (jetzt ECHO) für die Transit-Spektroskopie von extraterrestrischen Planeten. Diese Studien und Vorschläge sind noch in einer frühen Phase vor
einer möglichen Auswahl als „nächster wissenschaftlicher Satellit“ der ESA. Von den
langen Vorbereitungs- und Laufzeiten solcher anspruchsvollen Vorhaben war am Anfang
des Kapitels 5 schon die Rede.
207
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:17 Seite 208
5.2
Beteiligung an internationalen Observatorien am Boden
Als das MPIA Mitte 1985 die Calar-Alto-Sternwarte mit dem 3.5 m-Fernrohr vollendet
hatte, begann bei der Europäischen Südsternwarte ESO die Planung von 8 m-Teleskopen.
Vier dieser Giganten sollten zum größten Teleskop der Erde, dem Very Large Telescope
(VLT) vereinigt werden, mit einer Sammelfläche entsprechend der eines 16 m-Teleskops.
Während die ESO für den Bau der Teleskope und den Observatoriumsbetrieb zuständig
sein würde, sollten die wissenschaftlichen Fokalebenen-Instrumente üblicherweise in
Instituten der Mitgliedsländer entwickelt werden. Die Calar-Alto-Sternwarte und die
Europäische Südsternwarte waren nach unterschiedlichen Denkmodellen entstanden:
einerseits eine nationale Sternwarte in Südeuropa, andererseits eine international finanzierte und betriebene Großforschung-Einrichtung im hervorragenden Klima der chilenischen Anden. Was war die vorteilhaftere Lösung für die deutsche Astronomie? Oder
waren beide notwendig? Welche Erfordernisse gab es für die Zukunft?
Diese Frage wurde Mitte der 1980er Jahre unter den Astronomen lebhaft diskutiert,
sollte doch für eine neue „Denkschrift Astronomie“ eine Empfehlung ausgesprochen
werden. Eine starke Gruppe von Vertretern der Universitätssternwarten (München,
Tübingen, Göttingen, Bochum, Kiel, Hamburg und LSW Heidelberg) plante seit 1984
ein nationales optisches Teleskop. Dieses „Deutsche Großteleskop“ (DGT) sollte einen
minimal segmentierten Zehn- bis Zwölf-Meter-Spiegel erhalten und an einer vorhandenen Sternwarte in ausgezeichnetem Klima aufgestellt werden. Die Befürworter dieses
Vorhabens sahen eine sinnvolle Nutzung der mit viel deutschem Geld geförderten internationalen Observatorien am Boden (ESO) und im Weltraum (ESA) nur dann, wenn
auch national lebendige und erstklassige Forschung betrieben werden könne. Darüber
hinaus würde die Entwicklung des DGT der deutschen Industrie einen TechnologieVorsprung für künftige internationale Vorhaben verschaffen. Das Projekt DGT wurde
bei den für die Finanzierung in Frage kommenden Stellen in Bund und Ländern wohlwollend aufgenommen.
Aber es gab auch gewichtige Gegenstimmen. Hans Elsässer sah für eine so kostspielig zu
unterhaltende Einrichtung keinen geeigneten Träger, schon gar nicht die Bundesländer.
Mit der Calar-Alto-Sternwarte sei „die lichtsammelnde Teleskopfläche der Bundesrepublik auf das Sechsfache des vorherigen gesteigert worden.“ An den Teleskopen wurde tatsächlich fast die Hälfte der verfügbaren Zeit an die Universitäts-Institute vergeben. Diese
hätten zur modernen Instrumentierung beitragen sollen, was sie damals kaum taten.
„Den Traum von einer neuen Großforschungs-Einrichtung ... halte ich für ganz abwegig“,
208
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Abb. 5.2-1: Das Very
Large Telescope (VLT)
der Europäischen Südsternwarte (ESO) in
den chilenischen
Anden. Im MPIA
wurden mehrere
Instrumente für die
vier 8 m-Teleskope
gebaut (ESO).
so Elsässer. Dagegen empfahl Heinrich Völk vom MPI für Kernphysik und späterer Herausgeber der Denkschrift in der Diskussion, „ausschließlich international konkurrenzfähige Forschungsgeräte zu betreiben“. Vorbilder seien die erfolgreichen Großgeräte der
Hochenergie-Physik, wie CERN, DESY, GSI. An deren wissenschaftlicher Nutzung
könnten kleinere Institute durch Bau von Zusatzinstrumenten, Datenauswertung und
theoretische Studien teilnehmen. Die Denkschrift von 1987 empfahl deshalb neben der
deutschen Beteiligung am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte den
Bau des Deutschen Großtelskops, mit der Möglichkeit der Beteiligung internationaler
Partner. Kurz darauf erfolgte, damals für niemanden vorhersehbar, die deutsche Wieder-
209
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vereinigung mit einem gewaltigen Finanzbedarf zur Schaffung gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West. Das war das „Aus“ für das DGT. An den internationalen Verpflichtungen für die Europäische Südsternwarte wurde dagegen kein Abstrich gemacht:
das VLT wurde gebaut, es wird laufend modernisiert und bietet seither auch für deutsche
Astronomen erstklassige Beobachtungsmöglichkeiten (Abb. 5.2-1). Darüber hinaus
wurde durch die Beteiligung mehrerer deutscher Institute am Large Binocular Telescope
weiterer garantierter Zugang zu einem Großteleskop erreicht.
5.2.1 Das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte
Im Jahre 1990 erfolgte eine Ausschreibung für die Instrumente der ersten Generation am
VLT: hochauflösende Kameras und Spektrometer für das Sichtbare und den Bereich des
nahen Infraroten. Hans Elsässer, der sich gerade gegen ein nationales Großteleskop ausgesprochen hatte, konnte jetzt zeigen, dass seine Planungen über den Calar Alto hinausreichten. Er ermunterte Rainer Lenzen, einen Vorschlag des MPIA für das seiner Meinung
nach zukunftsträchtige Instrument für das nahe Infrarot auszuarbeiten. Neben Lenzens
Vorschlag für „CONICA“ (Coudé Near Infrared Camera) ging auch ein Vorschlag eines
französischen Konsortiums für ein solches Instrument bei der ESO ein. Die ESO entschied sich schließlich für den Heidelberger Entwurf, vermutlich weil er mit Linsensystemen weniger komplex aufgebaut war als der umfängliche Spiegeloptiken enthaltende
der Mitbewerber. Rainer Lenzen wurde Principal Investigator (PI) und erhielt von der
ESO 1.6 Millionen DM für die „Hardware“-Kosten. Der mehrjährige Personaleinsatz
am MPIA zur Entwicklung des Gerätes sollte mit 45 Nächten garantierter Beobachtungszeit am 8 m-Teleskop anerkannt werden.
Der Bau des Instruments dauerte über ein Jahrzehnt, da zahlreiche Schwierigkeiten zu
überwinden waren. Die von den CONICA-Co-Investigatoren am MPI für extraterrestrische Physik begonnene Entwicklung der Infrarotkamera und Auslese-Elektronik
wollte die ESO aus Gründen der Standardisierung schließlich nicht mehr fortführen lassen und statt dessen selbst übernehmen. Das für den Coudé-Fokus mit adaptiver Optik
(zur Korrektur des atmosphärischen „Seeings“) ausgelegte Instrument sollte plötzlich in
den Nasmyth-Fokus des VLT. Dafür musste aber eine neue adaptive Optik entwickelt
werden, die dann von einem französischen Instituts-Konsortium (für ~ 8 Millionen
DM) angeboten wurde: NAOS (Nasmyth Adaptive Optics System). In einer einjährigen
gemeinsamen Integrations- und Testphase in Meudon bei Paris wurden schließlich
CONICA und NAOS zu „NACO“ vereint (Abb. 5.2-2).
210
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Abb. 5.2-2: Heidelberger Wissenschaftler bei der Inbetriebnahme der Infrarotkamera CONICA an
einem der 8 m-Teleskope (YEPUN) des VLT (MPIA).
Im Jahre 2001 konnte NACO am VLT erprobt (am Unit Telescope UT4 = Yepun/Abendstern) und schließlich an die ESO übergeben werden. Damit hatte das MPIA seine
Fähigkeit zum Bau modernster Instrumente für ein internationales Großobservatorium
gezeigt. An dieser Entwicklung waren die Institutswerkstätten für Feinmechanik und
Elektronik, die Rechner-Gruppe und vor allem der damalige Doktorand Markus Hartung
(Optik, Erprobung) beteiligt. Zu den frühen spektakulären Beobachtungen zählen die
Auflösung des jungen Sterns T Tauri in ein Dreifachsystem und der Nachweis des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße durch Reinhard Genzels Gruppe vom MPI für
extraterrestrische Physik (Abb. 5.2-3).
Bemerkenswert ist, dass auch für ein weiteres Gerät der ersten Generation von VLTInstrumenten der Zuschlag an ein von Heidelberg aus geführtes Wissenschaftler-Kon-
211
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Abb. 5.2-3: Die Umgebung des Zentrums
unserer Milchstraße.
Das hochaufgelöste
Bild im nahen Infraroten entstand mit
dem CONICAInstrument und dem
Adaptiven OptikSystem NAOS. Im
galaktischen Zentrum
(Pfeile) befindet sich
ein materieverschlingendes Loch (Rainer
Lenzen).
8“ [1 Lichtjahr]
sortium ging. Die optischen Kameras/Spektrometer FORS 1 und FORS 2 kamen zur
Landessternwarte mit Immo Appenzeller als Principal Investigator. Sie sind genau wie
NACO Botschafter vom Königstuhl, alle diese Geräte sind bei der ESO und ihren Gastbeobachtern hoch geschätzt und stark nachgefragt.
Das zweite große Instrumentierungs-Vorhaben für das VLT, mit dem MPIA in der führenden Rolle, ist MIDI, ein Interferometer für das mittlere Infrarot. Seine Wurzeln
reichen bis in die frühen 1980er Jahre zurück, als Mel Dyck von der Universität Hawaii
als Gastwissenschaftler am Institut arbeitete. Er brachte die Technik der „Speckle-Interferometrie“ nach Heidelberg. Gemeinsam mit Christoph Leinert gelangen damit viele
hoch aufgelöste Abbildungen junger Mehrfachsternsysteme. Begeistert von den neuen
Möglichkeiten begannen daraufhin Christoph Leinert und Ralf-Rainer Rohloff mit Glasfasern zu experimentieren, um durch Zusammenschalten mehrerer Fernrohre am Calar
Alto zu einem „Interferometer“ noch besser aufgelöste Bilder zu erzielen. In diese Zeit
fallen die Bemühungen der ESO, die vier VLT-Fernrohre zu einem großen Interferometer
212
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Abb. 5.2-4: Mit dem MIDI-Instrument werden zwei der 8 m-Teleskope des VLT zu einem hochauflösenden Interferometer zusammengeschaltet. Die strahlvereinigende Optik und die Infrarotdetektoren
sind tiefgekühlt im quaderförmigen Kryostaten angeordnet. Davor die warme Optik (Christoph
Leinert).
zu verbinden: als Very Large Telescope Interferometer (VLTI). Christoph Leinert wurde
Mitglied einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für das VLTI, Steven Beckwith gehörte
dem Strategie-Komitee für das geplante große Interferometer an. Im Jahre 1997 entschloss
213
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sich die ESO dann auf Empfehlung dieser Berater zur Entwicklung von vier interferometrischen Instrumenten, drei für das nahe und eines für das mittlere Infrarot. Um letzteres bemühte sich das MPIA mit Erfolg: Leinert wurde zum Principal Investigator des
MIDI-Instruments am VLTI. Die Vorbereitungen für ein Calar-Alto-Interferometer
wurden daraufhin eingestellt, denn bei ESO standen wesentlich größere Teleskope und
zusätzliche personelle Unterstützung zur Verfügung.
Ab Mai 1997 begann die Entwicklung des anspruchsvollen Gerätes im Heidelberger
Institut mit Uwe Graser als Projektmanager. Co-Investigatoren aus den Niederlanden
und Frankreich trugen zur Entwicklung der optisch-mechanischen Teile und mit Rechnerprogrammen zur Datenauswertung bei. Da im mittleren Infrarot die gewöhnliche
Laborumgebung eine starke Untergrund-Wärmestrahlung aussendet, musste MIDI in
wichtigen Teilen gekühlt aufgebaut werden (Abb. 5.2-4). Die Kühlung sollte auf dem
entfernt gelegenen Paranal-Observatorium eine Kältemaschine besorgen. Deren Vibrationen zu dämpfen war einer der ersten und schwierigsten Entwicklungsschritte. Ende
des Jahres 2002 erfolgte der Aufbau von MIDI am VLTI, und noch im Dezember
wurden die ersten interferometrischen „Streifen“ gesehen. Aus diesen können bestimmte
Abmessungen der kosmischen Untersuchungsobjekte abgeleitet werden. Zu den ersten
Beobachtungen gehörte die 50 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie NGC1068, bei
der ein warmer Staubring um das Schwarze Loch im Kern der Galaxie vermessen wurde.
Damit war Klaus Meisenheimer und seinem niederländischen Kollegen Walter Jaffe die
erste interferometrische Messung an einer extragalaktischen Quelle im mittleren Infrarot
gelungen. Großes Interesse fanden auch die Vermessung und die mineralogische Analyse
der Planeten bildenden Staubscheiben um junge Sterne durch Roy van Bockel und Kollegen.
Ab April 2004 wurde das MIDI-Instrument von der ESO allen Beobachtern angeboten
und seither häufig genutzt. MIDI erreicht ein Auflösungsvermögen von einer hundertstel
Bogensekunde. Es erlaubt noch keine Abbildungen, sondern zunächst die Bemaßung
von Modellvorstellungen zu den Objekten. Der Nachfolger für MIDI, das MATISSEInterferometer, ist bereits in der Entwicklung. Die Hauptverantwortung dafür liegt beim
Observatorium Nizza, das MPIA trägt mit ~ 25 % zur Entwicklung bei. Für MATISSE
werden drei oder vier Teleskope des VLTI zusammengeschaltet. Damit sollen sich ab
2015 höchstaufgelöste echte Bilder warmer kosmischer Quellen im WellenlängenBereich des mittleren Infraroten gewinnen lassen.
Das Institut beteiligt sich seit einigen Jahren in weiteren internationalen Konsortien an
der Entwicklung mehrerer räumlich hochauflösender Instrumente der zweiten Generation für das VLT. Für PRIMA stellt das MPIA die optischen Verzögerungsstrecken (Kat-
214
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zenaugenteleskop) bei. Das Instrument soll Winkelabstände mit MikrobogensekundenGenauigkeit messen und wird zu einem astrometrischen Programm zur Suche nach
Exoplaneten eingesetzt werden (siehe dazu auch Kapitel 3.6.3). SPHERE soll die direkte
Abbildung von Exoplaneten ermöglichen, trotz des Helligkeitsunterschiedes von einem
Faktor 10 Millionen zwischen Stern und eng benachbartem Planeten. Der Beitrag des
MPIA besteht vor allem in den äußerst aufwendigen intelligenten Datenreduktions-Programmen. GRAVITY soll die astrometrische Genauigkeit gegenüber PRIMA nochmals
um das Zehnfache steigern. Dazu wird das Licht aller vier 8 m-Teleskope des VLT zur
Interferenz gebracht. Das MPIA entwickelt hier die wichtigen Infrarot-Wellenfront-Sensoren für die adaptive Optik. Dieses Instrument soll in erster Linie zum Studium des
Schwarzen Loches im Zentrum unserer Milchstraße genutzt werden. Es wird aber auch
die Suche nach Schwarzen Löchern in Sternhaufen und nach Exoplaneten bei Sternen
sehr geringer Masse ermöglichen.
5.2.2 Das Large Binocular Telescope (LBT) in Arizona
Der in der Mitte der 1990er Jahre von der Universität von Arizona in Tucson vorgelegte
Entwurf eines Fernrohres mit zwei 8.4 m-Spiegeln auf einer gemeinsamen Montierung
sollte schnell und kostengünstig zu einem Großteleskop führen. Um die damals auf
knapp 100 Millionen Dollar veranschlagten Entwicklungskosten aufzubringen, musste
Peter Strittmatter vom Steward-Observatorium um ausländische Partner werben. Die
Finanzierung dieses „Large Binocular Telescope“ gelang schließlich durch Beteiligung
weiterer amerikanischer Institute und durch Konsortien von Instituten aus Italien und
Deutschland. Seit 1997 ist das MPIA Mitglied beim LBT, näheres zum Einstieg wurde
in Kapitel 3.1.3 berichtet. Der Beitrag der Universität von Arizona zum LBT besteht vor
allem aus der in ihrem „Mirror Lab“ in Tucson hergestellten Spiegeloptik, dem TeleskopGebäude und der Observatoriums-Infrastruktur (Abb. 5.2-5). Zum italienischen Beitrag
gehören die Montierung und die beiden adaptiven Sekundärspiegel. Aus Deutschland
sollten vor allem wissenschaftliche Instrumente kommen. An zwei großen InstrumentEntwicklungen ist das MPIA seither wesentlich beteiligt: LUCIFER und LINC-NIRVANA.
Das LBT sollte sich mit seinen beiden auf einem Träger montierten Spiegeln gut für
Interferometrie eignen (Abb. 5.2-6). Damit könnten Bilder von Himmelsobjekten mit
einer Auflösung wie von der eines 23 m-Fernrohres (dem äußeren Randabstand der beiden Spiegel) gewonnen werden. Das vielversprechende Interferometrie-Instrument für
215
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Abb. 5.2-5: Transport eines der 8.4 m-Spiegel zum Large Binocular Telescope (LBT) auf dem fast
3000 m hochgelegenen Mt. Graham in Arizona (LBT Observatory).
das nahe Infrarot wollte die Universität von Arizona ursprünglich selbst bauen. Aber die
italienischen und deutschen Institute sahen hier ebenfalls eine einzigartige wissenschaftliche Chance und entwarfen zunächst unabhängig voneinander ähnliche Geräte. Beide
verständigten sich im Jahre 1998 auf einen gemeinsamen Vorschlag für ein Fizeau-Interferometer, in den der Heidelberger LINC-Entwurf eingebracht wurde. Tom Herbst
wurde der verantwortliche Wissenschaftler (PI). Die erwartete Leistungsfähigkeit des
Instruments konnte nach einigen Entwicklungsjahren durch die Hinzunahme einer
zweiten Stufe für die adaptive Optik (AO) bedeutend gesteigert werden. Bei dieser „multikonjugierten AO“ beseitigt der deformierbare Sekundärspiegel des Teleskops die Wirkungen der Luftunruhe in der bodennahen Luftschicht (bis zu einigen 100 m Höhe) und
ein zweiter deformierbarer Spiegel im Instrument die der oberen Atmosphäre (bis zu
~10 km). Ausgedacht hatte sich dieses Verfahren Roberto Ragazzoni von der Universität
Florenz. Das MPIA schlug Ragazzoni im Jahre 2001 für den „Wolfgang-Paul-Preis“ der
216
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Abb. 5.2-6: Beim Large Binocular Telescope (LBT) sind zwei 8.4 m-Spiegel auf einer gemeinsamen
Halterung montiert. Das LINC-NIRVANA-Instrument des MPIA nutzt diese Anordnung für ein
hochauflösendes Interferometer (LBT Observatory).
Alexander-von-Humbold-Stiftung vor. Für seine zahlreichen neuen Ideen (PyramidenWellenfront-Sensor u. a.) erhielt Ragazzoni diese Auszeichnung, verbunden mit 4 Millionen DM Forschungsmitteln. Das großzügige Stiftungsgeld stammte übrigens aus dem
Erlös der UMTS-Lizenzen für die Mobil-Telefone, das die Bundesregierung in ein
Zukunfts-Investitions-Programm eingebracht hatte. Das Preisgeld beschleunigte die
Instrumenten-Entwicklung in Heidelberg: Der Preisträger arbeitete damals viele Monate
am MPIA und konnte bis zu sechs Wissenschafter und Studenten anstellen. Aus dem
LINC-Interferometer wurde 2002 LINC-NIRVANA, ein Interferometer mit multikonjugierter adaptiver Optik für die höchste räumliche Auflösung. Das Instrument ist am
MPIA in großen Teilen fertiggestellt und wird im Labor erprobt (Abb. 5.2-7). Am Teleskop kann es voraussichtlich ab dem Jahre 2013 eingesetzt werden, wenn die adaptiven
Sekundärspiegel aus Italien zur Verfügung stehen werden.
217
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Abb. 5.2-7: Das LINC-NIRVANA-Instrument im Jahre 2009 bei einer Erprobung durch den
verantwortlichen Wissenschaftler Tom Herbst in einer der großen Experimentierhallen des MPIA
(Tom Herbst).
218
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Das zweite Instrument vom Königstuhl, LUCIFER, kommt paarweise mit je einer Einheit für jeden der beiden LBT-Spiegel. Es besteht aus jeweils einer Kamera und einem
Spektrometer für das nahe Infrarot. Das erste Gerät ist bereits seit 2008 am LBT. Dieses
Instrument entstand unter der Leitung der Landessternwarte (PI Holger Mandel) mit
wesentlichen Beiträgen des MPIA: von den Kameras über die Kryomechanik bis zur
Integration. Die Vorrichtungen für die gleichzeitige Spektroskopie vieler Quellen im
Gesichtsfeld („Multi-Objekt-Spektroskopie“) steuerte das MPI für extraterrestrische Physik in Garching bei. Der Beginn des regelmäßigen Beobachtungsbetriebs mit LUCIFER
wurde durch Ausfälle des Teleskops, schlechtes Wetter und instrumentelle Probleme um
ein Jahr auf 2009 verzögert.
Das MPIA unterstützt neben den Instrumenten-Entwicklungen seit Jahren vielfältig die
endgültige Fertigstellung des LBT. Dazu gehören die Programmentwicklung für die
Teleskop-Nachführung, die Koppelung von Instrumenten und Teleskop, VibrationsUntersuchungen und die Lieferung von Seeing-Monitoren. Tom Herbst ist Mitglied
(und periodisch Vorsitzender) des wissenschaftlichen Beratungskommitees. Der jeweils
Geschäftsführende Direktor des MPIA (Thomas Henning oder Hans-Walter Rix) vertritt
das MPIA im LBT-Board of Directors, und Mathias Voss, der Verwaltungsleiter des
MPIA, wirkt im Finanzkomitee mit.
Die erste wissenschaftliche Veröffentlichung vom LBT behandelte die Sternentstehung
in einer fernen Galaxie. Sie stammt von Mitarbeitern des MPIA aus dem Sommer 2007
und basiert auf Aufnahmen mit einer Primärfokus-Kamera aus Italien.
5.2.3 Das Europäische „Extremely Large Telescope“ (E-ELT)
Während im Jahre 2009 weltweit 16 Teleskope mit Durchmessern von 6 bis 10 m in
Betrieb sind, wird bereits seit einigen Jahren an deren Nachfolgern in der Klasse > 25 m
gearbeitet. Wieder haben die Europäer die Nase vorn. Aus dem lange studierten 100 mFernrohr OWL ist inzwischen ein technisch machbares und bezahlbares 42 m-Fernrohr
geworden: das European Extremely Large Telescope (E-ELT). Seine Finanzierung (etwa
1 Milliarde Euro) aus den regelmäßigen Mitgliedsbeiträgen und Sonderbeiträgen der beteiligten 12 Länder scheint langfristig sichergestellt, ein Vorteil gegenüber der amerikanischen Finanzierung, die oft auf Stiftungen und ausländische Partner angewiesen ist.
Da das E-ELT nach gegenwärtiger Planung ab 2018 schrittweise in Betrieb gehen könnte,
wird seit einigen Jahren auch an der ersten Generation wissenschaftlicher FokalebenenInstrumente gearbeitet. Das MPIA beteiligt sich seit 2007 an den Studien für zwei
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Abb. 5.2-8: Das europäische 42 m-Extremly Large Telescope (E-ELT) der ESO. Es soll nach 2018
in den chilenischen Anden in Betrieb gehen. Das MPIA trägt vielfältig zu den Vorbereitungen für
die Instrumentierung bei (ESO).
Geräte. METIS besteht aus einer Kamera und einem hochauflösenden Spektrographen
für das nahe und mittlere Infrarot (in den atmosphärischen Fenstern bei 3, 5 und 10
Mikrometern Wellenlänge). Diese Instrumenten-Entwicklung wird gemeinsam von fünf
europäischen Instituten betrieben, Principal Investigator ist Bernhard Brandl von der
Sternwarte Leiden. Rainer Lenzen vom MPIA ist Instrument Scientist, weiter wirken
Wolfgang Brandner, Thomas Henning und Stefan Hippler mit. Obgleich derzeit zehn
Instrumente parallel studiert werden, können zunächst nur zwei zur Entwicklung für das
„Erste Licht“ des Teleskops ausgewählt werden. Die METIS-Studiengruppe sieht eine
gute Chance für eine frühe Auswahl, da das Instrument im mittleren Infrarot auch ohne
die dann noch nicht voll funktionsfähige adaptive Optik des E-ELT Hervorragendes zu
leisten verspricht. Das zweite Instrument mit Heidelberger Beteiligung ist eine Kamera
mit beugungsbegrenzter Auflösung für das nahe Infrarot. Dieses MICADO-Instrument
wird unter der Führung des MPI für extraterrestrische Physik studiert, am MPIA arbeiten
220
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Hans-Walter Rix und Tom Herbst vor allem an der Erstellung des wissenschaftlichen
Pflichtenheftes mit.
Erfahrene Wissenschaftler des MPIA tragen seit Jahren vielfältig zur Entwicklung dieses
europäischen Teleskop-Giganten bei (Abb. 5.2-8). Tom Herbst leitet für die ESO eine
Arbeitsgruppe für Wissenschaft und Technik, er arbeitet weiterhin in Komitees für die
langfristige wissenschaftliche Planung und die Instrumentierung der ersten Generation
des E-ELT mit. Roland Gredel leitet das Komitee zur Auswahl des Aufstellungsorts für
das E-ELT. Thomas Henning ist seit 2008 Vize-Präsident des ESO Councils, des obersten
Entscheidungsgremiums der Europäischen Südsternwarte, in dem alle strategischen Verfügungen für zukünftige Vorhaben getroffen werden.
5.3
Die Calar-Alto-Sternwarte im Wandel
Leitgedanke für die Gründung des Max-Planck-Instituts für Astronomie in den späten
1960er Jahren war der Aufbau moderner Sternwarten für die deutsche Astronomie im
günstigen Klima des Südens. Das ist mit der Schaffung der Calar-Alto-Sternwarte gelungen. Für die ersten beiden Jahrzehnte waren Aufbau, Ausbau und wissenschaftliche Nutzung das zentrale Thema des Institutes. Der Calar Alto hat einer ganzen Generation von
Astronomen in unserem Lande Zugang zu modernen Beobachtungsmöglichkeiten gegeben und sie zu eigenen Instrumenten-Entwicklungen angeregt. Vielbeachtete wissenschaftliche Erfolge sind mit den dortigen Fernrohren erzielt worden.
Parallel zu dieser Erfolgsgeschichte liefen weltweit Entwicklungen ab, die die Bedeutung
des Calar Altos berühren sollten. Im internationalen Forschungs-Wettbewerb wurden
immer größere Teleskope an den besten Standorten der Erde gebaut. Bereits einige Jahre
vor der Gründung der Calar-Alto-Sternwarte begannen mehrere europäische Länder in
einer großen Gemeinschaftsanstrengung die Europäische Südsternwarte (ESO) zu schaffen. Deutschland war Gründungsmitglied und zahlt den höchsten finanziellen Beitrag
aller Mitgliedsländer. ESO kann mit mehreren 8 m- und künftig einem 42 m-Fernrohr
mit den USA mithalten. Die ESO-Teleskope sind an einem der klimatisch besten Plätze
der Erde in den chilenischen Anden aufgestellt, bei idealer geographischer Breite für den
Zugang zu wichtigen Quellen am Himmel (Zentrum der Milchstraße, nächste Galaxien).
Deutsche Astronomen nutzen die hervorragenden Beobachtungs-Möglichkeiten bei der
ESO und werden dabei von deren zahlreichen qualifizierten Mitarbeitern unterstützt.
Wer mit seinem Beobachtungsantrag Erfolg hat, erhält sogar die Reisekosten nach Chile
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von der ESO, oder die Beobachtungen werden im „Service-Mode“ ausgeführt, womit
sich eine Reise erübrigt. Das früher oft angeführte Argument der leichteren Erreichbarkeit
des Calar Alto hat mit der vorhersehbaren starken Ausweitung des weltweiten Luftverkehrs und der schnellen Daten-Verbindungen an Bedeutung verloren. So sank der nachgefragte Anteil an der Beobachtungszeit für Astronomen des MPIA am Calar Alto um das
Jahr 2001 auf ~ 25%, statt der früher üblichen ~ 45%.
Eine weitere Entwicklung begann in den 1980er Jahren mit dem Start von immer leistungsfähigeren Weltraum-Observatorien. Die Kosten für den Bau und Betrieb dieser
Observatorien übernehmen weitgehend die Weltraum-Agenturen, in Europa die ESA.
Die Satelliten-Teleskope liefern ununterbrochen einen gewaltigen Strom hervorragender
Messdaten aus allen Spektralbereichen. Jeder Astronom hat gute Chancen, seine Beobachtungen mit diesen europäischen, amerikanischen oder japanischen Weltraum-Teleskopen
durchzuführen. Alle je gewonnenen Daten stehen nach kurzer Zeit in riesigen Datenarchiven allen Astronomen zur Auswertung zur Verfügung (virtuelles Observatorium).
Es ist deshalb seit den 1990er Jahren nicht mehr unbedingt notwendig, eine eigene große
Sternwarte zu betreiben. Eine solche Einrichtung bindet Mittel und Mitarbeiter. Stattdessen ist die Nutzung der durch ESO und ESA gebotenen Möglichkeiten vielfältiger,
kostengünstiger und führt meist auch schneller zum Erfolg. Ähnlich günstig kann die
Beteiligung an einem bilateralen oder internationalen Projekt sein, das sich für begrenzte
Zeit auf ein ganz bestimmtes Forschungsziel beschränkt, beispielsweise eine Himmelsdurchmusterung. Dabei muss nicht der gesamte Gerätepark eines großen und dauerhaften Observatoriums vorgehalten werden.
Die moderne Wissenschaft ist in den letzten Jahrzehnten zu einer Art „Industrie“ geworden, die sich im globalen Wettbewerb befindet. Man stellt heute nicht mehr alles in der
eigenen „Fabrik“ her, sondern besorgt sich seine Bausteine von den besten und kostengünstigsten „Zulieferern“. Für die Astronomie heißt das seit Längerem, die Daten werden
immer mehr an Teleskopen gewonnen, deren Betrieb und ständige Modernisierung weitgehend aus anderen Quellen finanziert werden. Institute können sich durch die Entwicklung moderner Fokalebenen-Instrumente für diese internationalen Teleskope am
Fortschritt beteiligen. Das MPIA hat sich in solchen Wettbewerben mehrfach Vorsprünge
verschafft.
Der langsame Bedeutungsverlust der Calar-Alto-Sternwarte für das MPIA ist eine unausweichliche Folge dieser Entwicklung. Während der Gründungsdirektor Hans Elsässer
vom Gedanken an die seinerzeit wünschenswerte Schaffung von Eigenständigem geleitet
war, haben sich seine Nachfolger für die uneingeschränkte Nutzung aller weltweit möglichen wissenschaftlichen Kollaborationen entschieden. Die in diesem Kapitel vorange-
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stellten Beteiligungen an internationalen Vorhaben am Boden und für den Weltraum
zeigen beispielhaft diese neuen Wege. Die Calar-Alto-Sternwarte wurde nach dem Auslaufen des ursprünglichen 30-jährigen Vertrages zu gleichen Teilen von Deutschland und
Spanien weiterbetrieben. Der spanische Partner ist dabei seit 2004 das Consejo Superior
de Investigaciones Cientificas. Ein Drittel der deutschen Zeit steht dem MPIA zur Verfügung für Beobachtungen, die meist im „Service-Mode“ ausgeführt werden, der Beobachter muss also nicht mehr selbst zum Fernrohr reisen. In den Jahren 1998 bis 2006 war
Roland Gredel vom MPIA der örtliche Direktor der Sternwarte, seither haben spanische
Wissenschafler dieses Amt inne. Für ausgewählte Programme wird die Sternwarte weiterhin genutzt. So entsteht gegenwärtig im MPIA das neue Instrument PANIC, eine
Panorama-Kamera für das nahe Infrarot zum Einsatz am 2.2 m-Teleskop. Die Landessternwarte plant mit Beteiligung des MPIA und spanischer Institute das höchstauflösende
Spektrometer CARMENES zu bauen. Es soll das Entdecken von Exoplaneten bei massearmen Sternen ermöglichen.
Im Kapitel 7 äußern sich die beiden Direktoren des MPIA ausführlich zu ihren langfristigen Zukunftsvorstellungen für das Calar-Alto-Observatorium und zu Beteiligungen
an mehreren internationalen Projekten zur Gewinnung neuer astrophysikalischer Daten.
223
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6
Verbindungen zu Universität und Öffentlichkeit
6.1
Studenten und Lehre
Die Max-Planck-Institute befinden sich fast ausnahmslos in Universitätsstädten oder in
deren Nähe. Nur dort können sie ausreichend viele Studenten für Diplom- und Doktorarbeiten gewinnen. Das ist für die Institute lebenswichtig, da ein großer Teil der Forschung vor allem durch Doktoranden geleistet wird. Das Zusammenwirken von Universitätsinstituten und Max-Planck-Instituten an einem Standort hat für beide Seiten
Vorteile. Es entsteht die „kritische Masse“ von Forschern, die wissenschaftliches Zusammenarbeiten zwischen den Instituten ermöglicht, die zu anregendem Ideenaustausch bei
gemeinsamen Seminaren und Kolloquien führt, und die auswärtige Wissenschaftler zu
Gastaufenthalten in diese lebendige Atmosphäre führt.
Für das Max-Planck-Institut für Astronomie ist ein idealer Standort gewählt worden: in
einer schönen und weltweit bekannten Stadt, mit der ältesten Universität auf deutschem
Boden. Die physikalischen Institute hier gehörten stets zu den leistungsfähigsten in Deutschland. Die Astronomie war zur Gründungszeit des MPIA bereits durch die Landessternwarte, das Astronomische Recheninstitut, das Institut für Theoretische Astrophysik und
eine Abteilung des MPI für Kernphysik vertreten.
Der Gründungsdirektor Hans Elsässer hat von Anfang an großen Wert auf die Pflege
guter Beziehungen zur Fakultät für Physik und Astronomie der Universität gelegt. Dazu
gehörte auch die Beteiligung an den Lehrveranstaltungen. Anfangs, als ordentlicher Professor für Astronomie und im Hauptamt noch Direktor der Landessternwarte, hielt er
regelmäßig Kursvorlesungen. Beim Arbeitsbeginn des MPIA, im Wintersemester
1968/69, trug er über „Extragalaktische Systeme und Kosmologie“ vor. Mit zunehmender
Belastung durch den Aufbau des Instituts und der Calar-Alto-Sternwarte beschränkte
er sich auf die Beteiligung an Oberseminaren zu aktuellen Problemen der Astrophysik.
Die letzten Vorlesungen hielt er im Sommer 1972 zu „Teleskopen und Beobachtungsverfahren“ allein, und im Winter 1975/1976 zur „Interstellaren Materie“ gemeinsam mit
Helmut Scheffler. Mit ihm verfasste er die damals weitverbreiteten Lehrbücher „Physik
der Sterne und der Sonne“ und „Bau und Physik der Galaxis“. Im Jahre 1975 schied
Elsässer als ordentlicher Professor an der Universität aus und wurde von der Fakultät für
Physik und Astronomie zum persönlichen Ordinarius ernannt.
224
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Inzwischen war im MPIA bei mehreren Nachwuchswissenschaftlern der Wunsch entstanden, die Lehrbefugnis der Universität zu erwerben und Privatdozent zu werden.
Elsässer förderte dieses Bemühen, allerdings dosiert („ keine Inflation“). 1976 habilitierte
sich Dietrich Lemke, es folgte 1978 Christoph Leinert. Beide boten anfangs Vorlesungen
zu ihren Arbeitsgebieten „Infrarot-Astronomie“ bzw. „Physik des Planetensystems“ an.
1979 wurde Guido Münch zum Honorar-Professor ernannt, er hielt aber keine Vorlesungen. Es folgten die Habilitationen und Anfangsvorlesungen von Josef Solf im Jahre
1983 („Teleskope und Spektrographen“), Josef Fried 1986 („Galaxien“), Reinhard Mundt
1987 („Sternentstehung und junge stellare Objekte“) und Helmut Kühr 1987, der bald
darauf das Institut verließ und seine Laufbahn im Internationalen Büro des Bundesministeriums für Bildung und Forschung fortsetzte. Steven Beckwith bot als Honorarprofessor im Wintersemester 1992/93 eine Vorlesung zu „Abbildung und Bildanalyse“
an.
Bis zum 25-jährigen Jubiläum des Instituts im Jahre 1994 erfolgten noch zwei weitere
Habilitationen mit neuen Vorlesungsangeboten: Klaus Meisenheimer 1990 („Himmelsdurchmusterung – eine Methode zur kosmologischen Standortbestimmung“) und Herrmann-Josef Röser 1992 („Galaxienhaufen“). Die neuen Privatdozenten des MPIA beteiligten sich nach Kräften mit Spezial- und Kursvorlesungen am Vorlesungsbetrieb der
Fakultät. Selbst die am besten besuchte „Einführung in die Astronomie und Astrophysik
I und II“, mit 50 bis 70 Studenten wurde ihnen für viele Semester anvertraut. Neben den
Vorlesungen waren die Dozenten des MPIA stets in Seminaren Mitveranstalter und
betreuten die Vorträge zahlreicher Studenten. Bei Seminaren kamen Wissenschaftler des
MPIA mit denen der Universität und des MPI für Kernphysik in regen Austausch. Themen
wie interplanetare und interstellare Materie, Sternentstehung oder Kosmologie werden
in mehreren Instituten mit unterschiedlichen Ansätzen und Methoden behandelt und
wurden oft zum Leitthema eines Seminares.
