Arch. Tierz., Dummerstorf 43 (2000) Sonderheft, 40-50 Aus dem Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere (FBN), Dummerstorf1, der Rinderproduklion Niedersachsen2, dem Bayrischen Forschungszentrum ftlr Fortpflanzungsbiologie3 und dem Besamungsverein Neustadt a. d. Aisch4 WILHELM KANITZ ', HANNELORE ALM ', FRANK BECKER ', ANDREAS KUWER 2 , CLAUS LEIDING 4 , HANS-PETER NOHNER 4 , KNUT ROSCHLAU 2, MIODRAG STOJKOVIC 3, HELMUT TORNER ' und HENDRIK WENIGERKIND 3 Zusätzlicher Zuchtfortschritt in der Rinderzucht durch eine neue Biotechnik Summary Title ofthe paper: Additional genetic progress in cattle breeding through a new biotechnology The paper describes the aims and brief the methodology of Ovum pick up (OPU) and in vitro production (IVP) of cattle embryos. Moreover, some important factors influencing the results of OPU and IVP are mentioned and discussed (in vitro fertilisation (IVF), i. v. culture (IVC), i. v. maturation (IVM)). The report contains the first time results of practical application of OPU, IVP and embryo transfer (ET) through different commercial organisations. Finally, some data in regard to the so called large calf Syndrome are presented and discussed. Key Words: cattle, ovtun pick up, in vitro embryo production, embryo transfer, in vitro maturation Zusammenfassung Mit dem Artikel werden die Ziele der Anwendung und kurzgefasst die Methoden der In-vivo-Eizellgewinnung und der In-vitro-Embryonenproduktion erläutert. Dabei wird anhand von Beispielen auf einige ausgewählte Faktoren eingegangen, welche die Ergebnisse der Reproduktionstechnik entscheidend beeinflussen können (In-vitroBefruchtung, In-vitro-Kultivierung, In-vitro-Reifung). Der Bericht enthält erstmalig eine zusammengefasste Darstellung von Ergebnissen der praktischen Anwendung der Verfahren durch kommerziell arbeitende Organisationen. Dabei wird auch auf mögliche Technikfolgen eingegangen. Schlüsselwörter: Kuh, In-vivo-Eizellgewinnung, In-vitro-Embryonenproduktion, Reifüng Embryotransfer, In-vitro- Einleitung Nachdem das biotechnische Verfahren des Embryotransfers seit mehr als 20 Jahren erfolgreich in der Rinderzucht angewandt wird, hat in den zurückliegenden 2 bis 3 Jahren eine neue Reproduktionstechnik - die In-vitro-Erzeugung von Embryonen (IVP) den Weg aus den Forschungseinrichtungen in die Züchtungspraxis gefunden. Durch die Kombination dieser Technik mit einer weiteren Neuerung - der Eizellgewinnung von lebenden Tieren (OPU) - und dem klassischen Transfer der Embryonen werden neue Möglichkeiten für die Züchtung von Rindern eröffnet. Mit dem nachfolgenden Beitrag soll ein komprimierter Überblick zur Thematik gegeben werden. Ziele bei der Anwendung des Verfahrens Die Verfahrensschritte OPU und IVP können für das Erreichen der folgenden Ziele angewandt werden: • Verkürzung des Generationsintervalls durch die Nachkommenerzeugung von jungen Rindern • Erzeugung von Nachkommen von graviden Tieren 41 Kombination mit dem klassischen Embryotransfer für eine weitere Erhöhung der Anzahl Nachkommen von ausgewählten Spendertieren Erzeugung von Embryonen ohne hormonelle Stimulation der Spendertiere Vermehrung seltener Rinderrassen Oozytengewinnung für die Konservierung von Gameten weiblicher Rinder Definitionen und methodisches Vorgehen Gewinnung von Cumulus-Oozyten-Komplexen von lebenden Tieren (ovum pick up OPU) Die in Ovarialfollikeln enthaltenen Eizellen sind unter physiologischen Bedingungen von Cumuluszellen umgeben. Über Interzellularbrücken zwischen Eizelle und Cumuluszellen sowie zwischen Cumuluszellen und