Oper Frankfurt: Kokette Operette 8.Juli 2016, von Bernhard Uske Momentaufnahme aus „Anna Toll“: Dominic Betz und Nina Tarandek. Foto: Monika Rittershaus Zum Saisonfinale der Oper Frankfurt: Arnold Schönbergs „Pierrot“ und die Uraufführung von Michael Langemanns Schnitzler-Operette „Anna Toll“. Seit einigen Jahren ist das Ende der Spielzeiten bei der Oper Frankfurt weniger ein Ausklang sondern gestaltet wie das Finale von Opern selber: Alle Fäden laufen schließlich zusammen und mit Stretta, Solisten-Ensembles samt Chor und großem instrumentalem Tamtam kommt noch einmal das gesamte Tafelsilber auf den Tisch. „Oper Finale“ ist der Titel von allerlei Programmpunkten, die in Verbindung mit den jeweils letzten Premieren der Saison gesetzt werden und mit Kammermusik, Vorträgen, Symposium, Ausstellung und Komponistengespräch aufwarten. Dieses Jahr ist das Motto des Finales „Wiener Moderne“: Vor Kurzem hatte Alban Bergs „Woyzecks“ im Opernhaus Premiere, und jetzt folgten im Bockenheimer Depot mit Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ und Michael Langemanns „Anna Toll oder Die Liebe der Treue“ zwei Werke, die auf unterschiedliche Weise Beziehungen zum Wiener-Moderne-Topos unterhalten. Schönbergs Vertonung von „Dreimal sieben Gedichten aus Albert Girauds Liedern des Pierrot Lunaire“ bildete den ersten Teil des Abends in Bockenheim, wo Dorothea Kirschbaum das 1912 uraufgeführte Werk in Szene setzte. In den letzten Jahren ist es üblich geworden, den von einem Instrumental-Ensemble begleiteten, im Sprechgesang artikulierten Vortrag in Handlungsverläufe zu integrieren. Die Frankfurter Inszenierung ist in einem Bar- und Lounge-Kontext angesiedelt, wo eine Diseuse das Publikum beim Platznehmen mit einschlägigen Songs wie „Moon River“ empfängt. Um dann die andere Seite ihrer Art und Kunst zu zeigen und mit einem Bargast, der wie ein Kaffeehaus-Literat wirkt, in Interaktion zu treten. Ein kaum Atmosphäre vermittelndes Geschehen, aber auch keines des Desasters oder der surrealen Irritation, das die Solistin Laura Aikin absolviert. Eher dominant, lakonisch, kühl erscheint sie bei ihren Gängen auf dem spiralförmig ansteigenden Bühnenrund (Bernhard Niechotz). Hervorragend setzt die Sängerin die Qualität der sprechgesanglichen Notation der Partitur um und schafft es, den Indifferenzpunkt zwischen Singen und Sprechen zu treffen. Der Eigensinn dieser Artikulation, die selbst von namhaftesten Solistinnen gerne ins Gesangliche hin abgeschwächt wird, blieb hier vollständig erhalten. Fundament für künftige Herausforderungen Die instrumentale Begleitung, die angesichts des sprechgesanglichen Tonfalls des Solo-Parts eine stärkere Eigenfärbung entfaltet als bei Normalgesang, lag in den Händen von Nikolai Petersen, der seit vier Jahren als Solorepetitor und musikalischer Assistent an der Oper wirkt. Deutlich – und auch die illustrativen und melodiösen Aspekte der Partitur für fünf Instrumentalisten herausstellend – war das Klangergebnis. „Anna Toll oder Die Liebe der Treue“, in einem ähnlichen Ambiente wie bei „Pierrot Lunaire“, war in Hans Walter Richters Inszenierung die Uraufführung des Abends und Erweis der Sinnhaftigkeit des Engagements der Aventis Foundation, die sich der Frankfurter Erst- und Uraufführungen in der Oper annimmt und für die nächsten drei Jahre ihre mäzenatischen Wohltaten zugesagt hat – ein Fundament, „auf dem sich wahrhaft magische Momente des Musiktheaters entwickeln können“, wie es Intendant Bernd Loebe formulierte. Jetzt war es der 1983 in Moskau geborene Michael Langemann mit seiner „Operette in sieben Szenen“, die so ermöglicht wurde. Langemann ist Schüler von Manfred Trojahn und George Benjamin, was seine Affinität zu tradierten Formen und Idiomen mit deren sedimentierter Gestaltprägnanz im kollektiven Vorbewussten erklärt. Operette und Neue Musik – das wirkt wie eine Herausforderung, die allerdings dank der klangsprachlichen Mittel des Komponisten kleiner war als gedacht. Ein polystilistisches Gewähren lassen bot viele griffige, teils süffige Eindrücke mit so etwas wie klangdramaturgischen Halbvertrautheiten und einem Spiel mit musikalischen Sentenzen, die bei vielen Aussagen des Librettos passgenau und sinnstiftend eingesetzt wurden. Textgrundlage ist vor allem Arthur Schnitzlers Einakter-Zyklus „Anatol“ von 1910, von dem auch die reigenartige Verlaufsform der Operette samt deren GeschlechterDisparitäten in Wort und Geste abgeleitet ist. Eine Ableitung, die nicht wirklich funktioniert. Was im Theaterstück großartige Situationen von ständig enttäuschter Erwartung von Eindeutigkeit und Selbstbestätigung in Liebesdingen sind, das gerät als gesungenes Drama zu endlosem Dialogisieren bei rabiat banalisierter Aussage. Man kann szenisch so gut wie nichts aus den abgründigen und zugleich resignativkomischen Schnitzler-Dialogen machen. Das bisschen Bäumchen-wechsle-dich-Spiel in Unterwäsche zwischen den vielen Betten auf der amourösen Berg-und Tal-Bahn war nicht der Rede wert und höchst trivial. Operette? Ein zähes Vergnügen! So blieb als Eindruck allein die musikalische Kraft des Werks, die von jungen Kräften des Opern-Ensembles vermittelt wurde, für die hier stellvertretend nur Elizabeth Reiter, Nora Friedrichs und Simon Bode genannt seien. Das Opern- und Museumsorchester spielte unter Leitung Petersens etwas blass die Operette korrekt. Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot: 10., 11., 14., 16., 17. Juli. www.operfrankfurt.de