Erbrecht, Vergleich zwischen dem ZGB und den Worten Allahs

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.=%.ODVVH)EN
%HWUHXXQJ+HUU3DWULFN%XUJHU
(UVWHOOXQJVMDKU
Inhalt
Dank ................................................................................................................................. 2
Vorwort ............................................................................................................................ 2
Einleitung ........................................................................................................................ 5
1.1 Testament .............................................................................................................. 8
1.2 Die Verfügungsfähigkeit ....................................................................................... 8
1.3 Pflichtteilsrecht ................................................................................................... 10
1.4 Enterbung ............................................................................................................ 12
1.5 Schulden .............................................................................................................. 16
1.6 Gleichberechtigung der Erben ........................................................................... 19
Mein Testament ............................................................................................................. 27
Zusammenfassung ....................................................................................................... 32
Ausblick ......................................................................................................................... 34
Quellenverzeichnis ....................................................................................................... 35
Authentizitätserklärung ................................................................................................ 36
Dank
,P ,VODP KHLVVW HV ÄWer den Menschen nicht dankt, der dankt AllaK QLFKW³; daher einen
herzlichen Dank an alle Personen, die mir bei der Arbeit auf irgendeiner Weise geholfen
haben. Namentlich sind diese:
Betreuungsperson: Herr Patrick Burger
Fächer: SW-Kunde und Geschichte
Herr Emad Abdalla
Imam der Moschee "Kultureller Verein El Eman" in Dietlikon
Herr Youssef Ibram
Imam der Genfer Moschee Petit-Saconnex
Herr Urs Wüthrich
Juristischer Mitarbeiter Präsidialsekretariat, lic. iur.
Dr. iur. Omar Abo Youssef, Rechtsanwalt
Oberassistent für Strafrecht und Strafprozessrecht
Universität Zürich
Herr Michael Inderbitzin
Deutschlehrer
Einen Dank auch an meine Familie, die mich während dieser Zeit unterstützt hat und zu
meiner Seite stand.
2
Vorwort
ÄErbrecht, Vergleich zwischen dem ZGB und den Worten Allahs; Gemeinsamkeiten und
GegeQVlW]H³ lautet der Titel meiner Arbeit. Nachdem ich lange auf der Suche war, nach
einem Thema, dass Religion und Recht zugleich behandelt, bin ich schlussendlich auf dieses Thema gestossen.
Es ist ein Thema, das bis jetzt für viele noch ein Tabu ist. Über das Erben und Vererben
wird fast nie gesprochen. Daher ist es lange Zeit ein unerforschter Bereich geblieben. Mit
meiner Arbeit möchte ich einen Beitrag leisten zur Erhellung dieses Themas.
Die Beziehung zwischen Religion und Recht soll in meiner Arbeit durch den Vergleich zwischen dem islamischen und dem schweizerischen Erbrecht anschaulich gemacht werden.
Beide Bereiche haben für mich grosse Bedeutung. Ich habe mich bewusst mit einem
rechtlichen Thema auseinander gesetzt, um meinem Ziel, Rechtsanwältin zu werden, einen Schritt näher zu kommen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Erbrecht ist für
mich eine Gelegenheit, mich auf mein späteres Studium in Rechtswissenschaften vorzubereiten. Die Thematik Religion und insbesondere der Islam, haben in meinem Leben eine
grosse Bedeutung. Ich bin in einer religiösen Familie aufgewachsen und praktiziere seit
meiner Kindheit den Islam. Aus diesem Grund ist dieser ein Teil von mir und meiner Persönlichkeit.
Mir wurde im Laufe der Jahre bewusst, wie schlecht die meisten Leute über den Islam informiert sind. Die Wenigsten wussten, dass der Islam auch rechtliche Themen wie zum
Beispiel das Erbrecht behandelt. Daher habe ich in meiner Arbeit grossen Wert darauf gelegt, den Islam von einer rechtlichen Seite zu zeigen, da viele den Islam nur anhand der
fünf Säulen1 kennen. In meiner Arbeit wird der Islam aus einer anderen Perspektive präsentiert. Mit Hilfe des Vergleichs möchte ich aufzeigen, dass das Islamische Erbrecht und
Erbsystem, das seit mehr als 1400 Jahren existiert, für in der Schweiz lebende Muslime
eine ähnliche grosse Bedeutung hat wie das ZGB. Anhand von Fakten versuche ich zu
belegen, wie fortschrittlich das islamische Erbsystem ist.
1
Die fünf Säulen des Islam sind die Grundpflichten, die jeder Muslim zu erfüllen hat. Diese sind: die Glaubensbekenntnis, das Gebet, die Almosensteuer, das Fasten im Monat Ramadan und die Pilgerfahrt nach
Mekka.
3
Meine Arbeit sollte nicht eine Auflistung von Gemeinsamkeiten und Gegensätzen sein.
Vielmehr dient mir der Vergleich als Hilfe, um herauszufinden, inwiefern es möglich wäre,
das islamische Erbrecht in der Schweiz umzusetzen und wo allenfalls Schwierigkeiten auftreten würden. Dabei werde ich die jeweiligen Vor- und Nachteile für die Erben in beiden
Systemen ansprechen.
Bevor ich mich dem Vergleich zuwende, werde ich noch auf die Entstehung des Erbrechts
zu sprechen kommen.
Für meinen Vergleich habe ich folgende Themenbereiche ausgewählt:
Testament, Pflichtteilsrecht, Enterbung und Schulden.
Auch werde ich auf die NULWLVFKH)UDJHÄWie kann es fair sein, dass der Sohn den doppelWHQ$QWHLOVHLQHU6FKZHVWHUHUKlOW"³HLQJHKHQXQGGLH5HFKWHGHU)UDXLP,VODPJHQDXHU
erklären.
Am Schluss meiner Arbeit werde ich anhand meines eigenen Testaments die wichtigsten
Punkte zusammenfassen anhand eines praktischen Beispiels zeigen, wie ein Testament
aussehen kann, wenn man alle islamischen und schweizerischen Vorschriften befolgt.
4
Einleitung
ÄNach dem Tod folgt für die Hinterbliebenen eine schwere Zeit. Die wenigsten wollen sich
dann mit juristischen Fragen auseinandersetzen. Doch früher oder später muss man aber
HQWVFKHLGHQ:DVJHVFKLHKWPLWGHP9HUP|JHQGDVGLHYHUVWRUEHQH3HUVRQKLQWHUOlVVW"³
2
Diese Frage ist der Hintergrund für die Entstehung des islamischen und schweizerischen
Erbrechts. Schon die Römer, Germanen und die Araber in der vorislamischen Zeit haben
sich diese Frage gestellt und wie folgt gelöst.
Ä,P(UEUHFKWGHU5|PHUXQG*HUPDQHQJLQJHs nicht primär um eine Zuordnung von Vermögen und Wertgegenstände, sondern um eine Neuordnung der Herrschaftsverhältnisse
über Familie und Hof. Bei den Römern bewirkte der Tod des Familienvaters, der die Macht
über alle Personen und das gesamte Vermögen der Familie hatte, dass die Söhne nun
volle Rechtsfähigkeit erhielten. Bei den Germanen ging es um den Übergang des Hofes,
DXIGHPGLHJDQ]H*URVVIDPLOLHOHEWHDXIHLQHQQHXHQ+HUUHQ³3
Ä(UVWPLWGHP$XINRPPHQXQGGHUJHVHW]OLFKHQ9HUDQNHUXQJGHV3ULYDWHLgentums im 18.
und 19. Jahrhundert wandelte sich diese Regelung der Macht- und Familienverhältnisse
zur Vorstellung, dass ein Erblasser seinen Nachlass im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen jemandem zuwenden kann und dass die Erben ihren Anteil zu privatem Eigentum erhalten. Auch das heutige schweizerische Erbrecht geht vom Grundgedanken
aus, dass Menschen mit Testament oder Erbvertrag darüber bestimmen können, was
QDFKLKUHP7RGPLWLKUHP9HUP|JHQJHVFKHKHQVROOZHUHUEHQVROO³ 4
Das Erbrecht der Römer und Germanen weist grosse Ähnlichkeiten auf mit dem der Araber in der vorislamischen Zeit.