Diese nachdrückliche Beteiligung an der Lehre wurde jeweils nach mehrjähriger Tätigkeit
durch die Universität mit der Ernennung der Privatdozenten zu außerplanmäßigen Professoren anerkannt. Weitere Habilitationen erfolgten nach dem Generationswechsel in
der Institutsleitung. Andreas Glindemann begann seine Vorlesungen 1998 („Hochauflösende Abbildungsmethoden in der Astronomie“), wechselte aber bald als Wissenschaftler für Adaptive Optik und Interferometrie zur ESO. Andreas Burkert, der Leiter der
ersten Theorie-Gruppe am MPIA, erhielt 1995 die Lehrbefugnis von der Universität
Heidelberg („Strukturbildung und Galaxienentwicklung im jungen Universum“), wurde
aber schon 2003 als Professor an die Universität München berufen. Martin Haas 2001
(„Fern-Infrarot-Astronomie“) wechselte zur Universität Bochum, Manfred Stickel 2004
225
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(„Astrophysikalische Datenanalyse“) ging in die Luftfahrtindustrie, Sebastian Wolf 2006
(„Protoplanetare Scheiben“) wurde Professor an der Universität Kiel. Seit der Gründung
der „Selbstständigen Arbeitsgruppen“ am Institut (Kapitel 3.8), konnten auch deren Leiter zum Lehrbetrieb der Universität beitragen, zunächst ohne Habilitation. So wurden
beispielsweise Vorlesungen gehalten von Coryn Bailer-Jones („Maschinelles Lernen,
Mustererkennung und statistische Datenmodellierung“), Henrik Beuther („Ausflüsse
und Jets“), Cornelis Dullemond („Hydrodynamics“) und Eric Bell („Galaxies“).
Die beiden gegenwärtigen Direktoren des MPIA, Thomas Henning und Hans-Walter
Rix, die bereits Professuren an anderen Universitäten innehatten, wurden in Heidelberg
zu Honorar-Professoren ( „honor“ = Ehre) ernannt. Sie sind damit eng mit der Universität
verbunden und beteiligen sich am Lehrbetrieb mit Vorlesungen („Protostellare Scheiben“
bzw. „Observing the Big Bang and its Aftermath“), Seminaren („Astromineralogie“ bzw.
„Gravitationslinsen”) und der Betreuung von Doktorarbeiten. Ihrer Forschungsarbeit
gehen beide aber außerhalb der Universität nach.
Studenten der Universität, die ihre Diplom- oder Doktorarbeiten am MPIA durchführten, werden von den hier tätigen Professoren und Privatdozenten intensiv betreut und
auf ihre Abschlussprüfungen vorbereitet. Die Themen der Arbeiten sind stets aktuelle
Anteile an größeren Forschungsvorhaben des Instituts. Die Zeitdauer für eine Diplomarbeit betrug in den Anfangsjahren des Instituts bis zu zwei Jahren, sie wurde in den letzten Jahrzehnten auf ein Jahr verkürzt. Doktorarbeiten dauern in der Regel drei Jahre. In
den 40 Jahren des Bestehens (1969 – 2008) wurden am MPIA 133 Doktorarbeiten vollendet und 95 Diplomarbeiten verfasst. Dabei ist die Hälfte aller Arbeiten nach dem
Generationswechsel in der Institutsleitung, also in den letzten zehn Jahren, entstanden.
Von anfangs je zwei bis drei Arbeiten pro Jahr, wurden in den Jahren 2007 und 2008
jeweils elf Doktorabschlüsse und sieben Physik-Diplom-Abschlüsse erreicht. In den
Examensprüfungen sind außer den betreuenden Professoren und Dozenten des MPIA
stets auch hauptamtliche Universitätsprofessoren vertreten. Denn die Diplome und Doktorgrade vergibt die Universität. Die Max-Planck-Institute streben im Interesse einer
harmonischen Zusammenarbeit mit den Universitäten kein eigenes Promotionsrecht an.
Heidelberg wird oft als Musterbeispiel für ausgezeichnete Beziehungen zwischen MaxPlanck-Instituten und Universitäts-Instituten genannt. Beide gewinnen dabei.
226
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:17 Seite 227
6.2
Internationale Max-Planck-Forschungsschule für Astronomie und
Kosmische Physik an der Universität Heidelberg
Ein weiterer Schritt in Richtung Internationalisierung der Forschung wurde im Jahre
2004 mit der Gründung der „International Max Planck Research School for Astronomy
and Cosmic Physics at the University of Heidelberg“ (IMPRS-HD) vollzogen. Diese
Einrichtung strebt an, besonders begabten Studenten eine hervorragende Ausbildung
mit dem Ziel der Promotion zu ermöglichen. Das MPIA ist gemeinsam mit den anderen
vier in Heidelberg in der Astrophysik tätigen Instituten (MPI für Kernphysik, Landessternwarte, Astronomisches Recheninstitut und Theoretische Astrophysik) Träger dieser
IMPRS.
Die Studenten werden jährlich einmal aus einer steigenden Zahl von Bewerbern ausgewählt. Im Jahre 2009 beispielsweise gab es 133 Bewerbungen, von denen die Hälfte nach
den eingereichten Zeugnissen als gut bis sehr gut eingeschätzt wurde. Angenommen werden in Heidelberg aber jährlich nur etwa 22 Studenten, an das MPIA kommen in jedem
Jahrgang etwa die Hälfte davon. Der Anteil der ausländischen Studenten soll mindestens
50 % betragen. Tatsächlich liegt er inzwischen bei 70 %, der Anteil der weiblichen
Studenten ist mit ~ 30 % erfreulich hoch.
Für ihre Doktorarbeit werden die Studenten in laufende Forschungsaufgaben des MPIA
eingebunden und intensiv betreut. Zusätzlich haben sie eine Reihe von Pflicht- und
Ergänzungsvorlesungen zu besuchen und an mehreren Seminaren teilzunehmen. Diese
dreijährige Ausbildung ist etwas „verschulter“ als das normale selbstorganisierte Studium
an einer deutschen Universität. Alle Lehrveranstaltungen werden in englischer Sprache
durchgeführt, und auch die Doktorarbeit wird in Englisch geschrieben. Die Promotionsurkunde stellt die Universität Heidelberg aus, zusätzlich bestätigt die IMPRS mit einem
persönlichen Zertifikat den „internationalen“ Ausbildungsweg (Abb. 6.2-1). Ein langfristiges Ziel der Max-Planck-Gesellschaft ist es, die ausländischen Nachwuchswissenschaftler für eine spätere Zusammenarbeit mit deutschen Forschungseinrichtungen zu gewinnen. Im Laufe der Jahre werden so länderübergreifende wissenschaftliche Netzwerke
entstehen, die immer wieder neue Studenten, Wissenschaftler und Ideen nach Heidelberg
bringen. Umgekehrt werden die „Ehemaligen“ künftig Forschern und Studenten aus
Heidelberg Aufenthalte an interessanten Instituten im Ausland anbieten können.
Die Teilhabe an der IMPRS ist nicht nur für die ausgewählten Studenten ein Glücksfall.
Auch die Forschungsgruppenleiter des MPIA müssen jetzt öfter Labor und Schreibtisch
verlassen und im Wettbewerb mit den Kollegen der beteiligten Universitätsinstitute gute
227
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Abb. 6.2-1: Zusätzlich
zur Promotionsurkunde der Universität
Heidelberg erhalten
die IMPRS-Studenten
ein Zertifikat, dass
ihre erfolgreiche Teilnahme am Ausbildungs-Programm der
International Max
Planck Research
School bestätigt. Auf
der Rückseite der Urkunde sind sämtliche
besuchten Seminare,
Vorlesungen, Konferenzen und die Teilnahme am Lehrbetrieb
aufgeführt (Christian
Fendt).
Vorlesungen und Seminare anbieten. Verantwortlich für die IMPRS ist für die Seite der
Max-Planck-Institute Hans-Walter Rix, der zusammen mit Reinhard Mundt ab 2003
die Einrichtung vorbereitet hat. Koordinator am MPIA ist Christian Fendt.
228
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Alle IMPRS-Doktoranden erhalten ein Stipendium (üblicherweise die Hälfte eines Postdoc-Gehalts). Die Mittel stellen die Institute aus dem Haushalt oder Drittmitteln für
Forschungsprojekte zu Verfügung, dazu kommen weitere IMPRS-Stipendien und Reisegelder der Generalverwaltung. Trotz der Erfolgsgeschichte der IMPRS gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten. Die Bewerberzahlen aus den angelsächsischen Ländern und
aus China sind unterdurchschnittlich, da dort das Ausbildungssystem von unserem
abweicht. Dort folgt dem „Bachelor“ der „Doktor“. Hierzulande geht es über den
„Master“ (bisher Diplom). Und manche europäischen Länder zahlen deutlich höhere
Doktoranden-Stipendien – das reizt einige Studenten aus osteuropäischen Ländern, die
eigentlich die USA bevorzugen würden. Die anfänglichen Befürchtungen, dass die „normalen“ einheimischen Studenten gegenüber ihren IMPRS-Kollegen nur zweitklassig
werden, haben sich nicht bestätigt. Die ausländischen Studenten kommen oft aus Ausbildungssystemen, in denen weniger selbstständig gearbeitet wird, als das bei unseren
Diplomarbeiten eingeübt wird. Und sie haben gelegentlich Mühe, sich in einem der hiesigen mündlichen Prüfungsgespräche zu behaupten. Diese Nachteile sucht die IMPRS
in Heidelberg durch das Einüben von „Softskills“ zu mildern. Deshalb werden Kurse zu
Vortragstechniken, Bewerbungen, wissenschaftlichem Schreiben usw. angeboten. Damit
finden auch die deutschen Studenten die Angebote der IMPRS zunehmend interessanter
für eine mögliche internationale Karriere; sie bewerben sich immer öfter für eine Teilnahme an diesem Programm. Im Sommer 2009 hat ein internationales Evaluierungskomitee die ersten fünf Jahre Arbeit der Heidelberger IMPRS sehr positiv beurteilt.
Damit gibt es gute Aussichten auf eine sechsjährige Fortsetzung des erfolgreich begonnenen Programms.
6.3
Berufliche Aufstiege von Wissenschaftlern des Instituts
Das Institut bietet seinen Wissenschaftlern vielfältige Möglichkeiten, durch erstklassige
Forschungsarbeit auf sich aufmerksam zu machen und den eigenen beruflichen Aufstieg
zu fördern. Die jüngsten wissenschaftlichen Mitarbeiter sind Studenten der Universität
Heidelberg, die ihre Physik-Diplomarbeit oder Doktorarbeit am MPIA durchführen. Sie
können in der Atmosphäre eines international ausgerichteten Forschungsinstituts
moderne Themen bei guter Betreuung bearbeiten. Postdocs, das sind junge Wissenschaftler in ihrer ersten oder zweiten Anstellung nach der Promotion, und Gastwissenschaftler aus dem Ausland, nutzen das Institut als „Durchlauferhitzer“ für ihre Karriere.
229
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Hier haben sie die Möglichkeit, im Kreise fachkundiger Kollegen aus vielen Ländern an
aktuellen Fragestellungen der Astrophysik zu arbeiten. Dazu gehört auch die Entwicklung
modernster Instrumentierung und der gute Zugang zu astronomischen Beobachtungsmöglichkeiten. Diese Gastaufenthalte sind meist auf wenige Jahre beschränkt und oft aus
Drittmitteln für Forschungs- oder Instrumentierungsvorhaben finanziert. Und schließlich
gibt es Aufstiege im MPIA selbst, zum Leiter von Arbeitsgruppen, zum führenden Wissenschafter (Principal Investigator, PI) für große internationale Forschungsvorhaben oder
zum Leiter von Außenstellen des Instituts oder Beteiligungen an Observatorien.
Offiziell werden die Karrieren der „Ehemaligen“ nicht verfolgt. Viele von ihnen halten
aber Kontakt zu den früheren Kollegen auf dem Königstuhl, so dass eine größere Zahl
von Laufbahnen bekannt ist. Zahlreiche Absolventen sind in die Industrie gegangen und
leiten heute Abteilungen oder große Projekte. Weitere haben verantwortungsvolle Aufgaben bei nationalen oder internationalen Forschungsorganisationen (DLR, ESA, ESO)
übernommen. Andere leiten Planetarien und einer unserer Studenten, Gerhard Thiele,
wurde Astronaut und flog für die ESA in den Weltraum. Am einfachsten zu beobachten
sind die Aufstiege auf der klassischen wissenschaftlichen Laufbahn zu Professoren an
Universitäten im In- und Ausland. Auch wenn die entsprechende Tabelle 6.3-1 möglicherweise nicht vollständig ist, gibt sie doch einen Eindruck von der Wertschätzung der
Forschung und der Forscher am MPIA, insbesondere aus dem letzten Jahrzehnt.
Die Zahl der Karrieren innerhalb des Instituts ist wesentlich kleiner, da nur wenige unbefristete beamtenähnliche Stellen (C3, neuerdings W2) zur Verfügung stehen. Die sind
nach Vergabe an jüngere Wissenschaftler meist lange besetzt. Für diese herausgehobenen
Stellen, die mit der Leitung einer größeren Arbeitsgruppe und/oder aufwendigen lang
dauernden Instrumentierungsvorhaben verknüpft sind, muss ein Begutachtungsverfahren mit auswärtigen Experten durchlaufen werden. Die ersten dieser „C3“-Stellen wurden
in den 1970er bis 1990er Jahren besetzt mit Josef Solf, Dietrich Lemke, Reinhard Mundt
und Klaus Meisenheimer.
Hans-Walter Rix, seit 1999 Direktor am MPIA, wurde 2005 auf die Plumian Professur
der Universität Cambridge berufen, die bereits weltberühmte Astrophysiker (Arthur
Eddington, Fred Hoyle, Martin Rees) innehatten. Glücklicherweise hat sich Hans-Walter
Rix für die hervorragenden Forschungsmöglichkeiten am MPIA entschieden und die
Berufung nach England nicht angenommen. In der Folge wurde ihm zu seiner weitgehenden Freistellung vom organisatorischen „Tagesgeschäft“ eines Geschäftsführenden
Direktors die Stelle für einen „Wissenschaftlichen Koordinator“ am Institut eingerichtet,
die seither Klaus Jäger voll auslastet.
230
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Tabelle 6.3-1: Berufliche Aufstiege ehemaliger Wissenschaftler des MPIA an anderen Forschungsinstituten
Name und Tätigkeit am MPIA, Jahr des Abganges
Gehren, Thomas; Astronom
1982
Hodapp, Klaus; Diplomand, Doktorand
1986
Krabbe, Alfred; Diplomand, Doktorand
1987
Blum, Jürgen; Diplomand
1987
Eiroa, Carlos; Doktorand
1993
Solf, Josef; Astronom
1994
Sanchez Lavega, Agustin, Nachtassistent Calar Alto
1995
McCaughrean, Mark; Astronom
1996
Abraham, Peter; Astronom
(ISOPHOT Datenzentrum)
1996
Beckwith, Steven; Direktor
1998
Klessen, Ralph; Doktorand
1998
Chini, Ralf; Doktorand
1999
Grebel, Eva; Astronom
2002
Kley, Willy; Astronom
2002
Dehnen, Walter; Astronom
2002
Burkert, Andreas; Astronom
2003
Wolf, Sebastian; Astronom
(Nachwuchsgruppe) 2007
Bell, Eric; Astronom
(Nachwuchsgruppe) 2009
van den Bosch, Frank; Astronom
(Nachwuchsgruppe) 2009
Neue Aufgabe
Professor, Universität München
Professor, Co-Direktor, Institut für
Astronomie, Universität Hawaii, USA
Professor, Universität Stuttgart, Leiter
SOFIA-Institut
Professor, Universität Braunschweig
Professor, Autonome Universität
Madrid, Spanien
Professor, Universität Jena, Direktor
Tautenburg Observatorium
Professor, Universität Bilbao, Spanien
Professor, Universität Cardiff, Großbritannien;
Head, Research & Scientific Support Dept.,
ESA-ESTEC
Direktor Konkoly Observatorium
Budapest, Ungarn
Professor, John Hopkins Universität,
Direktor Space Telescope Science Institute, USA
Professor, Universität Heidelberg
Professor, Direktor Astronomisches
Institut Universität Bochum
Professor, Universität Heidelberg,
Direktor am Zentrum für Astronomie
Professor, Universität Tübingen
Professor, Universität Leicester,
Großbritannien
Professor, Universität München
Professor, Universität Kiel
Professor, Universität Michigan, USA
Professor, Yale Universität, USA
231
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:17 Seite 232
6.4
Öffentlichkeitsarbeit
Die Astronomie hat es, verglichen mit anderen Wissenschaften, leichter, eine breite
Öffentlichkeit zu erreichen. Für ihre Fragen interessieren sich die Menschen: Wo kommen wir her? Sind wir allein im Universum? Was ist der Urknall, was war davor? Was ist
die Natur der Dunklen Materie? An den Antworten auf diese fundamentalen Fragen
arbeiten die Wissenschaftler des MPIA. Mit jeder neuen Erkenntnis werden wieder neue
Fragen aufgeworfen. Auf den ersten Blick scheinen wenige unmittelbare praktische
Anwendungen oder wirtschaftlicher Nutzen aus dieser Grundlagenforschung zu entspringen. Der Steuerzahler ermöglicht dennoch die Arbeit der Forschungsinstitute und
trägt teure Teleskop-, Satelliten- und Instrument-Entwicklungen. Er hat deshalb einen
Anspruch auf Unterrichtung über die Arbeit der Astronomen und ihre Entdeckungen im
Universum. Er sollte auch etwas erfahren über die zahlreichen technischen Erfindungen
und Anwendungen, vor allem den wirtschaftlichen Nutzen, der langfristig aus dieser
Grundlagenforschung erwächst. Diese „Bringschuld der Wissenschaft“ (so Altkanzler
Helmut Schmidt) wurde am MPIA stets erfüllt: durch Führungen, Vortragsreihen, Pressemitteilungen, Kurse für Lehrerfortbildung, Tage der Offenen Tür, die Förderung der
Zeitschrift „Sterne und Weltraum“ und im 40-jährigen Jubiläumsjahr die Gründung des
„Hauses der Astronomie“.
6.4.1 Institutsführungen, Pressearbeit, Vortragsreihen
Institutsführungen werden nach Anmeldung ganzjährig durchgeführt. Besucher waren
und sind Schulklassen, Firmen, Privatpersonen. Die Führungen werden von Studenten
im MPIA begleitet und meist mit einem Übersichtsvortrag und Film vor dem Rundgang
eingeleitet. Pro Jahr hat das Institut mehrere hundert Besucher.
Ein Dutzend Pressemitteilungen des MPIA und der MPG mit neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen oder spektakulären Instrument-Entwicklungen werden
jedes Jahr in überregionalen Zeitungen und Zeitschriften aufgegriffen. Die hiesige RheinNeckar-Zeitung berichtete noch viel häufiger über das MPIA und seine Arbeit. Axel
Quetz und Jakob Staude haben diese journalistische Arbeit in Zusammenarbeit mit dem
jeweiligen erfolgreichen Wissenschaftler über Jahrzehnte geleistet, in den letzten Jahren
unterstützt durch Klaus Jäger und Markus Pössel.
Vor fünf Jahren wurde die Vortragsreihe „Astronomie am Sonntagvormittag“ ins Leben
gerufen. In jedem Sommersemester werden dabei über etwa zehn Wochen Vorträge zu
232
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Abb. 6.4-1: Astronomie am SonntagVormittag. Vorträge
im Hörsaal des MPIA
im Jahr des 40. Instituts-Geburtstages,
zugleich dem Internationalen Jahr der
Astronomie 2009
(MPIA).
aktuellen Themen der Forschung am MPIA angeboten (Abb. 6.4-1). Vortragende sind
Wissenschafter des Instituts, öfter auch Wissenschaftler vom Zentrum für Astronomie
der Universität. Jeder dieser Vorträge füllt den Hörsaal des MPIA mit Interessierten, dar-
233
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unter auch jungen Leuten, möglichen Anwärtern für ein naturwissenschaftliches Studium. Neben Vorträgen in Heidelberg werden Wissenschaftler des Instituts sehr häufig
zu allgemeinverständlichen Vorträgen in Planetarien, Volkshochschulen, Amateursternwarten in ganz Deutschland eingeladen. Dort treffen sie ebenfalls viele astronomiebegeisterte Schüler und Lehrer und so kann auch an universitätsfernen Orten für die Naturwissenschaften geworben werden.
Die Calar-Alto-Sternwarte öffnete sich von Anfang an dem Besucherverkehr. Am Eingang wurde ein Informationszentrum mit maßstabsgetreuen Teleskop-Modellen und
einem Vortragssaal für etwa 100 Besucher eingerichtet. Schulklassen aus den südlichen
Provinzen Spaniens kamen regelmäßig, ebenso wie Gruppen aus Volkshochschulen und
Volkssternwarten, darunter auch aus Deutschland und zusätzlich Touristen aller Länder
aus den Urlaubsregionen an der Küste. Auf Anregung von Hans Elsässer erhielt das
Gebäude des 3.5 m-Teleskops einen Besucherturm, der die Besuchergruppen in einen
gläsernen Aussichtsraum direkt neben dem großen Teleskop leitet. Dort gibt es eine hervorragende Übersicht und es werden Störungen der Techniker bei der Tagesarbeit sowie
des thermischen Kuppelklimas vermieden. Ab 1981 kamen jährlich rund 3000 Besucher
zum Calar Alto. Die Sternwarte veranstaltete außerdem jährlich in Almeria eine „Astronomische Woche“ mit Vortragsreihen, die stets gut besucht waren.
6.4.2 Tage der Offenen Tür
Höhepunkte der Öffentlichkeitsarbeit waren die Tage der Offenen Tür, die das MPIA in
den 40 Jahren seines Bestehens fünfmal veranstaltet hat. Dabei hatten jedesmal alle Mitarbeiter des Instituts an tagelangen Vorbereitungen mitgewirkt, um Tausenden von Besuchern aus Heidelberg und Umgebung die Forschungsarbeit anschaulich nahezubringen.
Die Wissenschaftler und Studenten hatten ihre Instrumente aufgebaut und erklärten
Ergebnisse ihrer astronomischen Beobachtungen. Dazu gab es anschauliche Experimente,
beispielsweise zur Kühlung der Instrumente mit flüssigem Stickstoff und Helium, zur
Vakuumphysik, zur spektralen Zerlegung des Sonnenlichts. Die Werkstätten zeigten ihre
Leistungsfähigkeit beim Bau von Präzisionsgeräten, frästen an diesem Tag aber auch
„MPIA-Schlüsselanhänger“ für die jungen Gäste. Ein aufwendiges Rahmenprogramm
war stets vorbereitet: Speisen und Getränke, Kinderbetreuung, Bücherverkauf, Blick
durchs Fernrohr, Erste Hilfe. Die Tage der Offenen Tür waren stets auf einen Sonntag
gelegt, der Königstuhl wurde zu einem begehrten Ausflugsziel, und die meisten Besucher
blieben stundenlang.
234
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Der erste Tag der Offenen Tür fand am 15. Juli 1979 statt. Hier wurde das neugeschaffene
Institut erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und entsprechend groß war der Andrang.
Mitarbeiter am Eingang zählten die Besucher: es kamen 11 500 (Abb. 6.4-2). Schwerpunkte der Ausstellungen waren erste Ergebnisse von der Calar-Alto-Sternwarte, deren
Teleskope als Modelle gezeigt wurden, und die im Bau befindlichen Beobachtungsinstrumente (Spektrometer, Kameras) für die großen Teleskope (Abb. 6.4-3). Besonderer
Andrang herrschte in den Experimentierhallen, dort wurden das Original-Ballonteleskop
THISBE und die Sonnensonde HELIOS als 1:1 Modell fachkundig erklärt. Für die Mitarbeiter des MPIA war das ein langer und anstrengender Tag, aber auch ein sehr glücklicher.
Eine breite Öffentlichkeit interessierte sich für die Astronomie, unsere Forschung und
unser Institut. Und wir erlebten eindringlich den Vorzug, hier arbeiten zu dürfen.
Der zweite Tag der Offenen Tür wurde am 06. Juli 1986 veranstaltet, diesmal gemeinsam
mit der benachbarten Landessternwarte. Die 600-Jahr-Feier der Heidelberger Universität
Abb. 6.4-2: Am ersten Tag der Offenen Tür im Jahre 1979 warteten an einem kühlen Morgen bereits hunderte Interessierte vor dem Tor auf den Einlass. Am Ende des Tages waren 11 500 Besucher
gekommen (Lemke).
235
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Abb. 6.4-3: Josef Solf (links) erläutert am Tag der Offenen Tür 1979 auf dem Königstuhl den Besuchern die ersten Beobachtungsdaten von der gerade eingeweihten Calar-Alto-Sternwarte. Vorn ein
Photoplatten-Betrachtungsgerät, im Hintergrund die Aufzeichnung eines Sternspektrums (MPIA).
war der Anlaß. Erstmals war das Astrolabor des MPIA einbezogen, in der Westkuppel
wurden Sonnenbeobachtungen angeboten, in der Ostkuppel das neue 70 cm-Teleskop
vorgeführt. Es konnte das gut ausgerüstete zentrale Photolabor besichtigt werden. Vorgestellt wurden aber auch schon die ersten digitalen Bildsysteme (CCDs), die bald die
Phototechnik verdrängen sollten. Filme über den Calar Alto wurden gezeigt und Bilder
schöner Himmelsobjekte (Komet Halley) zum Mitnehmen verteilt. Damals kamen 5800
Besucher, weniger als beim ersten Mal, denn es gab eine große Zahl von konkurrierenden
Tagen der Offenen Tür in allen Einrichtungen der Universität anlässlich ihres Jubiläumsjahres.
Zum dritten Mal wurde der Tag der Offenen Tür am 12. Oktober 1997 veranstaltet.
Diesmal wurden zusätzlich zur Calar-Alto-Sternwarte die Beteiligungen des MPIA an
neuen Großteleskopen der 8-Meter-Klasse vorgestellt: am Large Binocular Telescope
236
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(LBT) and am Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte. Für letzteres
war die Infrarotkamera CONICA im Bau und die fast vollendeten Original-Geräte wurden ausgestellt. Inzwischen war das europäische Infrarot-Weltraum-Observatorium ISO
gestartet und das in Heidelberg entwickelte Instrument ISOPHOT war als originalgleiches Reserve-Fluginstrument zu sehen. Im Optiklabor wurde ein Laser-Interferometer
vorgeführt, zur Veranschaulichung der hochauflösenden Instrumente, die für die beiden
Großteleskope in den USA und in Chile vorbereitet wurden. Die Theorie-Gruppe zeigte
die Simulation astrophysikalischer Prozesse: die Entstehung großräumiger Strukturen
im jungen Universum und den Kannibalismus der Galaxien. Diesmal wurde der Besucherrekord erzielt: Es kamen 12500 Menschen! Viele weitere Interessenten haben es
nicht geschafft, da alle Zufahrtsstraßen zum Königstuhl zugeparkt und verstopft waren.
Diese unerwartet hohe Zahl von Gästen war mehr, als wir problemlos führen konnten.
Überall bildeten sich Schlangen, die Menschen warteten geduldig und waren beeindruckt
vom Gesehenen.
Dieser dritte Tag der Offenen Tür 1997 ist einigen Mitarbeitern durch ein unerwartetes
Ereignis wenige Wochen später in Erinnerung geblieben. Auf dem asphaltierten Vorplatz
des Hauptgebäudes waren mit großen hellblauen Kreisen die beiden 8.4 m- Spiegel des
Large Binocular Telescope (LBT) aufgezeichnet worden. Sie sollten den Besuchern den
gewaltigen Zuwachs an lichtsammelnder Fläche gegenüber den ebenfalls dargestellten
2- und 3 m-Teleskopen vom Calar Alto veranschaulichen. Diese großen Kreise wurden
von einem Hubschrauberpiloten am 22. November offenbar als Landemarkierungen
gedeutet, er zog es wegen der Gebäudenähe aber vor, auf der benachbarten Fußballwiese
zu landen. An diesem ruhigen Samstag waren nur Frank Witzel vom Technischen Dienst
und Martin Haas vom ISOPHOT-Datenzentrum im Institut anwesend. Die Hubschrauberbesatzung erkundigte sich bei den beiden Herbeigeeilten, wo sie denn gelandet seien.
Denn sehen konnten sie nur die kleine Sonneninsel auf der Bergspitze des Königstuhls,
die aus dem Nebelmeer herausragte. Heidelberg und die Rheinebene waren, wie so oft
bei herbstlichen Inversions-Wetterlagen, in dichtem Nebel eingehüllt. Deshalb war der
vorgesehene Landeplatz in Heidelberg nicht erreichbar, wo Bundeskanzler Helmut Kohl
und Kanzlerberater Horst Teltschik warteten. Beide waren auf dem Weg zum CSU-Parteitag in München, bei dem Theo Waigel zum Parteivorsitzenden gewählt werden sollte.
Nur eine halbe Stunde nach der Landung des Kanzler-Hubschraubers auf dem Königstuhl erreichte die von der Polizei und Sicherheitsbeamten begleitete Wagenkolonne das
Instituts-Gelände. Der Bundeskanzler begrüßte die MPIA-Mitarbeiter freundlichst mit
Handschlag und lud die beiden kleinen Söhne von Frank Witzel ein, sich den Hubschrauber mal von innen anzuschauen (Abb. 6.4-4). Der Parteitag („Bayern stark,
237
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Abb. 6.4-4: Im November 1997 landete der Hubschrauber für Bundeskanzler Kohl auf der kleinen
Sonneninsel des MPIA über dem Nebelmeer der Rheinebene. Im Vordergrund Christopher Witzel
(9), der vom Bundeskanzler eingeladen wurde, den Hubschrauber von innen zu besichtigen (Frank
Witzel).
Deutschland vorn“) wurde noch rechtzeitig erreicht und Theo Waigel wiedergewählt.
Frank Witzel musste für den Rückflug am Abend nicht mehr als Fluglotse einspringen:
Horst Teltschik unterrichtete ihn telefonisch, dass man nach Wetterbesserung statt über
den Königstuhl über den Flugplatz Ramstein heimfliegen werde. Bereits einige Monate
später wurden die blauen LBT-Kreise vor dem Hauptgebäude wieder zum Landeplatz für
einen Politiker, als der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel zum
100-jährigen Jubiläum der benachbarten Landessternwarte mit dem Polizeihubschrauber
ins MPIA einschwebte. Nun bestand Hans Elsässer auf der Beseitigung der Spiegelkreise
und der Neuasphaltierung des Platzes.
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Abb. 6.4-5: Am Tag der Offenen Tür 2005 wurde auch ein 6 m hohes Modell der ARIANE 5 gezeigt. Diese Rakete beförderte 2009 das Herschel-Weltraum-Observatorium mit Beiträgen des MPIA
ins Weltall (MPIA).
Zum vierten Tag der Offenen Tür lud das Institut am 25. September 2005 ein (Abb. 6.4-5).
Wieder wurden im Freigelände die beiden 8.4 m-Spiegel des LBT veranschaulicht, dieses
Mal aber asphaltschonend mit blauem Filzteppich. LINC-NIRVANA, ein Infrarot-Interferometer für das LBT, war – soweit bereits fertiggestellt – in der Montagehalle aufgebaut. Es
ist das größte je am MPIA gebaute astronomische Instrument. Dieses Mal wurden auch
ferngesteuerte Beobachtungen am Calar Alto durchgeführt. Per Mausklick auf dem Königstuhl wurde das 225 Tonnen schwere 3.5 m-Teleskop bewegt, überprüfbar mittels der über
Satelliten übertragenen Bilder. Auch für die jüngsten Besucher gab es Experimente zum Selbermachen. Mit einer Wasserrakete konnte ausprobiert werden, mit welcher Füllmenge
„Treibstoff“ die größte Flughöhe (~ 35 m) erreicht werden konnte. Dieses Mal empfing das
MPIA 5000 Besucher (Abb. 6.4-6).
239
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Abb. 6.4-6: Der Abend eines langen Tages: Tausende Besucher mussten informiert, geführt, erfrischt
und gezählt werden. Mitgewirkt haben (von links nach rechts) Doris Anders, Hannelore Heissler,
Ingrid Apfel, Karin Meissner, Susanne Koltes-Al-Zoubi (Lemke).
Zum fünften Mal wurde der Tag der Offenen Tür am 17. Mai 2009 veranstaltet. Anlass
war das „Jahr der Astronomie 2009“. Nur drei Tage vorher hatte die ESA ihr bisher größtes Weltraumobservatorium Herschel gestartet, an dessen Instrumentierung das MPIA
seit Jahren mitgearbeitet hatte. Die großen Modelle des Satelliten und der Startrakete
Ariane 5 fanden reges Interesse, ebenso wie die Filme vom Start in Kourou. Weiterhin
wurden die gegenwärtig vom Institut entwickelten Instrumente für das James Webb
Space Telescope (JWST) gezeigt, den Nachfolger von Hubble. Im Außengelände wurden
die beim letzten Mal noch groß scheinenden 8.4 m-Spiegelteppiche vom 42 m-Hauptspiegel-Kreis des Europäischen Extremely Large Telescope (E-ELT) weit übertroffen. Im
240
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Elektroniklabor konnten die neuesten Techniken für den Bau von komplexen Steuerund Datenerfassungs-Geräten besichtigt werden: von programmierbaren Logikbausteinen über die Fertigung von Platinen mit Ball-Grid-Technik bis zum Aufbau modernster
Schaltschränke. Den Besuchern wurde ein Vortragsprogramm angeboten, das im halbstündlichen Wechsel zu stets vollbesetztem Hörsaal führte. Dieses Mal kamen 4700
Besucher. Diese Zahl wurde als ideal empfunden. Alle Ausstellungen und Vorführungen
waren sehr gut besucht, aber es herrschte nicht die drangvolle Enge wie an den Tagen mit
Besucherrekorden. Von den Gästen gab es Lob und Dank für einen entspannten und
lehrreichen Tag, der insbesondere für viele Familien mit Kindern zu einem aufregenden
und unterhaltsamen Wissenschafts-Abenteuer wurde.
6.5
Die Zeitschrift „Sterne und Weltraum“ und das Haus der
Astronomie
Der Name dieser größten allgemeinverständlichen Zeitschrift für die Astronomie im
deutschsprachigen Raum ist untrennbar mit dem Max-Planck-Institut für Astronomie
verbunden. Im Institut arbeitet die Redaktion, hier hat sie Zugang zur neuesten Forschung, zahlreiche Wissenschaftler des MPIA schreiben für „SuW“ über ihre Arbeit.
Entstanden ist die Zeitschrift im Jahre 1962 unter wesentlicher Beteiligung des späteren
Gründungsdirektors des MPIA, Hans Elsässer. Er war mit 33 Jahren gerade Direktor der
Landessternwarte geworden und fand dort mit dem Observator Karl Schaifers einen
geeigneten Redakteur und Mitherausgeber für die Zeitschriften-Gründung. Rudolf Kühn,
der mit einer Fernsehserie zur Astronomie im Bayerischen Rundfunk hervorgetreten war,
gehörte ebenfalls zu den Gründungsvätern. Günter D. Roth wirkte als Vertreter der
Amateurastronomen mit. Den Titel „Sterne und Weltraum“ steuerte Theodor SchmidtKaler von der Universität Bonn bei.
Die Redaktion war anfangs in der Landessternwarte angesiedelt. Verlegt wurde SuW
damals im Bibliographischen Institut Mannheim, das durch die dort beheimatete DudenRedaktion einen bekannten Namen hatte. Das erste Heft erschien im April 1962 und ab
diesem Zeitpunkt monatlich, mit einem Zweimonatsheft im Sommer. Das war harte
Arbeit für eine Ein-Mann-Redaktion und wenige Nebenbeschäftigte. Die Hefte waren
anfangs 32 Seiten stark und schwarz-weiß bebildert. Die Startauflage betrug 1500 Exemplare. Elsässer und die Herausgeber verfolgten zwei Ziele: erstens, die Begeisterung junger
Leute für eine Berufswahl in der Astronomie zur Behebung des Nachwuchsmangels und,
241
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STERNE UND WELTRAUM
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Abb. 6.5-1: Titelbilder der Zeitschrift „Sterne und Weltraum“, im Gründungsjahr der Zeitschrift
und im Jahre 2009 (SuW).
zweitens, das Berichten für eine breite Öffentlichkeit, die als Steuerzahler die astronomische Forschung ermöglicht.
Die Machart von SuW war von Anfang an und blieb bis heute anders als bei vielen populärwissenschaftlichen Zeitschriften. Während in letzteren oft Wissenschaftsjournalisten
mit Neigung zur Vereinfachung und zum Spektakulären schreiben, kommen bei SuW
Wissenschaftler auf ihrem Fachgebiet zu Wort. Gute Verständlichkeit der Beiträge ist
dabei ein Leitfaden der Zeitschrift. Darüber hinaus berichten Amateure, die ihre Liebhaberei ernsthaft und wissenschaftsnah betreiben, über ihre eigene Arbeit. Das macht die
Zeitschrift anspruchsvoller und glaubwürdiger, sie ist zum schnellen Überfliegen wenig
geeignet.
Nach Elsässers Wechsel von der Landessternwarte an die Spitze des neuen MPIA folgte
im Jahre 1982 auch der Wechsel der Redaktion an das neue Institut. Inzwischen hatte
242
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das Bibliographische Institut SuW abgegeben („zu unwirtschaftlich“) und die Zeitschrift
erschien in einem eigenen Verlag bei einem der Herausgeber, Dr. Hans Vehrenberg, der
in Düsseldorf bereits den Treugesell-Verlag betrieb. Ab 1982 führten die vier Herausgeber
als Gesellschafter gemeinsam den Verlag, die Geschäftsführung hatte Günter D. Roth in
München. Unter dem neuen Redakteur Jakob Staude am MPIA stieg die Auflage von
SuW von ~ 5000 im Jahre 1982 auf ~ 11000 im Jahre 1993. Damit konnte die Zeitschrift
an einen größeren Verlag technisch-wissenschaftlicher Literatur, den Hüthig-Verlag in
Heidelberg, verkauft werden. In Folge der Wiedervereinigung Deutschlands ging im
Jahre 1997 die in Leipzig erschienene (und inzwischen zur Hüthig-Verlagsgruppe gehörende) Zeitschrift „Die Sterne“ in SuW auf. Werner Pfau aus Jena und Anneliese Schnell
aus Wien wurden damals zu weiteren Herausgebern. Im Jahre 2001 erfolgte ein erneuter
Wechsel, vom Hüthig-Verlag zum Verlag „Spektrum der Wissenschaft“ in Heidelberg.
Dort war SuW noch besser beheimatet, denn „Spektrum“ beherrschte die Produktion
und den Vertrieb anspruchsvoller populärwissenschaftlicher Zeitschriften. „Sterne und
Weltraum“ wurde nun auch deutschlandweit in Bahnhofsbuchhandlungen erhältlich.
