Moses und Georg

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Sonntag, 9. Oktober 2016
15.04 – 17.00 Uhr
Georg Solti.
Von Kai Luehrs-Kaiser
15. Folge: Moses und Georg: Solti für die neue Musik
Herzlich willkommen, meine Damen und Herren. Heute über: Solti und die neue
Musik. Plädoyer für einen Altmeister des Neuen.
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LC 00171
448 8012
Track
004
Béla Bartók
Konzert für Orchester
IV. Intermezzo interotto
London Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti 1965
4’13
Das Intermezzo interotto aus dem „Konzert für Orchester“ von Béla Bartók, hier im
Jahr 1965 mit dem London Symphony Orchestra unter Georg Solti.
Heute geht es um Georg Solti als Anwalt der Neuen Musik. Ist das nicht etwas
übertrieben?, höre ich Menschen flüstern, die der Meinung sind, dass sich Georg
Solti zwar für vieles eingesetzt hat; aber für Neue Musik doch nun nicht so
besonders. Nun, dass dieser Eindruck täuscht, diesem Nachweis gilt (unter
anderem) die heutige Folge unserer Sendereihe.
Wir müssen zunächst jedoch eine kleine, optische Korrektur unserer eigenen, heute
üblichen Begrifflichkeiten anbringen. „Neue Musik“, darunter versteht man heute
vermutlich oft eine Mischung aus Abonnentenschreck auf der einen Seite und
esoterischer Zielgruppenerbauung auf der anderen Seite. Also entweder das
schräge Stück vor der Pause, vor dem sich kein Konzertbesucher in Sicherheit
bringen kann. Oder das hinter verschlossenen Türen von Festivals stattfindende
Dauerexperiment.
Nun, meine Damen und Herren, mein Verhältnis zur Neuen Musik ist keineswegs
polemisch. Wenn ich auch glaube, dass der Dirigent Michael Gielen etwas Richtiges
traf, als er mir einmal sagte: „Helmut Lachenmann war der letzte Komponist der
neuen Musik, der mich wirklich interessiert hat; alles Spätere lässt mich kalt“. Sogar
Michael Gielen ist dieser Meinung.
Uns hier, meine Damen und Herren, muss es zunächst nur darauf ankommen,
unsere Begriffe von Neuer Musik zweckmäßig zu fassen – das heißt: nicht zu viel
darunter zu subsumieren; und nicht zu wenig. Zur Zeit von Georg Solti war nicht
nur der eingangs gehörte Béla Bartók durchaus „neue Musik“. (Bartók gehörte ja zu
Soltis persönlichen Lehrern.)
Georg Solti – 15. Folge
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Auch der folgende Monolog des Komponisten aus der Oper „Ariadne auf Naxos“
wurde zu Lebzeiten des Dirigenten uraufgeführt (und zwar im Jahr seiner Geburt,
1912) Solti hat mit dem Schöpfer des Werkes, Richard Strauss, noch persönlich
zusammengearbeitet. Strauss, Rachmaninoff, Kodaly, ebenso der von Solti
gemiedene Franz Lehár: das alles waren Zeitgenossen. Es war alles (auch wenn es
den heutigen, dogmatischeren Vorstellungen widerspricht): zeitgenössische, neue
Musik.
2
Decca
LC 00171
430 384-2
Track 103
Richard Strauss
“Eselsgesicht! Sehr unverschämter frecher Esel!” aus
“Ariadne auf Naxos”, Vorspiel
Tatiana Troyanos, Mezzo-Sopran (Komponist), René
Kollo, Tenor (Der Tenor), Georg Tichy, Bass-Barition
(Perückenmacher), Edita Gruberova, Sopran
(Zerbinetta), Leontyne Price, Sopran (Primadonna),
Walter Berry, Bass (Musiklehrer)
London Philharmonic Orchestra
Ltg. Georg Solti 1977
7’06
Der Monolog des Komponisten im Vorspiel zu „Ariadne auf Naxos“ in der
Gesamtaufnahme mit dem London Philharmonic Orchestra unter Georg Solti im
Jahr 1977.
