muss raus! Solti, der Medien-Mogul

Werbung
Sonntag, 11. September 2016
15.04 – 17.00 Uhr
Georg Solti.
Von Kai Luehrs-Kaiser
11. Folge: Alles muss raus! Solti, der Medien-Mogul
Herzlich willkommen, meine Damen und Herren. Heute wird’s gefährlich. Unser
Thema: Alles muss raus! Solti, der Medien-Mogul.
1
Decca
LC 00171
440 618-2
Track 107,
108
Richard Strauss
Also sprach Zarathustra op. 30
(I.) Einleitung
(II.) Von den Hinterweltlern
Samuel Magad
Chicago Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti
1975
5’10
Der Beginn von „Also sprach Zarathustra“, der Tondichtung op. 30 von Richard
Strauss. Georg Solti mit dem Chicago Symphony Orchestra im Jahr 1975. Sie
hörten die Einleitung sowie „Von den Hinterweltlern“.
Ja, und genau dies nicht zu sein: kein Hinterweltler, kein Mauerblümchen, kein Zukurz-Gekommener, darin scheint das Beweis- und Klassenziel des Dirigenten Georg
Solti bestanden zu haben. Ihm gelang es wie keinem anderen, die durch die
Emigration verbauten Chancen mit Hochgeschwindigkeit nachzuholen – fast als
gälte es, Gerechtigkeit zu fordern für die verpassten – und auch wieder nicht
verpassten – Jahre.
Georg Solti, das ist unser Thema heute, wurde zum meistdekorierten,
höchstdotierten, fürstlich honorierten und distribuierten Maestro einer bereits
globalisierten Klassik-Welt. Denn das muss wahr sein: Georg Solti vollbrachte das
Kunststück, kommerziell der am Besten zu vermarktende Pult-Gott seiner Zeit zu
werden. Die Achse zwischen Europa und Amerika verkörperte er noch lukrativer,
noch gewinnbringender als Leonard Bernstein. Aus dem inzwischen sozialistischen
Osten stammend, wurde er zum Inbegriff einer Kapitalisierung der Klassik.
Ist das wirklich so?
Oh ja! Karajan, darauf werden wir später in dieser Sendereihe noch zurückkommen,
hätte gerne in Amerika denselben Erfolg gehabt wie Solti. Er blieb ihm versagt.
Denn Karajans Vergangenheit in der Nazizeit machte auch für die
Schallplattenfirmen, die Geld mit ihm verdienen wollten, einen Strich durch diese
Rechnung. Leopold Stokowski wiederum verkörperte in Amerika durch Funk- und
Fernsehübertragungen den (von Karajan bewunderten) Aufstieg der Klassik zu
einem Massenphänomen. Doch Stokowskis Ausstrahlung erstreckte sich nicht bis
Georg Solti – 11. Folge
Seite 2 von 9
nach Europa. Wilhelm Furtwängler und Arturo Toscanini wiederum waren bereits
gestorben. Die Schallplattenkarrieren eines Dimitri Mitropoulos oder Eugene
Ormandy hielten sich in regionalen oder nationalen Grenzen.
So wartete die klassische Welt in den 60er und 70er Jahren geradezu auf eine
Figur, die den Markt der E-Musik international öffnen konnte. Genau hierfür gab nun
Georg Solti den Takt an. Mit immerhin mehr als 300 Schallplattenaufnahmen, die
bis heute den Grundstock des Back-Kataloges seiner Schallplattenfirma Decca
abgeben. Dieser Riesen-Vorrat hat zugleich verhindert, dass dieses Label nach Solti
überhaupt jemals wieder einen Exklusiv-Dirigenten wie ihn gebraucht hätte.
Motor und Impulsgeber dieser beispiellosen Karriere war – wir haben es festgestellt
– ausgerechnet das Werk Richard Wagners gewesen. Doch jetzt galt es das
aufwändigste und prestigereichste Feld der Klassik weiter auszubauen und im
großen Stile zu bewirtschaften. In Stereo und mit Solisten-Besetzungen, die heute
wie aus dem Bilderbuch zusammengestellt erscheinen.
