In: Widerspruch Nr. 37 Jüdisches Denken – Jüdische Philosophie (2001), S. 42-84 AutorenInnen: Astrid Deubler Mankowsky, Morton D. Kogut, Richard Faber, Daniel Krochmalnik, Friedrich Niewöhner, Werner Stegmaier, Giuseppe Veltri, Michael Zank Artikel Umfrage Fragen zur jüdischen Philosophie heute I. Bis 1933 spielten jüdische Denker in der deutschen Philosophie eine große Rolle. Durch die Rückkehr von Emigranten erlebte diese Tradition nach 1945 nochmals eine kurze Renaissance. Dann brach sie ab. Heute gibt es wieder Ansätze: etwa die Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg oder der Jüdische Verlag bei Suhrkamp. 1. 2. 3. Sehen Sie Chancen, daß sich heute in Deutschland und Mitteleuropa wieder ein jüdisches Geistesleben etabliert? Gibt es Ihrer Meinung nach aktuelle politische Tendenzen, aber auch mentale Einstellungen, die dem im Wege stehen? Worin sehen Sie den ‚Gewinn’ sowohl für Nicht-Juden als auch für Juden? II. In der Geschichte der Philosophie ist es üblich geworden, eine Rubrik „jüdische Philosophie“ zu bilden, unter der Denker wie Philon, Maimonides, Mendelssohn, Cohen und Buber zusammengefaßt werden. Dieser Rubrizierung entgegen steht allerdings die Auffassung, daß es im Grunde nur eine Philosophie gibt, die solche Etikettierungen nicht erlaubt. 1. Läßt sich Ihrer Meinung nach eine Denktradition identifizieren, die in dem Spannungsfeld zwischen „Athen und Jerusalem“ philoso- Umfrage 2. phiert und über die religiöse Motivation hinaus auf säkulare Weise argumentiert hat? Wenn ja, worin sehen Sie das Spezifische, das solches jüdisches Philosophieren ausgezeichnet hat und auszeichnet? III. Eine der Wurzeln jüdischen Denkens war die rabbinische Tradition, die in Deutschland ihre Schwerpunkte in Berlin und Breslau hatte. Nach dem neueren Antisemitismus in Europa, der im Holocaust gipfelte, hat auch bei anderen jüdischen Denkern eine Rückbesinnung auf das Judentum stattgefunden. 1. 2. Haben die Bemühungen, die aus der damit einhergehenden Auseinandersetzung mit den europäischen Denkmustern hervorgegangen sind, die Gegenwartsphilosophie Ihrer Meinung nach insgesamt befruchtet oder eher gelähmt? Sehen Sie im jüdischen Philosophieren heute (neue) Konfliktlinien, die zwischen Traditionsbezug (etwa dem rabbinischen) und modernem bzw. postmodernem Denken verlaufen? Und wenn ja, welche? Astrid DeuberMankowsky Fragen zur jüdischen Philosophie heute Ad I. Es fällt mir schwer, die Frage nach den heutigen Chancen des jüdischen Geisteslebens zu beantworten. Je mehr ich darüber nachdenke, desto fragwürdiger erscheint sie mir. Dies beginnt eigentlich schon mit den ersten beiden Sätzen des Vorspanns. Wer ist gemeint, wenn von „jüdischen“ Denkern in der „deutschen“ Philosophie die Rede ist? Wäre Wittgenstein, Österreicher und Enkel eines zum Christentum konvertierten Juden, ein „jüdischer“ Denker in der „deutschen“ Philosophie? Fällt Georg Simmel – eigentlich ein Soziologe – der wegen seiner jüdischen Herkunft in Berlin keine Professur erhielt und deswegen nach Strassburg emigrieren musste – Umfrage unter die Rubrik? Martin Buber – ist er ein Philosoph im strengen Sinn und welche Rolle spielte er vor 1933 für die „deutsche“ Philosophie? Gehört Ernst Bloch dazu – auch er der Sohn einer zum Christentum übergetretenen Familie? Gershom Scholem, definitiv kein Philosoph? Cassirer – er spielte auch nach 1933 von den USA aus eine wichtige Rolle in der deutschen Philosophie. Ich befürchte, daß die Bezeichnung „’jüdische’ Denker in der ‚deutschen’ Philosophie“ vor allem zum Ausdruck bringt, wie wenig bisher im Rahmen der „deutschen“ Philosophie über das Verhältnis von Philosophie, Philosophen und deren unterschiedliche kulturelle, nationale, religiöse und nicht zuletzt geschlechterbedingte Lebenszusammenhänge nachgedacht wurde. Was ist z.B. Heidegger? Ist er ein „deutscher“ oder ein „katholischer“ Philosoph, der in der „deutschen Philosophie“ eine wichtige Rolle spielte? Wenn Franz Rosenzweig gemeint sein sollte, weiß ich nicht, von welcher Tradition nach 1945 die Rede ist, die noch einmal eine „kurze Renaissance“ erlebt hat. Mir fallen stattdessen Namen ein wie Hannah Arendt oder Ernst Tugendhat; – beide haben eine wichtige Rolle in der „deutschen Philosophie“ nach 1945 gespielt, wenn auch nicht immer von Deutschland aus. Freilich hat ihr Denken nichts zu tun mit den „jüdischen Studien“ in Heidelberg. Ihre wichtigsten Bücher sind auch nicht im „Jüdischen Verlag bei Suhrkamp“ erschienen. Ebenso wenig wie jene der „jüdischen“ Hausautoren von Suhrkamp, um nur Adorno und Benjamin zu nennen. Ist mit der angesprochenen Tradition die berühmte und großartige „Wissenschaft des Judentums“ gemeint? Die Frage nach ihrer Überlieferungsgeschichte nach 1933 ist freilich selbst ein Gegenstand der Forschung und kontroverser ländergrenzenübschreitender Debatten, in denen nicht zuletzt die Frage nach dem Selbstverständnis von jüdischer Geschichtsschreibung, jüdischer Geschichtsphilosophie und jüdischer Philosophie mitverhandelt wird. So hat sich etwa Gershom Scholem – einer der schärfsten Kritiker der „Wissenschaft des Judentums“ – als deren legitimer Erbe verstanden. Für ihn setzte sich die Tradition der Wissenschaft des Judentums an der Hebräischen Universität in Jerusalem fort, die er selbst mit seinen Forschungen vorantrieb und doch nicht weniger (selbst-)kritisch kommentierte als die „deutsche“ Wissenschaft des Judentums des 19. Jahrhundert. Anders als sein verstoßener Schüler Jacob Taubes hielt er eine Wiederaufnahme der Verbindung deutsch-jüdisch weder für möglich noch für wünschbar. Jacob Umfrage Taubes dagegen verstand sich als „Erzjude“ und Philosoph in Deutschland nach 1945. Er hat unter dem Titel „Hermeneutik“ Philosophie, Kulturwissenschaft und Religionswissenschaft verbunden, um an der Grundlegung einer bereits von Dilthey eingeforderten „Kritik der historischen Vernunft“ weiterzubauen und dabei die „Streitfrage zwischen Judentum und Christentum“ – so die Überschrift einer seiner Aufsätze – wie kaum jemand in seiner Generation öffentlich zur Diskussion gestellt. Daß seine Schriften in den letzten zwei Jahren eine neue Rezeption erfahren, könnte als Indiz dafür gedeutet werden, daß die Sensibilisierung für die Bedeutung wächst, die kultur- und religionswissenschaftliche Fragestellungen innerhalb der Philosophie und für die Philosophie haben. Ich befürchte jedoch in diesem Fall, daß die Rezeption seiner Schriften, wenn, dann höchstens in Randbereichen der disziplinären Philosophie geschieht. Die ausführliche Kommentierung des Vorspanns lässt mich nun die Frage, ob sich heute in Deutschland oder Mitteleuropa wieder ein jüdisches Geistesleben etabliere, kürzer beantworten. Wenn das „wieder“ suggeriert, es hätte einmal ein harmonisches, ein homogenes „jüdisches Geistesleben“ gegeben, so möchte ich auf die spannungsreiche Vieldeutigkeit hinweisen, die sich bereits aus der Frage ergibt, wer oder was ein „jüdischer Philosoph“ sein soll. Was heute als „jüdisches Geistesleben“ bezeichnet wird, war seit der Aufklärung und bereits bei Mendelssohn immer zugleich ein Ringen um das, was Jüdischsein in der Moderne bedeutet, wie sich Jüdischsein zu Religiössein auf der einen, wie sich Jüdischsein zu Deutschsein auf einer anderen Seite, das heißt zur Staatsangehörigkeit verhält. Das implizierte die Frage des Verhältnisses von Judentum und Christentum und zwar zu einem Christentum das zugleich Staatsreligion war und ausgestattet mit dem von Kant begründeten Anspruch auf den Status einer „universalen“ bzw. „Vernunftreligion“. War von jüdischer Seite her Deutschsein verbunden mit der Frage des Christentums, so konnte nur von deutsch-christlicher Seite her das Deutschsein selbst zu einer Quasireligion erklärt werden, wie es im Nationalsozialisten etwa die „Deutschen Christen“ taten. Ebenso konnte sich, wie die Geschichte von Heinrich Heine deutlich zeigt, auch nur ein Christ von seiner Religion emanzipieren, ohne von Staats wegen auf die religiöse Herkunft festgelegt zu werden. Eben diese „Freiheit“ hatte Heinrich Heine nicht. Nichtjüdinnen und Nichtjuden sahen sich in ihrem Bekenntnis zum preußischen Staat nicht zu einem Bekenntnis zum Christentum ge- Umfrage zwungen. Dies war für Jüdinnen und Juden anders. Der Philosoph Hermann Cohen hat dieses Ungleichgewicht im Verhältnis von deutschem Staat, Christentum und Judentum in seinem Aufsatz aus dem Jahr 1916 „Der Jude in der christlichen Kultur“ mit allen Konsequenzen deutlich zum Ausdruck gebracht. Eine dieser Konsequenzen besteht darin, daß „Jüdischsein“ in der christlichen Kultur eine beständiges Bewußthalten der Fragilität der kulturellen Identität und der Notwendigkeit bedeutet, sich die eigene kulturelle Tradition in Erinnerung zu halten. Wenn sich nun heute „wieder“ ein „jüdisches Geistesleben“ etabliert, dann lebt auch dieses von Debatten um jüdische Identität. Ein Beispiel dafür sind die Romane, Gedichte und Essays der Berliner Schriftstellerin Esther Dischereit. Eines ihrer Bücher trägt den bezeichnenden Titel Übungen, jüdisch zu sein. Diese Debatten sind in Deutschland – durch die Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion – um die Frage der kulturellen Differenzen innerhalb der jüdischen Gemeinden noch einmal um einiges komplexer – und reicher – geworden. Ein Beispiel für einen kreativen Umgang mit den vorgefundenen Differenzen ist etwa die Gruppe „Meshulash“ in Berlin. Sie tritt, um schließlich noch die Frage nach „Mitteleuropa“ zu streifen, neben vielen anderen Aktivitäten auch als Herausgeberin eines „Europäisch-jüdischen Magazins“ mit dem Titel „Golem“ hervor. „Golem“ ist zweisprachig, englisch und deutsch und bekennt im Editorial der ersten Nummer programmatisch: „...wir behaupten, daß Juden in Europa nicht nur ihre Vergangenheit haben. Das europäische Judentum lebt – trotz aller gegenteiligen amerikanisch-israelischen Prophezeiungen –, es ist heterogen, und es wird auch in der Zukunft ein fester Bestandteil im Konzert der Völker Europas sein.“ Gibt es Ihrer Meinung nach aktuelle politische Tendenzen, aber auch mentale Einstellungen, die dem im Wege stehen? Politische Tendenzen, die Heterogenität, Vielfalt und Differenziertheit als positive Werte fördern, unterstützen auch Initiativen wie die erwähnten von „Meshulash“. Während politische Tendenzen, die homogene Identität versprechen und die Angst vor der Komplexität unserer Realität auf die Angst vor „Anderen“ projizieren, auch dem im Wege stehen. Die Formulierung „mentale Einstellung“ ergibt mir wieder keinen Sinn. Ich meine, es geht darum, kulturelle Werte und Denktraditionen stark zu machen, die eine Haltung der Neugierde, der Gastfreundschaft und des Inte- Umfrage resses an unbekannten Lebens- und Denkweisen fördern – und damit verbunden die Fähigkeit zu einer kritischen Reflexion auf die eigene Lebensund Denkweise und deren Geschichte. Dies setzt freilich voraus, daß die Berührung mit Unbekanntem nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung erfahren wird. Ad II. Tatsächlich gibt es die Gewohnheit, Philosophen wie Maimonides, Mendelssohn oder Cohen unter der Rubrik „jüdische Philosophie“ zusammenzufassen. Dies ist aus mehreren Gründen eine schlechte Gewohnheit, die man sich deshalb auch schnell abgewöhnen sollte. Einige dieser Gründe dürften sehr schnell deutlich werden, wenn man sich vor Augen hält, daß – außer Buber – keiner der Genannten mit dem Ausdruck „jüdische Philosophie“ etwas hätte anfangen können. Sie haben sich als Philosophen verstanden und als Juden. Freilich haben sie das Verhältnis zwischen Philosophie und Judentum philosophisch, also in ihrer Funktion als Philosophen und in ihren philosophischen Werken mit philosophischen Methoden reflektiert; so wie dies auch Thomas von Aquin in Bezug auf das Verhältnis von Philosophie und Christentum tat. Thomas hat sich dabei übrigens in zentralen Punkten seiner philosophischen Argumentation auf Maimonides gestützt. Auch für Kant war das Verhältnis von Philosophie und Christentum eine philosophische Frage, die er in intensiver Auseinandersetzung mit Mendelssohn reflektierte. Genauso wie für Hegel oder Schelling oder Nietzsche. Sie alle haben ihre philosophischen Konzepte in Abgrenzung, Ergänzung oder sogar unter ausdrücklichem Rekurs auf das Christentum formuliert: Ohne daß sie heute eine Rubrik „christliche Philosophie“ bilden. In einer Rubrizierung „jüdische Philosophie“ sehe ich die Gefahr, daß vergessen, oder verdrängt wird, daß die „eine“ Philosophie seit der Übersetzung der griechischen Klassiker aus dem Arabischen im Spanien des 9. Jahrhunderts