Heft 2/2006 ISSN 0940-4163 C 21234 Militärgeschichte im Bild: Auswahlmannschaft der Panzerbrigade 14, 1961 Internationaler Kongress in Potsdam: XXXII. CIHM Tirpitz in der Weimarer Republik Fußball im Ersten Weltkrieg Niederländische Landesverteidigung Impressum Editorial Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt durch Oberst Dr. Hans Ehlert und Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.) Produktionsredakteur der aktuellen Ausgabe: Oberleutnant Julian-André Finke M. A. Redaktion: Major Heiner Bröckermann M.A. (hb) Oberleutnant Julian-André Finke M.A. (jf) Hauptmann Thorsten Loch M.A. (tl) Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) Mag. phil. Michael Thomae (mt) Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig Redaktionsassistenz: Richard Göbelt, Cand. Phil. Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Layout/Grafik: Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Militärgeschichtliches Forschungsamt Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam E-Mail: MGFARedaktionMilGeschichte@ bundeswehr.org Telefax: (03 31) 97 14 -507 Homepage: www.mgfa.de Manuskripte für die Militärgeschichte werden an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Honorarabrechnung erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise, fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung durch die Redaktion und mit Quellenangaben erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen auf CD-ROM. Die Redaktion hat keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte derjenigen Seiten, auf die in dieser Zeitschrift durch Angabe eines Link verwiesen wird. Deshalb übernimmt die Redaktion keine Verantwortung für die Inhalte aller durch Angabe einer Linkadresse in dieser Zeitschrift genannten Seiten und deren Unterseiten. Dieses gilt für alle ausgewählten und angebotenen Links und für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder Banner führen. »Die Welt zu Gast bei Freunden.« Unter diesem Motto beginnt am 9. Juni in Deutschland die Fußballweltmeisterschaft, zu der neben 32 teilnehmenden Mannschaften auch über drei Millionen Fans erwartet werden. Die aktuelle Ausgabe der Militärgeschichte wird sich ebenfalls dem »König Fußball« widmen. Vor diesem Hintergrund zeichnet Peter Tauber in seinem Beitrag »Schickt uns Fußbälle ...« ein Bild von der Bedeutung des Fußballs für deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg. Zugleich skizziert sein Artikel auch die Entwicklung des Fußballsports in Deutschland an sich. Mit den Ausführungen von J. van Hoof über die Bedeutung des Wassers in der niederländischen Landesverteidigung liegt darüber hinaus ein internationaler Beitrag vor, der gleichzeitig die Strategiereihe fortsetzt. Zuletzt beleuchtet Michael Epkenhans Großadmiral Alfred von Tirpitz vor dem Hintergrund seines Wirkens in der Weimarer Republik. Das Motto der Fußballweltmeisterschaft gilt in diesem Jahr auch für das MGFA in besonderer Weise. In unserem Hause findet im August die XXXII. Tagung der Internationalen Kommission für Militärgeschichte (CIHM) statt, die ebenfalls einen gebührenden Platz im vorliegenden Heft findet. Der bereits angekündigte Artikel von Klaus-Jürgen Bremm über die Anfänge der Kriegsberichterstattung wird im dritten Heft des Jahres 2006 nachgeholt. Nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch in der Redaktion der Militärgeschichte herrscht Bewegung: Während wir mit Thorsten Loch und Agilolf Keßelring zwei bewährte Mitglieder ziehen lassen müssen, können wir Matthias Nicklaus als »Neuen« in unserer Mitte begrüßen. Bei der Lektüre der zweiten Ausgabe im Jahre 2006 wünsche ich Ihnen viel Freude Abbildungsnachweis: (S.4: CIHM-Logo/Foto): Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg © 2006 für alle Beiträge beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung. Druck: SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden ISSN 0940-4163 Julian-André Finke M.A. Oberleutnant Inhalt Militärhistoriker aus 35 Ländern der Welt zu Gast bei Freunden 4 Das historische Stichwort: Die Suezkrise von 1956 22 Der XXXII. Internationale Kongress des Comité International d’Histoire Militaire (CIHM) »Graue Exzellenz« und politischer Strippenzieher. Großadmiral Alfred von Tirpitz in der Weimarer Republik Service 8 Medien online/digital 24 Lesetipp 26 Ausstellungen 28 Geschichte kompakt 30 Militärgeschichte im Bild Fußball in der Bundeswehr 31 Dr. Michael Epkenhans, geboren 1955 in Rheda-Wiedenbrück, Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh »Schickt uns Fußbälle ...«. Die Bedeutung des Fußballs für deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg 14 1961 wurde auf Initiative des Brigadekommandeurs Oberst Molinari in der Panzerbrigade 14 in Koblenz eine der ersten Fußballmannschaften der Bundeswehr aufgestellt. Das vorliegende Bild stellt eine der ersten Aufnahmen dieser Mannschaft dar. Peter Tauber M.A., geboren 1974 in Frankfurt a.M., Historiker Ein »flüssiger Verbündeter«. Die Rolle des Wassers in der niederländischen Landesverteidigung Drs. J.P.C.M. van Hoof, geboren 1949, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Niederländischen Institut für Militärgeschichte, Den Haag Foto: Privatbesitz Thorsten Loch 18 Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Oberstleutnant Dr. Gerhard P. Groß, MGFA; Oberst Dr. Winfried Heinemann, MGFA; Wissenschaftlicher Direktor Dr. Dieter Krüger, MGFA; Stephan Theilig, Berlin Internationale Militärhistorikertagung Militärhistoriker aus 35 Ländern zu Gast bei Freunden Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Oberst Dr. Hans Ehlert M ilitärgeschichte lebt – wie jede Wissenschaft – vom Dialog, auch über Grenzen hinweg. Im August 2006 versammeln sich die Spitzen der internationalen »Zunft« (CIHM, Comité International d’Histoire Militaire) unter der Schirmherrschaft des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz-Josef Jung, in Pots- 4 dam zu ihrem XXXII. Internationalen Kongress. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt richtet ihn aus. Die Tagung steht unter dem Motto »Nationalstaat, Nationalismus und Militär« – ein breit gefächertes Thema, das eine Vielzahl von Vorträgen erlaubt. Die nationalen Delegationen haben Beiträge angekündigt, die von Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 der biblischen Geschichte bis zum Einsatz von Militär in den Krisenregionen der Gegenwart reichen. Da Militärhistoriker aus Lateinamerika und Korea, aus Jordanien und Marokko, dem Senegal und Irland und gut 30 weiteren Nationen vertreten sein werden, sind spannende Diskussionen zu erwarten. Erstmals in diesem Jahr dabei: Angola. Die Präsidenten und Generalsekretäre, die nationalen Delegation insgesamt erwarten aber auch, Einiges von Potsdam und Berlin zu sehen. Natürlich wird die Deutsche Kommission für Militärgeschichte ihre Gäste nicht nach Hause reisen lassen, ohne ihnen Schloss Sanssouci und Schloss Cecilienhof gezeigt zu haben. Und für die mitreisenden Damen stehen Besuche im Kloster Lehnin oder in der Alten Nationalgalerie auf dem Programm. Der Präsident des Deutschen Bundestages, der Bundesminister der Verteidigung und der Ministerpräsident des Landes Brandenburg werden die hochrangigen Gäste empfangen. Sie betonen damit auch die Bedeutung einer modernen Militärgeschichte für unser Land. Jenseits des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Programms steht der Wunsch, Kontakte zu knüpfen. Da werden gemeinsame Forschungsvorhaben besprochen, da wird die Archivsituation in anderen Ländern diskutiert. »Haben Sie schon gehört, dass Oberst Dr. Hans Ehlert Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und Präsident der Deutschen Kommission für Militärgeschichte Military historians of the world – coming to see friends Like any other science, military history requires dialogue, even international dialogue. In August 2006, the heads of international military history (ICMH, International Commission for Military History) will assemble in Potsdam, under the patronage of Dr. Franz Josef Jung, German Minister of Defence, to hold their XXXII. International Congress for Military History. The Military History office (MGFA) has been tasked with organising the event. The Congress will discuss “Nation State, Nationalism, and the Military” – a wide-ranging topic which allows for a large number of papers to be presented. The national delegations have announced presentations ranging from biblical history to military operations in today’s crisis regions around the globe. As historians from Latin America and Korea, from Jordan and Morocco, from Senegal and Ireland as well as some 30 other nations have registered, lively debates can be expected. For the first time, Angola will be represented. Of course, the national presidents and general secretaries, as well as the entire delegations, expect to see the sites of Potsdam and Berlin. The German Commission for Military History will not want its guests to travel home without having seen Sanssouci and Cecilienhof palaces. Partners accompanying historians will get to see Lehnin monastery, or the Old National Gallery. The President of the Bundestag, the Prime Minister of Brandenburg, and the Minister of Defence will receive the high-ranking guests, indicating at the same time their appreciation of the importance of military history. Beyond the academic and social programmes, there is the desire to maintain old contacts and make some new ones. Joint research projects will be discussed, other nations’ archival situation will be commented upon: “Did you hear, the Poles have opened up documents relating to the Warsaw Pact?!” As mentioned above, military history – like any other science – calls for international dialogue. The XXXII. International Congress for Military History in Potsdam will offer a forum for it, and I am looking forward to greeting guests from all over the world. Colonel Dr. Hans Ehlert Commanding Officer, MGFA, and President of the German Commission for Military History Des historiens militaires du monde entier invités chez des amis Comme toute autre science, l’histoire militaire vit du dialogue dépassant aussi les frontières nationales. En août 2006, les sommités de la «corporation» internationale d’historiens militaires (CIHM, Commission Internationale d’Histoire Militaire) se réunissent à Potsdam où se tient le XXXIIe Congrès international d’histoire militaire qui est placé sous le patronage du Ministre allemand de la défense, Dr. FranzJosef Jung. Le Centre allemand d’études d’histoire militaire est chargé de son organisation. Le Congrès est organisé sur le thème «État-nation, nationalisme et armée», un sujet suffisamment complexe pour pouvoir compter sur de nombreuses conférences scientifiques. Les contributions annoncées par les délégations nationales vont de l’histoire biblique aux interventions des armées dans les régions de crise du présent. La participation d’historiens militaires de l’Amérique latine et de la Corée, de la Jordanie et du Maroc, du Sénégal et de l’Irlande ainsi que de trente autres nations laisse présager des discussions passionnantes. L’Angola y participe pour la première fois. Les présidents et les secrétaires généraux ainsi que tous les membres de délégation espèrent aussi faire connaissance de la ville de Potsdam et bien sûr de Berlin. Il en va de soi que la Commission allemande d’histoire militaire ne les laisse pas rentrer chez eux sans leur avoir fait visiter les châteaux de Sans-Souci et de Cecilienhof. Le programme culturel pour les conjoints prévoit une visite du cloître de Lehnin et de l’ancienne galerie nationale à Berlin. Le président du Bundestag allemand, le Ministre fédéral de la défense et le ministre-président du Land de Brandebourg vont accueillir les invités de haut rang, soulignant, par là, l’importance de l’histoire militaire moderne pour notre pays. Au-delà du programme scientifique et social, il y a le désir du contact. On discute des projets de recherches communs ou de la situation en matière d’archives dans d’autres pays : «Avezvous déjà entendu que la Pologne a déclassifié des documents sur le Pacte de Varsovie?!». L’histoire militaire, comme je viens de dire, vit du dialogue comme d’ailleurs toute autre science. Le XXXIIe Congrès international d’histoire militaire à Potsdam se veut un lieu de dialogue. C’est dans ce sens que je souhaite la bienvenue à nos invités venus du monde entier. Colonel Dr. Hans Ehlert Directeur du Centre allemand d’études d’histoire militaire et Président de la Commission allemande d’histoire militaire Kongresshotel am Templiner See / Foto: Hannemann die Polen Akten zum Warschauer Pakt freigegeben haben?!« Wie gesagt, Militärgeschichte lebt – wie jede Wissenschaft – vom Dialog. Der XXXII. Internationalen Kongress für Militärgeschichte in Potsdam wird dazu ein Forum bieten. Dazu begrüße ich herzlich unsere Gäste aus aller Welt. Luftaufnahme vom Tagungsort in Potsdam. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 5 Internationale Militärhistorikertagung SKA/IMZBw/Sandra Elbern Oberst Dr. Winfried Heinemann. Die Internationale Kommission für Militärgeschichte »CIHM« – ein Kürzel, das nicht jeder kennt. Dahinter verbirgt sich die Internationale Kommission für Militärgeschichte, auf französisch »Commission Internationale d’Histoire Militaire«. Das ist die Dachorganisation von weit über dreißig nationalen Kommissionen für Militärgeschichte, zugleich aber auch eine Unterorganisation des Internationalen Historikerverbandes und damit letztlich der UNESCO. Die CIHM entstand 1938, ging in den Wirren des Zweiten Weltkriegs unter, wurde dann aber wiederbegründet. Seit den 1970er Jahren gehörten ihr auch die beiden deutschen Staaten, Bundesrepublik und DDR, an. Mit der Wende 1990 hörte die damalige Kommission für Militärgeschichte der DDR auf zu bestehen. Die CIHM versteht sich als ein Forum für den Austausch fachhistorischer Erfahrungen und Anregungen. Dazu veranstaltet sie einmal jährlich – in wechselnden Staaten – einen Internationalen Kongress für Militärgeschichte. In diesem Sommer findet er in Potsdam statt, ausgerichtet von der 6 Deutschen Kommission und dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt unter der Schirmherrschaft des Bundesministers der Verteidigung. An diesen Kongressen nehmen regelmäßig rund 250 Delegierte der nationalen Kommissionen teil, teils sehr hochrangige Professoren und Generale/Admirale. Jeder Kongress befasst sich mit einem vorher festgelegten Thema, zu dem die nationalen Delegationen Beiträge einbringen können. In diesem Jahr werden zu »Nationalstaat, Nationalismus und Militär« über 50 Vorträge erwartet. Durch die internationale Zusammenarbeit stärkt die CIHM auch die Stellung der Militärhistoriker in den jeweiligen Mitgliedsländern. Nicht in allen Staaten ist der freie Zugang zu militärischem Aktenmaterial selbstverständlich, und bestimmte Themen wie etwa der Kalte Krieg werden in einigen Ländern nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Da hilft es, wenn auf internationaler Ebene Anstöße gegeben werden oder wenn interessierte Forscher auf die liberalere Praxis im jeweiligen Ausland verweisen können. Eine weitere Serviceleistung der CIHM ist die jährlich herausgegebene kommentierte Bibliografie zur Militärgeschichte – eine Liste der wichtigsten Neuerscheinungen auf dem Fachgebiet. Mit einer knappen Inhaltsangabe und Bewertung versehen ist die Bi- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 bliografie ein wichtiges Hilfsmittel für alle, die sich darüber informieren wollen, zu welchen Themen international gerade geforscht wird. Auch die Militärarchivare der beteiligten Nationen haben sich einem internationalen Arbeitsausschuss zusammengeschlossen – den Vorsitz führt derzeit der Leiter des Bundesarchiv-Militärarchivs, Dr. Hans-Joachim Harder. Der Deutschen Kommission für Militärgeschichte gehören gut 70 Historiker an, darunter Vertreter der wichtigsten Institutionen – vom Lehrstuhlinhaber der Professur für Militärgeschichte an der Universität Potsdam über aktive und ehemalige Angehörige des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes bis hin zu den einschlägigen Archivleitern. Präsident ist gemäß der Satzung immer der jeweilige Amtschef des MGFA, derzeit Oberst Dr. Hans Ehlert. Inzwischen haben sich international auch weitere Formen des Austauschs entwickelt. Da gibt es das »Parallel History Program«, die »Military History Working Group« oder das »Cold War International History Project«. Die Internationale Kommission für Militärgeschichte CIHM ist die Älteste und Umfassendste von ihnen. Oberst Dr. Winfried Heinemann Generalsekretär der Deutschen Kommission für Militärgeschichte The International Commission for Military History “ICMH” – not everybody would know that this stands for the International Commission for Military History, uniting more than 30 countries’ national commissions for military history, and ultimately a sub-organisation of UNESCO. The ICMH dates back to 1938, and although it perished during World War II, it was re-founded in the postwar period. From the 1970s to 1990, both German states, the Federal Republic and the GDR, were members; then the Commission for Military History of the German Democratic Republic ceased to exist. The ICMH sees itself as a forum for the exchange specialist knowledge and impulses. To facilitate this, a congress is organised once a year, in varying nations. This summer, it will be held in Potsdam, organised jointly by the German Commission and the German Center of Military History, MGFA, under the patronage of the Minister of Defence. Usually, some 250 high-ranking guests take part in these conferences, ranging from university professors to generals and admirals. Every congress debates a theme to which national delegations can contribute. This year, “Nation State, Nationalism and the Military” will attract more than 50 presentations. International co-operation is supposed to strengthen the historians’ position within their home countries as well. Not every country offers free access to its historical military documents, and in other nations, themes such as the Cold War still attract rather little attention. Maybe some other nation’s research projects will provoke interest, or some researcher can point to a neighbouring country’s more liberal archival practice. Another service for historians is the ICMH’s annual military history bibliography – a list of the most important new publications in the field. With its short resume, and a brief assessment, the International Bibliography of Military History is a valuable aid for anyone wishing to learn which titles have recently been published. Also, military archivists from participating nations congregate as a specialist committee – the current president is the director of the Federal German Military Archives, Dr. Hans-Joachim Harder. Some 70 historians form the German Commission for Military History. They include representatives of the most important institutions in the field – from the chair of military history in Potsdam University or members of MGFA (both active and retired) to the directors of relevant archives. The commanding officer of MGFA, currently Colonel Dr. Hans Ehlert, is automatically the German Commission’s president. In the recent past, other forms of international exchange have developed. There is a “Parallel History Program”, a “Military History Working Group”, or the “Cold War International History Project”. However, the