management Neuromarketing Bunte Bilder im Kopf Neuromarketing soll helfen, Produkte so an die Konsumenten zu bringen, dass sie alleine schon aufgrund der Verdrahtung in ihrem Gehirn nicht „Nein“ sagen können. 66 Niederrhein Manager 09/12 Neuromarketing Management N euromarketing – gehört hat diesen neumodischen Begriff schon fast jeder. Aber so richtig was damit anfangen kann kaum einer etwas. NIEDERRHEIN MANAGER hat sich aufgemacht, seine Leser aufzuklären. Was ist Neuromarketing überhaupt? Wie kamen Wissenschaft und Wirtschaft hier zusammen? Wie soll Neuromarketing in der Praxis umgesetzt werden? Und was ist bei diesem Konzept kritisch zu betrachten. Neuromarketing – was ist das? Es begann vor etwa 15 Jahren, als sich in der neurologischen Forschung ein neues Messverfahren etabliert hatte, das „fMRT“. Man konnte nun Änderungen der Gehirnaktivität sichtbar machen - und zwar für den Probanden völlig unkompliziert sowie ohne Nebenwirkungen durch Röntgenstrahlen und Kontrastmittel. Die Hoffnung bestand, Sinneswahrnehmungen, Emotionen und Denkprozesse bestimmten Bereichen im Gehirn zuordnen zu können. Zugleich war Marketing bisher durch die klassische Psychologie beeinflusst, gepaart mit der empirischen Marktforschung. Beide Bereiche beginnen mit der Beobachtung des Kaufverhaltens bzw. durch Befragungen der Kunden. Mit der Nutzung der fMRT, so die Vorstellung, konnte man auch in Bereiche vorstoßen, in denen Handlungen völlig unbewusst gesteuert werden, und diese Handlungen durch geschickte Stimulation (Marketing) künstlich hervorrufen. Die denkbaren Anwendungsgebiete sind vielfältig, und es dauerte auch nicht lange, bis sich interdisziplinäre Arbeitsgruppen unter dem Aspekt des Marketing mit dem Thema beschäftigten. Die Geburtsstunde des „Neuromarketing“ hat geschlagen. Die Unternehmen sollen durch ein Zusammenspiel von der klassischen Konsumentenuntersuchung, der Neurochemie, Psychologie und der Biologie Kenntnisse darüber erhalten, wo und wie sie ihre Werbung verbessern können. In Deutschland beschäftigen sich unter anderem die Forscher vom „Center for Economics and Neuroscience“ der Uni Bonn damit, was so alles im Gehirn des Kunden passiert. Vor einigen Jahren ist dort mit Hilfe von fMRT zum Beispiel gezeigt worden, dass ein Gewinn noch befriedigender ist, wenn gleichzeitig ein Mitbewerber verliert. Wissenschaftliche Betrachtung Das Buch „Brain View“ von Hans-Georg Häusel gibt sehr detailliert den Stand der Wissenschaft zu diesem Thema wieder. Hans-Georg Häusel beschreibt drei Emotionssysteme, die im limbischen System beheimatet sind: Stimulanz mit den Unterabteilungen Exploration und Entdeckung Dominanz mit den Unterabteilungen Konkurrenz und Verdrängung Balance mit den Unterabteilungen Sicherheit und Stabilität Jedes Emotionssystem beinhaltet verschiedene Untermodule wie z.B. BindungsModul, Fürsorge-Modul und so weiter. Häusel hat eine sogenannte Limbic-Map aufgestellt, in der die einzelnen Systeme visualisiert werden. Jedes Produkt, aber auch ganze Märkte erhalten ihre Bedeutung und ihren Wert aus den Motiv- und Emotionssystemen, die sie im Gehirn des Kunden aktivieren. Alle Systeme konkurrieren untereinander um die Aufmerksamkeit des menschlichen Wesens. Hierbei gibt es durchaus Interessenkonflikte und Machtkämpfe. Die Forscher haben herausgefunden, dass alle Kräfte in unterschiedlichen Gehirnbereichen arbeiten. Das Dominanzund Stimulanzsystem kann in Regionen gefunden werden, die eher optimistisch und aktivierend sind. Das Balancesystem ist eher in hemmenden und pessimistischen Regionen zuhause. Auf das Kaufverhalten übertragen bedeutet dies: Das Dominanz- und Stimulanzsystem ist dafür zuständig, dass der Kunde viel Geld