In der vorislamischen Gesellschaft beerbten die Araber sich gegenseitig. Anhand von Verträgen wurde unter Freunden festgehalten, dass sie sich gegenseitig beerben und auch
die Kinder des Anderen nach dessen Tod adoptieren werden. Natürlich erbten nur die
2
www.beobachter.ch, Tinka Lazarevic, März 2010
ZGB für den Alltag, Kommentierte Ausgabe, Zürich 2008, Seite 451
4
ZGB für den Alltag, Kommentierte Ausgabe, Zürich 2008, Seite 451
3
5
kampffähigen Männer, die imstande waren, den Stamm und das Land zu beschützen. Wie
auch bei der römischen Gesellschaft, war die Frau in der vorislamischen Zeit des Erbrechts beraubt. 5
Schritt für Schritt wurden die Traditionen der vorislamischen Zeit vom Koran und Propheten Mohammed aufgehoben und von der Erbfolge, die auf der Familienangehörigkeit beruht ersetzt. Daher war das islamische Erbrecht bei seiner Einführung in jeder Hinsicht
eine Revolution. 6
Ä'DVLVODPLVFKH(UEUHFKWLVWHLQ%HVWDQGWHLOGHV,VODPLVFKHQ5HFKWV6FKDULDXQGLQZeVHQWOLFKHQ*UXQG]JHQEHUHLWVLP.RUDQIHVWJHOHJW³7
Es beinhaltet, wie auch das ZGB, die Erbreihenfolge, die sich am Verwandtschaftsgrad
orientiert, als auch die beschränkte Verfügungsfreiheit des Erblassers.8
Die Ähnlichkeit des Grundprinzips macht es heute noch möglich, beide Erbsysteme zu
befolgen.
Das Islamische Erbrecht wird nur noch in wenigen der 110 islamischen Ländern angewandt. Unter den Ländern gibt es diverse Unterschiede in der Praxis, welche vermutlich
durch die verschiedenen Rechtsschulen9 erklärbar sind. Ich werde in meiner Arbeit nicht
auf die Umsetzung in den einzelnen Länder zu sprechen kommen, da dies den Rahmen
der Arbeit sprengen würde. Für den Vergleich werde ich mich nur auf das ZGB und die
islamischen Rechtsquellen beschränken.
Ich nehme an, dass unser ZGB vom islamischen Erbrecht beeinflusst wurde. Dies haben
wir Napoleon zu verdanken, der beim Ägyptenfeldzug ein paar islamische Regelungen
übernommen hat und später mit dem Mediationsakt im Jahre 1803 bis 1814 in die
Schweiz übertragen hat. Ein anderer Grund für die Gemeinsamkeiten könnte daran liegen,
dass sich Menschen seit Jahrzehnten mit der Frage des Erbens auseinandersetzen und
ähnliche Lösungen für diese philosophische Frage fanden, die für alle logisch nachvoll5
www.womeninislam.ws
www.eslam.de
7
www.eslam.de
8
www.eslam.de und ZGB für den Alltag, Kommentierte Ausgabe, Zürich 2008, Seite 451
9
Rechtsschulen sind unterschiedliche Lehrauffassungen in der islamischen Rechtswissenschaft.
6
6
ziehbar waren. Diesen Lösungsarten für die Frage des Erbens werde ich mit dem Vergleich auf den Grund gehen, um herauszufinden, wie viele Gemeinsamkeiten diese Erbsysteme aufweisen und ob es einem muslimischen Erblasser oder einer Erblasserin möglich wäre, trotz einigen Gegensätzen sowohl dem islamischen Erbrecht als auch dem ZGB
gerecht zu werden.
7
1.1 Testament
Um auf das Thema Testament genauer einzugehen muss zuerst einmal für alle klar werden, was mit einem Testament gemeint ist. Ein Testament ist eine Verfügung, womit eine
Person zu Lebzeiten über das Schicksal ihrer Vermögenswerte nach dem Tod bestimmt.
Im schweizerischen Erbrecht gibt es drei verschiedene Arten von Testamenten. Es gibt
das eigenhändige, das öffentliche und das mündliche Testament.
Ä'HU Erblasser kann eine letztwillige Verfügung entweder mit öffentlicher Beurkundung
oder eigenhändig oder durch mündliche ErkläruQJHUULFKWHQ³10
Insgesamt gibt es im Zivilgesetzbuch 13 Artikel, die genauere Informationen über die Form
und die Erstellung einer letztwilligen Verfügung festlegen. Damit das Testament nicht als
ungültig erklärt wird, muss der Erblasser sich an alle Rahmenbedingungen halten, die das
ZGB vorgibt. Diese Formschriften finden sich in Art. 499 bis Art. 511 ZGB.
Im islamischen Erbrecht, also in der Scharia, gibt es keine genauen Vorschriften für die
Erstellung eines Testaments. Dies bietet dem Erblasser zwar einen gewissen Freiraum,
führt aber in der Schweiz zu Schwierigkeiten, da das Testament auf der Basis des ZGB als
ungültig angesehen wird.
1.2 Die Verfügungsfähigkeit
Ä:HUXUWHLOVIlKLJLVWXQGGDV$OWHUVMDKU]XUFNJHOHJWKDWLVWEHIXJWXQWHU%HRbachtung
GHUJHVHW]OLFKHQ6FKUDQNHQXQG)RUPHQEHUVHLQ9HUP|JHQOHW]WZLOOLJ]XYHUIJHQ³ 11
Im islamischen Erbrecht gibt es zwar keine Altersangabe, doch zeigt der folgende Hadith12
die Wichtigkeit eines Testamentes im Islam.
10
Art. 498 ZGB
Art. 467 ZGB
12
Bezeichnet die Überlieferung über den Propheten Mohammed
11
8
Ä,EQ¶8PDUEHULFKWHW'HU*esandte Allahs sagte: Es ist nicht richtig, dass ein Muslim, der
etwas besitzt, über das er ein Vermächtnis machen will, zwei Nächte verbringt, ohne dass
HUEHLVLFKHLQYRQLKPVFKULIWOLFKQLHGHUJHOHJWHV7HVWDPHQWEHZDKUW³13
Zwar richtet der Prophet Mohammed seine Worte an alle Muslime ohne Altersbegrenzung,
doch heutzutage befolgen meistens nur mündige und reife Muslime diesen Hadith. Um ein
Testament zu erstellen, sollte man sich genügend Zeit nehmen und jeden Schritt mehrmals überlegen, daher ist das Mindestalter von 18 Jahren durchaus verständlich. Ein anderer Grund für diese Altersbegrenzung im ZGB könnte daran liegen, dass man mit 18
Jahren schon über ein gewisses Vermögen besitzt, über das man gerne letztwillig verfügen möchte.
Ä:HUMHW]WDEHUNHinen letzten Willen hinterlassen hat, braucht sich keine Sorgen um seine
nahen Angehörigen zu machen, da sie im Islam und schweizerischen Erbrecht in der Erbfolge berücksichtigt werden. Möchte aber ein Erblasser die Einsetzung von Erben sowie
die Änderung der gesetzlichen Teilungsregeln vornehmen, so ist die Form des TestamenWHVRGHUGHV(UEYHUWUDJHV]XYHUZHQGHQ³14
Die nahen Angehörigen gehören zu den gesetzlichen Erben, die auf jeden Fall einen Teil
an der Erbschaft erhalten, daher gilt im Islam dieser Hadith.
Der Prophet VDJWÄAllah hat Allen, die ein Recht haben, ihre Rechte gegeben, daher gibt
es kein Testament für einen Erbenden.³15
Dieser Hadith soll nicht ein Widerspruch zum ersten genannten Hadith sein, da mit diesem
Hadith das Testament nicht an Wichtigkeit verliert. Vielmehr zeigt sich, dass wie beim ZGB
die gesetzlichen Erben bei der Erbschaftsteilung nicht zu kurz kommen und dass man sie
daher nicht unbedingt im Testament erwähnen muss. Im islamischen Erbrecht hat das
Testament nicht nur die Aufgabe, den Nachlass zu teilen, sondern beinhaltet auch folgende Bereiche: Totenwaschung, Beerdigungsort und individuelle Wünsche. Der Familienschutzgedanke, den wir hier finden, ist sehr wichtig und auch sehr logisch, da man in bei-
13
Hadith Sahih Muslim Nr. 3074
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 10-12
15
Abu Dawud Nr. 2486
14
9
den Erbsystemen davon ausgeht, dass der Erblasser gegenüber seinen Verwandten grosse Verantwortung hat.
Um den Familienschutzgedanken besser zu verstehen, müssen wir auf das Pflichtteilsrecht zu sprechen kommen.
1.3 Pflichtteilsrecht
Der Erblasser hat gegenüber seinen Verwandten grosse Verantwortung. Daher wird im
Schweizerischen Zivilgesetzbuch die Verfügungsfreiheit des Erblassers durch folgenden
Artikel eingeschränkt.
Ä:HU1DFKNRPPHQ(OWHUQ, den Ehegatten, eine eingetragene Partnerin oder einen eingetragenen Partner als seine nächsten Erben hinterlässt, kann bis zu deren Pflichtteil über
sein Vermögen von Todes wegen verfügen. Wer keine der genannten Erben hinterlässt,
NDQQEHUVHLQJDQ]HV9HUP|JHQYRQ7RGHVZHJHQYHUIJHQ³ 16
Dieser ZGB Artikel schränkt den Erblasser etwas ein und der Erblasser muss bei der Erstellung seines Testamentes auf das Pflichtteilsrecht Rücksicht nehmen.