nie ein Fakt, sondern immer ein Postulat war, um deren Einlösung man unter unterschiedlichen historischen Bedingungen aus jüdischer, christlicher und islamischer Perspektive gerungen hat. Im günstigsten Fall mit philosophischen Argumenten. Eben weil die Konjunktion von jüdisch und Philosophie an die zentrale philosophische Frage nach dem Verhältnis von Universalem und Partikularem rührt, möchte ich dafür plädieren, an dem Ausdruck „jüdische Philosophie“ festzuhalten, ihn jedoch zugleich als Herausforderung an die sich Umfrage als universal verstehende Philosophie zu betrachten. Diese Herausforderung bedeutet: Die Frage, die sich in der Konjunktion jüdisch – philosophisch als Frage nach dem Verhältnis von Universalem und Partikularem erhebt, auch an den als „eine Philosophie“ fungierenden Kanon zu stellen. Und zwar als Frage nach der untergründigen Bedeutung und Rolle, die dem Christentum in dieser als universal geltenden Philosophie zukommen. Die Frage nach dem Verhältnis von Universalität und Partikularität sollte uns zu den konkreten Partikularen führen. Dies sind im vorliegenden Fall die konkreten religiösen Traditionen des Judentums aber auch des Christentums und, wie immer deutlicher wird, auch die Tradition des Islam. Die Frage nach einer Denktradition, die im „Spannungsfeld zwischen ‚Athen und Jerusalem’“ philosophiert, bezieht sich, wie ich annehme, auf die „deutsche“ Philosophie. Wenn nicht, wäre als aktuelle Diskussion jene zu nennen, die Lévinas initiiert und Derrida fortgesetzt hat. Freilich zeigt sich just in dieser Diskussion, daß sich der Gegensatz, nimmt man den philosophischen Anspruch ernst, in ein sehr komplexes gegenseitiges Bedingungsverhältnis auflöst. Speziell für die „deutsche“ Philosophie möchte ich an das Werk von Hermann Cohen erinnern, der in geradezu paradigmatischer Weise im Spannungsfeld zwischen „Athen und Jerusalem“ philosophiert hat. Das zunehmende Interesse an seinem Werk und die Debatten, die sich an seine neuere Rezeption anschließen, lassen hoffen, daß es zu einer Wiederentdeckung dieser philosophischen Tradition auch im größeren philosophischen Rahmen kommt. Wenn ja, worin sehen Sie das Spezifische, das solches jüdisches Philosophieren ausgezeichnet hat und auszeichnet? Ich möchte, um Essentialisierungen auf der einen und Allgemeinplätze auf der anderen zu vermeiden, ein Beispiel anführen. Es zeigt weniger an, was „jüdisches“ Philosophieren auszeichnet, als was der philosophische Gewinn eines Philosophierens sein könnte, das sich auf die religiöse Tradition bezieht, um die eigenen Grundlagen zu reflektieren und Denkmöglichkeiten zu vergrößern. Das Beispiel stammt aus Hermann Cohens Ethik des reinen Willens und bezieht sich auf die zentrale Frage der modernen Philosophie, wie Universalität zu denken ist, ohne das Partikulare preiszugeben. Unter Bezugnahme auf die christliche bzw. jüdische Tradition unterscheidet Co- Umfrage hen zwei Formen, die Universalität der Menschheit zu denken. Die eine orientiert sich an der christlichen Erlösungslehre. Sie ist im Johannesevangelium in dem Satz (14,6) ausgedrückt „Niemand kommt zum Vater denn durch mich“. Christus, der Gottessohn ist der exemplarische Mensch. Das heißt, wer im emphatischen Sinn Mensch werden, wer Anteil haben will an dem universalen Begriff der Menschheit, kann dies (nur) durch Christus, bzw. durch die Taufe. Er muss seine/ihre Vorgeschichte, seine/ihre alte Religion und, wenn nötig, auch die Familie aufgeben. Von diesem Modell, das im modernen Universalitätskonzept so wirksam und geschichtsmächtig geworden ist, unterscheidet Cohen nun ein Konzept der universalen Menschheit, das statt an Christus am Fremdling orientiert ist. Aus der exemplarischen Bedeutung, die der Fremdling für die Propheten spielt, leitet Cohen einen ethischen Begriff der Humanität ab. Dieser richtet sich an der Position des Fremdlings aus: Ist im christlich orientierten Konzept der Humanität Christus der exemplarische Mensch, so erhebt Cohen an dessen Stelle den Fremdling „zum Vertreter des Menschen unter den Völkern“. Damit löst Cohen im Rekurs auf die jüdische Tradition den Begriff der Menschheit von seiner Fixierung auf einen idealen Begriff des Menschen und misst ihn stattdessen an der Position, die in der postulierten Universalität dem Fremdling zugedacht ist. Er schreibt damit die Erfahrung des Fremdseins in den Begriff der Universalität ein. Die Frage, ob dies noch jüdisch ist, scheint mir weniger zentral, als jene, ob sich dieser Begriff der Universalität weiterdenken, universalisieren – und sowohl politisch wie philosophisch fruchtbar machen ließe. Ad III. Statt auf „Konfliktlinien“ möchte ich auf die befruchtende Verbindung hinweisen, die Talmudstudium und postmodernes Denken eingehen können. Dies zeigt sich etwa in den Arbeiten von Daniel Boyarin. Er ist Taubman Professor of Talmudic Culture an der University of California in Berkeley. In seinem jüngsten Buch Unherioc Conduct. The Rise of Heterosexuality and the Invention of the Jewish Man zeigt er entlang einer talmudgeschulten Deutung von Texten der Tradition und aus der Moderne, dass das Männlichkeitsideal in den rabbinischen Texten keineswegs dem westlichen Ideal des agressiven, starken, dominanten Mannes entspricht. Vor dem Hintergrund seiner Talmudstudien einerseits und dem Denken von TheoretikerInnen wie Homi Bhaba, Jacques Lacan, Gayatri Spivak u.a. andererseits Umfrage macht Boyarin macht deutlich, daß die jüdische Tradition die Konstellation von Natur – Kultur – Geschlecht und Begehren anders gefaßt hat, als sie heute oft allzuschnell als Universale im Rahmen der abendländischen Geschichte propagiert wird. Damit gelingt es auch ihm, neue Denkmöglichkeiten und damit neue Horizonte zu öffnen. Richard Faber Überlegungen zum Jüdischen im Christlichen „Was verdankt man nicht alles den Juden! Dass man ihnen das Christentum selbst verdankt, will ich nicht erwähnen, da noch wenig Gebrauch davon gemacht worden ist.“ Wir Menschen, speziell wir Europäer und Deutsche verdanken den Juden sehr viel – nicht zuletzt das Christentum selbst. Man musste nicht unbedingt der hochdialektische (Anti-)Christ und (Anti-) Jude Heinrich Heine sein, um das schon im frühen 19. Jahrhundert zu erkennen. Doch waren es – vor wie nach Heine – nur wenige, die es tatsächlich taten, und noch weniger, die diese Erkenntnis ähnlich prononciert aussprachen wie er. Manch heutiger Philosemit verdrängt wiederum – geblendet vom nicht hoch genug zu veranschlagenden christlichen Antijudaismus bzw. Antisemitismus – die jüdische Deszendenz bis Essenz des Christentums (und spezifisch christliche Momente Jüdischer Philosophie1). Was die Persistenz des Jüdischen im Christlichen angeht, ist freilich von einem „Mehr oder weniger“ auszugehen. Doch das ist banal, nicht anders als – ähnlich fundamental – Differenzierungen im Begriff Christentum wie Judentum einzufordern. Erfüllt man dieses Postulat, ergibt sich das nur scheinbare Paradox, dass bestimmte Judentümer den ihnen analogen Christentümern näher stehen als anderen Judentümern und vice versa. Jacob Taubes hat z. B. gezeigt, dass Gershom Scholems strikte Entgegensetzung von christlichem und jüdischem Messianismus nicht ‚hinhaut‘, ganz abgesehen von der zum Messianismus insgesamt quer stehenden Gnosis, die auch 11 Vgl. R. Faber, Walter Benjamin und das „Vater unser“ – mehr als eine historisch-philologische Glosse, in: Zschr. f. Religions- und Geistesgeschichte 51 (1999), S. 70-74. Umfrage ein jüdisches Phänomen war – von der Kabbala an bis zu Benjamin und Taubes.2 Letztere waren sogar „moderne Marcioniten“, also – wie profan–philosophisch auch immer – Schüler des häretischen Paulus-Jüngers, ja „Erzketzers“ Marcion, dem der selbst moderne Marcionit Ernst Bloch einen „metaphysischen Antisemitismus“ bescheinigt hat. Doch vorerst genug der – mehr oder weniger paradoxen – Subtilitäten. Heines Aphorismus allein schon läßt die Frage nach Existenz, Legitimität und Notwendigkeit jüdischer Philosophie prinzipiell positiv beantworten, wobei ich selbstverständlich von hermeneutischer Philosophie spreche, einer Philosophie also, die gar nicht anders kann, als mit und gegen die Tradition zu denken: Aug‘ in Aug‘ mit ihr. (So wie noch der auch rabbinisch beeinflußte Jacques Derrida.) Besser wäre – nicht weniger evident –, von einem keineswegs einheitlichen Traditionsbündel zu sprechen, zu dem natürlich auch die gleichfalls in sich differenten griechischen und römischen Traditionsstränge gehören – gerade als ihrerseits religiöse. Nicht nur jüdische und christliche, sondern schon vor- und außerjüdische bzw. vor- und außerchristliche Philosophie war wesentlich Religionsphilosophie, wenn Religionskritik auch eher ein- als ausschließend. Authentische (Religions-)Philosophie ist keineswegs religiös – im kultischen Sinn –, weder irrational noch autoritär oder auch nur affirmativ. Sie ist wesensmäßig kritisch, wie prinzipiell schon die jüdische Prophetie3, der noch der Prophet aus Nazareth zuzurechnen ist. Die „Achsenzeit“, die griechische Philosophie und jüdische Prophetie, als erste Aufklärungen, miteinander verbindet4, ist mehr als eine ‚geschichtsphilosophische Kon2 J. Taubes, Walter Benjamin – ein moderner Marcionit? In: N. W. Bolz/R. F. (Hg.), Antike und Moderne. Zu Walter Benjamins „Passagen“, Würzburg 1986, S. 31 ff.; vgl. ders., Vom Kult zur Kultur. Bausteine zu einer Kritik der historischen Vernunft. Gesammelte Aufsätze zur Religions- und Geistesgeschichte, München 1996; ders. (Hg.), Gnosis und Politik, München u.a. 1984 sowie die einschlägigen Beiträge des Sammelbandes „Abendländische Eschatologie. Ad Jacob Taubes“, Würzburg 2001. 3 Vgl. u.a. P. Zenger, Prophetie und Prophezeiung, in: H. Schmidinger (Hg.), Zeichen der Zeit. Vorträge der Salzburger Hochschulwochen 1998, Innsbruck/Wien 1998, S. 68109. 4 Vgl. K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München 1963, S. 19-42, aber auch J. Ebach, Genie und Wahnsinn der Propheten? Suchbewegungen am Beispiel Ezechiels, in: B. Effe/R. F. Glei (Hg.), Genie und Wahnsinn. Konzepte psychischer ‚Normalität‘ und ‚Abnormität‘ im Altertum, Trier 2000, S. 25-44. – Ebach zeigt, ausgehend von analogen Ausführungen Platons, dass prophetischer Wahnsinn nicht zu leug- Umfrage struktion‘. Umgekehrt war und ist solche Aufklärung auf Mythologie (die selbstverständlich auch die Bibel kennt) verwiesen, arbeitet sich an ihr ab5 oder arbeitet sie – im günstigen Fall – durch6. Erst dann kann Philosophie die berühmt-berüchtigte „Dialektik der Aufklärung“ vermeiden, wie nicht nur Klaus Heinrich überzeugt ist, der immer wieder die philosophische Dignität der Freudschen Metapsychologie herausgestellt hat und – gleichzeitig – auf dem Unabgegoltenen griechischer, vor allem aber römischer Mythologie insistiert hat: für eine realitätstüchtige Zivilisationstheorie. Der überhaupt nicht „lügende“ Dichter Ovid ist Heinrichs Kronzeuge in diesem Prozess gegen Idealismus jeglicher Art7, aber auch die jüdische Prophetie gilt Heinrich ihres Protest- wie Bündnispotentials wegen als conditio sine qua non kompetenter Philosophie.8 Und auf eine solche – schon bei Heine und Benjamin – vorfindliche Vielstimmigkeit kommt es mir prinzipiell an: eine komplexe Traditionspflege – den Ausdruck „Pflege“ doppeltironisch verwendet.9 nen ist, jedoch in Relation zu gesellschaftlichem und rationalistischem gesehen werden muss, ja – auf provokative Weise – metaaufklärerisch fungiert. 5 Ich beziehe mich selbstverständlich auf Hans Blumenbergs berühmte „Arbeit am Mythos“ (Frankfurt/M. 1979), aber auch auf sein – so viel weniger beachtetes, in vielfacher Hinsicht jedoch komplementäres – Buch „Matthäuspassion“ (Frankfurt/Main 1988). – Zur politologischen Kritik an Blumenberg verweise ich auf: R. F., Der PrometheusKomplex. Zur Kritik der Politotheologie Eric Voegelins und Hans Blumenbergs, Würzburg 1984, Teil B. 6 Überragendes Beispiel für ein solches „Durcharbeiten“ ist Thomas Manns literarischphilosophischer bzw. philosophisch-literarischer „Josephs“-Roman. (Zu seiner Formbestimmung als literarisch-philosophisch bzw. philosophisch-literarisch vgl. R. F./B. Naumann (Hg.), Literarische Philosophie – Philosophische Literatur, Würzburg 1999; auf die speziell jüdische Literarizität der Tetralogie hat hingewiesen: E. Drave, Strukturen jüdischer Bibelauslegung in Thomas Manns Roman „Joseph und seine Brüder“. Das Beispiel Abraham, in: J. Ebach/R. F. (Hg.), Bibel und Literatur, München 1995, S. 195213.) 