ausgibt und dadurch Kaufrisiken eingeht. Wohingegen das Balance-System die Sparsamkeit repräsentiert und sich gegen die Ausgaben des Dominanz- und Stimulanzsystems wehrt. Es ist bemerkenswert, dass sich derart blumige Charakterisierungen aus einer sehr einfachen Beobachtung von Hirnaktivitäten in bestimmten Bereichen herleiten lassen sollen. Und weshalb erscheint es so wichtig, den jeweiligen Ort im Gehirn benennen zu können? Aber es geht noch weiter: Konsumenten können je nach Emotionsschwerpunkt in sieben Typen eingeteilt werden: Der Traditionalist Der Harmonisierer Der Offene Der Hedonist Der Abenteurer Der Performer Der Disziplinierte Jeder Typ hat für jede Produktart ein unterschiedlich hohes Interesse. Vorsicht ist geboten bei der Verteilung dieser Typen je nach Geschlecht. Unter den Frauen findet man eher Harmonisierer (40 Prozent) als bei Männern (19 Prozent), wohingegen die Performer bei den Männern (14 Prozent) eher dominieren als bei den Frauen (6 Prozent). Die Massenwerbung muss daher auf das Geschlecht und deren Haupt-Typ abgestimmt werden. Genauso müssen Unterschiede bei dem Alter der Zielgruppe gemacht werden. Die Interessen und Emotionen der Menschen verändern sich im Alter enorm. Im Laufe des Alters kommt es zu erheblichen Veränderungen im Gehirn und im Mix der Nervenbotenstoffe. Während bei jungen Konsumenten das Dominanz- und Stimulanz-System beDas Buch „Brain View“ von Hans-Georg Häusel gibt sehr detailliert den Stand der Wissenschaft zu diesem Thema wieder. Übertragung auf Neuromarketing Jeder Kunde hat seine eigenen Wünsche und Präferenzen, die in seinem individuellen Mix der Motiv- und Emotionssysteme in seinem Gehirn verursacht werden. Dennoch lassen sich Kunden in Prototypen klassifizieren, so die Neuromarketingforschung. Der Grundtyp ist stabil und über die Zeit relativ konstant. Unternehmer sollten die Produkte und Dienstleistungen auf diese Kunden ausrichten, um erfolgreich zu sein. Niederrhein Manager 09/12 67 management Neuromarketing Die Autorin Mitey Abel ist Unternehmensberaterin, Referentin und studierte Master of Mediation. stimmend sind, ist es bei älteren Menschen das Balance-System. Diese altersbedingten Veränderungen im Gehirn haben erheblichen Einfluss auf das Konsum- und Kaufverhalten. Produkte mit hohem Dominanz- und Stimulanz-Charakter verlieren zugunsten solcher mit hohem Balance-Charakter stark an Bedeutung. Praktische Umsetzung Viele Firmen versuchen diesen Machtkampf für sich zu nutzen. Als Beispiel sei hier Volvic-Mineralwasser genannt. In der Werbung steht der Vulkan als Ausdruck von Kraft und Durchsetzung im Vordergrund (Dominanzystem). Auf der Rückseite der Wasserflasche findet der Käufer einen Hinweis, dass ein Teil des Erlöses für die Wasserversorgung in der dritten Welt gespendet wird (FürsorgeModul). Analoge Beispiele können in der Werbung zuhauf gefunden werden. Praktisch umgesetzt bedeutet dies für die Unternehmen: Die Geiz-ist-Geil-Mentalität des Kunden kann mittels der Emotionen umgangen werden. Wenn der Kunde Geld sparen kann, so wird der Lust- und Belohnungskern im limbischen System aktiviert. Der Verlust von Geld führt hingegen zur Aktivierung des Schmerzzentrums im Gehirn, welches unter anderem bei Zahnschmerzen und bei Trennungen aktiv ist. Jedes Unternehmen, welches nun mehr Geld für sein Produkt erwirtschaften möchte, muss den Trennungsschmerz kompensieren. Dies erreicht es am besten durch viele positive Emotionen. Das Produkt muss daher einen hohen emotionalen Wert vermitteln. Dies kann sich ausdrücken durch einen hohen Erlebnischarakter, um das Stimu- 68 Niederrhein Manager 09/12 lanzsystem zu aktivieren. Alternativ kann der Status- und Exklusivitätsnutzen in