International Commission for Military History is the oldest and most comprehensive of them all. Colonel Dr. Winfried Heinemann Secretary General of the German Commission for Military History La Commission internationale d’histoire militaire «CIHM» – un sigle qui n’est pas connu par tout le monde et qui veut dire «Commission Internationale d’Histoire Militaire». Cette organisation de tête regroupe bien plus de trente commissions nationales d’histoire militaire. Elle est en même temps affiliée au Comité International des Sciences Historiques qui est une branche de l’UNESCO. Fondée en 1938, la CIHM disparaît dans les troubles de la Seconde Guerre mondiale pour être refondée plus tard. Les deux États allemands, la République fédérale et la République démocratique allemandes, en font partie depuis les années soixante-dix. Après le tournant de 1990, la commission d’histoire militaire de la RDA cesse d’exister. La CIHM se veut un lieu d’échange d’expériences et d’idées pour les spécialistes en histoire militaire. A cet effet, elle organise annuellement un congrès international d’histoire militaire. A chaque fois, c’est un autre État membre qui est chargé de son organisation. Cette fois-ci, c’est la Commission allemande en coopération avec le Centre allemand d’études d’histoire militaire qui organisera le congrès d’histoire militaire. Placé sous le patronage du Ministre fédéral de la défense, il aura lieu à Potsdam en cet été 2006. Ces congrès rassemblent régulièrement quelque 250 délégués des commissions nationales parmi lesquels il y a des professeurs d’université et des officiers généraux/amiraux de haut rang. Chaque congrès est organisé sur un thème précis pour lequel les délégations nationales peuvent soumettre des contributions. Le thème de cette année sera : «État-nation, nationalisme et armée». On attend plus de cinquante conférences. Par sa coopération internationale, la CIHM contribue à renforcer la position des historiens militaires dans les États membres respectifs. Le libre accès à la documentation militaire n’est pas évident dans toutes les nations et certains sujets tels que la Guerre froide sont toujours négligés dans certains pays. Il est donc utile de donner des impulsions à l’échelon international et de donner aux chercheurs intéressés la possibilité de renvoyer aux méthodes appliquées à l’étranger. Un autre service offert par la CIHM est la Bibliographie commentée d’histoire militaire dans laquelle sont annuellement publiées les nouveautés les plus importantes dans le domaine de l’histoire militaire. Comprenant un bref résumé et une évaluation, cette Bibliographie constitue une ressource importante pour tous ceux qui veulent se renseigner sur les sujets faisant l’objet de recherches actuelles sur la scène internationale. Les gestionnaires de collections d’archives militaires des pays membres se sont eux aussi réunis dans un comité de travail international présidé actuellement par le directeur de la Division militaire des Archives allemandes, Dr. Hans-Joachim Harder. La Commission allemande d’histoire militaire compte environ soixante-dix historiens parmi lesquels il y a des représentants des organisations les plus importantes allant du professeur titulaire de la chaire d’histoire militaire de l’université de Potsdam jusqu’aux gestionnaires de collections d’archives en passant par les anciens et les membres actifs du Centre allemand d’études d’histoire militaire. Conformément aux statuts, la Commission allemande est toujours présidée par le directeur du Centre allemand d’études d’histoire militaire, fonction actuellement occupée par le Colonel Dr. Hans Ehlert. D’autres formes d’échange se sont développées entre-temps sur la scène internationale dont le «Parallel History Program», le «Military History Working Group» ou le «Cold War International History Project». La Commission internationale d’histoire militaire en est la plus ancienne et la plus vaste. Colonel Dr. Winfried Heinemann Secrétaire général de la Commission allemande d´histoire militaire Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 7 Tirpitz in der Weimarer Republik Bundesarchiv/Bild 134-B2595 Z »Graue Exzellenz« und politischer Strippenzieher. Großadmiral Alfred von Tirpitz in der Weimarer Republik 8 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 iel erkannt, Kraft gespannt, Kopf oben« hatte Alfred von Tirpitz 1902 in das Gästebuch der Firma Krupp geschrieben. Deutlicher hätte er die ihn zeitlebens leitenden Prinzipien kaum formulieren können. Niederlagen und politische Fehlschläge, geschweige denn fortschreitendes Alter waren für Tirpitz nie ein Anlass gewesen, sich aus der öffentlichen Auseinandersetzung über politische und militärische Fragen zurückzuziehen. Sein Lebenswerk, die kaiserliche Hochseeflotte, die Großbritannien die Seeherrschaft erfolgreich hatte streitig machen und dem Deutschen Reich dadurch zugleich den Weg zur führenden Weltmacht hatte ebnen sollen, lag 1919 versunken in Scapa Flow, dem Haupthafen der Grand Fleet. Die Matrosen der von Tirpitz geschaffenen Marine hatten zudem im November 1918 im Zusammenspiel mit streikenden Arbeitern das monarchische System, die Grundlage seiner Politik, zerstört und jene »gebildeten und ungebildeten Sozialdemokraten« an die Macht gebracht, deren politischer Einfluss in der Arbeiterschaft durch den Bau der Flotte hatte zurückgedrängt werden sollen. Großadmiral Alfred von Tirpitz, der »Vater der Schlachtflotte«, wie seine Anhängern ihn stolz nannten, der »Vater der Lüge«, wie hingegen bereits der junge Theodor Heuss nach Teilnahme an einer Reichstagssitzung meinte, hatte auch die von ihm als schmachvoll empfundene Entlassung als Staatssekretär des Reichsmarineamts im März 1916 keineswegs als Endstation seines politischen Wirkens betrachtet. Frei von den Fesseln des Amtes, bemühte er sich seit dem Sommer 1916 zielstrebig um die Sammlung der politischen Rechten. So wollte er im Innern jede parlamentarische Reform verhindern und nach außen rücksichtslos für einen Siegfrieden kämpfen. Die im September 1917 gegründete »Deutsche Vaterlandspartei« mit Tirpitz als Vorsitzendem war der Versuch, dem eingeschlagenen Kurs die notwendige Schubkraft zu verleihen. Nach anfänglichen Erfolgen scheiterte diese Politik an den Realitäten des Krieges wie an der Rückwärtsgerichtetheit ihres innenpolitischen Pro- Privatarchiv M. Epkenhans Dass Tirpitz weiterhin bereit war, »aufrecht und ungebrochen« für seine Überzeugungen zu kämpfen, machte er bereits wenige