Wo es keine Eltern mehr gibt

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WISSEN & CAMPUS
Frankfurter Rundschau
Samstag / Sonntag, 20. / 21. Dezember 2014
70. Jahrgang
Nr. 296
Wo es keine Eltern mehr gibt
Magdalene Budach aus Frankfurt ist medizinische Leiterin eines Hilfsprojekts für Aidswaisen in Swasiland
Von Pamela Dörhöfer
SWASILAND
ass es nicht Besonderes sei,
keine Eltern und wenig zu
essen zu haben, „dass so ein Leben für die Kinder ganz normal
ist“, das empfinde sie als „vielleicht
das
Allertraurigste“,
schrieb die Kinderbuchautorin
Kirsten Boie nach einem Aufenthalt im Swasiland, wo sie das
Hilfsprojekt „MobiDik“, Mobiler
Dienst für Kinder, unterstützt.
Das kleine Land ganz im Süden
von Afrika hat die weltweit
höchste HIV-Infektionsrate. Die
Elterngeneration ist fast ausgestorben, fast die Hälfte aller Kinder sind Waisen.
Um diesen Mädchen und Jungen zu helfen, gesund zu bleiben
– oder zu werden –, hat die Thomas Engel-Stiftung mit Sitz in
Fulda den mobilen medizinischen
Hilfsdienst „MobiDiK“ Swasiland
ins Leben gerufen, der mehr als
3000 Aidswaisen im ländlichen
Südosten versorgt. Die medizinische Leitung hat eine Frankfurter
Ärztin: Magdalene Burdach, eine
68 Jahre alte Allgemeinmedizinerin, die nach ihrer Zeit mit einer
eigenen Praxis in MörfeldenWalldorf nicht einfach nur den
Ruhestand genießen wollte.
Der kleine Binnenstaat grenzt an
Südafrika und Mosambik und hat rund
1,2 Millionen Einwohner. Die Staatsform ist eine absolute Monarchie,
Staatschef ist König Mswati III.
D
Die Gegend im Südosten
zählt zu den abgelegensten
und ärmsten des Landes
Sie kennt die Familie hinter der
Thomas Engel-Stiftung und war
sofort begeistert, als sie vor vier
Jahren gefragt wurde, ob sie Lust
hätte, sich ehrenamtlich für „MobiDik“ zu engagieren. „Ich bin
hingeflogen und habe gerne zugesagt, weil ich gesehen habe,
wie viel wir dort tun können, um
die Situation der Kinder dort aus
medizinischer Sicht zu verbessern“, erzählt Magdalene Budach:
„Ich war immer mit Leib und Seele Ärztin. Ich habe so viel Tolles
erlebt, da kann ich jetzt gerne etwas abgeben. Außerdem bin ich
abenteuerlustig und reise gerne –
also macht es richtig Sinn.“ Zwei-bis dreimal im Jahr fliegt die
Frankfurterin nun auf eigene Kosten nach Swasiland, um bei dem
Aufbauen von Versorgungssstrukturen zu helfen, Mitarbeiter anzulernen und um selbst medizinische Hilfe zu leisten. „MobiDik“
kooperiert dabei unter anderem
mit den Hilfsorganisation „Hand
in Hand Swasiland“, dem einheimischen Aidsprojekt „NATICC“
und „Ärzte ohne Grenzen“.
Die Gegend Shiselweni, in der
„MobiDik“ aktiv ist, zählt zu den
ärmsten und abgelegensten des
Landes. „Die Straßenverhältnisse
dort sind entsetzlich. Vor allem
nachts, wenn es keine Beleuchtung gibt, ist Autofahren lebensgefährlich“, schildert Magdalene
Budach ihre Eindrücke. Kliniken
oder Krankenstationen gebe es
bei weitem nicht genug, sie seien
meist überlastet und für die Bewohner des Hügellandes schwer
erreichbar – „und auch dort sind
die Zustände „für unsere Verhältnisse unvorstellbar“.
Anlaufstelle für die Kinder wie
auch für die Helfer sind die hundert über das Land verstreuten
„Neighbourhood Care Points“,
kurz: NCPs. Die Organisation
Die Lebenserwartung sank in den vergangenen 20 Jahren von 60 auf 31
Jahre. 45 Prozent aller Kinder – zwölf
Prozent der Bevölkerung – sind Waisen.
Die Armut ist groß: 63 Prozent der
Bevölkerung leben von weniger als
0,60 Cent am Tag.
Magdalene Budach zuhause in Frankfurt. Im Februar fliegt sie wieder nach Afrika.