Schade, dass Tatiana Troyanos als Komponist der deutschen Sprache nur dem
Vernehmen nach, aber nicht idiomatisch mächtig ist. Ähnliches trifft auch auf
Leontyne Price als Primadonna zu; nicht aber auf Edita Gruberova als Zerbinetta
und auch nicht auf René Kollo als Tenor, Georg Tichy als Perückenmacher und
Walter Berry als Musiklehrer.
Uraufgeführt im Geburtsjahr Georg Soltis 1912, ist die Oper von Strauss noch
durchaus ein Beispiel jener Musik, die Solti als zeitgenössisch empfinden durfte.
Auch wir können dies ja in Bezug auf die Musik der 60er und 70er Jahre
problemlos behaupten, die nicht länger zurückliegt als «Ariadne» zur Zeit Soltis,
und zwar um so mehr, als sich seit dieser Zeit die Musik unserer Gegenwart nicht
grundlegend geändert hat; weshalb ja bis heute Konzertdramaturgen einige Werke
von Schönberg, auch wenn sie schon hundert Jahre alt sein mögen, immer noch als
Losung der Stunde ausgeben können.
Interessanterweise war die moderne E-Musik zu Lebzeiten Soltis eine enorm
vielseitigere, stärker im Umbruch befindliche und buntere, spannendere
Angelegenheit als heute. Wir müssen eben bedenken, dass Strauss, Schönberg und
Gershwin Zeitgenossen waren, und dass der Begriff Moderne noch kein so
‘betonierter’ Begriff war wie dies heute der Fall ist.
Bei keinem Komponisten, finde ich, wird das so deutlich wie bei dem aus Russland
emigrierten, in den USA fleißigen und zwischenzeitlich in der Schweiz lebenden
Serge Rachmaninoff. Rachmaninoff wird von uns heute gemeinhein als ein
Nachzügler der musikalischen Spätromantik, sprich: als pittoresker
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Georg Solti – 15. Folge
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Epochenverschlepper gern abschätzig betrachtet. Als ein Komponist, der den Zug
verpasst und die Zeichen moderner Zeiten nicht recht erkannt habe.
Nun werde ich Ihnen was sagen: Sollte sich Ihnen, meine Damen und Herren, einmal
die Möglichkeit bieten, das Wohnhaus Rachmaninoffs am Vierwaldtstädter See in
der Nähe von Luzern zu besuchen, so rate ich Ihnen, zuzugreifen und die
Gelegenheit nicht zu verpassen! Das Haus – ein Seegrundstück, denn Rachmaninoff
hatte damals bereits gutes Geld verdient – befindet sich in Hertenstein.
Rachmaninoff hat das Haus nach eigenen Entwürfen bauen lassen; auch im
Vergleich mit den übrigen Gebäuden am Ort muss man den Stil des Bauwerks als
ein Statement begreifen; als eine Botschaft. Nun würde man von Rachmaninoff ja
doch wohl erwarten, dass er sich einen schlossartigen Komplex mit Erkerchen,
Türmchen und Zinnen errichten ließ.
Das Gegenteil ist der Fall.
Rachmaninoff ließ sich 1930 in Hertenstein nach eigenen Entwürfen ein
zweistöckiges, weißgetünchtes Schachtel-Haus im Bauhaus-Stil errichten. Ein
Gebäude von prononciertem Anspruch auf Moderne! Wie soll man diesen
scheinbaren Widerspruch zwischen der spätromantisch tonalen Musik und dem
abstrakten Baustil seines Hauses auflösen?
Tja, ganz einfach: Auch Rachmaninoff besaß offenbar ein Selbstverständnis als
Moderner. Auch seine Musik war keineswegs rückwärtsgewandt gemeint. Nur dass
Rachmaninoffs Bild der Moderne offenbar mit Tonalität und mit Harmonie durchaus
vereinbar blieb.