Monate nach dem Zusammenbruch klar. Während in Berlin noch die Straßenkämpfe tobten, eröffnete er eine neue »Front«: Er schrieb seine »Erinnerungen«. Tripitz´ Memoiren waren eine Rechtfertigung seines fast zwanzigjährigen Wirkens an der Spitze der Marine und im Kreis der Weltpolitiker, aber auch eine Kampfansage an die Verantwortlichen in der neuen, ungeliebten Weimarer Republik. »Dem ratlosen und verblendeten Volk« wollte Tirpitz die Augen öffnen, »damit es seine eignen Fehler erkennt und beherzige« – in der Hoffnung, damit dem »Wiedereingreifen des nationalen Gedankens in einem gebeugten Deutschland« erneut den Boden zu bereiten. Geflissentlich achtete er dabei darauf, für alle zentralen Probleme der Vorgeschichte und des Verlaufs des Ersten Weltkrieges – Flottengesetze, »Kriegsschuldfrage« und Einsatz der Flotte im Kriege – die Reichsleitung unter Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg verantwortlich zu machen, die Marineführung aber möglichst reinzuwaschen: Überzeugt von seiner historischen Mission, berief sich Tirpitz auf die Geschichte; er nahm ganz unbefangen für sich in Anspruch, »nach bestem Wissen die Wahrheit« zu sagen, und wies mit großem Nachdruck alle Kritik am Schlachtflottenbau sowohl im Hinblick auf dessen politische Folgen als auch dessen militärische Grundgedanken als abwegig zurück. Ohne Skrupel schob er alle Wahlpostkarte der Deutschnationalen Volkspartei, 1924. gramms. Doch auch hiervon ließ sich Tirpitz nicht beirren. Im Oktober 1918 wollte er angesichts der absehbaren Niederlage zu »heldenhaftem Widerstand« aufrufen, fand jedoch hierfür kaum Unterstützung. Allein die Führung der Marine, deren Gedankenwelt Tirpitz zutiefst geprägt hatte, befahl – ohne die verantwortlichen Politiker zu informieren – einen letzten, völlig sinnlosen Einsatz der Flotte allein der »Ehre« wegen, scheiterte damit aber am Widerstand der Matrosen, die den Befehl verweigerten. Der Matrosenaufstand entwickelte sich innerhalb weniger Tage zur Revolution, das Kaiserreich brach zusammen und die unter hohen Opfern geschaffene Flotte machte sich noch im November 1918 auf den Weg nach Scapa Flow, wo sie schmachvoll interniert wurde und sich schließlich selbst versenkte, um einer Auslieferung der Schiffe an die Alliierten zu entgehen. Und Tirpitz? Anders als während der Jahre von 1897 bis 1918, als er das Rampenlicht der Öffentlichkeit gesucht hatte, um seine Ziele zu verwirklichen, zog er nun die Rolle der »grauen Exzellenz« vor, die im Hintergrund intrigierte und die Fäden zog. akg-images Kampfansage an Weimar Tirpitz’ größter Gegenspieler: Gustav Stresemann. Undatierte Porträtaufnahme. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 9 Tirpitz und seine Bedeutung für die Flotte Privatarchiv M. Epkenhans Tirpitz in der Weimarer Republik Kaiser Wilhelm II., Großadmiral von Tirpitz, Helmuth von Moltke (d.J.). Großadmiral Alfred von (seit 1900) Tirpitz gehörte zu den einflussreichsten Politikern und Offizieren der wilhelminischen Ära. Seit Mitte der 1890er Jahre legte er die theoretischen Grundlagen für den deutschen Flottenbau. Im Sommer 1897 zum Staatssekretär des Reichsmarineamts ernannt, setzte Tirpitz seine Pläne mit großem Geschick in die Tat um. Politisch wollte er Großbritannien herausfordern und beerben. Eine erfolgreiche Außenpolitik sollte im Innern ein Mittel »gegen gebildete und ungebildete Sozialdemokraten« sein. Grundlage des von ihm konzipierten Flottenbaus war die systematische Entwicklung einer modernen Flotte aus 60 Großkampfschiffen, 40 Kleinen Kreuzern, 144 Torpedo- und 72 U-Booten, die sich innerhalb von 20 Jahren »automatisch« erneuerte. Dem ersten Flottengesetz von 1898 folgten mehrere Novellen (1900, 1906, 1908 und 1912), die seine wahren Absichten und den Umfang seiner Pläne verschleiern sollten. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht: Großbritannien rüstete seit 1909 massiv auf. Finanziell konnte Tirpitz nicht mithalten, ganz abgesehen davon, dass seit 1912 die Armeerüstung Priorität vor der Marinerüstung hatte. Auch Tirpitz’ ursprüngliche Strategie – eine klassische Seeschlacht im »nassen Dreieck« vor Helgoland – ging nicht auf. Die britische Flotte beschränkte sich seit 1912 auf eine weite Blockade der Deutschen Bucht. Die erhoffte Seeschlacht blieb nach Kriegsausbruch daher aus; auch die Schlacht im Skagerrak 1916 änderte nichts an der ungünstigen geographischen Lage. Tirpitz, der seit 1915 auf den uneingeschränkten U-Bootkrieg drängte, musste 1916 schließlich wegen seiner halsstarrigen Politik in dieser Frage seinen Rücktritt einreichen. 10 Schuld an der Katastrophe der »unzureichenden persönlichen Vertretung« innerhalb des alten Staatssystems und einem »zersetzenden undeutschen Geist« [!] zu. Er kritisierte mit großer Schärfe »das Zerreißen unserer geschichtlichen Entwicklung« durch den Übergang von der Monarchie zur »republikanischen Staatsform«, warnte vor der daraus resultierenden »schrankenlosen Betonung der Parteiinteressen oder des individuellen Lebens«, das unweigerlich »zur staatlichen Vernichtung« führe, um dann an das »kommende Geschlecht« unbeirrt einen programmatischen Appell zur richten: »Ein Sklavenvolk sind wir noch nie gewesen. Seit zweitausend Jahren hat unser Volk nach jähem Sturz stets wieder sich emporgehoben.« Damit hatte Tirpitz in wenigen Sätzen jenes Credo der Gegner der Republik umschrieben, das deren Stabilität stets bedrohte und am Ende zu deren Untergang maßgeblich mit beitragen sollte. Rechte in den Wirren der Revolution letztlich gesiegt. Namhafte Vertreter dieser – wenn auch zersplitterten – Konservativen, so etwa Paul Cossmann, Redakteur der einflussreichen »Süddeutschen Monatshefte«, kämpften unermüdlich gegen die für den vermeintlichen »Dolchstoß« verantwortlichen »Novemberverbrecher«. Unterstützung in ihrem Kampf gegen die verfemte Republik und deren Repräsentanten fanden sie bei zahlreichen irrlichternden Angehörigen der extremen Rechten, die ihre eigenen kleinen Parteien und Verbände ge- Einiger der politisch Rechten Während Tirpitz den Kapp-LüttwitzPusch im Frühjahr 1920 noch als verfrüht und daher schädlich für eine Änderung der Verhältnisse im Innern verurteilt hatte, versuchte er seit Ende des Jahres, die zersplitterten Parteien und Verbände der Rechten zu einigen, um unter Anwendung legaler wie illegaler Mittel die neue Ordnung zu beseitigen. Die beste Ausgangsbasis hierfür bot die bayerische Hauptstadt München. Anders als in dem sozialdemokratisch regierten Preußen oder anderen »linken« Ländern hatte dort die politische Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 akg-images Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920, Soldaten der Brigade Hermann Ehrhardt hissen eine Flagge der alten kaiserlichen Marine in Berlin. Aufnahme vom 13. März 1920. Krisen in der Frühphase der Weimarer Republik gründet hatten – vom »jungen« Adolf Hitler bis zum »alten«, völlig verbitterten ehemaligen Generalquartiermeister Erich Ludendorff, der politisch zunehmend konfuseren Ideen anhing. Cossmann war es dann auch, der Tirpitz im Herbst 1922 nach München einlud und für eine Zusammenarbeit, vor allem aber auch für eine Einigung der zersplitterten Rechten zu gewinnen versuchte. Das allgemeine Klima für eine Aktion der Rechten schien günstig: Die Auseinandersetzung über die Sondergesetze infolge des Attentates auf Außenminister Walther Rathenau, der von rechtsradikalen Fanatikern ermordet worden war, vor allem aber die wachsenden Spannungen mit Frankreich über dessen Reparationsforderungen und damit verbundenen Drohungen, weitere Teile des Reiches als »Pfand« zu besetzen, hatten einen nationalen Aufschrei und eine Krise ausgelöst, die es auszunutzen galt. Ein Mann der »Tat« Tirpitz’ Ansehen in rechten Kreisen blieb ungebrochen. Er galt immer noch als ein Mann der »Tat« mit überzeugenden Visionen und schien sowohl für die kommenden Auseinandersetzungen im Innern als auch mit dem verhassten Frankreich der richtige Ratgeber zu sein, vor allem aber die geeignete Galionsfigur in der Öffentlichkeit sowie die beste »Brücke« zu wichtigen Entscheidungsträgern wie dem undurchsichtigen Chef der Heeresleitung, General Hans von Seeckt. Tirpitz hat die mit seiner Person verknüpften Erwartungen nur zum akg-images Putschversuch der NSDAP in München, Stoßtrupp der Putschisten; Aufnahme vom 8./9. November 1923. Teil erfüllt. Zwischen 1922 – seinem ersten Treffen mit Vertretern der Rechten in München – und 1925, als er den eher zögernden Kriegshelden Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg zur Kandidatur für das Amt des Reichspräsidenten überredete, bemühte er sich aber nahezu unermüdlich, zunächst hinter den Kulissen, bald aber auch im Zentrum der Öffentlichkeit, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Mit allen Mitteln, allen voran demagogischen Pressekampagnen, versuchten Tirpitz und seine Mitstreiter den Boden für eine »nationale Diktatur« zu bereiten. Trotz anfänglichen Zögerns traf Tirpitz sich im September 1923 auch mit Adolf Hitler, um dieses Ziel zu erreichen. Anders als viele seiner Mitstreiter mochte er den »Führer« der NSDAP nicht, betrachtete ihn als zu »fanatisch« und fand auch seinen vulgären Antisemitismus abstoßend. Bereits die Ereignisse um den HitlerPutsch in München vom 9. November 1923 sollten zeigen, dass die Vertreter der neuen radikalen Rechten vom Schlage eines Adolf Hitler bereit waren, alleine loszuschlagen. Während Tirpitz, dessen Rolle im Krisenherbst 1923 dank geschickter Verschleierung wenig bekannt ist, noch in Berlin versuchte, den Boden für eine von Seeckt geführte »legale« Diktatur – in der ihm das Amt des Außenministers zufallen sollte – zu bereiten, schlug Hitler, unterstützt von Ludendorff, in München los, da er im aufgeheizten Klima dieser Wochen den günstigen Zeitpunkt zum Handeln nicht verpassen wollte. Hitler und Ludendorff scheiterten kläglich und Tirpitz hoffte bis ins Als erste demokratische und parlamentarische deutsche Republik war die Weimarer Republik (1918-1933) im Inneren Anfeindungen sowohl von Links als auch von Rechts ausgesetzt. Es keimten Aufstände linksextremistischer Gruppierungen wie bei der Ausrufung der »Münchner Räterepublik« (1919) auf, die durch Reichswehr und Freikorps blutig niedergeschlagen wurden. Im März 1920 fand mit dem Kapp-LüttwitzPutsch ein rechtsextremer Umsturzversuch statt, der von Freikorpssoldaten getragen wurde, die sich gegen die Auflösung ihres Verbandes gemäß der vereinbarten Truppenreduzierung im Versailler Vertrag auflehnten. Als die Reichsregierung das Begehren ablehnte und sich die Reichswehr passiv verhielt (»Truppe schießt nicht auf Truppe«), marschierten die Aufständischen in Berlin ein und zwangen die Regierung zur Flucht. Der Versuch, die staatliche Macht an sich zu reißen, scheiterte an einem Generalstreik und am passiven Widerstand der Beamtenschaft. Einen weiteren rechtsextremen Umsturzversuch stellte der Hitler-Putsch im Krisenjahr von 1923 dar, der seinen Höhepunkt im »Marsch auf die Feldherrnhalle« hatte. Dieser wurde durch die bayerische Polizei niedergeschlagen. Die innenpolitische Situation wurde zudem zu Beginn des Jahres 1923 durch den »Ruhrkampf« angeheizt. Französische und belgische Truppen besetzten wegen ausstehender Reparationszahlungen das Ruhrgebiet. Dies förderte die grassierende Inflation, die ebenfalls 1923 ihren Höhepunkt erreichte und erheblich zur politischen Destabilisierung der Republik beitrug. tl Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 11 Bundesarchiv/Bild 183-92537-0001 Tirpitz in der Weimarer Republik Als Mann der Deutschnationalen Volkspartei Chef der Heeresleitung, General Hans von Seeckt (1866–1936). Tirpitz hoffte bis 1924, den Chef der Heeresleitung für eine Diktatur gewinnen zu können – mit Seeckt selbst an der Spitze. Frühjahr 1924, Seeckt doch noch für eine Diktatur gewinnen zu können, die das parlamentarische System abschaffte. Ein Putschplan nach dem anderen wurde daher in seinem Umkreis entworfen, auch mit Abgesandten des italienischen Diktators Benito Mussolini wurde diesbezüglich verhandelt. Doch Ludendorffs Schicksal war Tirpitz eine Warnung und ohne eine feste Zusage des Chefs der Heeresleitung sowie ohne Unterstützung einer breiten rechten Einheitsfront wollte er daher auch nicht handeln. Anfang April 1924, als Seeckt erneut klar machte, dass er bei aller Sympathie die Reichswehr nicht gegen die bestehende Ordnung einsetzen würde, sondern auf seiner abwartenden Position beharrte, entschied Tirpitz sich, auf legalem Weg eine Änderung der bestehenden Verhältnisse herbeizuführen – als Abgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) im Deutschen Reichstag, innerhalb weniger Wochen sogar als deren Kanzlerkandidat. 