den Vordergrund gestellt werden, um das Dominanzsystem zu aktivieren (Luxusmarken). Auch möglich ist Sicherheit, Qualität und Zuverlässigkeit hervorzuheben, um das Balancesystem zu aktivieren. Zurück zur Hirnforschung: Hans-Georg Häusel bemerkt, dass viele Marketing-Axiome veraltet sind und kommt zu folgenden Aussagen: Der Kunde fällt seine Entscheidungen zu 70 bis 80 Prozent nicht mehr bewusst. Der Kunde fällt seine Entscheidungen nicht rational, sondern seine Entscheidungen sind immer zugleich emotional und rational. Was bedeutet dies für das Neuromarketing und damit für das Marketing des Unternehmens? Nur wenn Produkte oder Dienstleistungen die Motiv- und Emotionssysteme des Kunden ansprechen, haben sie für ihn einen Wert und führen zu einer Kaufentscheidung. Mit dem Wissen, welche Motiv- und Emotionswelten beim Kunden aktiviert werden, wenn sie an das Produkt / die Dienstleistung denken, kann das Marketingkonzept erfolgreicher umgesetzt werden. Allheilmittel für jedes Unternehmen? Gibt es ein Allheilmittel für jedes Unternehmen? Die Antwort lautet: Nein! Jedes Marketing ist unternehmensabhängig. Daher muss jedes Unternehmen zuerst danach suchen, wofür es steht. Was passt zu dem Unternehmen? Was sind seine Ideale, was will es verkörpern und was ist die Zielgruppe? Um dies herauszufinden, können Unternehmen mit ihren Kunden zusammen unter Anleitung einer erfahrenen Moderatorin wie z.B. Frau Glattes von der Firma Unternehmen Kunde Workshops durchführen. Die Kunden werden in sogenannte Kundenfokusgruppen eingeteilt. Diese Gruppen bilden eine homogene Kundenstruktur, sodass genau diese Zielgruppe im Fokus steht. Die Zusammensetzung der Teilnehmer bestimmen hierbei die Unternehmen, denn die kennen ihre Kunden am besten. In Sequenzen von 3 − 4 Stunden wird herausgefunden, wie die Kunden die Unternehmen und deren Produkte wahrnehmen. Dies hilft, die Seite der Kunden zu verstehen und auch Optionen zu entwickeln, wie die Änderung aussehen könnten. Das Unternehmen erkennt anhand der Reaktion dieser Kundenfokusgruppe sofort, ob die Änderung sich positiv, neutral oder eher negativ auf das Kun- denverhalten auswirkt. Vorsicht ist geboten, wenn das Unternehmen nun von dieser Kundenfokusgruppe auf alle anderen potentiellen Kunden schließt. Dies ist mitnichten so. Denn ansonsten würden alle Menschen auf der Erde mit neon-pinken Uhren, bunten Socken und lustigen T-Shirts herumlaufen und dabei Phil Collins hören. Daher muss für jede Zielgruppe des Unternehmens eine eigene Kundenfokusgruppe zusammengestellt werden. Ist jede in Frage kommende Gruppe analysiert worden, so sollten die Visionen inkl. deren Umsetzung feststehen. Anschließend müssen nur noch der Designer die Verpackung und der Werber die Marketingaktionen auf die neuen Visionen abstimmen. Umsetzungsfahrplan Im Einzelnen sind folgende Punkte hierbei abzuarbeiten: Das Unternehmen muss sich im Klaren sein, wofür es steht und wie es sich am Markt positioniert. Danach wird überprüft, ob diese Botschaft mit der PR, Werbung und dem Flyer in Einklang steht. Falls dies auch gegeben ist, werden die Zusatz-Elemente wie Social Media untersucht und die notwendigen Änderungen vorgenommen. Der Kunde macht sich ein inneres Bild vom Unternehmen und entwickelt Erwartungen an das Unternehmen. Mit diesem inneren Bild geht der Kunde nun ans Unternehmen und vollzieht einen Bildabgleich. Natürlich hilft hierbei auch die Stille Post, da jeder Kunde mit seinem Umfeld kommuniziert. Das Ergebnis kann entweder sein, dass beide Bilder deckungsgleich sind und der Kunde das Produkt kauft, oder die Bilder sind nicht deckungsgleich. In diesem Fall führt es zu einer Enttäuschung beim Kunden und das Produkt wird