Follikelwandzellen kommunizieren die verschiedenen Kompartimente innerhalb von Follikeln miteinander. Wird der Inhalt von Follikeln gewonnen, so sind in der Follikelflüssigkeit im Regelfall keine freien Eizellen, sondern Cumulus-Oozyten-Komplexe (COK) enthalten. Für eine COK-Gewinnung von lebenden Rindern wird bevorzugt die ultraschallgeleitete Follikelaspiration angewandt. Ebenso ist die endoskopische Gewinnung von COK möglich. BECKER et al. (1996) sowie SANTL et al. (1998) verglichen beide Methoden miteinander und diskutierten deren Vor- und Nachteile. Von den beiden Methoden hat sich die ultraschallgeleitete Follikelaspiration im Hinblick auf den Anwendungsumfang durchgesetzt. Das Prinzip dieser Gewinnungsmethode besteht darin, dass unter Ultraschallkontrolle eine Aspirationskanüle in die zu aspirierenden Follikel eingeführt und die Follikelflüssigkeit durch das Anlegen eines Vakuums abgesaugt wird (Abb. 1). Der gewonnene Follikelinhalt wird in einem sterilen Röhrchen aufgefangen und nachfolgend auf das Vorhandensein von COK untersucht. Beide Gewinnungsmethoden können wiederholt und ohne eine Beeinträchtigung der Gesundheit und der späteren Fortpflanzungsleistung der Tiere angewandt werden. q 6a -88 ' 6.8 ENM> p-pl X 1.8 FOCUSJ H.Ftl Abb. 1: Ultraschallbild von einem Follikel. Entlang der Punktionsünie ist die Aspirationskanüle von oben in den Follikel geführt worden. Die Spitze der Kanüle ist als heller Punkt im Follikel zu sehen (Ultrasonic figure of a follicle. The dotted needle guide shows the way for the aspiration cannula. The tip of the canula occurs as a light point near the needle guide in the centre ofthe follicle) 6.SHHZ ID» Beurteilung der Cumulus-Oozyten-Komplexe Für die routinemäßige Beurteilung von COK werden morphologisch erkennbare Kriterien verwendet. Ein häufig angewandtes Klassifizierungsschema besteht darin, die COK aufgrund ihrer Cumulusmorphologie in kompakte (Abb. 2) und expandierte COK (Abb. 3) einzuteilen. Darüber hinaus wird zwischen COK mit Corona radiata und Eizellen ohne Cumulus unterschieden. Dieses System der COK-Klassifizierung kann durch die Einbeziehung zusätzlicher morphologisch erfassbarer Kriterien, wie z.B. 42 Vollständigkeit des Cumulus oder Zytoplasmacharakteristika der Eizelle noch untersetzt werden. Die Ergebnisse der morphologischen Beurteilung korrelieren mit Ergebnissen zytologischer und ultrastruktureller Untersuchungen, aus denen hervorgeht, dass in der Klasse der kompakten COK vorwiegend unreife und in der Klasse der expandierten COK vorwiegend reifende und reife Eizellen vorkommen. In-vitro-Reifung (in vitro maturation - IVM) Bevor Eizellen befruchtet werden können, müssen sie einen Reifungsprozess durchlaufen, um die Befruchtungskompetenz zu erlangen. Im Rind wird dieser Reifungsprozess durch den ovulationsauslösenden LH-Peak eingeleitet. Vom LH-Peak bis zur Freisetzung einer befhichtungsfähigen Eizelle (Ovulation) vergehen etwa 23-26 h. In dieser Zeit vollziehen sich in der Eizelle abgestimmte Prozesse der Kern-, Zytoplasma und Membranreifung (STOJKOVIC et al., 1999). Werden Eizellen mit den umgebenden Cumuluszellen aus ihren Follikeln herausgeholt, so müssen sie, um befruchtet werden zu können, diesen Reifungsprozess in vitro vollziehen. Unter einer In-vitro-Reifung wird deshalb die Inkubation von COK unter Bedingungen verstanden, unter denen die Eizellen ihre Befruchtungsfähigkeit erlangen können. AAA-.:-J^ Abb. 2: COK mit kompakten Cumuluszelllagen (Cumulus-oocyte-complex with expanded cumulus cell layers) < : ' ••-."