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Decca
LC 00171
448 604-2
Track 003
Serge Rachmaninoff
Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 18
III. Allegro scherzando
Julius Katchen, Klavier
London Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti 1958
11’02
Der 3. Satz: Allegro scherzando aus dem Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 18 von
Serge Rachmaninoff – so weit ich sehe, das einzige Werk des russischen
Komponisten, das von Georg Solti aufgenommen wurde, im Jahr 1958 mit dem
London Symphony Orchestra. Der Solist war Julius Katchen.
Denn: Auch Solti, vom Rand Mitteleuropas kommend, war in Sachen neuer Musik
durchaus ein Mann des musikalischen Zentrums. Damit meine ich: Abgesehen von
einigen ungarischen Komponisten wie Ernö von Dohnanyi und Leo Weiner, die von
wenigen anderen namhaften Dirigenten gepflegt wurden, engagierte sich Solti auch
in Sachen neuer Musik vor allem für das, was schon damals galt.
Bei Urteilen wie diesem muss man zwar vorsichtig sein, denn wir müssen bedenken,
dass der klassische Kanon, den wir bei derlei Erwägungen im Hinterkopf haben, von
Dirigenten wie Georg Solti ja erst gebildet wurde – eben weil er als Zeitgenosse
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Georg Solti – 15. Folge
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vorderster Reihe stand und bei der Etablierung des Rufs moderner Meister
maßgeblich mitgewirkt hat.
Kein anderes Beispiel steht dafür so sehr ein wie das Opern-Hauptwerk des wohl
wichtigsten Komponisten der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Arnold Schönberg.
Schönberg, der Erfinder der Zwölftonmusik, war 1951 in Los Angeles gestorben.
Solti hatte ihn nicht persönlich kennengelernt. Von Schönbergs Witwe jedoch wurde
er nach dem Krieg in Deutschland wegen der Uraufführung der nachgelassenen
Oper Schönbergs, also von “Moses und Aron” konsultiert. Sie bot ihm die szenische
Erstaufführung des Werkes an.
Solti war damals Chef in Frankfurt. Ihm schien die Realisierung des schwierigen,
fragmentarisch hinterlassenen Werkes die Kräfte des Frankfurter Opernhauses zu
übersteigen. So erfolgte die szenische Uraufführung 1957 in Zürich (und zuvor,
1954, konzertant in Hamburg). Und damit nicht unter Leitung Soltis.
Solti, der die Gelegenheit zur Erstaufführung nicht gerne hatte sausen lassen, ließ
die Angelegenheit jedoch keine Ruhe; so dass er 1965, nachdem er Chef am Covent
Garden geworden war, dort das Werk immerhin zu einer britischen Erstaufführung
brachte. Und merkwürdig wiederum: Wie so oft bei Werken, bei denen sich Solti
besonders herausgefordert fühlen musste, funktionierte er besonders gut.
Tatsächlich, und das kann als Zwischenfazit unserer gesamten Sendereihe gelten:
Solti scheint ein Genie des Arbeitens unter Druck gewesen zu sein.
Die offene Rechnung, die er in Bezug auf „Moses und Aron“ mit sich selbst hatte –
denn auch als Schallplattendirigent hatte er noch immer für Schönberg nicht viel
bewirkt... diese offene Rechnung also beglich er 1984, viele Jahre später, dann
doch noch, und zwar glorios. Die Studio-Aufnahme von „Moses und Aron“, dirigiert
von Georg Solti, gehört nicht nur zum Besten, was die Schönberg-Diskographie zu
bieten hat. Auch unter Soltis Opern-Gesamteinspielungen bildet diese Aufnahme
einen absoluten Gipfelpunkt.
Und, apropos Rachmaninoff: Auch für Solti bildeten die musikalische Moderne und
Romantik keine unversöhnlichen Gegensätze. Was an Soltis „Moses und Aron“Aufnahme bis heute bestrickend wirkt, ist gerade die Tatsache, dass er die tonalen
Unterströmungen, die kantablen Bögen und den nachromantischen KlangfarbenRausch der Partiturs Schönbergs unterstrich wie kein anderer vor ihm.
