16-21 Enzian

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Blaue Juwelen
Stängelloser Enzian (Gentiana acaulis)
Garten NATUR
Enziane sind nicht nur ausgesprochene Bergblumen,
sondern vor allem echte
Weltenbürger. Sie wachsen
auf allen Kontinenten. Als
Heilpflanzen sind sie ebenso
beliebt wie als Schnaps.
Text und Fotos: Wolfgang Langer,
Herbert Sauerbier
E
s sind vor allem die azurblauen
Blütenbecher der Enziane, die
Wanderer faszinieren. Neben den
vielen abgestuften Blautönen blühen aber auch Arten in lebendig leuchtenden gelben und roten Farben. Enzianblüten öffnen sich nur, wenn die Sonne
scheint. Sobald Wolken die Sonne verdecken und es kühler wird, schliessen
sich die Blüten.
Wegen ihrer prächtigen Blüten, aber
auch wegen der als Heilmittel geschätzten
Wurzeln, sind die Enziane stark gefährdet.
Die meisten Arten wurden darum in den
Alpenländern unter Schutz gestellt.
Ein königlicher Name
derAlpen
Die Enziane haben im 18. Jahrhundert
vom berühmten schwedischen Botaniker
Linné den lateinischen Gattungsnamen
Gentiana erhalten. Dieser Name findet
sich bereits im 1. Jahrhundert beim römischen Schriftsteller und Gelehrten Plinius dem Älteren und beim griechischen
Arzt Dioskurides, der mit den römischen
Kriegsheeren viele Länder bereiste. Dabei
erwarb er grosses Wissen auf dem Gebiet
der Kräuterkunde. In seinem Werk «De
materia medica» schrieb er die damals
gebräuchlichen Arzneimittel auf. Bis
Anfang des 18. Jahrhunderts galt er als
angesehene Kapazität auf dem Gebiet
der Botanik und der Arzneimittelkunde.
Beide Gelehrte geben an, den Namen
Gentiana nicht selbst geprägt zu haben.
Sie verweisen auf den Illyrerkönig Gentius, der den Gelben Enzian im 2. Jahrhundert vor Christus entdeckt und medizinisch angewendet haben soll. Ihm zu
Ehren erfolgte die Namensgebung.
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Triglav- oder Schleicher-Enzian
(Gentiana terglouensis)
Schwalbenwurz-Enzian (Gentiana asclepiadea)
Ein Schnaps –
und eine Magenarznei
In der Volksheilkunde wurde vor allem
der Gelbe Enzian zum Lindern und Heilen vieler Gebrechen des Alltages benutzt. Er zählt zu den ältesten bekannten Heilpflanzen und wird bis auf den
heutigen Tag geschätzt.
Im Kräuterbuch aus dem Jahr 1731
von D. Jakobi Theodori Tabernaemontani
ist das Wissen über Arzneipflanzen aus
den letzten 2000 Jahren zusammengetragen und in deutscher Sprache niedergeschrieben worden. Hier werden auch
Plinius und Dioskurides betreffend ihr
Wissen um die Kraft der Gelben Enzianwurzel zitiert: «Plinius schreibet, sie seye
dem Magen und der Leber gut», heisst es
da. Und: «Dioskurides schreibet, sie seye
gut wider der Schlangen Biss. Sie ziehe
auch etwas zusammen.»
Heute verwendet man die Wurzel aufgrund des Gehalts an Bitterstoffen als Magentonikum bei Appetitlosigkeit und mangelnder Magensaftsekretion. Ausserdem
stellt man aus der Wurzel des Gelben Enzians den berühmten Enzianschnaps her.