Seither erscheinen zwölf Hefte pro Jahr und die monatlich verkaufte Auflage liegt bei
20000. Der Umfang der Hefte wurde im Laufe der Jahre auf über 100 Farbseiten gesteigert, so dass ein weites Feld abgedeckt werden kann: von der internationalen astronomischen Forschung bis zur Geschichte der Astronomie, von Weltraummissionen bis zu
Hinweisen für Beobachter und der Besprechung neuer astronomischer Bücher. Die Chefredaktion wechselte im Jahre 2008 von Jakob Staude zu Uwe Reichert, der von drei
Redakteuren unterstützt wird, und Staude wechselte zu den Herausgebern. Wirtschaftlich
ist SuW seit der Beheimatung am MPIA unabhängig, der Verlag finanziert die Redaktion
und zahlt für die Redaktionsräume am Institut eine Miete.
Von SuW gingen mehrere Initiativen zur weiteren Verbreitung astronomischer Kenntnisse aus. In einer Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk wurde die Fernsehserie
„alpha Centauri“ mit Harald Lesch geschaffen. Nach dem PISA-Schock vom Jahre 2001
(geringes Interesse der Schüler an den Naturwissenschaften) begann das Schulprojekt
„Wissenschaft in die Schulen!“ Lehrern wird seither didaktisch aufbereitetes astrophysikalisches Material angeboten. Damit können sie tagesaktuelle Themen aus der Forschung
in den laufenden Physikunterricht einbauen. Das hat in vielen Schulklassen im ganzen
deutschsprachigen Raum zu verstärktem Interesse an den Naturwissenschaften geführt.
Damit wird eine der Lebensgrundlagen unseres rohstoffarmen hochtechnologischen
Landes gestärkt. Vorläufige Krönung der Bemühungen zur Förderung des Nachwuchses
und der Öffentlichkeitsarbeit ist die Schaffung des „Hauses der Astronomie“ (HdA).
Hier sollen Lehrer, Schüler, die Medien und jeder Interessierte aus dem deutschen Süd-
243
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Abb. 6.5-2: Vorbereitungen zum Bau des „Hauses der Astronomie“ auf dem Gelände des MPIA im
Herbst 2009 (Lemke).
westen Fortbildungskurse, Praktika und Vorträge zu aktuellen Themen aus der Astronomie erleben können. Damit wird an die seit Jahrzehnten vom MPIA und der Universität
gemeinsam veranstalteten Lehrerfortbildungskurse angeknüpft, die in der neuen Einrichtung fortgeführt werden. Auch an der Ausbildung der Lehramtsstudenten der Universität
ist das Haus der Astronomie beteiligt. Es wird auf dem Institutsgelände des MPIA auf
dem Königstuhl errichtet, die Arbeiten dazu haben im Herbst 2009 begonnen (Abb. 6.5-2
bis 6.5-4). Im neuen Gebäude mit seiner Spiralgalaxien-Architektur spiegeln sich auch
die Ideen der Gründungsväter von SuW wider: Förderung der Nachwuchses in den
Naturwissenschaften und Einblick in die Forschung für den interessierten Steuerzahler.
244
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Abb. 6.5-3: Symbolischer Erster Spatenstich für das „Haus der Astronomie“. Es schaufeln die Ehrengäste der Stadt Heidelberg, der Universität, der Max-Planck-Gesellschaft und der Klaus Tschira
Stiftung. In der Mitte Thomas Henning, Geschäftsführender Direktor des MPIA. Auf dem Baustellenschild erkennt man das Gebäude in der Form einer Spiralgalaxie (Lemke).
Ermöglicht wird der Bau durch die großzügige Förderung der Klaus Tschira Stiftung.
Die Zeitschrift bleibt eingebettet in ein aktives Forschungsumfeld, dafür sorgen auch die
neuen Herausgeber Thomas Henning und Matthias Bartelmann, Direktoren am MPIA
beziehungsweise am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg. „Sterne und
Weltraum“ hätte sich nirgendwo anders ähnlich erfolgreich entwickeln können wie am
MPIA in Heidelberg.
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Abb. 6.5-4: Schnittbild des Hauses der Astronomie. Der Hörsaal mit der kuppelförmigen Projektionsfläche hat einhundert Sitzplätze (Architekten Bernhardt & Partner).
6.6
Astronomische Forschung an weiteren Heidelberger Instituten
Heidelberg hat deutschlandweit den höchsten Anteil von in der Astronomie tätigen Personen an der Gesamtbevölkerung: hier ist es jeder 300ste, in Deutschland nur jeder
100000ste. Neben dem MPIA (Kapitel 2 bis 7) und der Landessternwarte (Kapitel 8)
gibt es vier weitere bedeutende Forschungsstätten, die hier kurz vorgestellt werden sollen.
Näheres zu diesen Instituten erfährt man über ihre Internetseiten, bei Besucherführungen
oder aus ihren regelmäßigen Jahresberichten.
Astronomisches Rechen-Institut (ARI)
Es wurde 1945 in Heidelberg als Landesinstitut angesiedelt, zunächst in der Altstadt in
der Nähe der Universität. 1957 wurde der Neubau im Stadtteil Neuenheim bezogen
(Abb. 6.6-1). Gegründet worden war das Institut bereits im Jahre 1700 in Berlin, wo es
246
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Abb. 6.6-1: Der Neubau des Astronomischen Rechen-Institutes (ARI) in der Mönchhofstraße. Das
ARI ist jetzt Teilinstitut des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg (Lemke).
vom Kurfürsten Friedrich III. mit dem Privileg zur Herausgabe von Kalendern in Preußen
ausgestattet wurde. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges für die Marine tätig, wurde das
ARI 1944 aus dem bombenbedrohten Berlin in die Nähe von Grimma (Sachsen) verlegt.
Von dort verlagerten es amerikanische Truppen nach der vorübergehenden Besetzung
von West-Sachsen 1945 an den Standort ihres Hauptquartiers in Heidelberg.
In Heidelberg hat das Institut vor allem auf dem Gebiet der Astrometrie (Verteilung,
Entfernung und Bewegung der Sterne in der Milchstraße) gearbeitet und bedeutende
Fundamentalkataloge herausgegeben. Es war entscheidend am europäischen Astrometrie-Satelliten HIPPARCOS beteiligt und bereitet jetzt dessen Nachfolgemission GAIA
vor. In jüngster Zeit arbeitet das Institut auch an der Erforschung extrasolarer Planeten
247
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und Nachbargalaxien der Milchstraße (Eva Grebel, Joachim Wambsganss). Der Direktor
der Jahre 1955 – 1985, Walter Fricke, war wesentlich an der Gründung des MPIA beteiligt (siehe auch 2.3).
Institut für Theoretische Astrophysik (ITA)
Auf Bemühungen von Walter Fricke und Hans Elsässer zurückgehend, wurde 1964 in
Heidelberg der Lehrstuhl für Theoretische Astrophysik geschaffen. Der erste Ordinarius,
Karl-Heinz Böhm, setzte hier gemeinsam mit seiner Frau Erika Böhm-Vitense die Arbei-
Abb. 6.6-2: Die Villa „Bergius“ in der Albert-Überle-Straße beherbergt das Institut für Theoretische
Astrophysik (ITA), Teilinstitut des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg (Lemke).
248
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ten der berühmten „Kieler Schule“ auf dem Gebiet der Sternatmosphären (Albrecht Unsöld)
fort. Nach dem Abgang des Forscher-Ehepaares Böhm durch Berufung an die Universität
in Seattle in den USA im Jahre 1968, leitete Gerhard Traving das Institut. In den Folgejahren wuchs das Institut durch Fördermittel aus Sonderforschungsbereichen und konnte
seine wissenschaftlichen Aktivitäten passend zu anderen Heidelberger Arbeitsgebieten
ausweiten, so beispielsweise zum kosmischen Staub und der Astrochemie. Nach mehreren
Behelfsunterkünften in den Anfangsjahren verfügt das ITA seit 2003 über ein eigenes
Institutsgebäude in einer Villa im Stadtteil Neuenheim (Abb. 6.6-2). In den letzten
Jahren haben sich die Forschungsarbeiten stark erweitert und umfassen Kosmologie
(Matthias Bartelmann), als gemeinsames Interessengebiet mit dem benachbarten Institut
für Theoretische Physik und dem MPIA, außerdem Galaxienhaufen und Sternentstehung
(Ralf Klessen).
Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK)
Das Max-Planck-Institut für Kernphysik ist aus dem von Walther Bothe geleiteten Institut für Physik im Heidelberger Max-Planck-Institut für medizinische Forschung hervorgegangen. Nach Bothes Tod im Jahre 1957 wurde sein Teilinstitut ausgegliedert und als
eigenständiges MPI für Kernphysik ab 1960 am Bierhelderhof neu aufgebaut (Abb. 6.6-3).
Der Gründungsdirektor Wolfgang Gentner (ab 1958) hatte stets auch Nachbargebiete
der Kernphysik im Auge, so die Elementverteilung und Isotopenhäufigkeiten in Meteoriten, Altersbestimmungen mit Methoden des radioaktiven Zerfalls und die Massenspektroskopie von Edelgasen. Leiter einer entsprechenden Abteilung für Kosmochemie
wurde anfangs Josef Zähringer, der dem Institut durch die Untersuchung und Ausstellung
des 1969 von der NASA zur Verfügung gestellten Mondgesteins in Heidelberg große
Bekanntheit einbrachte. Auch die „Staubgruppe“ (Hugo Fechtig) gehörte zu den international führenden Abteilungen und war auf vielen Sonden im Planetensystem mit
Staubdetektoren vertreten. Hier ergänzten sich die Interessen mit denen der Zodiakallicht-Forscher am MPIA. Die „Infrarotgruppe“ (Heinz Völk) bearbeitete zusammen mit
dem MPIA Daten des europäischen Infrarot-Weltraum-Observatoriums ISO. In den
letzten Jahren erreichten die Astroteilchenphysiker des MPIK weltweit beachtete Erfolge.
Sie führten das Gallex-Experiment durch, mit dem das Rätsel der „fehlenden“ Neutrinos
von der Sonne gelöst wurde (die Neutrinos verändern periodisch ihre Erscheinungsform).
Mit dem HESS-Teleskop, einem aus vier 12 m-Teleskopen bestehenden „Tscherenkow“Stereo-Teleskop am Fuße des Gamsberges in Namibia, gelang ein Durchbruch in der
249
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Abb. 6.6-3: Das Max-Planck-Institut für Kernphysik am Saupfercheckweg in Heidelberg erforscht
in einer Abteilung Staub und Gas im Kosmos (MPIK).
Gammastrahlen-Astronomie. Erstmals können ferne Galaxien und Objekte in der Milchstraße im Lichte der hochenergetischen Gammastrahlung (Tera-Elektronen-Volt) mit
guter räumlicher Auflösung abgebildet werden. Eine Arbeitsgruppe für Astrochemie
nutzt einen Schwerionen-Speicherring, um die Molekülbildung in interstellaren Wolken
zu simulieren, siehe dazu Abb. 9.4.10.
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH)
Die beiden in diesem Kapitel erstgenannten Institute (ARI und ITA) und die Landessternwarte (LSW) wurden im Jahre 2005 formal zu einem Institut zusammengelegt: dem
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH). Die Landesregierung
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Baden-Württemberg konnte sich mit diesem Plan zur Konzentration durchsetzen, da sie
alle drei Institute finanziert. Das ZAH besteht aus drei Teilinstituten an den „alten“
Standorten mit einem turnusmäßig wechselnden Geschäftsführenden Direktor. Neben
den Max-Planck-Instituten in München, Garching, Bonn und Heidelberg ist das ZAH
das größte astronomische Forschungsinstitut in Deutschland mit acht Professorenstellen
und 100 Wissenschaftlern und Studenten.
Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS)
Ab 2010 soll in dieser zur Klaus Tschira Stiftung gehörenden Einrichtung auch eine
Arbeitsgruppe für Theoretische Astrophysik moderne Super-Rechner zur Erforschung
von Fragen wie der Strukturbildung im Universum nutzen können. Das multidisziplinäre
Institut wird über Professuren (Volker Springel) mit der Universität verbunden sein. Es
wurde neben der Villa Bosch errichtet (Kapitel 2.4.2).
251
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7
Ein Ausblick: Das kommende Jahrzehnt
Gespräch mit den Direktoren Thomas Henning
und Hans-Walter Rix
In den 40 Jahren seines Bestehens war das Max-Planck-Institut für Astronomie ständigem
Wandel unterworfen. Generationswechsel in der Leitung, Technologiewandel, Globalisierung in der Wissenschaft und ihrer Infrastrukturen, politische Änderungen und wissenschaftlicher Fortschritt haben zu dauernder Erneuerung veranlasst. Wie werden wir
das nächste Jahrzehnt bis zum 50. Institutsgeburtstag im Jahre 2019 erleben? Dazu
befragte der Verfasser dieses Buches im November 2009 die beiden Direktoren Thomas
Henning (zu der Zeit geschäftsführend) und Hans-Walter Rix, siehe Abb. 7.3. Sie gaben
Auskunft zu den Forschungszielen für die nächsten Jahre und den Wegen zu ihrem Erreichen. Auch Fragen nach den voraussichtlichen langfristigen Entwicklungen in der Astronomie wurden angesprochen.
Lemke: In den ersten 25 Jahren unserer Institutsgeschichte spielte der Calar Alto die zentrale Rolle: Aufbau, Nutzung und die Bereitstellung der Sternwarte für andere deutsche
und spanische Institute. Inzwischen haben wir uns von dort teilweise zurückgezogen.
Welche Bedeutung wird der Calar Alto in der Zukunft für dieses Institut haben?
Henning: Das Calar-Alto-Observatorium wurde gegründet, um die damals relativ
schlechte Situation der Astronomie in Deutschland zu verändern und insbesondere den
Mangel an Teleskopzeit für die gesamte deutsche Community zu beseitigen. Seit der
Gründung des Calar Alto hat es verschiedene Entwicklungen gegeben, die diese Randbedingung vollständig geändert haben. Hierzu zählen sowohl die Europäische Südsternwarte ESO, als auch der Zugang zu Weltraumteleskopen. Seit etwa dem Jahr 2000 hat
die Etablierung zweier wissenschaftlicher Abteilungen im Institut zu einer generellen
Umstrukturierung geführt. Man muss sich jetzt fragen, woher die Beobachtungsdaten
für die wissenschaftlichen Arbeiten am Institut kommen. Und es zeigt sich, dass diese
Beobachtungsdaten auf der einen Seite von solchen Weltraumteleskopen wie Spitzer
oder Hubble kommen, auf der anderen Seite sehr stark von Teleskopen der ESO, aber
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Abb. 7.3: In einem Gespräch im November 2009 erläutern die beiden Direktoren des MPIA,
Thomas Henning und Hans-Walter Rix (v.l.n.r) dem Verfasser ihre Zukunftsvorstellungen für das
Institut (Klaus Jäger).
auch von anderen 8 m-Teleskopen. Die faktische Rolle des Calar Alto für das Institut hat
damit abgenommen und wird mit Sicherheit auch weiterhin abnehmen.
Rix: Für die Zukunft würde ich vermuten, dass der Calar Alto noch zwei ziemlich große
wissenschaftliche Projekte machen wird, die aber nur einzelne Gruppen betreffen. Vielleicht eines mit der Infrarotkamera PANIC, und vielleicht eines mit einem neuen Instrument. In den nächsten Jahren wird der Calar Alto darüber hinaus noch eine Datenquelle
für das Institut sein, wo man beispielsweise mal ein Spektrum holt. Bis zum Ende des
kommenden Jahrzehnts wird der Calar Alto seine Bedeutung für das MPIA ganz verloren
haben. Bei einer gesamten Lebensdauer der Einrichtung von über 40 Jahren, erscheint
das ganz sinnvoll.
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Lemke: Also könnte es sein, dass wir uns beim 50-jährigen Institutsgeburtstag aus dem
Calar Alto ganz zurückgezogen haben?
Henning: Das ist sehr wahrscheinlich.
Rix: Ja.
Lemke: Wir kommen auf den Calar Alto sicher noch einmal zurück, im Zusammenhang
mit der Bedeutung von mittelgroßen Teleskopen. Vorher wollte ich Sie fragen: Wie sehen
Sie die Zukunft der Astronomie im kommenden Jahrzehnt? Was sind die großen Fragen
und an welchen wird unser Institut mitarbeiten?
Rix: Der Mainstream der nächsten Dekade ist verschiedentlich dokumentiert worden,
sowohl in einer deutschen, danach auch in einer europäischen Denkschrift. Es dreht sich
um die verschiedenen Varianten des Themas „Ursprünge“: Ursprünge des Universums,
Ursprünge der Struktur im Universum, und natürlich die Frage der Entstehung der ersten
Sterne und Exoplaneten. Mir macht es manchmal Sorge, dass ein Mainstream so offiziell
dokumentiert wird. Auf der Seite der Galaxien und Kosmologie denke ich, dass für uns
in den nächsten 5 bis 10 Jahren die großen Themen sein werden: die Milchstraße als
Modell-Organismus, um Galaxien zu verstehen, und das mit Hilfe der bodengebundenen
Surveys, aber auch mit GAIA. Auf der anderen Seite Beobachtungen, die zu den Frühzeiten des Universums zurückschauen, das heißt die Galaxienentwicklung direkt verfolgen. Für die Fragen: „Warum gibt es Schwarze Löcher?“, „Warum schaut die Galaxienpopulation so geordnet aus?“ wird die Kombination aus den neuen Surveys von
Pan-STARRS, LBT, ESO, aber auch ALMA, JWST und Herschel Antworten liefern. Sie
versprechen eine Daten- und Informationsflut, so dass wir in 5 bis 10 Jahren nicht nur
sehen, sondern vielleicht auch verstehen, warum Galaxien so aussehen, wie sie das tun.
Lemke: Die großen Fragen, wie sie in den Denkschriften niedergeschrieben sind, haben
einen sehr umfassenden Anspruch: Wie entstand das Universum? Was sind Dunkle
Materie und Dunkle Energie? Aber die tägliche Arbeit orientiert sich ja an konkreten
Beobachtungen, beispielsweise von Quasaren in bestimmten Entwicklungsstadien. Wo
wird unser Institut im nächsten Jahrzehnt tatsächlich aktiv sein?
Rix: Ich sollte vielleicht vorher sagen, wo wir wahrscheinlich nicht aktiv sein werden. Ich
sehe im Moment, dass die Dunkle Energie grundsätzlich extrem interessant ist. Aber die
einzige Möglichkeit, Neues über sie zu lernen, ist mit Mega-Projekten, deren Ergebnis
unsicher ist. Unter Umständen muss man den Aufwand eines Jahrzehnt und von 100
254
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Leuten erbringen, ohne viel gelernt zu haben. Deswegen ist mein persönliches Denken,
dass man das anderen überlassen soll, auch wenn sie vielleicht was Tolles herausfinden
werden. Ich glaube konkret, dass wir herausfinden können, aus wie vielen Einzelteilen
und in wie vielen Episoden unsere Milchstraße zusammengesetzt wurde. Das ist ein
Punkt, der sehr konkret ist. Und ich glaube auch, dass wir spätestens durch die Kombination von ALMA- und JWST-Beobachtungen verstehen können, was die sehr intensive
Sternenstehung und das Schwarze-Loch-Wachstum bei hohen Rotverschiebungen miteinander zu tun haben.
Lemke: Das war jetzt der extragalaktische Teil. Und wie sieht es im Bereich Sterne und
Planeten aus?
Henning: Mir scheint es immer problematisch zu sein, wenn man eine ganze Wissenschaft nur auf Schlagwörter reduziert. Zu diesen Schlagwörtern in der Astrophysik gehören gegenwärtig „Bewohnbare Planeten“. Die Frage ist, gibt es Raum für weitere überraschende Entdeckungen, die wir jetzt gar nicht prophezeien können? In unserem Feld
ist eine spannende Frage: „Wie können wir die Entstehungsorte der Planeten in protoplanetaren Scheiben mit den Populationen von Planeten, wie wir sie beobachten, verbinden?“ Und da wird der wesentliche Zugang in zwei Richtungen stattfinden. Auf der
einen Seite haben wir bisher nicht viel über das Gas in den protoplanetaren Scheiben
gelernt. Mit der Empfindlichkeit und dem Auflösungsvermögen von ALMA und JWST
wird man da wesentliche Fortschritte erreichen können. Auch das E-ELT wird eine ganz
besondere Rolle spielen. Da ist unser Institut sehr gut aufgestellt, weil es genau an diesen
Instrumentierungs-Projekten teilnimmt. Mit numerischen Untersuchungen wird man
dann die Anfangsbedingungen über die Entstehungsszenarien mit den beobachteten Planeteneigenschaften verknüpfen.
Ein weiteres Thema, das für unsere Abteilung eine große Rolle spielt und bei dem es
einen Überlapp mit der anderen Abteilung gibt, ist das der Entstehung massereicher
Sterne in unserer Galaxie und in extragalaktischen Systemen. Dies sollte dann mit der
Frage verknüpft werden, wie solche Sterne im frühen Universum entstanden sind. Das
ist ein Feld, das ich persönlich als sehr spannend empfinde, wo wir aber gegenwärtig
noch nicht aktiv genug sind.
Ein weiteres interessantes Thema für unser Forschungsgebiet ist herauszufinden, wie die
Atmosphären von Planeten zusammengesetzt sind. Gegenwärtig können wir das nur für
ausgewählte Riesenplaneten untersuchen. Aber das Ziel ist natürlich, das für erdähnliche
Planeten zu machen. Das kann man in den nächsten 10 Jahren schaffen.
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Lemke: Sie haben bei den wissenschaftlichen Fragen immer wieder erwähnt, dass bestimmte Instrumente dafür wichtig sind. Die würde ich gerne jetzt ansprechen.
Rix: Können wir noch eine Bemerkung machen, bevor wir zu Instrumenten gehen? Ich
glaube, die Planbarkeit des Fortschritts ist sehr gering. Das Bild, das ich so habe, hat den
Problemberg vor sich: Jeder hämmert dran herum, und man kann geschickt sein, die
Schwachstellen zu finden, aber wer löst den Erdrutsch aus? Das hat eine große stochastische
Komponente. Und deswegen glaube ich, ist es wichtig, wirklich gute Leute hier am Institut zu versammeln, die kreativ und auch mutig sind. Zu hoffen, dass einer von denen
einen Erdrutsch auslöst, ist für uns beide ein sehr wichtiger Teil der wissenschaftlichen
Zukunftsplanung. Aber jetzt zu ihren Instrumenten.
Lemke: Zunächst einmal zu den mittelgroßen Teleskopen, wie es sie noch am Calar Alto
gibt, 2 – 4 m-Klasse. Dort spielten in der Vergangenheit Durchmusterungen eine sehr
erfolgreiche Rolle. In der neuesten Denkschrift der Forschungsgemeinschaft wird der
Calar Alto noch dringend empfohlen für schnellen Zugriff, für langdauernde Programme,
für technologische Entwicklungen. Wie sehen sie die Bedeutung dieser mittelgroßen
Teleskope bei all den Programmen, die Sie angesprochen haben?
Rix: In den letzten 10 Jahren sind hier am Institut viele der allerwichtigsten Veröffentlichungen von einem 2.5 m-Teleskop gekommen, dem Sloan-Teleskop (Abb. 7.1). Das
Sloan-Teleskop hat letzte Woche hunderttausend Zitate erreicht. Was man daraus lernen
kann ist, dass ein mittelgroßes Teleskop, das von vornherein als ein Physikexperiment
mit einer dezidierten Beobachtungsmission entworfen worden ist, und wo man dann
auch die Manpower und die Ausdauer zur Verfügung hat, dass das zu Durchbrüchen
führen kann. Wenn man clever genug ist und das als einzigen Fokus hat, dann kann man
ganz tolle Sachen damit machen. Woran es nicht nur beim Calar Alto, aber bei vielen
anderen mittelgroßen Teleskopen krankt, ist die Kombination, dass sie mittelgroß und
zweite Priorität sind. Das beeinflusst tatsächlich die wissenschaftliche Produktivität mehr
als die Größe des Teleskops an sich.
Henning: Zunächst muss man auch klären, was man unter mittelgroß versteht. Ich war
vor kurzem bei der Eröffnung des Grantecan-Teleskops. Da wurde die Stellung der 8 mTeleskope in der Ära der 30 m-Teleskope diskutiert. Unterdessen gibt es sehr viele 8 mNächte in der Welt der Astronomie. Das mittelgroße Teleskop in der Zukunft ist vielleicht
gar nicht mehr das 4 m-Teleskop, sondern möglicherweise das 8 m-Teleskop. In der
gegenwärtigen Phase denke ich, dass 4 m-Teleskope zwei Vorteile haben können. Einmal,
wenn man Projekte hat, die sehr viel Zeit benötigen, d.h. 5 Jahre nur ein Teleskop. Das
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Abb. 7.1: Das 2.5 m-Teleskop des Sloan Digital Sky Surveys am Apache Peak in New Mexico (Sloan).
ist an einem 8 m-Teleskop schwer zu schaffen, beispielsweise eine lang andauernde
Radialgeschwindigkeits-Messung vieler Planeten. Der andere Vorteil kann immer noch
sein, dass man ein größeres Gesichtsfeld als bei einem 8 m-Teleskop bekommt, wenn
man es nicht dezidiert dafür baut. Als nächstes müssen spektroskopische Surveys gemacht
werden. Aber muss man dafür nicht eigentlich ein spezialisiertes Teleskop bauen? Die
vorhandenen Teleskope sind für solche Surveys nicht immer optimal konstruiert.
Lemke: Ist unser 2,2 m-Teleskop auf La Silla im Zusammenspiel mit dem Wide FieldImager nicht auch ein gutes Beispiel für die Erfolgsgeschichte eines mittelgroßen Teleskops mit einer ganz konkreten Aufgabe?
Rix: Der Wide Field-Imager wurde für Combo 17 gebaut. Tatsächlich ist es in den
letzten 10 Jahren im extragalaktischen Bereich eines von zwei oder drei Flaggschiff-Projekten geworden. Man kann jeden extragalaktischen Astronomen in der Welt fragen, die
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kennen Combo 17. Wo es auch wichtig und das 2.2 m-Teleskop wertvoll ist: Es ist für
Studenten emotional wichtig, ihren eigenen Datensatz zu gewinnen und den nicht nur
irgendwo runterzuladen. Für Studenten ist es schön, mal den End-to-End-Prozess, vom
Datenaufnehmen bis zur Veröffentlichung, selber durchzuführen.
Henning: In letzter Zeit ist es seltener geworden, dass wirklich sehr große kohärente Projekte an dem 2.2 m-Teleskop durchgeführt werden, in dem Sinne, dass das Teleskop nur
für ein Projekt zur Verfügung steht. Und das hat dazu geführt, dass wir realisiert haben,
dass wir eigentlich an dem Teleskop zu wenig Zeit haben. Jetzt haben wir das Teleskop
faktisch vollständig wieder in MPG-Hände übernommen, weil nur dann auch wirklich
große Projekte möglich sind. Aber Combo 17 hat auch gezeigt, dass es nicht ausreicht,
nur ein großes Projekt ausführen zu wollen, sondern man muss auch bereit sein, die notwendige Manpower hineinzustecken, um es zum Erfolg zu führen. Das war am Anfang
durchaus ein holpriger Weg. Erst als man gemerkt hat, dass man viel Manpower aufbringen muss, und dies auch geschehen ist, wurde es ein Erfolg. Und das ist ein Problem bei
manchen Ideen für die 4 m-Teleskope, dass man sagt: „Ok, wir machen das.“ Wenn man
solche Projekte angeht, dann muss man es halt richtig machen. Und das bedeutet,
enorme Ressourcen im Institut auf ein oder zwei Projekte zu setzen. Das muss man sich
genau überlegen, ob man die wirklich zur Verfügung hat, und ob man im Vergleich mit
der Konkurrenz schnell genug ist.
Rix: Und bei Sloan muss man auch daran denken, 50 Millionen Dollar wurden aufgewandt
über die Hardware hinaus, um tatsächlich den Strom vom Photon bis zum Katalogeintrag
glatt hinzukriegen. Und ich glaube, das zählt sehr viel mehr als das 2 m-Teleskop.
Lemke: Sie sagten, das 2.2 m-Teleskop in La Silla, das wollen wir doch bei der MPG
behalten. Es ist ein Zwilling vom Calar Alto 2.2 m-Teleskop. Hängt die erkennbare Vorliebe für La Silla damit zusammen, dass dort das Wetter besser ist, oder dass wir dort
durch die ESO eine bessere Infrastruktur haben?
Rix: Das Wetter ist besser, der Betrieb ist um den Faktor 10 billiger und es ist eingebettet
in eine Organisation, die ESO. Wegen der Infrastruktur tritt Kopfschmerz bei uns nicht
auf. Die drei Argumente machen es zu einer sehr befriedigenden Erfahrung.
Henning: Die Frage ist natürlich, ob in 5 Jahren noch derselbe Gesichtspunkt gilt. Beim
2.2 m-Teleskop ist es auch so, dass 3 gut funktionierende Instrumente am Teleskop sind,
die uns sehr interessieren. Aber nehmen wir einmal an, eines der Instrumente würde nicht
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mehr funktionieren und man würde vor der Aufgabe stehen, es durch ein neues Instrument zu ersetzen, dann stellt sich die Frage wieder anders.
Lemke: Als Ergänzung und teilweisen Ersatz für den Calar Alto kam das LBT. Dort
ist das Institut 1997 eingestiegen nach der Einladung: „schnell und billig Zugang zu
einem Großteleskop“. Nun ist es in der Praxis nicht ganz so schnell vorangegangen.
Unser Institut baut für das LBT das LINC-NIRVANA-Instrument. Wann schätzen Sie,
wird LINC-NIRVANA arbeiten und welche wissenschaftlichen Fragestellungen wird
dieses Interferometer angehen?
Henning: Also erst einmal stammt der Satz „schnell und billig“ nicht von mir …
Lemke: Nein, aus Tucson ...
Henning: Und ich persönlich glaube an diesen Satz auch nicht. Wenn man Projekte dieser Größenordnung macht, dann sind sie nicht billig, und sie benötigen auch die richtigen
Methoden für das Management. Sie erfordern eine sehr gute Vorbereitung in der Instrumentierung. Eines der Probleme, die bei multinationalen Projekten immer auftauchen
und an die man wirklich immer denken muss: Partner, die von unterschiedlichen Institutionen kommen, haben einfach unterschiedliche Ziele. Und wir sind halt ein Viertelpartner am LBT, und das bedeutet, man lebt mit diesen anderen Partnern und ihren
Ansprüchen und Ideen. LINC-NIRVANA ist ein Instrument, das sehr viele der Funktionen des LBT anfordert, d.h. es wird nur dann funktionieren, wenn das LBT in sehr
vielen der Funktionen effektiv arbeitet. Wenn man alle Wahrscheinlichkeiten multipliziert, dann darf man am Ende nicht bei 1% der gesamten Zeit herauskommen. Ich habe
keinen Zweifel, dass LINC-NIRVANA am Teleskop Interferenz-Streifen produzieren wird,
aber das zählt nicht als Erfolg. Der Erfolg ist, wenn bei einem Interferometer in 50 % der
zur Verfügung stehenden Zeit Wissenschaft gemacht werden kann. Das ist, glaube ich,
ein anzustrebender realistischer Wert, den wir auch vom VLTI bei ESO kennen. Und das
erfordert von allen Partnern in diesem Instrument stärkere Anstrengung, als wir sie
gegenwärtig unternehmen.
Rix: Vielleicht kann ich zu LINC-NIRVANA noch …
Lemke: Insbesondere zu den wissenschaftlichen Erwartungen, …
Rix: … genau. Wie bei allen Instrumenten, die weit über eine Dekade hinausgehen,
ändern sich die wissenschaftlichen Vorstellungen. Im Moment sehe ich drei unmittelbare
Ziele, aber vielleicht ist das auch meine persönliche Vorliebe. Erstens können wir lernen,
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wie Schwarze Löcher gefüttert werden, durch echtes Abbilden mit höchster Auflösung in
nahen aktiven Galaxienkernen. Das zweite: Durch die Messung der Eigenbewegungen können wir herausfinden, ob es Schwarze Löcher in Kugelsternhaufen gibt. Und das dritte:
Ich denke immer noch, bei sehr schwachen Objekten, wie sie gefunden werden, lässt sich
durch LINC-NIRVANA schneller als mit anderen Instrumenten herausfinden, ob das
Eigenbewegungen (und damit Geschwindigkeiten) oder Beschleunigungen (und damit
Umlaufbahnen) sind. Für mich ist es übrigens eine Kamera und kein Interferometer ...
Lemke: Ein Fizeau-Interferometer ...
Rix: Genauso. Beim Keck muss man 36 Spiegel, hier muss man 2 justieren. Aber die
Schwierigkeiten, auf die Thomas Henning hingewiesen hat, die sehe ich auch, und auch
mit großer Sorge: dass es im Prinzip funktioniert, gelegentlich auch in der Praxis, aber
vielleicht nicht oft genug, um sein volles Wissenschaftspotential zu verwirklichen.
Henning: Die Vorteile von LINC-NIRVANA liegen wirklich in den Imaging-Möglichkeiten, die beim VLTI sehr schwer zu erreichen sein werden. GRAVITY wird mit Sicherheit auf der astrometrischen Seite hohe Präzision liefern, aber über kleine Felder...
Rix: ... und weniger schwache Quellen …
Henning: … das ist nicht ganz klar. Man arbeitet am VLTI schließlich mit vier 8 m-Teleskopen. Das, was mich sehr interessiert, ist herauszufinden, ob in sehr reichen Sternhaufen unserer Galaxie auch stellare Schwarze Löcher vorhanden sind. Das wird man sowohl
mit GRAVITY angehen, als auch mit LINC-NIRVANA. Und beide Techniken werden
sich ergänzen. Mit LINC-NIRVANA kann man sicherlich auch Astrometrie betreiben,
man kann nach Planeten suchen. Ob das die Stärke von LINC-NIRVANA ist gegenüber
GRAVITY, da bin ich mir nicht so sicher. Da entscheiden auch die Zeitskalen. GRAVITY
würde natürlich nach LINC-NIRVANA kommen, aber nicht viel später.
Rix: 2014 ist das Jahr für Beobachtungen mit LINC-NIRVANA, das Sie noch wissen
wollten.
Henning: 2012 Transport in Richtung Tucson, aber 2014 Betrieb.
Rix: Ich denke, wir wissen von all den bodengebundenen Instrumenten, dass die Phase
zwischen Einpacken und einer ersten Veröffentlichung lang ist. Bei Weltraum-Experimenten ist die Phase vorher unendlich lang und dann geht es schnell, wenn alles gut geht.
Lemke: Die nächste Zusammenarbeit mit Amerikanern ist jetzt Pan-STARRS. Was sind
da die Erwartungen?
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Rix: Dass es funktioniert.
Lemke: Die wissenschaftlichen Erwartungen ...
Rix: Kurz gesagt: Als wir eingestiegen sind, waren die Erwartungen, dass wir etwas über
Planeten-Transits, über nahe Objekte geringer Masse, Braune Zwerge und masseärmere
Objekte, über die gesamte Struktur der Milchstraße und über sehr weit entfernte Quasare
lernen. Das waren die vier Keyprojekte. Durch die Verzögerungen, die sich ergeben haben,
und durch die weniger gute Bildqualität muss man bei allen Projekten einige Abstriche
machen. Meine persönliche Einschätzung ist, dass man bei der Milchstraße am wenigsten
Abstriche machen muss. Am zweitwenigsten bei einigen Aspekten der Objekte niedrigerer
Masse, bei den Quasaren am meisten. Der Wettbewerbsvorteil bei den Transit-Planeten
schmilzt am schnellsten dahin.
Lemke: Und die Idee, dass man freifliegende Planeten, also mit Massen noch unter der
von Braunen Zwergen, in Sonnenumgebung finden kann ...
Henning: Das ist eines der Schlüsselprojekte, wo man wirklich zu sehr geringen Massen
vorstoßen will. Im Feld gibt es diese Objekte ganz selten. Man braucht also große Flächen,
um danach zu suchen. Auf diesem Gebiet ist auch die Zeit ein wichtiger Faktor. Es gibt
Satelliten-Missionen, beispielsweise WISE, die demnächst gestartet werden und in etwa
3 Jahren einen Infrarot-Katalog liefern sollen. Das ist natürlich eine ernsthafte Konkurrenz.
Rix: Aber die Parallaxen und Eigenbewegungen für solche Objekte können nur im Roten
gemessen werden. Denn alle bisherigen großen Sky-Kataloge mit Eigenbewegung und
Parallaxen sind im Optischen oder Photograpischen erstellt. Deswegen glaube ich, viele
der Grundüberlegungen für einen direkten Parallaxen-Survey mit PanSTARRS 1 in sehr
roten Bändern bleiben immer noch bestehen.
Henning: Der wichtige Punkt dabei ist, dass wir die Astrometrie in der Qualität bekommen, die wir brauchen. Gegenwärtig hat Pan-Planets einen Bereich, wo wir noch einen
Wettbewerbsvorteil haben. Das wären Transitkurven über lange Zeit. In anderen Bereichen werden wir diesen Wettbewerbsvorteil verlieren, wenn wir zu lange brauchen, um
den Survey in Gang zu bringen.
Lemke: Ab wann wird es Daten geben und wie lange wird unser Engagement dauern?
Rix: Zunächst mal ist es Archivbeobachtung in dem Sinne, dass es ein von vornherein
geplantes Beobachtungsprogramm gibt, das dann abgespult wird. Es gab im Juni und
Juli dieses Jahres (2009) einen Probelauf, wo tatsächlich innerhalb von 4 Wochen 5000
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Quadratgrad in 5 Farben abgelichtet worden sind. Eben leider nicht mit einer Bildqualität, die besser als Sloan ist, das heißt, mit einem Median von knapp eineinhalb Bogensekunden. Deswegen wird das Teleskop überarbeitet (Abb. 7.2). Im Moment ist das Teleskop auseinandergenommen, bald geht es wieder an den Himmel. Eine Zeit-Schätzung
meinerseits könnte schnell Makulatur sein. Die Hauptprobleme liegen am Teleskop selber.
Die Gigapixel-Kamera funktioniert überwiegend gut. Grundfunktionen der Software
funktionieren auch vernünftig. Die wirklichen großen Hürden, die den Projektplan
gefährden könnten, liegen beim Teleskop. In den nächsten 3 bis 4 Monaten sollte man
herausfinden, ob diese Hürden wirklich schwierig zu überwinden sind.