•. Abb. 3: COK mit expandierten Cumuluszelllagen (Cumulus-oocyte-complex with expanded cumulus cell layers) In der Umsetzung bedeutet das eine Inkubation von COK in Nährmedien, die verschiedene Zusätze enthalten, über die Dauer von 24 h bei 39 °C und 5 % C0 2 . Die Art und Konzentration der verschiedenen Medienzusätze können zwischen verschiedenen Laboratorien beträchtlich variieren. Sehr häufig werden die COK gemeinsam mit somatischen Zellen kultiviert (Co-Kultivierung). Das bevorzugte Ausgangsmaterial für eine In-vitro-Reifung bilden kompakte COK. Ein wichtiges Kriterium für die erfolgreiche Reifung ist das Erreichen der Metaphase II der Meiose, welche u.a. durch eine typische Anordnung der Chromosomen in der Eizelle und durch die Ausschleusung des ersten Polkörpers aus dem Zytoplasma gekennzeichnet ist. Die Zeit, die von unreifen Eizellen '13 in vitro für das Erreichen der Metaphase II benötigt wird, entspricht weitestgehend der Zeit vom LH-Peak bis zur Ovulation. In-vitro-Befruchtung (in vitro fertilisation - IVF) Unter In-vitro-Befruchtung wird die gemeinsame Inkubation von Oozyten und Spermien unter Bedingungen verstanden, die analoge Interaktionen zwischen Spermatozoen und Eizellen wie bei einer In-vivo-Befruchtung gestatten sollen. Die Penetration von Oozyten, die Vorkernbildung in diesen und die Teilung von Zygoten sind Ergebnisse einer erfolgreichen Befruchtung. Für die gemeinsame Inkubation der Gameten wird häufig das Befruchtungsmedium TALP in verschiedenen Modifikationen verwendet. Die Kultivierung über 18 bis 48 h erfolgt bei einer Temperatur und Gasphase, die denen während der In-vitro-Reifung entsprechen. Bedeutsam ist, dass auch Spermatozoen reifen müssen, um Eizellen befruchten zu können. Diese Reifung wird als Kapazitierung bezeichnet. Während des Reifungsprozesses treten in den Spermien Veränderungen von Ionenkonzentrationen und im Stoffwechsel auf. Parallel dazu wird der Aktivitätsstatus von Proteinen durch Phosphorylierungsprozesse verändert (TÖPFER-PETERSEN et al., 1996). Diese und weitere Vorgänge sind die Voraussetzung dafür, dass die Zona pellucida-induzierte Akrosomenreaktion, die Penetration durch die Zona pellucida und die Fusion mit der Eizelle stattfinden können. Morphologisch sichtbare Ergebnisse der Kapazitierung sind die Hyperaktivierung sowie die Akrosomenreaktion. Da für die Befruchtungskompetenz von Spermien ihre Vorwärtsbeweglichkeit eine wesentliche Voraussetzung ist, werden aus den Spermiensuspensionen die vorwärtsbeweglichen Spermien vor der Kapazitationsbehandlung über den Einsatz von Dichtegradienten oder der Swim-up-Methode angereichert. Als kapazitierende Substanzen werden im Regelfall Stoffe, die zu den Glykosaminglykanen gehören (Heparin, Epinephrin, Hypotaurin), verwendet. In-vitro-Kultivierung (in vitro culture - IVC) Durch die Befruchtung wird aus der Eizelle eine Zygote, aus der durch Teilung der Embiyo hervorgeht. Der methodische Schritt der In-vitro-Kultivierung von Embryonen wird durchgeführt, damit die so entstandenen Embryonen durch weitere Teilungsprozesse im Labor ein Embryonalstadium erreichen, welches sehr gut für einen nichtchirurgischen Transfer geeignet ist. Solche Embryonalstadien sind Morulae und Blastozysten, wobei das Blastozystenstadium präferiert wird. Die Kultivierung der Embryonen erfolgt häufig in einer Co-Kultivierung mit somatischen Zellen oder in konditionierten Medien (STOJKOVIC et al., 1997). Während der In-vitro-Kultivierung, die sich über 7 - 9 Tage erstreckt, wird die Embryonalentwicklung durch die verschiedenen Inkubationsbedingungen (Medien, Additiva, Co-Kulturen) beeinflusst. Embryotransfer (ET) Für den Transfer von in vitro erzeugten Embryonen gilt ebenso wie für die Übertragung von in vivo gewonnenen Embryonen, dass sie in Empfängertieren an dem Ort platziert werden sollten, an dem sie sich entsprechend ihres Entwicklungsstadiums befinden würden. Dafür können chirurgische oder nichtchirurgische Techniken genutzt 44 werden. Im Rahmen der praktischen Nutzung des Verfahrens ist nur der nichtchirurgische Transfer bedeutsam. Ergebnisbestimmende Einflussfaktoren Auf die Ergebnisse, welche auf dem Gebiet der In-vitro-Produktion von Embryonen nach Follikelaspiration in vivo erzielt werden, haben mehrere Faktoren einen wesentlichen Einfluss. Von diesen Faktoren sollen die nachfolgenden anhand einiger ausgewählter Daten in ihrer Wirkung erläutert werden. • Alter der Spendertiere • Qualität der Follikel, die für einen Eizellgewinnung genutzt werden können • Qualitätsparameter des Aspirationssystems • Qualität des IVP-Systems Neben den genannten Faktoren besitzen weitere, wie die Qualität der Embryonen, die Qualität der Empfängertiere und das Rezipientenmanagment, einen entscheidenden Einfluss auf das Gesamtergebnis. Da die Bedeutung dieser Faktoren bereits weitestgehend bekannt ist, wird auf eine weitere Erläuterung der Thematik an dieser Stelle verzichtet. Von den verschiedenen Charakteristika der Spendertiere hat das Alter einen entscheidenden Einfluss auf die Ergebnisse der In-vitro-Embryonenerzeugung. In der Mehrzahl der Publikationen zu diesem Einflussfaktor (DAMIANI et al., 1996; KANITZ et al., 1996; KHATIR et al., 1996; PRESICCE et al., 1997; GANDOLFI et al., 1998; SCHERNTHANER et al., 1999) wird über vergleichsweise schlechtere Ergebnisse nach der Nutzung von Kälbern als Eizellspender berichtet (Tab. 1). Jedoch gibt es auch Angaben nach denen Oozyten von Kälbern mit gleichem Erfolg wie die von zyklischen Jungrindern oder Kühen für eine Embryonenerzeugung genutzt werden können. Die Ursachen für diesen Widerspruch sind aktuell nicht klar. Aus der Tabelle 1 geht auch hervor, dass von Kälbern vergleichsweise viele Oozyten gewonnen werden können und die Applikation von Gonadotropinen zur Stimulation des FoUikelwachstums, vor allem bei Rindern vor dem Eintritt in das Puerperium, die Entwicklungskompetenz der Eizellen im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle verbessert. Tabelle 1 Zum Einfluss des Alters von Rindern auf Ergebnisse der In-vitro-Produktion von Embryonen nach ultraschallgeleiteter Follikelaspiration (PRESICCE et al., 1997) Results of in vitro production of cattle embryos after ultrasound guided follicular aspiration in dependence on age of animal (PRESICCE et al., 997) Mo./Bla. Mo./Bla. Taugliche GewinAspirierte GewonBehandAlter Kontrolle COK nungsrate nene COK lung Follikel mit Gonado(%) (n)x (%) (n)x tropinen (%) (%) Kälber (5 Monate) Jungrinder (7 Monate) Jungrinder (9 Monate) Jungrinder (11 Monate) + + + + 20,2 24,2 13,0 23,8 9,1 16,7 8,5 15,3 15,8 18,2 12,0 16,0 7,3 13,1 6,4 9,8 78 75 94 67 80 78 76 64 49 92 65 96 38 51 38 54 0 10 5 39 11 31 48 40 31 41 31 45 45 Neben dem Alter der Spendertiere ist auch die Qualität der Follikel, aus denen die Oozyten gewonnen wurden, bedeutsam für deren weitere Entwicklung (PAVLOK et al., 1992; LONERGAN et al., 1994; ARLOTTO et al., 1995; SIRARD und BLONDIN, 1996; BERGK et al., 1998; YANG et al, 1998; HENDRIKSEN et al, 2000). Die eigenen Untersuchungen auf dem Gebiet belegen, dass aus Follikeln mit einem Durchmesser von 3 bis 5 mm der höchste Anteil COK mit kompakten Cumuli