Behandlung von Schülerinnen und Schülern mit Ritalin

Werbung
Kanton St.Gallen
Amt für Volksschule
Merkblatt
Behandlung von Schülerinnen und
Schülern mit Ritalin –
Rolle von Eltern und Fachpersonen
Bildungsdepartement | Amt für Volksschule
Die Abgabe von Ritalin an Schülerinnen und Schüler
gibt immer wieder zu Diskussionen Anlass. Die einen
erwarten von einer solchen medikamentösen Behandlung fast «Wunder», andere lehnen eine solche Behandlung – aus verschiedensten Gründen – rundweg
ab. Die korrekte Anwendung kann indessen durchaus
hilfreich sein, dazu braucht es aber die entsprechende
spezialärztliche Diagnose. Das Ganze ist recht kompliziert, der folgende Text soll eine gewisse Orientierung bieten.
5 – 10 % der Kinder im Volksschulalter leiden unter ADHS.
Sie sind auffällig unaufmerksam, unkonzentriert und/oder
unruhig und impulsiv. Vor allem unter den hyperaktiven
Kindern finden sich mehr Buben. ADHS kommt in allen
Ländern und bei hoher, durchschnittlicher und niedriger
Intelligenz vor. Betroffene Schüler haben oft noch andere
Störungen: Sprachstörungen, Legasthenie, Dyskalkulie,
Störungen der Motorik oder der Wahrnehmung, Depressionen, Ängste, Selbstwertstörungen, Tics oder Störung
des Sozialverhaltens. Gemeinsam ist den meisten Betroffenen, dass sie wegen ihres ADHS in den Bereichen
Sach-, Selbst- und oder Sozialkompetenz negativ auffallen.
Kinder mit ADHS leiden meistens unter ihren Schwierigkeiten und benötigen darum oft Unterstützung.
Die dem ADHS zugeordneten Symptome zeigen sich auch
in ganz andern Zusammenhängen; es macht deshalb wenig Sinn, aufgrund einzelner Beobachtungen auf ein ADHS
zu schliessen. Und keinesfalls ist es zielführend, aufgrund
bestimmter Symptome eine Behandlung mit Ritalin zu fordern. Bei auftretenden Lernschwierigkeiten und/oder Verhaltensauffälligkeiten ist in der Regel die zuständige schulpsychologische Fachperson erste Ansprechstelle. Die
Schulpsychologinnen und Schulpsychologen haben ganz
allgemein die Aufgabe, bei Lern- und Verhaltensauffälligkeiten die entsprechenden Ursachen zu ergründen und
entsprechende Massnahmen einzuleiten. Kommen sie
dabei zum Schluss, dass eine organische Komponente
(z.B. ein ADHS) vorliegt, überweisen sie das entsprechende Kind zur fachärztlichen Beurteilung.
Eltern können auch von sich aus Ärzte oder Ärztinnen, den
KJPD, Psychologen oder Psychologinnen in eigener Praxis
aufsuchen. Dabei gilt es zu beachten, dass das Patientengeheimnis es verbietet, ohne Erlaubnis der Eltern,
respektive der urteilsfähigen betroffenen Jugendlichen,
andere Leute inklusive Lehrpersonen, zu informieren. Für
einen offenen – und in der Regel durchaus notwendigen –
Austausch braucht es eine ausdrückliche SchweigepflichtEntbindung.
Die Diagnose eines ADHS wird wie erwähnt von Ärzten
und Ärztinnen und/oder Psychologen und Psychologinnen
gestellt, die sich mit dieser Störung auskennen. Die erste
und wichtigste Behandlungsmassnahme ist die Information
von Betroffenen, Eltern und Lehrpersonen über das ADHS.
Betroffene Kinder denken oft, sie seien dumm, faul oder
böse. Eltern und Lehrpersonen stellen sich und ihre Kompetenzen als Erziehende oder Unterrichtende in Frage.
Wenn erst einmal klar ist, worum es geht, können alle Involvierten zusammenarbeiten, um dem ADHS-Kind zu helfen, mit seiner Entwicklungsstörung möglichst gut zurechtzukommen. Es gibt keine Massnahme, mit der ADHS
«geheilt» werden kann. Die Auswirkungen können aber mit
der richtigen Unterstützung stark vermindert werden, sodass die meisten ADHS-Kinder eine Regelklasse mit normalen Lernzielen besuchen und später eine Lehre oder
eine höhere Schule absolvieren können. Die fortschreitende Hirnreifung führt auch oft zu einer Abnahme der
Symptome. Im Erwachsenenalter ist das ADHS noch bei
ungefähr der Hälfte der betroffenen Kinder nachweisbar.