Lemke: Das Fermi-Lab muss nicht mehr helfen bei den Auswerte-Programmen?
Henning: Ich glaube, es ist wirklich das Teleskop, das das Problem gegenwärtig bereitet…
Rix: ... es ist ein kommerziell gekauftes, das sich als Montagsprodukt herausstellt. Wenn
man es nicht selber gebaut hat, muss man eben Fehler im Detektivmodus finden. Das
muss man den Kollegen zugute halten. Und unser Engagement ist immer noch genau
das gleiche wie vorher. Im Jahr 2010 muss man zu dem Punkt kommen, wo man endgültig entscheidet, wird das Projekt ein Erfolg oder wird es keiner.
Henning: Die Idee war ja immer, dass man sich nur an der Operationsphase beteiligt.
Das heißt, an der Erstellung des Surveys. Das ist eine begrenzte Phase, die einen definierten Anfang und ein definiertes Ende hat. Und die Dauer des Surveys war auf etwa vier
Jahre angelegt. Und dies ist der Punkt, den man angehen muss, wenn es Verzögerungen
durch das Teleskop gibt. Das geht natürlich auf Kosten dieser Operationsphase. Das
kann man aber zum Beispiel auffangen, indem man neue Partner für das Projekt gewinnt.
Ich glaube, das Projekt ist gegenwärtig in einer kritischen Phase. Das Problem ist nicht
so sehr, ob wir die Teleskopprobleme überhaupt lösen können, sondern ob man sie in
einer vernünftigen Zeit lösen können wird.
Lemke: Das ist doch gar kein großes Teleskop?
Rix: Zur Größe habe ich eine dezidierte Meinung. Die 2 m sind egal, jedes optische f/1
Weitfeldsystem ist unendlich empfindlich und intolerant gegen alle möglichen …
Henning: ... aber dass dies das Problem ist, glaube ich nicht. In der Industrie ist die
Kunst, Teleskope mit hoher Qualität zu bauen, fast verloren gegangen. Was dann dazu
führt, dass man bei etwas unerfahreneren Teleskopherstellern landet, mit allen Konsequenzen. Und ich meine, Pan-STARRS ist da nicht das einzige Beispiel ...
262
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Abb. 7.2: Das
PanSTARRSTeleskop auf
dem Haleakala auf der
Hawaii-Insel
Maui (Univ.
Hawaii).
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Lemke: Ist es die Optik oder die Mechanik oder die Elektronik?
Rix: Es ist die Optomechanik, die ein sieben Quadratgrad großes Bildfeld mit Subbogensekunden-Bildqualität zu konstruieren erfordert. Es ist ja kein Teleskop, es ist eine
Telephotolinse. Es gibt keinen Teleskopfokus, deswegen ist die Justierung komplex. Das
System funktioniert gut in der Simulation. Aber in der Realität machen sich alle Fehler
schlimm bemerkbar.
Lemke: Jetzt zu den europäischen Instrumenten. Das VLT hat im letzten Jahr bereits sein
10-jähriges Jubiläum gefeiert. Nach meiner Ansicht lag der Erfolg daran, dass es eine
solide Finanzierung und ein professionelles Projektmanagement hatte. Das MPIA hat
beim VLT für zwei Instrumente mit jeweils einem PI die Führung eines Konsortiums
gehabt. Werden wir uns an der nächsten Generation der Instrumentierung ähnlich stark
beteiligen?
Henning: Das VLT und die ESO spielen für das Institut eine ganz wichtige Rolle, weil
die ESO eine große Organisation ist, mit einem meist sehr effizienten Management. Das
VLT und das VLTI, und natürlich auch das E-ELT, sind mit Sicherheit für mich ganz
wichtige Teleskope. Wir haben uns entschlossen, uns an drei Instrumenten der zweiten
Generation zu beteiligen. Das ist SPHERE, das Planetensuch-Instrument, wo der Co-PI
aus unserem Haus kommt. Dann MATISSE als direkter Nachfolger von MIDI, aber
jetzt mit Imaging-Möglichkeiten. Und GRAVITY wird in Zusammenarbeit mit dem
MPI für extraterrestrische Physik und anderen Instituten in Europa entwickelt. Die letzten beiden sind Instrumente für das VLTI.
Rix: Es gibt eine übernächste Generation. Was Herr Henning vorhin schon angesprochen
hat: Irgendwann werden 8 m-Teleskope zu mittelgroßen Teleskopen. SPHERE ist in
gewisser Weise ein Anfang, ein Instrument, das gleichzeitig einhundert oder mehrere
hundert Nächte Experiment ist. Das ist ein Weg, den die ESO angefangen hat, sich schon
jetzt vorsichtig anzuschauen.
Henning: Bei SPHERE ist es tatsächlich so, dass daraus ein großer Survey resultieren
wird. Gleichzeitig haben wir ein großes Programm bei der ESO im Vorfeld von SPHERE
laufen. Und parallel dazu führen wir auch ein großes Programm am japanischen SUBARUTeleskop auf Hawaii durch, was in dieselbe Richtung geht, mit Princeton und Japan
zusammen. Was man auch erwähnen sollte, ist die Tatsache, dass es durchaus auch die
Möglichkeit gibt, mittelgroße Projekte bei der ESO durchzuführen. Als Beispiel möchte
ich nur den Bau der „differential delay lines“ für PRIMA erwähnen. Auf dieser Basis
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kann man erstmals mit Hilfe von Astrometrie effektiv nach Exoplaneten suchen. Und
ein anderes schönes Projekt ist die Lucky-Imaging-Kamera am New Technology Telescope
(NTT), wo man fast auf Studentenbasis sehr schnell kleine Projekte machen kann, um
dann für gewisse Gebiete eine interessante Beobachtungsplattform zur Verfügung zu stellen.
Rix: Auf der Basis der Erfahrungen von Calar Alto und LBT: Ich glaube, das Modell,
anderen Leuten den Betrieb von Observatorien zu überlassen und sich durch experimentelle Instrumentierungs-Beiträge und wissenschaftlichen Nutzen zu beteiligen, ist immer
der bessere Weg. Insbesondere jetzt, wo alle Observatorien im Hundert-MillionenBereich kosten. Auch der Max-Planck-Geldbeutel reicht nur für eine beschränkte Beteiligung.
Lemke: Das heißt, die Frage nach nationalen Observatorien, wie es der Calar Alto einmal
war oder wie es Ende der 1980er Jahre mit dem deutschen 10 m-Teleskop geplant war,
stellt sich gar nicht mehr. Setzen wir zunehmend auf europäische Projekte und herausragende internationale Vorhaben?
Rix: Auch ALMA wird da eine Rolle spielen. Die Skalen der Projekte sind stark gewachsen.
Zumindest im Optischen und nahen Infarot, aber genauso bei den Radio-Teleskopen.
Es ist ziemlich klar, was der nächste große Schritt ist, der ist nicht billig, der liegt im Milliardenbereich. Deswegen ist es besser, sich durch einen formalen Anteil an aussichtsreichen Projekten zu beteiligen. Wenn man sich die Beispiele anschaut, wo Leute versucht
haben, große Teleskope noch billiger als das LBT zu bauen, wie das „Hobby-EberlyTeleskop“, sieht man: Man kriegt das, wofür man zahlt.
Henning: Ich glaube, es gibt eine andere wichtige Erkenntnis neben der Tatsache, dass
diese Projekte die finanziellen Rahmenbedingungen des Instituts, aber auch der MaxPlanck-Gesellschaft, sprengen. Mit dem Bau der Instrumente selber wird eine Größenordnung erreicht, die das Institut vollkommen auslastet. Es gibt keine Notwendigkeit,
darüber hinaus noch Infrastruktur zu schaffen. Damit kann man seine Flexibilität erhalten,
in dem Sinne, dass natürlich die ESO und das LBT ganz wichtige Elemente des Portfolios
des Instituts sind. Wie die Zusammenarbeit mit SUBARU zeigt, kann man durchaus in
einem Konsortium Zugang zu 150 Nächten auf dem Mauna Kea bekommen. Und das
erste wissenschaftliche Ergebnis aus dieser SEEDS-Kollaboration ist gerade in Druck,
mit einem Erst-Autor aus diesem Hause. Zum SUBARU-Teleskop selbst haben wir
wenig beigetragen. Aber wir haben unsere Instrumentierungs- und Projekterfahrung
geliefert. Das ist die Strategie, die man auch in der Zukunft verfolgen sollte.
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Lemke: Klar ist also, dass man große Teleskope nicht mehr national baut und betreibt,
sondern das europäischen Institutionen überlässt, die das besser können. Werden wir bei
zukünftigen Instrumenten die Führung mit einem PI übernehmen? Oder ist es der bessere Weg, sich stattdessen als CoI an mehreren Instrumenten mit kleineren Anteilen zu
beteiligen?
Henning: Ich glaube, man muss beides machen. Ich bin immer ein großer Freund davon,
dass das Institut PI-Rollen für Instrumente übernimmt. Aber das ist nicht der ausschließliche Weg. Es kann eine sehr gute Investition sein, wenn man sich an einem Instrument
beteiligt. Das, was man an Erfahrung aus allen vorherigen Projekten mitnehmen muss,
ist die Tatsache, dass man im Vorfeld möglichst ganz klar ein Interface für sich definiert.
So, dass man eine hohe Verantwortung für einen Bereich des Instruments hat. Wenn die
finanziellen Rahmenbedingungen dies nicht erlauben, geht man natürlich Kompromisse
ein, um überhaupt noch dabei zu sein. Es ist auf der anderen Seite aber auch klar, dass
Instrumente für das E-ELT eine Größenordnung erreichen, wo nur noch Konsortien
zusammen Instrumente bauen können. Was ich als viel wichtiger empfinde, als PI zu
sein, ist die Forderung, dass diese Teams in ihrer Zusammensetzung sehr gut zusammenarbeiten müssen. Das hat sowohl soziale Komponenten als auch Komponenten der
Wissenschaftslandschaft in den verschiedenen europäischen Ländern. Das ist ja keine
homogene Struktur. Und ich glaube, da muss man im Vorfeld solcher Projekte genau
hinschauen, mit wem man zusammen arbeitet, mit wem man das sehr effektiv tun kann
und mit wem es nicht funktionieren wird.
Rix: Und ich denke, es gibt auch Beispiele aus unserer Vergangenheit, wo wir PI-Institut
waren und auch wissenschaftlich dann eine der Führungsrollen hatten. Der Wide Field
Imager oder MIDI am Boden sind Beispiele. Es gab Instrumente wie CONICA, wo wir
zwar PI-Institut waren, aber selbst vielleicht nicht soviel Wissenschaft herausgeholt
haben, wie wir hätten sollen. Und ich bin eigentlich sehr optimistisch, auch wenn wir
bloß CoI-Institut bei Herschel-PACS sind, dass wir da in der gesamten Bandbreite Wissenschaft rausholen können, von nahen Galaxien bis zu Quasaren und bis zur Sternentstehung. Das wird mindestens vergleichbar zum PI-Institut sein.
Henning: Gerade bei diesem Beispiel ist es ganz wichtig, dass wir, sobald die Instrumente
ihrer Fertigstellung entgegengehen, ganz organisch die Zahl der Wissenschaftler erhöhen.
Dies geschieht meist in Form von Studenten und Postdocs, die dann an den Wissenschaftsprojekten mitarbeiten. PACS ist ein gutes Beispiel, wo wir jetzt eine Gruppe aufgestellt haben, die sehr schlagkräftig ist. MIDI war meines Erachtens ein anderes Beispiel,
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wo wir versucht haben, in beiden Abteilungen eine Mannschaft zusammenzubringen,
die notwendig war, um auch die wissenschaftliche Ernte der Investition hereinzuholen.
Zwischen der ersten Idee und der Inbetriebnahme eines Instruments besteht oft eine
lange Bauphase, in der Wissenschaftler nur bedingt mit neuen Ideen beitragen können.
Am Ende der Projekte muss man die Zahl der Mitarbeiter wieder erhöhen, die an der
Wissenschaft arbeiten.
Lemke: Nach dem VLT kommt das E-ELT, das Extremely Large Teleskop. Wird es gebaut?
Rix: Das ist unvermeidlich!
Henning: Als gegenwärtiger Vizepräsident des ESO-Council bin ich sehr stark in E-ELT
involviert. Ich glaube, dass es kommen wird. Alle Zeichen der verschiedenen Länder stehen
im Wesentlichen auf Unterstützung des Projekts. Was ich etwas anzweifle, ist die sehr
optimistische Zeitskala für seine Fertigstellung.
Rix: 2025 ist da übrigens meine Jahreszahl.
Lemke: Wir haben in diesem Jahr auf der Tagung der Astronomischen Gesellschaft in
Potsdam und jetzt hier im Astronomischen Kolloquium von ESO-Verantwortlichen
Vorträge gehört: Baubeginn im Jahr 2010. Und 2018 erstes Licht ...
Henning: Die Studien-Phase B geht im Jahr 2010 zu Ende. Und das Ziel ist, dass die
ESO für das Council Meeting im Dezember 2010 tatsächlich einen Vorschlag auf den
Tisch legt. Die ESO erwartet aber nicht unbedingt, dass dann in diesem Meeting die
Länder „Ja“ sagen. Sie will einen ausgearbeiteten Vorschlag vorlegen, was kostet das
genau, was ist der Standort, den wir im Auge haben. Und es wird dann mit Sicherheit bis
zum Jahr 2011 dauern, bis die einzelnen Länder eine Unterschrift unter einen solchen
Vertrag setzen. Der Beginn des Projekts wird auch damit zusammenhängen, ob weitere
Partner für die ESO gewonnen werden können, die ja durchaus am Horizont stehen. Das
heißt, gegenwärtig fehlen etwa 2/3 des Geldes. Die Idee ist, ein Drittel durch die bisherigen Mitgliedsländer zusätzlich aufzubringen.
Lemke: Zusätzlich zu den laufenden Mitgliedsbeiträgen?
Henning: Ja. Und ein weiteres Drittel soll durch neue Mitglieder oder andere Finanzmodelle aufgebracht werden.
Rix: Ich glaube, die Unsicherheiten und auch Finanzierungslücken, so dramatisch sie
klingen, sind immer noch nicht so schlimm wie die auf der amerikanischen Seite. Das
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heißt, bei den 30 m- oder 42 m-Teleskopen ist die Wettbewerbssituation für Europa jetzt
besser als sie bei KECK gegen VLT war. Der Zeitvorsprung der Amerikaner besteht
kaum. Formal sind sie in vergleichbaren Entwicklungs-Phasen. Aber wie viel privates
Geld im Moment in den USA aufgebracht werden kann, ist eben nicht klar.
Henning: Und beim amerikanischen 30 m-Teleskop (TMT) ist es auch ganz interessant,
sich die Zeitskala bis zur Inbetriebnahme in den Dokumenten anzusehen. Wenn man
das erste Photon auf einem Detektor findet, bedeutet es nicht, dass dies schon ein effektiver Betrieb ist. Und das muss man auch beim E-ELT sehen. Man muss zwischen Instrumenten für das erste Licht und Instrumenten der ersten Generation unterscheiden. Es
wird mit Sicherheit eine Phase geben, und ich schätze, dass die 5 Jahre dauert, während
der man dieses Teleskop in Betrieb nimmt. Beim LBT spricht man immer von Verzögerung. Aber diese Maschinen sind sehr komplex. Das heißt, man muss von vornherein
ganz klar sagen, dass man einige Jahre braucht, um sie in Betrieb zu nehmen. Dann wird
man auch nicht mehr von Verspätung reden müssen. Unsere Elementarteilchenphysiker
machen uns das ja gerade beim Large Hadron Collider (LHC) vor. Diese Phasen der
Inbetriebnahme für sehr komplexe Maschinen müssen schlichtweg länger angenommen
werden, als man bisher dachte.
Lemke: Was ist erstes Licht beim E-ELT? Mit allen ~ 1000 Spiegeln?
Henning: Das ist genau mein Punkt. Erstes Licht und effektiver Beobachtungsbetrieb,
das sind zwei verschiedene Dinge.
Rix: Ich würde mal sagen, 2025 kann man damit Wissenschaft machen.
Henning: Und ich würde sagen, 2020 könnte es stehen.
Rix: Wir schreiben noch eine Veröffentlichung damit vor unserer Emeritierung.
Lemke: Ist es ein Gerücht, dass durch ESOs große Erfolge auch außereuropäische Länder,
wie Australien oder Kanada, Interesse haben, der Europäischen Südsternwarte beizutreten?
Rix: Das Gerücht ist wahr.
Henning: Es gibt sogar eine ganze Reihe weiterer Länder, die Interesse zeigen beizutreten.
Da wird es interessante Entwicklungen in den nächsten Jahren geben, die dann auch
neue Möglichkeiten für die ESO eröffnen.
Lemke: Ich möchte jetzt gern zur Laborastrophysik kommen. Seit 2003 betreibt das
MPIA eine Außenstelle an der Universität Jena. Der dortige Leiter, Friedrich Huisken,
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wird in einigen Jahren in den Ruhestand treten. Herr Henning, werden Sie das Labor
fortführen, und wenn ja, was werden die Aufgaben für die Zukunft sein?
Henning: Zunächst muss man sagen, dass das ein Projekt für 10 Jahre war. Es war ein
Experiment, eine Einrichtung an einer Universität zu belassen und sie sogar auszubauen.
Ich glaube, das Experiment ist sehr gut ausgegangen, wenn man die Investitionen für
diese Gruppe ansieht. Die waren sehr begrenzt. Die Frage ist, ob man die Kooperation
mit der Universität verlängern kann. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es auch
Anknüpfungspunkte zum MPI für Kernphysik gibt. Es gibt dort eine Gruppe, die sehr
interessiert ist an Laborastrophysik, und die jetzt mit dem Speicherring chemische Reaktionen bei niedrigen Temperaturen messen wird. Ich persönlich habe natürlich ein großes
Interesse, dass dieser Zweig auch in Jena weitergeführt wird, wenn die Ressourcen, die
dafür einzusetzen sind, beim bisherigen Umfang bleiben. Dann glaube ich auch, dass die
Max-Planck-Gesellschaft davon durchaus zu überzeugen ist.
Lemke: Und werden die wissenschaftlichen Themen genauso bleiben? Oder sehen Sie
schon neue Aufgaben?
Henning: Die wissenschaftlichen Themen haben sich ja jetzt schon verändert. Seit der
Untersuchung der Festkörperkomponente setzen wir uns inzwischen viel stärker mit
dem Gas auseinander. Wenn wir einfach mal alle Spitzer-Paper über Spektroskopie
anschauen, dann wird man sehen, dass mindestens 50 Prozent dieser Veröffentlichungen
auf unsere Labordaten zurückgreifen. Ich glaube, der Erfolg von Spitzer wäre so nicht
möglich gewesen, ohne diese Veröffentlichungen von Labordaten. Der Weg der Astrophysik, jedenfalls auf meinem Feld, geht jetzt mehr in Richtung Gas, weil das die Komponente ist, die man noch nicht verstanden hat. Gasphasenspektroskopie und auch die
Entstehung von Staub, das sind meines Erachtens die Gebiete, die extrem interessant
sind, auch für die Extragalaktiker. Bei hochrotverschobenen Quasaren sehen wir Staub,
von dem alle geglaubt haben, dass Supernovae den Staub produzieren. In den lokalen
Supernovae sehen wir, dass das nicht funktioniert. Rechnungen zeigen in die gleiche
Richtung: Die Staubproduktionsraten sind viel zu niedrig. Für die Milchstraße haben
wir ein Defizit in der Staubproduktion. Stellare Quellen reichen nicht aus. Und der Vorschlag für die Milchstraße ist: Im normalen diffusen interstellaren Medium müssen diese
Festkörperteilchen entstehen. Das ist ein Bereich, wo Experimente beitragen können.
Lemke: Nach dem Planbaren möchte ich noch ein paar spekulative Fragen stellen. Es wird
interessant sein, in ein paar Jahren die Antworten nachzulesen. 400 Planeten sind schon
gefunden, aber keine wirklich erdähnlichen. Wann werden wir diese finden? Wann wer-
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den wir wissen, ob dort Bedingungen herrschen, die Leben ermöglichen? Wird es vielleicht gar möglich sein, Kontakte herzustellen in dem Zeitraum von 10 Jahren, über den
wir hier reden?
Rix: Wie ähnlich soll es denn sein?
Lemke: Steinig und flüssiges Wasser.
Henning: Zunächst mal zu den steinigen: Es gibt ja jetzt Planeten, die so genannten
Super-Erden, die nur wenig mehr Masse als die Erde haben, die mit Sicherheit steinig
sind, und die durch Transitbeobachtung nachgewiesen sind. Kepler scheint ein Riesenerfolg zu sein, soweit wir das jetzt wissen. Wie es bei der Suche nach erdähnlichen Planeten aussieht, die auch Hinweise auf biologische Aktivität zeigen, das interessiert als nächstes. Mit JWST wird der Nachweis sehr schwer zu führen sein. Es ist nicht unmöglich,
aber man wird sehr viel Beobachtungszeit benötigen. Es wird aber mit Sicherheit auch
dedizierte Missionen geben, das heißt, eine Art Transitspektroskopie für erdähnliche Planeten. Wenn man den nächsten Schritt gehen will, zur Frage ob es intelligentes Leben
auf diesen Planeten gibt, sollte man erst mal fragen, ob das bei uns der Fall ist. Ich glaube,
diese Frage wird in der fernen Zukunft…
Lemke: Nicht in den nächsten 10 Jahren?
Henning: Mit Sicherheit nicht in den nächsten 10 Jahren. Die biologische Aktivität
nachzuweisen ist bereits extrem schwierig. Ich bin aber nicht so pessimistisch, dass das
nicht in den nächsten 20 Jahren zu erreichen ist. Die „grünen Männchen“, die werden
noch etwas auf sich warten lassen. Es sei denn, die Kollegen an den Radioteleskopen des
Allen-Projektes hören irgendetwas. Aber ich bin da sehr pessimistisch, dass das der richtige Weg ist.
Rix: Ein Gespräch, bei dem ich 20 Jahre auf die Antwort warten muss, interessiert mich
nicht. Aber das ist nur meine persönliche Meinung. Extragalaktisch glaube ich, in den
nächsten 10 Jahren es ist realistisch, eine Labordetektion von Dunkler Materie zu bekommen. Und ich glaube, die Kombination E-ELT und JWST kann in 10 Jahren, nicht viel vorher, direkte Hinweise auf die berühmte Population III von Sternen mit ganz anderer Massenverteilung geben. In den nächsten 5 Jahren wird es eine zunehmende Zahl von indirekten
Argumenten geben. Aber auf ein Bild davon werden wir noch 10 Jahre warten müssen.
Lemke: Meinen Sie den Nachweis von Teilchen kosmischer Dunkler Materie durch Teilchenzähler am Boden, oder erzeugt im Large Hadron Collider?
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Rix: Beides, aber nicht auf astronomischem Wege. Ich glaube, die Astrophysik hat alles
geliefert, um zu zeigen, wie konsistent das Modell ist.
Lemke: Jetzt sind die Physiker dran?
Rix: Jetzt sind die Physiker dran, und die sollen mal.
Henning: Ein sehr wichtiger Punkt ist, herauszufinden, wie die erste Generation von
Sternen tatsächlich entstanden ist, um die Brücke zu schlagen von der Entstehung sehr
massereicher Sterne in der lokalen Umgebung zur Entstehung massereicher Sterne unter
anderen Bedingungen. Da werden wir in 10 Jahren mit Sicherheit viel bessere Antworten
wissen, weil wir sowohl auf der numerischen Seite als auch auf der Beobachtungsseite die
Elemente in der Hand haben, diese Frage zu beantworten.
Lemke: Werden die Beobachtungen der ersten Sterne oder Galaxien oder Quasare im
frühen Universum vom James Webb Space Telescope kommen, so wie es geplant ist, oder
werden sie durch Gamma Ray Bursts oder auf anderem Wege gemacht werden?
Henning: Die Gamma Ray Bursts sind jetzt wirklich interessant, weil sie ja zeigen, dass
man die Rotverschiebungsrekorde noch weiter hinausschieben kann. Der wirkliche Fortschritt im Verständnis wird durch die enge Zusammenarbeit von Theoretikern und
Beobachtern kommen. Hier kommen Strahlung, Hydrodynamik und Chemie zusammen, um den Prozess selbst zu verstehen. Das ist ja auch ein gewisses Credo für unser
Institut, dass wir hier Theorie-Gruppen haben, die in enger Zusammenarbeit mit den
Beobachtern Fortschritte erreichen. Allein eine Beobachtung, die sofort einen Durchbruch erzielt, das ist selten, weil man verschiedene physikalische Prozesse zusammenbringen muss, die am Ende doch relativ komplex sind.
Rix: Dass James Webb mal unter der Flagge „First Light“ (Entdeckung der ersten Sterne)
verkauft wurde, wird zehn Jahre nach seinem Start als interessante historische Anekdote
erinnerlich sein. So, wie für das Hubble-Weltraumteleskop der 5-fach ionisierte Sauerstoff
im Halo unserer Milchstraße einst ein Argument war.
Lemke: „Dunkle Energie“ ist im Moment eines der großen Schlagworte. Eine wichtige
Beobachtung dazu ist die beschleunigte Expansion des Universums. Werden wir in 10 Jahren immer noch von Dunkler Energie reden, oder wird es einen anderen Namen oder eine
andere Erklärung geben? Macht es Sinn, sich an Missionen zu diesem Thema zu beteiligen?
Rix: Da bin ich Pessimist. Es gibt zunächst mal drei verschiedene einigermaßen klare
Hinweise auf die Dunkle Energie oder eine Variante davon. Erstens, der Mikrowellen-
271
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hintergrund an sich, der aussagt, dass der Raum flach ist, auch wenn die Massendichte
nicht ausreicht. Zweitens gibt es die direkte Messung der beschleunigten Expansion.
Und es gibt die Baryonen-Akustischen Oszillationen. Insofern scheinen mir die Hinweise
sehr solide, dass die Expansionsgeschichte und das Strukturwachstum anders sind, als
ursprünglich erwartet. Die Tatsache, dass alle Varianten, ob Quintessenz oder anderes,
sich von der Dunklen Energie um minimale Beträge unterscheiden, führt mich dazu,
dass ich glaube, dass wir da in 10 Jahren nicht grundsätzlich weiter sind. Ich hege die
große Hoffnung, dass Satelliten-Missionen, die unter dieser Flagge fahren, ganz tolle
andere Sachen machen werden.
Lemke: Also zum Beispiel das nähere Universum durchmustern?
Rix: Nicht nur das nähere. Ein All-Sky-Survey im nahen Infraroten bis zur 25. Magnitude
sollte herauskommen. Auf der persönlichen Seite hoffe ich, dass unser PRIME-Vorschlag
irgendwann mal Wirklichkeit wird, auch wenn es 15 Jahre später wird.
Lemke: Zum Schluss möchte ich noch fragen, wie wird das Institut in 10 Jahren aussehen,
werden wir dann eine dritte Abteilung haben?
Henning: Das hängt ganz entscheidend davon ab, ob wir überzeugt sind, dass wir eine
Person identifizieren können auf einem Gebiet, das in der Max-Planck-Gesellschaft nicht
vertreten ist, aber ein Potential für die nächsten 20 Jahre hat. Wir hatten diese Diskussion
für das Gebiet „Astrophysikalische Bedingungen für die Existenz von Leben“.
Lemke: Astrobiologie?
Henning: Wir haben es nicht Astrobiologie genannt, weil unter Astrobiologie oft auch
die berühmten grünen Männchen auf dem Mars verstanden werden. Deshalb haben wir
eine astrophysikalische Definition gewählt. Wenn es dafür eine Person gibt, von der wir
überzeugt sind, dass sie sowohl in das Institut hineinpasst und auch die Richtung nach
vorne bringen kann, dann werden wir das vorantreiben. Wenn wir davon nicht überzeugt
sind, dann denke ich, dass das Institut gegenwärtig in sehr gutem Zustand ist. Wir beide
glauben, dass es nicht ein Wert an sich ist, zu wachsen. Wir haben uns beide vorgenommen, dass die Phase des Wachstums, wo es im Wesentlichen um die Erhöhung der Zahl
von Doktoranden und Postdocs ging, dass diese Phase für das Institut inzwischen vorbei
ist. Wenn es eine dritte Abteilung gibt, stellt sich die Frage ja wieder anders. Wir wollen,
auch wenn es eine dritte Abteilung gibt, ein Institut haben, in dem man kommunizieren
kann über die Grenzen der Abteilungen hinweg. Wo man noch weiß, was der Kollege in
dem anderen Zimmer tut.
272
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Lemke: In den letzten 10 Jahren ist die Zahl der Mitarbeiter um 70 gestiegen. 50 Prozent
aller 133 Doktorarbeiten, die in 40 Jahren hier am MPIA durchgeführt wurden, sind in den
letzten 10 Jahren entstanden. 50 Prozent aller Diplomarbeiten sind in den letzten 10 Jahren
entstanden. Wie groß wird der Anteil der Studenten in der Zukunft sein?
Rix: Wir haben jetzt ein Verhältnis von 1:2:2 zwischen langfristigen Wissenschaftlern,
Postdocs und Studenten. Ich glaube, das ist ein sehr gutes. Als ich nach Heidelberg kam,
gab es 5 Doktoranden hier im Institut. Das waren zu wenige. Ich hoffe, dass auch in 10
Jahren die Zahl der Wissenschaftler und Studenten am Institut ungefähr so groß ist wie
jetzt.
Henning: Die Zahl der Doktoranden und Postdocs im Vergleich zu den fest angestellten
wissenschaftlichen Mitarbeitern war früher einfach nicht in der richtigen Relation. Wir
haben jetzt ein Verhältnis, das vernünftig ist, wenn es auch fluktuieren wird. Die Selbstständigen Nachwuchsgruppen sind für das Institut sehr wichtig. Solange die Nachwuchsgruppenleiter auch die besten Stellen im deutschen oder weltweiten System erhalten, ist die Kontinuitätsgleichung erhalten. Solange das funktioniert, kann man auf
dieses Modell stolz sein.
Rix: Wir haben in den letzten 5 Jahren im Durchschnitt zwei Professoren pro Jahr aus
diesem Institut produziert.
Lemke: Überaus erfolgreich! 5 Nachwuchsgruppen haben inzwischen aufgehört. Im
Moment haben wir noch 2. Wird es weitere geben?
Rix: Zwei sind bewilligt, und jetzt muss man schauen, ob die Leute kommen.
Henning: Es gibt eine Reihe von Anträgen, die in der Pipeline sind…
Rix: Ich befürchte, die nächste Schwemme kommt.
Henning: Aus meiner Sicht ist dies nur solange gut, wie wir tatsächlich in der Lage sind,
die Leute so arbeiten zu lassen, dass sie am Ende ihre Stellung in dem Universitätssystem
oder auch in dem Max-Planck-System finden. Für mich wäre es kein gutes Rezept, jetzt
zu sagen, wir brauchen 15 solcher Gruppen. Die Zahl muss zum Gesamtkonzept des
Instituts passen.
Lemke: Eine dieser Nachwuchsgruppen wurde Ihnen, Herr Rix, auf Dauer zugesagt,
nachdem Sie den Ruf nach Cambridge abgelehnt haben. In diesem Zusammenhang
doch noch eine allerletzte Frage: Was waren die Gründe, dass Sie Cambridge abgesagt
273
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haben und am Max-Planck-Institut geblieben sind? Sind unsere Mitarbeiter besser? Ist
unsere Finanzierung sicherer? Ist unsere Verwaltung besser? …
Rix: Letztendlich sind solche Entscheidungen immer sehr persönlich. Meine Frau wollte
nicht nach England, als sie es sich angeschaut hat. Aber auf der Arbeitsseite denke ich an
die Gruppe von Kollegen, die wir hier haben, und die Arbeitsmöglichkeiten am MPIA.
Ich verwende bei meiner Stellung doch einen sehr guten Teil meiner Zeit auf Wissenschaft. Auch weil der Lehrstuhl in Cambridge berühmt ist, wird erwartet, dass man eine
nationale Rolle spielt. Man findet sich in 100 Komitees wieder, und ob das Leben dadurch
leichter wird, ist nicht klar. Und unsere Verwaltung hier ist wirklich gut. Im Vergleich
kann ich sagen, als ich kürzlich in Arizona war, das war schockierend. Ich wollte für die
drei Monate Sabbatical einfach nur 1000 Dollar als Unterstützung von meinem Gastinstitut empfangen. Die Verwaltung dort brauchte 3 Monate, bis sie was konstruiert hatte.
Ich glaube wirklich, das Max-Planck-System ist dagegen vergleichsweise sehr effizient.
Lemke: Herr Henning, Herr Rix, ich danke Ihnen für das Gespräch. Die Zeit wird die
Zukunft in Vergangenheit wandeln. Wir dürfen uns darauf freuen, dieses Gespräch in
zehn Jahren zum 50. Institutsgeburtstag nachzulesen.
274
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8
Ein Rückblick: 400 Jahre Astronomie in Heidelberg
und der Kurpfalz
Die beiden großen Zeitwenden in der Astronomie haben Spuren in Heidelberg und im
alten Kulturland der Kurpfalz hinterlassen. Mit der Einführung des Fernrohres im Jahre
1609 ging das Zeitalter der Beobachtungen mit bloßen Auge zu Ende und es wurde der
Vorstoß in den ferneren Kosmos eingeleitet. Eine weitere noch fruchtbarere Epoche
begann in den 1960er Jahren, als mit Radioteleskopen am Boden und Fernrohren im
Weltraum weitere Fenster zum Universum geöffnet wurden. In der Folge dieser Umwälzungen zogen elektronische Kameras, Rechenmaschinen und Physiker in die Sternwarten
ein. Das Wissen über den Kosmos begann sich explosionsartig zu erweitern.
In diesem Kapitel soll von der ersten Zeitenwende um 1609 und den folgenden dreieinhalb Jahrhunderten der Astronomie in Heidelberg und der umgebenden Kurpfalz berichtet
werden. Gegen Ende jener Periode wurde hier der Boden bereitet für die Blütezeit nach
dem zweiten Wendepunkt um 1960, in welcher das Max-Planck-Institut für Astronomie
entstand.
8.1
Johannes Keplers „Astronomia Nova“ wird 1609 in Heidelberg
gedruckt
Im Weltbild des Jahres 1600 stand immer noch die Erde unbeweglich im Zentrum des
Universums. Um die Erde bewegten sich die Sonne, der Mond und die Planeten auf
Kreisbahnen. Weiter außen waren die Sterne unveränderlich an eine Himmelskugel
geheftet, die täglich einmal umlief. Alle Himmelskörper außerhalb der Erde waren reine
Lichtkugeln. Veränderungen spielten sich nur im Raum diesseits der Mondbahn ab. Die
Deutungshoheit über die Himmelserscheinungen besaß die Kirche. Aus ihren Reihen
kamen im 16. Jahrhundert erste Zweifler, denn die Planetenbahnen, wichtig für die
Astrologie, konnten nicht genau genug vorhergesagt werden. Und auch der Kalender
geriet gegenüber den Jahreszeiten außer Tritt. Nicolaus Kopernikus, Domherr in Frau-
275
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enburg, stellte 1543 die Sonne in den Mittelpunkt des Planetensystems, um den sich
auch die Erde auf einer Kreisbahn bewegte. Aber seine Schrift fand damals nicht genügend Aufmerksamkeit und auch sein Modell erlaubte keine exakte Beschreibung der
Bewegungen am Himmel. Der Dominikaner-Mönch Giordano Bruno sah die Sterne
nicht an die Himmelskugel angeheftet, sondern als ferne Sonnen, um die sich ebenfalls
Planeten bewegen könnten. Er wurde am 17. Februar 1600 durch die Römische Inquisition auf dem Scheiterhaufen in Rom verbrannt, weil er seine Lehren nicht widerrufen
wollte.
Um diese Zeit bereitete sich in Prag Umwälzendes vor. Johannes Kepler aus Weil der
Stadt (bei Stuttgart) und später Klosterschüler in Maulbronn, wurde 1601 zum kaiserlichen Mathematiker am Hofe Rudolfs II. berufen. Er war damals gerade 30 Jahre alt und
folgte dem berühmten Astronomen Tycho Brahe nach dessen Tod in diesem Amt. Brahe
starb 1601 möglicherweise an den Folgen einer Vergiftung und zeitweise wurde auch
Kepler völlig unberechtigt als daran Beteiligter verdächtigt. Brahe hat sehr viel genaues,
mit dem bloßen Auge gewonnenes Beobachtungsmaterial hinterlassen, konnte seine
Daten aber nicht tiefschürfend auswerten. Kepler begann mit der mathematik-gestützten
Auswertung und machte dabei eine große Entdeckung: Die Planeten bewegen sich nicht
auf Kreisbahnen, sondern auf Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht.
Glücklicherweise hat Kepler zunächst den Mars bearbeitet, bei dem die Abweichung von
der Kreisbahn (Exzentrizität) sehr ausgeprägt ist. Er konnte auch noch ein zweites Ergebnis vorlegen: Die Planeten bewegen sich nicht mit gleichförmiger Geschwindigkeit auf
den elliptischen Bahnen, sondern so, dass die Verbindungslinie Planet – Sonne in gleichen
Zeiten gleiche Flächen überstreicht. Diese beiden heute als Erstes und Zweites Keplersches Gesetz bekannten Befunde sind Kernaussagen eines Buches, das Kepler zwischen
1602 und 1607 fertigstellte, immer wieder behindert durch Tycho Brahes Erben, die eine
Mitautorenschaft anstrebten.
Als Verleger seines bedeutenden Werks erwählte er Gotthard Vögelin mit der Rechtfertigung: „da ich keinen besser geeigneten Drucker kenne“. Vögelin war seit 1598 kurpfälzischer Hofbuchdrucker in Heidelberg. Sein Haus lag dicht bei der Universität, zwischen
Augustiner- und Heugasse (Abb. 8.1-1). Im ersten Stock des Hauses betrieb Vögelin die
Druckerei. Zu seinem umfangreichen Verlagsprogramm gehörten Hofliteratur für den
Kurfürsten, Schulbücher, theologische Schriften, und eben auch einige astronomische
Bücher.
Die Druckkosten für Keplers „Astronomia Nova“ wurden auf 800 Gulden geschätzt.