Den Triumphmarsch aus dem folgenden Werk haben wir hier in dieser Sendereihe
schon einmal gespielt. Doch es waren eben nicht nur die Gusto- und ZugabenStücke, die Solti aufnehmen durfte. Im Aufbruchsfuror der 60er Jahre gelang
Georg Solti mit der Gesamtaufnahme von Aida – aber ebenso mit fast jedem WerkDebüt auf Schallplatte: eine Referenzaufnahme, die bis heute einsam leuchtet.
Zum Beispiel im folgenden: mit Leontyne Price, Jon Vickers und Rita Gorr im Jahr
1962, eine Szene aus dem 3. Akt von Verdis Aida.
2
Decca
LC 00171
460 765-2
Track 209,
210
Giuseppe Verdi
“Fuggiam gli ardori inospiti” und “Tu Amonasro!...
tu!” aus “Aida”, 3. Akt
Leontyne Price, Sopran (Aida), Jon Vickers, Tenor
(Radames),
Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma
Ltg. Georg Solti
1962
9’21
“Fuggiam gli ardori inospiti” und “Tu Amonasro!... tu!” aus dem 3. Akt der “Aida”
von Giuseppe Verdi. Leontyne Price, Jon Vickers und Robert Merrill sangen, Georg
Solti dirigierte eine der besten und typischsten Erfolgsaufnahmen seiner OpernKarriere – hier mit dem Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma im Jahr 1962.
Typisch, weil die punktgenaue Landung mit Herstellung einer Referenzaufnahme
bis heute genau dem Mechanismus der Karriere Soltis entspricht. Betrachten wir es
am Beispiel von Verdis “Aida”. Im Jahr 1962 handelte es sich bei Soltis
Gesamteinspielung um eine der ersten Gesamtaufnahmen dieser Oper in Stereo.
Insofern hatte Solti unter aufnahmetechnischen Gesichtspunkten vergleichsweise
leichtes Spiel.
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Georg Solti – 11. Folge
Seite 3 von 9
Andererseits: eine Fülle wichtigster Gesamtaufnahmen dieses Werkes existierte
schon: diejenigen mit Maria Callas (aus dem Jahr 1955 mit Richard Tucker), ebenso
eine Aufnahme mit der großartigen Zinka Milanov und Jussi Björling (im selben
Jahr) sowie gleich zwei maßstabsetzende Aufnahmen mit Renata Tebaldi, 1952
unter Alberto Erede und 1959 unter Herbert von Karajan. Zu schweigen von
früheren, auch bereits epochalen Aufnahmen etwa mit Gianina Arrangi-Lombardi
(1928), mit Maria Caniglia und Benjamino Gigli (1946 wiederum unter Tullio
Serafin) – und nicht zuletzt mit Herva Nelli und Richard Tucker 1949 unter Leitung
von Arturo Toscanini.
Eine Vielzahl von allerstärksten Konkurrenzaufnahmen!
Solti wiederum hatte freilich mit Leontyne Price – wir haben es gehört! – eine
Protagonistin aufzubieten, die es mit allen früheren Aidas wahrlich aufnehmen
konnte; und die im Grunde alle späteren Sängerinnen dieser Rolle in den Schatten
stellt. Nur ließ Leontyne Price in den frühen 70er Jahren unverdrossen noch eine
zweite Gesamtaufnahme der „Aida“ folgen – mit Placido Domingo als Partner, unter
Leitung von Erich Leinsdorf. Auch Karajan, Muti und Mehta legten in Sachen „Aida“
später noch einmal ordentlich nach.
