06. ! Interview 06. Regisseur Peter Konwitschny über zwei seiner Stuttgarter Operninszenierungen t h c u s n h D i e S e e ss e r e m nach B Angela Beuerle: Herr Konwitschny, wie ist es, sich nach acht bzw. 12 Jahren wieder mit Ihren Inszenierungen von Zauberflöte und Götterdämmerung zu beschäftigen? Peter Konwitschny: Da merke ich, wie gut diese Inszenierun- gen sind. AB: Würden Sie es wieder so machen? PK: Klar. AB: Doch haben Sie es jetzt mit anderen Sängern zu tun. PK: Das ist das Angenehme daran, sonst wäre es bloß die Anfertigung einer Kopie. Mit anderen Menschen ist die Feinstruktur anders, die Motivationen, Dinge zu tun, verändern sich. Es sind andere Körper. So ergeben sich viele neue Details. AB: Werden es so auch neue Figuren? PK: Nein! AB: Mozarts Zauberflöte ist eine seltsame Mischung aus Mysterienspiel, Märchen, Kasperletheater – was war Ihre Lösung für diese heterogene Struktur? PK: Sie nicht zu begradigen. Dramaturgisch ist das Stück bedenklich, doch aus dieser Not haben wir eine Tugend gemacht. Nachdem das illusionistische Theater im letzten Jahrhundert hops gegangen ist und es im Grunde nur noch diskontinuierliche Modelle gibt, haben wir die Heterogenität in diesem Werk auch so gelassen. Wir sind jeder Szene strukturell nachgegangen und haben sie in ihrer Größe inszeniert. So kam es zu Diskontinuitäten, Brechungen, V-Effekten – der Zuschauer muss das Stück nun selbst zusammensetzen. Das funktioniert ausgezeichnet, eben weil wir nicht mehr im Sinne des illusionistischen Theaters denken. Damit alles logisch würde, müsste man alle Ecken abfeilen und damit fiele auch viel Substanz weg. Denn es stimmt einfach nicht, dass Sarastro gut und die Frauen böse sind. AB: Welche Welt sehen wir in Ihrer Zauberflöte auf der Bühne? PK: Unsere Welt in ihren Brechungen und Brüchen. AB: Gibt es eine Utopie in dieser Welt? PK: Zum Beispiel das Duett Pamina-Papageno. Da heißt es: sich, und das ist heilig. Berührungsangst spielt dort eine große Rolle. Wir dürfen ihn und die Figuren, die er geschaffen hat, nicht anfassen. Und das müssen wir kaputt machen, damit wir einen direkten Zugang finden. AB: Eine solche Zerstörung des Pathos können wir auch in Ihren Wagner-Inszenierungen erleben, auch in der Götterdämmerung. PK: Es geht darum, die falsche Illusion zu zerstören und uns nicht klein zu machen. Man wird ja erschlagen, schon durch die akustische Gewalt eines solchen Orchesters. Heute kennen wir Kriegslärm, wir kennen Stahlwerke mit ihrem wahnsinnigen Lärm. Aber die Fabriken und all das war damals erst im Entstehen. Vor Wagner gab es noch nie ein so großes Orchester. Es ist mit Wagner in die Welt gekommen und es ist eine Abbildung dieser Welt. Eine Welt, in der wir jetzt noch leben, die noch furchtbarer geworden ist. Wagner ist für mich ein Gegenwartsautor, wenn man so will, weil er am Anfang dieser Zeit stand, in der wir jetzt sind. „Der Humor ist immer in meinen Arbeiten gewesen – von Anfang an.“ AB: Eine besondere Art des V-Effekts ist der Humor, den man in einer Zauberflöte vielleicht noch teilweise erwartet, weniger jedoch in einer Götterdämmerung. Und doch findet sich auch in dieser Inszenierung, trotz des Ernstes und der Tragik, die das Ganze hat, eine Leichtigkeit, man kann da auch ganz viel lachen. PK: Ja, das stimmt. Das ist aus dem Leben gegriffen. Wir wissen, dass Tragik und Komik ganz eng miteinander verbunden sind. Eigentlich sind es zwei Seiten einer Sache. Und deshalb ist der Humor, ästhetisch unbeabsichtigt, immer in meinen Arbeiten gewesen – von Anfang an. Irgendwann habe ich spitz gekriegt, dass das auch ästhetisch angesagt ist, um Pathos zu zerstören, um es dem Zuschauer