Kaiser Rudolf II. bewilligte Ende 1606 eine erste Rate von 400 Gulden. Kepler hatte aber
bereits Holzschnitte für sein Buch in Prag bestellt und konnte Vögelin nur einen Teil des
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Abb. 8.1-1: Die Heidelberger Altstadt im Ausschnitt aus der großen Stadtansicht von Matthäus
Merian aus dem Jahre 1620, Blick in Richtung Süden. Vögelins Druck- und Wohnhaus in der
Kirchgasse (auch Sapienz- oder Vögelingasse) zwischen Augustiner- und Heugasse ist nicht direkt zu
erkennen, da durch die großen Gebäude von Hofwagnerei, Herrenschmiede und Hengststall verdeckt
(linker Kreis). Durch den Bau der Jesuitenkirche ab dem Jahre 1711 veränderte sich das Stadtbild
in diesem Bereich. Auf einem gegenwärtigen Stadtplan liegt das ehemalige Vögelinsche Haus an der
Schulgasse, zwischen Jesuitenkirche und Marsiliusplatz. Der rechte Kreis bezeichnet den Ort von
früheren Universitäts-Sternwarten auf der Bursch, siehe Kapitel 8.2 (Universitäts-Archiv Heidelberg).
Geldes schicken. Ende 1607 hielt sich Kepler in Heidelberg auf, um mit ihm über die
Beschleunigung des Druckes zu verhandeln.
Kepler musste sich erneut an den Kaiser wenden, um die zweite Rate des Druckkostenzuschusses zu erbitten. Vögelin selbst wollte die Veröffentlichung fördern, indem er
einen Teil des Erbes seiner Ehefrau Magdalena dazu zu verwenden gedachte. Magdalenas
Vater hatte in Frankfurt am Main einen Besitz von 10 000 Gulden hinterlassen und
Vögelin stritt, zäh und mit Erfolg vor dem Frankfurter Stadtgericht gegen die Vormünder
277
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Abb. 8.1-2: Titelblatt
von Johannes Keplers
„Astronomia Nova“,
erschienen 1609 im
Vögelin-Verlag
Heidelberg. In diesem
Werk sind die ersten
beiden Keplerschen
Gesetze enthalten.
Einem Teil der Auflage
ist ein Bild von Kaiser
Rudolf II. vorangestellt, in einem anderen Teil am Ende das
Vögelinsche Foliosignet
enthalten (Archiv der
Kepler Kommission,
München).
seiner Frau wegen Veruntreuung des Erbes. Kepler reiste im Frühjahr 1609 erneut nach
Heidelberg, fand sein Werk weitgehend fertiggestellt, aber doch nicht mehr rechtzeitig
für die von ihm anschließend besuchte Fastenmesse in Frankfurt. Bei der Herbstmesse
1609 war sein Buch dann verfügbar. Kaiser Rudolf II. verbot jedoch den Verkauf, das
Buch sollte kostenlos an die Mathematiker im Reich verteilt werden. Kepler beachtete
diese Anordnung nicht, da ihm der Kaiser noch mehrere Jahresgehälter schuldete. Er ver-
278
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kaufte deshalb seinem Verleger alle Exemplare der „Astronomia Nova“, behielt für sich
selbst aber keines, „… denn um drei Gulden kann ich hier in Prag ein Exemplar kaufen“.
Mit diesem wohl bedeutendsten Werk aus dem Vögelinschen Verlag wurde die „Himmelstheologie“ durch die „Himmelsphysik“ abgelöst (Abb. 8.1-2). Ellipsen- statt Kreisbahnen für die Planeten, schnellerer Umlauf nahe der Sonne statt gleichförmiger
Geschwindigkeit, das war ein endgültiger Bruch mit der traditionellen Lehre. Zusammen
mit Galileis Beobachtungen durch sein Fernrohr begannen die beiden Männer im Jahre
1609 das alte Weltbild zum Einstürzen zu bringen.
8.2
Jacob Christmann und seine Fernrohre
Im Jahre 1608 hatte Hans Lipperhey aus Wesel am Niederrhein das Fernrohr erfunden.
Er lebte zu dieser Zeit als Brillenmacher in Middelburg in den Niederlanden. Während
in Deutschland Kleinstaaterei und Religionsfehden herrschten, erlebten die Niederlande
nach Siegen gegen die spanischen Besatzer einen starken wirtschaftlichen Aufschwung.
Die Generalstaaten in Den Haag gewährten Lipperhey das beantragte Patent für das
Fernrohr nicht, da ein Prioritätsstreit um die Erfindung begonnen hatte. Aber sie belohnten Lipperhey mit Geld (das zum Kauf dreier Häuser reichte) und weiteren Aufträgen.
Obwohl die Generalstaaten Lipperhey aufforderten, seine auch militärisch wichtige
Erfindung nicht zu verbreiten, gelangte die Kunde davon schnell durch Europa. In
Italien hörte im Sommer 1609 Galileo Galilei davon. Durch Probieren mit verschiedenen
Linsen aus gutem venezianischem Glas hat er das „holländische“ Fernrohr (Sammellinse
als Objektiv und Zerstreuungslinse als Okular) „nacherfunden“. Er war bei den Ersten,
die das Fernrohr ausgiebig für Beobachtungen am Nachthimmel eingesetzt haben. Und
er war der Schnellste beim Veröffentlichen der Entdeckungen. Bereits im März 1610
berichtete er in seiner in Venedig erschienenen Schrift „Sidereus Nuncius“ (Sternenbotschaft) von Ringgebirgen auf dem Mond und der Auflösung der Milchstraße in zahllose
Sterne. Die wichtigste Entdeckung war aber die der vier (inzwischen galileischen genannten) Monde, die den Jupiter umkreisen. Und noch im gleichen Jahr beobachtete er, dass
die Venus Phasen wie der Mond zeigt. Das alles passte nicht zum traditionellen Weltbild
und sollte ihm bald Ärger mit der katholischen Kirche einbringen.
Fast gleichzeitig wurden auch in Heidelberg die ersten Fernrohre gebaut. Jacob Christmann aus Johannisberg im Erzstift Mainz (Rheingau) war zu jener Zeit Professor für
Logik in Heidelberg. Er erhielt hier 1609 auf Vorschlag von Kurfürst Friedrich IV. die
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Abb. 8.2-1: Die beiden Schriften von Jacob Christmann, Professor an der Heidelberger Universität,
zur Theorie des Mondes und zum Gordischen Knoten aus den Jahren 1611 und 1612. Im Anhang
zur zweiten Schrift beschreibt er seine Fernrohre, die er als erster mit einem astronomischen Messinstrument verband, einem Jacobsstab und einem Sextanen. Gedruckt wurden die Werke ebenfalls
bei Vögelin in Heidelberg (Universität Tübingen).
erste europäische Professur für arabische Sprachen an der Universität. Zuvor hatte er an
der landgräflichen Sternwarte in Kassel gearbeitet. Angeregt durch die Übersetzung eines
Astronomie-Textes des Arabers Al-Fargani (ca. 840 n. Chr.) und seinen eigenen Arbeiten
zur Trigonometrie, begann er um 1611 mit dem Bau von kleinen Fernrohren zur Himmelsbeobachtung: bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1613 sollten es sechs Fernrohre
werden. Christmann benutzte seine schwach vergrößernden Fernrohre als Peil-Einrichtung auf Winkelmessgeräten, einem Sextanten und einem Jakobsstab. Offenbar konnte
er die Sterne oder Planeten, deren gegenseitigen Winkelabstand es zu messen galt, und
die Visiermarke auf seinem Messgerät gleichzeitig sehen. Auch Galilei hatte schon ein
Jahr vorher Winkelabstände am Himmel gemessen, nachdem er den Gesichtsfeld-Durchmesser seines „Telescop“ im Winkelmaß geeicht hatte. Damit konnte er gegenseitige
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Abstände himmlischer Objekte in Bruchteilen des Gesichtsfeld-Durchmessers angeben.
Diese Methode war natürlich auf sehr kleine Abstände beschränkt. Jacob Christmann in
Heidelberg gehörte somit zu den Ersten, die das Fernrohr mit einem astronomischen
Messinstrument verbanden: Das Fernrohr diente zur Peilung auf Sterne, die Messung
auch großer Winkelabstände erfolgte am Teilkreis oder der Stablänge seiner Instrumente.
Über seine Arbeiten berichtete Christmann in zwei in den Jahren 1611 und 1612 wiederum bei Gotthard Vögelin in Heidelberg erschienenen Schriften:
– „Theoria lunae ex novis hypothesibus et observationibus demonstrata.“ Heidelbergae
1611.
– „Nodus Gordius ex doctrina sinuum explicatus. Accedit appendix observationum,
quae per radium artificiosum habitae sunt circa Saturnum, Jovem, et lucidiores stellas
affixas.“1 Heidelbergae 1612.
Die Titelblätter dieser Veröffentlichungen zeigt die Abb. 8.2-1. Die optische Qualität
von Christmanns Fernrohren muss bescheiden gewesen sein. Er versuchte anfänglich mit
geringem Erfolg, einige von Galileis Beobachtungen zu wiederholen. Ebenfalls im Jahre
1612 beschrieb Kepler, der auch ein hervorragender Optiker war, in seiner „Dioptrice“
eine leistungsfähigere Bauart für ein Fernrohr, das aus zwei Sammellinsen besteht und
stärkere Vergrößerungen bei größeren Gesichtsfeldern ermöglicht. Es wurde als „keplersches“ oder „astronomisches“ bekannt.
Christmann war nicht der erste Astronom an der Heidelberger Universität. Die meisten
Mathematiker betrieben durch die Beschäftigung mit der Trigonometrie auch Himmelskunde. Bekanntheit haben zwei seiner Vorläufer erlangt: Maestlin und Otho. Michael
Maestlin aus Göppingen war an der Universität Tübingen Lehrer von Johannes Kepler
gewesen und hatte diesen in das heliozentrische Weltbild eingeführt. Maestlin wurde auf
Bitte des Kurfürsten Ludwig VI. vom Württembergischen Herzog auf zwei Jahre von
Tübingen an die Universität Heidelberg „ausgeliehen“, um hier 1580 die Professur für
Mathematik anzutreten. In dieser Zeit gab er einen „Abriß der Astronomie“ (Epitome
Astronomiae) heraus. Er bemerkte, dass der Komet von 1580 sich jenseits der Mondbahn
bewegte, entgegen der gültigen Lehrmeinung. Schließlich wandte er sich gegen die katholische gregorianische Kalenderreform, die sich später aber auch in den lutherischen Gebieten
durchsetzte. Maestlin musste auf Anforderung seines Landesherren 1583 an die Universität
Tübingen zurückkehren, trotz seiner Bemühungen in Heidelberg zu bleiben.
1
Der Gordische Knoten, erklärt durch die Lehre der Sinusse. Hinzu kommt ein Anhang von Beobachtungen, die mittels eines Kunstfertigen Jakobstabes (=Teleskop) bei dem Saturn, dem Jupiter und hellen Fixsternen erhalten worden sind.
281
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Abb. 8.2-2: Valentin Otho betrieb ab 1593 eine „Sternwarte“ in einem Universitätsgarten an der
Plöck neben der Peterskirche (Kreis). Seine Instrumente waren vor allem Quadranten zur Winkelmessung (das Fernrohr wurde erst 20 Jahre später erfunden). Diese Sternwarte hatte keinen guten
Standort, ist doch der wichtige Südhimmel bis zu einer Höhe von ~ 25° über dem Horizont vom
nahen Gaisberg verstellt. Diese Stadtansicht vom Fuße des Gaisberges mit Blickrichtung nach Norden
ist ein Stich von Matthäus Merian wahrscheinlich aus dem Jahre 1654 (Universitäts-Bibliothek
Heidelberg).
Valentin Otho aus Magdeburg kam 1587 von der Universität Wittenberg als Mathematiker und Magister Astronomiae nach Heidelberg. 1601 wurde er hier Professor für
Mathematik. In dem von ihm vollendeten trigonometrischen Handbuch „Opus Palatinum de Triangulis“ befasste er sich theoretisch mit Kugeldreiecken und betrieb anwendungsnah die erste „Sternwarte“ in Heidelberg. Sie befand sich in einem Gartenhaus in
der Plöck, dicht bei der Peterskirche (Abb. 8.2-2). Als wertvollste Ausstattung besaß sie
einen Quadranten aus Messing zur Winkelmessung an der Himmelskugel, den der Kurfürst finanziert hatte. Nach dem Tode von Otho im April 1603 bat die Universität den
Kurfürsten „etlichew instrumenta mathematica ... wie auch den missenen quadranten,
welche in dem garten ... zu grunde gehen müssen, ihr zur sternbeobachtung und zu
unterrichtszwecken zu überlassen“. Die Instrumente wurden daraufhin auf der Bursch
aufgebaut, einem Gebäude des damaligen Universitätszentrums zwischen Augustinerund Heugasse (Abb. 8.1-1), dicht neben diesem Ort wurde später die Jesuitenkirche
282
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gebaut. Nach dem Niedergang im Dreißigjährigen Krieg (die Universität war über zwanzig Jahre geschlossen), unternahm Kurfürst Karl Ludwig, ein auch in Mathematik an der
Leidener Hochschule ausgebildeter Mann, Anstrengungen, den wissenschaftlichen
Betrieb in Heidelberg wieder in Gang zu bringen. Anfangs sogar Rektor der Universität,
bestimmten seine Statuten im Jahre 1672: „Ferner soll auch die vor dem dreyßigjährigen
teutschen krieg alhier über der pursch gewesene specula mathematica wider zugerichtet
und mit nöthigen büchern und instrumentis astronomicis versehen, auch die observationes astronomicae denen studiosis angewiesen werden“. Diese dritte Heidelberger „Sternwarte“ hatte nur eine Lebensdauer von zehn Jahren: Am 31. Mai 1682 beschloss der Akademische Senat „die speculam mathematicam oben auff der bursch abzunehmen und
durch den maurer und zimmermann dass dach wider wohl zumachen zu laßen, damit
der Regen daselbst keinen ferneren schaden thun könne“. Die Instrumente sollten in das
Lazaretthaus der Universität gebracht werden; ob sie dort weiter für astronomische Beobachtungen benutzt worden sind, war nicht in Erfahrung zu bringen. Eine Übersicht über
die Heidelberger Universitäts-Sternwarten in den drei Jahrhunderten vor der Errichtung
der Landessternwarte auf dem Königstuhl gibt die Tabelle 8.2.1.
Tabelle 8.2.1: Frühere Sternwarten der Universität im Stadtgebiet von Heidelberg (siehe dazu auch
Abb. 8.2-2, 8.1-1 und 8.5-6)
Jahr
Ort
Beobachter / Zweck
1593 – 1603
Garten-Haus in der Plöck, neben
Peterskirche
Valentin Otho,
Mathematik-Professor
1603 – 30-jähriger
Krieg
Auf der Bursch, altes UniversitätsZentrum,
Augustiner-/Heugasse
Specula Mathematica,
Unterrichtszwecke
1672 – 1682
Auf der Bursch,
Wiedererrichtung nach dem
30-jährigen Krieg
Specula Mathematica,
Unterrichtszwecke
1818 – ca.1840
Auf dem Dominikaner-Kloster,
Hauptstraße/
Brunnengasse
Astronomisches und
Meteorologisches
Observatorium,
Georg Wilhelm Muncke,
Physik-Professor
283
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8.3
Die Sternwarten in Schwetzingen und Mannheim (ab 1764)
Während in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Frankreich und England durch die Gründung königlicher Sternwarten eine Blütezeit der Astronomie begann, lag Deutschland
durch den Dreißigjährigen Krieg wirtschaftlich am Boden. 1622 wurde Heidelberg von
der katholischen Liga unter dem niederländischen Feldherrn Tilly besetzt. Dabei wurde
die wertvolle Bibliotheca Palatina aus der Heiliggeistkirche geraubt und dem Papst
Gregor XV. geschenkt. Weitere Erbfolgekriege, bei denen 1689 französische Truppen das
Heidelberger Schloss zerstörten, und Auseinandersetzungen der deutschen Staaten untereinander hatten unser Land zusätzlich geschwächt. Erst mit dem Ende des Siebenjährigen
Krieges im Jahre 1763 und der folgenden Friedenszeit begannen sich auch in Deutschland
die Wissenschaften stürmisch weiterzuentwickeln.
Es ist die Zeit, in die die fernsten Wurzeln des Max-Planck-Instituts für Astronomie reichen: die Gründung der Mannheimer Sternwarte, die schließlich als Badische Landessternwarte auf den Heidelberger Königstuhl verlegt wurde und aus der heraus sich das
MPI für Astronomie entwickelte. Begonnen hat es im Jahre 1752, als der den Künsten
und Wissenschaften zugeneigte Kurfürst Carl Theodor auf Empfehlung seines jesuitischen
Beichtvaters Franz Seedorf einen Lehrstuhl für experimentelle Physik an der Universität
Heidelberg schuf. Berufen wurde der aus Mederitz in Mähren stammende Christian
Mayer (geboren 1719), den der Jesuitenorden im Jahr zuvor als Professor für Philosophie
nach Heidelberg entsandt hatte. Mayer gestaltete im alten Universitätsgebäude ein Physikalisches Kabinett, in dem vom Kurfürsten geschenkte Apparate wie Mikroskop, Sonnenuhr und Elektrisiermaschine vorgeführt wurden. Er gab Vorlesungen über Physik,
Mathematik und Astronomie. 1757 wurde Mayer vom Kurfürsten auf eine Reise in das
fortschrittliche Paris geschickt, um mehr über Wasserbau und Astronomie zu lernen.
Praktische Ziele waren einerseits die Planung einer Wasserversorgung für Mannheim
und andererseits die Vermessung der Kurpfalz, hatten doch französischen Astronomen
und Geodäten bei Expeditionen zum Äquator und in den polaren Regionen bereits die
Gestalt der Erde vermessen. Diese Dienstreise hat Mayer noch mehr für die Astronomie
begeistert, und mit kurfürstlicher Unterstützung konnte er in Paris Instrumente für die
Beobachtung des Venus-Transits vor der Sonnenscheibe im Jahre 1761 kaufen. Dieses
Himmelsereignis wurde im Schwetzinger Schlossgarten in Anwesenheit des Kurfürsten
beobachtet, weltweit an über 100 Stationen, zwischen denen reger wissenschaftlicher
Austausch einsetzte. 1762 wurde Mayer zum Hofastronomen und Professor für Astronomie an der Heidelberger Universität ernannt. Sein wissenschaftlicher Ruf war inzwischen so groß, dass er 1769 von der Zarin Katharina der Großen zur Beobachtung des
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Abb. 8.3-1: Auf dem Dach des Schwetzinger Schlosses ist noch heute die Plattform von Christian
Mayers erster Sternwarte von 1764 zu erkennen (hinter der Uhr). Die ursprünglich dort vorhandene
3-Meter-Kuppel wurde später zur Mannheimer Sternwarte gebracht. Vom Schloss aus erstreckt sich
die Kurpfälzer Grundlinie in Richtung Königstuhl, der im Hintergrund erkennbar ist (Uwe Reichert).
Venus-Transits nach St. Petersburg eingeladen wurde. Dabei bestimmte Mayer mit anderen Astronomen aus Europa den Abstand zur Sonne.
Zur Vermessung der Kurpfalz nutzte Mayer die unter Kurfürst Carl Phillip gebaute
schnurgerade Straße, die von Heidelberg durch die Mitte des Schwetzinger Schlossparks
bis Ketsch am Rhein führte. Diese Straße (Kurpfälzer Grundlinie, siehe Kap. 10.8) ist
von der Bergbahnstation Königstuhl aus heute noch gut zu erkennen. An die genau vermessene über 12 km lange Basislinie wurde dann durch Winkelmessungen ein Netz von
Dreiecken über die Kurpfalz gelegt, deren Seitenlängen einfach berechnet werden konnten. Diese Triangulation bildete die Grundlage für die Erstellung von Landkarten. Im
Zusammenhang damit entstand 1764 auf dem Dach des Schwetzinger Schlosses eine
erste kleine kurfürstliche Sternwarte (Abb. 8.3-1), mit der auch die genaue Nord-SüdRichtung für die Landesvermessung bestimmt wurde (siehe auch Abb. 10.15-1).
285
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8.4
Christian Mayers erfolgreiche Denkschrift von 1771
Bei weiteren Auslandsreisen nach England, den Niederlanden und Russland hat Mayer
zahlreiche Sternwarten besucht und ihre instrumentelle Ausstattung studiert. Seinen
dadurch verstärkten Wunsch, auch in der Kurpfalz eine große Sternwarte zu errichten,
legte er am 31. Dezember 1771 „dem durchlauchtigen Kurfürsten und Herrn, Herrn
Karl Theodor Pfalzgrafen bey Rhein, des Heiligen Römischen Reiches Erz-Schatz Minister und Kurfürsten in Bayern, zu Jülich, Kleve und Berg Hertzog, Fürst zu Mörß …“
dar. In dieser 39 Seiten starken Denkschrift beklagte Mayer die räumliche Enge der provisorischen Schwetzinger Sternwarte, setzte sich kritisch mit den besichtigten Sternwarten
in Europa auseinander und entwarf, belegt durch beigefügte Zeichnungen, eine moderne
Turm-Sternwarte für die Kurpfalz. Obwohl ihm an „der ältesten unter allen hohen Schulen Deutschlands, jener weltberühmten Universität Heidelberg ... der neuerrichtete
mathematische Lehrstuhl ... anvertraut“ worden war, wollte er die neue Sternwarte nicht
dort, sondern lieber dicht bei Hofe in Mannheim errichten lassen. Und er schmeichelte
und überzeugte seinen Kurfürsten: „Ohne zweifel haben deswegen andere ausländische
Regenten die Hofstädte erwählet, weil sie die Ausübung der Astronomie ansahen als eine
zur Polizey und Ordnung ihrer Völker nöthiges Stück: die tägliche und jährliche genaue
Zeitrechnung, die Berichtigung der Uhren, die Grundlage einer genauen Landkarte, die
Bestimmung eines unveränderlichen Meridian, der Briefwechsel mit auswendigen
Gelehrten und Herbeiziehung derselben, die Aufklärung inheimischer Jugend, die Hoffnung neuer Entdeckung zur besseren Bestimmung des Himmelslauf, der daraus groß
erwachsende Einfluß in die ganze Naturlehre, zum besten des bürgerlichen Lebens und
Aufnahme der Schifffahrt, der hieraus folgende unsterbliche Name eines Regenten waren
wohl die Absichten solcher großen Fürsten, und Mannheim allein, dessen Schönheiten
alljährlich so viel Fremde bewundern, sollte den kurpfälzischen Landen diese Vorteile
nicht bringen?“
Im Gegensatz zu der 190 Jahre später geschriebenen Denkschrift zur Lage der Astronomie
in Deutschland, von der im Kapitel 2.2 berichtet wurde, war Mayers Denkschrift ein klarer Handlungsvorschlag an den richtigen Adressaten: alle Einzelheiten durchdacht, die
Kosten und der Zeitplan geschätzt und der Leiter des Unternehmens empfohlen – nämlich sich selbst. Mayer war damals 52 Jahre alt und fühlte sich der Aufgabe von seinen
„Leibeskräften“ her gewachsen, da er bei Nichtverfügbarkeit von Pferden ausprobiert
habe, dass er „auch im Winter von Heidelberg abends nach Schwetzingen zu Fuße gehen
kann [~ 12 km] und ohne Müdigkeit die nächtlichen Beobachtungen machen kann“.
Wenige Monate nach Erhalt der Denkschrift bewilligte der Kurfürst den Bau und sagte
286
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Abb. 8.4-1: Ansicht der Mannheimer Sternwarte nach Wilhelm von Traitteur 1791. Links die
Westfassade mit dem Anbau für den Mauerquadranten. Rechts der Blick von Norden, im ersten
Stockwerk der große Beobachtungssaal (Landesmuseum für Technik und Arbeit, Kai Budde).
die Beteiligung an den Baukosten zu. Ein weiterer Kostenanteil musste von den Jesuiten
getragen werden, die dafür den Leiter der Sternwarte ernennen durften.
Der Bau der Sternwarte, zwischen kurfürstlichem Schloss und Jesuitenkirche, wurde
damals begleitet von Umständen, die uns auch heute noch vertraut sind: Streit um Bauausführung mit den Architekten, Verzögerungen, starke Kostensteigerungen, Ausfall
eines Geldgebers (durch die päpstliche Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1773).
Ab 1775 konnte dann Mayer dennoch in seine kirchturmähnlich gestaltete Sternwarte
einziehen (Abb. 8.4-1). Schnell wurde sie zu einem Besuchermagneten in der Residenzstadt Mannheim. Interesse an wissenschaftlichen Fragen im Zeitalter der Aufklärung, die
zahlreichen modernen Instrumente und die hervorragende Aussicht von der Plattform
287
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:17 Seite 288
lockten auch durchreisende Gäste an. Das weisen die Eintragungen im heute noch auf
dem Königstuhl aufbewahrten Gästebuch nach: Kapellmeister Mozart, der künftige
amerikanische Präsident Jefferson, der Physiker Volta, der Verleger Cotta, die Astronomen Heinrich Olbers und Franz Xaver von Zach.
Mayers Beobachtungen waren einerseits unserem Planetensystem mit seinen Monden
und Finsternissen gewidmet, andererseits dem Fixsternhimmel und hier insbesondere
den Doppelsternen. Mit den aus England bezogenen und vom Kurfürsten bezahlten Präzisions-Instrumenten, einem Mauerquadranten und einer Kompensations-Pendeluhr,
konnte er kleine Veränderungen in den gegenseitigen Stellungen von Doppelsternen
wahrnehmen. Der von ihm eingeführte Begriff der „Fixstern-Trabanten“ ging allerdings
schon damals einigen Astronomen zu weit, deutete er doch an, dass einer der Partner ein
Planet sein könnte. Mayer katalogisierte über 100 Doppelstern-Paare und ihre in mehreren Fällen messbaren Eigenbewegungen. Diese Pionierarbeit wurde von berühmten
späteren Astronomen, wie Wilhelm Herschel und Wilhelm v. Struve, sehr gewürdigt.
Daneben trieb er die Landesvermessung voran und schuf die „Kleine Kurpfalz-Karte“,
die mehrteilige „Große“ wurde bis zu seinem Tode nur teilweise fertig gestellt. Mayers
Verbindungen zu Astronomen in ganz Europa erlaubten es der neuen Meteorologischen
Gesellschaft der Kurpfalz, der Mayer auch angehörte, ein europaweites Wetterbeobachtungsnetz mit gleichartigen Messinstrumenten und Ablesungen zur gleichen („Mannheimer“) Zeit aufzubauen. Das wurde Vorbild für das fast 100 Jahre später in Wien
gegründete Internationale Wetternetz. Der Astronom Mayer war auch mehrfach Rektor
der Universität Heidelberg und Dekan der Philosophischen Fakultät. Als dieser vielseitige
Wissenschaftler und unermüdliche Wissenschafts-Organisator 1783 im Alter von 63 Jahren starb, war die erste Blütezeit der Astronomie in der Kurpfalz zu Ende (Abb. 8.4-2).
Ein nach ihm benannter Mondkrater im „Meer der Kälte“ hat ihn am Himmel verewigt.
Einige Berufungen zu Hofastronomen in der Nachfolge Mayers verliefen weniger glücklich. Einer fiel durch Frauengeschichten auf, was zur Strafversetzung führte. Ein weiterer
eignete sich eine Präzisionsuhr an, andere vernachlässigten das Instrumentarium. Wissenschaftlich wurde nichts Wichtiges geleistet, neue Breiten- und Längenbestimmungen
der Sternwarte und der Versuch, neue Sternbilder zu benennen, sind überliefert. Die Zeiten waren schwieriger geworden: Kurfürst Carl Theodor, der der Kurpfalz eine kulturelle
Blütezeit beschert hatte, erbte nach dem Aussterben der Wittelsbacher das Kurfürstentum
Bayern und siedelte 1777 nach München über. Dort starb er 1799, und im gleichen Jahr
beschoss und besetzte die französische Armee Mannheim.
Mit dem Übergang der Kurpfalz in das Großherzogtum Baden wurde die Sternwarte im
Jahre 1803 zur „Großherzoglichen Sternwarte“. Aber ihre Arbeit an Fixsternkatalogen
288
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Abb. 8.4-2: Gedenkmedaille auf Christian
Mayer, den ersten Direktor der Mannheimer
Sternwarte. Sie zeigt das einzige erhaltene Bild
des berühmten Astronomen. Der Text auf der
Rückseite lautet in deutscher Übersetzung:
„Unter der Schirmherrschaft Gottes und Carl
Theodors, Kurfürst von Pfalz-Bayern, entdeckt
er am Sternhimmel 1777 in Mannheim neue
Phänomene, die höchst geeignet sind, die eigene
Bewegung der Fixsterne, ihre Parallaxen sowie
neue Planeten und Satelliten zu finden.“
Mayer starb am 16. April 1783 im Alter von
63 Jahren (Landesmuseum für Technik und
Arbeit, Kai Budde).
mäßiger Genauigkeit war nicht auf der Höhe der Zeit. Andernorts hatte Giuseppe Piazzi
1801 den ersten Kleinplaneten entdeckt, den er Ceres nannte. Die Suche nach weiteren
Planetoiden wurde zu einem spannenden Forschungsthema, auch für die deutschen
Astronomen. Heinrich Olbers entdeckte „Pallas“ und „Vesta“, Carl Friedrich Gauß lieferte die mathematischen Methoden zur Bahnberechnung.
Eine letzte fruchtbare Zeit gab es in Mannheim mit dem aus Hildburghausen stammenden Eduard Schönfeld in den Jahren 1859 bis 1875. Aus seinen Beobachtungen ging ein
Katalog von 1500 Nebelflecken und Sternhaufen hervor. Er arbeitete darüber hinaus mit
seinem akademischen Lehrer und späteren Schwiegervater Friedrich Wilhelm Argelander
in Bonn eng zusammen. Nach dessen Tod setzte er als sein Nachfolger dessen Werke als
„Südliche Bonner Durchmusterung“ mit über 133 000 Sternen fort. Schönfeld trug mit
seinen vielfältigen wissenschaftlichen Auswärtskontakten dazu bei, dass im Jahre 1863
die heute noch tätige „Astronomische Gesellschaft“ in Heidelberg gegründet wurde. Ihr
Ziel war die Koordination der Forschungsarbeit unter den deutschsprachigen Astronomen. Zu den 26 damals in Heidelberg versammelten Gründungs-Mitgliedern gehörten
bekannte Astronomen: Friedrich Wilhelm Argelander, Wilhelm Foerster, Eduard Schönfeld,
Otto und Wilhelm Struve, Julius Zech, Karl Friedrich Zöllner.
289
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8.5
Spektralanalyse der Gestirne – Gustav Kirchhoff und
Robert Bunsen
Während an der Mannheimer Sternwarte klassische Positions-Astronomie betrieben
wurde, gelangen Mitte des 19. Jahrhunderts an der Heidelberger Universität Entdeckungen, die zu einem neuen und wissenschaftlich sehr fruchtbaren Zweig führen sollten: der
Astrophysik. Der aus Göttingen stammende Chemiker Robert Bunsen hatte während
seiner Professur in Breslau den 13 Jahre jüngeren Gustav Kirchhoff aus Königsberg
schätzen gelernt, der im Alter von 26 Jahren dort seine erste Physik-Professur begonnen
Abb. 8.5-1: Gustav
Kirchhoff und Robert
Bunsen verbanden in
Heidelberg gemeinsame wissenschaftliche
Interessen an der Spektroskopie und eine
lange Männerfreundschaft (Universitätsarchiv Heidelberg).
290
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hatte. Bunsen folgte 1851 einem Ruf nach Heidelberg und erreichte 1854 die Berufung
Kirchhoffs auf den durch Philipp von Jollys Berufung nach München freigewordenen
Heidelberger Physik-Lehrstuhl. Diese Männerfreundschaft war auch wissenschaftlich
sehr ergiebig (Abb. 8.5-1). Beide arbeiteten mit Spektroskopen, zerlegten also das Licht
von Flammen und Funken mit Prismen-Apparaten. Sie versuchten aus den dunklen oder
hellen Linien im bunten Spektrum Aussagen über die Stoffe in Flamme oder Funken zu
gewinnen. Die Methode war nicht neu, sie war schon in England und Holland angewandt
worden, aber gesicherte Aussagen zu den leuchtenden oder absorbierenden Stoffen waren
bis dahin nicht möglich. Ein Grund dafür war, dass fast alle verwendeten Proben nicht rein
waren und ihre Spektren deshalb auch viele Linien der darin enthaltenen Verunreinigungen zeigten. Joseph Fraunhofers Spektrum der Sonne vom Anfang des 19. Jahrhunderts
zeigte fast 600 dunkle Linien, ihre Entstehung konnte damals nicht erklärt werden.
Im Herbst 1859 versuchten Bunsen und Kirchhoff mit einem selbstgebauten Spektrometer eine seit einigen Jahren bestehende Vermutung zu klären. Danach sollte die dunkle
D-Linie in Fraunhofers Sonnenspektrum bei genau der gleichen Wellenlänge erscheinen,
wie die helle gelbe Linie in der natriumgefärbten Flamme des Bunsenbrenners. Dazu
wurde das Sonnenlicht durch die Flamme geleitet und die Überlagerung beider Spektren
Abb. 8.5-2: Kirchhoffs
Spektralapparat zur
Analyse des Sonnenspektrums, konstruiert
von Carl August von
Steinheil, München
(Universitätsarchiv
Heidelberg).
291
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beobachtet. Die Übereinstimmung war perfekt. Und es gab eine große Überraschung:
mit steigender Helligkeit des Sonnenlichtes wandelte sich die helle Linie der Flamme in
eine dunkle Absorptionslinie um, eine künstliche Fraunhofer-Linie. Weitere Untersuchungen auch an anderen Linien ließen für Kirchhoff nur einen Schluss zu: die Sonne
muss heißer sein als die Flamme, um eine Absorptionslinie erzeugen zu können. Daraus
folgte für das Sonnenspektrum, dass die dunklen Fraunhofer-Linien in der kühleren
Außenschicht der Sonne entstehen und dass dort auch Natrium vorhanden sein muss.
Diese „Umkehr der Flammenspectren“ führte Kirchhoff zu seinem berühmten Strahlungsgesetz, nach dem das Verhältnis von Absorptions- zu Emissions-Vermögen für alle
Körper gleich ist und nur von der Temperatur und der Wellenlänge abhängt. Er begann
mit einem 4-Prismen-Spektrometer (Abb. 8.5-2), das das Sonnenspektrum besonders
weit auseinander zieht (hoch auflöst), systematisch alle Linien aufzuzeichnen und mit
den Funkenspektren bekannter Stoffe aus dem Labor zu vergleichen (Abb. 8.5-3). Hier
setzt der bedeutende Beitrag Bunsens ein: Er hat als hervorragender analytischer Chemiker
sehr reine Proben verschiedener Elemente herstellen und sie spektroskopisch charakteri-
Abb. 8.5-3: Ausschnitt aus dem von Kirchhoff in Heidelberg gezeichneten Sonnenspektrum. Es sind
Linien der Elemente Nickel, Eisen Calcium, Barium u.a. zu erkennen (Gustav Kirchhoff ).
292
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:17 Seite 293
Abb. 8.5-4: Rückseite
des „Hauses zum
Riesen“ in der Heidelberger Hauptstraße.
Aus einem Fenster im
obersten Stockwerk
wurden die berühmten
spektroskopischen
Beobachtungen der
Sonne gemacht
(Lemke).
sieren können. Er erfand dafür den „Bunsenbrenner“, der dank des damals in Heidelberg
bereits verfügbaren Leuchtgases aus Steinkohle eine farblose Flamme lieferte.
Das besondere Interesse Kirchhoffs galt dem Eisen, waren doch Eisenmeteoriten bisher
die einzige gesicherte Kunde über die Chemie des Weltalls. Der Vergleich von 60 Eisenlinien aus den Funkenspektren im Labor mit denen im Sonnenspektrum zeigte völlige
Übereinstimmung, und Kirchhoff berechnete die Wahrscheinlichkeit, „dass dies ein
293
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Werk des Zufalls sei“, als kleiner als 10-18. Im Sonnenspektrum wurden neben Natrium
und Eisen auch Calcium, Magnesium, Nickel, Barium, Kupfer und Zink gefunden, alles
Elemente, die auch auf der Erde vorkommen. Nicht nachgewiesen wurden damals Fraunhofersche Linien für Gold, Silber, Blei und mehrere andere Elemente, deren Funkenspektren gut bekannt waren. Kirchhoff klärte neben der chemischen Beschaffenheit der
Sonne auch ihre physikalische auf: ein glühender Zentralkörper mit einer etwas kühleren
Atmosphäre, in der die Fraunhoferschen Linien entstehen, und noch kühleren Wolken,
den Sonnenflecken. Zu jener Zeit glaubten einige bekannte Astronomen andernorts noch,
dass die Sonnenflecken Löcher in der leuchtenden Atmosphäre der Sonne seien, durch
die hindurch man den dunklen Sonnenkörper sehen könnte.
Die Sonnen-Beobachtungen wurden aus einem Fenster auf der Rückseite des „Hauses
zum Riesen“ in der Heidelberger Hauptstraße (Abb. 8.5-4) durchgeführt, „ein sehr
Abb. 8.5-5: Der Friedrichsbau in der Heidelberger Hauptstraße entstand 1863 anstelle des abgerissenen Dominikanerklosters mit seiner kleinen Dachsternwarte (Abb. 8.5-6). Auch auf dem neuen
Gebäude sollte nach Kirchhoffs Wunsch ein Observatorium entstehen, der Plan wurde aber nicht
umgesetzt. Vor dem Friedrichsbau steht das Bunsen-Denkmal, hinter der großen Eingangstüre ist im
Treppenhaus die Gedenktafel an Lorand Eötvös (siehe Kapitel 10.1) angebracht (Lemke).