ÄMit dem Testament kann der Erblasser andere Quoten und Erbanteile vorsehen. Dieser
sogenannte Pflichtteil ist derjenige Teil der gesetzlichen Erbquote, der dem gesetzlichen
Erben in jedem Fall garantiert zusteht. Der Gedanke, der hinter dem Pflichtteilsrecht steht,
ist die Vorstellung, dass der Erblasser auch über seinen Tod hinaus bestimmte Verantwortlichkeiten gegenüber seinen Hinterbliebenen hat. So soll sichergestellt werden, dass
der Nachlass nicht völlig an den Personen vorbei verteilt wird, für die der Erblasser aus
dem Solidaritätsgedanken heraus eiQHJHZLVVH6RUJHWUDJHQVROOWH³17
Auch im islamischen Erbrecht finden wir das Pflichtteilsrecht, welches auch hier auf dem
Solidaritätsgedanken beruht. Nur die Quoten sind unterschiedlich. Im Schweizerischen
16
17
Art. 407 Abs. 1 und 2 ZGB
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 30-31
10
Erbrecht sind die Pflichtteilsquoten umso grösser, je näher die Erben mit dem Erblasser
verwandt sind, was auch beim islamischen Erbrecht der Fall ist.18
Auf Einzelheiten der Quotenregelung werde ich nicht eingehen. Es lässt sich jedoch sagen, dass im islamischen Erbrecht die Pflichtteilsquoten kleiner sind, als die vorgesehenen
Quoten im ZGB. Was daran liegt, das die sogenannte Stammesordnung (auch Parentelsystem genannt) unterschiedlich aufgebaut ist. Im schweizerischen Erbrecht besteht kein
Pflichtteilsanspruch für Geschwister, was im Islam der Fall ist. Für die islamische Gemeinschaft in der Schweiz bedeutet, dass man nicht nach islamischer Art und Weise den Nachlass teilen kann, ohne auch das ZGB zu beachten. Sollten aber die Erben untereinander
mit den Pflichtteilsquoten im Islam einverstanden sein, so besteht aber diese Möglichkeit.
Im ZGB variiert die Grösse der frei verfügbaren Quote, je nach Familiensituation und den
Hinterbliebenen. Im islamischen Erbrechtsystem hingegen beträgt die frei verfügbare Quote immer 1/3. Daher hat der Erblasser im Islam nur 1/3 seines Nachlasses zur Verfügung,
über die er ein Testament errichten kann. Die Pflichterbanteile betragen im Islam 2/3 der
Hinterlassenschaft.19
Daher betrifft das eigentliche Testament des Erblassers im Islam 1/3 des Erbgutes. Es gibt
einen Hadith, der diese Quoten festgelegt hat.
Ä6D¶G,EQ$EX:DTTDVEHULFKWHWH,FKZDUVR krank, dass ich dachte, ich würde bald sterben. Der Gesandte Allahs, stattete mir einen Krankenbesuch ab. Ich sagte zu ihm: Du
kannst die Schmerzen sehen, an denen ich leide. Ich habe aber einen grossen Reichtum
und nur eine einzige Tochter, die mich beerben wird. Darf ich zwei Drittel meines Vermögens als Almosen geben? Er erwiderte: Nein! Darauf sagte ich: Dann die Hälfte? Da sagte
der Prophet: Nur einen 'ULWWHOXQGHLQ'ULWWHOLVWVHKUYLHO³20
Wenn der Erblasser 1/3 überschreitet, so verliert das Testament nicht gerade an Gültigkeit, sondern wird dann nach Einverständnis aller Erben umgesetzt. Möchte der Erblasser
mehr als 1/3 testamentarisch festlegen, so muss er das Einverständnis aller Erben erhal-
18
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 30-31
www.eslam.de
20
Sahih Muslim Nr. 3076
19
11
ten. Auch im schweizerischen Erbrecht kann der Erblasser in seinen Verfügungen nur
über die Quoten frei entscheiden, die ausserhalb des Pflichtteilsrechts liegen.
21
Das islamische Erbrecht bietet also einen freien Raum, das Testament trotz Missachtung
des Pflichtteilsrechts umzusetzen.
Ä6ROOWH GHU(UEODVVer das Pflichtteilsrecht missachtet haben, so besteht für die Erben immer noch die Möglichkeit, mit der Herabsetzungsklage eine Pflichtteilsverletzung wieder
zu beheben. Der Pflichtteilsberechtigte verlangt mit der Herabsetzungsklage von den
durch das TestDPHQW EHJQVWLJWHQ 3HUVRQ GLH Ä$XIIOOXQJ³ VHLQHV 3IOLFKWWHLOV 6ROOWH GHU
Pflichtteilsberechtigte jedoch bereits vor dem Erbgang dem Wert nach genügend auf seinen Pflichtteil erhalten haben, so kann er die Herabsetzung nicht mehr ohne Weiteres geltend machen. Voraussetzung ist allerdings, dass er diesen Wert bereits schon vor dem
7RGGHV(UEODVVHUVXQGQLFKWHUVWGDQDFKHUKDOWHQKDW³22
Obwohl die Herabsetzungsklage im Islamischen Erbrecht nicht zu finden ist, gehe ich davon aus, dass solche Fälle heutzutage in den arabischen Ländern gleichermassen gelöst
werden. Daher ist die Herabsetzungsklage eine gute Idee, die mit Sicherheit nicht gegen
das islamische Recht verstösst.
In beiden Erbsystemen, gelten die gesetzlichen Erbteilsquoten, falls der Erblasser keine
Verfügung hinterlassen hat.
Auch im Pflichtteilsrecht gibt es eine Ausnahme von der Regel: Die Enterbung.
1.4 Enterbung
Der Erblasser ist befugt, durch Verfügungen von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil
zu entziehen:
1. ÄWenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person einHVFKZHUH6WUDIWDWEHJDQJHQKDW³
21
22
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 30-31
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 46
12
2. ÄWenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat.³23
ÄBei diesem gänzlichen Erbentzug entfällt die Erbeigenschaft. Damit zählt der Enterbte
nicht zum Kreis der Erben und wird vom Gesetz so behandelt, als ob er gar nicht existieren würde.³24
Diese Art von Enterbung wird Strafenterbung genannt. Auch im Islam gibt es die Strafenterbung. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass eine Person nur enterbt wird, wenn er
oder sie den Erblasser tötet. Dies wurde in folgendem Hadith festgehalten: Ä'HU 0|UGHU
HUEWQLFKW³25
In diesem Hadith ist der Mörder des Erblassers gemeint. Bei der Enterbung gehen beide
Systeme vom gleichen Grundgedanken aus: SchwereStraftaten wie Mord und Körperverletzung werden nicht geduldet und daher die Strafenterbung als Strafe für diese Taten.
Im Islam ist Mord eine der grössten Sünden, die nicht vergeben wird. Im Koran wird dies in
folgendem Vers deutlich.
ÄZHUHLQHQ0HQVFKHQW|WHWRKQHGDVVGLHVHUHLQHQ0RUGEHJDQJHQRGHU8QKHLOLP/Dnde angerichtet hat, hat die ganze Menschheit ermordet. Und wer ein Leben rettet, als hätte
er die ganze Menschheit am LeEHQHUKDOWHQ³26
Dieser Vers ist ein deutlicher Beweis dafür, dass der Islam das Töten unschuldiger Menschen verbietet und dass der Islam nicht für Gewalt steht.
ÄDas schweizerische Gesetz sieht eine Enterbung nur in diesen zwei oben genannten Fällen vor. Ein Verbrechen gegen einen Dritten, der ohne nähere Beziehung zum Erblasser
steht, stellt keine Verletzung der Familienverbundenheit und somit keinen Grund für eine
(QWHUEXQJGDU³27
23
Art. 477 ZGB
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 42-44
25
Abu Dawud Nr. 3355
26
Koran Sure 5, Vers 32
27
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 42-44
24
13
Wie bereits erklärt, besteht im Islam nur dann die Möglichkeit, eine Person zu enterben,
wenn diese den Erblasser tötet, daher stellt auch im Islam ein Verbrechen gegen einen
Dritten keinen Grund für eine Enterbung dar. Nach einem Mordfall droht laut Islam dieser
Person im Jenseits eine schwere Strafe. Damit soll verhindert werden, dass nahe Angehörige des Erblassers zu Mord greifen, um schneller ans Erbe zu gelangen.