Im Beiheft schreibt Solti:
„Ich kann mich noch lebhaft an meine ängstliche Befangenheit erinnern, mit
der ich 1965 erstmals die Partitur von Moses und Aron studierte.Sie erschien
mir unglaublich schwierig, und ich dachte, ich würde sie nie bewältigen. Aber
seit damals habe ich das Werk mehr als zwanzigmal in London, Paris, Chicago
und New York aufgeführt, und mit jeder Vorstellung wurde die Oper klarer und
weniger kompliziert und erschien dafür umso ausdrucksvoller und
romantischer.“
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Georg Solti – 15. Folge
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Wir hören den Schlussdialog des 2. Aktes mit Franz Mazura als Moses und Philipp
Langridge als Aron.
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Decca
LC 00171
414 264-2
Track 206
Arnold Schönberg
Schluss aus “Moses und Aron”, 2. Akt
Chicago Symphony Orchestra
Franz Mazura, Bass (Moses), Philipp Langridge,
Tenor (Aron)
Chicago Symphony Chorus (Chorleiterin: Margaret
Hillis)
Chicago Sympony Orchestra
Ltg. Georg Solti 1984
10’47
Der Schluss des 2. Aktes, also der Schluss des Fragmentes insgesamt, welches
Arnold Schönberg von seiner Oper „Moses und Aron“ hinterließ. Georg Solti
dirigierte 1984 Chicago Symphony Chorus und Chicago Sympony Orchestra. Die
Solisten: Franz Mazura und Philipp Langridge.
Natürlich ein aufreibendes, nicht eben eingängiges oder liebliches Stück Musik.
Aber lieblich geht es ja auch bei Moses’ Zertrümmerung der Gesetzestafeln nicht
zu. Die Gesamtaufnahme unter Solti wurde, als sie erschien, als ein Wunder an
Geschlossenheit und – Harmonie (wenn man so sagen darf) sofort erkannt. Und das
ist tatsächlich ein Wunder, denn Schönbergs Reihentechnik besteht ja darin, dass
die zwölf Töne der Oktave (Ganz- und Halbtonschritte zusammengerechnet) in
strenger Quotierung verwendet werden. Der zuerst verwendete Ton darf erst
wieder vorkommen, wenn der letzte Ton der Reihe gleichfalls verwendet wurde.
Harmonie ist bei einem derartigen Kompositionsprinzip eigentlich kaum
anzutreffen.
Wie war Solti also verfahren?
„Während der Aufnahme“, so Solti im Booklet zur CD, „habe ich das Chicago
Symphony Orchestra und den Chor immer wieder aufgefordert, das Werk so
zu spielen und zu singen, als sei es von Brahms. Trotz der Komplexität des
Zwölftonsystems wurde das Werk immer leichter, je mehr wir es probten und
spielten. Zu meiner großen Freude wurden die zunächst als hart und dissonant
scheinenden Tonkombinationen zusehends weicher und eingängiger, so dass
alle Ausführenden sie mit Präzision und Leichtigkeit bewältigen konnten.“
Soweit Solti. Gewiss kann man sich hier fragen, ob es denn erlaubt sei, Schönberg
so zu interpretieren, als sei er Brahms. Nun, es handelt sich gewiss nicht um die
einzig mögliche Methode. Aber doch um eine legitime, so lange man dem Notentext
dabei volle Gerechtigkeit widerfahren lässt. (Und das wurde ja bei Solti bislang nicht
bezweifelt.)
Die Methode scheint umso fruchtbarer und historisch interessanter, wenn man das
Brahms-Plädoyer von Schönberg selber berücksichtigt. „Brahms, der
Fortschrittliche“ heißt ein berühmter Aufsatz Schönbergs, erschienen 1950. Das
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Georg Solti – 15. Folge
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Alte ist nicht so unmodern und unzeitgenössisch, wie wir häufig glauben. Und das
Moderne nicht immer so neu wie es das gerne will.