7 Vgl. die ersten vier Bände der „Dahlemer Vorlesungen“ Klaus Heinrichs und speziell ihren 7. Band: „psychoanalyse“ (Basel/Frankfurt 1981-2001). Zusätzlich verweise ich auf die leider nur hektographierte Vorlesungsmitschrift: Klaus Heinrich, Zivilisation und Mythologie III – Ovid Metamorphosen. Vorlesungen über Orpheus, Berlin 1983. 8 Vgl. die beiden frühen Bücher „Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen“ und „Parmenides und Jona“ (Frankfurt/M. 1964 bzw. 1966). Wichtige Ansätze Heinrichs werden weitergeführt von J. Ebach, Kassandra und Jona. Gegen die Macht des Schicksals, Frankfurt/M. 1987. 9 Vgl. R. F., Kritik der Romantik. Zur Differenzierung eines Begriffs, in: U. Helduser/J. Weiß (Hg.), Die Modernität der Romantik. Zur Wiederkehr des Ungleichen, Kassel Umfrage Athen, Jerusalem und Rom sind nicht einfach zu ‚synthetisieren‘, doch unter Aushaltung teilweise zerreißender Spannung gleich unaufgebbare Bezugspunkte unserer kulturellen, nicht zuletzt philosophischen Überlieferung, wobei vor allem Jerusalem nach wie vor um seinen gleichberechtigte Rang zu kämpfen hat. Bis heute wird die mit seinem Namen verbundene Tradition zu einseitigen Gunsten der griechisch-römischen oder eines um sein Judentum weitgehend gebrachten Christentums allzu sehr vernachlässigt, wenn nicht mißachtet. – Selbst wenn die jüdische Kultur (inzwischen) hochgeachtet wird, bleibt nicht ausgeschlossen, dass sie als bloße (durchaus attraktive) Fremdkultur (exotistisch miß-)verstanden und ihr konstitutiver Beitrag zur eigenen: der christlich-europäischen Kultur beachtlich unterschätzt wird. Das „Abendland“ ist aber wesentlich auch jüdisch – ob das Nietzsche und den Seinen paßt oder nicht. Immerhin sind die Nietzscheaner konsequent, indem sie das Christentum, als „Judentum in zweiter Potenz“, in ihre entschiedene Feindschaft mit einbeziehen – im Unterschied zu Goethe etwa, der das Christentum „mit dem Judentum in einem weit stärkeren Gegensatz“ stehen sah als „mit dem Heidentum“. Schon diese Unterstellung war nicht ungefährlich, obwohl durch ein stark hellenisiertes bzw. romanisiertes, tatsächlich „um sein Judentum gebrachtes“ Christentum in gewisserweise legitimiert. – Nietzsche ist in jeder Hinsicht radikaler gewesen, hat das bleibend Jüdische eines authentischen Christentums erkannt, deswegen aber zugleich ein extremes Antichristen- und Antijudentum bekannt. Der fatale Neopaganismus des späten 19.- und frühen 20. Jahrhunderts – vor allem in Deutschland, jedoch auch Frankreich und Italien – ist ohne ihn undenkbar: jener Antihumanismus, der nur noch eine archaische und heroische, elitäre und immoralistische Antike kennen will, diese eben ‚dehumanisiert’.10 1999, S. 19-47 sowie ders., Von erotischer Mystik zu mystischer Erotik. Friedrich von Spee und Friedrich von Hardenberg im Vergleich, in: R. F./V. Krech (Hg.), Kunst und Religion. Studien zur Kultursoziologie und Kulturgeschichte, Würzburg 1999, S. 195213. 10 Ich teile die Interpretation von H. Cancik und H. Cancik-Lindemaier, in: Philolog und Kultfigur. Friedrich Nietzsche und seine Antike in Deutschland, Stuttgart/Weimar 1999, Kap. II; vgl. auch dies., Philhellénisme et antisémitisme en Allemagne: le cas Nietzsche, in: D. Bourel/J. Le Rider (Hg.), De Sils-Maria à Jérusalem. Nietzsche et le judaisme. Les intellectuels juifs et Nietzsche, Paris 1991, S. 21-46 sowie H. Cancik, Nietzsches Antike, Stuttgart/Weimar 1995 und R. F. (Hg.), Streit um den Humanismus, Würzburg 2002. Umfrage Ich zitiere pars pro toto folgende Passage aus Nietzsches „Genealogie der Moral“. „... ‚Rom gegen Judäa, Judäa gegen Rom‘: – es gab bisher kein größeres Ereignis als diesen Kampf, diese Fragestellung, diesen todfeindlichen Widerspruch. Rom empfand im Juden Etwas wie die Widernatur selbst, gleichsam sein antipodisches Monstrum; in Rom galt der Jude ‚des Hasses gegen das ganze Menschengeschlecht überführt‘: mit Recht, sofern man ein Recht hat, das Heil und die Zukunft des Menschengeschlechts an die unbedingte Herrschaft der aristokratischen Werthe, der römischen Werthe anzuknüpfen.“ Nietzsche blieb, nicht der einzige, der davon überzeugt war, ein Recht, ja die Pflicht zu haben, „das Heil und die Zukunft des Menschengeschlechts an die unbedingte Herrschaft ... der römischen Werthe anzuknüpfen“. Er und seine konservativ-revolutionären Rezipienten waren antijüdisch, weil prorömisch oder: prorömisch, weil antijüdisch. Sie unterlagen dem dualistischen Schema „Rom gegen Judäa“ und projektiv, wie sie generell waren, indem sie „Judäa“ bzw. „Juda“ zuerst „diesen todfeindlichen Widerspruch“ unterstellten: „Der Haß des Juden gegen den Römer ist der angeborene Haß des Parasiten gegen die staatliche Ordnungsmacht, der Haß einer asozialen Rasse gegen die mächtige Ordnung, die der römische Staat verkörpert, erwachsen aus dem sicheren Gefühl, dass der Jude nur da, wo der Staat schwach ist, sein Leben voll entfalten kann.“ Ich habe einen Satz Hans Oppermanns aus dem Jahre 1943 zitiert. Der damalige Straßburger Latinist behauptet – in der „Schriftenreihe zur weltanschaulichen Schulungsarbeit der NSDAP“: „Die Verjudung der alten Welt ging über alles hinaus, was wir uns aus eigener Erfahrung vorstellen können.“ – Oppermann, indem er psychologisch projiziert, reprojiziert ‚historisch‘. Und der antijüdische Kampf der (Prä-)Faschisten ist weithin ein Krieg auf (längst) vergangenem Boden, was ihm aber nichts an Gewicht nimmt. Als „Genealogen“, für die „Jud(ä)a“ der Keim aller (modernen) Übel ist, können sie gar nicht anders als sehr weitgehend einen ‚historischen Diskurs‘ zu führen, ihre aktuelle Ideologie historisch zu kostümieren. Ich bleibe historisch-kritisch und konstatiere insofern: Die spätjüdische Apokalyptik protestierte aktiv gegen den römischen Imperialismus – alles andere denn unehrenhaft, der Erzrabbiner Ben Sakkai zog sich jedoch prototypisch in eine staatsloyale Synagogalreligion zurück, und sein Zeitgenosse Flavius Josephus wurde sogar zu einem Propagandisten römischen Kaisertums Umfrage – obgleich in des jüdischen Gottes Namen. Dabei war ihm der erste jüdische Philosoph im engeren Sinn, der durchaus apologetische Alexandriner Philon, vorausgegangen. Zugespitzt kann man formulieren, dass Philon Platon ‚mosaisierte‘, indem er Moses ‚imperialisierte‘: Augustus zu dessen universalem Erben proklamierte – nicht anders als dann der christliche Theologe Eusebius Konstantin zum idealen Nachfolger Christi und Augusti zugleich. Sehr einflußreiche, obgleich unauthentische Religionsphilosophie, gar Theologie ist wesentlich apologetisch, ja ideologisch. Doch gibt es eine mehr oder weniger ausgeprägte – wenn meist auch ungewollte – Dialektik des Apologetischen. Hat zum Beispiel – um das Maimonides- und Spinoza-Problem auf sich beruhen zu lassen – Moses Mendelssohn die Aufklärung eher judaisiert oder das halachische Judentum eher rationalisiert? War (der späte) Hermann Cohen mehr ein kantianischer Jude oder ein jüdischer Kantianer? Man kann diese Fragen in einer wesentlichen Hinsicht auf sich beruhen lassen und – fruchtbarer wie entscheidender – auf das jeweilige emanzipatorische bis revolutionäre Potential der Synkrasien bzw. Symphilosophien abheben. Dann stellen sich – überrepräsentativ beim heterodoxen Marxisten Bloch – beachtliche jüdische Anteile heraus und unbeschadet dessen, dass sein religionsphilosophisches Hauptwerk mit „Atheismus im Christentum“ überschrieben ist. Pointe dieses 1968 erschienenen Buches ist, dass seine Religionsgeschichtsphilosophie – trotz „Atheismus“ und „Christentum“ – tief jüdisch ist, aber nicht, weil Bloch ein (so unzionistischer wie ungläubiger) Jude war, sondern ein hochreflektierter Biblizist – nicht zuletzt im Blick aufs Alte Testament, die Jüdische bzw. Hebräische Bibel. Vor’m Reden von Jüdischer Philosophie nur aufgrund der jüdischen Herkunft des jeweiligen Philosophen – in noch so gut gemeinter Anwendung der „Nürnberger Gesetze“ – ist nachdrücklich zu warnen. Ich will gar nicht von der zum Katholizismus konvertierten und als „christliche Märtyrerin“ verehrten Edith Stein sprechen (oder den sich allzu sehr mit der „Konservativen Revolution“ einlassenden Weltanschauungsproduzenten Karl Wolfskehl und Hans-Joachim Schoeps). Auch in den Fällen Cassirer, Kelsen, Wittgenstein und der meist jüdischen Mitglieder des „Wiener Kreises“ mag es gute kultur- und sozialpsychologische Gründe geben, von einer jüdisch mitbedingten Genese ihrer Theorie zu sprechen, ob sie aber substantiell jüdisch ist, scheint mir weitestgehend zu verneinen zu sein. Die (zeitweilige) Vertreibung dieser und anderer jüdischer Intellektueller, die Er- Umfrage mordung (nicht weniger) war Verbrechen und Verlust zugleich. Doch jüdische Philosophie (und Literatur allgemein) ohne jeden biblischen – nicht einmal vermittelt biblischen – Bezug scheint mir inhaltlich unmöglich Jüdisch sein zu können. Das im weitesten Sinne biblische Kriterium – Apokalyptik, Midrasch, Talmud, Kabbala usw. einbeschließend – erscheint mir so zentral, dass ich umgekehrt ‚Jüdischen Geist‘ dort am Werk sehe, wo bei Nichtjuden (auch) ein vor- und außerchristlicher Biblizismus konstitutiv ist – selbstverständlich auf die reflektierteste Weise, jede Substituierung vermeidend und die existentiell jüdische Differenz voll respektierend. ‚Nach Auschwitz‘ hat sich diese Differenz – selbst in den Augen eines so agnostischen Juden wie Jean Améry – nur vertieft: Sartres Dictum, dass der Antisemitismus den Juden zum Juden mache, hat dem Existenzial assimilierter Juden nach Auschwitz bloß zum Ausdruck verholfen. – Auschwitz stellt insgesamt eine fundamentale Zäsur dar. Denken (und Dichten) wird in jede nur vorstellbarer Zukunft hinein von ihm (und Hiroshima) außerordentlich herausgefordert sein. Dass der gleich Améry weitestgehend assimilierte und agnostisch gebliebene Günther Anders dies, wie kein anderer, auf den Begriff gebracht hat, hängt – kultur- und sozialpsychologisch – mit seinem unbeschadet dessen nie geleugneten Judentum zusammen, doch auch – und kaum weniger – mit seiner bibelexegetischen Kompetenz, die es Anders erlaubte, in Form „Profaner Theologie“ geistesgegenwärtige Zeitdiagnose zu betreiben. Dies ist mein aktuelles, wenn man will, analytisches Argument für auch Biblische und insofern Jüdische Philosophie, von mir „Profane“ bzw. „Negative Theologie“ geheißen. Ich verweise auf meinen Aufsatz „Profane Theologie hellenischer, jüdischer und christlicher Provenienz. Über Walter Benjamins Kafka-Studien“ im (zusammen mit Jürgen Ebach herausgegebenen) Sammelband „Bibel und Literatur“. – Was das Negative solcher Theologie oder besser Philosophie angeht, füge ich hinzu, dass Jüdisches – groß geschrieben, also inhaltlich verstanden -, der Gottesfrage nicht ausweichen, auf keinen Fall umstandslos atheistisch oder gar antitheistisch sein kann. Sinn für und Begehren nach Transzendenz – noch so anthropologisch bzw. soziologisch verstanden – sind Jüdischem unaufgebbar, wenigstens die Artikulation ihres Entzugs: die Klage über den Transzendenzverlust. Wieder ist mit Vorrang Franz Kafka zu nennen, der – nur konsequent – auch am Messianischen negativ festgehalten hat. Noch Agnes Heller ist ihm Umfrage verpflichtet, wenn sie politologisch (freilich mehr im Sinne Derridas als Benjamins) formuliert: „Der leere Stuhl wartet auf den Messias ... Die Politik kann diesen unbesetzten Stuhl nicht gebrauchen; aber solange man den Stuhl beläßt, wo er ist, genau dort ..., wo er in seiner warnenden, vielleicht sogar pathetischen Leere fixiert bleibt, müssen die politischen Handlungsträger sein Dasein immer noch in Rechnung stellen. Zumindest steht es ihnen frei, sein Dasein in Rechnung zu stellen. Alles übrige ist Pragmatismus.“ Ich selbst erinnere abschließend daran, dass der (Prä-)Faschist Charles Maurras nicht zuletzt deshalb Antijudaist war, weil er im jüdischen Gewissensgott die Referenz jeglichen Antiautoritarismus – unter Einschluß des Liberalismus – sah. Nicht nur er war tremendiert vom michaelischen – jegliches Seiende in die Schranken weisenden – Ruf: „Wer ist wie Gott?“ und von der aus dieser rhetorischen Frage folgenden Aufforderung, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen (und ihren Institutionen). Auch der „Vulgärmaurrasist“ Adolf Hitler (Carl Amery) war überzeugt, dass das Gewissen „eine jüdische Erfindung“ sei. – Ich möchte – wie Heinrich Heine – nicht erwähnen, dass man den Juden das Gewissen selbst verdankt, da leider noch wenig Gebrauch davon gemacht worden ist. (Auch von den Juden nicht, wie kaum betont werden muss.) Morton D. Kogut Answers I'd respond to the questions in the order that they appear on the question page: I. l. Yes, l do, but not one that is intellectually grounded upon Jewish doctrines of revelation. 