ÄIm ZGB sowie im Islam gilt, dass der Enterbungsgrund entfallen kann, wenn der ErblasVHUGDV9HUKDOWHQGHVÄ(QWHUEWHQ³YHU]LHKHQKDW³28
Im islamischen Erbrecht müssen beispielsweise die Nachkommen des Erblassers dem
Mörder ihres Vaters verzeihen, damit er wieder das Recht erhält etwas zu erben.
Im Zivilgesetzbuch wird die Wirkung der Enterbung aufgelistet. Diese Wirkung finden wir
eins zu eins auch im Islam.
1. ÄDer Enterbte kann weder an der Erbschaft teilnehmen noch die Herabsetzungsklage
JHOWHQGPDFKHQ³
ÄDer Anteil des Enterbten fällt, sofern der Erblasser nicht anderes verfügt hat, an die
gesetzlichen Erben des Erblassers, wie wenn der Enterbte den Erbfall nicht erlebt hätte.³
ÄDie Nachkommen des Enterbten behalten ihr Pflichtteilsrecht, wie wenn der Enterbte
GHQ(UEIDOOQLFKWHUOHEWKlWWH³29
Die Strafenterbung, sei es im Islam oder im ZGB, bringt zum Ausdruck, dass lediglich der
Enterbte selbst für sein Tun bestraft werden soll.30
Es gibt im ZGB eine zweite Art von Enterbung: Die Enterbung bei Überschuldung oder
auch Präventiventerbung genannt.
Ä'DV*HVHW]VLHKWYRUGDVVLPPHUGDQQZHQQJHJHQGHQ1DFKNRPPHQGHV(UEODVVHUV
Verlustscheine bestehen, der Erblasser dem Erben die Hälfte des Pflichtteils entziehen
NDQQ³31
28
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 42-44
Art. 478 Abs. 1 bis 3 ZGB
30
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 42-44
31
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 44-45
29
14
Diese Präventiventerbung wird man im islamischen Recht nicht finden. Denn im Islam
stellt die Überschuldung des Erben keinen Grund für eine Enterbung dar. Im Gegensatz
zum ZGB sieht der Islam hier vor, dass der Erbe normal seinen Erbteil erhalten soll, um
seine finanzielle Lage zu verbessern und seine Schulden zu begleichen. Im Islam hat das
Begleichen der Schulden grosse Bedeutung, auf die ich später zu sprechen komme.
Im ZGB gibt es zwei Bedingungen, die für eine Präventiventerbung erfüllt sein müssen.
Ä%HVWHKW gegen einen Nachkommen des Erblassers Verlustscheine, so kann ihm der
Erblasser die Hälfte seines Pflichtteils entziehen, wenn er diese den vorhandenen und
später geborenen Kindern des Erben ]XZHQGHW³
2. ÄDiese Enterbung fällt jedoch auf Begehren des Enterbten dahin, wenn bei der Eröffnung des Erbganges Verlustscheine nicht mehr bestehen, oder wenn deren Gesamtbetrag
eiQHQ9LHUWHOGHV(UEWHLOVQLFKWEHUVWHLJW³32
Die zwei oben genannten Bedingungen sollen eine Präventiventerbung erschweren. Da
die Enterbung bei Überschuldung sich nur auf Nachkommen des Erblassers bezieht, wird
somit sichergestellt, dass eine Präventiventerbung des Ehegatten nicht realisiert werden
kann.33
Im ZGB möchte man also verhindern, dass das Geld an die Gläubiger der Nachkommen
gelangt. Im Islam hingegen möchte man dem Erben helfen, seine Schulden so schnell wie
möglich zurück zu zahlen, um seine finanzielle Lage zu verbessern und aus diesem immer
grösser werdenden Teufelskreis heraus zu kommen.
Darin kommt zum Ausdruck, dass das Thema Schulden in den beiden Rechtssystem eine
andere Bedeutung hat.
32
33
Art. 480 Abs 1 und 2 ZGB
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 44-45
15
1.5 Schulden
Beim Erbgang gehen alle Rechtspositionen des Erblassers, inklusiv Rechte und Pflichten,
auf die Erben über, auch die Schulden.34
Zuerst einmal muss zwischen drei verschiedenen Arten von Schulden differenziert werden. Zu unterscheiden ist zwischen den Erbschafts-, den Erbgangs- und den Erbenschulden.35
ÄErbschaftsschulden sind Schulden, die der Erblasser noch zu Lebzeiten gemacht hat und
die in den Nachlass fallen. Wichtig ist dabei, dass für diese Erbschaftsschulden nicht nur
der Nachlass, sondern auch jeder Erbe persönlich haftet.³ 36
Im Islam haften die Erben für diese Art von Schulden nicht, da die Teilung erst nach dem
Begleichen der Schulden eröffnet wird.
ÄErbgangsschulden sind alle diejenigen Schulden, die durch den Todesfall entstehen. So
gehören hierzu zum Beispiel die Begräbnis- und Grabkosten. Im schweizerischen Recht
wie auch im Islam gilt, dass eigentlich der Nachlass dafür einstehen muss. Es gibt Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichtes, wonach die Begräbniskosten als Angelegenheit der näheren Verwandten angesehen werden. Aus diesem Grund wird den
Verwandten dafür eine subsidiäre Haftung auferlegt, das heisst, immer dann, wenn der
Nachlass zur Begleichung der Erbgangsschulden nicht ausreicht, müssen die nahen VerZDQGWHQGDIUHLQVWHKHQ³37
Im islamischen Erbrecht werden die Erbgangsschulden von Staat und Gemeinde übernommen, sobald der Erblasser keine Erben hinterlässt oder wenn seine Verwandten nicht
für diese Schulden aufkommen können.
ÄDie dritte und letzte Art von Schulden sind die Erbenschulden. Erbenschulden sind
Schulden, die die Erben unabhängig vom Nachlass selber haben. Für diese Schulden
34
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 125-127
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 126-127
36
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 126-127
37
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 126-127
35
16
kommt der Nachlass nur auf, soweit er Teil der Vermögens der Erben geworden ist. Das
heisst, erst nach dem Erbgang, wenn die Teilung des Nachlasses vollzogen worden ist,
kann der Nachlass zur Tilgung der Erbschulden herange]RJHQZHUGHQ³38
Die Erbenschulden werden im Islam und im ZGB gleich geregelt, was gut nachvollziehbar
ist.
Um genauer zu verstehen, welche Bedeutung Schulden im Islam und im ZGB haben, werde ich zuerst die Bedeutung der Schulden im Islam erwähnen und diese mit dem ZGB
vergleichen.
Ä,EQ¶8PDUEHULFKWHW'HU*HVDQGWH$OODKVVDJWH(VLVWQLFKWULFKWLJGDVVHLQ0XVOLPGHU
etwas besitzt, über das er ein Vermächtnis machen will, zwei Nächte verbringt, ohne dass
er bei sich ein von ihm schriftlich niedergelHJWHV7HVWDPHQWEHZDKUW³39
Viele Gelehrten sehen dieses Hadith als eine Aufforderung, seine Schulden im Testament
festzuhalten und somit seine Erben zu informieren.
Im Islam gilt, dass kein Mensch für das Tun eines anderen Menschen verantwortlich ist.
Daher besteht für jeden Erben im Islam die Freiheit, eine Erbschaft auszuschlagen und auf
seinen Erbteil zu verzichten. Im Islam ist das Rückzahlen der Schulden nicht lediglich eine
rechtliche Verpflichtung sondern eine religiöse Aufgabe, oder anders ausgedrückt eine
religiöse Verantwortung. Wenn die Erben gottesfürchtig sind, so werden sie die Erbschaftsschulden so schnell wie möglich zurückzahlen, da man daran glaubt, dass der Erblasser ansonsten am Tag des Gerichts für seine Schulden bestraft wird und vom Paradies
ausgeschlossen wird.
Mit dem Gedanken der Bestrafung versucht man, die Erben emotional dazu zu bewegen,
die Erbschaftsschulden zurück zu zahlen um damit das Recht der Gläubiger zu sichern.
Im ZGB versucht man mit folgender Lösung das Recht der Gläubiger sicher zu stellen.
38
39
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 127
Hadith Sahih Muslim Nr. 3074
17
Ä,P=*%ZLUGGHQ*OlXELJHUn des Erblassers ein Schutz vor der Vermischung des Nachlasses mit dem Vermögen des Erben gegeben. Die Erbengläubiger haben das Recht, vor
Vermischung der Vermögenswerte in den Fällen, in denen die Besorgnis besteht, dass der
Nachlass in das Vermögen eines vollkommen überschuldeten Erben übergeht, die LiquiGDWLRQ GHU (UEVFKDIW ]X YHUODQJHQ 'LHV EHGHXWHW GDVV GLH (UEVFKDIW ÄYHUVLOEHUW³ 40 wird,
bevor sie in das Vermögen des Erben übergeht. Damit besteht die Möglichkeit, dass sich
die Gläubiger des Erblassers aus dem Erlös des Nachlasses vorab befriedigen können.