gewonnen wurde, wohingegen aus Follikeln < 3 mm häufig COK mit aufgelockerten Cumuli resultierten (Tab. 2). Auch die Chromatinkonftgurationen in den Oozyten unterschieden sich in Abhängigkeit vom Follikeldurchmesser. So wurden aus Follikeln < 3 mm und aus solchen > 3 mm signifikant verschiedene Anteile unreifer COK und in Reifung befindlicher COK gewonnen (Tab. 3). Interessanterweise entwickelten sich Oozyten, die aus Follikeln > 3 mm gewonnen wurden, signifikant besser zu Morulae und Blastozysten als Oozyten, die aus kleineren Follikeln resultierten (Tab. 4). Tabelle 2 Cumulusmorphologie von COK in Abhängigkeit vom Follikeldurchmesser (Morphology of COC in dependence on follicular diameter) COKFollikelgrößenklasse Morphologie < 3 mm 3 - 5 mm > 5 nm gesamt n % n % n % n % Kompakte COK Aufgelockerte COK Expandierte COK COK mit Corona radiata Nackte Oozyten c 497 787 15 102 52 34,2" 54,2b 1,0 7,0 3,6 823 1105 30 59 35 40,1' 53,8 1,5 2,9 1,7 235 320 13 40 25 37,1 50,5 2,1 6,3 4,0 1555 2212 58 201 112 37,6 53,5 1,4 4,9 2,7 p<0.05 Tabelle 3 Chromatinkonfiguration in Rinderoozyten in Abhängigkeit vom Follikeldurchmesser (n = 400 Oozyten) Follikelgröße COK n < 3 mm 3 - 5 mm > 5mm 109 233 58 unreif (GV) n % 38 108 31 34,9' 46,4b 51,7b Chromatinkonfiguration in Reifung (GVBD - Ana I) n % 65 115 28 59,6 c 49,3 d 48,3 d reif(Tl -MII) n % 6 10 0 5,5 4,3 0 Tabelle 4 Entwicklungskompetenz von Rinderoozyten in Abhängigkeit vom Follikeldurchmesser (n = 543 COK) Parameter Befruchtungsrate Teilungsrate Blastozystenrate (%)X (%)X (%)X < 3 mm Follikeldurchmesser 3 - 5 mm > 5 mm 68,5 59,4 17,9' 71,8 63,5 29,4 b 72,8 63,0 32,1" Die Entwicklungskompetenz von Oozyten in IVP-Systemen kann auch von der Qualität der Ovarialfollikel in Abhängigkeit vom Zyklusstadium (TAN und LU, 1990; MACHATKOVA et al, 1996) oder von einer Behandlung der Spendertiere mit GnRH 46 und/oder Gonadotropinen (BLONDIN et al, 1996; SIRARD und BLONDIN, 1996; BORDIGNON et al, 1997; PRESICCE et al, 1997; FRY et al, 1998; GOODHAND et al, 1999; PRICE et al, 1999; SIRARD et al, 1999) beeinflusst werden. Mit der Applikation von Gonadotropinen wird u.a. das Ziel verfolgt, Oozyten aus nichtatretischen Follikeln für eine Embryonenerzeugung zu gewinnen oder eine Reifung der Oozyten in vivo vor der Eizellgewinnung zu induzieren. Da die Ergebnisse auf diesem Gebiet widersprüchlich sind, erscheint eine Abklärung der Ursachen dafür notwendig. Über die gewählten technisch-physikalischen Parameter des Aspirationssystems kann die Qualität der gewonnen COK ebenfalls signifikant beeinflusst werden. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang der Volumenstrom sowie die Qualität der Strömung (laminar oder turbulent). Die Daten in der Tabelle 5 zeigen, dass mit zunehmendem Vakuum von 100 mm Hg auf 200 mm Hg der Anteil COK mit kompakten Cumuli signifikant abnahm, wohingegen der Anteil COK ohne Cumuluszellen signifikant anstieg. Durch das vergleichsweise höhere Vakuum nahm auch der Anteil COK mit expandierten Cumuli nichtsignifikant ab. Tabelle 5 COK-Morphologie in Abhängigkeit vom Vakuum nach Follikelaspiration in vitro (Morphology of COC in Vakuum Parameter (n) (n) Aspirierte Follikel Gewonnene COK Gewinnungsrate COK mit kompakten Cumuli COK mit expandierten Cumuli COK ohne Cumuli (%) (%) (%) (%) 100 mm Hg 200 mm Hg 280 123 43,9* 47,9' 30,9' 18,7* 202 157 77,7 b 14,6 b 23,6' 61,6 b •:bp<0,05 Darüber hinaus kann dasselbe Vakuum in zwei unterschiedlichen Aspirationssystemen zu signifikant unterschiedlichen Volumenströmen und zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf die COK-Qualitäten führen (Tab. 6). Verursacht wird das durch unterschiedliche Kanülen- und Schlauchdurchmesser sowie Kanülen- und Schlauchlängen. Eigene physikalische Messungen ergaben, dass in Aspirationssystemen turbulente Strömungen auftreten können. Durch solche Strömungen kann es zum Verlust von Cumuluszellen kommen. Für eine Vergleichbarkeit von Aspirationssystemen sind Angaben über Volumenströme besser geeignet als Angaben über verwendete Vakua. Tabelle 6 Morphologie von COK in Abhängigkeit vom Aspirationssystem bei gleichem Vakuum (Morphology of COC recovered with the same vacuum in dependence on aspiration system) COK mit expandierten COK mit kompakten CuOozyten ohne Cumulus Aspirationssystem Cumuli muli (%) System System 2 • : b p<0,05 62,0' "67^ (%) (%) 7,0' 31,6 b 22,5' 58,5' 47 Sehr bedeutsam für das Gesamtergebnis ist die Qualität des IVP-Systems. International existieren zahlreiche Methoden auf den Gebieten In-vitro-Reifung, -Befruchtung und -Kultivierung. Die wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale zwischen diesen sind die verwendeten Medien, die Additiva und die Co-Kulturen. In der jüngeren Vergangenheit wurde im Zusammenhang mit der Benutzung möglichst definierter Medien insbesondere die Wirkung einzelner Hormone und Wachstumsfaktoren auf die Reifung, Befruchtung und frühe Embryonalentwicklung in vitro untersucht. Die eigenen Arbeiten auf diesem Gebiet ergaben, dass bovines Prolaktin (bPRL) eine signifikant positive Wirkung auf die Entwicklungskompetenz von Oozyten hat, wenn diese aus Follikeln mit einem Durchmesser von > 3 mm gewonnen werden (Tab. 7). Tabelle 7 Einfluss von bPRL (50 ng/ml) während einer In-vitro-Reifung auf die Entwicklungskompetenz von Rinderoozyten (n - 364 Oozyten) in Abhängigkeit vom Follikeldurchmesser (Influence of bPRL (50 ng/ml) during in vitro maturation on developmental competence of cattle oocytes (n=364 oocytes) in dependence on folllcular Follikeldurchmesser Gruppe Beffuchtungsrate Teilungsrate Blastozystenrate 56,7 64,5 58,7 49,4 65,0 68,4 13,3 12,9 21,3 23,6 25,0' 52,6' (%L < 3 mm 3 - 5 mm > 5 mm 1 p < 0,05 Kontrolle bPRL Kontrolle bPRL Kontrolle bPRL 64,0 62,9 70,0 68,4 (%) RIEGER et al. (1998) fanden, dass die Wachstumsfaktoren IGF I und EGF den Anteil transfertauglicher Embryonen positiv beeinflussen, wenn sie während der In-vitro-Reifung verwendet wurden. Bei der Betrachtung der zahlreichen Einzelergebnisse müssen immer die konkreten Bedingungen, unter denen die Ergebnisse erzielt wurden, beachtet werden. Eine kumulative Ergebnisverbesserung ist durch die Anwendung der verschiedenen Substanzen in einem Ansatz nicht zu erreichen. Vergleicht man darüber hinaus definierte Medien mit Medien, welche Serumzusätze enthalten, so sind die definierten Medien, gemessen an der Ausbeute an transfertauglichen Embryonen, häufig noch nicht so effektiv wie die nur teilweise definierten Medien (VAN LANGENDONCKT et al, 1996; KRISHER et al, 1999). Ergebnisse kommerzieller Einrichtungen In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der Anwendung des Verfahrens durch vier kommerziell arbeitende Organisationen dargestellt. Einleitend muss festgestellt werden, dass bestimmte Daten nicht ohne weitere Erläuterungen miteinander vergleichbar sind. So muss beachtet werden, dass die Ergebnisse in den Tabellen 8 - 10 von den Organisationen entsprechend den regionalen Besonderheiten unter Verwendung verschiedener Rinderrassen mit unterschiedlichem Alter und Reproduktionsstatus, aber auch mit unterschiedlicher reproduktiver Gesundheit