entweder gar nicht oder maximal ein Mal gekauft. Ein Stammkunde kann so nicht gewonnen werden. Werbung muss auf jeden Fall erlebbar gemacht werden. Das reine Vermitteln von Tatsachen ist nicht ausreichend, um den Kunden zu gewinnen. Auch hier ist die Vorgehensweise sehr plausibel und zielführend. Es erscheint jedoch schleierhaft, inwieweit hier wirklich harte Fakten der Hirnforschung Anwendung finden, oder ob es sich lediglich um den Erfahrungsschatz der Moderatoren dreht. Kritische Betrachtung Die Hoffnungen, die man in die neue Disziplin steckte, waren groß, sodass so manche kritische Stimme auf der Strecke blieb. Machen Neuromarketing Management wir uns abschließend ein Bild davon, was beim fMRT eigentlich passiert. Es finden zwei Messungen statt. Einmal im Ruhezustand, d.h. dass die Versuchsperson mehr oder minder nichts tut. Im Vergleich dazu die Messung in Aktivität z.B. beim Betrachten bestimmter Bilder. Das Gehirn wird nun in rund 130.000 Würfel von jeweils drei Millimeter Kantenlänge eingeteilt, Voxel genannt. Das fMRT ermittelt für jedes Voxel einen Wert, der dem darin stattfindenden Sauerstofftransport entspricht. Dies wird als Maß für Aktivität betrachtet und es entsteht ein dreidimensionales Bild der Hirnaktivität. Aber Achtung: So plausibel diese Methode erscheinen mag, sollte man nicht verschweigen, dass jedes Voxel zwischen 500.000 und drei Millionen Nervenzellen enthält. Inklusive über 100 Kilometern an Nervenbahnen und bis zu 27 Milliarden Kontaktstellen (Synapsen). Kann eine derart grobe Messung etwas so Komplexes beschreiben wie beispielsweise das Erlebnis „Blumenwiese“? Wohl kaum. Nächster Punkt: Ein Modell zu haben, welches Klassifizierungen ermöglicht (z.B. in „Traditionalist“, „Harmonisierer“, etc.) ist sinnvoll. Aber welchen Mehrwert hat die Information, in welchem groben Bereich des Gehirns sich dies abspielt - wenn man die Funktionsweise nicht verstanden hat. Im Alltagsvergleich ist es in etwa so, als ob wir zwar genau wüssten, wo sich im Motorraum unseres Autos der Fluxkompensator befindet, aber keine Ahnung haben, wofür ein Fluxkompensator gut ist. Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass auch Ursache und Wirkung unklar sind. Angenommen, man spielt Jugendlichen Musik von Mozart vor und misst weniger Aktivität als bei älteren Testpersonen. Finden die Jugendlichen Mozart langweilig, weil ihre Neuroaktivität wenig empfänglich dafür ist – oder blieb die Neuroaktivität vermindert, weil sie Mozart langweilig finden? joc h en r o l f e s photographer advertising portraits corporate freestyle Fazit Es scheint fast so, als wäre es in der praktischen Anwendung nicht so wichtig, ob der Bezug zu Hirnaktivitäten wirklich vorhanden ist. Wenn die Ergebnisse einer solchen Untersuchung dem Unternehmen Profit bescheren, so ist dies alle mal ein Erfolg. Und vielleicht sollten wir einfach den Satz aus der Alternativmedizin übernehmen: „Wer heilt, hat Recht!“ Aller Kritik zum Trotz würde die Redaktion zum Abschluss nur allzu gerne wissen, welche Hirnareale bei der geneigten Leserschaft am meisten beim Schmökern in diesem Artikel stimuliert wurden. Autos im Gehirn INFO Lustkern: Nucleus Accumbens Orbitofrontaler Kortex + +0,08 +0,04 0 -0,04 + +0,08 SportWagen +0,04 KleinWagen 0 -0,04 -0,04 -0,04 – – SportWagen jochen rolfes photographer studio: münsterstraße 114 40476 düsseldorf KleinWagen Während der Anblick eines Sportwagens den Lustkern und andere wichtige emotionale Zentren im Gehirn aktiviert, führt der Kleinwagen eher zur Deaktivierung dieser Gehirnbereiche. Niederrhein Manager 09/12 69 studio: 02 11 - 29 36 23 85 mobil: 01 72 - 2 14 81 11 e-mail: [email protected] w w w. j o c h e n r o l f e s . d e