Beim Sammeln der rübenartigen, bis
ein Meter langen Wurzel vor der Blütezeit
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Karawanken-Enzian (Gentiana froelichii)
ist jedoch Vorsicht geboten. Der Gelbe
Enzian darf nicht mit dem giftigen, Alkaloide enthaltenden Weissen Germer (Veratrum album) verwechselt werden, da es
sonst zu lebensgefährlichen Vergiftungen
kommen kann. Beide Arten sind gut zu
unterscheiden: Der Weisse Germer besitzt
wechselständige Blätter, die auf der Unterseite behaart sind, der Gelbe Enzian trägt
wie alle Enziane gegenständige Blätter.
Vielfältige Blütenformen
Zur leichteren Unterscheidung werden die
Enziane in Gruppen nach ihrem Wuchs
und der Form der Blüte eingeteilt.
• Grosse, blaue Blütenglocken: Am bekanntesten sind die azurblauen Blütenglocken des Stängellosen Enzians (Gentiana acaulis). Sein Verbreitungsgebiet
erstreckt sich von den Pyrenäen über die
Alpen bis zu den Karpaten. Die lateinische
Bezeichnung Gentiana acaulis geht auf
den schwedischen Botaniker Carl von
Linné zurück, der Ende des 18. Jahrhunderts alle Pflanzen in ein System einzuordnen versuchte. Die Artbezeichnung
leitet sich vom griechischen «acaulon»
ab, was «stängellos» bedeutet.
Lange Zeit behielt der Name seine
Gültigkeit, bis man feine Unterschiede
zwischen den grossglockigen Enzianen erkannte. Man stellte fest, dass die Kronröhren der Pflanzen, die auf silikathaltigen
Böden wachsen, auf der Innenseite dunkelviolettblaue Punktreihen aufweisen. Pflanzen ohne diese Punkte kommen nur auf
Kalkböden vor. Dies ist der seltenere Clusius-Enzian (Gentiana clusii), der auch
schmalere und spitzere Laubblätter besitzt.
Heute kennen wir in den Alpen sechs
Enzianarten, die sehr nahe verwandt
sind mit dem Stängellosen Enzian. Nur in
den Westalpen, den Pyrenäen und in den
Cevennen tritt der Schmalblättrige Enzian
(Gentiana angustifolia) auf, der AlpenEnzian (Gentiana alpina) besitzt sein
Hauptverbreitungsgebiet in der Sierra
Nevada, in den Pyrenäen und in den Penninischen und in den Tessiner Alpen. Der
Ligurische Enzian (Gentiana ligustica)
kommt nur in den Seealpen und in den
Ligurischen Alpen vor. Der KarawankenEnzian (Gentiana froelichii) ist in den
Südostalpen heimisch. Mit seinen hellblauen Blütenkronen besiedelt er steinige
Matten und Geröllhalden der Karawanken, der Julischen und der Steiner Alpen.
Garten NATUR
Frühlings-Enzian (Gentiana verna)
Ligurischer Enzian (Gentiana ligustica)
• Kleine, blaue Blüten: In den Alpen weit
verbreitet ist der Frühlings-Enzian (Gentiana verna), auch Schusternägele genannt. Er wächst vor allem in der subalpinen Stufe. Bereits im Herbst legt der
Frühlings-Enzian seine Blütenknospen
an. Sobald der Bergfrühling einsetzt und
der Schnee schmilzt, entfaltet der Frühlings-Enzian seine azurblauen Blütensterne. Die Blütenkrone besteht aus fünf
sternförmig ausgebreiteten, tiefblauen
Blütenblättern, die an der Basis eine
schmale Röhre bilden und von fünf geflügelten Kelchblättern umhüllt werden.
Zahlreiche ähnliche, mit dem Frühlings-Enzian nahe verwandte Arten
kommen in den Alpen vor. Sie haben sich
wahrscheinlich aus einer Urform entwickelt. Der Kurzblättrige Enzian (Gentiana brachyphylla) besitzt breitovale
Laubblätter, eine sehr schmale Kronröhre
und einen ungeflügelten Kelch. Er besiedelt überwiegend kalkarme Böden in
Höhen von über 2000 Metern.