erzeugt wurden. Nicht zuletzt führten auch modifizierte Zielstellungen und unterschiedliche Methoden zu unterschiedlichen Ergebnissen. So wurden im BFZF Embryonen gezielt in unterschiedlichen Medien kultiviert, um der Geburt von überschweren Kälbern entgegenzuwirken. Im Rahmen derartiger Untersuchungen waren die Anzahl Blastozysten pro Tier und 48 Aspirationssitzung und die Trächtigkeitsrate nicht mehr das alleinige Effizienzkriterium der Arbeit. Darüber hinaus waren die Methoden der Gewinnung von COK aus Ovarien geschlachteter Rinder zwischen Einrichtungen (Tab. 10) unterschiedlich. Diese und weitere Unterschiede schränken die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zweifelsfrei ein. Unter Beachtung dieser Einschränkung sollen die in der Tabelle 8 enthaltenen Ergebnisse die Möglichkeiten, die aus der kombinierten Anwendung von OPU, IVP und ET resultieren, aufzeigen. Tabelle 8 Ergebnisse der praktischen Anwendung von OPU/ IVP und ET (Results of practical application of OPU/IVP and Parameter BFZF 96/97 Organisationen und Zeiträume BFZF RPN BFZF Holland Genetics 9 7 1 98/99 97/98 97/98 RPN 98/99 Anzahl OPU-Sitzungen (n) 431 2316 826 977 192 935 (n) 50 190 167 264 73 287 (n) X 4,9 8,2 4,8 7,8 6,4 10,0 (n) X 0,4 1,4 0,6 1,7 0,6 1,8 (%) X 43,6 32,9 50 30,0 49 19,5 45 20,8 44 Anzahl Tiere COK/OPU und Tier Blastozysten/OPU und Tier Trächtigkeitsrate nach Frischtransfer Trächtigkeitsrate nach Kryokonservierung 1 (%) X MERTON, pers. Mitt. Zunehmend gewinnt die ambulante Eizellgewinnung an Bedeutung. Vom BFZF wurden im Jahr 1997 insgesamt 9 % aller OPU-Sitzungen ambulant durchgeführt. Der Anteil der ambulanten Eizellgewinnung stieg 1998 auf 36 %. Bei der RPN stieg der Anteil ambulanter Eizellgewinnung von 0,8 % im Jahr 1997 über 2,3 % im Jahr 1998 auf den aktuellen Wert von ca. 40 %. Eine Auswertung der Trächtigkeitsergebnisse nach dem Transfer von Embryonen, die aus ambulant bzw. stationär gewonnenen Oozyten resultierten, führte zu den in Tabelle 9 dargestellten Ergebnissen. Tabelle 9 Trächtigkeitsergebnisse nach dem Transfer von in vitro erzeugten Embryonen in Abhängigkeit von einer stationären bzw. ambulanten Oozytengewinnung (BFZF) (Pregnancy rates after transfer of in vitro produced embryos in dependence on location of oocytes recovery (on Station vs. on farm, BFZF)) Trächtiekeitsraten nach Frischtransfer ( % ) Oozytengewinnung 1999 1998 1997 27,7 32,8 42,8 Stationär 38,7 33,1 53,8 Ambulant Aus den Daten der Tabelle 9 ist ersichtlich, dass die ambulante Oozytengewinnung im Hinblick auf die Trächtigkeitsrate gleich zu bewerten ist wie eine stationäre Eizellgewinnung. Vom BFZF und vom BVN werden auch Ovarien geschlachteter wertvoller Zuchtrinder für eine Embryonenerzeugung in vitro genutzt. Die Ergebnisse unter Nutzung dieses Ausgangsmaterials enthält die Tabelle 10. 49 Tabelle 10 Ergebnisse der praktischen Anwendung von IVP und ET unter Nutzung von Ovarien geschlachteter Kühe für die Gewinnung von COK (Practical results of IVP and ET after recovery of COC from valuable slaughtered cattle) Parameter Organisationen und Zeiträume BFZF BFZF BFZF BVN BVN' 96/97 97/98 98/99 98 99 Anzahl Tiere (n) COK/Tier 17 24 30 71 66 (n) X 19,4 2 27,5 2 27,2 2 131,1 3 125,0 3 Blastozysten/Tier (n) X 1,9 2,8 1,8 4,5 .7,9 Trächtigkeitsrate (%) 33 39 'PEUCKMANN, pers. Mitt.; follikelaspiration in vitro; 3 Schneiden der Ovarien Technikfolgen Nach dem Transfer von in vitro erzeugten Embryonen wurde über erhöhte embryonale und fetale Verluste, über eine verstärkte Körpermasseentwicklung bei Feten, über Anomalien