Dass sich die Solti-Aida in diesem Haifischbecken von Konkurrenzprodukten bis
heute ohne weiteres behaupten kann, gleicht einem Wunder – und spricht eben
doch für den Dirigenten. Es zeigt, dass sich Soltis Erfolg nicht etwa aus bloß
günstigen Startbedingungen erklärt. Ob Solti, der Allesfresser, auch gleichzeitig ein
Alleskönner war, wollen wir nach der nächsten Musik betrachten. Bewegen wir uns
zurück auf symphonisches Repertoire – und hören wir Solti in einem Terrain, auf
dem gleichfalls Mitbewerber zu fürchten sind; und besonders heute, wo dieses
Gebiet nahezu vollständig von den Spezialisten der historischen Aufführungspraxis
okkupiert ist.
Mit dem London Philharmonic Orchestra hören Sie Solti als Haydn-Dirigenten: mit
den Sätzen 3 und 4: Menuett – Allegro molto – Trio und Finale: Allegro di molto aus
der Symphonie Nr. 94 G-Dur. „Surprise“.
3
Decca
LC 00171
436 617-2
Track 003,
004
Joseph Haydn
Symphonie Nr. 94 G-Dur „Surprise“
III. Menuett – Allegro molto – Trio
IV. Finale: Allegro di molto
London Philharmonic Orchestra
Ltg. Georg Solti
1983
9’13
Man erschrickt zunächst – aufgrund der scheinbar hemdsärmeligen Jovialität und
Launigkeit der Aufnahme. Und doch, finde ich, muss man sogleich zugestehen:
einen gewissen Ton der Zugänglichkeit und rasenden Beliebtheit, den Haydn
durchaus besaß, trifft Georg Solti hier gar nicht schlecht – zumal im Finalsatz dieser
Symphonie Nr. 94 G-Dur „Mit dem Paukenschlag“ von Joseph Haydn. Sie hörten
Menuett und Finale.
Man versteht sofort, dass Haydn im Spektrum seiner Zeitgenossen eine zentrale,
und keine von Mozart und Beethoven an den Rand gedrängte Rolle spielte. Diese
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Georg Solti – 11. Folge
Seite 4 von 9
Haydn-Aufnahmen Soltis haben Biss, Drive und einen bisweilen scharfen Witz – und
sie sind deswegen immer noch überaus hörens- und spielenswert. Mit anderen
Worten: Fehlanzeige, sofern es gilt, Solti auf einer Schwäche zu ertappen. Auch
hier, im Fall des gänzlich in Spezialistenhand übergangenen Haydn, bewährt sich
Solti über alle Fachgrenzen und Verfallsdaten hinaus. Das soll nun freilich nicht
heißen, wir hätten es bei dem Allesvertilger Solti mit einem Mann von musikalischer
Unfehlbarkeit zu tun.
„Solti, der Medienmogul“, heißt der Untertitel der heutigen Folge unserer SoltiSendereihe.
Es wird also – bei dem flächendeckenden Engagement von Soltis
Repertoireeroberungen – wohl auch musikalische Felder geben, bei denen er sich
verhauen hat. Bei denen also das Solti-Rezept „Angriff ist die beste Verteidigung“
ins Leere läuft. Nun, es gibt sie; keine Frage. Im Getümmel einer turbomäßig
anziehenden Schallplattenproduktion wurde selbstverständlich auch Georg Solti auf
Werke angesetzt, oder sagen wir ruhig: losgelassen, die seinem Temperament und
seinen musikalischen Fähigkeiten nicht entsprachen. Und sogar auf ureigenstem
Gebiet.
Das folgende Werk von Richard Wagner kam Soltis zupackender Natur gewiss nicht
besonders entgegen. Er hat es – innerhalb seines Zyklus der zehn großen WagnerOpern so spät wie möglich aufgenommen. Aber er hat es aufgenommen.