294
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unzweckmäßiges Lokal, weil die Sonne aus ihm verschwand, wenn sie dem Horizont
nahe kam.“ Deshalb konnte von dort aus der Einfluss der Erdatmosphäre auf die Spektren
nur unvollständig untersucht werden. Auf der zur Hauptstraße gerichteten Vorderseite
dieses zu den alten naturwissenschaftlichen Instituten gehörenden Hauses erinnert eine
Gedenktafel an die Geburtsstunde der Astrophysik: die Anwendung der Spektralanalyse
auf „Sonne und Gestirne“ (Abb.10.1-2). Der Text auf dieser Tafel stammt von dem Physiker Philipp Lenard, er ist nicht ganz korrekt. Kirchhoff hatte nur die Sonne als nahen
Stern spektroskopisch analysiert. Zwar hat er mehrfach die Anwendung der Methode auf
hellere Fixsterne empfohlen, aber dafür fehlten ihm damals in Heidelberg geeignete
Fernrohre. An seine bahnbrechende Idee wurde aber andernorts schnell angeknüpft. Als
zeitgleich mit seinen Untersuchungen an der Heidelberger Universität ein Neubau für
die Naturwissenschaften auf dem Gelände des Dominikanerklosters geplant wurde,
wünschte Kirchhoff auf dem Dach einen Beobachtungs-Pavillon zu errichten. Dem
Architekten des neuen „Friedrichsbau“ (gegenüber dem Haus zum Riesen, Abb. 8.5-5)
gefiel die Idee des Aufbaus nicht. 1862 erfuhr Kirchhoff von ersten Versuchen zur Spektralanalyse des Sternlichtes in England und er gab daraufhin den Plan für den Beobachtungsturm über dem neuen Institut auf. Interessanterweise hatte es an diesem Ort bereits
vorher eine „Sternwarte“ gegeben. Als der Physik-Professor Georg Wilhelm Muncke 1818
Abb. 8.5-6: Eine vierte Sternwarte der Universität wurde 1818 beim Umzug des Physikalischen
Instituts der Universität in das Dominikanerkloster eingerichtet. Nach dem Abriss des Klosters entstanden an diesem Ort die Anatomie und der Friedrichsbau für die Physik (1863), vor dem heute
das Bunsen-Denkmal in der Hauptsraße steht (Stadtplan Heidelberg 1830, Verlag der neuen Akademischen Buchhandlung Karl Groos in Heidelberg).
295
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mit den physikalischen Sammlungen in das Dominikanerkloster umzog, wurde dort ein
Observatorium für astronomische und meteorologische Beobachtungen errichtet (Abb.
8.5-6). Das Dominikanerkloster wurde zwei Jahrzehnte später abgerissen und an seiner
Stelle entstanden 1844 die Anatomie und 1863 mit dem Friedrichsbau der sechste Standort der Heidelberger Physik in Folge.
Das berühmte Heidelberger „Dreigestirn“ (Bunsen, Helmholtz, Kirchhoff ) zog viele begabte Studenten an die hiesige Universität. Unter ihnen war Otto von Littrow, Sohn des
Direktors der Wiener Sternwarte und Enkel des bekannten vorangegangenen Direktors
(„Wunder des Himmels“). Er studierte bei Kirchhoff und Helmholtz. Da ihm die vielen
Prismen in den Spektralapparaten nicht gefielen, ersann er eine später nach ihm benannte
Anordnung, bei der ein Umlenkspiegel das Licht zweimal durch die Prismen schickt.
Kurz vor der Rückreise nach Heidelberg von einem Ferienaufenthalt in Wien im Herbst
1864 starb er dort, vermutlich an Typhus, im Alter von nur 21 Jahren.
Die hohe Empfindlichkeit der neuen Spektralanalyse ermöglichte es Kirchhoff und Bunsen,
in ihrem Heidelberger Labor zwei neue Elemente zu entdecken. Durch Eindampfen und
Aufbereiten von 44000 kg Mineralwasser der Maxquelle aus dem benachbarten Dürkheim entdeckten sie das Element Cäsium. Aus der Aufarbeitung von 150 kg Sächsischem
Lepidolit (eines Glimmer-Minerals) konnten sie ein weiteres Element entdecken: das
Rubidium. Beide Elemente erhielten ihren Namen nach den farbigen Linien in den Entdeckungsspektren (Himmelsblau bzw. Dunkelrot). Zu jener Zeit waren erst 60 der 92
natürlich vorkommenden Elemente bekannt und es sollten noch weitere Entdeckungen
mit der spektroskopischen Methode folgen.
Kirchhoffs Entdeckungen an der Sonne wurden weltweit aufgegriffen, und die Spektroskopie brachte in den folgenden Jahrzehnten tiefe Einsichten in die Physik der Sterne.
Nach der Neugründung des Deutschen Reiches veranlasste der Kronprinz und spätere
Kaiser Friedrich den Direktor der Berliner Sternwarte, Wilhelm Foerster, mit der Planung
eines Observatoriums für spektroskopische Untersuchungen an Himmelskörpern zu
beginnen. Dieser Schritt führte 1874 zur Gründung des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, der weltweit ersten derartigen Einrichtung. Kirchhoff, „der Schöpfer der
modernen Sonnenphysik und Astrophysik“2 , sollte schon 1873 dorthin als Direktor
berufen werden. Diese Berufung nahm er nicht an, da er seit seinen Entdeckungen um
1861 der Spektroskopie ferngeblieben sei und er sich in Zukunft in Heidelberg der Herausgabe der Vorlesungen über mathematische Physik widmen wolle. Sein Bleiben an der
2
Der Begriff „Astrophysik“ wurde von Karl Friedrich Zöllner geprägt, der 1872 Professor für physikalische
Astronomie an der Universität Leipzig wurde.
296
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Abb. 8.5-7 Das Original des Kirchhoffschen Spektrometers befindet sich heute in einer Ausstellungsvitrine im Kuppelsaal des „Großen Refraktors“ im Astrophysikalischen Institut auf dem Telegraphenberg in Potsdam. Das Instrument wurde im Jahre 1893 auf der Weltausstellung in Chicago gezeigt
und überstand mit einigen Schäden einen Bombenangriff auf Potsdam im Jahre 1944 (AIP Potsdam).
297
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Universität Heidelberg wurde ihm von der Badischen Regierung durch eine bedeutende
Gehaltssteigerung gedankt. Bereits ein Jahr später erhielt Kirchhoff den Ruf, als Ordentliches Mitglied an die Preußische Akademie der Wissenschaften nach Berlin zu kommen,
verbunden mit einer weiteren Berufung als Ordentlicher Professor an die Berliner Universität. Dieser ehrenvollen Berufung folgte er. Auch das im Aufbau befindliche Astrophysikalische Observatorium brauchte seinen Rat. Kirchhoff wurde Mitglied einer
Dreier-Kommission, der die „Direktion des Astrophysikalischen Observatoriums zu
Potsdam“ in der Aufbauphase übertragen wurde. Diese Kommission schlug 1882 Hermann
Carl Vogel als ersten Direktor vor, der mit seinen spektroskopischen Radialgeschwindigkeits-Messungen zum frühen Ruhme des neuen Institutes beitrug. Kirchhoffs großes
Spektrometer war damals bereits von Heidelberg nach Potsdam gebracht worden. Es
wurde im Rahmen der Deutschen Unterrichts-Ausstellung auf der Weltausstellung 1893
in Chicago gezeigt. Heute kann das Original („der große Kirchhoff“) in einem Glasschrank im Kuppelsaal des wiederhergestellten Großen Refraktors auf dem Potsdamer
Telegraphenberg bewundert werden (Abb. 8.5-7).
Kirchhoffs Heidelberger Forschungen hatten zum Verständnis des Aufbaus der Sonne
geführt, zu seinem berühmten Strahlungsgesetz und zum Konzept des „Schwarzen Körpers“, der alle Strahlung absorbiert und damit das größte Emissionsvermögen für thermische Strahlung hat. Viele bekannte Physiker haben gegen Ende des 19. Jahrhunderts
versucht, die Ausstrahlung eines solchen Schwarzen Körpers in Abhängigkeit von der
Wellenlänge und der Temperatur theoretisch zu berechnen. Erst Max Planck, einem
Studenten Kirchhoffs in Berlin des Jahres 1877, ist das im Jahre 1900 mit seiner ganz
neuartigen Idee zur Quantelung der Energie gelungen. Heute wird mindestens ein Drittel
unseres Sozialproduktes durch Anwendungen der Quantentheorie erzeugt, beispielsweise
in opto-elektronischen Geräten. Eine der fernen Quellen, aus denen sich der Strom der
Erkenntnis speiste, wurde von Kirchhoff und Bunsen in Heidelberg mit astrophysikalischen Messungen aufgetan.
8.6
Die Landessternwarte Heidelberg
Im Jahre 1880 entschloss sich die Badische Regierung, die Mannheimer Sternwarte aufzugeben, anstatt umfangreiche Instandsetzungen an der inzwischen über 100 Jahre alten
Einrichtung vorzunehmen. Ein Ausbau mit großen Teleskopen, wie damals weltweit im
Gange, kam wegen der räumlichen Enge im Turm nicht in Frage. Zusätzlich wurde die
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Luft durch die Industrialisierung Mannheims immer „schauderhafter“. Der letzte Leiter
der Sternwarte, Karl Valentiner, zog auf Wunsch der Großherzoglichen Regierung mit
seinen Instrumenten nach Karlsruhe, wo er bereits Professor an der Polytechnischen
Hochschule war. Die verlegte Sternwarte wurde in einer gänzlich unbeheizbaren Baracke
(im heutigen Nymphengarten) untergebracht. Obwohl die Mitarbeiter in den folgenden
Jahren reihenweise erkrankten, wurde am Provisorium kaum nachgebessert. Ziel war
damals der Neubau einer Badischen Landssternwarte in Karlsruhe oder in Heidelberg.
Großherzog Friedrich I. hatte starkes Interesse an der Errichtung einer solchen Sternwarte
in seinem Lande, beobachtete er doch selbst mit einem Fernrohr auf der Insel Mainau.
In Heidelberg hatte inzwischen ein junger Astronom mit einer fortschrittlichen Privatsternwarte auf sich aufmerksam gemacht: Max Wolf, der später öfters Gast des Großherzogs auf Mainau war.
8.6.1 Max Wolf – Stammvater der Heidelberger Astronomie
Die Entscheidung für Heidelberg war eine Entscheidung für Max Wolf, der an der hiesigen Universität seit dem Jahre 1890 Vorlesungen zur Astronomie hielt. Sein Vater, ein
praktischer Arzt, hatte das Interesse des Knaben am Beobachten des Himmels früh gefördert. Der Berufswunsch seines Sohnes stand bald fest: „Etwas anderes als Astronom kann
man eigentlich nicht werden, höchstens noch Physiker“. Dem Studenten der Physik und
Mathematik wurde eine Privatsternwarte auf dem Elternhaus in der Märzgasse 16 eingerichtet (Abb. 8.6-1). Hier entdeckte er im Alter von 21 Jahren den nach ihm benannten
periodischen Kometen. Zusätzlich wurde er durch viele Himmelsaufnahmen mit der
damals neuen Photographie und durch die Verwendung kurzbrennweitiger PortraitObjektive bekannt. Seine Reise von 1893 zum Weltkongress der Astronomen in Chicago
wurde vom Badischen Großherzog gefördert. Dort gelang es ihm, eine an der Astronomie
interessierte Stifterin, Catherine W. Bruce, zu finden. Obwohl sie sich nicht trafen und
der Austausch nur brieflich erfolgte, schickte sie Wolf 10 000 Dollar für den Bau des
dann nach ihr benannten Doppelfernrohres mit 40 cm- Objektiven. Wolf bedankte sich
bei der Stifterin auch durch die Benennung eines von ihm bereits 1891 gefundenen
Kleinplaneten auf den Namen „Brucia“.
Der Bau des damals leistungsfähigsten photographischen Fernrohres hatte die Stiftungssumme nicht aufgebraucht. Sie floss als willkommene Starthilfe in die 1894 vom Badischen Landtag bewilligte Summe zum Bau der Großherzoglichen Sternwarte in Heidelberg ein. Die neue Sternwarte sollte auf dem 375 m hohen Gaisberg errichtet werden.
299
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Abb. 8.6-1: Die Privatsternwarte von Max Wolf in der Heidelberger Märzgasse 16. Wolfs Instrumente
zogen 1889 mit ihm zum Königstuhl (Lemke, Sommer 2008).
Das Gelände stellte die Stadt kostenfrei zur Verfügung. Es wurde abgeholzt und die Verlegung einer Wasserleitung dorthin vorbereitet. Dann brannte 1895 das PortlandZementwerk in Heidelberg-Bergheim am Neckarvorland ab (Abb. 8.6-2). Der Neubau
sollte in Leimen, 10 km südwestlich von Heidelberg erfolgen. Das beunruhigte die
Astronomen, denn „die Verlegung der Cementfabrik nach Südwesten [wird] die Nothwendigkeit im Gefolge haben, die beabsichtigte Sternwarte von dem Gaisberge zu verlegen, da die hier vorherrschenden West- und Südwestwinde eine fortgesetzte Trübung der
Athmosphäre durch den Rauch des neu anzulegenden Werkes im Gefolge haben dürfte,
deren Fernhaltung für die Beobachtungen der Astrophysik geboten erscheint.“ Unverzüglich begann eine Umplanung des Sternwarten-Neubaus für den weiter entfernt und
fast 200 m höher gelegenen Königstuhl. Nach zweijähriger Bauarbeit konnte am 20. Juni
1898 die feierliche Einweihung erfolgen: „An dem festlichen Akt beteiligten sich auch
I. K. H. die Großherzogin, S. K. H. Prinz Max, das Ministerium, Mitglieder des Landtages, die Universität und die städtischen Behörden. An einen Redeakt in der Aula der
Universität schloss sich die Besichtigung der Sternwarte an, der dann ein Festmahl im
Kohlhof folgte. Durch eine huldvolle Ansprache des Großherzogs wurde die Sternwarte
300
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Abb. 8.6-2: Blick vom Hang des Gaisbergs auf Heidelberg im Jahre 1884. Im Stadtteil Bergheim
am Neckarvorland befand sich das Portland-Zementwerk (in der Nähe des heutigen Thermalbades).
Nach dem Großbrand im Jahre 1895 wurde das Zementwerk in Leimen neu aufgebaut. Aus Sorge
vor Rauchbelästigungen mit dem häufigen Südwestwind wurden die für den Gaisberg vorbereiteten
Bauarbeiten für die Sternwarte abgebrochen und am Königstuhl fortgesetzt. Im Vordergrund links
von der Mitte der alte Heidelberger Bahnhof (Zementwerk Leimen).
ihrer Bestimmung übergeben“. Den Redeakt hatte Max Wolf zum Thema „Die Erforschung der Gestalt unseres Universums“ übernommen.
Das neue Institut begründete eine moderne Sternwarten-Architektur in Europa. Bisher
waren alle Einrichtungen – Kuppeln, Arbeitszimmer, Wohnungen, Werkstätten – in
einem meist prachtvollen Gebäude auf einem Hügel am Stadtrand vereinigt gewesen.
Auf dem Königstuhl wurde nach der Gruppenform gebaut: mehrere Zweckgebäude verteilt über einen stadtfernen Berggipfel (Abb.8.6-3). Die bis auf die Bossenquaderung fast
schmucklosen Gebäude sollten sich bei Anpassung an neue größere Instrumente leicht
abreißen und durch geeignete Neubauten ersetzen lassen. Anregungen zu dieser moder-
301
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Abb. 8.6-3: Die neu errichtete Sternwarte auf dem Königstuhl-Gipfel im Jahre 1898. Links das
Astrophysikalische Institut mit dem Bruce-Teleskop, rechts das Astrometrische Institut mit dem
Meridiansaal (Stadtarchiv Heidelberg).
nen Bauweise hatte Max Wolf von seinen USA-Reisen, insbesondere vom Lick-Observatorium auf dem Mt. Hamilton, mitgebracht.
Die neue Bergsternwarte hatte zwei wissenschaftliche Abteilungen: das Astrometrische
Institut (Ostinstitut), geleitet von Karl Valentiner und das Astrophysikalische Institut
unter Max Wolf. Seit 1893 war Wolf außerordentlicher Professor an der Heidelberger
Universität. Nach Ablehnung von zwei ehrenvollen Berufungen nach Göttingen und
Wien und dem altersbedingten Ausscheiden Valentiners im Jahre 1909 wurde Wolf
ordentlicher Professor für Astronomie und übernahm bis zu seinem Tode im Jahre 1932
die Leitung beider Institute auf dem Königstuhl (Abb. 8.6-4). Wolf konnte ab 1906, wieder mit privatem Stiftungsgeld, den Bau des damals großen und modernen Waltz-Reflektors beginnen (Abb. 8.6-5). Es gelangen ihm und seinen Mitarbeitern die Entdeckung
hunderter Kleinplaneten, veränderlicher Sterne, des Nordamerika-Nebels und die Wiederentdeckung des Halleyschen Kometen im Jahre 1909. Vor 100 Jahren gehörte die
Landessternwarte zu den leistungsfähigsten astronomischen Instituten weltweit.
302
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Abb. 8.6-4: Max Wolf
(1863 – 1932) ist der
Stammvater der Heidelberger Astronomie
auf dem Königstuhl.
Begonnen hat es mit
seiner Privatsternwarte
in der Märzgasse. Seit
1893 lehrte er Astronomie an der hiesigen
Universität und seit
1898 leitete er das
Astrophysikalische
Institut der Sternwarte. 1909 wurde er
Direktor der gesamten
Landessternwarte und
Ordinarius an der
Universität (LSW).
Diese Blütezeit wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Die Mitarbeiterzahl
sank auf die Hälfte, die Gebäude konnten nicht mehr unterhalten werden („es war
schließlich kein Zimmer … mehr vorhanden, in welches nicht bei stärkerem Regen oder
Tauwetter Wasser eingedrungen wäre“). Und gleichzeitig wurden in Amerika mit privatem Stiftungsgeld viel größere Fernrohre in besserem Klima gebaut. Wolf begann zu verzagen: „Ich kann nicht mehr mithalten“.
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Abb. 8.6-5: Der Waltz-Reflektor von 1907 war mit seinem 0.72 m-Spiegel bis in die
1950er Jahre das zweitgrößte Fernrohr in Deutschland. Der Spiegel war der erste von
Carl Zeiss Jena gefertigte; er wurde für dieses Fernrohr der Landessternwarte gestiftet.
Damit begann die Herstellung bedeutender astronomischer Optiken bei Zeiss in den
folgenden Jahrzehnten (Stadtarchiv Heidelberg).
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8.6.2 Raumfahrt-Pionier Hermann Oberth – ein abgelehnter Doktorand
In die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg fällt auch eine Begebenheit, die bei anderem Ausgang zum Ruhme der Heidelberger Universität und der Sternwarte beigetragen hätte.
Hermann Oberth, der als Wegbereiter der Raketen- und Raumfahrttechnik berühmt
wurde (Abb. 8.6-6), hatte sich 1921 an der hiesigen Universität immatrikuliert und stu-
Abb. 8.6-6:
Hermann Oberth
wurde für seine
Wegbereitung der
Raumfahrt und Raketentechnik vielfach
international geehrt.
Er bemühte sich als
Student in Heidelberg
vergeblich Doktorand
zu werden (Wege
zur Raumschiffahrt,
VDI Verlag).
305
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Abb. 8.6-7: Die Grundgedanken des Raketenfluges entwickelte Hermann Oberth in seiner Studentenbude in der Heidelberger Kaiserstraße 46 (siehe Kapitel 10.5). Diese Thesen sind seinem Buch
(Abb. 8.6-9) vorangestellt (Herrmann Oberth).
306
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:17 Seite 307
Abb. 8.6-8: Die
beiden Professoren
Philipp Lenard und
Max Wolf waren berühmte Forscher auf
ihren Arbeitsgebieten
Physik und Astronomie. Oberths Raumfahrt-Ideen passten
damals in keines der
beiden Felder (Universität Heidelberg).
dierte Physik und Mathematik. Mit einem Manuskript (Abb. 8.6-7) über die von ihm
entwickelte Raketen- und Raumfahrt-Technologie, das später als „Bibel“ dieses neuen
Gebietes in immer neuen Auflagen veröffentlicht werden sollte („Die Rakete zu den Planetenräumen“), fragte er bei Heidelberger Professoren nach einer Promotionsmöglichkeit
an. Max Wolf sah das Thema als keine Sache der Astronomie an. Dem Nobelpreisträger
für Physik Philipp Lenard schien die Arbeit mit einer zeitabhängigen Masse (der Rakete)
zweifelhaft. War er doch auch anderen neuartigen Ideen gegenüber, so der Einsteinschen
Relativitätstheorie, nicht sehr aufgeschlossen. Aus heutiger Sicht ist es eine tragische
Fehlentscheidung der Professoren (Abb. 8.6-8) gewesen, einen begabten Studenten mit
noch nicht dagewesenen Ideen nicht gefördert zu haben. Und so wurden die Heidelberger
Universität und die Landessternwarte eben nicht zu einer der Geburtsstätten der Raumfahrt, und an Oberths Studentenbude in der Kaiserstraße 48 gibt es keine Gedenktafel
(siehe Kapitel 10.5). Zu Wolfs Entlastung kann gesagt werden, das er die Veröffentlichung
des Manuskriptes beim Münchner Oldenbourg-Verlag empfahl (Abb. 8.6-9). Die Druckkosten musste Oberths Familie aus ihrem Ersparten aufbringen. Nach dieser schmerzlichen Erfahrung in Heidelberg verzichtete Oberth auf eine Promotion anderswo. Er
kehrte zunächst in seine Heimat Siebenbürgen zurück; dort wurde die in Heidelberg
geschriebene Arbeit für das Physik-Diplom an der Universität Klausenburg anerkannt
und Oberth zum Professor secundar ernannt. Sein bekanntester späterer Schüler Wernher
von Braun, der Vater des amerikanischen Mondlande-Programms Apollo, urteilte: „Pro-
307
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Abb. 8.6-9: Mit dem Text dieses später veröffentlichten und berühmt gewordenen Buches
fragte Herrmann Oberth im Jahre 1922
bei den Heidelberger Professoren Max Wolf
und Philipp Lenard vergeblich nach einer
Promotionsmöglichkeit an.
fessor Oberth ist für die Weltraumfahrt Prophet und Lehrer zugleich gewesen ... Mit der
genialen Schöpferkraft seines erstaunlichen Geistes allein schuf er das Fundament für
eine neue, gewaltige Industrie.“
8.6.3 Wolfs Nachfolger an der Landessternwarte: Heinrich Vogt, Hans Kienle,
Hans Elsässer, Immo Appenzeller, Andreas Quirrenbach
Nach Wolfs Tod wurde im Jahre 1933 Heinrich Vogt von der Universitätssternwarte Jena
als Nachfolger auf dem Königstuhl berufen. Er hatte sich bei der Theorie des Sternaufbaus
einen Namen gemacht. Seine beabsichtigte Bestellung eines 1.8 m-Teleskops bei der
Firma Carl Zeiss in Jena gelangte durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht
mehr zur Ausführung. Vogt, der während der nationalsozialistischen Diktatur auch Meinungen über die Gesinnung von Fachkollegen abgegeben haben soll, war nach dem
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Zusammenbruch 1945 nicht mehr tragbar. Die Leitung der Landessternwarte wurde in
den folgenden fünf Jahren provisorisch dem vom Astronomischen Recheninstitut in Berlin
nach Heidelberg gekommenen Professor August Kopff, einem erfolgreichen Kometenund Asteroiden-Entdecker, übertragen.
Ab Oktober 1950 übernahm Hans Kienle (Abb. 8.6-10) vom Astrophysikalischen Observatorium Potsdam die Leitung der Landessternwarte mit ihren nachkriegsbedingt
„zunehmender Verrottung ausgesetzten Einrichtungen“. Er begann auf dem Königstuhl
Methoden zur absoluten Spektralphotometrie zu entwickeln, mit denen der genaue
Energiefluss von der Sonne und den Sternen ermittelt werden sollte. Durch die Stiftung
des Heidelberger Kunstmalers Karl Happel, der der Familie Max Wolfs und der „Sternkunde“ sehr verbunden war, konnte in den Jahren 1955 bis 1957 das „Happel-Laboratorium für Strahlungsmessungen“ errichtet werden. Kienle hatte ein ähnliches Labor
gerade in Potsdam fertigstellen lassen, das nach seinem Abgang allerdings als Bürogebäude
für den Einsteinturm andersartig genutzt wurde. In seinem neuen Heidelberger Strahlungslabor wurden exakte Vergleichslichtquellen für die Gestirne geschaffen: Schwarze
Körper, „Goldpunkt“, Xenon- und Quecksilber-Hochdrucklampen und Bandlampen.
Erster Höhepunkt dieser Arbeiten war die genaue Messung des Energieflusses von der
Sonne durch Kienles Mitarbeiter Dietrich Labs und Heinz Neckel auf der JungfraujochStation in der Schweiz. Die präzisen Laborarbeiten zogen viele wissenschaftliche Besucher
aus dem In- und Ausland an und machten die Landessternwarte wieder bekannt.
Als im Jahre 1962 Hans Kienle im Alter von 67 Jahren emeritiert wurde, übernahm der
aus Göttingen berufene 33-jährige Hans Elsässer seine Nachfolge (Abb. 8.6-11). Er
führte Kienles Arbeiten fort und veranlasste einige Jahre später die Ausdehnung der
Strahlungsmessungen in neue Spektralbereiche, das Ultraviolette und Infrarote. Sein
Ziel war dabei der Einstieg der Landessternwarte in die Weltraumastronomie, die beide
Spektralbereiche zugänglich machen sollte. So arbeiteten bald seine Doktoranden
Eckhart Pitz und Dietrich Lemke mit der Synchrotronstrahlung des großen Beschleunigers DESY in Hamburg als Eichquelle für das Ultraviolette. Die zunehmende Zahl
von Diplomanden und Doktoranden begann mit dem Bau und der Erprobung von
Infrarot-Photometern (Gerhard Ackermann, Kurt Voelcker) und eines Polarimeters
(Christoph Leinert). Die Doktoranden führten ihre Beobachtungen vom Königstuhl
aus durch. Angezogen wurden diese Physikstudenten durch Elsässers Vorlesungen an
der Universität. In ihnen wurde die Astronomie als spannendes Teilgebiet der modernen
Physik vorgetragen. Das vorher in Mechanik, Elektrodynamik, Optik, Atom- und Kernphysik Gelernte wurde jetzt ins kosmische Labor übertragen. Diese erste Berufung eines
Professors aus der Nachkriegsgeneration leitete eine Neugestaltung der Heidelberger
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Abb. 8.6-10: Hans
Kienle, Ritter des
Ordens Pour le mérite
seit 1960 (Friedensklasse für Kunst und
Wissenschaft) leitete
die Landessternwarte
von 1950 bis 1962.
Er entwickelte mit
seinen Mitarbeitern die
Spektralphotometrie
von Sternen und der
Sonne zu höchster Präzision. Während seines
Direktorates wurde das
Happel-Laboratorium
für Strahlungsmessungen errichtet. Darauf
aufbauend wurden
dort in den Anfangsjahren des MPIA die
extraterrestrischen
Arbeiten durchgeführt.
Hans Elsässer wurde
Kienles Nachfolger
(LSW)
Astronomie ein. Ein besonderer Erfolg gelang Elsässer mit einem Antrag auf Förderung
eines größeren Fernrohres bei der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft. Es wurden die
Mittel zum Bau eines 1.23 m-Teleskops bewilligt, das ab 1966 bei Carl Zeiss gebaut
wurde.
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Abb. 8.6-11: Hans Elsässer (rechts) im Alter von 41 Jahren nach der mündlichen Prüfung seines
Doktoranden Kalevi Mattila, der bald darauf Direktor der Sternwarte Helsinki wurde. Zur Abholung des frisch Promovierten halten sich Elsässers junge Mitarbeiter und Studenten von Landessternwarte und MPIA bereit. Von links Hartmut Link (Raketenexperimente), Max Beetz (Bildwandler),
Gerhard Schnur (Sichtexpeditionen), Dietrich Lemke (Ballonteleskop) (Kalevi Mattila).
Nach Gründung des Max-Planck-Instituts für Astronomie und Hans Elsässers Berufung
zum Direktor zog im Jahre 1974 eine größere Gruppe junger Mitarbeiter, Studenten und
Techniker aus der Sternwarte in die neu errichteten Gebäude des MPIA um. Über die
Entwicklung des neuen Instituts wurde bereits in den Kapiteln 2 bis 6 ausführlich berichtet. Nachfolger Elsässers an der Landessternwarte wurde ab 1975 Immo Appenzeller. Die
Sternwarte wuchs unter dessen Leitung personell schnell an und forschte erfolgreich auf
den Gebieten Sternentstehung, Sternwinde, galaktische Kerne. Große Instrumentierungsprojekte begannen, so der Bau einer Kamera und eines Spektrometers für die 8 mVLT-Fernrohre der ESO in Chile (FORS) und das Large Binocular Telescope in Arizona
(LUCIFER). Mit Appenzellers Emeritierung im Jahre 2005 wurde Andreas Quirrenbach
zum Leiter der Landessternwarte berufen. Letzterer ist Fachmann für die Interferometrie
zur Erzielung höchstaufgelöster Bilder. Die Arbeitsgebiete der Landessternwarte reichen
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heute von der Astrophysik bei hohen Energien über Aktive Galaktische Kerne bis zur
stellaren Astrophysik. Die beiden Nachbarinstitute auf dem Königstuhl ergänzen sich
seit ihrem Bestehen bei ihren Forschungsarbeiten in einer freundschaftlichen und wissenschaftlich anregenden Atmosphäre.
312
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9
Übersichten zur Geschichte des Max-Planck-Instituts
für Astronomie
9.1
Wissenschaftliche Mitglieder
Hans Elsässer
Guido Münch
Steven Beckwith
Hans-Walter Rix
Thomas Henning
(* 1929, † 2003)
(* 1921)
(* 1951)
(* 1964)
(* 1956)
1968 – 1997
1978 – 1989
1991 – 2001
ab 1999
ab 2001
Auswärtige Wissenschaftliche Mitglieder
George Herbig
Walter Fricke
Immo Appenzeller
(* 1920)
(* 1915, † 1988)
(* 1940)
Karl-Heinz Böhm
Rafael Rebolo
Steven Beckwith
Willy Benz
(* 1923)
(* 1961)
(* 1951)
(* 1955)
9.2
ab 1972
1979 – 1988
ab 1979,
kommiss. Leitung 1998-2000
ab 1981
ab 2001
ab 2002
ab 2007
Meilensteine der Institutsgeschichte
Einen schnellen Überblick bietet die zum 25-jährigen Institutsjubiläum aufgestellte und
hier überarbeitete und fortgeschriebene Zeittafel:
1967 Gründungsbeschluss für das MPIA im Senat der MPG.
1968 Berufung von Hans Elsässer zum Direktor des neuen Instituts, das später von
einem Direktorenkollegium geleitet werden soll.
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1969 Arbeitsaufnahme des MPIA in Gebäuden der Landessternwarte mit 5 Mitarbeitern
ab Februar. Institut erhält eine erste Satzung. Stadt Heidelberg verkauft Gelände
für Institutsneubau.
1970 Abholzung und Straßenbau auf dem Königstuhl. Calar Alto als Standort für Sternwarte auf der Nordhalbkugel ausgewählt.
1971 Gamsberg in Südwestafrika als Standort für Sternwarte der Südhalbkugel gewählt.
Werksabnahme 1.2 m-Teleskop bei Carl Zeiss. Raketenexperiment R-214 (Zodiakallicht). Erster Fachbeirat (Vorsitz: Bengt Strömgren). George Herbig (Santa
Cruz, Kalifornien) wird erstes Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied.
1972 Regierungsabkommen Deutschland–Spanien über Calar Alto Sternwarte. Flüge
mit Ballonteleskop THISBE (Zodiakallicht-Spektrum).
1973 Erschließung Calar Alto durch 30 km Zufahrtsstraße und Baubeginn der Sternwarte. Werksabnahme 2.2 m-Teleskop I bei Carl Zeiss.
1974 Richtfest Institutsgebäude auf dem Königstuhl. Vertrag über 3.5 m-Teleskop mit
Carl Zeiss. Start der Sonnensonde HELIOS 1 mit Zodiakallicht-Experiment.
Berufung Peter Strittmatters zum Wissenschaftlichen Mitglied scheitert.
1975 Einzug in Neubau des MPIA. Inbetriebnahme des 1.2 m-Teleskops am Calar
Alto. Raketenexperiment ASTRO-7 (Zodiakallicht im UV).
1976 Einweihung des neuen Institutsgebäudes durch Präsident Reimar Lüst und MPGEhrenpräsident Adolf Butenandt. Werksabnahme 2.2 m-Teleskop II bei Carl
Zeiss. Start Sonnensonde HELIOS 2 mit Zodiakallicht-Experiment.
1977 Auszeichnung des Institutsgebäudes mit Deutschem Architekten-Preis. Entstehung der Arbeitsgruppe „Extragalaktische Objekte“. Ballonteleskop THISBE
gewinnt Infrarotkarten des Zentrums der Milchstraße.
1978 Guido Münch wird Wissenschaftliches Mitglied des MPIA. Instrument des MPIA
für Infrarot-Teleskop GIRL auf Spacelab ausgewählt.
1979 Einweihung des Deutsch-Spanischen Astronomischen Zentrums am Calar Alto
durch König Juan Carlos I. anlässlich Inbetriebnahme 2.2 m-Teleskop I. Erster
Tag der Offenen Tür des MPIA mit 11 500 Besuchern. Walter Fricke und Immo
Appenzeller (beide Heidelberg) werden Auswärtige Wissenschaftliche Mitglieder.
1980 Aufbau des Schmidt-Teleskops aus Hamburg am Calar Alto. Digitale lichtelektrische Sensoren (CCDs) lösen Fotoplatten bei Spektrographen und Kameras ab.
314
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1981 Vertrag mit Europäischer Südsternwarte zum Aufbau des 2.2 m-Teleskops II auf
La Silla, Chile. Karl-Heinz Böhm (Seattle) wird Auswärtiges Wissenschaftliches
Mitglied. 3-Etalon Spektrometer PEPSIOS für planetarische Nebel am Calar Alto
eingesetzt.
1982 Werksmontage des 3.5 m-Teleskops bei Carl Zeiss.
1983 Abschluss Bautätigkeit am Calar Alto nach einem Jahrzehnt. Entdeckung der Jets
von TTau-Sternen und HH-Objekten.
1984 Betriebsbeginn 3.5 m-Teleskop am Calar Alto. Beobachtungsbeginn mit 2.2 mTeleskop II auf La Silla. Entdeckung zahlreicher bipolarer Nebel.
1985 Ulli Thiele entdeckt mit Schmidt-Teleskop am Calar Alto nach ihm benannten
Kometen. Optische Identifikation vieler vom IRAS-Satelliten entdeckter Infrarotgalaxien. Abbruch der Entwicklung des Infrarottteleskops GIRL durch Bundesministerium für Forschung und Technologie.
1986 Zwillingsspektrograph für 3.5 m-Teleskop geht in Betrieb. Entdeckung zahlreicher
optischer Hot Spots in Radioquellen. ISOPHOT-Experiment des MPIA für Europäisches Satelliten-Observatorium ISO ausgewählt.
1987 2.2 m-Teleskop II auf La Silla mit f/35-Sekundärspiegel-Chopper ausgerüstet.
Entdeckung der Eigenbewegungen von Jets und Kopfwellen bei jungen Sternen.
1988 HELIOS 1 liefert Zodiakallichtdaten über gesamten Sonnenfleckenzyklus (1974
–1986).
1989 Mondbedeckungs-Messungen zur Auflösung von TTau-Sternen. Guido Münch
wird emeritiert.
1990 Nah-Infrarot Kamera am 3.5 m-Teleskop. 1200 x 1100 Pixel CCD-Kameras am
Calar Alto eingesetzt. Rechenzentrum des MPIA stark vergrößert (5 VAX,
4 DEC).
1991 Steven Beckwith wird Wissenschaftliches Mitglied und Direktor am Institut. Baubeginn IR-Kamera CONICA für 8 m–Fernrohre (VLT) der ESO. Calar Alto wird
über e-mail erreichbar.
1992 Multiobjekt-Spektroskopie mit „Spaltspinne“ am 3.5 m-Teleskop. Suche nach
leuchtschwachen Galaxien in kosmischen Leerräumen (Voids) beginnt.
1993 Infrarot-Kamera MAGIC am 3.5 m-Teleskop in Betrieb. Speckle-Interferometrie
zeigt TTau Sterne als Mehrfachsysteme.
315
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1994 Hans Elsässer übergibt nach 25 Jahren Geschäftsführung sein Amt an Steven
Beckwith. Jubiläumsfeier zum 25-jährigen Bestehen des MPIA mit MPG-Präsident Hans F. Zacher. Weltweite Beachtung der mit MAGIC-Kamera am Calar
Alto gewonnen Bilder vom Absturz des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf Jupiter.
Satellitenverbindung Königstuhl – Calar Alto (Telephon/Rechner).
1995 Start des ISO-Satelliten mit ISOPHOT-Instrument des MPIA. Gründung einer
Theorie-Gruppe am MPIA.
1996 ISOPHOT Datenzentrum entsteht am MPIA. Adaptive Optik geht mit ALFA
am 3.5 m-Teleskop in Betrieb. Calar Alto Deep Survey (CADIS) zur Suche nach
Urgalaxien wird Forschungsschwerpunkt am Calar Alto.
1997 Beginn der Entwicklung des Infrarot-Interferometers MIDI für das Very Large
Telescope der ESO. Multiobjekt-Spektrograph MOSCA geht am Calar Alto in
Betrieb. Hans Elsässer wird emeritiert. Steven Beckwith erhält Max-Planck-Forschungspreis (Protoplanetare Scheiben).
1998 Steven Beckwith wird vom MPIA beurlaubt, wechselt als Direktor zum Space
Telescope Science Institute, Baltimore. Immo Appenzeller übernimmt kommissarische Leitung. Beginn der Beteiligung des MPIA am Large Binocular Telescope
(LBT). Beginn der Beteiligung am PACS-Instrument für FIRST-Satelliten (jetzt
HERSCHEL). Berufung von Hans-Walter Rix zum Wissenschaftlichen Mitglied.
1999 Weitfeldkamera für 2.2 m-Teleskop II auf La Silla in Betrieb. Beginn der Arbeiten
am LINC-Interferometer für das LBT. MPIA wird Associated Partner am Sloan
Digital Sky Survey (SDSS). Arbeitsbeginn Hans-Walter Rix.
2000 Kommissarische Leitung durch Immo Appenzeller beendet, Hans-Walter Rix
wird Geschäftsführender Direktor. Stärkere Beteiligung des MPIA am Nah-Infrarot-Sepktrographen LUCIFER für das LBT.
2001 Rafael Rebolo (Teneriffa) wird Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied. Roberto
Ragazzoni erhält Wolfgang-Paul-Preis der Humboldt-Stiftung und verwendet Preisgeld für Arbeiten zur Adaptiven Optik am MPIA. Beginn der Arbeit am MIRIInstrument für das NGST (jetzt James Webb Space Telescope). Berufung von
Thomas Henning zum Wissenschaftlichen Mitglied, Arbeitsbeginn im November.