2. Traditional anti-Semitic attitudes are, of course, a negative factor, but far from fatal. Unless victimized by acts of physical violence, Jewish intellectuals should continue to function without whimpering or complaining. Only this approach will command respect for valid ideas and the persons presenting them. Neither attitudes nor respect can be leg- Umfrage isolated. 3. In my view, too many Jaws are disturbed by the fact that most nonJews disUke them. This often produces ideadonal inhibirion and general inumidation, perhaps nurtured by an unconscious urge to ingratiate. II. l. Philosophy can incorporate tradioonal religious ideas, including judgements about the existence or role of God, äs long äs it relies exclusively on the evidence of feason and experience. Howeyer, whenever articies of faith or divine revelation enter the fray as pnmises, we've moved from philosophy into sacred theology. This implies that (with a few exceprions) the main philosophical stream has been secular. 2. My answer to this question depends upon one's definition of "Jewish Philosophy." Does it mean: a) Philosophers who are ethnic Jews, but whose writings either scorn or ignore the claims of Jewish sacred truth — e.g., Spinoza, Marx, Bergson — or b) Philosophers who attempt to use reason and evidence about Torah-related themes? In this category l would place Philo, Maimonides, Saadya Goan, Halevi, Buber, and quite a few others in the Kabbalistic stream. III. l. l think that the very presentation of this question suggests a false view of the historical relationship of past and present. Tradirional philosophy is much more than the thoughts of our dead processors. It has established not only our issues of concern, but methodologies and ruies of evidence. For this reason, it must be reformed dialectically, and not by deconstrucrionist assault. The latter leads to a quasi-comical anarchy of ideas. 2. As l have already implied, l have little regard for rabbinical contributions to pure philosophy. Since rabbis regard the absolute truth of the Torah as unchallengeable, any attempt at inquiry leads to question begging treadmill. As for Kabbalistic writings, they are fascinating as literature, not rational thoughts. Umfrage Daniel Krochmalnik Jüdische Philosophie – Gestern und Morgen Für die ungeheuren Leistungen von Juden auf allen Gebieten der deutschsprachigen Kultur und Wissenschaft, insbesondere auf dem der Philosophie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts gab es eine Reihe von unwiederbringlichen Rahmenbedingungen, von denen ich nur zwei in Erinnerung rufen will: Trotz der fortschreitenden Nationalisierung der deutschen Judenheit seit dem Ende des 18. Jahrhunderts blieb die mittelalterliche Einheit des aschkenasischen Judentums (was ja eigentlich „deutsches Judentum“ heißt) in Mittel- und Osteuropa in manchen Hinsichten in den folgenden beiden Jahrhunderten noch erhalten – zum Beispiel in sprachlicher Hinsicht. Jiddisch war im Westen des Zarenreichs und im Osten des Kaiserreichs und der Donaumonarchie die Sprache der Judengasse, wie der Talmudakademie. „Vertaitschen“, „verdeutschen“ bedeutet auf jiddisch so viel wie „erklären“ – man machte sich die Sachen auf Deutsch deutlich. Zudem schritt zu Beginn des 19. Jahrhunderts getragen von deutschen Normal-Schulen die Germanisierung auch im jüdischen Schtetl Mittelosteuropas voran. – Die moderne Wissenschaft des Judentums ist entgegen gängiger Vorstellung und nach dem Eingeständnis ihres Gründervaters Leopold Zunz nicht in Berlin, sondern im Gefolge der deutschsprachigen Aufklärung in Ostgalizien entstanden. Zunehmend wanderten im Laufe des 19. Jahrhunderts, in den Idealen der Schriftgelehrsamkeit erzogene, bildungshungrige junge Juden aus den unterentwickelten und zunehmend judenfeindlichen jüdischen Siedlungsgebieten im Osten und den östlichen Grenzgebieten in die deutschsprachigen Universitätsstädte. Wir wollen nur einige Beispiele aus der modernen jüdischen Philosophie für diese Ost-West-Wanderung der jüdischen Intelligentia nennen. Als erstes prominentes Beispiel könnten wir Salomon Maimon anführen, der seinen Weg in seiner Lebensgeschichte sehr anschaulich beschrieben hat und als letztes Beispiel, Emmanuel Lévinas. Aber auch in den Lebensgeschichten von Umfrage Edmund Husserl, Edith Stein und Hannah Arendt u. a. findet diese zentripetale Bewegung von der Peripherie in die Zentren statt. Das Ostjudentum stellte für das mitteleuropäische Judentum vor dem 2. Weltkrieg ein weites Hinterland und ein scheinbar unerschöpfliches Reservoir von Talenten aller Art dar, die von den deutschen Bildungsstätten mit Weltruf wie durch Magnete angezogen wurden. In der Regel ging die Ost-West-Migration mit Traditionsverlust und Assimilation einher: Husserl wurde Protestant, seine Schülerin Stein Katholikin und Arendt promovierte bei dem protestantischen Theologen Bultmann über den Kirchenvater Augustinus. Dieser Weg von Ost nach West war aber keine Einbahnstraße: Junge assimilierte Juden lernen in Osteuropa, etwa in der Etappe der Ostfront im 1. Weltkrieg ein sozial kompaktes und religiös intaktes Judentum kennen und werden durch ihr Ostjudentum-Erlebnis zur religiösen Dissimilation angeregt. In diesem Zusammenhang wären etwa die bekannten Namen Martin Buber und Franz Rosenzweig zu nennen. Aber auch solche allgemein weniger bekannten modernen jüdischen Denker osteuropäischen Ursprungs, wie Abraham Jehoschua Heschel, Josef Dow Soloweitschik, Jeschajahu Leibowitz (hier wäre auch wieder Lévinas anzuführen), die nach dem zweiten Weltkrieg in ihren Zufluchtsländern die wichtigsten jüdischen Denker waren und in ihrem Philosophiestudium in Deutschland an Philosophen jüdischen Ursprungs, wie Max Scheler, Hermann Cohen und Edmund Husserl angeknüpft hatten, ließen ihr jüdisches Erbe nicht einfach hinter sich, sondern betrachten es als einen würdigen Gegenstand philosophischer Reflexion. Der deutsche Antisemitismus, der sich zunächst gegen die Ostjuden richtete, hat schließlich das Ostjudentum fast vollständig ausgemerzt. Eine so glücklichunglückliche Konstellation wie zwischen Ost- und Westjudentum am Ende des vorletzten und am Anfang des letzten Jahrhunderts wird es in den deutschsprachigen Ländern nie mehr geben. In diesem Zusammenhang muß auch eine zweite, eher negative Rahmenbedingung für die besondere Art der geistigen Kreativität des deutschsprachigen Judentums in diesem Zeitraum erwähnt werden. Anders als im russischen Reich, wo vor dem 1. Weltkrieg die Masse der Juden wohnte, wurden die Juden in Mitteleuropa nicht durch einen numerus clausus von den höheren Bildungseinrichtungen ferngehalten, sie wurden aber auch nicht wie in Westeuropa ohne weiteres zur höheren akademischen Laufbahnen zugelassen. Trotz formeller Gleichstellung blieb die jüdische Zugehörigkeit bis Umfrage in die Weimarer Republik ein unsichtbares Karrierehindernis. Das zeigte sich schon bei dem ersten modernen deutschjüdischen Philosophen Moses Mendelssohn. Ihm verweigerte Friedrich II. 1771 die Bestätigung als ordentliches Mitglied in der Klasse für spekulative Philosophie in der preußischen Akademie der Wissenschaften. Trotz der Emanzipation der Juden in Preußen (1812) war die Taufe im Zeitalter der Restauration das unumgängliche „Eintrittsbillett“ zur Universität. So mußte der Hegelschüler und Rechtsphilosoph Eduard Gans, wie Heinrich Heine es ausdrückte, „zu Kreuz kriechen“, ehe er 1826 zum außerordentlichen Professor der juristischen Fakultät in Berlin ernannt wurde. Das gleiche war selbstverständlich auch in Österreich, wo Joseph II. bereits 1781 ein Toleranzedikt erlassen hatte, ungeschriebenes Gesetz. Edmund Husserl mußte für seine akademische Karriere 1886 sein Gewissensopfer bringen und wurde im katholischen Land – immerhin Protestant. Hermann Cohen war (seit 1876) der einzige jüdische Lehrstuhlinhaber für Philosophie im Kaiserreich bis 1919. Bei vielen konnte aber nicht einmal das Taufwasser den „gelben Fleck“ abwaschen (H. Cohen an P. Natorp, 29.11.1916). So etwa in dem tragischen Fall von Georg Simmel. Sein von M. Weber, Windelband, Rickert und Jellinek befürworteter Ruf nach Heidelberg wurde 1908 durch ein rassistisches Gutachten von D. Schäfer zu Fall gebracht: „Ob Prof. Simmel getauft ist oder nicht,“ schreibt er, „weiß ich nicht, habe es auch nicht erfragen wollen. Er ist aber Israelit durch und durch, in seiner äußeren Erscheinung, in seinem Auftreten, in seiner Geistesart“. Auch die weltberühmten Vertreter der deutschen Wissenschaft des Judentums waren nie an deutschen Universitäten, sondern in Rabbinerseminaren in Berlin und Breslau angesiedelt. Die breite Masse der jüdischen Intelligenzija gehörte der Klasse der „sozial freischwebenden Intellektuellen“ (Karl Mannheim) an. Wie Michael Löwy (Erlösung und Utopie. Jüdischer Messianismus und libertäres Denken. Eine Wahlverwandschaft, 1997) und jüngst wieder Enzo Traverso (Auschwitz denken. Die Intellektuellen und die Shoah, 2000) gezeigt haben, kompensierten sie ihre soziale Dystopie entweder durch eine übertriebene patriotische Eutopie wie Cohen und Simmel oder durch revolutionäre Utopie, wie der Cohen-Schüler Kurt Eisner, Gustav Landauer und Ernst Bloch u.a. Sie waren in der Weimarer Republik an allen philosophischen, wissenschaftlichen, literarischen, künstlerischen und politischen Avantgarden an vorderster Front beteiligt. Ihre exzentrische Positi- Umfrage onalität sicherte ihnen einen privilegierten Beobachtungsstand, von dem aus sie als „Fremde“ (G. Simmel) die Entfremdungserscheinungen der Gegenwart besser durchschauen und als „Feuermelder“ (W. Benjamin) die politischen Katastrophen mit prophetischer Hellsicht voraussehen konnten. Auch diese unglücklich-glückliche Konstellation ist unwiederbringlich verloren und man kann sich, wie Gershom Scholem in einem Brief an Walter Benjamin von Februar 1940 fragen: „wie würde ein Europa nach der Ausscheidung der Juden aussehen?“. Jedenfalls wird das deutsche, das europäische und das universale Denken noch auf lange hinaus von der Erbschaft dieser jüdischen Nonkonformisten zehren. Im grundlegenden jüdischen Gesetzeskodex, der Mischna heißt es: „Mit dem Tode (MiSchäMät) des R. Akiwa schwand die Herrlichkeit der Tora ... Mit dem Tode des Rabban Jochanan Ben Sakkais, schwand der Glanz der Weisheit etc.“ (Sota IX, 14). Dieser Satz stammt aus dem 2. Jahrhundert nach den vernichtenden Niederlagen der Juden gegen die Weltmacht Rom. Seither hat man das Studium der Tora und die jüdische Weisheit schon oft tot gesagt; doch nach jeder Katastrophe sind sie an anderen Orten wieder auferstanden. Ein quantitatives Argument dagegen ist nicht stichhaltig, denn die heutigen jüdischen Gemeinden in Deutschland, etwa in Mainz, Augsburg und Regensburg sind nicht kleiner als ihre mittelalterlichen Vorläufer, die das aschkenasische Judentum, ja das Judentum insgesamt doch unauslöschlich geprägt haben. Wenn wir zudem den Renouveau juif in Deutschland und Frankreich in diesem Jahrhundert studieren, dann sehen wir, daß es immer einzelne charismatische Persönlichkeiten waren, die eine Ausstrahlung auf Generationen von Schülern hatten. So übte etwa der Frankfurter Rabbiner Nechemia Nobel aus Frankfurt, der über Schopenhauer promoviert hatte, einen starken Einfluß auf wichtige Vertreter der Frankfurter Schule, wie Leo Löwenthal, Siegfried Kracauer und Erich Fromm aus. Plötzlich werden in ihrem Denken religiöse Begriffe wie Messias und Bilderverbot wieder aktuell, die ihnen aus ihrer areligiösen oder manchmal ausgesprochen antireligiösen Erziehung kaum vertraut gewesen sein dürften. Ähnlich intensiv war die Ausstrahlung Jakob Gordins, der aus Rußland stammte und in Berlin über Hermann Cohen promoviert hatte, auf junge jüdische Widerstandskämpfer während der deutschen Besatzung in Frankreich. Er hat die geistige Atmosphäre vorbereitet, in der Emmanuel Lévinas nach der Befreiung wirkte und jüdische Linksintellektuelle aus dem Umfrage Umkreis von Jean Paul Sartre, wie Arlette Elkaim Sartre, Benny Lévy, Bernard-Hery Lévy und Alain Finkielkraut Anfang der 80er Jahre im Anschluß an Lévinas die jüdischen Quellen wieder entdeckten. Trotz dieses Gesetzes von den kleinen Ursachen und großen Wirkungen, wonach im Reich des Geistes ein großes Licht tausend kleinere anzünden kann, müssen zumindest Kerzen vorrätig sein. Auch nach dem Krieg gab es jüdische Denker im deutschsprachigen Raum; doch konnten sie unter Juden kaum Schule machen. Die jüdischen Zentren in Mittel- und Osteuropa sind in Bezug auf die