Schon die Wahl der Solisten verrät, wie ich meine, eine denkbar große Unsicherheit
– und bringt uns damit auf ein Thema (nämlich Sängerbesetzungen), zu dem es in
einer späteren Folge unserer Sendereihe noch einiges Prekäres wird zu sagen
geben. Kurz: Schon mit Wagners ätherischem „Lohengrin“ konnte Solti im Grunde
genommen nicht viel anfangen. Und Jessye Norman als stimmlich zu massive Elsa
und dann auch noch Placido Domingo in der Rolle eines offenbar von weither
angereisten Schwanenritters machen die Sache nicht besser.
Sie hören Elsas Traumerzählung und die anschließende Szene mit Siegmund
Nimsgern als Telramund und Hans Sotin als König Heinrich (und hier ohne
Domingo). Gerade durch vokales Overacting vergaloppieren sich die Protagonisten
– und werden von Solti nicht wieder auf den richtigen Weg gebracht. Die
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Walter Hagen-Groll).
Die Wiener Philharmoniker 1985/86 unter Georg Solti.
4
Decca
LC 00171
436 604-2
Track 002,
002
Richard Wagner
“Einsam in trüben Tagen” (Elsas Traumerzählung)
und “Mich irret nicht ihr träumerischer Mut” aus
“Lohengrin”, 1. Akt
Jessye Norman, Sopran (Elsa), Hans Sotin, Bass
(König), Siegmund Nimsgern, Bassbariton
(Telramund)
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
(Einstudierung: Walter Hagen-Groll)
Wiener Philharmoniker
Ltg. Georg Solti
1985/86
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
9’35
www.kulturradio.de
Georg Solti – 11. Folge
Seite 5 von 9
Kein ganz überzeugender Anfang des „Lohengrin“ von Richard Wagner: Jessye
Norman als Elsa, Hans Sotin als König Heinrich und Siegmund Nimsgern als
Telramund. Sie hörten Elsas Traumerzählung und die anschließende Szene des 1.
Aktes in der Gesamtaufnahme mit der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
(Einstudierung: Walter Hagen-Groll) und den Wiener Philharmonikern unter Georg
Solti, entstanden 1985/86.
Kein wirkliches Ruhmesblatt, und zwar nicht nur wegen der nicht immer idealen
Solisten (am Besten ist Hans Sotin). Sondern auch deswegen, weil Georg Solti mit
den Transparenzgebot und dem klanglichen Feinsinn der Partitur im Grunde nicht
gut zurecht kam. Ein Beleg dafür, dass Solti im Eifer des Schallplattengefechts
vielleicht doch nicht für alles gleichermaßen gut gerüstet war.
Solti hat auf der Universalität seines Könnens – wir haben es verschiedentlich
gehört – großen Wert gelegt; und zwar, ohne die Marktgerechtigkeit dieses
Vermögens jemals kritisch zu reflektieren. Obwohl Solti in einer Atmosphäre der
Konsumkritik und kritischen Sensibilität gegenüber der sogenannten
Kulturindustrie groß wurde und seine Karriere absolvierte, ja mehr noch: obwohl
Theodor W. Adorno in Frankfurt zu seinen wichtigsten Freunden zählte, wurde
ausgerechnet Solti zum Aushängeschild eines Industrie-Establishments der Klassik
– ohne jedes Bedürfnis einer kritischen Abgrenzung. Solti ließ sich für die
Interessen des Schallplattenmarktes einspannen – und verdiente selbstverständlich
fürstlich daran.
Gewiss muss man festhalten, dass Solti in seiner Generation tatsächlich der
Dirigent mit den fast umfassendsten Repertoirekompetenzen war. Das gilt jedoch
erstaunlicherweise nicht für die Anzahl der von ihm dirigierten Komponisten.
Vergleicht man das Schallplatten- und CD-Erbe Soltis mit demjenigen seiner –
kommerziell gesehen – damals schärfsten Konkurrenten, nämlich mit Karajan,
Bernstein und Ormandy, so zeigt sich, dass die Zahl der von Solti dirigierten
Komponisten kaum die Hälfte der von Karajan, Bernstein und Ormandy bewältigten
Klassikernamen ausmacht.