Der Schleicher-Enzian (Gentiana
schleicheri) und der Triglav-Enzian
(Gentiana terglouensis) sehen sich so
ähnlich, dass sie in manchen früheren
Floren als Unterarten geführt wurden.
Gelber Enzian (Gentiana lutea)
Beide Arten bilden Polster aus blühenden
und nicht blühenden Trieben. Die Blätter
sind dachziegelartig übereinander angeordnet. Kalkhaltiges Gestein ist der bevorzugte Untergrund beider Arten.
Eine ganz besondere Rarität unter den
blau blühenden Enzianen ist der Niederliegende Enzian (Gentiana prostrata). Er
findet sich nur bei strahlendem Sonnenschein, denn die äusserst kleinen Pflanzen
– sie werden nur zwei bis fünf Zentimeter
hoch – sind nur bei geöffneten Blüten
zu entdecken. Seine Hauptverbreitung in
den Alpen liegt im Gebiet der Hohen
Tauern. Im Averstal im Kanton Graubünden hat die Art ihre Westgrenze.
• Niedriger Wuchs und mehrere Blüten:
Zu dieser Gruppe von Enzianen zählen
der Aufgeblasene Enzian (Gentiana utriculosa) und der Schnee-Enzian (Gentiana nivalis). Der Schnee-Enzian ist
eine typische Hochgebirgspflanze, die
bis auf 3000 Meter Höhe hinauklettert.
Mit ihren ausserordentlich kleinen, strahlend blauen Blüten sieht sie wie ein
kleiner Blumenstrauss aus. Diese Blüten
Enziane sind Weltenbürger
Nahezu 500 Enzian-Arten sind weltweit
besiedeln sie bevorzugt Höhen zwischen 2000
bekannt. Sie haben sämtliche Kontinente be-
bis 3500 Metern. Einige wenige sind auch in
siedelt. Besonders gehäuft kommen sie in
tieferen Lagen anzutreffen. So wachsen in der
den Gebirgen Zentralasiens, den Anden Süd-
Ebene bis zur subalpinen Stufe beispielsweise
amerikas, im Süden Australiens, auf Neusee-
der Lungen-Enzian (Gentiana pneumonanthe),
land sowie in Europa vor. Über 30 verschie-
und in feuchten und kalkreichen Wiesen, in
dene Enzian-Arten wachsen in den Alpen.
Flachmooren und an Waldrändern der Kreuz-
Viele Enzian-Arten sind Hochgebirgspflanzen.
Enzian (Gentiana cruciata). Der Deutsche
Sie wachsen im Himalaja am Mount Everest in
Enzian (Gentiana germanica) besiedelt
Höhen von über 5000 Metern. In den Alpen
sonnige Halbtrockenrasen.
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Büschel- oder Reichästiger Enzian
(Gentianella ramosa)
Getüpfelter Enzian (Gentiana punctata)
Schnee-Enzian (Gentiana nivalis)
reagieren sehr empfindlich auf Temperaturschwankungen. Ist
es zu kalt und wird
die wärmende Sonne
durch eine Wolke verdeckt, schliesst der
Schnee-Enzian innerhalb weniger Minuten
seine Blüten. Dann
ist er fast unsichtbar.
Man sagt, der SchneeEnzian besitze die beweglichsten Blüten aller Alpenpflanzen.
• Hoher Wuchs mit vielen Blüten: Neben
den kleinen, blaurötlich oder violett
blühenden Enzianarten finden wir auch
hochwüchsige, bis ein Meter grosse Enziane in verschiedenen Farben. So bringen
der Punktierte Enzian und der Gelbe
Enzian gelbe Blüten hervor. Der PurpurEnzian und der Pannonische Enzian öffnen ihre Blüten in rötlicher Farbe und der
Schwalbenwurz-Enzian erfreut uns mit
seinen dunkelblau leuchtenden Blüten.