jüdische Gelehrsamkeit heute und auf lange Zeit Randbezirke geworden. Nach dem historischen Gesetz vom wandernden Gravitationszentrum des Judentums hat sich der geistige Schwerpunkt der jüdischen Diaspora nach Israel und Amerika verlagert. Wenn wir die langfristige Bewegung dieses Zentrums beobachten, dann zeigt sich, daß es sich in der islamischen Welt vom Osten nach Westen, von Babylon und Palästina nach Spanien und in der christlichen Welt von Westen nach Osten, von Frankreich nach Polen verschiebt. Mit der Rückkehr des Judentums nach Palästina in diesem Jahrhundert bekommt das jüdische Denken eine völlig neue Ausgangsbasis. Zum ersten Mal seit zweitausend Jahren unterliegt es nicht mehr den Bedingungen des Exils, mit seinen fremdbestimmten Lebensverhältnissen und mit seiner verzerrenden Fremdund Selbstwahrnehmung. Die geistigen Kräfte der Juden zerstreuen sich nicht in allen Richtungen des nichtjüdischen Lebens, sondern entspringen einem freien jüdischen Leben und beziehen sich darauf zurück. Auch das untergegangene Ostjudentum ist in Israel und Amerika gleichsam wieder auferstanden. In Israel gibt es zahlreiche Talmudakademien und chassidische Höfe, die die osteuropäischen Namen ihrer Herkunftsorte tragen (Brisk, Mir, Slabodka, Belz usw.) und noch niemals waren sie so stark frequentiert wie heute. Ja sogar die osteuropäische Kleidermode und die jiddische Sprache ist in diesen Einrichtungen üblich. Die jüdische Tradition überbrückt damit den tiefen Bruch der Katastrophe und stellt der Welt ungeniert ihre geistigen Schätze vor. Nicht weniger als drei große englischsprachige Talmudausgaben, z. T. mit erschöpfenden Kommentaren, werden derzeit ediert. Welche Zukunft freilich die jüdische Religionsphilosophie in Israel, die in der Vergangenheit oft einen apologetischen Zweck erfüllte, haben wird, muß hier dahingestellt bleiben. Philosophische Reflexionen auf der Höhe des Quellenstudiums finden sich bezeichnenderweise eher in der Umfrage Diaspora als in Israel. Die wenigen namhaften israelischen Philosophen verarbeiten meistens nur das europäische Erbe, sind eher Philosophiehistoriker als orginelle jüdische Philosophen. Im 5. Buch Mose sagt der Prophet Mose: „Seht, ich habe euch Gesetze und Rechtsvorschriften gelehrt (...). Beobachtet sie und übt sie aus, denn das ist eure Weisheit und Klugheit auch in den Augen der Völker; wenn sie alle diese Gesetze hören, dann werden sie sagen: fürwahr ein weises und kluges Volk ist diese große Nation“ (4,5-7). Daraus schließt Moses Maimonides in seinem Führer der Verirrten, daß das jüdische Gesetz keine arbiträre Ordnung ist (III, 31), sondern, recht verstanden, mit der Philosophie identisch sein muß (II,11). Für ihn handelte es sich dabei nicht um eine besondere „jüdische“, sondern um die allgemeine Weisheit. Ausdrücklich fordert er in seinem Kommentar zu den Weisheits-Sprüchen der Synagogenväter: „Höre die Wahrheit von jedem, der sie sagt!“ (arab.: WaIsma LCHaq MiMan Qaluhu, hebr.: USchma HaEmet MiMi SchäAmra). Wir dürfen nicht vergessen, daß die berühmte Antithese "Quid ergo Athenis et Hierosolymis?“, (Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen?) nicht vollständig ist, und mit der Frage schließt: „Was die Akademie mit der Kirche?“ (De praescr. Haeret. 7, 9). Sie stammt von Tertullian, einem christlichen Apologeten, der zugleich der Archeget der lateinischen Adversus-Judaeos-Literatur war. Wenn er von Jerusalem sprach, dann hatte er die den Juden verbotene, römische Aelia Capitolina vor Augen und er redete mit seinen Paradoxien nicht Zion, sondern ausdrücklich Golgatha das Wort. Die jüdischen Weisen (Chachamim) haben die Tora dagegen stets als Weisheit für die Welt, als Weltweisheit verstanden, und nicht als „Credo quia absurdum“ (Tertullian, De carne Christi 5). Nichtsdestotrotz gibt die Tora der Vernunft Inhalte zu denken, die sich die griechische Schulweisheit so leicht nicht hätte träumen lassen. Sie verlangt den Kosmos und den Anthropos von der Schöpfung her zu denken (Genesis), die Polis von der Sklavenbefreiung und Offenbarung her (Exodus), den Nomos von der Heiligung und Nachahmung Gottes her (Leviticus), die Historia von der zielgerichteten Vorsehung und Erlösung her (Numeri) und das Theion, das Göttliche vom transzendenten, personalen Gott her (Deuteronomium). Wenn wir das europäische Denken nicht nur als Erbe des griechischen, sondern auch der biblischen Denkaufgaben verstehen, dann sind Namen wie Philon, Maimonides, Spinoza, Mendelssohn, Cohen, Buber und Rosen- Umfrage zweig nicht nur irgendwelche Philosophen jüdischer Herkunft, sondern Schlüsselfiguren der europäischen Geistesgeschichte: Philon hat erstmals die biblische Botschaft in die Begriffe der platonisch-stoischen Philosophie übersetzt und damit der christlichen Patristik den Weg gewiesen und Maimonides hat sie in aristotelisch-neuplatonischen Begriffe ausgedrückt und damit der christlichen Scholastik den Weg geebnet. Spinoza hat dagegen die Bibel und Philosophie vollständig getrennt und damit sowohl die historisch-kritische Bibelwissenschaft begründet, wie die Emanzipation der Philosophie und Naturwissenschaft von der Offenbarung erstmals in der Neuzeit radikal vollzogen, Mendelssohn hat vor dem leibnizianischen, Krochmal vor dem hegelianischen, Cohen vor dem neukantianischen, Buber und Rosenzweig vor dem nietzscheanischen und kierkegaardschen Hintergrund die biblische Botschaft in ihrer jüdischen Auslegung behauptet. Hierbei handelt es sich nicht um müßige apologetische Übungen, sondern um den Versuch, die beiden Hauptquellen des europäischen Denkens zu verbinden. Jüdische Philosophie war und ist also nicht nur ein jüdisches Geschäft, sondern ein unverzichtbarer Beitrag zum europäischen Denken. Gewiß, für viele zeitgenössische jüdischen Philosophen stand nicht mehr das ihnen weitgehend fremd gewordene Judentum im Mittelpunkt des Denkens, wohl aber das Judesein. Für sie war die persönliche Erfahrung der rassistischen Stigmatisierung als Juden auch ein entscheidender philosophischer Denkanstoß. Aber für Denker, wie Theodor W. Adorno, Hanna Arendt, Günther Anders und Hans Jonas ist „Auschwitz“ keine speziell jüdische Erfahrung, sondern ein Menetekel für die ganze Menschheit. Stigmatisierung, Diskriminierung, Exilierung, Eliminierung droht in unserem Jahrhundert allen Menschen; die Menschheit blutet, wie Lévinas einmal sagte, durch jüdische Wunden. – Angesichts der verschärften Exils-Erfahrung im 2. Weltkrieg verfängt die optimistische Aufhebung der chronischen Dystopie in die Utopie nicht mehr, sondern wird, wenn man so will, in einer vollständigen Atopie überboten. Jüdische Denker, wie Emmanuel Lévinas, Jacques Derrida, Jean-Francois Lyotard vollziehen wie zuvor schon Adorno ihre radikale Revision des abendländischen Denkens mit negativen „Begriffen“ der Alterität, wie „L‘autre“, die „differance“, „Le différend“. Die an uns gestellte Frage der Redaktion des Widerspruch: „Haben die Bemühungen, die aus der mit (dem Holocaust und der Rückbesinnung auf das Judentum) einhergehenden Auseinandersetzung mit den europäischen Umfrage Denkmustern hervorgegangen sind, die Gegenwartsphilosophie Ihrer Meinung nach insgesamt befruchtet oder eher gelähmt?“ ist wohl eher eine Geschmacksfrage. Sicher aber ist, dass modernes und postmodernes Denken ohne diese Bemühungen undenkbar wäre. Umfrage Friedrich Niewöhner Jüdische Philosophie – Versuch einer Begriffsbestimmung Wie ist der Begriff "Philosophie" mit einem Adjektiv „jüdisch“ zu verbinden, das nicht selbstverständlich zur Philosophie hinzuzugehören scheint, das als in einem Spannungsverhältnis zur Philosophie angesehen werden kann, und das die Philosophie vielleicht verändert, ihr Grenzen setzt? Um es gleich vorweg zu sagen: es gibt nur eine Vernunft, die allgemeine Menschenvernunft. Es gibt weder eine spezifisch jüdische oder islamische oder christliche Vernunft; auch kein spezifisch islamisches, christliches oder jüdisches Denken mit je eigenen Rationalitätsstandards. Was für einen Sinn hat es dann aber, von einer "jüdischen Philosophie" zu sprechen? Warum bezeichnen erstmals Leopold Zunz (1818) und Salomon Munk (1849) im 19. Jahrhundert die Reflexionen der Juden im Mittelalter als "jüdische Philosophie"? Versuch einer Bestimmung: 1. Wenn ein Jude philosophiert, dann ist das nicht notwendig eine jüdische Philosophie. Beispiele: Baruch de Spinozas "Ethik", Karl Marx' "Das Kapital", Edmund Husserls "Ideen zu einer reinen Phänomenologie". 2. Wenn ein Jude (oder ein Christ, Muslim, Atheist) über Moses Maimonides oder Jehuda Halevi schreibt, dann ist das nicht notwendig eine jüdische Philosophie. So etwas wäre eher zu subsumieren unter "Geschichte" der Philosophie (wobei noch offen bleiben muß, ob Maimonides oder Halevi als Philosophen bezeichnet werden können). 3. Wenn ein Christ (oder ein Muslim oder ein Atheist) über das Judentum reflektiert, dann ist das noch keine jüdische Philosophie. In diesem Fall sollte man eher von Religionsphilosophie oder Religionsphänomenologie sprechen. 4. Wenn jedoch ein Jude über das Judentum als solches mit der allgemeinen Menschenvernunft reflektiert, dann ist das jüdische Philosophie. Jüdische Philoso- Umfrage phie ist "Philosophie des Judentums" (Julius Guttmann), wobei "des Judentums" sowohl genitivus objectivus als auch genitivus subjectivus ist. Begründung: Es ist Philosophie, weil die Reflexion mit der allgemeinen Menschenvernunft durchgeführt wird. Philosophie ist immer auch ein Nachdenken über uns selbst und über unsere Herkunft. Es ist jüdische Philosophie, weil das Judentum als solches von einem "Juden" reflektiert wird, er über seine Herkunft nachdenkt, über die Gemeinschaft reflektiert, zu welcher er gehört. Was ist der Unterschied zwischen der Reflexion eines Juden über das Judentum und der Reflexion eines Christen über das Christentum? Ein Jude kann über das Judentum mit der allgemeinen Menschenvernunft reflektieren, denn er braucht nicht gläubig (fromm, mosaischen Glaubens) zu sein. Er ist auch dann Jude, wenn er Atheist, Nietzscheaner, Kantianer oder Anarchist ist. Jude sein heißt nicht, Anhänger der mosaischen Religion zu sein, sondern Sohn einer jüdischen Mutter und so zu einer Gemeinschaft gehörend. Ein Christ jedoch, wenn er wirklich ein gläubiger Christ ist, kann über das Christentum nur in religiösen Kategorien reflektieren, denn "der Glaube ist höher als alle Vernunft". Das ist Theologie, aber keine christliche Philosophie. Es kann keine "christliche Philosophie" geben (Martin Luther, Karl Barth). Das heißt: nur ein Jude, der nicht gläubig ist, der sich aber dennoch zum Judentum als "seiner" Gemeinschaft bekennt, kann mit der allgemeinen Menschenvernunft über das Judentum reflektieren. Was ist der Unterschied zwischen einem Juden, der nicht gläubig ist und der über das Judentum reflektiert, und einem Christ, der nicht gläubig ist und über das Christentum reflektiert? Ein Christ, der nicht gläubig ist, ist kein Christ mehr – ein Jude, der nicht gläubig ist, ist dennoch ein Jude. Begründung: Aus dem Judentum kann man nicht austreten; man bleibt auch dann noch ein Jude, wenn man mit der allgemeinen Menschenvernunft philosophiert. Umfrage D. h.: jüdische Philosophie ist die Philosophie von einem Juden, der mit der allgemeinen Menschenvernunft das Judentum (als Religion oder Ethnizität) reflektiert. Das aber heißt nun zweierlei: 1. Jüdische Philosophie ist immer eine Philosophie von einem Denker, die ihn selbst angeht und notwendig ist, weil sie sich mit der Herkunft des Denkers, die er nicht abschütteln kann, auseinandersetzt. 