Das bedeutet: Wenn bei uns heute der Eindruck entstanden ist, Solti sei ein (unter
den kommerziellen Spitzendirigenten) besonders vielseitiger Dirigent gewesen, so
liegt dieser (im Grunde falsche) Eindruck nur daran, dass Solti offenbar auf so
vielen Gebieten erfolgreich war.
Tatsächlich, Solti ist auf kaum einem von ihm dirigierten Felder so sehr
‚durchgefallen’ wie zum Beispiel: Karajan bei Schubert und Mendelssohn – oder wie
Bernstein bei Vivaldi. Solti blieb bei seinem Leisten – und dieser Leisten war
erstaunlich lang. Trotzdem muss eingeräumt werden, dass etwa Bernstein ein weit
größeres Portfolio aus zeitgenössischen, amerikanischen Werken vorzuweisen
hatte und dirigierte; ich meine damit jene Vielzahl von Komponisten wie Lukas Foss,
Roy Harris, Charles Ives und William Schuman und vieler, vieler anderer, die
Bernstein auf seinen Schallplatten dirigiert hat. Ähnliches gilt für Karajan als
Dirigent der Werke Arthur Honneggers, Williams Waltons, Karl Komzaks und
Wilhelm Lindemanns.
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Georg Solti – 11. Folge
Seite 6 von 9
All derlei hat sich Solti verkniffen – mit Ausnahme einiger weniger ungarischer
Komponisten, die man, weil sie Soltis Lehrer waren, auch von ihm erwartete.
Nein, keine Frage, Soltis Image des Alleskönners ist ein geschickt (und vielleicht
unbewusst) von ihm erzeugter Eindruck; aber einer, der sich nur in kommerzieller
Hinsicht bestätigen lässt, während er im Übrigen nicht ganz richtig ist. Solti hat
schlicht und ergreifend auf besonders vielen, kommerziell interessanten
Repertoirefeldern reüssiert und prägend gewirkt. Aber die Ränder des Repertoires
haben ihn in Wirklichkeit nicht interessiert.
Überraschendes Fazit: Weniger Komponisten als man vielleicht denken sollte; aber
dabei mehr Treffer, was den Eindruck extremer Vielseitigkeit vortäuschte.
Frage: Gab es kommerzielle Felder, denen sich Solti verschloss? Antwort: wenige!
Die französische Oper etwa, ebenso Rossini, den Solti eher mied, waren – vom
Verkaufsstandpunkt aus betrachtet – keine Komponisten von ausschlaggebender
Bedeutung. So konnte sich Georg Solti zum Beispiel beim Werk von Charles Gounod
ganz entspannt auf das beschränken, worauf er Lust hatte.
Solti, mit anderen Worten, hat genau da funktioniert, wo es sein musste. Er wusste,
worauf es ankommt. Und erwies sich genau darin als der geschickteste Nutznießer
des Schallplattenaufschwungs der 50er bis 90 Jahre.
Von Charles Gounod dirigiert Georg Solti: die Ballett-Musik aus „Faust“.
5
Decca
LC 00171
476 2724
Track 022
Charles Gounod
“Faust” – Ballett-Musik
Orchestra of the Royal Opera House, Covent Garden
Ltg. Georg Solti
1960
15’52
Die Ballettmusik aus „Margarethe“, der „Faust“-Oper von Charles Gounod. Georg
Solti 1960 am Pult des Orchesters des Royal Opera House, Covent Garden.