CHRISTOPH BOECKHELER
Und natürlich ist auch HIV ein
großes Thema: Da etwa 50 Prozent der Schwangeren infiziert
sind, haben die Babies bereits bei
der Geburt ein Ansteckungsrisiko. Deshalb testen die „MobiDiK“-Mitarbeiter die in den Care
Points betreuten Kinder in Kooperation mit der einheimischen Organisation NATICC auf HIV, um
mit einem frühen Therapiebeginn
den Ausbruch der Krankheit zu
verhindern. Auch die schwangeren Frauen sollen möglichst getestet werden: „Wenn sie dann sofort Medikamente bekommen,
kann die Viruslast gesenkt werden. Diese Mütter sind für ihre
Kinder nicht mehr so ansteckend“, erläutert Magdalene Budach. Diese Art der Vorbeugung
sei umso wichtiger, da in Afrika
nur sehr wenige Frauen ihr Kind
per Kaiserschnitt holen lassen –
was in Deutschland bei Schwangeren mit HIV Usus sei.
Die antiviralen Medikamente
sind gut erhältlich, aber viele
nehmen sie nicht konsequent
Vor dem Essen Hände waschen: Das lernen die Kinder in den Care Points als Erstes.
„Hand in Hand Swasiland“ hat sie
eigens zur Versorgung der Waisen
bauen lassen.,Dort kümmern sich
insgesamt 700 ehrenamtliche Betreuerinnen um Kinder zwischen
drei und sechs Jahren. Die Mitarbeiter von „MobiDiK“ schulen diese Frauen unter anderem in Hygiene „Das ist das A und O“, sagt
Magdalene Budach. Außerdem
bekommen die Betreuerinnen
Erste-Hilfe-Kurse, was schon deshalb wichtig ist, weil meist mit offenen Feuer gekocht wird, wie die
Medizinerin erklärt. Die Kinder
erhalten in den NCPs erhalten
Vorschulunterricht, Frauen aus
den umliegenden Dörfern kochen
ihnen unentgeltlich mittags eine
warme Mahlzeit. Viele Kinder
kommen auch zum Spielen. „MobiDik“ steuert 40 dieser Care
Points regelmäßig mit einem geländegängigen
Ambulanzfahrzeug an, das mit einer examinierten Krankenschwester und einer
Assistentin besetzt ist. Ziel ist die
Aufstockung auf drei Fahrzeuge
mit vier Krankenschwestern und
vier Assistentinnen. „Derzeit versuchen wir, jeden Care Point einmal im Monat anzufahren“, sagt
Magdalene Budach.
„Gravierenden Hunger gibt es
in Swasiland zwar nicht, durch
die einseitige Ernährung mit viel
Mais und sonst wenig Gemüse
und Obst leiden die Menschen
PRIVAT
aber häufig an Erkrankungen wie
Diabetes“, erklärt die Ärztin. Zum
Problem werden und nicht selten
zum Tod führen können auch Infektionen durch unversorgte
Wunden oder Krankheiten, die in
den westlichen Industrieländern
durch die Impfkampagnen vergangener Jahrzehnte zurückgedrängt wurden. Zu den Aufgaben
der „MobiDiK“-Mitarbeiter gehören neben der medizinischen
Akut-Versorgung deshalb auch regelmäßige Impfungen gegen Tuberkulose, Diphtherie, Tetanus,
Polio, Hepatitis B, Keuchhusten
oder Masern. Kinder bis fünf Jahre werden alle sechs Monate zudem vorbeugend entlaust.
Die hochwirksamen antiviralen
Medikamente sind heute auch in
Swasiland gut erhältlich, sagt die
Medizinerin, sie würden sogar
kostenlos abgegeben. Allerdings
gebe es ein anderes Problem:
„Viele Frauen nehmen die Mittel
nur unregelmäßig, dann wirken
sie nicht mehr richtig und es können sich Resistenzen bilden, ähnlich wie bei Antibiotika.“
Zudem sei es nicht ganz einfach, das Vertrauen der Einheimischen zu erlangen: Da gebe es
zum einen die Sprachbarriere –
vor allem aber suchten viele Menschen lieber einen Heiler auf, anstatt sich nach westlichen
Maßstäben behandeln zu lassen,
sagt die Ärztin. Gerne würde sie
deshalb mehr Kontakt zu diesen
Heilern aufbauen. Auch die hohe
Promiskuität stelle ein Problem
dar: „Der König mit seinen 14
Ehefrauen ist in dieser Hinsicht
ein schlechtes Vorbild.“ . Doch bei
allem, was fremd erscheint und
manchmal auch Nerven kostet,
sagt Magdalene Budach: „Man
darf ihnen nicht unsere Lebenseinstellung überstülpen wollen.“
Und bewundernswert findet sie,
wie wenig die Menschen, denen
sie begegnet jammern, trotz aller
Verluste in den Familien, trotz
Krankheit und Armut: „Es ist phänomenal, wie zufrieden sie sind.“
Wer „MobiDiK“ unterstützen möchte,
findet alle Informationen im Internet
unter www.mobidik-swasiland.org/
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