2. Jüdische Philosophie hat es immer zu tun mit dem Spannungsverhältnis zwischen allgemeiner Menschenvernunft und dem partikularen Judentum (als Religion oder Ethnizität). Weiterhin geschieht jüdisches Philosophieren immer in einer extremen Situation: im Exil, in einer die jüdische Tradition gefährdenden nicht-jüdischen Umwelt und in Auseinandersetzung mit nicht-jüdischen Gedanken, Glaubenssätzen und Philosophemen. Beispiele: Moses Maimonides' "Führer der Unschlüssigen" (in Auseinandersetzung mit dem Islam); Moses Mendelssohns "Jerusalem oder über die religiöse Macht und Judentum" (in Auseinandersetzung mit dem Christentum); Leo Strauss' "Philosophie und Gesetz" (in Auseinandersetzung mit der Aufklärung). Wo dieses Spannungsverhältnis verneint wird, sollte man nicht von jüdischer Philosophie sprechen, sondern von Theologie. Beispiele: Jehuda Halevis "Kuzari"; Franz Rosenzweigs "Stern der Erlösung"; Hermann Cohens "Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums"; rabbinisches Denken. Ergebnis: Ist jüdische Philosophie die Philosophie eines Juden, der über das Judentum (als Religion oder Ethnizität) mit der allgemeinen Menschenvernunft reflektiert, weil diese Reflexion ihn notwendig angehen muß, dann wird ersichtlich, warum die jüdische Philosophie die allgemeine Gegenwartsphilosophie befruchten kann: Das Verhältnis und die Spannung von Partikularität und Universalität, Glauben und Wissen, Besonderem und Allgemeinen, Religion und Philosophie, Gesetz und Freiheit, Individualität und Objektivität etc. wird nirgendwo so radikal befragt wie in der jüdischen Philosophie, weil nur der jüdische Philosoph diese Fragen wegen seiner Herkunft stellen muß. Umfrage Jüdische Philosophie ist zwar eine Reflexion auf das Judentum, sie kann aber nicht von ihren Ergebnissen her bewertet werden. Da sie in Theologie umschlägt, wenn sie zu dem Ergebnis kommt, daß die Wahrheit allein bei den Rabbinern zu finden sei (wie bei Halevi), ist jüdische Philosophie nur dann gegeben, wenn die Spannungsverhältnisse nicht aufgelöst und nicht harmonisiert werden (wie z. B. bei Maimonides und Leo Strauss). Das wiederum hat zur Folge: Da jüdische Philosophie mit der allgemeinen Menschenvernunft reflektiert, muß sie notwendigerweise immer eine kritische Philosophie sein, kritisch gegen die Religion, Ethnizität, Partikularität, den Glauben etc. Als kritische Philosophie ist sie gegen jeden Dogmatismus. Diese Begriffe und Problemkomplexe beschreiben die Herkunft des jüdischen Philosophen, nicht seine Zukunft. Diese wird entworfen mit der allgemeinen Menschenvernunft, obwohl dieser Philosoph immer auch Jude bleiben wird. Zur Geschichte des Begriffs "Jüdische Philosophie": 1. F. Niewöhner: Vorüberlegungen zu einem Stichwort: "Philosophie, jüdische". In: Archiv für Begriffsgeschichte, Band 24, Bonn 1980, S. 195-220. 2. F. Niewöhner: Philosophie, jüdische. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 7, Basel 1989, Spalten 900-904. Werner Stegmaier Von Juden lernen In Deutschland kann man nach wie vor nicht unbefangen sein gegenüber allem, was als "jüdisch" gekennzeichnet wird. In Fragen des "Jüdischen" ist Objektivität kaum möglich. Es ist zu viel Schlimmes geschehen, und es kann noch Schlimmeres geschehen, und kein Urteil, so "objektiv" es sich Umfrage gegeben haben mag, war daran ganz unschuldig und wird daran ganz unschuldig gewesen sein. Alles "Jüdische" wirft in Deutschland unmittelbar Fragen der "Schuld" auf. Jedoch nicht nur in Deutschland. Als der amerikanische Jude Daniel Jonah Goldhagen so weit ging, Deutschland mit einem spezifisch "eliminatorischen" Antisemitismus lange vor der Naziherrschaft zu belasten, löste er entgegen seiner Absicht eine Debatte über Schuld gegenüber den Juden auch im übrigen Europa aus. Sie ließ seither selbst die Länder nicht aus, die am schlimmsten unter der Naziherrschaft zu leiden hatten. Zuletzt hat sie Polen erschüttert. Die Schuld gegenüber den Juden gewann eine europäische Dimension. Nun stand und steht Europa in Frage, Europa mit seiner "jüdisch-christlichen" Tradition, die in der Moderne zu einer "humanistischen" geworden und mitten im 20. Jahrhundert mitten in einem seiner humanistischsten Länder völlig entgleist war, in dem Land, das man als "Land der Dichter und Denker" gerühmt hatte. Die Verbrechen im Namen Deutschlands sind dadurch in nichts "entschuldigt". Ihre zu lange und zum Teil wissentliche Duldung durch das übrige Europa und durch die USA werfen dennoch Fragen nach dem europäischen Humanismus als solchem auf und dem Denken, das ihn trägt. Es könnte 1933 bis 1945 nicht nur versagt, es könnte selbst zu Totalitarismus und Judenvernichtung beigetragen haben. Es könnte dazu beigetragen haben, weil es sich für "objektiv" hielt. Der Anspruch auf "Objektivität" ist der Anspruch, über "Objekte" Aussagen machen zu können, die jeder mit "Vernunft" Begabte teilen muß. Aus Vernunft objektiv zu urteilen, ist das Ethos des europäischen Humanismus. Ihm entsprang die europäische Wissenschaft ebenso wie der europäische Rechtsstaat, im Blick auf beides weiß sich Europa allem anderen Denken in der Welt überlegen, an ihm mißt es das Denken und Leben der übrigen Welt. Die USA, die sich als die wahren Erben des europäischen Humanismus betrachten, ordnen von ihm aus die Welt, wenn es ihnen notwendig erscheint, unter Einsatz militärischer Macht. Auch wenn der westliche Humanismus auf Vernunft, nicht auf Macht beruhen soll, kann in seinem Namen doch Macht ausgeübt und durch ihn gerechtfertigt werden. Friedrich Nietzsche hat der Redlichkeit dieses Humanismus nicht mehr getraut. Er hat ihn als eine unter anderen "Moralen" gesehen, die, wie alle anderen Moralen auch, "zur Macht wollen". Dennoch war diese Moral für ihn eine besondere. Mit ihrem Anspruch auf Objektivität habe sie die Redlich- Umfrage keit zur obersten Tugend gemacht und über Jahrtausende hinweg zu ihr erzogen. Nun zwinge sie ihre Redlichkeit, den letzten Schluß zu ziehen und sich auch selbst als Wille zur Macht zu sehen. Unter dem Gesichtspunkt der Macht bedeutet der Anspruch auf Objektivität, so auf der Rede von Objekten zu bestehen, daß jedem, der sich ihr nicht anschließt, Vernunft abgesprochen wird. Im Namen der Objektivität aus Vernunft lassen sich vernünftige Menschen von unvernünftigen, rationales von irrationalem Denken trennen. Die ebenfalls Jahrtausende alte jüdisch-talmudische Tradition der Auslegung der Tora erschien der europäischen Philosophie und Wissenschaft im wesentlichen irrational. Sofern die Juden dem von ihr definierten Anspruch auf Objektivität aus Vernunft nicht folgen wollten, hätten sie sich selbst aus dem Humanismus ausgeschlossen. Sie standen damit jedem Verdacht offen. Nietzsche hat die Juden und Europa stets zusammengesehen. Er griff "das Christentum" dafür an, daß es seine jüdischen Ursprünge mit Hilfe griechischer Begriffe zu einer selbstgerechten Moral verfestigt habe, und "die Juden", weil sie – damals – das Christentum hervorgebracht hätten. Zugleich aber erwartete er von den - nun über ganz Europa zerstreuten - Juden für die Zukunft ein besseres, ein "gutes" Europa. Hannah Arendt hat in ihren „Elementen und Ursprüngen totaler Herrschaft“ (München 1986, 71 f.) zu den "wenigen Europäern", die um den "gesamteuropäischen Aspekt der Judenfrage" wußten, gerade Nietzsche gezählt, "dessen so vielfach mißverstandene Bemerkungen zur Judenfrage durchweg der Sorge um das ‚gute Europäertum’ entspringen und dessen Einschätzung der Juden im Geistesleben seiner Zeit daher so erstaunlich gerecht ist, frei von Ressentiment, Schwärmerei und billigem Philosemitismus". "Gut" konnte Europa für Nietzsche werden, wenn es lernte, seine Moral und seine "moralische Ontologie" von andern her zu perspektivieren und damit auch diesen anderen Moralen und Seinslehren gerecht zu werden, ihnen nicht mehr – nach Mt. 5, 39 – als einem "Bösen" zu "widerstehen". "Gute Europäer" konnten darum gerade "die Juden" sein: zum einen, weil sie keinen Nationalismus brauchten, um ein Volk zu sein, und keinen Sozialismus, um Gerechtigkeit zu lernen, und in der Diaspora zu beidem in Distanz geblieben waren, zum andern, weil sie, wichtiger noch, von Anfang an anders als griechischchristlich zu denken und immer wieder umzudenken gelernt hatten. Sie waren über Jahrtausende Juden geblieben, hatten es, unter der Feindschaft ge- Umfrage gen ihr Denken und die Lebensformen, die sich um es bildeten, selbst gegen ihren Willen bleiben müssen, und ihre bürgerliche Emanzipation hatte zu einem neuen Antisemitismus geführt, mit dem sie sich neu auseinandersetzen mußten. Wenn sie in den Anfängen Europas die Kraft zu einer "radikalen Umwerthung" der damals herrschenden Werte hatten, so konnten sie auch jetzt, so Nietzsche, in den Zeiten des Zweifels und der Verzweiflung an den "obersten Werthen" Europas, am ehesten zu einer neuen Umwertung fähig sein. Wie kein Volk sonst hatten sie in ihrem Leben unter andern Völkern lernen müssen, Macht, soweit sie sie errangen, so besonnen zu gebrauchen, daß, bei Strafe der Vernichtung, gütliche Verständigung immer noch möglich blieb. Was sie nach Nietzsche auszeichnete, war nicht nur ein anderer Umgang mit Moral, sondern auch und tiefer noch mit der Zeit: Geduld, Ausharren auch unter ungünstigsten Umständen, Kraft, sich und anderen Zeit zu lassen, Leiden lange hinzunehmen. Im 251. Aphorismus von Jenseits von Gut und Böse schrieb Nietzsche: Die Juden "verändern sich, wenn sie sich verändern, immer nur so, wie das russische Reich seine Eroberungen macht, – als ein Reich, das Zeit hat und nicht von Gestern ist –: nämlich nach dem Grundsatze ‚so langsam als möglich!’“ Das griechisch-christliche Denken hatte dagegen versucht, die Zeit zu transzendieren, hatte sich jenseits des Zeitlichen auf ein Zeitloses verpflichtet und sah in ihm das absolute Gültige. Dem folgten alle Unterscheidungen, die es leiteten: Gott und Mensch, Sein und Werden, Vernunft und Sinnlichkeit, Form und Inhalt, Moral und Glück, Fortschritt und Gegenwart, Bedeutung und Zeichen, Text und Auslegung. Das Zeitlose war darin stets der Wert, das Zeitliche der Unwert. Daß das griechisch-christliche Europa so dachte, daß es sich gegen die Zeit in einem Jenseits der Zeit versichern zu müssen glaubte und seine Moral darauf gründete, hielt Nietzsche für den Ausdruck einer tiefen Lebensangst, des Nihilismus. Er hat sich über das andere "jüdische" Denken als solches nicht näher geäußert, vielleicht aus Unkenntnis, vielleicht aber auch aus Respekt, einem Respekt, der ihn zurückhielt, es seinerseits zu "objektivieren". Erst hundert Jahre später und nach der Shoa hat der Jude Emmanuel Lévinas, der aus Litauen stammte und Franzose wurde, von der griechisch-christlichen oder, wie er sie auch nennt, "westlichen" Tradition aus versucht zu zeigen, wie Europa von den Juden lernen, wie es sein Denken vom "jüdischen" her in Umfrage Frage stellen kann. Viele gingen ihm voraus, vor allem Hermann Cohen und Franz Rosenzweig. Aber erst nach der Shoa war das Lebensentscheidende dieses Lernens deutlich. Lévinas sprach ungeschützt vom "jüdischen Denken" (pensée juive) und legte es nicht darauf an, Entsprechungen und Dialoge zwischen ihm und dem griechisch-christlichen Denken zu suchen. Er dachte von ihrer "Trennung" (séparation) her. Mit einer Radikalität, die er bei Platon, Descartes, Kant, Nietzsche und neu bei Husserl und Heidegger erfahren hatte, führte er auf der einen Seite die kritische Tradition der europäischen Philosophie bis dorthin fort, wo sie die jüdische berührte, und trug, auch in seinen Schriften deutlich getrennt, dieses kritische Denken auf der andern Seite in die jüdische Tradition der Talmud-Auslegung ein. Das "westliche" Denken blieb so das westliche und das "jüdische" das jüdische, aber beide konnten sich selbst in der Berührung mit dem andern vom andern her neu denken. Dies war und ist für beide Seiten schwierig, und Lévinas ging seinen Grenzgang bewußt im Zeichen einer "schwierigen Freiheit". Er zeigte auf der einen Seite, wie Heidegger, der in der Kritik des Objektivismus in der europäischen Philosophie zuletzt am weitesten gegangen war, mit seinem Seinsdenken noch immer einer "Neutralität" anhing, die zwar nicht mehr objektivierbar sein, aber dennoch das Denken aller in Einem "versammeln" sollte, der "Lichtung des Seins". Heidegger habe damit am Denken eines Dritten jenseits der Einzelnen festgehalten, das für alle gleich gültig sein sollte, für das aber eben darum die Einzelnen gleichgültig waren. Es ist die "Nicht-Gleichgleichgültigkeit" (non-indifférence) der Einzelnen, die Levinas gegen die "Gleichgültigkeit" des Objektiven, Allgemeinen, Neutralen (indifférence) der europäischen Philosophie geltend macht. In der jüdisch-talmudischen Tradition waren die Einzelnen niemals gleichgültig. In der Auslegung der Tora, der unübersehbar vielfältigen und unerschöpflich bedeutungsvollen Schrift eines Gottes, der auf seiner Unbegreiflichkeit bestand, waren abschließende Begriffe ausgeschlossen, hatte ein an und für sich gültiges Allgemeines kein Recht, war Objektivierung Anmaßung. Jedes Allgemeine war ein Allgemeines, das ein Einzelner auf seine eigene Verantwortung in die Tora hineintrug, um sie zu erschließen, und dem ein anderes Allgemeines gegenüberstand, das ein anderer auf seine Verantwortung in sie hineintrug. So ist das Allgemeine niemals an und für sich gültig und der Einzelne niemals gleichgültig für die Auslegung der Tora, die als Schrift Gottes Orientierung im ganzen, Orientierung für das Leben im ganzen, die Umfrage zen, die für Juden, die auf sie achten, das