Solti, ein Mann mit ausgeprägt breiter Repertoirespur und ohne viele Leerstellen im
Menuangebot eines Alleskönners. Das sagend, haben wir, um es kritischer
auszudrücken, Georg Solti als einen Mann des musikalischen Mainstreams
gekennzeichnet. Genau das war er – und genau das war das Geheimnis seines
Erfolgs (zumindest ein nicht unbeträchtlicher Teil davon). Auf mittlere bis lange
Sicht konnte sich die Schallplattenindustrie darauf verlassen, dass Solti in allen
wichtigen Bereichen des Repertoires eine vorzeigbare und gut verkäufliche Ware
produzieren würde. Er hat sein Label, die Decca, dabei so wenig enttäuscht, dass
ihm die Firma ein Leben lang treu blieb. Es war in dieser Liebesgeschichte zwischen
einer Firma und einem Dirigenten überhaupt kein Ende abzusehen. Das ist etwas
Besonderes.
Karajan und Bernstein, zum Vergleich, wechselten virtuos zwischen verschiedenen
großen Labels hin und her. Eugene Ormandy in Philadelphia blieb zwar (ähnlich wie
Solti) seinem Label treu (dies war die CBS); aber Ormandys Ausstrahlungskraft
beschränkte sich vor allem auf den amerikanischen Markt.
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Georg Solti – 11. Folge
Seite 7 von 9
Heute, um einen Vergleich anzustellen, können Sie ähnliche Treueverhältnisse wie
bei Ormandy und Solti zwar wieder beobachten; zum Beispiel bei Simon Rattle, der
im Grunde alle seine CDs für die EMI gemacht hat. Nur dass der Schallplattenmarkt
heute (im Vergleich zu früher) so sehr geschrumpft ist, dass man aus einer solchen
Treue keine großen Schlüsse mehr ziehen kann. Im Klartext: Simon Rattle war
niemals ein für eine Schallplattenfirma so interessanter Dirigent wie Georg Solti es
damals für die Decca war – einfach weil früher die Absatzzahlen und
Verdienstmöglichkeiten der großen Firmen ganz andere waren.
Solti jedenfalls war ein Mann des Industrie-Kerngeschäfts. Und dies müsste nicht
eigens betont werden, hinge damit nicht (wie ich glaube) eine gewisse
Geringschätzung zusammen, die Solti immer wieder entgegengebracht wurde –
vielleicht nicht ganz zu Unrecht.
Aus dem Umstand, dass Solti künstlerisch guten und kommerziell sehr guten Erfolg
hatte, wurde nämlich immer wieder – sei es offen oder versteckt – der Schluss
gezogen, es handle sich bei ihm im Grunde genommen um einen Dirigenten aus der
2. Reihe, der sozusagen aufgrund glücklicher Umstände bei den aktuellen
Börsenwerten in die 1. Reihe aufgerückt sei. Dieser Eindruck wird gern und oft
erzeugt; er ist jedoch, wie ich meine, trotz allem falsch; die Qualitäten von Solti
etwa als Verdi-Dirigent, aber auch bei Mahler, Bruckner und Teilen des WagnerRepertoires sind zu spezifisch (und zu selten), als dass man sie diesem Dirigenten
nicht gutschreiben müsste.
Daraus folgt: Solti ist besser als sein Ruf.
Tatsache ist aber auch, dass schon mit Solti aufgrund einer geringen Innovativität
seines Repertoires ein gewisser Ausverkauf dieses Repertoires begann. Damit
meine ich: Solti blieb fast vollkommen auf der Repertoire-Fährte, die ihm von seinen
Vätern und Vorbildern vorgezeichnet war. Er zeichnet sich weder in technischer
Hinsicht (wie etwa Karajan) durch eine besondere Neugierde auf neue Medien aus.
Noch hat er innovativ in Bezug auf das Repertoire eingewirkt. Bartok etwa
dirigierten auch andere Dirigenten nach dem Krieg, z.B. Ferenc Fricsay, Fritz Reiner
und Ormandy. Die Mahler-Renaissance, um ein anderes Beispiel zu zitieren, wurde
von Bruno Walter und von Leonard Bernstein ausgelöst; und von Solti nur
gewinnbringend ausgenutzt.