leichter zu machen, sich in das Werk reinzudenken. Die Leute sehen, dass das Menschen aus Fleisch und Blut sind und nicht nur hehre oder durch und durch ernsthafte Figuren. Das gibt es gar nicht, aber in der Kunst kann man das machen. Man streicht einfach den Humor oder die kleinen Gebrechen, die wir ja alle haben. Wenn man das aber mit hineinbringt, oder besser gesagt, herausholt, was darinnen ist, dann sind fünf Stunden Götterdämmerung plötzlich gar kein Problem mehr. Und darauf kommt es mir an. Das ist das letzte Ziel. AB: In Ihren Inszenierungen arbeiten Sie häufig mit Video, so auch in der Zauberflöte. PK: Seit meinem zweiten Lebensjahr, als ich zum ersten Mal in die Oper musste, habe ich mich gefragt, warum Tamino, wenn er ein Medaillon, ein Bild bekommt, sofort diese Frau befreien will, um sie zu heiraten. Das schien mir doch ein bisschen übertrieben, nur aufgrund eines Bildes. Als ich dann die Inszenierung angetragen bekam, kam der Ernstfall: Wie machst du das jetzt? Da sind mir diese wahnsinnigen Koloraturen aufgefallen, diese Technik, mit der die Königin singt. Das sind Arien im alten Stil, mit der die Königin Tamino auch beeinflusst. Es gibt viele Menschen, die, wenn sie diese Arien von einer wirklich guten Sängerin hören, sagen, »das ist ja faszinierend, das ist etwas ganz Tolles«. Und da dachte ich, wie zeigst du das? Wie machst du das theatralisch fassbar? Denn Theater heißt ja immer, es muss gezeigt werden, es muss ablesbar werden. Alles Gedachte hat nur eine Wirkung, wenn es in äußere Form gebracht ist. Natürlich ist das Video auch ein Witz, aber es ist zugleich eine Fassbarmachung dessen, was die Königin einsetzt, um Tamino dazu zu bringen, sofort die Tochter zu holen. Das war die Initialzündung für das Video im ganzen Stück. „Die Musik ist das Entscheidende. Musik muss inszeniert werden, weil sie substanziell definiert, was vorgeht.“ AB: Sie sagten gerade, dass Sie mit zwei Jahren das erste Mal in die Oper »mussten«. Sie sind mit Musik aufgewachsen. Was bedeutet Musik für Sie, wenn Sie einen Ihrer Opernabende erleben oder ihn erarbeiten? PK: Die Musik ist das Entscheidende. Musik muss inszeniert werden, weil sie substanziell definiert, was vorgeht. Sicher, der Text auch, aber der Gestus der Musik ist für mich entscheidend. Wenn etwa die Königin in ihrer zweiten Arie ihre Tochter zwingen will, Sarastro umzubringen, erzählt mir die Musik, wie verzweifelt diese Frau da um sich schlägt. Das würde der Text alleine nicht aussagen, den könnte man noch anders interpretieren. Aber die Musik nicht. AB: In Ihren Inszenierungen sieht man oft Menschen, die entweder zerbrochen oder sehr brüchig sind. Und sie leben in einer Welt, die selbst zerbricht oder bereits zerbrochen ist. Dennoch gibt es eine große Sehnsucht, die dabei über den Bühnenrand kommt. PK: Ja, Sie haben völlig Recht. Ich bin der Meinung, dass unsere Kultur, unsere Zivilisation, nämlich die abendländisch- »Mann und Weib, und Weib und Mann / reichen an die Gottheit an.« AB: Immer wieder überschreiten Figuren in Ihren Inszenierungen den Bühnenrand in Richtung Publikum, in der Zauberflöte gleich mehrfach – Tamino springt in den Orchestergraben ... PK: ... Papageno fordert bei seinem »Hit« »Ein Mädchen oder Weibchen« das Publikum auf, mitzusingen. Es geht um die Durchbrechung der vierten Wand, um Interaktion. AB: Warum? PK: Die Zauberflöte ist ein Werk, das von hohen Dingen spricht und zugleich sehr volkstümlich ist, volkstümlich im Sinne von einfach. Mir geht es hier um die Zerstörung von Pathos. Es ist ein Jux, wenn Tamino in den Orchestergraben springt und mit den Musikern und dem Dirigenten spielt. Auch beim Blick auf den Komponisten Mozart geht es darum, das Pathos zu entfernen. Es gab ein Buch, »Donnerblitzbub Wolfgang Amadeus« [von Rotraut Hinderks-Kutscher, erstmals erschienen 1945; Anm. d. Red.]