2002 Steven Beckwith kehrt nicht ans Institut zurück, wird Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied. Thomas Henning beginnt hauptamtlich als Direktor am Institut.
MPIA und Universität Jena schaffen Abteilung für Laborastrophysik in Jena.
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2003 Gliederung des Instituts in zwei wissenschaftliche Abteilungen: „Stern- und Planetenentstehung“ (Direktor: Thomas Henning) und „Galaxien und Kosmologie“
(Direktor: Hans-Walter Rix). Regelmäßiger Wechsel in der Geschäftsführung des
Instituts. Koordination des Deutschen Interferometrie-Zentrums FrInGe am
MPIA. Durchmusterung Combo-17 wird durch größte Galaxien-Farbaufnahme
(GEMS) mit dem HUBBLE-Teleskop ergänzt.
2004 Einweihung des Large Binocular Telescope (LBT) mit erstem Spiegel. Erste
Emmy-Noether-Nachwuchsgruppen forschen selbständig am Institut. Auffinden
der Beziehung zwischen Massen der Galaxienzentren und zentralem Schwarzen
Loch. Calar Alto Sternwarte („Centro Astronomico Hispano-Alemán“) nicht
mehr Außenstelle des Instituts, sondern zu gleichen Teilen von Consejo Superior
de Investigaciones Cientificas und MPG nach spanischem Recht betrieben.
2005 Arbeitsaufnahme der „International Max Planck Research School for Astronomy
and Cosmic Physics“ von MPIA und weiteren Heidelberger Astronomie-Instituten. Erster Heidelberger extrasolarer Planet entdeckt.
2006 Beteiligung des MPIA an Pan-STARRS-Durchmusterung des Himmels von
Hawaii aus. Acht selbständige Nachwuchsgruppen forschen am MPIA. Aufbau
eines weiteren Stockwerks auf dem Hauptgebäude mit 40 Arbeitsplätzen. Beginn
der Beteiligung am Astronomie-Satelliten GAIA.
2007 Willy Benz (Bern) wird Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied. Zahl der jährlichen wissenschaftlichen Gäste am Institut überschreitet 200. Inbetriebnahme des
LBT mit zweitem Spiegel. Schnelle Entstehung von Planetesimalen in Hochdruckwirbeln der protoplanetaren Scheiben nachgewiesen.
2008 Gründungsbeschluss zum „Haus der Astronomie“ auf dem Gelände des MPIA,
errichtet von der Klaus Tschira Stiftung. Zwei Supernovae werden Jahrhunderte
nach ihrem Aufleuchten durch Lichtechos analysiert. Masse der Milchstraße zu
1 Billion (1012) Sonnenmassen bestimmt.
2009 Start des Infrarot-Weltraum-Observatoriums Herschel mit wichtigen Beiträgen
des MPIA zum PACS-Instrument. Baubeginn „Haus der Astronomie“. Sternentstehungsrate in Kernen junger Galaxien gemessen: tausendfach höher als heute in
der Milchstraße.
317
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9.3
Kleine Planeten mit Namen von MPIA-Wissenschaftlern
Mehrere Wissenschaftler und Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Astronomie wurden
durch die Benennung eines Kleinplaneten auf ihren Namen geehrt. Diese Kleinen Planeten (oder Asteroiden, ein Beispiel in Abb. 9.1) umkreisen die Sonne meist auf Bahnen
zwischen Mars und Jupiter. Einige Asteroiden wurden an der Calar Alto Sternwarte
gefunden. Die Entdecker haben das Recht für Namensvorschläge, die von der Internationalen Astronomischen Union bestätigt werden müssen. Die Anzahl der Kleinplaneten
geht inzwischen in die Hunderttausende, da sich mit den modernen Himmelsüberwachungen der letzten Jahre immer kleinere Körper finden lassen.
Aufgeführt sind Kleinplaneten, deren Namensgeber am MPIA tätig sind oder waren.
Diese Himmelskörper haben typische Durchmesser von mehreren Kilometern, die jüngst
entdeckten (mit den höchsten Ordnungszahlen) sind kleiner oder/und weiter entfernt
und deshalb lichtschwächer.
Abb. 9.1: Bild eines Kleinplaneten: Nahaufnahme von
Lutetia (22), gewonnen beim
Vorbeiflug der europäischen
Raumsonde Rosetta. Kleinplaneten sind unregelmäßig
geformt und übersät mit Einschlagkratern. Lutetia wurde
bereits 1852 entdeckt, weil
dieser Asteroid zu den vergleichsweise großen (~ 100 km)
und hellen gehört. Die „MPIAKleinplaneten“ haben Durchmesser von ⱕ 10 km (ESA).
318
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Kleinplanet
am MPIA seit
Tätigkeitsgebiet
(2234)
Schmadel
1971
Beobachter von Kleinplaneten,
Optiker Calar Alto Teleskope
(2373)
Immo
1979
I. Appenzeller, Auswärtiges Wiss.
Mitglied, Komissarischer Direktor
(2856)
Röser
1973
S. Röser, Interplanetarer Staub
(4385)
Elsässer
1968
Gründungsdirektor
(4803)
Birkle
1969
Leiter Calar Alto Sternwarte
(8793)
Thomasmüller
1994
Kalibrierung ISO mit Asteroiden
(8860)
Rohloff
1988
Leiter Mechanische Konstruktion
(10660)
Felixhormuth
2005
Beobachter von Kleinplaneten
(13028)
Tschira
2004
Kuratoriumsmitglied;
Vorsitz Klaus Tschira Stiftung
(14327)
Lemke
1969
Principal Investigator ISOPHOT
(18359)
Jakobstaude
1970
Chefredakteur Sterne & Weltraum
(19182)
Pitz
1971
Kalibrierung Weltrauminstrumente
(30829)
Wolfwacker
1969
Instrumente für Calar Alto;
Leiter Planetarium Mannheim
(30882)
Tomhenning
2001
Planeten-Entstehung; Direktor
(202736)
Julietclair
2007
J. C. Datson, Braune Zwergsterne
(210444)
Frithjof
2008
F. Brauer, Staubkoagulation/
Planetenbildung
319
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10
Wegweiser zu Stätten der Astronomie in Heidelberg
und Umgebung
Neben dem Max-Planck-Institut für Astronomie (siehe die Wegweiser in Abb. 10.17),
das der Gegenstand dieses Buches ist, seien dem Astronomie-Interessierten Besichtigungen einer Reihe weiterer Orte in Heidelberg und Umgebung empfohlen. Außer den
Museen und dem Planetarium sind sie kostenlos zugänglich. Weitere Informationen zu
Öffnungszeiten und Anmeldungen zu Führungen erhält man im Internet. Die Ziele im
Stadtgebiet von Heidelberg zeigt die folgende Karte Dabei beziehen sich die Nummern
im Stadtplan auf die Abschnitte in Kapitel 10 (10.1 beschreibt die Station 1 im Stadtplan
usw). Die gestrichelte Linie 8 deutet die Kurpfälzer Grundlinie an.
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MPI für
Astronomie
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10.1 Geburtstätte der Astrophysik in der Heidelberger Hauptstraße
Im „Haus zum Riesen“ in der Hauptstraße 52 (Abb.10.1-1) haben Gustav Kirchhoff und
Robert Bunsen im Jahre 1859 erstmals die Sonne mit einem Spektrometer untersucht
und dabei zahlreiche auf der Erde bekannte Elemente in ihrer Atmosphäre entdeckt. An
diesen Beginn der Astrophysik erinnert die Gedenktafel am Haus (Abb. 10.1-2), siehe
auch Kapitel 8.5. Über einen Seiteneingang in der Akademiestraße kann man zur Rückseite des Hauses gelangen, in dem jetzt ein Sprachen-Institut der Universität untergebracht ist. Aus den Süd-Fenstern im Dachgeschoss wurden die Messungen gemacht: kein
idealer Ort, da die Sonne nahe Auf- und Untergang nicht erreichbar war (Abb. 8.5-4).
Abb. 10.1-1: Das „Haus zum Riesen“ in der Hauptstraße 52 mit der in Abb. 10.1-2 gezeigten Erinnerungstafel. Im Vordergrund das Bunsen-Denkmal mit einer weiteren Erinnerungstafel an die
spektroskopische Entdeckung der Elemente Cäsium und Rubidium (Lemke).
321
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Der Hauptstraßen-Seite des Hauses zum Riesen gegenüber liegt der Friedrichsbau, davor
Bunsens Denkmal (Abb. 8.5-5). Zu seinen Füßen erinnert eine Gedenktafel an die
gemeinsam mit Kirchhoff gemachte Entdeckung der Elemente Cäsium und Rubidium
mittels der Spektralanalyse. Im östlichen Flügel des Friedrichsbaus befindet sich Kirchhoffs alter Hörsaal. Im Aufgang erinnert eine Gedenktafel an einen seiner berühmtesten
Schüler, den ungarischen Physiker Lorand Eötvös, den Begründer der Gravitations-Physik
und Namenspatron der Budapester Universität.
Abb. 10.1-2: Erinnerungstafel an den Beginn der Astrophysik in Heidelberg vor 150 Jahren. Die
Tafel befindet sich am „Haus zum Riesen“, dem alten naturwissenschaftlichen Institut. Den Text
formulierte der Physiker Philipp Lenard (Lemke).
322
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10.2 Privatsternwarte Max Wolf in der Heidelberger Märzgasse
Am Geburtshaus des „Urgesteins“ der Heidelberger Astronomie ist eine Gedenktafel
angebracht (Abb.10.2). Über eine seitliche Einfahrt rechts gelangt man in den Hof und
steht vor Wolfs ehemaliger Privatsternwarte (siehe auch Kapitel 8.6). Sein Vater hatte sie
für den brennend an der Astronomie interessierten Sohn errichten lassen. Von hier aus
entdeckte Wolf 1884 einen Kometen und begann die sich gerade entwickelnde Fotografie
für die Astronomie zu nutzen. Diese Sternwarte war die Keimzelle für die späteren
großen Sternwarten auf dem Königstuhl. Das Gebäude wird seit langem anders genutzt
und kann nicht besichtigt werden. Wolfs Fernrohre befinden sich im Museum der Landessternwarte (Kapitel 10.6).
Abb. 10.2: Erinnerungstafel an Max Wolf an seinem Elternhaus in der Heidelberger Märzgasse 16
(Lemke).
323
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10.3 Universitätsmuseum
Im Gebäude der Alten Universität in der Grabengasse 1 können Instrumente aus den
Labors des 19. Jahrhunderts besichtigt werden. Dazu gehört ein originalgetreuer Nachbau
des ersten Spektralapparates von Kirchhoff und Bunsen, den sie genau beschrieben und
skizziert hatten (Abb. 10.3). Das Original vom Jahre 1859 wurde aus im Institut vorhandenen Teilen zusammengestellt und ist nicht erhalten geblieben. Es war wahrscheinlich
das erste brauchbare Spektrometer weltweit.
Abb. 10.3: Das erste
selbstgebaute Spektrometer von Kirchhoff
und Bunsen im Universitäts-Museum.
Links das Beobachtungs-Fernrohr, im
Holzkasten das Prisma
und rechts das Kollimatorrohr. Davor der
erste Bunsenbrenner
(Lemke).
324
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10.4 Bergfriedhof Heidelberg
Auf diesem großen und idyllisch am Berghang des kleinen Odenwalds gelegenen Friedhof
haben viele bedeutende Personen aus Wissenschaft, Kunst und Politik ihre letzte Ruhestätte gefunden. Darunter sind auch bekannte Astronomen und für die Astronomie
wichtige Persönlichkeiten. Der Stammvater der Heidelberger Astronomie Max Wolf
(1863–1932) hat sein Grab hoch am Hang in der Waldabteilung. Seinen Grabstein,
einen gewaltigen Odenwälder Quarzit, zieren die Worte „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ (Abb.10.4). Die schönste Grabstelle, am unteren Eingang Steigerweg, hat Franz
Brünnow, Gründer amerikanischer Sternwarten und königlicher Astronom von Irland.
Carl Bosch, Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und erster Förderer der Astronomie in der Gesellschaft, ruht in einer großen Familiengrabanlage an der höchsten Stelle
des Bergfriedhofs. Robert Bunsen (1811–1899), der mit Gustav Kirchhoff im Jahre
1859 durch die Spektralanalyse der Sonne die Astrophysik in Heidelberg hervorbrachte,
ruht dicht beim Haupteingang (nahe dem ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert).
Karl Reinmuth (1892–1979), Entdecker von 395 Kleinplaneten vom Königstuhl aus in
den Jahren 1914 bis 1952, liegt längs des Aufstiegs vom Steigerweg zum ausgeschilderten
Grab der Dichterin Hilde Domin begraben. Dieser Weg führt auch an Max Wolfs Grab
vorbei. Im jüngsten der Astronomengräber (Gräberfeld R, Abb.10.4) ruhen Hans Elsässer
(1929–2003), der Gründungsdirektor des Max-Planck-Institutes für Astronomie, und
seine Frau Ruth.
Abb. 10.4: Grabsteine der beiden
großen Astronomen
vom Königstuhl auf
dem Heidelberger
Bergfriedhof
(Lemke).
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10.5 Studentenwohnung von Hermann Oberth in Heidelberg
In den Jahren 1921/22 wohnte der Physikstudent Herrmann Oberth in einer Studentenwohnung in der Kaiserstraße 46 (Abb.10.5). Hier hat er „die erste Doktorarbeit der
Welt über die Weltraumfahrt“ geschrieben. Sie wurde vom Astronomen Max Wolf und
dem Physiker Philipp Lenard nicht angenommen, da sie in keines ihrer beiden Fächer
passte (Kapitel 8.6.2). Im Jahre 1922 verließ Oberth enttäuscht Heidelberg und wurde
nach dem Examen an der Universität Klausenburg (Siebenbürgen, Rumänien) im Jahre
1923 Professor secundar (Gymnasium). Ein Empfehlungsschreiben Wolfs half, dass der
Text als Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“ erscheinen konnte. Damit begründete Oberth seinen Weltruhm als Vater der Raketen- und Weltraumtechnik. In Heidelberg gibt es keine Erinnerungstafel an den berühmt gewordenen ehemaligen Studenten.
Abb. 10.5: In diesem
Haus in der Heidelberger Kaiserstraße
wohnte Herrmann
Oberth als Student.
Hier entwickelte er die
Grundlagen der Raketentechnik und Raumfahrt, erhielt aber
keine Möglichkeit zur
Promotion an der
Universität (Lemke).
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10.6 Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl
560 m über dem Meeresspiegel und 450 m über der Stadt und dem Neckartal wurde im
Jahre 1898 eine der ersten Bergsternwarten in Europa errichtet. Sie entstand in der
Nachfolge der Mannheimer Sternwarte, die um 1880 provisorisch nach Karlsruhe verlegt
worden war. Ausschlaggebend für den neuen Standort waren die Aktivitäten von Max
Wolf mit seiner Privatsternwarte und seiner späteren Dozentur an der Heidelberger Universität. Die Anregung zu einer „Bergsternwarte“ hatte Wolf durch Besuche in den USA
erhalten. Die neue Sternwarte war zunächst in eine astrometrische und eine astrophysikalische Abteilung aufgeteilt (Kapitel 8.6). Das alte Meridiankreis-Gebäude im Osten
des ausgedehnten Geländes wurde in den 1960er Jahren zu einem Hörsaalgebäude umgeformt, das heute auch ein kleines astronomisches Museum beherbergt. Sieben Fernrohrkuppeln gibt es im Gelände der Landessternwarte (Abb.10.6). Die bekanntesten beherbergen das Bruce-Teleskop (zwei 40 cm-Linsenfernrohre vom Jahre 1900) in der Kuppel
am Hauptgebäude. Südlich davon (links im Bild) befindet sich der Waltz-Reflektor mit
einem 72 cm-Spiegel vom Jahre 1906, lange Zeit eines der größten Fernrohre in Deutschland. Im nördlich vom Hauptgebäude gelegenen Happel-Laboratorium werden mit
Schwarzen Körpern genaueste Kalibrierungen astrophysikalischer Instrumente durchgeführt. Die Landessternwarte ist heute Teilinstitut des Zentrums für Astronomie an der
Universität Heidelberg.
Abb. 10.6: Luftbild der Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl, unten rechts. Oben links das
Max-Planck-Institut für Astronomie mit dem Elsässer-Labor (Walter Rauh).
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10.7 Haus der Astronomie Heidelberg-Königstuhl
Das Gebäude auf dem Gelände des Max-Planck-Instituts für Astronomie hat die Form
einer Spiralgalaxie (Abb.10.7). Das Haus der Astronomie (HdA) ist ein Zentrum für den
Wissenschaftsaustausch der Heidelberger Forscher, die Öffentlichkeitsarbeit und die
Förderung der Astronomie in den Schulen. In Fortbildungsveranstaltungen wendet sich
das Haus an Lehrer, mit Führungen und Vortragsreihen an Schüler, Kinder und Eltern,
sowie an eine breite Öffentlichkeit. Das Haus besitzt einen Hörsaal mit multimedialer
Technik, zu der auch ein Planetarium gehört. Es zeigt eine Ausstellung von astronomischen Satelliten und zum Teil funktionstüchtigen Modellen großer Teleskope, mit denen
Heidelberger Astronomen weltweit arbeiten. Das Haus kann im Rahmen von Führungen
durch die astronomischen Institute auf dem Königstuhl besichtigt werden. Es beherbergt
auch die Redaktion der Zeitschrift „Sterne und Weltraum“. – Bei der Drucklegung dieses
Buches war der Rohbau erstellt, der Bezug des neuen Gebäudes soll Ende 2011 beginnen.
Errichtet wurde der Bau durch die Klaus Tschira Stiftung, getragen wird das HdA durch
die MPG, die Universität und die Stadt Heidelberg.
Abb. 10.7:
Das Haus der
Astronomie auf
dem Heidelberger
Königstuhl wurde
in Form einer
Spiralgalaxie errichtet. Es ist ein
Zentrum der Öffentlichkeitsarbeit
(Architekten
Bernhardt und
Partner, Darmstadt).
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10.8 Die Kurpfälzer Grundlinie
Die um 1750 angelegte gerade Straße von Heidelberg nach Schwetzingen wurde als
„Basis Palatina“ zur Grundachse der Vermessung der Kurpfalz. Mit der genau vermessenen Länge der Strecke (12 km) konnte durch Winkelmessungen zu anderen herausragenden Punkten (gegebenenfalls nachts durch Feuer markiert) ein Dreiecksnetz über die
Kurpfalz gelegt werden. Damit ließen sich die Längen aller anderen Seiten der Dreiecke
durch trigonometrische Berechnungen ableiten (Triangulation). Begonnen von Geodäten
aus dem benachbarten Frankreich, setzte der Mannheimer Hofastronom Christian Mayer
ab dem Jahre 1762 diese Messungen fort. 1773 erschien Mayers Kleine Kurpfalzkarte des
Gebiets Mannheim-Heidelberg-Schwetzingen. Die inzwischen über 250 Jahre alte
Grundlinie ist heute vom Königstuhl aus noch gut zu erkennen (Abb. 10.8). Sie beginnt
in Heidelberg (heutige Franz-Knauff-Straße) und läuft über den Baumschulenweg (nahe
Eppelheim) in die Hauptachse des Schwetzinger Schlossparks (Abb. 8.3.1). Ferner Zielpunkt im Westen ist der Berg Kalmit im Pfälzer Wald. Die beste Erkennbarkeit der Kurpfälzer Grundlinie ist von einem Standpunkt ~ 50 m östlich der Bergbahnstation auf
dem Königstuhl gegeben, und zwar bei Aufklaren nach einem spätnachmittäglichen
Schauer, wenn das Sonnenlicht von der nassen Straße direkt zum Beobachter reflektiert
wird.
Abb. 10.8: Die Kurpfälzer Grundlinie,
aufgenommen von der
Bergbahnstation auf
dem Königstuhl. Der
helle Fleck in der
Bildmitte ist der See
im Schwetzinger
Schlosspark, in der
Ferne im Westen der
Berg Kalmit im
Pfälzer Wald (Lemke).
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10.9
Carl-Bosch-Museum
Es ist dem Wirtschaftsführer der chemischen Industrie und Nobelpreisträger für Chemie
des Jahres 1931 (Ammoniaksynthese) gewidmet. Das Museum wurde von Gerda Tschira,
der Ehefrau des Stifters Klaus Tschira gegründet und befindet sich am Schloss-Wolfsbrunnenweg 46, im ehemaligen Wohngebäude von Boschs Chauffeur (Abb. 10.9). Einer
der Räume stellt Carl Bosch (1874–1940) als Naturbeobachter vor. Zu seinen Interessen
gehörte auch die Astronomie, wofür er auf seinem Grundstück eine Sternwarte errichtete,
die bei der späteren Nutzung der Gebäude leider abgebaut wurde. Die Fernrohre kamen
nach Tübingen. Carl Bosch hat als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Vorgängerin der Max-Planck-Gesellschaft, in den späten 1930er Jahren begonnen die Astronomie finanziell zu fördern. Ziel war die Errichtung einer größeren Südsternwarte, was
durch die Kriegsereignisse vereitelt wurde. In der Nähe des Museums, am Schloss-Wolfsbrunnenweg 33 liegt Boschs ehemaliges Wohnhaus, die Villa Bosch. Dieses Gebäude war
bei der Gründung des MPIA 1967 als mögliches Heimatinstitut im Gespräch. Der
Gründungsdirektor Hans Elsässer wollte aber mehr Entfaltungsmöglichkeiten und
bestand auf einem Neubau auf dem Königstuhl. Inzwischen wird die Villa Bosch von der
Klaus Tschira Stiftung genutzt, die ab dem Jahre 2009 das „Haus der Astronomie“ auf
dem Gelände des MPIA errichtet.
Abb. 10.9: Das CarlBosch-Museum. Nach
dem Besuch lohnt die
Einkehr ins Hochdruck-Cafe, links
(Lemke).
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10.10 Kirchhoff-Institut für Physik
Das größte der physikalischen Institute der Universität trägt den Namen des berühmten
Physikers, der 21 Jahre in Heidelberg wirkte. Es befindet sich auf dem neuen Campus
Im Neuenheimer Feld 227. Die großzügig verglasten Gänge im Gebäude bieten während
normaler Arbeitszeiten Zugang zu interessanten Ausstellungen. Dazu gehört eine Dauerausstellung: „Kirchhoff (1824–1887) – Das gewöhnliche Leben eines außergewöhnlichen
Mannes“. Kirchhoffs Name bleibt verbunden mit der Geburtsstunde der Astrophysik
durch seine Spektralanalyse der Sonne (Kapitel 8.5). Ferner durch das nach ihm benannte
Strahlungsgesetz und die Idee des Schwarzen Körpers. Im ersten Stock des Gebäudes
schwingt ein Foucaultsches Pendel (Abb. 10.10) an einem 11 m langen Seil mit einer
Schwingungsdauer von 6.7 Sekunden. Verursacht durch die Erddrehung dreht sich die
Pendelebene gegenüber dem Gebäude. Die goldene Kugel am Seilende schwingt dicht
über dem Fußboden und wirft dabei im Laufe von 31.6 Stunden einen nach dem anderen
von 48 im Kreis aufgestellten Stiften um. Am Nordpol aufgehängt würden die Stifte in
24 Stunden fallen. Alle Geheimnisse des Foucaultschen Pendels (und der Wiederaufstellung der darniederliegenden Stifte) werden vor Ort ausführlich und verständlich erklärt.
Abb. 10.10: Im Kirchhoff-Institut für Physik
wird mit einem öffentlich zugänglichen Foucault-Pendel die
Erddrehung nachgewiesen. Das war ein
Thema in Kirchhoffs
Vorlesungen. Daneben
erinnert eine Dauerausstellung an die wissenschaftlichen Leistungen
von Gustav Kirchhoff,
zu denen auch die
Begründung der Astrophysik gehörte
(Lemke).
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10.11 Max-Planck-Institut für Kernphysik
Das am Hang des Königstuhls gelegene Institut (Saupfercheckweg 1) arbeitet unter
anderem auf dem Forschungsgebiet der Astroteilchenphysik. Die sehr erfolgreichen
Tscherenkow-Teleskope (HESS) für kosmische Gammastrahlen befinden sich in Namibia, unweit vom Gamsberg. Die Neutrino-Teleskope des Instituts waren tief unter einem
Bergstock im Apennin aufgebaut. Modelle und Informationstafeln im Institut unterrichten über diese Forschungen. Zusätzlich werden Führungen angeboten. Dabei sind auch
interessante Instrumente und Ergebnisdarstellungen einer intensiven Erforschung des
interplanetaren Raums in den letzten Jahrzehnten zu besichtigen, u. a. eine MeteoritenSammlung. Das Institut verfügte zeitweise über Mondgestein von den Apollo-Landungen,
das von der NASA hierher zur Untersuchung gegeben wurde. In einem SchwerionenSpeicherring mit 55 m Umfang wird die Entstehung von Molekülen im interstellaren
Raum untersucht (Abb. 10.11). Eine kleine Sternwarte auf dem Hauptgebäude erinnert
an die astronomischen Interessen des Gründungsdirektors Wolfgang Gentner.
Abb. 10.11: Der Schwerionen-Speicherring im MPI Kernphysik kann im Rahmen einer InstitutsFührung besichtigt werden. Hier wird die Entstehung von Molekülen unter den extremen Bedingungen im Weltraum (Höchstvakuum, energiereiches Strahlungsfeld, sehr niedrige Temperaturen)
untersucht (MPI Kernphysik).
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10.12 Mannheimer Sternwarte
Auf Anregung des Mannheimer Hofastronomen Christian Mayer und gefördert vom
Kurfürsten Carl Theodor wurde zwischen 1772 und 1775 dicht beim Schloss und der
Jesuitenkirche ein viergeschössiger Sternwartenturm errichtet. Diese Sternwarte gehörte
bald zu den bedeutendsten in Europa. Sie zog viele Besucher an, darunter Mozart, Jefferson, Volta. Der Sternwartenturm zeigt sich nach Ausbesserung geringer Schäden aus
dem letzten Weltkrieg heute so wie vor ~ 235 Jahren (Abb. 10.12). Die Außenbesichtigung des Turms und der dort angebrachten Erinnerungstafeln an die damals hier tätigen
Astronomen und an die Vermessung der Kurpfalz ist lohnend. Eine Innenbesichtigung
ist gegenwärtig wegen inzwischen anderer Nutzung des Turms nicht möglich, aber für
die Zukunft geplant. Ein Teil der alten astronomischen Instrumente befindet sich im
Mannheimer Landesmuseum für Technik und Arbeit.
Abb. 10.12: Die alte Mannheimer Sternwarte
neben der Jesuitenkirche kann von außen
besichtigt werden. Das lohnt auch wegen der
vielen Erinnerungstafeln an ihre führenden
Köpfe und deren Leistungen (Lemke).
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10.13 Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim
In der Astronomischen Abteilung des Museums werden die erhalten gebliebenen Instrumente der Mannheimer Sternwarte gezeigt (Abb. 10.13). Von besonderem Interesse sind
der große Mauerquadrant mit 2.5 m Radius und ein 2.6 m langes Fernrohr, gefertigt von
John Bird in London im Jahre 1775. Ein 2.25 m langes Linsenfernrohr mit einem
Objektiv von 10 cm Durchmesser wurde von Peter Dollond 1769 aus London beschafft.
Es besitzt achromatische Linsen, für die Dollond ein Patent besaß. Ebenfalls aus London
stammt die etwa 1769 gefertigte große Kompensations-Pendeluhr. Neben der Sammlung
historischer Instrumente laden moderne optische Instrumente und selbstauszuführende
naturwissenschaftliche Experimente zum Museumsbesuch ein. Das Ballonteleskop
THISBE und das HELIOS Zodiakallicht-Instrument des MPIA bewahrt das Museum
im Magazin für künftige Ausstellungen auf.
Abb. 10.13: Das
Landesmuseum für
Technik und Arbeit
(jetzt „Technoseum“)
in Mannheim zeigt in
seiner Astronomie-Abteilung unter anderem
wertvolle historische Instrumente der alten
Mannheimer Sternwarte. Links drei
Linsenfernrohre, die
oberen beiden stammen
von Fraunhofer und
Utzschneider aus den
Jahren 1816/1817.
Mit dem großen Linsenfernrohr hat Mayer
1769 in St. Petersburg
den Venus-Durchgang
beobachtet (Lemke).
334
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10.14 Planetarium Mannheim
Bereits im Jahre 1927 wurde im Mannheimer Luisenpark ein Planetarium gebaut. Es war
weltweit eines der ersten, musste aber nach Bombenschäden während des Krieges abgerissen werden. Der Neubau am Ende der Autobahn von Heidelberg wurde im Dezember
1984 eröffnet (Abb. 10.14). Heute ist das Planetarium mit dem modernsten Projektor
„Universarium“ der ZEISS-Modellreihe IX ausgerüstet. Unter einer 20 m-Kuppel gibt es
277 Beobachtungssitze. Täglich (außer montags) finden mehrere Vorführungen für unterschiedliche Interessengruppen statt.
Abb. 10.14: Das Mannheimer Planetarium ist mit einem der modernsten Himmels-Projektoren
ausgerüstet und bietet laufend ein astronomisches Vortragsprogramm an. Dieser Neubau entstand im
Jahre 1984. Dahinter erkennt man das Landesmuseum für Technik und Arbeit mit seiner interessanten Sammlung historischer astronomischer Instrumente, siehe Abb. 10.13. Oben rechts der Heidelberger Königstuhl (Lemke).
335
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10.15 Sternwarte auf dem Schwetzinger Schloss
Die erste kurpfälzische Sternwarte wurde 1764 auf dem Dach des Schwetzinger Schlosses
errichtet. Eine Frankenthaler Porzellan-Plakette von ~1770 zeigt die 3 m-Kuppel (Abb.
10.15-1). Nachdem Christian Mayer mit der Beobachtung des Venus-Transits im Juni
1761 im Schlossgarten unter Anwesenheit des Kurfürsten Eindruck gemacht hatte,
bewilligte dieser den Bau der Dachsternwarte. Es war nur eine Übergangslösung, war
Abb. 10.15-1: Die Sternwarte auf dem Schwetzinger Schloss um das Jahr 1770, gemalt auf eine
Frankenthaler Porzellan-Plakette. Sie wird im Bayerischen Nationalmuseum in München aufbewahrt
(Bayer. Nationalmuseum, Karl-Michael Vetters).
336
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doch die Sternwarte auf dem hölzernen Dachstuhl aufgesetzt. Mayer führte von hier aus
astronomische Beobachtungen durch und begann die Landesvermessung der Kurpfalz
vorzubereiten. Zwei unbeheizbare Räume unter dem Dach dienten ihm zum Arbeiten
und Aufbewahren seiner Instrumente, sie sind (ohne Einrichtung) erhalten geblieben.
Die Kuppel wurde 1774 abgebaut, nachdem die große Mannheimer Sternwarte errichtet
worden war. Heute noch ist die Plattform auf dem Schloss erkennbar (Abb. 10.15-2). Sie
kann (nach Anfrage bei der Schlossverwaltung) gegebenenfalls betreten werden.
Abb. 10.15-2: Heutiger Anblick des Schwetzinger Schlosses (Ostseite) mit der Plattform, auf der
Christian Mayers Sternwarte errichtet war, siehe Abb.10.15-1 (Lemke).
337
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10.16 Walter-Hohmann-Höhe in Hardheim
Hardheim, im nordöstlichen Odenwald gelegen, ist der Geburtsort von Walter Hohmann
(1880-1945), einem Wegbereiter der Raumfahrt. Als promovierter Bauingenieur leitete
er die Statik und Materialprüfung der Baubehörde der Stadt Essen. In seiner Freizeit
berechnete er ab 1911 Bahnen für Raumflugkörper zu anderen Planeten, die 1925 im
Abb. 10.16-1: Ein Original
der Erstausgabe von Walter
Hohmanns Werk vom Jahre
1925 ist neben zahlreichen
Gegenständen und raumfahrtbezogenen Notizen von
seiner Hand im ErfatalMuseum ausgestellt.
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Buch „Die Erreichbarkeit der Himmelskörper“ (Oldenbourg Verlag) veröffentlicht wurden (Abb. 10.16-1). Damals noch Utopie, wurden seine Ideen bei den interplanetaren
Raumflug-Missionen der USA und der Sowjetunion angewendet. In diesen Ländern
erhielt er hohe Anerkennung: Hohmann-Bahnen sind ein Fachbegriff für Bahnen zu
anderen Himmelskörpern mit geringem Energieeinsatz. Sein Vorschlag, für die Landung
auf dem Mond ein leichtes „Beiboot“ zu benutzen, wurde über 40 Jahre später mit der
Landefähre „Eagle“ verwirklicht. In Hardheim kann man eine ihm gewidmete DauerAusstellung im Erfatal-Museum besichtigen (im Sommer am Sonntagnachmittag,
Abb.10.16-2). Sie bringt dem Besucher den ideenreichen Freizeit-Himmelsmechaniker
und einen Menschen von hohen moralischen Grundsätzen nahe. Ein Berg dicht bei der
Stadt und ein Mondkrater sind nach ihm benannt.
Abb. 10.16-2: Das Erfatal-Museum ist im Zehntspeicher des Würzburger Fürstbischofs eingerichtet.
In den beiden oberen Stockwerken des 1683 errichteten Gebäudes befindet sich das preisgekrönte
Heimatmuseum mit der Walter Hohmann Ausstellung (Lemke).
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10.17 Wegweiser zum Max-Planck-Institut für Astronomie
Abb. 10.17: „Wer zum Max-Planck-Institut für
Astronomie will, folgt in Heidelberg der Richtung zum Märchenparadies auf dem Königstuhl“, so Hans Elsässer bei der Einweihungsfeier
des Instituts-Neubaus 1976 (Lemke).
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Ein großer Teil des Buches gründet sich auf Erinnerungen und Notizen des Verfassers,
bereichert durch viele Gespräche mit damals Dabeigewesenen. Die Vor- und Frühgeschichte des Instituts konnte aus zahlreichen Briefen und Protokollen im Archiv der
Max-Planck-Gesellschaft herausgelesen werden, von denen wichtige hier aufgeführt werden. Zur Geschichte der Astronomie im Heidelberger Raum gibt es einige hervorragende
Einzeldarstellungen, unter deren Nutzung hier versucht wurde, ein Gesamtbild über die
letzten vierhundert Jahre zu zeichnen. Die wissenschaftliche Produktion des Max-PlanckInstituts für Astronomie ist groß (beispielsweise wurden allein im Jahre 2009 fast 300
wissenschaftliche Publikationen mit MPIA-Autoren und eine ebenso große Zahl von
Konferenz- und populärwissenschaftlichen Beiträgen veröffentlicht), so dass hier nur
ganz wenige Beispiele aus meist deutschsprachigen allgemeinverständlichen Veröffentlichungen ausgewählt wurden. Die gesamte wissenschaftliche Literatur des Instituts und
seine Jahresberichte sind zugänglich unter http://www.mpia.de, weiter in der Menüleiste
zu „Veröffentlichungen“.
Quellen
Kapitel 2 (Vorgeschichte und frühe Jahre des Max-Planck-Instituts für Astronomie)
Archiv der Max-Planck-Gesellschaft:
Vorarbeiten für eine Sternwarte im Rahmen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft:
I. Abt., Rep. 1A Generalverwaltung der KWG: 67. Senatsprotokoll der KWG v.
30.05.38, S.5; 68. Senatsprotokoll der KWG v. 04.04.39, S.11; Nr. 2791: Auswärtige
astronomische Beobachtungsstation: Erwin F. Freundlich: Denkschrift zur Gründung
eines auswärtigen astronomischen Forschungsinstitutes, Potsdam, 1923 (1928). – III.
Abt., Rep 83 Nachlaß Ernst Telschow, Nr. 31: Brief Telschow an Bosch v. 28.11.38.
Vorbereitung zur Gründung des Max-Planck-Instituts für Astronomie:
II. Abt., Rep. 1A Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft: Chemisch-Physikalisch-Technische Sektion des Wissenschaftlichen Rates: Akten Astronomie; Verwaltungsratsprotokolle 1963; Senatsprotokolle 1967-1971; Institutsbetreuerakten
Astronomie (1959-1975).
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Unternehmens-Archiv der BASF, Ludwigshafen: W 1, Hochheim: Versuche zur Herstellung von Quarzspiegeln und Aluminisierung von Spiegeln, Tätigkeitsbericht von
Dr. Ernst Hochheim für das Jahr 1933.
Kapitel 8 (Ein Rückblick: 400 Jahre Astronomie in Heidelberg und der Kurpfalz)
Universitätsarchiv Heidelberg: UAH RA 691, 1681-1684: Protokolle des Akademischen Senats der Universität Heidelberg.
Generallandesarchiv Karlsruhe: GLA 213/3540: Christian Mayer: Denkschrift für
eine Sternwarte, 1771.
Literatur: Zum Nach- und Weiterlesen
Kapitel 1 (Aufbruch ins All)
Hans Kienle: Astronomie. In: Max Planck (Hg.): 25 Jahre Kaiser Wilhelm Gesellschaft
zur Förderung der Wissenschaften, Band 2, Berlin 1936, S. 36-45.
Karl Schwarzschild: Die großen Sternwarten der Vereinigten Staaten. In: Internationale
Wochenschrift für Wissenschaft Kunst und Technik 4 (1910), S. 1531-1544.
Kapitel 2 (Vorgeschichte und frühe Jahre des Max-Planck-Instituts für Astronomie)
Hans Heinrich Voigt u. a.: Denkschrift Astronomie, im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Wiesbaden 1962.
Bekanntmachung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Regierung des Spanischen Staates über die Errichtung und den Betrieb des „DeutschSpanischen astronomischen Zentrums“, Bundesgesetzblatt, Teil II, 23. Nov. 1973, S.
1557.
Thorsten Neckel: Astronomische Beobachtungen auf dem Gamsberg. In: Journal. SWA
Wissenschaftliche Gesellschaft, 38.1982/83–1983/84 (1984), S. 49-77.
Bernd Müller, Peter Blum: Architekturführer Heidelberg. Berlin 1998.
Thorsten Döhring, Ralf Jedamzik, Armin Thomas, Peter Hartmann: Forty years of ZERODUR mirror substrates for astronomy – Review and Outlook, Proc. SPIE 7018
(2008), S. 7018-3B.