Genau in dieser Eigenschaft, in jede Lücke hineinzuspringen, die andere für ihn
aufgetan hatten, erwies sich das eigentliche Genie Soltis. Achten wir es nicht
gering. Seither hat niemand mehr ein solches Talent wie Solti darin bewiesen, es
sich in gemachten Betten bequem zu machen.
6
Decca
LC 00171
475 9988
Track 101, 102,
103, 104
Richard Strauss
Einleitung und 1. Szene aus “Der Rosenkavalier”, 1.
Akt
Yvonne Minton, Mezzo-Sopran (Octavian), Régine
Crespin, Sopran (Marschallin)
Wiener Philharmoniker
Ltg. Georg Solti
1968
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
16’10
www.kulturradio.de
Georg Solti – 11. Folge
Seite 8 von 9
Einleitung und 1. Szene aus dem “Rosenkavalier”, der Oper von Richard Strauss
und Hugo von Hofmannsthal. Sie hörten Yvonne Minton (als Octavian) und Régine
Crespin (als Marschallin). Die Wiener Philharmoniker unter Georg Solti im Jahr
1968.
Ein gutes Beispiel dafür, wie Solti, der Medien-Mogul, sich in das gemachte Bett
einer vielfach sehr gut aufgenommenen Oper legte – und trotzdem gute Figur
machte. Diese Aufnahme des «Rosenkavalier» rangiert zwar nicht unbedingt gleich
auf mit den klassischen, unschlagbaren alten Aufnahmen von Erich Kleiber und
Herbert von Karajan. Aber sie kommt doch – zumal als Stereo-Aufnahme! – gleich
danach, und hat einen von diesen beiden Vorgängern erstaunlich unabhängigen,
originellen Weg in das Werk gefunden – nämlich als Ausdruck eines nicht zu
stoppenden musikalischen Kraftquells, den ja doch auch schließlich Strauss selber
in sich entdeckt und freigesetzt hatte.
Und: Interessant auch das Produktionsdatum der Aufnahme: 1968. Um es hier
noch einmal zu pointieren: Kein anderer Dirigent – höchstens der Adorno-Schüler
Michael Gielen – stand der Kulturkritik im Deutschland der Nachkriegszeit so nahe
wie Georg Solti. Schließlich hat ihm Theodor W. Adorno, der wohl wichtigste
Repräsentant der Frankfurter Schule, die Partituren Mahlers und Bruckners direkt
mit dem Auftrag übergeben, sich mit dieser Musik auseinanderzusetzen. Und doch
firmiert kein anderer Dirigent so sehr als Aushängeschild einer die eigenen
Resourcen so sehr ausbeutenden Musikindustrie.
Solche Widersprüche sind in der Klassik kein Einzelfall. Als Meister aller KommerzKlassen müsste man in der Zeit nach Solti, wenn man die Zahl der Aufnahmen und
die Wendigkeit gegenüber dem Zeitgeist zugrunde legt, auf jeden Fall den
Dirigenten Claudio Abbado nennen. Auch er ein Repräsentant sogar der
intellektuellen Linken, der dennoch in kommerzieller Hinsicht einen sicheren,
konformeren und gewinnorientierteren Kurs fuhr als fast jeder andere Dirigent
seiner Generation.
Sie stutzen? Schauen Sie sich die Breite der Aufnahmetätigkeit Abbados nur einmal
an. Er hat nichts ausgelassen und kann als kommerziell erfolgreichster Dirigent
nach dem Ende der Ära Karajans und Soltis gelten. Und Abbado hatte dabei noch
dazu (was sich Solti erspart hat) immer gleichsam einen kulturkritischen Spruch auf
den Lippen (und ein Bekenntnis zu Lugi Nono sowieso).
Nichts gegen Claudio Abbado! Aber auch nichts gegen Georg Solti! Sie gaben den
großen Jahren der Schallplattenindustrie, was diese wollte. Und nahmen dabei, was
man ihnen als Dividende versprach. Hätten wir nicht diese Großverdiener des
musikalischen Establishments, wir hätten auch viele der Aufnahmen nicht, die
dieses Erbe bewahren und für die Zukunft tradieren.