So erhalten die Erbschaftsgläubiger einen Schutz dagegen, dass das Nachlassvermögen
an die Gläubiger des Erben geht. Allerdings können die Gläubiger zum Beispiel ein mangelhaftes Testament nicht anfechten.³41
Das heisst, der Schutz der Erbengläubiger kann weder im islamischen noch im schweizerischen Recht zu 100% sichergestellt und nur in beschränktem Masse geltend gemacht
werden. 42
Der Bereich Schulden wird im islamischen wie auch im schweizerischen Erbrecht gleich
gegliedert und gleich behandelt. Der einzige Unterschied im Bereich Schulden liegt daran,
dass das Zurückzahlen der Schulden im Islam als ein Teil der Religion angesehen wird,
während im ZGB einige Möglichkeiten bestehen, dieser Verpflichtung entgehen zu können.
Die Instrumente, die das Gesetz vorsieht sind:
¾ ÄDie Ausschlagung der Erbschaft³
¾ ÄErrichtung des öffentlichen Inventars³
¾ ÄDie Durchführung der amtlichen Liquidation³43
Ich werde diese drei Möglichkeiten nicht im Detail besprechen, da ich sonst vom eigentlichen Thema PHLQHU $UEHLW Ä,VW GDV LVODPLVFKH (UEUHFKW IU 0XVOLPH LQ GHU Schweiz mit
GHP=*%YHUHLQEDU"³ abschweifen würd.
40
etwas verkaufen um dafür Geld zu erhalten
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 134
42
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 134
43
Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998, Seite 132
41
18
Um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, ist es wichtig, noch ein weiteres Thema anzusprechen, das sehr oft missverstanden wird und dem Islam immer wieder vorgeworfen
wird, nämlich, der Islam behandle die Frau in den Angelegenheiten des Erbens ungerecht.
Um dieses grosse Missverständnis zu klären, werde ich daher auf die Rechte der Frau im
Islam genauer eingehen.
1.6 Gleichberechtigung der Erben
Ä%HYRUZLUXQVQlKHUPLWGLHVHPNRPSOL]LHUWHQXQGVWUHLWEDUHQ7KHPDEHIDVVHQVROOWH uns
bewusst werden, dass der Islam die Erbschaftsrechte der Frau revolutionierte. Der Islam
ist die einzige Religion, die der Frau das Erbrecht voll eingeräumt hat. Ein Blick in die Zeit
vor dem Islam zeigt, dass bei den Arabern nach heidnischem Brauch die Erbschaft ausschliesslich auf ältere, männliche Familienmitglieder beschränkt war. Frauen und Kinder
wurden von diesem Recht ausgeschlossen. Erst durch die Regelung im Koran erhielt die
Frau ein faires und ausgewogenes Erbrecht. So kam es, dass der Islam die Stellung der
Frau in einer noch nie da gewesenen Art und Weise allein dadurch änderte, dass im Koran
klar bestimmt wird, dass Frauen das Recht haben, selbst zu erben³44
Ä'LH 0lQQHU VROOHQ HLQHQ 7HLO YRQ GHU +LQWHUODVVHQVFKDIW LKUHU (OWHUQ XQG 9HUZDQGWHQ
empfangen und ebenfalls sollen die Frauen einen Teil von der Hinterlassenschaft ihrer
Eltern und Verwandten empfangen. Sei es weniger oder viel, sie sollen einen bestimmten
7HLOKDEHQ³45
Es ist also keine Frage, ob Frauen überhaupt erben können. Die Differenzen konzentrieren sich vielmehr auf den zu erbenden Anteil.
Nun folgen die für die Frau relevanten Koranverse, welche ihre Rechte in den Erbangelegenheiten festlegen:
ÄAllah schreibt euch vor hinsichtlich eurer Kinder, dem Knaben zweier Mädchen Anteile zu
geben. Sind es aber (nur) Mädchen, mehr als zwei, sollen sie zwei Drittel der Hinterlas44
45
Sarah Abo Youssef, Die Frau im Koran, Zürich 2004, Seite 29 und www.huda.de
Koran Sure 4 Vers 7
19
VHQVFKDIWHUKDOWHQ,VW¶VQXUHLQ0lGFKHQVROOVLHGLH+lOIWHKDEHQ8QGGLH(OWHUQVROOHQ
ein jeder von ihnen den sechsten Teil der Hinterlassenschaft haben, so er ein Kind hat; hat
er jedoch keine Kinder, und seine Eltern beerben ihn, soll seine Mutter den dritten Teil haben. Und so er Brüder hat, soll seine Mutter den sechsten teil nach Bezahlung eines etwa
gemachten Legats oder einer Schuld haben. Eure Eltern und eure Kinder, ihr wisset nicht,
wer von beiden euch an Nutzen näher steht. Dies ist ein Gebot von Allah[«@³46
Ä>«]Und sie sollen den vierten Teil eurer Hinterlassenschaft haben, so ihr kein Kinder
habt; habt ihr jedoch Kinder, so sollen sie den achten Teil eurer Hinterlassenschaft haben
nach Abzug eines von ihnen etwa gemachten Legats oder einer Schuld [«@³47
Ä>«]So ein Mann kinderlos stirbt, aber eine Schwester hat, so soll sie die Hälfte von dem
haben, was er hinterlässt; und er soll sie beerben, wenn sie kein Kinder hat. Sind aber
zwei Schwestern da, sollen sie zwei Drittel von seiner Hinterlassenschaft haben. Sind aber
Brüder und Schwestern da, so soll der Mann den Anteil von zwei Frauen haben[«@³48
Ich werde noch auf den letzten Koranversen in Detail zu sprechen kommen, doch zuerst
eine Tabelle, die alle Informationen betreffend der Erbschaft zusammenfasst.
46
Koran Sure 4 Vers 11
Koran Sure 4 Vers 12
48
Koran Sure 4 Vers 176
47
20
Hinterlassenschaft des Mannes
Familie mit Kinder
Eine Tochter: erhält 1/2
Zwei (und mehr) Töchter: erhalten zusammen 2/3
Söhne und Töchter: die Söhne erhalten jeweils das
Doppelte dessen, was die Töchter
erben.
Ehefrau: erhält 1/8
Eltern: erben je 1/6
Familie ohne Kinder
Ehefrau: erhält 1/4
Mutter: erbt 1/3 wenn der Mann keine Geschwister hat,
sonst erbt sie 1/6
Eine Schwester: erhält 1/2
Zwei Schwestern: erben zusammen 2/3
Brüder und Schwestern: die Brüder erhalten jeweils
das Doppelte dessen, was
die Schwestern erben.
Die folgenden Beispiele sollen die Regelung der Erbverteilung mit Schwerpunkt Frau verdeutlichen. Die Diagramme zeigen, wieviel die Erbberechtigten im Verhältnis zueinander
erhalten.
21
Beispiel 1
Ein Witwer stirbt und hinterlässt einen Sohn und eine
Tochter. Der Sohn erhält den doppelten Anteil des Erbes
verglichen mit der Tochter.49
Beispiel 2
Ein Ehemann hinterlässt nach seinem Tode seine Ehefrau, eine Tochter und einen Sohn. Die Frau erhält einen Achtel des Erbes. Die Tochter bekommt einen Anteil, der halb so gross ist, wie jener des Bruders. 50
Beispiel 3
Der Verstorbene hinterlässt seine Ehefrau und seine
zwei unverheirateten Schwestern. Diese erhalten
zusammen 2/3 des Erbes. Die Frau erhält, da keine
Kinder vorhanden sind, einen Viertel. 51
Beispiel 4
Ein Mann stirbt und hinterlässt neben seiner Gattin und
den zwei Töchter auch seine Eltern. Diese erhalten je
einen Sechstel vom Erbe. Das ist insofern beachtenswert, als dass in diesem Fall die Frau gleichviel bekommt wie ein Mann. Die Töchter teilen sich zwei Drittel und die Ehefrau erhält einen Achtel. 52
49
Sarah Abo Youssef, Die Frau im Koran, Zürich 2004, Seite 30-31
Sarah Abo Youssef, Die Frau im Koran, Zürich 2004, Seite 32
51
Sarah Abo Youssef, Die Frau im Koran, Zürich 2004, Seite 32
52
Sarah Abo Youssef, Die Frau im Koran, Zürich 2004, Seite 32
50
22
Beispiel 5
In dieser Familie gehört zusätzlich ein Sohn
zu den Hinterbliebenen. Die Eltern des Verstorbenen erhalten wiederum einen Sechstel,
die Ehefrau einen Achtel, die beiden Töchter
je halb so viel wie der Bruder.53
In diesen Kreisdiagrammen werden die drei Fälle für das Erbe der Frau, die im Koran beschrieben sind, deutlich.
x Eine Frau erhält den gleichen Anteil wie ein Mann
x Eine Frau erhält den gleichen Anteil wie eine Mann, oder vielleicht etwas weniger
x Eine Frau erhält den halben Anteil dessen, was ein Mann erhält54
Wie man gut in den Diagrammen sehen kann, wird die Frau nicht generell ungerecht behandelt, da nur in einem der drei Fälle der Frau ein kleiner Anteil zusteht als dem Mann.