Hier kommt, dirigiert von Georg Solti, zur Abwechslung: Brahms, der
Fortschrittliche.
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Decca
LC 00171
414 487-2
Track 004
Johannes Brahms
Tragische Ouvertüre op. 81
Chicago Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti (P) 1981
13’27
Tragische Ouvertüre op. 81 von Johannes Brahms. Georg Solti mit dem Chicago
Symphony Orchestra 1981.
Die moderne Reichweite des Repertoires von Georg Solti ist keineswegs zu
verachten; aber auch nicht zu überschätzen. Schon 1948/49 in München dirigierte
er Hindemiths „Mathis der Maler“, auch Heinrich Sutermeisters „Raskolnikoff“-Oper
und „Tobias Wunderlich“ von Joseph Haas. 1949 in München auch bereits
Strawinskys „Sacre du Printemps“, ein Werk, mit dem sich andere Dirigenten, z.B.
Karajan, wesentlich mehr Zeit ließen. 1951 folgte „Antigonae“ von Carl Orff, 1953
in Frankfurt Hindemiths „Cardillac“. 1954 brachte Solti in Frankfurt die
„Penelope“-Oper von Rolf Liebermann heraus. Miklos Rosza stand 1955 in
Frankfurt unter anderem mit seinem Violinkonzert auf dem Programm (gespielt von
Jascha Heifetz). 1958 holte man „Dantons Tod“ von Gottfried von Einem nach
Frankfurt.
Das ist keine schlechte Ausbeute!
Am Covent Garden setzte Solti 1961 seinen ersten Akzent bekanntlich mit
Benjamin Brittens „Mittsommernachtstraum“, 1964 folgte „Billy Budd“. Die
folgende Szene der Ellen Orford aus Brittens Oper „Peter Grimes“ unter Georg Solti
entstand noch 1996, nicht lange vor Soltis Tod. Mit Renée Fleming als Solistin.
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Decca
LC 00171
455 7602
Track
006
Benjamin Britten
“Peter seems to have disappeared… Embroidery in childhood
was a luxury of idleness” (Embroidery aria) aus “Peter
Grimes”, 3. Akt
Renée Fleming, Sopran (Ellen), Jonathan Summers, Bariton
(Balstrode)
London Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti (P) 1997
5’55
Die Arie der Ellen Orford aus Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“. Renée
Fleming sang, ihr Partner war Jonathan Summers (in der Rolle des Balstrode).
Georg Solti und das London Symphony Orchestra im Jahr 1997.
Solti und die neue Musik, das bedeutet: Der ungarische Dirigent vollzog an jedem
Ort, an dem er tätig war, eine musikalische Anpassungs-, oder sagen wir besser:
Integrationsbewegung. Aus Ungarn nahm er die zeitgenössischen Komponisten
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
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Georg Solti – 15. Folge
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Bartok, Kodaly, Dohnanyi und Weiner mit. In Deutschland wandte er sich Orff,
Sutermeister, Liebermann, Gottfried von Einem und auch Karl Amadeus Hartmann
zu. In England beschäftigte er sich bereitwillig mit Britten, aber auch mit Elgar,
Delius, Tippett und John McCabe. Und als er dann in Chicago landete, kamen ganz
selbstverständlich amerikanische Komponisten hinzu. Und zwar eine erstaunlich
lange Liste.
Unter den von Solti in Chicago aufgeführten, zeitgenössischen Komponisten
befinden sich Samuel Barber, Easley Blackwood, Stephen Douglas Burton, Elliot
Carter, Aaron Copland, John Corigliano, Paul Creston, George Gershwin, Morton
Gould, Howard Hanson, Charles Ives, George Rochberg, Carl Ruggles, Gunther
Schuller und Leo Sowerby.