Wollten wir kulturpessimistisch sein, so könnten wir sogar noch einen Schritt weiter
gehen und sagen: Georg Solti hat die großen Jahre der Stereophonie von Anfang
bis zum Ende, von der Wiege bis zum Grabe mitgemacht, geprägt und für sich
auszunutzen gewusst. Und er hat den dazu passenden Titel auch gleich noch
mitdirigiert: „Von der Wiege bis zum Grabe“, die Tondichtung von Franz Liszt; 1974
im schönen Paris.
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Georg Solti – 11. Folge
7
DG
LC 00173
00289 477
9525
Track 603
Seite 9 von 9
Franz Liszt
„Von der Wiege bis zum Grabe“ S 107
Orchestre de Paris
Ltg. Georg Solti
1974
14’48
„Von der Wiege bis zum Grabe“ von Franz Liszt. Georg Solti mit dem Orchestre de
Paris im Jahr 1974.
„Alles muss raus“ war der Titel dieser Folge unserer Sendereihe über Georg Solti –
über Solti als Medienmogul. Dieser Titel sollte aussagen, dass mit Georg Solti ein
Mann des musikalischen Massenpublikums in der Schallplattengeschichte
reüssierte, der nicht nur fast mehr aufgenommen hat als die meisten seiner
Kollegen; sondern dass Solti mit dieser ausgiebigen Aufnahmepolitik auch
gleichsam für Generationen im voraus Schallplatten hergestellt hat.
Von einem nicht billig aufzunehmenden Orchesterwerk wie dem eben gehörten
etwa gibt es bis heute kaum neuere Aufnahmen vorzuweisen. Mit Georg Solti
begann also in gewisser Weise ein Ausverkauf der Klassik in dem Sinne, dass man
mit Solti bei dem Repertoire stehenblieb, das schon vor ihm aufgetan und auch
dargestellt worden war; während kaum Neues mehr dazu kam.
Der Sachverhalt klingt abstrakt. Ich kann es Ihnen konkreter beschreiben. Zum 100.
Geburtstag des Dirigenten im Jahr 2012 plante die Schallplattenfirma Soltis, die
zur Universal gehörende Decca, im Grunde gar nichts. Warum nicht? Nun, man
sagte: „Wir haben das Solti-Repertoire ja schon wieder und wieder veröffentlicht.
Hier ist schlicht und ergreifend nichts mehr zu tun.“
Auch schön: Georg Solti hat sich die große Zeit seines Wirkens mehr oder weniger
noch direkt auszahlen lassen können... Er hat die beste Zeit seiner Karriere voll
miterlebt. Davon konnten die Komponisten, dessen Werke er dirigierte, alle nur
träumen...
8
Decca
LC 00171
436 620-2
Track 001
Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonie Nr. 40 g-Moll KV 550
I. Molto allegro
Chamber Orchestra of Europe
Ltg. Georg Solti
1984
8’20
Der 1. Satz: Molto allegro aus Mozarts Symphonie Nr. 40 g-Moll KV 550. Georg
Solti hier zur Abwechslung einmal mit dem Chamber Orchestra of Europe im Jahr
1984.
In der kommenden Woche macht Georg Solti hier einen Hausbesuch. Nicht bei uns.
Sondern in Garmisch bei einem Komponisten, von dem er wichtige Instruktionen für
sein ganzes künftiges Dirigentenleben erhalten sollte. Und an dessen Lippen er
hing, bis die Ehefrau des Komponisten Richard Strauss, Pauline Strauss, ihn unsanft
aufforderte, jetzt müsse er aber gehen, denn der alte Mann brauche jetzt seinen
Mittagsschlaf.
Auch wir müssen jetzt gehen. Bis zur nächsten Woche, Ihr Kai Luehrs-Kaiser.
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Herunterladen