Der Gelbe Enzian (Gentiana lutea)
bildet in den ersten Jahren nur Grundblätter in einer Rosette aus. Die Blätter
sind grau- bis blaugrün und elliptisch
geformt. Auf der Unterseite treten die
Nerven stark hervor. Hat sich mit den
Jahren eine starke, dicke Pfahlwurzel
mit reichlich Nährstoffen entwickelt, so
treibt die Pflanze einen Blütenstängel, der
über einen Meter hoch werden kann. An
seinem kräftigen Stängel sind die breit
elliptischen Blätter gegenständig angeordnet. In den oberen Blattachseln sitzen
quirlig in Horsten angeordnet die zahlreichen goldgelben Blüten. Anders als
bei den meisten Enzianarten sind die
Kronblätter nur am Grund verwachsen.
Der Punktierte Enzian (Gentiana
punctata) ist in den Alpen weit verbreitet,
kommt aber auch ausserhalb der Alpen
in den Karpaten und auf dem Balkan
vor. Die stattliche Pflanze wird über
einen halben Meter hoch. Die hellgelben,
schwarzbraun oder dunkelviolett getüpfelten Blütenglocken stehen aufrecht in
Büscheln in den obersten Blattachseln
des Stängels.
Erst im Spätsommer entfaltet der
Schwalbenwurz-Enzian (Gentiana asclepiadea) seine azurblauen Blütenglocken.
Er wächst auf kalkreichen Böden der
subalpinen Stufe. Seine Verbreitung ist
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nicht auf die Alpen beschränkt. Er
kommt in den meisten Gebirgszügen
Europas vor. Der Schwalbenwurz-Enzian
besitzt kräftige, bis 60 Zentimeter hohe,
aufrechte und bisweilen überhängende
Stängel, die dicht beblättert sind. Die
gegenständigen Laubblätter sind zugespitzt und ganzrandig. In den oberen
Blattachseln stehen zahlreiche blaue
glockenförmige Blüten. Auffallend ist,
dass die Blütenkronen sehr oft Bissspuren
etwas oberhalb des Kelchs aufweisen.
Diese stammen von Hummeln, die
den Nektar stehlen, ohne die Blüten zu
bestäuben.
• Blüten mit bärtigem Schlund: Zu den
Enzianen zählt auch die Gattung Gentianella mit meist violetten, selten blauen
Blüten. Im Gegensatz zur Gattung Gentiana besitzt sie einen Kranz von Schlundfransen im Zentrum der Blütensterne.
Stellvertretend für diese Gattung stellen wir den Büschel-Enzian (Gentianella
ramosa) und den Zarten Enzian (Gentianella tenella) vor.
Der meist buschig verzweigte BüschelEnzian (Gentianella ramosa) ist ein Alpenendemit, dessen Areal vom Piemont
über die Walliser Alpen bis nach Südtirol
reicht. Das Vorkommen ist auf Urgestein
beschränkt. Die hellvioletten Blütenglocken sind verhältnismässig klein, sie
werden selten bis zwei Zentimeter lang.
Der Zarte Enzian (Gentianella tenella)
ist ein kleines Pflänzchen, welches leicht
übersehen wird. Es wächst auf kurzrasigen Weiden und in Krummholzgebüschen. Die Art kommt in vielen europäischen Gebirgen ebenso vor wie in Nordamerika, in Zentralasien und Sibirien. ■
Infobox
Informationen über Enzian und Bezugsquellen von Saatgut und Jungpflanzen
• Wyss Samen und Pflanzen, 4528 Zuchwil,
Telefon 032 686 68 68, www.samen.ch
• Gärtnerei Eschmann Jakob, Alpenpflanzen,
6032 Emmen, Telefon 041 260 64 73
Buchtipps
• Aeschimann: «Flora alpina», Hauptverlag
2004, ISBN: 3-258-06600-0, Fr. 286.–
• «Alpenblumen bestimmen leicht gemacht»,
Verlag Gräfe und Unzer 2003,
ISBN: 3-7742-5691-8, Fr. 9.10
Internet
• www.ardez.ch/pflanzen/ind_pflanzen.htm
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