Dass seitens der Schallplattenindustrie offenbar wenig Interesse bestand,
Interpretationen der entsprechenden Werke zu fordern oder diese bei Solti
anzuregen, sollte man nicht dem Dirigenten zum Vorwurf machen, der diese Werke
immerhin in Amerika dirigiert hat.
Der Befund ist erstaunlich: Solti hat in seiner Karriere zwar nicht so viel Moderne
dirigiert wie etwa Furtwängler, der als Komponist ganz selbstverständlich Werke
seiner Kollegen in seine Konzertprogramme mit aufnahm. Aber er hat doch wohl
mehr Zeitgenössisches aufgeführt als etwa Karajan, der hier ziemlich wählerisch
blieb (obwohl auch er mehr Modernes aufgeführt hat als man gemeinhin annimmt).
So sehr Solti vom osteuropäischen Rande Mitteleuropas kam, so sehr gelangen ihm
indes gerade mit dem spät herangezogenen Repertoire seiner verschiedenen
Wirkungsstätten erstaunliche Vermittlungsleistungen; zumindest soweit wir dies
beurteilen können. Denn schließlich waren Soltis Begegnungen mit den jeweiligen,
modernen Komponisten doch episodisch. Es waren Stippvisiten.
Fast immer aber, soweit wir uns durch Schallplatten oder Mitschnitte davon ein Bild
machen können, gelangen Solti erstaunlich einschlägige Beiträge zur Interpretation
der betreffenden Werke. So auch im Fall eines der bedeutendsten Komponisten des
20. Jahrhunderts, von dem Solti anscheinend nur ein einziges Orchesterwerk
einstudiert (und aufgenommen) hat. Gemeint ist Alban Berg. Die Aufnahme des
Violinkonzertes mit dem Chicago Symphony Orchestra entstand 1984. Die Solistin
war Kyung-Wha Chung. Wir hören einen Teil des Schlusssatzes: Adagio.
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Decca
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452 720-2
Track 004,
Alban Berg
Violinkonzert
II. Adagio
Kyung-Wha Chung, Violine
Chicago Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti
(P) 1984
8’08
Der Schluss des Violinkonzertes von Alban Berg. Kyung-Wha Chung, Violine, mit
dem Chicago Symphony Orchestra unter Georg Solti, aufgenommen 1984.
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Georg Solti – 15. Folge
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Soltis Repertoire mag man im Nachhinein als mainstreamhaft bezeichnen; und
schon das ist ein bisschen ungerecht, denn was wir heute als Mainstream
empfinden, das wurde von Dirigenten wie Georg Solti eben erst dazu gemacht – und
zwar vermutlich ohne entsprechenden Plan; einfach aus persönlichen Vorlieben
heraus.
Also, Soltis Repertoire mag heute mainstreamhaft wirken. Aber es war nicht
populistisch angelegt (ebenso wenig wie das Karajans). Karajan etwa hat sich
zeitlebens geweigert, eine Aufnahme der “Carmina Burana” von Carl Orff
herzustellen (wozu man ihn mehrfach aufgefordert hatte). Ebenso hat Solti niemals
Wiener Walzer dirigiert, auch keine Märsche – und anscheinend auch nicht die
“Carmina Burana”.
Stattdessen war er sich für die Gang in die musikalische Moderne durchaus nicht zu
schade; eine arbeitsintensive und häufig nicht unbedingt dankbare Aufgabe, wenn
man Publikumserfolg und die Häufigkeit der Anlässe zugrunde legt, für die sich eine
solche Arbeit lohnen kann. Der Umgang mit Komponisten wie Prokofieff,
Strawinsky und Schostakowitsch hingegen war ihm bereits durchaus
selbstverständlich.
Hier kommen aus Schostakowitschs Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70 die Sätze 3 bis
6: Presto, Largo, Allegretto – Allegro im Jahr 1994. Und es klingt, als hätte Solti es
sein Leben lang dirigiert.