342
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Kapitel 3 (Das Max-Planck-Institut für Astronomie wird zu einem weltweit führenden
Institut)
Immo Appenzeller, Harald Nicklas: Ein optisches 10 m-Teleskop für die deutsche Astronomie. In: Sterne und Weltraum 24 (1985) 11, S. 574-576.
Hans Elsässer: Weltall im Wandel. Stuttgart 1985.
Hans Elsässer: Zur neuen Denkschrift Astronomie. In: Sterne und Weltraum 25 (1986)
3, S. 143-145.
Heinrich J. Völk: Die „Denkschrift Astronomie“. In: Sterne und Weltraum 25 (1986)
5, S. 258-259.
Wissenschaftsrat: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen
in der ehemaligen DDR auf dem Gebiet der Geo- und Kosmoswissenschaften. Köln
1992.
Werner Pfau: Als Neuling auf dem Calar Alto. In: Die Sterne 67 (1991) 4, S. 185-192.
Hans Elsässer: Warum Astronomie? (Festansprache zum 25. Instituts-Jubiläum). In:
Sterne und Weltraum 34 (1995), S. 612-619.
Steven V. W. Beckwith and Anneila I. Sargent: Circumstellar disks and the search for
neighbouring planetary systems. In: Nature 383 (1996), S. 139-144.
Josef Solf: Nachruf auf Hans Elsässer. In: Mitteilungen der Astronomischen Gesellschaft
86 (2003), S. 5-8.
Thomas Bührke: Hans Elsässer. In: Sterne und Weltraum 43 (2004) 8, S. 38-45.
Hans-Walter Rix: Geboren in Dunkler Materie – Zur Entstehung und Entwicklung unserer Galaxie. In: Sterne und Weltraum 45 (2006) Spezial 1, S. 102-111.
Klaus Meisenheimer: Die Suche nach Staubtori in aktiven galaktischen Kernen, Sterne
und Weltraum 45 (2006) 7, S. 24-30.
Sebastian Wolf, Thomas Henning, Ralf Launhardt: Die Geburt von Sternen und Planeten. In: Sterne und Weltraum 45 (2006) Spezial 1, S. 62-75.
Hans-Walter Rix: Perspektiven astronomischer Entdeckungen. In: Sterne und Weltraum
47 (2008) 8, S. 32-40.
Hubert Klahr und Thomas Henning: Aufregende neue Planetenwelten. In: Sterne und
Weltraum 48 (2009) 6, S. 32-47.
Kapitel 5 (Observatorien im Weltraum und am Boden)
Heinrich J. Völk u. a.: Denkschrift Astronomie. Im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Zusammenwirken mit dem Rat der Westdeutschen Sternwarten u.
zahlr. Fachgelehrten. Weinheim 1987.
343
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 344
Christoph Leinert und Uwe Graser: Interferometrie an Großteleskopen. In: Sterne und
Weltraum 43 (2004) 11, S. 32-39.
Dietrich Lemke: ISO – Von der Idee zum Instrument. In: Sterne und Weltraum 43
(2004) Spezial 1, S. 52-73.
Stefan Hippler und Markus Kasper: Dem Seeing ein Schnippchen schlagen. Adaptive
Optik in der Astronomie. In: Sterne und Weltraum 43 (2004) 10, S. 32-42.
Dietrich Lemke: Hubbles Nachfolger. Das James Webb Space Telescope. In: Sterne und
Weltraum 45 (2006) 8, S. 26-34.
Dietrich Lemke: Das Weltraumteleskop Herschel vor dem Start. In: Sterne und Weltraum 47 (2008) 1, S. 36-46.
Thomas Henning: Das Large Binocular Telescope – Eine große Himmelsmaschine. In:
Jakob Staude (Hg.): Galileis erster Blick durchs Fernrohr und die Folgen heute. Heidelberg 2010, S. 113-128.
Kapitel 6 (Verbindung zu Universität und Öffentlichkeit)
Jakob Staude: Das „Haus der Astronomie“. In: Sterne und Weltraum 48 (2009) 2, S.
30-31.
Kapitel 8 (Ein Rückblick: 400 Jahre Astronomie in Heidelberg und der Kurpfalz)
Hans-Dieter Dyroff: Gotthard Vögelin – Verleger, Drucker, Buchhändler 1597 – 1631
(Dissertation Universität Mainz 1961). In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurt, 18 (1962) 24a, S. 393-540.
Albert Mays und Karl Christ (Hg.): Einwohnerverzeichniß der Stadt Heidelberg vom
Jahr 1588. Heidelberg 1890.
Dagmar Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon, Bd. 3: 1386 – 1651, Berlin [u. a.] 2001.
August Thorbecke: Statuten und Reformationen der Universität Heidelberg vom 16. bis
18. Jahrhundert. Leipzig 1891.
Eduard Winkelmann (Hg.): Urkundenbuch der Universität Heidelberg.Heidelberg 1886.
Gerhard Merkel: Der universitäre Grundbesitz in der Stadt bis Ende des 17. Jahrhunderts. In: Bernhard Eitel und Peter Meusburger (Hg): Wissenschaftsatlas der Universität Heidelberg, herausgegeben zum 625. Jahrestag. Heidelberg 2011.
Hans Ludendorff: Über die erste Verbindung des Fernrohres mit astronomischen Messinstrumenten. In: Astronomische Nachrichten 213 (1921), S. 385-390.
344
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 345
Rolf Riekher: Fernrohre und ihre Meister. Berlin 1990.
Maria Effinger, Joachim Wambsganß (Hg.): Himmlisches in Büchern. Heidelberg 2009.
Erwin Christmann: Studien zur Geschichte der Mathematik und des mathematischen
Unterrichtes in Heidelberg. Von der Gründung der Universität bis zur combinatorischen Schule. Dissertation Universität Heidelberg 1924.
Karl Kollnig: Der Hofastronom Christian Mayer 1719-1783. In: Wilhelm Doerr (Hg.):
Semper Apertus. Festschrift 600 Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Berlin
[u. a.] 1985, Bd. 1, S. 463-478.
Kai Budde: Sternwarte Mannheim. Geschichte der Mannheimer Sternwarte 1772–1880.
Heidelberg [u. a.] 2006.
Gustav Kirchhoff: Untersuchungen über das Sonnenspectrum und die Spectren der chemischen Elemente. In: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften
zu Berlin 1862, S. 63-95.
Jochen Hennig: Der Spektralapparat Kirchhoffs und Bunsens. Diepholz 2003. (Deutsches Museum. Wissenschafts- und Technikgeschichte – Originale, Modelle und Rekonstruktionen. 1).
Klaus Hübner: Gustav Robert Kirchhoff – Das gewöhnliche Leben eines außergewöhnlichen Mannes. Heidelberg [u. a.] 2010.
Franz Kerschbaum, I. Müller: Otto von Littrow and his Spectrograph. In: Astronomische
Nachrichten 330 (2009) 6, S. 574-577.
Klaus Hentschel: Der Einstein-Turm. Heidelberg [u. a.] 1992.
Dieter B. Herrmann: Zur Vorgeschichte des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam (1865 bis 1874). In: Astronomische Nachrichten 269 (1975) 6, S. 245-259.
Pfälzer Bote. Zeitungs-Ausgaben vom 13. und 22. März 1895.
Theda Schmidt-Neirynck: Die Landessternwarte Heidelberg. In: Wilhelm Doerr (Hg.):
Semper Apertus. Festschrift 600 Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Berlin
[u. a.] 1985, Bd. 1, S. 559-575.
Max Wolf, 1863-1932. Ein Gedenkblatt. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie
der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse, Jg. 1933, Abh. 4.
August Kopff: Max Wolf. In: Vierteljahresschrift der Astronomischen Gesellschaft, 68
(1933) 1, S. 9-30.
Hans Barth: Hermann Oberth. Esslingen [u. a.] 1991.
Hermann Oberth: Wege zur Raumschiffahrt. Düsseldorf 1986.
345
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 346
Kapitel 9 (Übersichten zur Geschichte des Max-Planck-Instituts für Astronomie)
Lutz Schmadel: Dictionary of Minor Planet Names, 5. Auflage, 2003, mit Addendum
2006, Berlin, Heidelberg New York.
Eckart Henning und Marion Kazemi: Handbuch zur Institutsgeschichte der Kaiser-Wilhelm-/ Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften [in Vorbereitung],
2011.
Kapitel 10 (Wegweiser zu Stätten der Astronomie in Heidelberg und Umgebung)
Jürgen von Esenwein, Michael Utz: Folg’ ich meinem Genius – Gedenktafeln berühmter
Männer und Frauen in Heidelberg. Heidelberg 1998.
100 Jahre Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl. Landessternwarte Heidelberg (Hg.).
Heidelberg 1997.
Leena Ruuskanen: Der Heidelberger Bergfriedhof. Kulturgeschichte und Grabkultur,
ausgewählte Grabstätten. Heidelberg 1992. (Buchreihe der Stadt Heidelberg. 3).
Walter Hohmann: Die Erreichbarkeit der Himmelskörper, 3. Aufl. München [u. a.]
1994.
346
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 347
Abkürzungen
AG
ALFA
ALMA
AO
ARI
BASF
BMwF
CADIS
CAFOS
CARMENES
CasA
CCD
CERN
CHARM
CoI
Co-PI
COMBO17
CONICA
CPTS
DESY
DFG
DGT
DLR
ECHO
E-ELT
ESA
ESO
ESRO
Astronomische Gesellschaft
Adaptive Optics with Laser for Astronomy
Atacama Large Millimeter Array
Adaptive Optik
Astronomisches Recheninstitut
Badische Anilin und Soda Fabrik, Ludwigshafen
Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung
Calar Alto Deep Imaging Survey
Calar Alto Faint Object Spectrograph
Calar Alto High-Resolution Search for M-Dwarfs with
Exo-Earths with a Near-Infrared Echelle Spectrograph
Cassiopeia A (Supernova Überrest)
Charge Coupled Device
European Organization for Nuclear Research
Camera High Angular Resolution Module
Co-Investigator
Co-Principal Investigator
Classifying Objects by Medium-Band Observations
(17-filter survey)
High Resolution Near Infrared Camera für das Very Large
Telescope
Chemisch-Physikalisch Technische Sektion
Deutsches Elektronensynchrotron
Deutsche Forschungsgemeinschaft
Deutsches Großteleskop
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Exoplanet Characterization Observatory
European Extremely Large Telescope
European Space Agency
European Southern Observatory
European Space Research Organisation
347
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 348
FIRST
FORS
FPI
FrInGe
GEMS
GIRL
GRAVITY
GSI
HdA
HELIOS
HESS
IAC
IC
IMPRS
IPS
IR
IRAS
ISO
ISO-LWS
ISOPHOT
ISOSS
ITA
JWST
KWG
LBT
LHC
LINC-NIRVANA
LIRTS
LSW
LUCIFER
348
Far Infrared Space Telescope
Focal Reducer and Low Dispersion Spectrograph für das Verly
Large Telescope
Fabry-Perot-Interferometer
Frontiers of Interferometry in Germany
Galaxy Evolution from Morphology and Spectral Energy
Distribution
German Infrared Laboratory
NIR-Instrument für Mikrobogensekunden-Astrometrie
am VLTI
Gesellschaft für Schwerionenforschung
Haus der Astronomie
Sonnensonde
High Energy Stereoscopic System
Instituto de Astrofisica de Canarias
Integrated Circuit
International Max Planck Research School
Instrument Pointing System
Infrarot
Infrared Astronomical Satellite
Infrared Space Observatory
Long Wave Length Spectrometer des ISO-Satelliten
Photometer-Instrument des ISO-Satelliten
ISO Serendipity Survey
Institut für theoretische Astrophysik
James Webb Space Telescope
Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (Vorgänger der MPG)
Large Binocular Telescope
Large Hadron Collider
LBT Interferometric Camera – Near Infrared Visible Adaptive
Interferometer
Large Infrared Telescope in Space
Landessternwarte
LBT Near Infrared Spectroscopic Utility with Camera and
Integral Field Unit for Exgtra-Galactic Research
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 349
MAGIC
MATISSE
MAX-Camera
METIS
MICADO
MIDI
MIRI
MOSCA
MPE
MPG
MPIA
MPIK
NACO
NAOS
NASA
NGST
NICMOS
NIR
NIRSPEC
OMEGA-Cass
OMEGA-Prime
OWL
PACS
PAH
Pan-STARRS
PANIC
PARSEC
PI
PRIMA
PRIME
RM
SALT
Max-Planck-Institut für Astronomie General Purpose Infrared
Camera
Multi-Aperture Mid-Infrared Spectroscopic Experiment
Mid-Infrared Array Expandable für UKIRT
Mid-Infrared E-ELT Imager and Spectrograph
Multi-Conjugated Adaptive Optics Imaging Camera for Deep
Observations
Mid-Infrared Interferometric Instrument
Mid-Infrared Instrument für das James Webb Space Telescope
Multi-Object Spectrograph for Calar Alto
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Max-Planck-Gesellschaft
Max-Planck-Institut für Astronomie
Max-Planck-Institut für Kernphysik
NAOS-CONICA (Coude Near-Infrared Camera)
Nasmyth Adaptive Optics Systems
National Aeronautics and Space Administration
Next Generation Space Telescope (jetzt JWST)
Near-Infrared Camera and Multi-Object Spectrometer für
HUBBLE
Nahes Infrarot
Near-Infrared Spectrometer für das James Webb Space Telescope
NIR-Kamera im Cassegrain-Fokus
NIR-Kamera im Primär-Fokus
Overwhemlingly Large Telescope
Photodetector Array Camera and Spectrometer für den
HERSCHEL-Satelliten
Polycyclic Aromatic Hydrocarbons
Panoramic Survey Telescope and Rapid Response System
Panoramic near-infrared camera
Paranal Artificial Star Extended Coverage
Principal Investigator
Phase Referenced Imaging and Microarcsecond Astronomy
Primodial Explorer
Reichsmark
South African Large Telescope
349
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SDI
SDSS
SPHERE
STScI
SuW
THISBE
TMT
UKIRT
VLA
VLT
VLTI
WBK
ZAH
ZIAP
350
Strategic Defence Initiative
Solan Digital Sky Survey
Spectro-Polarimetric High-Contrast Exoplanet Research
Space Telescope Science Institute
“Sterne und Weltraum”, Zeitschrift
Telescope of Heidelberg for Infrared Studies by Balloon-Borne
Experiments
Thirty Meter Telescope
United Kingdom Infrared Telescope
Very Large Array
Very Large Telescope
Very Large Telescope Interferometer
Wissenschaftliches Beratergremium
Zentrum für Astronomie Heidelberg
Zentralinstitut für Astrophysik
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 351
Danksagung
Ein solches Buch kann ohne die Erinnerungen und die vielfältige Unterstützung von
heutigen und ehemaligen Kollegen aus dem Institut kaum geschrieben werden. Allen,
die zu seinem Entstehen beigetragen haben, möchte ich herzlich danken. Zwei meiner
Kollegen mit großen Verantwortungsbereichen in den Aufbaujahren, Dr. Kurt Birkle
und Walter Rauh, mit denen ich viele Gespräche über die ersten Jahrzehnte des Instituts
führen konnte, sind im Jahre 2010 unter tragischen Umständen verstorben. Dieses Buch
soll dankbare Erinnerung an sie wach halten.
Prof. Dr. Thomas Henning und Prof. Dr. Hans-Walter Rix haben als Direktoren des
Instituts das Aufschreiben seiner Geschichte vielfältig unterstützt, einen Entwurf kommentiert und Auskunft über die Zukunft gegeben. Erste Fassungen des Buches und einzelner Kapitel wurden von den damals Handelnden kommentiert: Prof. Dr. Immo
Appenzeller, Dr. Kurt Birkle, Dr. Christian Fendt, Dr. Tom Herbst, Dr. Friedrich Huisken, Dr. Rainer Lenzen, Dr. Karl-Heinz Marien, Prof. Dr. Kalevi Mattila, Prof. Dr. Klaus
Meisenheimer, Prof. Dr. Reinhard Mundt, Dr. Thorsten Neckel, Walter Rauh, Dr. Uwe
Reichert, Dr. Robert Schmidt und Dr. Jacob Staude. Insbesondere mein Schreibtischnachbar im „Emeritiertenzimmer“, Prof. Dr. Christoph Leinert, hat durch ergänzende
Erinnerungen und Ratschläge einen wesentlichen Beitrag geleistet. Mehrere der Erwähnten haben durch Bereitstellung alter privater Fotos eine Bild-Dokumentation der frühen
Institutsgeschichte ermöglicht. Ingrid Apfel, Mathias Voss und Doris Anders haben mir
statistische Zahlen und Bilder zur jüngsten Vergangenheit zur Verfügung gestellt.
Auskünfte, Dokumente und Bilder erhielt ich von mehreren Institutionen: dem Archiv,
der Bibliothek und dem Geographischen Institut der Universität Heidelberg, dem Stadtarchiv Heidelberg, dem Firmenarchiv der BASF Ludwigshafen, dem Firmenarchiv der
Heidelberger Zementwerke, dem Carl Bosch Museum Heidelberg, den Schlossverwaltungen in Heidelberg und Schwetzingen, dem Badischen Generalarchiv Karlsruhe, dem
Bildarchiv der Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg, dem Kurpfälzischen Museum Heidelberg, dem Universitäts-Museum Heidelberg, dem Landesmuseum für Technik und
Arbeit Mannheim, der Bibliothek des Deutschen Wissenschaftsrates Köln, dem Bayerischen Nationalmuseum München, der Hanns-Seidel-Stiftung der CSU in München,
dem Erfatal-Museum Hardheim und aus dem Nachlass von Prof. Dr. Hans Elsässer im
MPIA.
351
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 352
Monika Dueck hat mir schwer beschaffbare Literatur besorgt. Carmen Müllerthann hat
die Abbildungen in der Entstehungsphase elektronisch überarbeitet und katalogisiert.
Dr. Axel Quetz hat eine zum Druck ablieferfähige Bild-Datei hoher Qualität erstellt und
mehrere Abbildungen aus dem Archiv von „Sterne und Weltraum“ beigestellt.
Prof. Dr. Klaus Hübner vom Kirchhoff-Institut der hiesigen Universität und Dr. Kurt
Arlt vom Astrophysikalischen Institut Potsdam haben mit Gesprächen und Material zum
Beginn der Astrophysik beigetragen. Dr. Gerhard Merkel hat mich auf mehrere die
Astronomie betreffende Urkunden in den bis zu 400 Jahre alten Akten der Universität
hingewiesen und mir beim Entziffern alter Handschriften Hilfe geleistet. Dr. Gerhard
Klare gewährte mir Einblicke in die Geschichte der Landessternwarte Heidelberg. Dr.Ing. Georg Greschner, Mainz, hat mir viel über Hermann Oberths Werdegang in
Deutschland berichtet. Architekt Bernd Müller klärte mich über die Betonbaustile der
letzten 50 Jahre in Heidelberg auf. Mit Prof. Dr. Werner Pfau und Prof. Dr. Josef Solf
konnte ich über die Zeiten der Trennung und der Wiedervereinigung Deutschlands sprechen, insbesondere auch über die astronomischen Beziehungen zwischen Heidelberg
und Jena.
Besonders wertvoll waren Gespräche über die Gründungsgeschichte mit Prof. Dr. Reimar
Lüst, der in vielen Ämtern der erste, stetige und wirkungsvollste Förderer unseres Institutes war. Prof. Dr. Hans-Heinrich Voigt hat mir lebendig die Geschichte der ersten
„Denkschrift Astronomie“ berichtet.
Das Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem hat mir Einblick in viele
Dokumente der Kaiser-Wilhelm- und der Max-Planck-Gesellschaft gewährt. Dr. Lorenz
Beck hat die Aufnahme dieser Schrift in die Veröffentlichungsreihe des Archivs zugesagt.
Dr. Marion Kazemi hat mich als Mitherausgeberin und Redakteurin dieses Buches in der
Phase des Drucks und der endgültigen Gestaltung wirkungsvoll beraten und entlastet.
Der Vizepräsidenten der MPG, Prof. Dr. Martin Stratmann, hat mir die Genehmigung
zur Akteneinsicht im Archiv der Gesellschaft gewährt.
Meine Tochter Maren hat ungezählte handschriftliche Manuskript-Fragmente aus
wöchentlichen Briefsendungen der letzten Jahre in einen ersten elektronisch verarbeitbaren Text übertragen. Meine Tochter Urte hat durch journalistische Ratschläge zu einem
flüssiger lesbaren Manuskript beigetragen. Meine Frau Waltraud ist seit über fünfzig
Jahren und auch bei diesem „Spätwerk“ meine wichtigste Gesprächspartnerin gewesen.
352
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 353
Personenregister
Abraham, Peter 231
Ackermann, Gerhard 309
Al-Fargani, Akhmad 280
Alfonso, Christina
Alter, Matthias 141
Anders, Doris 157, 166, 179, 181, 240,
351
Apfel, Ingrid 240, 351
Appenzeller, Immo 34, 69, 133, 139f.,
142, 146, 212, 311, 313f., 316, 319,
351
Argelander, Friedrich Wilhelm 24, 289
Bahner, Klaus 45, 68, 70
Bailer-Jones, Coryn 149, 151, 169, 207,
226
Bartelmann, Matthias 245, 249
Baumeister, Harald 141
Becker, Friedrich 23
Beckwith, Steven 117, 121–126, 131–
133, 137, 139f., 142, 145f., 153,
182, 213, 225, 231, 313, 315f.
Beetz, Max 110, 311
Bell, Eric 163f., 166f., 170, 226
Bellemann, Heinrich 180, 182
Benz, Willy 313, 317
Bessel, Friedrich Wilhelm 24
Beuther, Henrik 170, 226
Biermann, Ludwig 28, 32f., 44, 89
Birkle, Kurt 48–52, 54, 64, 69, 77, 110,
127, 319, 351
Birkmann, Stephan 195
Bitzenberger, Peter 131
Blum, Jürgen 143, 231
Bockel, Roy van 214
Böhm, Armin 181f.
Böhm, Karl-Heinz 248, 313, 315
Böhm-Vitense, Erika 248
Bosch, Carl 21f., 325, 330
Bosch, Frank van den 170, 231
Bothe, Walter 249
Brahe, Tycho 276
Brandl, Bernhard 220
Brandner, Wolfgang 157, 220
Brauer, Frithjof 319
Briegel, Florian 185
Bruce, Catherine W. 299
Brünnow, Franz 325
Bruggencate, Paul ten 22
Bruno, Giordano 276
Budde, Kai 287, 289
Bührke, Thomas 100, 102
Bunsen, Robert 14, 18, 24, 117, 290–
292, 294–296, 298, 321f., 324f.
Burkert, Andreas 225, 231
Butenandt, Adolf 27, 31, 44f., 50, 314
Carl Philipp, Kurfürst von Pfalz-Neuburg 285
Carl Theodor, Kurfürst von der Pfalz
284, 288f., 333
Chini, Rolf 61, 231
Christmann, Jacob 279–281
Cotta, Johann Friedrich 288
Cranz, Jürgen 55, 59
353
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 354
Datson, Juliet Clair 319
Dehnen, Walter 231
Dieminger, Walter 28
Dollond, Peter 334
Domin, Hilde 325
Dorschner, Johannes 134
Dueck, Monika 173, 352
Dullemond, Cornelis 153, 170, 226
Dyck, Mel 115, 212
Ebert, Friedrich 325
Einstein, Albert 19, 307
Eiroa, Carlos 99f., 231
Elsässer, Albrecht 146
Elsässer, Gisela 146
Elsässer, Hans 12, 14, 17, 23, 27, 29,
31–34, 36, 38, 40, 44–49, 54–56, 58,
61–63, 66, 69, 79, 84f., 89f., 100f.,
107, 113f., 120–124, 134f., 137,
139, 144–148, 169, 171, 176, 180f.,
208–210, 222, 224f., 234, 238,
241f., 248, 308–311, 313, 316, 319,
325, 330, 340
Elsässer, Ruth 325
Eötvös, Lorand 294, 322
Fahrbach, Hans-Ulrich 114
Fassbender, René 141
Fath, Dieter 183f.
Fechtig, Hugo 91, 249
Fendt, Christian 228, 351
Filsinger, Traudel 34
Fink, Edgar 171
Foerster, Wilhelm 289, 296
Fraunhofer, Joseph 291, 334
Freundlich, Erwin Finlay 19–22
354
Frey, Albrecht 93
Frey, Emil 33
Fricke, Walter 23, 26f., 44, 248, 313f.
Fried, Josef 106, 108, 132, 225
Friedemann, Christian 134
Friedrich I., Großherzog von Baden 299
Friedrich IV., Pfalzgraf u. Kurfürst von
der Pfalz 279
Friedrich III., Deutscher Kaiser 296
Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg
247
Gabsdil, Werner 93
Galilei, Galileo 14, 279–281
Gauß, Carl Friedrich 24, 289
Gehren, Thomas 104, 231
Gentner, Wolfgang 26, 28, 32, 44, 249,
332
Genzel, Reinhard 129, 146, 211
Glindemann, Andreas 128, 131, 225
Glum, Friedrich 20
Graser, Uwe 112, 187, 214
Grebel, Eva 163, 170, 231, 248
Gredel, Roland 221, 223
Gregor XV., Papst 284
Grimm, Bernhard 184, 187
Grözinger, Ulrich 184
Grün, Eberhard 91
Gürtler, Jochen 134
Guijarro, Arra 141
Haas, Martin 103, 148, 194, 225, 237
Hachenberg, Otto 33
Happel, Karl 309
Hartung, Markus 211
Heckl, Klaus 36, 40
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 355
Heckmann, Otto 29, 31
Hefele, Herbert 115
Heisenberg, Werner 32f., 137
Heissler, Hannelore 240
Helmholtz, Hermann von 296
Henning, Thomas 13, 15, 104, 134,
136, 142–144, 148, 152f., 156, 158,
169, 173, 198, 203, 205, 207, 219–
221, 226, 245, 252–274, 313, 316f.,
351
Herbig, George 48, 313f.
Herbst, Tom 117, 126f., 131, 216,
218f., 221, 351
Herrmann, Walter 34
Herschel, Wilhelm 198, 288
Hille, Günther 87, 118
Hippelein, Hans 45, 118
Hippler, Stefan 131, 220
Hochheim, Ernst 22
Hodapp, Klaus Werner 117, 231
Höcherl, Herrmann 26f.
Hofferbert, Ralph 205
Hofmann, Wilfried 93f.
Hohmann, Walter 338f.
Hopp, Ulrich 70
Hormuth, Felix 319
Hormuth, Wolfgang 34
Hubrig, Swetlana 134
Huisken, Friedrich 158f., 268, 351
Jäger, Klaus 230, 232, 253
Jaffe, Walter 214
Jahnke, Knud 170
Jarchow, Fritz 42
Jefferson, Thomas 288, 333
Johansen, Anders 154
Johnson, Lyndon B. 89
Jolly, Philipp von 291
Joseph, Bob 193
Juan Carlos I., König von Spanien 69,
314
Karl Ludwig, Kurfürst von der Pfalz 283
Katharina II. (die Große), Zarin von
Russland 284
Kepler, Johannes 14, 270, 275–281
Kienle, Hans 21f., 84, 308–310
Kippenhahn, Rudolf 69
Kirchhoff, Gustav 14, 18, 24, 117, 290–
298, 321f., 324f., 331
Kirste, Erich 23
Kissel, Jochen 91
Klaas, Ulrich 107f., 192, 198
Klahr, Hubert 153, 155
Klare, Gerhard 59, 352
Klessen, Ralf 231, 249
Kley, Willy 231
Köster, Werner 27f.
Kohl, Helmut 237
Koltes-Al-Zoubi, Susanne 240
Kopernikus, Nicolaus 275
Kopff, August 309
Koposov, Sergej 164
Kovacs, Zoltan 141
Krabbe, Alfred 115, 231
Krause, Oliver 195–197, 202, 204
Kühn, Rudolf 241
Kühr, Helmut 225
Kürster, Martin 145, 183
Labs, Dietrich 84, 309
Lahulla, Felix 54
355
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 356
Launhardt, Ralf 134
Leinert, Christoph 45, 83, 85, 89f., 103,
115, 148, 212–214, 225, 309, 351
Lemke, Dietrich 34, 45, 62, 84, 91,
92f., 96, 98, 138, 145, 177, 179,
182f., 189f., 198, 203, 205, 225,
230, 235, 240, 244f., 247f., 252–
274, 293f., 300, 309, 311, 319, 321–
326, 329–331, 333–335, 337, 339f.
Lenard, Philipp 295, 307f., 322, 326
Lenz, Hans 27
Lenzen, Rainer 115f., 157, 207, 210,
212, 220, 351
Lesch, Harald 243
Link, Hartmut 85f., 311
Lipperhey, Hans 279
Littrow, Otto von 296
Löhle, Fritz 20
Ludwig VI., Kurfürst von der Pfalz 281
Lüst, Reimar 12, 27–29, 31, 33, 44f.,
69, 79, 82–84, 146, 314, 352
Luichtel, Georg 205
Maestlin, Michael 281
Mall, Ulrich 141
Mandel, Holger 219
Marien, Karl-Heinz 112f., 187, 351
Markl, Hubert 142
Mayer, Christian 284–289, 329, 333f.,
336f.
McCaughrean, Mark 131, 231
Meisenheimer, Klaus 106f., 132, 165–
167, 214, 225, 230, 351
Meissner, Karin 240
Meitinger, Otto 44
Mendelsohn, Erich 20
356
Merian, Matthäus 277, 282
Meyer, Michel 153
Mozart, Wolfgang 288, 333
Müller, Thomas 319
Münch, Guido 61, 111, 118, 120–123,
225, 313–315
Muncke, Georg Wilhelm 283, 295
Mundt, Reinhard 100, 102, 149, 151,
225, 228, 230, 351
Mutschler, Carlfried 42
Neckel, Heinz 309
Neckel, Thorsten 34, 45, 54, 55–61, 99,
207, 351
Nunez de las Cuevas, Rodolfo 44
Oberth, Hermann 305–308, 326, 352
Olbers, Heinrich 288f.
Oort, Jan Hendrik 29
Otho, Valentin 281–283
Pentericci, Laura 161f.
Petzold, Jürgen 66
Pfau, Werner 134, 146, 243, 352
Piazzi, Giuseppe 289
Pihale, Franz 34
Pitz, Eckhart 84f., 88, 118, 132, 309
Pössel, Markus 232
Poglitsch, Alfred 198
Popescu, Christina 114
Preiß, Günter 38
Quetz, Axel 232, 352
Ragazzoni, Roberto 216f., 316
Raiser, Ludwig 27
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 357
Rauh, Walter 112, 183f., 327, 351
Ray, Tom 100, 102
Rebolo, Rafael 149, 313, 316
Reichert, Uwe 243, 285, 351
Reimann, Hans-Georg 134
Reinmuth, Karl 325
Richichi, Andrea 103
Richter, Frank 185
Richter, Lois 59
Rix, Hans-Walter 15, 137–142, 144,
146, 160–164, 166f., 170f., 182,
205, 207, 219, 221, 226, 228, 230,
252–274, 313, 316f., 351
Rodmann, Jens 153, 156
Röser, Hermann-Josef 106, 117, 141,
166, 225
Röser, Siegfried 319
Rohloff, Ralf-Rainer 182, 212, 319
Romana, Padre 44
Roth, Günter D. 241, 243
Rudolf II., Kaiser des Heil. Röm. Reiches
276
Salm, Norbert 90
Sanchez Lavega, Augustin 231
Schaifers, Karl 241
Scheffler, Helmut 224
Schinnerer, Eva 170
Schlötelburg, Martin 106
Schlüter, Arnulf 28
Schmadel, Lutz 70, 319
Schmidt, Helmut 232
Schmidt, Karl-Heinz 134, 146, 241
Schmidt, Thomas 54, 84
Schmidt-Kaler, Theodor 48
Schmidt-Ott, Friedrich 19
Schneider, Horst 44
Schnell, Anneliese 243
Schnopper, Herb 190
Schnur, Gerhard 55, 70, 311
Schönfeld, Eduard 289
Schütz, Hubert 92, 183
Schulz, Hartmut 106
Schwarze, Bodo 34
Schwarzschild, Karl 19, 24
Schwinger, Julian 84
Seedorf, Franz 284
Seip, Stefan 130
Setiawan, Johny 156f.
Solf, Josef 34, 45, 68, 99, 118, 134,
136f., 146, 225, 230f., 236
Sorg, Karl-Heinz 45
Springel, Volker 251
Staab, Heinz A. 33, 122, 145
Staude, Jakob 99-101, 232, 243, 319,
351
Stickel, Manfred 194f., 225
Stookey, S. D. 66
Storz, Clemens 141
Strittmatter, Peter 120, 215, 314
Strömgren, Bengt 29, 44f., 314
Struve, Otto von 289
Struve, Wilhelm von 288f.
Telschow, Ernst 22
Teltschik, Horst 237f.
Teufel, Erwin 238
Tilly, Johann t’Serclaes von 284
Trotha, Klaus von 144f.
Tschira, Gerda 330
Tschira, Klaus 38, 245, 319, 330
357
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 358
Valentiner, Karl 299, 302
Vehrenberg, Hans 243
Vetters, Karl-Michael 336
Vögelin, Gotthard 276–281
Voelcker, Kurt 48f., 309
Völk, Heinrich 209
Vogel, Hermann Carl 298
Vogt, Heinrich 308
Voigt, Hans-Heinrich 23, 352
Volta, Alessandro 288, 330
Voss, Mathias 171, 177, 179, 219, 351
Wacker, Wolfgang 319
Wächter, Robert 42
Wagner, Carl 28
Wagner, Karl 184, 186f.
Waigel, Theo(dor) 237
Wambsganss, Joachim 248
Webb, James 202
Weber-Bosse, Brigitte 146
Wehinger, Peter 104
Weinberger, Ronald 45
Wiemer, Hans-Jürgen 205
Windstosser 65, 75
Winkler, Fritz 22
Witzel, Christopher 238
Witzel, Frank 237f.
Wolf, Max 299–303, 307–309, 323,
325–327
Wolf, Rainer 70, 187
Wolf, Sebastian 153, 169, 226
Woltjer, Lodewijk 79
Zach, Franz Xaver von 288
Zacher, Hans 316
Zähringer, Josef 249
358
Zech, Julius 289
Zimmermann, Karl 183f.
Zinnecker, Hans 103
Zöllner, Karl Friedrich 289, 296
Zundel, Reinhold 38, 44f.
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Veröffentlichungen aus dem
Archiv der Max-Planck-Gesellschaft
Berlin
11: Henning, Eckart, u. Marion Kazemi: Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur
Förderung der Wissenschaften. 1988, 152 S., 41 Abb.
12: Ellwanger, Jutta: Forscher im Bild. Teil l: Wissenschaftliche Mitglieder der KaiserWilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. 1989, 176 S., 154 Abb.
13: Bergemann, Claudia: Mitgliederverzeichnis der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur
Förderung der Wissenschaften. Teil I: A-K, 1990, 144 S., 10 Abb. -Teil II: L-Z,
1991, 144 S., 12 Abb.
14: Henning, Eckart, u. Marion Kazemi: Chronik der Max-Planck-Gesellschaft zur
Förderung der Wissenschaften unter der Präsidentschaft Otto Hahns (1946–1960).
1992, 160 S., 78 Abb. (vergriffen, wird nicht neu aufgelegt!)
15: Gill, Glenys, u. Dagmar Klenke: Institute im Bild. Teil I: Bauten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. 1993, 143 S., 204 Abb.
16: Hauke, Petra: Bibliographie zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm- / Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (1911–1994). Teilbände I-III, 1994,
XIV, 507 S.
17: Parthey, Heinrich: Bibliometrische Profile von Instituten der Kaiser-WilhelmGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (1923–1943). 1995, 218 S.
18: Ullmann, Dirk: Quelleninventar Max Planck. 1996, 176 S., 8 Abb.
19: Wegeleben, Christel: Beständeübersicht des Archivs zur Geschichte der MaxPlanck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem. 1997, 332 S.
10: Kohl, Ulrike: Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften
im Nationalsozialismus. Quelleninventar. 1997, 253 S., 3 Abb. (vergriffen)
11: Uebele, Susanne: Institute im Bild. Teil II: Bauten der Max-Planck-Gesellschaft zur
Förderung der Wissenschaften. 1998, 292 S., 440 Abb.
12: Vogt, Annette: Wissenschaftlerinnen in Kaiser-Wilhelm-Instituten. A–Z. 1999,
192 S., 31 Abb.– 2., erw. Aufl. 2008, 256 S., 46 Abb.
13: Henning, Eckart: Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems. 2000, 192 S.,
44 Abb. – 2., erw. Aufl. 2004, 256 S., 54 Abb.
14: Hauke, Petra: Literatur über Max Planck. Bestandsverzeichnis. 2001, 99 S., 14 Abb.
15: Kazemi, Marion: Nobelpreisträger in der Kaiser-Wilhelm- / Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. 2002, 324 S., 82 Abb.– 2., erw. Aufl.
2006, 336 S., 86 Abb.
Bd_21_Bd_21 30.03.11 17:18 Seite 360
16: Henning, Eckart, u. Marion Kazemi: Dahlem – Domäne der Wissenschaft. Dahlem
– Domain of Science. Ein Spaziergang zu den Berliner Instituten der Kaiser-Wilhelm- / Max-Planck-Gesellschaft im ‚deutschen Oxford’. (3. Aufl.) Deutsch u. englisch. 2002, 256 S., 157 Abb. – 4. Aufl. deutsch, 2009, 208 S., 205 Abb.; englisch
2009.
17: Henning, Eckart: 25 Jahre Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Anlässlich des 25jährigen Jubiläums 1978–2003 unter Beteiligung aller Mitarbeiter
neu bearbeitet. 2003, 184 S., 54 Abb. – 2., durchgesehene Aufl. 2005.
18: Kinas, Sven: Adolf Butenandt (1903–1995) und seine Schule. 2004, 260 S., 245 Abb.
19: Henning, Eckart, u. Marion Kazemi: Die Harnack-Medaille der Kaiser-Wilhelm- /
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, 1924–2004. 2005,
174 S., 46 Abb.
20: Max Planck und die Max-Planck-Gesellschaft. Zum 150. Geburtstag am 23. April
2008 aus den Quellen zsgest. vom Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, hrsg. von
Lorenz Friedrich Beck. 2008, 360 S., 109 Abb.
21: Lemke, Dietrich: Im Himmel über Heidelberg. 40 Jahre Max-Planck-Institut für
Astronomie in Heidelberg (1969-2009). 2011, 360 S., 169 Abb.
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