bei Kälbern und über Abweichungen von der normalen Trächtigkeitsdauer und vom normalen Geburtsverlauf berichtet (REICHENBACH et al., 1992; VAN SOOM et al, 1994; BEHBOODI et al., 1995; FARTN et al., 1995; HASLER et al., 1995; MASSIP et al., 1996; SCHMIDT et al„ 1996; VAN WAGTENDONK et al., 1998; YOUNG et al., 1998). Der Arbeit von KRUIP und DEN DAAS (1997) wurden die in der Tabelle 11 enthaltenen Daten zu der Thematik entnommen. Tabelle 11 Ergebnisse einer Technikfolgenabschätzung bei der Erzeugung von Kälbern nach dem Transfer in vitro produzierter Embryonen (KRUIP und DEN DAAS, 1997) (Influence of IVP technique in cattle on mean gestation lengths, birth weight, course of parturition, perinatal death and abnormalities (KRUIP and DEN DAAS, Parameter Abweichung im Vergleich zur Anwendung der KB Trächtigkeitsdauer Geburtsmasse Kälber S; 50 kg Kälber 2: 60 kg Kalbeprobleme perinataler Tod Anomalien bei Kälbern + + + + + + + 2,3 d 4,8 kg 15-20% 6-13% 25 % 11,6% 5% Die in der Tabelle 11 angeführten Abweichungen werden häufig unter der Bezeichnung large- calf- Syndrom zusammengefasst. Aktuelle Erhebungen zum Geburtsverlauf nach dem Transfer von in vitro produzierten Embryonen durch ein Team der RPN, in denen der Anteil Kälber mit > 50 kg Geburtsmasse auf 18 % geschätzt wird, bestätigen die Bedeutung des Syndroms. Grundlage für die Erhebung war eine Schätzung der Geburtsmassen der Kälber durch die Landwirte in den Betrieben, in denen die Rezipienten abgekalbt haben. Gegenwärtig sind die Ursachen für diese Abweichungen noch nicht klar. Vermutet wird, dass von Faktoren des In-vitro-Kultursystems (Serum- 50 bestandteile, Co-Kulturen) Effekte während der frühen Embryonalentwicklung ausgehen, die eine nachhaltige Wirkung zeigen (NIEMANN und WRENZYCKI, 2000). Schlussfolgerungen und Ausblick Für die praktische Zuchtarbeit beim Rind steht eine neue Biotechnik zur Verfügung, die für eine Erhöhung des Zuchtfortschrittes genutzt werden kann. Das Verfahren kann allein, aber auch synergistisch mit dem klassischen Embryotransfer für eine frühere und erhöhte Vermehrung weiblicher Rinder genutzt werden. Stehen ausreichend Eizellen von einem Spender zur Verfügung, so können diese durch Spermatozoen verschiedener Bullen befruchtet werden. Die Effektivität der Embryonenerzeugung in vitro wird durch entsprechende Forschungsarbeiten verbessert werden. Ein Schwerpunkt dieser Forschungsarbeiten wird die Erkennung der Ursachen für das large-calf-syndrom sein. Für die Erkennung der Ursachen müssen mehrere Ebenen der Merkmalsausprägung, beginnend bei der Transkription und Translation in Embryonen bis zur Vitalität der Nachkommen, untersucht werden. Nachdem aktuell bereits Bullen nach der Anwendung des Verfahrens in verschiedenen Besamungsstationen stehen, ist mit einer weiteren Erhöhung dieses Anteils und mit der Zunahme solcher Bullen zu rechnen, die vor dem Laktationsbeginn ihrer Mütter geboren wurden. Die Literatur ist beim Erstautor einzusehen. Anschriften der Verfasser Dr. WILHELM KANITZ, Dr. HANNELORE ALM, Dr. FRANK BECKER, Dr. HELMUT TORNER Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere (FBN) FB Fortpflanzungsbiologie Wilhelm-Stahl-Allee 2 D-l8196 Dummerstorf Dr. ANDREAS KUWER, Dr. KNUT ROSCHLAU Rinderproduktion Niedersachsen GmbH ET-Station, Nuckel 1 D-27612Loxstedt Dr. MIODRAG STOJKOVIC, Dr. HENDRIK WENIGERKfND BFZF GmbH & Co KG Badersfeld Hackerstraße 27 D-86764 Oberschleißheim Dr. KLAUS LEIDING, Dr. HANS-PETER NOHNER Besamungsverein Neustadt a. d. Aisch PF 1220 Karl-Eibl-Straße 17-2 D-91413 Neustadt a. d. Aisch