8
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LC 00171
444 458-2
Track 005,
006, 007,
Dmitri Schostakowitsch
Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70
III. Presto
IV. Largo
V. Allegretto – Allegro
The Solti Orchestral Project at Carnegie Hall
Ltg. Georg Solti 1994
11’44
Die Sätze 3 bis 6: Presto, Largo, Allegretto – Allegro aus der Symphonie Nr. 9 EsDur op. 70 von Dmitri Schostakowitsch. Georg Solti dirigierte The Solti Orchestral
Project at Carnegie Hall im Jahr 1994, und er festigte so den Standard, hinter den
bis heute selbst Dirigenten, die für konservativ gelten, nicht zurück können. Denn:
Selbst Dirigenten, die sich gerne vorbehaltvoll gegenüber dissonanter neuer Musik
aussprechen, dirigieren sie doch in Wirklichkeit immer wieder. So geht es mit
Christian Thielemann und mit Marek Janowski mit dem Werk von Hans Werner
Henze (Janowski hat sogar eine Gesamteinspielung der Symphonien Henzes
realisiert). So geht es mit Riccardo Muti und Vincent Persichetti und Nino Rota. So
geht es mit Riccado Chailly und Messaien, Varèse und Alfred Schnittke.
Solti hat das Bild des Dirigenten, der – allem Mainstream unerachtet – die
Zuständigkeit fürs Neue behält (nicht abweisen kann), mit in die Gegenwart
getragen. Und das ist ein Verdienst, das wir nicht gering achten wollen.
Hier kommt Georg Solti als Fürsprecher für einen Berliner Komponisten, für den
sich Solti noch ganz selbstverständlich engagierte. Und der heute bereits völlig auf
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Georg Solti – 15. Folge
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der Strecke geblieben zu sein scheint. Bei Solti nicht. Boris Blachers „Variationen
über ein Thema von Paganini“. Mit den Wiener Philharmonikern.
9
Decca
LC 00171
452 853-2
Track 002
Boris Blacher
Variationen über ein Thema von Paganini op. 26
Wiener Philharmoniker
Ltg. Georg Solti
1996
14’14
Variationen über ein Thema von Paganini op. 26 von Boris Blacher. Georg Solti mit
den Wiener Philharmonikern im Jahr 1996.
In der nächsten Woche, meine Damen und Herren, folgen wir Solti über den großen
Teich, dorthin, von wo wir heute schon einige Kunde über Soltis amerikanisches
Repertoire erhalten haben: nach Chicago. Am Lake Michigan begründete Solti eine
der erfolgreichsten Schallplattenepochen eines Orchesters, die es je gab.
Schließen wir mit einer Impression aus Chicago, mit der wir zum Beginn der
heutigen Sendung zurückkehren – und zeigen wir zugleich, wie Solti in Chicago
nicht nur Amerikanisches sich anverwandelte, sondern zugleich den Spieß
umdrehte und dem amerikanischen Publikum slawische Hausmannskost à la Solti
kochte, servierte und schmackhaft machte.
1
0
Decca
LC 00171
443 444-2
Track 009, 010,
011, 012, 013,
014, 015
Béla Bartók
Rumänische Volkstänze
Tanz mit dem Stabe
Gürteltanz
Der Stampfer
Tanz aus Butschum
Schnell-Tanz
Schnell-Tanz
Chicago Symphony Orchestra Ltg. Georg Solti
1993
5’21
Die Rumänischen Volkstänze von Béla Bartók. Georg Solti am Pult des Chicago
Symphony Orchestra 1993.
Nächste Woche also werfen wir einen vertiefenden Blick auf Solti als ReiseDirigenten auf dem amerikanischen Kontinent. Denn freilich: gelebt hat er dort nie!
Mit dabei: eine Kritiker-Fehde vom Feinsten. Und eine kleine Lagebeschreibung der
amerikanischen Orchesterszene und Ästhetik, die in Europa präsenter ist als wir
Freunde Furtwänglers und Karajans es uns möglicherweise träumen lassen.
Bis dahin, Ihnen noch einen schönen Tag, Ihr Kai Luehrs-Kaiser.
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