Es wird schwer die oben genannten Beispiele mit dem ZGB zu vergleichen, da die Quotenregelung und Stammesordnung verschieden sind.
Der Letzte Fall, der in Sure 4, Vers 11 beschrieben wird, wird oft missverstanden, daher
eine kurze Erklärung.
ÄDie Anordnung, dass ein männlicher Verwandter den gleichen Anteil erhält, wie zwei
weibliche Verwandten, bezieht sich nur auf den Fall, dass .LQGHUYRQLKUHQ(OWHUQHUEHQ³55
ÄEs ist sinnvoll, dass ein Bruder das Doppelte des Anteils der Schwester erhält, da er nach
Auslegung des islamischen Gesetzes dazu verpflichtet ist, für ihren Unterhalt aufzukommen.³56
53
Sarah Abo Youssef, Die Frau im Koran, Zürich 2004, Seite 33
www.womeninislam.ws
55
www.huda.de
56
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54
23
Hier ein Beispiel, das die Situation verständlicher machen soll.
ÄEin Mann verschied und hinterliess einen Sohn und eine Tochter. Der Verstorbene hinterliess eine Summe von 3000CHF für seine Erben. In diesem Fall hat der Sohn einen Anspruch auf 2000CHF und der Anteil der Tochter beträgt 1000CHF³57
Lasst uns die Situation des Erben nach dem Tod des Vaters untersuchen.
ÄDer Anteil des Sohnes am Erbe verringert sich, weil er ein Brautgeld zahlen muss ( wenn
er beabsichtigt, zu heiraten ). Er ist verpflichtet, für die Heirat sein Haus zu möbilieren und
für den Bedarf seines Haushalts finanziell aufzukommen. Der Sohn ist auch verpflichtet,
für seine verwitwete Mutter zu sorgen, für seine Grosseltern (wenn sie noch leben) und
auch für andere arme und bedürftige Verwandte. Die Tochter anderseits ist nicht verpflichtet, von ihrem geerbten Geld irgendetwas abzugeben ( es sei denn, sie will es ), selbst
wenn sie wohlhabend und reich ist. Wenn sie heiratet, erhält sie eine Morgengabe von
ihrem Ehemann. Der Ehemann muss für ihren finanziellen Bedarf aufkommen, wie Ausgaben für das Haus, Gesundheit, Kinder und alle anderen finanziellen Verpflichtungen der
Familie. Manche Islamischen Gelehrten sind auch der Meinung, dass der Ehemann für
Schmuck und Kleider seiner Frau zu sorgen hat.³58
ÄAlso ist es die Verantwortlichkeit des Mannes, für die finanzielle Versorgung der Frau und
seiner gesamten Familie, seinen Mitteln entsprechend, Sorge zu tragen. Der Reichtum der
Tochter von der Erbschaft wird ergänzt und daheUHKHUYHUPHKUWDOVYHUPLQGHUW³59
ÄDer Mann ist auch verpflichtet, im Fall einer Scheidung oder Trennung Unterhalt und Unterstützung für Kinder zu zahlen. Eine weibliche Erbin kann mit ihrem Reichtum, Geld und
Gut anfangen, was sie möchte. Sie kann ihren Anteil investieren oder damit tun, was ihr
gefällt. Damit zeigt dieses Beispiel, dass der Anteil der Tochter am Ende unversehrt bleibt,
während der Anteil des Mannes aufgrund seiner finanziellen Verpflichtungen ausgegeben
wird. Die Frau besitzt im Islam das Recht, ihren AnteiODP(QGHIUVLFK]XEHKDOWHQ³60
ÄUnter Berücksichtigung, dass diese Verse vor über 1400 Jahren in Arabien offenbart wurden, als Frauen keine andere finanzielle Sicherheit hatten, als das, was ihnen von den
57
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58
24
Männern zur Verfügung gestellt wurde, demonstrieren diese Verse den Schutz und Respekt, der der Einheit der Familie entgegen gebracht wurde und stellten sicher, dass die
Rechte der Frauen auch in Zukunft geschützt würden. Brüder, die Schwestern haben, erhalten also grössere Anteile als ihrer Schwestern, sind jedoch gleichzeitig verpflichtet, einen Teil ihres Vermögens für diese Schwestern auszugeben.³61
ÄIn der islamischen Wissenschaft wird viel über das Thema Erbschaft diskutiert. Es gibt
Gelehrte, die den Standpunkt vertreten, dass diese Regeln nur dann Anwendung finden,
wenn der Verstorbene kein Testament hinterlassen hat, und dass diese Aufteilung durch
ein Testament geändert werden kann. Vermutlich wird dabei das Testament analog wie
eine Schuld behandelt und hat somit Vorrang vor jeder anderen Auszahlung vom EigenWXP³62
Wie beim vorherigen Kapitel Pflichtteilsrecht erklärt, hat der Erblasser bis zu einem Drittel
ihres/seines Eigentums zur freien Verfügung. Es soll hier bemerkt werden, dass eine
Mehrzahl der sunnitischen Denkschulen sagen, dass 1/3 nicht natürlichen Erben vermacht
werden kann; andere jedoch, einschliesslich der schiitischen Denkschulen, stimmen dieser
Einschränkung nicht zu.63
ÄEine Mehrheit der Denkschulen stellt fest, dass diese Verse eine Anleitung sein sollen, für
wen vorgesorgt werden soll und in welchem Ausmass. Ausserdem gibt es Gelehrte, die
behaupten, dass diese Gesetze nur in einem islamischen Rechtssystem und unter islamischer Regierung anwendbar sind, da nur dort eine Frau die Möglichkeit hätte, gegen einen
Verwandten, der verpflichtet wurde für sie zu sorgen und dieser Verpflichtung nicht nachkam, rechtlich vorzugehen.³64
ÄÜbrigens wird in vielen Versen deutlich gemacht, dass Männer und Frauen auf der gleichen Ebene stehen.³65
Ä8QGGLHJOlXELJHQ0lQQHUXQG)UDXHQVLQGHLQHUGHUDQGHUHQ)UHXQG[«@³66
61
www.huda.de
www.huda.de
63
www.huda.de
64
www.huda.de
65
Sarah Abo Youssef, Die Frau im Koran, Zürich 2004, Seite 39
66
Koran Sure 9 Vers 71
62
25
ÄHieraus ersteht also nicht ein Verhältnis der Unterordnung der Frau, sondern ein partnerschaftliches Verhältnis, in dem sich Männer und Frauen gegenseitig unterstützen³67
ÄZum Schluss lässt sich sagen, dass die Mehrheit der Muslime betreffend der Frau im Koran der Meinung sind, dass ihr im Koran alle notwendigen Rechte gegeben worden sind,
um ein zufriedenes und glückliches Leben zu führen. Daher deuten auch die Muslime den
einen Fall, an dem die Frau einen kleineren Anteil am Erbe bekommt als ihr Bruder, keineswegs als Inferiorität.³68
Das ZGB sieht zu diesem Fall folgendes vor.
ÄDie Kinder erben zu gleichen Teilen.³69
Aus diesem Grund wird es als ungerecht empfunden, wenn die Frau einen kleineren Anteil
bekommt als ihr Bruder, was aber von den Muslimen selber nicht als ungerecht empfunden wird.
67
www.huda.de
Sarah Abo Youssef, Die Frau im Koran, Zürich 2004, Seite 39
69
Art.457 Abs. 2 im ZGB
68
26
Mein Testament
Mit diesem Musterbeispiel möchte ich auf praktischer Art und Weise zeigen, wie ein Testament aussehen könnte, wenn man die islamischen wie auch die schweizerischen Vorschriften für die Erstellung eines Testamentes berücksichtigt.
Ͳ̜̺͙̀ͣͳ̻̜̺͙̓ͣљ͙Ͳ̠̗
In Gottes Namen dem Barmherzigen möchte ich mein Testament beginnen und meine
Worte an meine liebe Familie richten.
Im Islam ist es Tradition, mit Gottes Namen dem Barmherzigen zu beginnen, daher soll es
auch in meinem Testament so sein.