ganze Leben ist. Um ihre Vielfalt und Fülle zu erschließen, ist jede einzelne Auslegung von Bedeutung, gerade wenn sie anders ist als die anderen, jede kann die Orientierung erweitern und erneuern, auch und gerade dann, wenn sie scheinbar ohne Methode Entlegenes aufeinander bezieht. Im Talmud sind Auslegungen Einzelner, die die Anerkennung anderer Einzelner und damit Autorität gewonnen haben, in der Regel Auslegungen anderer Einzelner mit Namen gegenübergestellt, und in beider Namen können sich wieder andere Auslegungen anschließen. So wächst ein vielfach verknüpftes Netz von namentlichen Deutungen, das verdichtet werden kann, wo neue Frage entstehen, und wieder gelöst werden kann, wo Antworten sich überholt haben. Es bleibt in der Zeit, geht ohne Angst mit der Zeit, ohne sie zu transzendieren. Wenn die Auslegungen, die immer die Auslegungen Einzelner waren, auch wenn sie von vielen oder allen angenommen, plausibel werden, dann hat jeder die Auslegung, die er ins Spiel bringt, andern gegenüber zu verantworten. So wird denkbar und plausibel, daß die Einzelnen nicht durch ein Drittes, scheinbar Objektives, sondern allein durch ihre Verantwortung füreinander verbunden sind. Ihre Beziehung ist dann nicht zuerst eine "theoretische", ein gemeinsamer Blick auf Objektives, sondern eine "ethische", der Blick aufeinander, ins Gesicht des Anderen, das, so Levinas, den theoretischen Zugriff irritiert und als Anmaßung zurückweist. Das Von-Angesichtzu-Angesicht unter Menschen und, in herausragenden Beispielen, unter Gott und Menschen, beherrscht die Tora, während die "westliche" Philosophie es im wesentlichen übergangen hat. Es ist nach Levinas der Anfang des Ethischen, das seinerseits allem Theoretischen vorausgeht, des Ethischen als einer Beziehung unter immer anderen, immer anders begegnenden und immer anders zu verstehenden Einzelnen. Die jüdische Tradition hat nach Levinas diese Gestalt des Ethischen im Denken wach gehalten, eine Gestalt des Ethischen, die alles Allgemeine an die Verantwortung des Einzelnen bindet und es nicht als Objektives aus ihr entläßt. Sie war so besser gegen Totalitarismus gefeit. Sie könnte, und das macht sie über die Antwort auf die Shoa hinaus philosophisch aktuell, der alltäglichen Orientierung näher sein als das aus der "westlichen" philosophischen Tradition Vertraute. In der alltäglichen Orientierung, in der man sich immer neu auf immer neue Situationen einzustellen hat, geht man ohne Angst mit der Zeit um, und man rechnet damit, daß Umfrage man es in allen Bereichen, auch in den auf Objektivität drängenden Wissenschaften, mit immer anderen Einzelnen zu tun hat, die zustimmen oder widersprechen können. Die alltägliche Orientierung könnte auch nach wie vor offener für Religion sein, wenn darunter das Verhältnis zu einem Unbegreiflichen verstanden wird, in dem das Denken immer auch steht, offener, als es die europäische Philosophie und Wissenschaft wahrhaben will, seit sie sich im Namen der Aufklärung resolut gegen alle Religion abgegrenzt hat. Was das für alle gleich gültige Allgemeine unter Menschen dennoch notwendig macht, ist das Recht und mit ihm der Staat, der es durchzusetzen hat. Levinas und mit ihm Jacques Derrida haben beide konsequent von der inter-individuellen Beziehung her gedacht als das, was diese Beziehung wohl überschreitet, sich aber eben darum nicht von ihr lösen darf. Mit dem Recht im Staat wird Verantwortung über den einen Anderen hinaus für weitere Andere möglich. Es verlangt darum Gleichheit und Allgemeinheit, jedoch nicht Gleichgültigkeit. In jeder richterlichen und jeder politischen und jeder bürokratischen Entscheidung haben wieder Einzelne für Einzelne Verantwortung. Wird von dieser Verantwortung abgesehen, werden Menschen als Objekte behandelt, und dies kann ein Anfang von Totalitarismus sein. Die Juden in Europa und der ganzen Welt hatten über Jahrtausende ohne eigenen Staat zu leben. Ihr Denken konnte sich in dieser Zeit in kritischer Distanz nicht nur zum theoretischen Anspruch auf Objektivität, sondern auch zur staatlichen Organisation eines Gemeinwillens halten, der, wenn er entsprechend begabte Führer findet, immer auch entgleisen kann. Die Geschichte hat nach der Shoa zu einem Staat Israel geführt. Er ist sowohl aus der jüdisch-talmudischen Tradition als auch aus der europäisch-philosophischen Tradition heraus auf weitestgehende Liberalität eingestellt. Unter den Zwängen der politisch-militärischen Auseinandersetzungen in Palästina ist er aber auch immer wieder zu harten Machtdemonstrationen übergegangen. Sie drohen nun das andere Denken der jüdischen Tradition erneut zu diskreditieren. Einschlägige Veröffentlichungen des Autors: Nietzsches ‚Genealogie der Moral’. Werkinterpretation, Darmstadt 1994. – mit D. Krochmalnik (Hg.), Jüdischer Nietzscheanismus, Berlin/New York 1997 (darin: Levinas' Humanismus des anderen Menschen – ein Anti-Nietz- Umfrage scheanismus oder Nietzscheanismus?). – Das Gute inmitten des Bösen. Ethische Orientierung aus Zeichen in der jüdischen Tradition. In: J. Simon (Hg.), Orientierung aus Zeichen. Zeichen und Interpretation III, Frankfurt am Main 1997. – (Hg.), Die philosophische Aktualität der jüdischen Tradition, Frankfurt am Main 2000 (darin: Philosophie und Judentum nach Emmanuel Levinas). – (Hg.), Europa-Philosophie, Berlin/New York 2000 (darin: Nietzsche, die Juden und Europa). – Emmanuel Levinas. Reihe Meisterdenker, Freiburg (erscheint 2002). Giuseppe Veltri Fragen zur jüdischen Philosophie heute Ad I. Die Frage nach Chancen für ein jüdisches Geistesleben heute ist sehr heikel, denn sie ist historisch wohl falsch gestellt. Ein jüdisches Geistesleben ist in Deutschland immer vorhanden gewesen – auch nach der Shoa. Jüdische Intellektuelle haben sich ihre Spuren in der deutschen Geschichte nicht tilgen lassen und auf einer deutsch-jüdischen Identität beharrt, auch wenn diese Identität zwiespältig war, und sie in Deutschland nicht (mehr) gelebt haben. Das Merkwürdige dabei ist, daß dieser Aspekt im deutschen und europäischen Raum nicht wahrgenommen wurde, auch nach dem Holocaust nicht. Daß der „Widerspruch“ heute – und nicht vor 20 Jahren – diese Frage stellt, bezeugt, daß die jüdische intellektuelle Präsenz wieder wahrgenommen wird, auch wenn dies vor allem (daher auf eingeschränkte Weise) aus der Perspektive der Shoa geschieht. – Leben wir vielleicht in einer Zeit der Antiquaren, die sich bemühen, das Gedächtnis als Ritual einer klassifizierten Vergangenheit zu betrachten? So jedenfalls deute ich die sich in letzter Zeit häufenden Bemühungen, jüdische Museen zu eröffnen und jüdische Denkmäler zu errichten. Das aber ist ein historisch fragwürdiger Ansatz, der die Stellung des Judentums in der europäischen Gesellschaft als (abgeschlossenes?) Kapitel der allgemeinen Geschichte betrachtet. Die Frage bleibt heute wie damals: Ist dies als ein – schon immer christlicher – Umfrage Versuch zu deuten, das Judentum per naturam als Vorstadium des heutigen Denkens zu betrachten, das man, mit Hegel’scher Kategorie, ‚aufhebt’? Auch die gestellt Frage nach dem „Gewinn“ ist äußerst problematisch. So redeten einige jüdische Intellektuelle im 17. und 18. Jahrhundert, um die Stellung des Judentums innerhalb der christlichen Gesellschaft zu verbessern. Heute ist die Frage anders zu stellen: Brauchen wir eine Allgemeinheit, die uns als Identität dient, oder nur einen gemeinsamen Nenner, damit wir überhaupt kommunizieren können? Die Wahrnehmung des Einzelnen ist das Einzige, was uns beschäftigen soll und muß in einer Zeit, in der man von globalem Denken spricht und das Einzelne in das unbestimmte und unbestimmbare Magma zu versinken droht. Ad II. Das Kompositum „jüdische Philosophie“ verweist historisch gesehen auf eine kulturelle Auseinandersetzung. Gleichzeitig wird damit die seit der Antike diskutierte Frage nach der Genealogie des Wissens berührt. Der Terminus „Philosophie“ ist ja weder hinsichtlich seines Inhalts noch nach Objekt und Ziel eindeutig zu definieren, da diese je nach Epoche, geographischem Raum sowie soziologischer Gruppe variiert haben. Er läßt jedoch immer eine Verbindung zu jener griechischen Weltanschauung erkennen, aus der die „Philosophie“ entstand, und die – der noch heute herrschenden communis opinio gemäß – der jüdischen Geisteswelt so völlig inkompatibel ist: „Athen“ und „Jerusalem“ gelten als ein unvereinbares Gegensatzpaar. Derjenige, der sich auf eine Debatte über jüdische Philosophie einläßt, ähnelt somit dem Seefahrer, der versucht, sein Schiff zwiscken Skylla und Charybdis hindurchzumanövrieren, in der Hoffnung, hier doch noch heil davonzukommen. Der Begriff „jüdische Philosophie“ spiegelt auch die große Unbefangenheit des Historikers wider, der die jüdische Literar- und Kulturgeschichte auch nach philosophisch-historischen Kriterien zu klassifizieren versucht, obwohl doch eine jüdische Philosophie einer contradictio in adiecto gleichkommt. Verbietet nicht der Universalanspruch des philosophischen Denkens und damit des menschlichen Wissens eine Segmentierung gemäß einem Teil der menschlichen Gesellschaft und ihrer jeweiligen Kulturgeschichte? Die Frage nach der Existenz und dem Wesen der „jüdischen“ Philosophie, die zum erstenmal von Vertretern der deutschen Wissenschaft des Judentums aufgeworfen wurde, verweist unmißverständlich auf einen anderen, damit jedoch unmittelbar verbundenen Aspekt: den des jüdischen Selbst- Umfrage verständnisses. Man kann dies noch schärfer formulieren: Je mehr der jüdische Zugang zur Philosophie hervorgehoben bzw. verneint wird und die Thematisierung des Objektes in den Vordergrund der wissenschaftlichen Diskussion tritt, desto radikaler stellt sich die Frage nach Bestand, Wesen und Identität der jüdischen im Verhältnis zur allgemeinen Kultur. So verwundert es nicht, daß diese Frage vor allem in der Diaspora gestellt wird, wo die Gefahr der Assimilation zumindest seit der Wissenschaft des Judentums beständig lauert und sich die eigene Identität in das undifferenzierte Allgemeine aufzulösen („aufzuheben“, würde Eduard Gans in Hegel’scher Terminologie sagen) droht. Die Frage nach der Existenz der jüdischen Philosophie stellt im Grunde eine falsche und unlogische, jedoch paradoxe Denkweise dar, weil der Fachhistoriker und der Philosoph ihr Selbstbewußtsein bei der Bildung des Objektes über- bzw. unterschätzen. Eine jüdische Philosophie existiert nicht als metaphysische Realität an und für sich, als Monade der Leibniz’schen Ontologie, sondern entsteht in dem Moment, in dem ein Philosoph dies als philosophisch möglich und existentiell angebracht erachtet. Eine Idee braucht keine Materialisierung der Erkenntnis; sie verankert sich im Bewußtsein der Formen, die sich historisch herauskristallisiert haben. Ein Adjektiv vor „Philosophie“ deutet immer auf eine Einschränkung des Objektes und kennzeichnet damit eine Konkretisierung, die philosophischhistorisch begründet und soziologisch-kulturgeschichtlich analysiert werden muß. Wenn die Philosophie, zumindest seit der Renaissance, um ihre Existenz und Rechtfertigung gegen die Errungenschaften und die Erfolge der „Wissenschaften“ ankämpft, dann gilt dies vor allem für die jüdische Philosophie. Die Geistesgeschichte des Judentums wird apologetisch mit seiner Philosophie identifiziert. Die jüdische Philosophie kann trotzdem nicht in den sogenannten „klassischen Kanon“ tel quel einbezogen werden, weil sie primär als jüdisch verstanden wird. Man darf also annehmen, daß sich die jüdischen Gelehrten in dem Augenblick, da sie die Beschäftigung mit dem Judentum als wesentlichen Teil der Philosophie betrachten, von deren universellen Anspruch entfernen und vice versa, daß eine jüdische Philosophie nicht existieren darf oder kann, wenn sie von dem universellen Anspruch absieht. Der universelle Anspruch, basierend auf der Prämisse des homo rationalis, ist das Wesen des philosophischen Diskurses, ohne den eine Philosophie im klassischen Umfrage Sinne nicht möglich ist. Wer diesem Ansatz nicht zustimmt, geht von der Definition der „Philosophie“ als Geistesprodukt aus, die jegliche Erscheinung des Denkens überhaupt mit berücksichtigt. Somit verliert der philosophische Diskurs an Konsistenz und Relevanz. Die Debatte um die Definition der „jüdischen Philosophie“ verweist in ihrem historischen Verlauf auf eine grundlegendere Frage, nämlich die nach der eigenen Identität, mithin auf die Definition des Judentums selbst, die auf der philosophischen Ebene aus den Teilaspekten von Existenz und Berechtigung besteht. Die Suche nach der eigenen philosophischen Identität erscheint