. Und der »Donnerblitz-Bub« ist ein Engel. Er hat etwas Himmlisches, etwas Göttliches an 16 Foto: Gilbert Kossek Ein Gespräch mit Regisseur PETER KONWITSCHNY über seine Inszenierungen von Mozarts Zauberflöte und Wagners Götterdämmerung, die in Kürze an der Oper Stuttgart wieder aufgenommen werden. Die Fragen stellte ANGEL A BEUERLE, Dramaturgin der Oper Stuttgart. links Rudolf Rosen (Papageno), Staatsopernchor Stuttgart in Die Zauberflöte, Inszenierungsfoto zur Premiere am 13. März 2004; rechts Roland Bracht (Hagen), Staatsopernchor Stuttgart in Götterdämmerung, Inszenierungsfoto zur Premiere am 12. März 2000 (Fotos: A.T. Schaefer) patriarchalische, an ihrem Ende ist. Das Verhältnis nicht nur zur Frau, sondern auch zur Mutter Erde ist die reine Ausbeutung. Und ich sehe auch, in dem Verhältnis zwischen Mann und Frau gibt es Mord und Totschlag und unglückliche Existenzen, die sich jahre- und jahrzehntelang dahinschleppen. Da müssen wir etwas ändern. Darum ging es Wagner ganz explizit, viel mehr noch als Mozart. „Der Sinn muss sein, dass das Leben besser wird, die Erleichterung unserer Existenz.“ AB: Und das ist auch eine Motivation Ihrer Arbeit? PK: In meiner Kindheit habe ich meine Eltern einige Male mit PK: Am Anfang habe ich das unbewusst inszeniert. Ja, eine Mord und Totschlag erlebt. Auch sie haben Schwierigkeiten gehabt, ihre Liebesenergie positiv ins Ziel zu bringen. Kinder wollen ja immer, dass alles gut ist, sie machen sich, wenn es schlimm kommt, verantwortlich dafür, dass die Eltern sich nicht verstehen. So ist es in meiner individuellen Geschichte, aber auch in dem, was ich in meiner Umwelt sehe. Das stimmt ziemlich überein. Da muss Abhilfe geschaffen werden. Und das stimmt nun wiederum überein mit Brechts Ziel des Theaters: Der Sinn muss sein, dass das Leben besser wird, die Erleichterung unserer Existenz. Ich war zehn Jahre am Berliner Ensemble. Und das ist für mich verbindlich geworden: dass alle Menschen letztlich daran arbeiten, dass unsere Existenz angenehmer wird, glücklicher wird. Alle! Sehnsucht, die einfach über die Rampe kommt. Die gar nicht ganz materialisiert ist in einer Figur. Es ist ein Wind, der da von der Szene kommt. Und das ist die Sehnsucht nach einem Besseren. Dazu muss ich – und das missfällt manchen Leuten – die Katastrophen so stark machen, wie es nur geht. Wir sind ja schon geschult, Katastrophen zu schlucken. Daher muss man über eine Schwelle, über eine Dumpfheitsschwelle, die natürlich lebensnotwendig ist, sonst könnte man gar nicht mehr essen bei den Nachrichten. Und deshalb muss ich es stark machen, ich muss es bitter machen, ich muss es schmerzlich machen, was in der Götterdämmerung, in der Zauberflöte oder sonst wo passiert. Damit im Zuschauer eine Gegenkraft entsteht – nämlich die Sehnsucht, dass es besser sein soll. AB: Wie findet das Eingang in Ihre Inszenierungen? AB: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch! Das Journal Dezember 2012 / Januar und Februar 2013 Die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart Musikalische Leitung: Uwe Sandner Wiederaufnahme: 15. Dezember 2012 // 19:00 Uhr // Opernhaus Dezember 2012: 19.12. // 23.12. // 27.12. // 30.12.2012 Januar 2013: 04.01. // 06.01. // 12.01. // 18.01. // 23.01. // 25.01. // 27.01.2013 Götterdämmerung von Richard Wagner Musikalische Leitung: Marc Soustrot Wiederaufnahme: 20. Januar 2013 // 17:00 Uhr // Opernhaus Januar 2013: 30.01.2013 Februar 2013: 03.02. // 10.02. // 17.02.2013 17