Bei einem Teil der Kinder mit ADHS wird Methylphenidat
zur Behandlung des ADHS eingesetzt. Dieses Medikament, das in der Schweiz unter den Markennamen Ritalin,
Concerta, Medikinet und Focalin (Dexmethylphenidat) erhältlich ist, verbessert bei ungefähr 80 % der Behandelten
Konzentration, Antriebsregulation und Impulskontrolle.
Welches Medikament in welcher Dosierung eingesetzt
wird, muss für jedes Kind individuell festgelegt werden, da
die Reaktion auf Methylphenidat sehr verschieden ausfallen kann und nicht jedes Kind eine medikamentöse
Wirkung von morgens bis abends an sieben Tagen pro
Woche benötigt. Es gibt auch Kinder, bei denen Methylphenidat nicht wirkt oder die es nicht vertragen.
Als Nebenwirkungen treten am häufigsten Appetitverminderung und Einschlafstörungen auf. Als Alternative gibt
es neben homöopathischen und pflanzlichen Arzneimitteln,
welche teilweise mit Erfolg eingesetzt werden, seit kurzem
eine neue Substanz namens Atomoxetin (Markenname
Strattera). Es gibt auch Kinder, die neben dem ADHS an
anderen Krankheiten leiden und die deswegen kein Methylphenidat einnehmen dürfen. Wenn Jugendliche mit
ADHS zusätzlich eine Suchtkrankheit haben, muss garantiert sein, dass sie Methylphenidat nicht missbräuchlich
verwenden. Medikamente werden stets als Teil eines Behandlungsplans eingesetzt, der auch Familienberatung,
schulische Hilfen oder andere Therapien (Ergotherapie,
Psychotherapie etc.) umfasst.
auch deren Beobachtungen sehr hilfreich. Regelmässige
Auslassversuche helfen zu erkennen, ob ein Kind weiterhin
Medikamente einnehmen muss. In solchen Phasen sind
präzise Rückmeldungen aller in die Behandlung involvierten Personen besonders wichtig. Auslassversuche erfolgen am besten während einer stabilen Phase, nicht aber
während Probezeiten, Lehrerwechseln oder vor wichtigen
Prüfungen. Solche Auslassversuche sollten mit dem Arzt
oder der Ärztin abgesprochen und koordiniert sein und
nicht einfach nach Gutdünken erfolgen.
Da es sich beim Methylphenidat und Atomoxetin um rezeptpflichtige Arzneimittel handelt, welche bei falschem
Einsatz wirkungslos oder sogar gefährlich sein können, ist
es Sache des Arztes oder der Ärztin zu entscheiden, ob sie
eingesetzt werden sollen. Auch für die Wahl des Arzneimittels und der Dosis ist der Arzt oder die Ärztin verantwortlich. Selbstverständlich werden dabei auch die Informationen der Lehrpersonen und der Eltern berücksichtigt.
Für die Überwachung und Anpassung der Behandlung sind
die Auskünfte von Elternhaus und Schule ebenfalls sehr
wichtig. Ohne präzise Rückmeldungen über die Wirkung ist
keine Behandlung mit Methylphenidat möglich. Wenn
andere Fachpersonen (schulische Heilpädagogen und
Heilpädagoginnen, Ergotherapeuten und -therapeutinnen,
Logopäden und Logopädinnen etc.) involviert sind, sind
Wie bei jeder medizinischen Behandlung haben urteilsfähige Jugendliche, respektive die Eltern von urteilsunfähigen Kindern, das Recht und die Pflicht zu entscheiden,
ob sie die Behandlung durchführen oder darauf verzichten
wollen. Auch wenn die Entscheidung oder Begründung für
die Fachpersonen unsinnig erscheint, muss sie respektiert
werden. Es macht nach unserer Erfahrung in der Behandlung von ADHS-Kindern keinen Sinn, auf Eltern Druck
auszuüben, ihrem Kind Methylphenidat zu geben. Solche
Behandlungen werden oft nicht konsequent durchgeführt
oder wegen Nebenwirkungen rasch abgebrochen. Zudem
wird die Beziehung zwischen Eltern und Lehrpersonen respektive Ärzten und Ärtzinnen dadurch negativ belastet,
was die weitere Behandlung des ADHS-Kindes erschwert.
Es ist aber wichtig, dass die involvierten Fachpersonen
den Eltern klar und nachvollziehbar darlegen, welche Probleme ihr Kind hat und was die Folgen sein können, wenn
sich seine Leistungen oder sein Verhalten nicht
verbessern.
Dr. med. Monika Diethelm - Knoepfel
Fachärztin FMH für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie
Wattstrasse 14
9240 Uzwil
Dr. Hermann Blöchlinger
Leiter Schulpsychologischer Dienst
des Kantons St. Gallen
Müller-Friedbergstrasse 34
9400 Rorschach
März 2013
Herunterladen