in diesem Lichte besehen als bewußtseinsbildender Faktor im Rahmen der internen kulturgeschichtlichen Standortbestimmung. Die jüdische Philosophie wendet sich dabei konfliktbewußt gegen den universellen Wahrheitsanspruch der – vor allem griechischen, dann europäischchristlichen – Philosophie. In dieser Hinsicht fungiert sie sowohl als Apologie ad extra bzw. ad intra als auch als Widerstand gegen die Verallgemeinerung des Einzelnen. Ad III. Auch hier – wie immer im philosophischen Denken – gilt die scholastische Maxime „distingue frequenter“: was wird philosophisch unter der sogenannten „rabbinischen Tradition“ verstanden? Die klassische Zeit der Dispute zwischen den Schulen oder die klassische Zeit des Schul- und Dogmenverständnis, die man in der christlichen Zeitrechnung „Mittelalter“ und „Frühneuzeit“ nennt? Nur der Bezug auf die zweite Periode kann zu Konflikten führen; der auf die erste jedoch nicht. Die antike rabbinische Schule ist durch eine Dialektik gekennzeichnet, die – stoisch und epikureisch in ihrem Ursprung – die Macht und/oder Un- und Ohnmacht des Wortes und des Diskurses betont hat. Von Theorie war keine Rede, und daher konnte dies keine Konflikte hervorrufen. Oder schärfer formuliert: der Konflikt war die Quintessenz ihres Diskurses und wurde daher als solcher nicht (immer) wahrgenommen. Es ist wahr, daß jüdische Scholastik, und vor allem Maimonides, heute das jüdisch-philosophische Denken dominiert. Aber nur augenscheinlich und philosophischhistorisch. In der Tat gibt es keinen Denker – und auch Leibowitz ist keiner –, der als jüdischer Philosoph gelten kann. Fackenheim und Lévinas sind deutlich als Denker nach dem Holocaust zu qualifizieren und daher nicht als Philosophen des Judentums zu definieren. Sie betreiben Erfahrungsphilosophie, die in den Kategorien der allgemeinen Philosophie Umfrage als kontingent gelten muß. Oder ist Philosophie doch nur Philosophie des Erfahrenen? Michael Zank Antworten Ich bedanke mich zunächst dafür, daß mich der “Widerspruch” dazu eingeladen hat, seine “Fragen zur jüdischen Philosophie heute” zu beantworten, die ich schon deshalb gut gestellt finde, weil sie mich doch auch teilweise zum Widerspruch reizen. Ad I. Zunächst zur Voraussetzung, daß “jüdische Denker in der deutschen Philosophie bis 1933 eine große Rolle” spielten. Stimmt denn das eigentlich? Hier sind einige Beobachtungen, die mich gegenüber dieser Meinung bedenklich stimmen. Obwohl es natürlich stimmt, daß 1933 ff. der sogenannte “jüdische“ Einfluß aus allen gesellschaftlichen Bereichen verbannt werden sollte, was sich auch auf die akademische Philosophie und die philosophische Literatur bezog, so wollte man damit aber doch vor allem den Liberalismus treffen. Judentum und Liberalismus sind aber sicher nicht dasselbe. Dementsprechend wurde es den Juden unter den Nazis zunächst ja auch weiterhin erlaubt, sich mit jüdischen Themen zu beschäftigen, sich dem Zionismus (und somit dem Gedanken der ethnischen Trennung und Auswanderung) zu widmen und – jüdische Philosophie zu betreiben. Wie stand es nun mit der Rolle jüdischer Denker vor 1933? Dem politischen Programm einer Vertreibung der Juden aus dem deutschen Kulturleben entspricht die Meinung, daß Juden in den vorausliegenden Jahrzehnten einen bedeutenden Anteil am allgemeinen Kulturleben besaßen. Womöglich handelt es sich hierbei aber um einen Trugschluß, ein Konstrukt, oder doch zumindest um ein schiefes Bild. Man muß nicht gleich Goldhagenianer sein um zu bemerken, daß die Juden innerhalb Deutschlands und anderswo trotz aller rechtlichen Emanzipation in gewisser Hinsicht ein Sonderdasein führten. Dieser Sachverhalt verschleiert sich nur dann, wenn man den Grad Umfrage der Eingliederung nach soziologischen Kategorien wie Wirtschaftsverhältnisse oder Bildungsleistungen beurteilt. Schaut man sich dagegen an, wer sich auf den Korridoren der Universitäten informell unterhielt, ohne eine Maske äußerlicher Jovialität aufzusetzen, so ändert sich das Bild. Dann erscheint etwa Hermann Cohen (1842-1918) nicht mehr wie im Lehrbuch als das Haupt der Marburger Schule des Neukantianismus sondern als “unser jüdischer Spezialkollege“ (Julius Bergmann). Eine letzte, vielleicht triviale, aber deshalb nicht weniger grundlegende Bemerkung. Der größte Anteil an Philosophen jüdischer Herkunft am Leben der deutschen Wissenschaft vor 1933 betrifft die Naturwissenschaften und erst danach die Geisteswissenschaften und am wenigsten die akademische Philosophie. Man bedenke hierzu, daß der soeben erwähnte Hermann Cohen zu Lebzeiten der einzige (!) Ordinarius für Philosophie (nicht für Geschichte, Mathematik oder Chemie) an einer preussischen Universität war. Andere erreichten diese Anstellung nur dann, wenn sie ihr Judentum an der Garderobe abgaben, d.h. konvertierten. Genug der Bedenken. Ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, daß die Vorstellung eines bedeutenden Anteils jüdischer Persönlichkeiten an der deutschen Philosophie einer genaueren Überprüfung bedarf. Im Unterschied zur gesamten Periode vom Humanitätszeitalter bis hin zur unseligen Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gibt es heute völlig andere Möglichkeiten einer Teilnahme jüdischer Philosophie am deutschen bzw. europäischen Geistesleben, und zwar genau im Sinne der vom „Widerspruch“ gestellten Frage einer neuen Beziehung zwischen jüdischer und europäischer Philosophie. Hier geht es nicht mehr nur etwa um den von Jürgen Habermas rückblickend konstatierten “deutschen Idealismus der jüdischen Philosophen”, sondern um gegenseitige, wahlverwandtschaftliche Familienähnlichkeiten zwischen jüdischen, christlichen, und anderen Ansätzen zu einem postmodernen Denken. Diese Ansätze kommen auch nicht einfach im Zeichen einer verspäteten Trauerbefähigung daher, obwohl uns sicher die Irrwege der Vergangenheit insgesamt aus einem gewissen dogmatischen Schlaf gerissen haben dürften. Es ist jedenfalls erst heute wirklich völlig plausibel, sich auch akademisch und systematisch mit Denk-, Sprechund Zugangsweisen zur Philosophie zu befassen, die nicht im neugriechisch-idealistischen Bereich der Nachaufklärungszeit sondern eben auch vielleicht im Judentum wurzeln. Daß dabei auch die oft übersehenen und Umfrage alternativen Denker der Vergangenheit, unter anderem auch solcher jüdische Provenienz, wieder mit Gewinn gelesen werden, sollte uns nicht verwundern. Mit dem Fall alter Paradigmen eröffnen sich Möglichkeiten neuer Kanonizität. Ad II. Als Philosophie ist das Philosophieren jüdischer Philosophen oder – wie ich es zu sagen für angemessener halten würde, da der Titel des Philosophen von Lebenden nur unter Gefahr der Lächerlichkeit in Anspruch genommen werden kann – das Lesen von und Arbeiten mit und an philosophischen Texten und Problemen seitens Menschen, deren primärer Symbol- und Bedeutungsbezug sich aus ihrem biographischen Zusammenhang mit jüdischem Leben und jüdischen Quellen ergibt, zunächst schlicht und einfach Philosophie. Das ist schließlich der Vorteil und das Kennzeichen dieses Kulturphänomens: auch Barbaren können sich seiner bemächtigen, weshalb also nicht auch die Juden, deren Religion schon dem anspruchsvollen Geschmack des griechischen Weltreisenden Hecataeus von Abdera als die einer “Nation von Philosophen” erschien. Ich glaube also in der Tat, daß es, trotz aller Offenheit der Postmoderne, “im Grunde nur eine Philosophie gibt”. Allerdings gibt es am Rande dieser einen Philosophie eine ganze Reihe von verschiedenen, anderen Philosophien, Diskurse und Symbolcluster, deren sich die eine Philosophie nur dann bemächtigen kann, wenn sie sich dazu bequemt, sich ihrer eigene Bedingt-, Begrenzt- und Bezogenheit zu erinnern. Philosophie ist ja immer nur ein nach Gründen fragendes Nachdenken, also auch nicht selbst wirklich produktiv und ursprünglich. Das gilt denn auch für den Anteil der Philosophie einerseits und den des Traditionsbezugs andererseits im Philosophen selbst. Der Philosoph, also der im obigen Sinne an philosophischen Problemen und Texten arbeitende Mensch, ist nichts ohne seine Erfahrungen und Bedingtheiten, und die sind immer auch ganz spezifisch, individual und historisch. Dem Hin und Her von Erfahrung und Reflexion aber muß alle Philosophie irgendwie gerecht werden. Gibt es denn dann aber soetwas wie jüdische Philosophie? Zwar leugnen dies viele, darunter auch der bedeutende Politikwissenschaftler und Hermeneut Leo Strauss, dem es um eine Wiedergewinnung der eigentlichen, d.h. der politischen, Frage der sokratisch philosophischen Tradition ging, die er durch den sintflutlichen Einbruch durch die Tradition der Offenbarung für verschüttet hielt. Aber die bibliographische Tatsache schriftlich vorliegen- Umfrage der Werke zur jüdischen Philosophie vom Altertum über das Mittelalter bis in Moderne und Gegenwart kann doch nicht einfach außer Acht gelassen werden. Beim Studium dieser Quellen kann man sich von der Frage leiten lassen, ob es sich dabei jeweils um den Fall einer philosophischen Theologie (d.h. um Rationalismus und Kritik an der Offenbarung) oder um theologische Philosophie handelt (d.h. um scholastische Metaphysik). Fruchtbarer wäre es allerdings zu fragen, wie sich jeweils Philosophie und Offenbarung gegenseitig einschränken, befruchten und korrigieren. Nicht um Überwältigung oder Synthese handelt es sich, sondern um den Versuch einer ernsthaften Bestimmung des Verhältnisses zwischen zwar widerspenstigen aber deshalb nicht unbedingt einander heterogenen Quellen menschlichen Weltund Selbstverhaltens. Ad III. Das bedeutet, daß, wenn jüdisches Denken für die europäische Geisteswelt noch einmal von Interesse und Bedeutung werden soll, dies nur in dem Maße und dann möglich ist, wenn es sich um ein Denken aus jüdischen Quellen handelt, d.h. um ein Denken, das die Widerständigkeit zwischen, sagen wir einmal, griechischem und rabbinischem Denken nicht von vorneherein zugunsten der einen oder der anderen Seite entscheidet, noch sich auf historisch bereits gegebene Lösungen verläßt, sondern sich von neuem dem Durchbuchstabieren der Differenzen und Gemeinsamkeiten widmet. Ein Ansatz, der beide Quellen gleich ernst nimmt, kann uns womöglich einen philosophischen Zugang zu der Logik und Symbolik einer völlig anderen Texttradition verschaffen und so zur Bereicherung nicht nur für Juden sondern für alle philosophisch Interessierten werden. Der wohl entscheidende Unterschied zwischen diesem Entwurf und dem unter jüdischen Philosophen vor 1933 üblichen Redeweise ist der, daß wir uns heute nicht mehr in einer apologetischen Situation befinden. Vor hundert Jahren schien es noch nötig, die nicht-jüdischen Zeitgenossen immer wieder auf Ähnlichkeiten zwischen Kantianismus und Judentum oder auf die weltgeschichtliche Bedeutung der jüdischen Religionsquellen aufmerksam zu machen. Solche Anpreisung haben wir heute, G=tt sei Dank, nicht mehr nötig. Allerdings hat der gelassenere Ausgangspunkt auch den Nachteil, daß eine Auseinandersetzung mit den freiheitlich europäischen Quellen für das jüdische Denken nicht mehr selbstverständlich ist. Früher war es dem Judentum unmöglich, sich nicht mit Philosophie ins Verhältnis zu setzen, während sich die Philosophie (also sagen wir einmal das christliche und Umfrage christlich geprägte Denken) nur insofern mit Judentum beschäftigte, als dies in die christliche Schablone passte. Gerade weil das heute christlicherseits nicht mehr geht, ist ja auch die Entdeckung des Judentums, wie es sich selbst versteht, heute erst möglich und sogar philosophisch spannend. Denn mit der Aufmerksamkeit auf jüdische Quellen und Symbole wird sich die europäische Philosophie verspätet auch einiger ihrer anhaltenden Verzerrungen bewußt, wodurch eben die Beschäftigung mit dem Judentum auch erst europäisch-philosophisch-kritische Relevanz erhält, die mehr ist als Ausdruck multikultureller Neugierde. Dem enspricht aber, und das erregt bei mir als an der jüdischen Philosophie Interessiertem eine gewisse Besorgnis, auf jüdischer Seite kein ebenso starker Imperativ, die europäische Philosophietradition als eine Herausforderung von innen wahrzunehmen. Die Frage, die daher ebenso gestellt werden müßte, die ich aber nun hier nicht beantworten kann, ist die, ob es auf Seiten der jüdischen Philosophie noch weiterhin eine innere Notwendigkeit und einen Ort für die Auseinandersetzung mit der europäischen Philosophietradition gibt, der über die bloße Apologetik hinaus den Kern des jüdischen Denkens selbst betrifft. Diese Aufgabe aber wäre die eigentliche Aufgabe der jüdischen Philosophie heute.