Obwohl ich euch laut Gesetz und Religion nicht in meinem Testament zu erwähnen brauche, da ihr zu meinen gesetzlichen Erben zählt und ihr in der Erbfolge berücksichtigt werdet, will ich euch mit diesem Schreiben allen für die schönen 19 Jahre, die ich mit euch
gemeinsam verbringen durfte, danken und euch über meinen letzten Willen und Wünsche
informieren.
Hier wird deutlich, dass sowohl im Gesetz als auch in der Religion die gesetzlichen Erben
berücksichtigt werden, auch wenn kein Testament vorhanden sein sollte, und dass der
Erblasser kein Testament zu erstellen braucht. Doch im Islam beinhaltet das Testament
nicht nur die Aufteilung der Erbschaft, sondern auch Wünsche. Daher ist es verbreitet, ein
Testament zu erstellen.
Ich, Sara Mahmoud, geboren am 9. Januar 1992, wohnhaft in Pfaffhausen, verfüge als
meinen letzten Willen wie folgt:
In der Schweiz beginnen die meisten eigenhändigen letztwilligen Verfügungen mit einem
Satz, in dem Name, Vorname, Geburtstag mit Tag/Monat/Jahrgang und Wohnort genannt
werden.
27
Meine Hinterlassenschaft, die 2320 Schweizer Franken beträgt, geht an meine gesetzlichen Erben, nämlich meine Eltern.
Ich bin hier von einer ungefähren Zahl ausgegangen, die in etwa meinem Nachlass entspricht. Dieser Part ist nicht nötig, doch ich habe es extra hineingenommen, um die Aufteilung und die Quoten in den späteren Abschnitten verständlicher zu machen.
Ich möchte gerne, dass mein Nachlass nach islamischer Art und Weise aufgeteilt wird,
natürlich nur mit Einverständnis aller Erben.
Sollten alle Erben mit der Aufteilung einverstanden sein, so besteht die Möglichkeit, auch
nach islamischem Erbrecht zu teilen.
Meine Lieben, ich möchte euch noch auf meine Schulden aufmerksam machen und bitte
euch, sie vor der Teilung, falls es geht noch vor der Beerdigung an Onkel Nabil Mahmoud
zurück zu zahlen. Ich weiss, wie wichtig das Begleichen der Schulden im Islam ist und
möchte daher nicht für die 50 CHF, die ich meinem Onkel schulde, bestraft werden. Daher
bitte ich euch, sie so schnell wie möglich an Onkel Nabil zurück zu zahlen. Sollte es aus
irgendeinem Grund nicht möglich sein, die 50 Franken zu zahlen, so bitte ich euch Onkel
Nabil zu berichten, dass er mir vergeben soll und das ich um Entschuldigung bitte.
Hier kommen wir auf das Thema Schulden im Islam zu sprechen. Der Erblasser im Islam
ist verpflichtet, seine Erben über seine Schulden zu informieren, auch wenn diese
schlussendlich die Schulden nicht an die Erbengläubiger zurückzahlen. Es ist eine religiöse Aufgabe der Erben, die Schulden für den Verstorbenen zu zahlen, nicht jedoch eine
Pflicht. Daher ist es den Erben frei überlassen, ob sie die Schulden nun begleichen möchten oder nicht. Sind die Erben religiös, so ist es eine gute Sache, die Schulden des Verstorbenen zu zahlen, da er sonst im Jenseits dafür bestraft wird. Mit den Schulden sind
hier die Erbschafts- und Erbgangsschulden gemeint.
Nach Abzug aller Schulden soll der Rest wie folgt aufgeteilt werden:
Meiner Schwester Sumeia und meinem Bruder Abdelraouf möchte ich noch einen Teil von
meiner verfügbaren Quote von 1/3 nach islamischen Recht vermachen. Ich vermache den
Betrag von 205 Franken an meinen Bruder. Dir liebe Sumeia vermache ich meine zwei
28
Goldketten im Wert von 155 Franken und meine Kleider. Sumi und Abdel, ich habe euch
extra einen Teil meiner Erbschaft zugeschrieben, der zwar klein und bescheiden ist, doch
hoffe ich sehr, dass ihr damit etwas anfangen könnt. Es soll auch gleichzeitig ein Andenken von mir sein.
Um das Thema Pflichtteilsrecht genauer zu erklären, habe ich meine Eltern auf den gesetzlichen Pflichtteil gesetzt und mit meiner verfügbaren Quote meine zwei Geschwister
als Erben eingesetzt. Die Pflichtteilsquoten sind im schweizerischen Erbrecht anders als
im Islam. Im Islamischen Recht hat der Erblasser nur 1/3 seines Nachlasses zur Verfügung, über diesen er ein Testament errichten kann.
Mein Bruder und meine Schwester erhalten beide ein Vermächtnis, um beiden gerecht zu
werden und um niemanden zu bevorzugen. Meine Schwester erhält den gleichen Betrag,
wenn nicht etwas mehr, da sie auch meine Kleider bekommt. Mit dem Andenken möchte
ich zeigen, dass die Hinterlassenschaft nicht nur einen materiellen Wert haben kann.
Ich habe mir die Zeit genommen, mein Testament zu schreiben, damit ich euch meine lieben Geschwister einsetzen kann, da euch ansonsten im Islam und ZGB kein Anteil zusteht.
Wie bereits erwähnt, wird im ZGB und in der Religion nur den gesetzlichen Erben ein Teil
garantiert. In meinem Fall sind es meine Eltern. Um meinen Geschwistern trotzdem einen
Teil zuzuschreiben, ist ein Testament oder Erbvertrag notwendig.
Ich möchte, dass meine Hinterlassenschaft möglichst vielen Menschen zugutekommt. Daher soll der restliche Betrag meiner verfügbaren Quote von 1/3 an Islamic Relief gehen.
Islamic Relief Schweiz erhält ein Vermächtnis von 396 Franken.
Der Erblasser hat das Recht, mit seiner frei verfügbaren Quote nicht nur Personen einen
Betrag zu vermachen, sondern auch Organisationen wie das Rotekreuz oder Islamic Relief.
Die restlichen 2/3 meines Nachlasses gehen laut Gesetz und Religion an meine gesetzlichen Erben, nämlich an meine Eltern. Nach islamischem Erbrecht steht meiner lieben Mut29
ter ein Erbteil von 1/6 zu. Mein Vater bekommt laut Islam den Rest. Der Anteil von Mutter
beträgt 252 Franken und der von Vater 1262 Franken.
2/3 beträgt der Pflichtteil im Islam, über den der Erblasser nicht verfügen kann. Dieser
Pflichtteil ist den Erben im Islam garantiert. Der Anteil meiner Mutter, der deutlich kleiner
als der meines Vaters ist, steht vor dem Hintergrund der deutlich grösseren finanziellen
Verantwortung, die ein Mann nach islamischer Lehre zu tragen hat.
Bevor ich zum Ende meines Testaments gelange, möchte ich jeden Einzelnen von euch
noch um Vergebung bitten. Bitte vergebt und verzeiht mir, falls ich euch Unrecht getan
oder verletzt habe. Auch möchte ich mich bei all meinen Verwandten und Freunden entschuldigen.
Nach den Lehren des Islam, ist es gut, sich immer wieder bei den Menschen zu entschuldigen.
Ich bitte dich Vater, meinen Todesfall in der Moschee Zürich an der Röttlistrasse bekannt
zu geben. Es soll allen gestattet sein, an meiner Erdbestattung und Totengebet teilzunehmen. Die Totenwaschung und Einhüllung nach islamischer Art soll von einem meiner
weiblichen Familienmitglied vollzogen werden. Was den Beerdigungsort anbelangt, so
möchte ich in einem Islamischen Friedhof begraben werden, der möglichst in eurer Nähe
ist. In diesem Fall wäre Friedhof Witikon der geeignetste Ort, da es einen Bereich für Muslime hat.
Es ist sehr wichtig für jeden Muslim, in seinem Testament zu erwähnen, wer die Totenwaschung vollbringen und ihn ins Leichentuch einwickeln soll. Die Totenwaschung ist auch in
anderen Religionen zu finden. Sie ist ein religiöser Ritus. Laut Islam soll der Erblasser in
seinem Testament den gewünschten Beerdigungsort festlegen.
In Liebe eure Tochter Sara.
Hiermit widerrufe ich alle meine früher errichteten letztwilligen Verfügungen und erkläre sie
als nichtig.
30
Falls der Erblasser mehrere Testamente geschrieben hat, so muss nach ZGB klar ersichtOLFKVHLQZHOFKHVQXQGDVHQGJOWLJHÄIHUWLJH³7HVWDPHQWLVWGHQQDQVRQVWHQZHUGHQGLH
Testamente als ungültig angesehen.
Pfaffhausen den 3. Oktober 2011
Sara Mahmoud
Eine der Vorschriften im ZGB besagt, dass der Erblasser das Datum, an dem er oder sie
das Testament fertig geschrieben hat, an irgendeiner Stelle aufzuschreiben hat. Ganz
wichtig ist die Unterschrift des Erblassers, ohne sie ist das Testament mangelhaft.
31
Zusammenfassung
Das Erbrecht, sei es im ZGB oder im islamischen Recht, ist in jeder Hinsicht eine Revolution. Das Erbrecht der Römer, Germanen und Araber in der vorislamischen Zeit war nämlich ausschliesslich auf ältere, männliche Familienmitglieder beschränkt. Frauen und Kinder wurden von diesem Recht ausgeschlossen. Schrittweise wurden solche Traditionen
geändert und die Familie wurde stärker bevorzugt.
Dieses Grundprinzip, das auf den Familienverhältnissen basiert, ist sowohl im schweizerischen wie auch im islamischen Erbrecht zu finden. So kommt es, dass die nahen Angehörigen des Erblassers zu den gesetzlichen Erben gehören, die nach Religion und Gesetz in
der Erbfolge berücksichtigt werden und daher im Testament nicht extra erwähnt müssen.
Der Schutz der Familie wird auch im Pflichtteilsrecht stark ersichtlich, da anhand des
Pflichtteils den gesetzlichen Erben in jedem Fall ein Teil garantiert zusteht. Mit diesem
Recht, den wir in der Scharia und ZGB finden, soll sichergestellt werden, dass der Nachlass nicht völlig an den pflichtteilsberechtigten Personen vorbei verteilt wird. Die Pflichtteilsquoten sind im islamischen Recht etwas kleiner als die vorgesehenen Pflichtteilsquoten im ZGB. Dies liegt daran, dass die sogenannte Stammesordnung unterschiedlich aufgebaut ist.
Die Erbfolge nach der Stammesordnung und die unterschiedlich grossen Pflichtteilsquoten
sind nicht die einzigen Unterschiede. Wir haben auch die Enterbung bei Überschuldung,
die im Islam keinen Grund zur Enterbung darstellt. Während im ZGB mit der Präventiventerbung verhindert werden soll, dass die Erbschaft an die Erbengläubiger gelangt, werden
die Nachkommen des Erblassers im islamischen Recht nicht enterbt. Denn der Islam ist
der Meinung, man solle den Erben aus dem Teufelskreis der Schulden befreien und die
Nachkommen in solchen Situationen finanziell unterstützen. In diesem Fall ist eher von
unterschiedlichen Hintergedanken zu sprechen als von Gegensätzen.
Auch bei der Gleichberechtigung der Erben können wir von verschiedenen Hintergedanken ausgehen. In unserem Schweizerischen Zivilgesetzbuch ist das Prinzip der gleichen
Rechte von Mann und Frau verankert, und es wird in mehreren Artikeln erwähnt, dass bei
der Erbfolge die Erben gleichberechtigt werden sollen. Aus diesem Grund ist es für Viele
32
schwer zu versehen, warum die Frau im Islam in einer speziellen Konstellation (wenn auch
Söhne vorhanden sind) einen kleineren Anteil an der Erbschaft erhält als der Mann. Auch
dies stellt keinen eigentlichen Gegensatz zum ZGB dar. Vielmehr kommen dadurch unterschiedliche Vorstellungen von den jeweiligen (finanziellen) Verpflichtungen von Mann und
Frau in der Familie zum Ausdruck. In der Scharia erhält die Frau, falls sie mit ihrem Bruder
die Erbschaft zu teilen hat, einen kleineren Erbanteil als ihr Bruder, dafür hat nach den
Lehren des Islams jedes männliche Familienmitglied für sie zu sorgen. Dieser kritische
Bereich führt auch unter den verschiedenen islamischen Rechtsschulen zu Konflikten, da
die einen davon ausgehen, dass diese Regelung nur in jenen Ländern umsetzbar ist, in
welchen ausschliesslich islamisches Recht gilt.
Neben diesen drei Unterschieden gibt es aber auch Gemeinsamkeiten. Wir haben zum
Einen das Thema Schulden, das nach gleicher Art und Weise gegliedert und gelöst wird.
Zum Andern haben wir auch die Strafenterbung. Zwar haben wir hier den Unterschied,
dass nur der Mörder des Erblassers enterbt wird, während das Gesetz eine Enterbung
auch für Fälle vorsieht, in denen der Enterbte ein schweres Verbrechen gegen den Erblasser oder eine diesem nahestehende Person begangen hat. Doch dieser Unterschied
ändert nichts daran, dass in beiden Ordnungen nur der Enterbte selbst für sein Tun bestraft werden soll.
Wichtig zu erwähnen ist auch der Bereich Herabsetzungsklage, die man weder zu den
Gemeinsamkeiten noch zu den Gegensätzen zählen kann. Aus dem einfachen Grund,
dass im islamischen Erbrecht keine Informationen über eine ähnliche Klage vorhanden ist.
Mit der Herabsetzungsklage kann der Pflichtteilsberechtige eine Pflichtteilsverletzung wieder beheben, was nur gerecht ist. Da der Islam für die Gerechtigkeit steht, würde es kein
Problem darstellen, die Herabsetzungsklage auch im islamischen Erbrecht zu übernehmen.
Als Schlussfolgerung kann man sagen, dass Islam und ZGB viele Gemeinsamkeiten haben, was aber nicht gleich bedeutet, dass das islamische Erbrecht für Muslime in der
Schweiz mit dem ZGB in jedem Fall vereinbar ist, da die unterschiedliche Stammesordnung und die verschiedenen Pflichtteilsquoten Hindernisse darstellen. Umgekehrt bedeutet dies jedoch nicht, dass keine mit dem ZGB konformen Möglichkeiten bestehen, die es
ermöglichen, nach islamischer Art und Weise den Nachlass zu teilen. Es gibt durchaus
zahlreiche Möglichkeiten, die viel Spielraum für eine freie Teilung nach Lust und Laune
33
bieten. Die Einfachste davon ist es, sich untereinander zu einigen. Doch leider ist dies unter den Erben oft nicht möglich.
Ausblick
Natürlich habe ich nur einen sehr kleinen Teilbereich des Themas Erbschaft behandelt,
was auch bedeutet, dass man für einen noch genaueren Vergleich sich mit allen Bereichen vertieft befassen soll. Wegen der vorgegebenen Zeitspanne für die Erstellung der
Arbeit und Begrenzung des Umfangs der Arbeit war mir dies nicht möglich. Auch wollte
ich, wie im Vorwort erwähnt, dieses Thema Erbrecht vom Schatten ans Licht bringen, da
es lange Zeit als Tabu galt und nur in seltenen Fällen angesprochen wurde.
Ich bin auch der Meinung, dass der Islam und allgemein Religionen oft nicht aus einer
neutralen Perspektive angesehen werden. Daher wollte ich in meiner Arbeit auch andere
als nur erbrechtliche Bereiche des Islams ansprechen, die für die meisten wahrscheinlich
nicht bekannt waren. Spannend wäre jetzt zu wissen, ob auch andere Religionen wie das
Judentum und Christentum Parallelen zum ZGB haben in Bezug auf das Erbrecht.
34
Quellenverzeichnis
Bücher:
™ Pauli, Hans-Georg, Islamisches Familien- und Erbrecht und ordre public, München
1994
™ Peter Breitschmid, Grenzenloses Erbrecht ± Grenzen des Erbrechts, Luzern 2004
™ Pattar Andreas Kurt, Islamisch inspiriertes Erbrecht und deutscher ordre public,
Berlin 2007
™ Peter Breitschmid, Erbrecht, Zürich 2010
™ Achim Umstätter, Das Testament im ägyptischen Erbrecht, Frankfurt am Main 2000
™ Samir Mourad, Didi-Reihe zum islamischen Recht, Deutschland 2007
™ Amrei Debatin, Das Schweizer Erbrecht, Niederhausen 1998
™ ZGB für den Alltag (2008 ) kommentierte Ausgabe , Zürich 2008
™ Dr. iur. Peter Weimar, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Zürich 2008
™ Sarah Abo Youssef, Die Frau im Koran, Zürich 2004
Webseiten:
™ www.erbrechtschweiz.ch, 06.10.11
™ www.admin.ch, 06.10.11
™ www.didi-info.de, 06.10.11
™ www.huda.de, 06.10.11
™ www.islam-pedia.de, 06.10.11
™ www.islamische-datenbank.de, 06.10.11
™ www.eslam.de, 06.10.11
™ www.womeninislam.ws, 06.10.11
35
Authentizitätserklärung
Ich bezeuge mit meiner Unterschrift, dass ich meine selbständige Arbeit eigenständig verfasst habe, und dass ich nur die angegebenen Quellen für das Schreiben der Arbeit verwendet habe.
Sara Mahmoud
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