12 Aus der Sicht der politischen Rechten, erschien es notwendiger denn je, eine zugkräftige Persönlichkeit vor den eigenen Karren zu spannen, standen doch nicht nur Wahlen zum Reichstag, sondern auch Verhandlungen über eine Modifizierung der Versailler Reparationsregelungen vor der Tür. Tirpitz errang im Mai 1924 einen großen Wahlsieg in seinem Münchener Wahlkreis. Dabei war sein politisches Programm bei dieser wie auch bei der bald folgenden Wahl vom Dezember mehr als vage: »Ich bin kein Führer, sondern ein einfacher Soldat«, verkündete er ganz nach der Manier vieler rechter Demagogen vermeintlich selbstlos im Dezember 1924 auf einer Wahlveranstaltung. Sein ganzes Bestreben ginge allein dahin, »die nationalen Kräfte unseres Vaterlandes zusammenzufassen und über kleinliche Differenzen hinweg zu einer geeinigten Kraft zu bringen«. Viel mehr als diese oder auch andere Phrasen – vor allem zur Außenpolitik –, die teilweise einen erschreckenden Mangel an Realitätssinn ererkennen ließen, hatte er nicht zu bieten. Doch der DNVP, die mit annähernd 20 Prozent stärkste Kraft im bürgerlichen Lager geworden war, ging es gar nicht darum, mit Tirpitz ein konkretes Programm zu präsentieren; für die Spitze der Partei war er vielmehr der Hebel zur Macht bei der angestrebten Bildung einer nach rechts orientierten Koalitionsregierung unter Tirpitz’ Kanzlerschaft. Doch damit überschätzte sie sein Ansehen außerhalb des eigenen Lagers und überreizte insofern von vornherein ihre Karten; die Vertreter des Zentrums verließen den Raum, als die Verhandlungsführer der DNVP Tirpitz’ Namen nannten, und auch die anderen bürgerlichen Parteien lehnten diesen Vorschlag rundweg ab. Als Tirpitz’ größter Gegenspieler entpuppte sich Reichsaußenminister Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 Gustav Stresemann. So sehr Stresemann manche Forderung der DNVP vielleicht auch im Prinzip zustimmte, so sehr war er sich – im Gegensatz zu Tirpitz und dessen Anhängern – darüber im Klaren, dass nur eine realistische Politik der kleinen Schritte, nicht aber eine Wiederaufnahme des soeben gescheiterten Konfrontationskurses die außenpolitische Lage des Reiches verbessern konnte. In einem teilweise absurd anmutenden, aber dennoch hochpolitischen Kleinkrieg bekämpften sich die beiden Kontrahenten. Mit der Veröffentlichung eines Dokumentenbandes aus seiner aktiven Zeit hatte Tirpitz gehofft, sich erneut als »nationaler Führer« zu empfehlen. Das Auswärtige Amt warf ihm jedoch – mit Billigung Stresemanns – vor, durch darin enthaltene belastende Dokumente die offizielle deutsche Politik hinsichtlich der »Kriegsschuldfrage« zu konterkarieren. Unbeirrbar bis zuletzt Tirpitz’ Ansehen in den eigenen Reihen, vor allem aber sein Selbstbewusstsein wurden durch diese Angriffe kaum beeinträchtigt. Chancen auf eine Kanzlerkandidatur gab es unter den gegebenen Umständen ohnehin kaum noch, wohl aber die Möglichkeit, bei den bevorstehenden Wahlen, verursacht durch den plötzlichen Tod Friedrich Eberts, für das Amt des Reichspräsidenten zu kandidieren. Tirpitz hat dies allen Ernstes erwogen und die erneuten Reichstagswahlen vom 7. Dezember 1924 auch als einen »Testlauf« betrachtet. Am Ende konnte er aber doch nicht genug Rückhalt gewinnen. Hinzu kam, dass Seeckt ihm auch dieses Mal keine Unterstützung zusagte, ihn nach einem Treffen vielmehr herblassend, aber zutreffend als »eitel« und »senil« sowie zur »Prahlerei« neigend abqualifizierte. Politisch wirken konnte Tirpitz allenfalls indirekt – durch Unterstützung eines für die gesamte Rechte akzeptablen Kandidaten für das Amt des Reichspräsidenten: den lebenden »Mythos« des Ersten Weltkrieges, Hindenburg. »Die Entscheidung für Hindenburg«, erklärte Tirpitz vor dem entscheidenden 2. Wahlgang in München am 21. April 1925, »würde die im November 1944 auch die »Tirpitz« im norwegischen Alta-Fjord. Das Berliner Tirpitz-Denkmal war schon 1940 eingeschmolzen worden, und – dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie – das nach dem Schöpfer der Hochseeflotte benannte Ufer am Landwehrkanal wurde nach 1945 in »Reichpietsch-Ufer« umbenannt: zur Erinnerung an einen jener Matrosen, die 1917 die erste Meuterei gegen militärische Willkür und soziale Ungerechtigkeit angeführt hatten und zur Abschreckung hingerichtet worden waren. ■ Michael Epkenhans akg-images Stellung Deutschlands in der Welt mit einem Schlage ändern, denn der Beweis wäre erbracht, dass die Kräfte, die in Deutschland noch gesund geblieben sind, wieder die Oberhand bekommen haben gegenüber den internationalen Utopien und rein klassenkämpferischen Gesinnungen«. Langfristig sollte sich die Hoffnung, einen Präsidenten zu wählen, der Weimar »überwand«, erfüllen – mit fatalen Folgen freilich; kurzfristig hingegen ging die Rechnung der konservativen Berater des neuen Reichspräsidenten allerdings nicht auf. Entgegen ihren Erwartungen hielt Hindenburg sich an die Verfassung, billigte in vielem Stresemanns Kurs. Tirpitz, der mehrfach bei Hindenburg vorsprach, um diesen »auf Kurs zu bringen«, hat dies mit zunehmend größerer Verbitterung zur Kenntnis genommen und sich 1928 schließlich auch aus der Politik zurückgezogen. Bis zu seinem Tode, am 6. März 1930, hatte Tirpitz – wie viele andere alte Konservative – insofern nichts aus der Katastrophe von 1914/18 dazugelernt. Er wollte das »Parasitendasein« des Deutschen Volkes beenden und bis zuletzt trieb ihn die Verachtung von Republik und Demokratie. »Der Parlamentarismus«, so seine Überzeugung, »wird uns nicht wieder hoch bringen [...] Die chronische Revolution ist tödlicher als die akute«, schrieb er im September 1929, und, so fuhr er fort: »Der bei uns von Demagogen entwickelte republikanische Gedanke beruht auf Versprechungen, die unerfüllbar sind.« Ähnlich wie beim »Eisernen Kanzler« Otto von Bismarck lebte Tirpitz’ Mythos, der vor allem von der Marine, teilweise aber auch von der Politik sehr geschickt inszeniert und instrumentalisiert wurde, noch länger fort: Am Skagerrak-Tag 1931 wurde in Berlin feierlich ein Tirpitz-Denkmal enthüllt; im April 1939 schließlich taufte Hitler das Schwesterschiff der »Bismarck«, des wohl schlagkräftigsten Schlachtschiffes seiner Zeit, auf den Namen »Tirpitz«. Das Ziel, mit beider Einsatz die britische Vormacht auf den Weltmeeren zu brechen, erwies sich, wie bereits ein Vierteljahrhundert zuvor, jedoch als Illusion. Nachdem die »Bismarck« bereits im Mai 1941 verloren gegangen war, sank Die Dolchstoßlegende im Wahlkampf: Plakat der DNVP zu den Reichstagswahlen am 7. Dezember 1924. Entwurf von Richard Müller. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 13 Fußball im Ersten Weltkrieg »Schickt uns Fußbälle …« Jahrbuch der Turnkunst 1917, S. 105 Die Bedeutung des Fußballs für deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg Englische Soldaten schießen bei einem Sturmangriff auf deutsche Stellungen Fußbälle zur Motivation vor sich her. A ls deutsche Soldaten im Jahr 1918, in der Endphase des Ersten Weltkrieges, britische Gräben stürmten und diese vor dem Rückzug in die eigenen Stellungen plünderten, standen nicht nur britische Konserven und Lebensmittel sowie Alkohol besonders hoch im Kurs. Auch die in den feindlichen Schützengräben hier und da aufgefundenen Fußbälle nahmen die Soldaten mit zurück, denn Fußball war während des Krieges vor allem in der Etappe und den Ruhequartieren zum beliebtesten Soldatenspiel überhaupt geworden: »Wie oft haben wir es erlebt, dass unsere Frontkämpfer, nachdem sie sich ordentlich ausgeschlafen hatten, auf der ersten besten Wiese mit dem Fußball sich fröhlich tummelten. Immer mehr erscholl der Ruf von der Front in die Heimat: Schickt uns Fußbälle, schickt uns Sportgeräte aller Art«, erinnerte sich ein Funktionär des Deutschen Fußballbundes (DFB) nach Kriegsende. tische Stimmen, die den Fußball als »Englische Krankheit« diffamierten und vor dem verderblichen Einfluss auf die deutsche Jugend warnten. Lehrer und Eltern sahen es oft nicht gerne, wenn die Jungen nach der Schule über die Straßen und Plätze jagten und dabei einem unförmigen Etwas nachliefen, das oftmals nur bedingt Ähnlichkeit mit einem Ball hatte. Wer einen wirklichen Fußball sein Eigen nennen konnte und damit nicht mehr auf leere Konserven oder aus Stoff- und Lederresten selbst gebastelte Bälle als Spielobjekte angewiesen war, stand bei Freunden und Klassenkameraden hoch im Kurs. Nicht nur die Fußballbegeisterung vieler Jungen ebnete dem Sport den Weg. Auch einige Militärs erkannten den Nutzen des Sports für die Ausbildung der Soldaten. Hinzu kam, dass die Sportbewegung in Deutschland durch die Vergabe der Olympischen Spiele 1916 nach Berlin Auftrieb erhielt. Erst 1910 waren Fußball und andere Spiele bei der Einführung einer neuen Turnvorschrift in der preußischen Armee berücksichtigt worden. Soldaten sollten für einen Medaillenregen sorgen, um den Anspruch nach Weltgeltung des wirtschaftlich aufstrebenden und politisch ambitionierten Deutschen Reiches auch auf dem Sportplatz zum Ausdruck zu bringen. Als junger Oberleutnant begleitete der spätere Generalfeldmarschall Walter von Reichenau (1884–1942) den deut- Der Aufstieg des Sports und vor allem des Fußballs zu einem Massenphänomen auch außerhalb des Militärs, zur »Weltreligion des 20. Jahrhunderts«, wie es ein Zeitgenosse formulierte, war keine Selbstverständlichkeit. Noch um die Jahrhundertwende gab es kri- 14 BA-MA, MSG 201/1319 Von der »Englischen Krankheit« zur Fußballbegeisterung Kriegsgefangene Deutsche mit einem Fußball im Offizierlager Skipton, Großbritannien. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 Spielen hinter der Front Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 verhinderte zunächst eine weitere planmäßige Förderung und Entwicklung des Sports in Armee und Gesellschaft wie auch die Olympischen Spiele in Berlin. In der Heimat wurden nach Kriegsbeginn immer mehr Sportplätze zu Ackerland und Gemüsegärten umfunktioniert und viele Turnhallen als Reservelazarette genutzt. Die Herstellung von Sportgeräten wurde nicht nur untersagt, sondern Fußbälle teilweise eingezogen, um aus dem Leder Stiefel anzufertigen. Ein deutscher Fußballmeister konnte während des Krieges nicht mehr ermittelt werden. Viele Vereine mussten den Spielbetrieb vollständig einstellen, andere bildeten gemeinsam eine Mannschaft oder ersetzten fehlende Spieler durch Fronturlauber und Jugendliche. Trotz zahlreicher Bemühungen kam der Sport in der Heimat nahezu zum Erliegen. Hinter der Front in den Ruhequartieren und der Etappe entwickelte sich hingegen vor allem in der zweiten Kriegshälfte ein umfangreicher Sportbetrieb. Besonders das Fußballspiel erfreute sich großer Beliebtheit bei den Soldaten. Standen zunächst meist turnerische Übungen auf dem Programm der Wettkämpfe, so wurden diese im Laufe des Krieges durch Leichtathletik und vor allem Fußballspiele abgelöst. Da es sowohl Oberste Heeresleitung als auch das Preußische Kriegsministerium versäumten, einen gleichmäßigen Sportbetrieb zu organisieren, war die Initiative von Teileinheitsführern und Mannschaftssoldaten vor Ort ausschlaggebend dafür, in welcher Intensität Sport getrieben wurde. Es hing vielfach von den Vorgesetzten auf Kompanie-, Bataillons- oder Divisionsebene ab, ob Sportfeste und Fußballspiele stattfanden. Auch unter den Kriegsfreiwilligen gab es viele Turner und Sportler. Es hatte zwischen manchen Sportvereinen einen regelrechten Wettkampf in der Frage gegeben, welcher Verein mehr Kreisfreiwillige stellen konnte. Die Fußballer unter ihnen nutzten während des Krieges jede Gelegenheit, um dem runden Leder nachzujagen. Offiziere erkannten die positive Wirkung des Fußballs für die Moral der Truppe. Die Langeweile im Etappendienst, der unbeschreibliche Schrecken des Grabenkrieges sowie die lange Kriegsdauer ließen die Truppenbetreuung zu einem wesentlichen Faktor für die Einsatzbereitschaft der Soldaten werden. Vor allem der Dienst in den Schützengräben verlangte den Männern alles ab. »Er geht nicht viel, hat überhaupt nicht viel Bewegung, seine Beine verlernen infolgedessen das Marschieren und Laufen, dort vorne in Schützengräben und engen Verbindungsgängen, in den dunklen, schmalen, niedrigen Unterständen – dort wohnt der Feldgraue«, beschrieb eine Sportzeitung das Leben der Soldaten fernab des eigentlichen Kampfes. Soldaten, die nicht selbst spielen konnten oder wollten, besuchten als Zuschauer die immer häufiger stattfindenden Sportfeste, bei denen hohe militärische Führer wie Paul von Hindenburg oder August von Mackensen die Schirmherrschaft übernahmen und Preise stifteten. Die Männer konnten dort wenigstens für einige Stunden den Krieg vergessen. So beschrieb auch eine Turn-Zeitung die Begeisterung der Soldaten anlässlich eines solchen Sportfestes: »Der Feldgraue ist plötzlich keiner mehr. Das Auge, das schon lange nur ein trostloses Bild von Lehm, Stacheldraht, Verwüstungen und feldgrauem Tuch sah, also nur ein farbloses Gemisch, erblickt jetzt plötzlich ein sehr farbenprächtiges Bild von Fahnen und Wimpeln, welche in den bekannten Farben im Winde lustig flattern, und dazwischen die grellen Farben der gestreiften und geringelten Turnjacken der Spielenden.« BA-MA, MSG 201/1319 schen Sportfunktionär Carl Diem 1912 auf einer Reise in die USA, um vom dortigen Sportbetrieb zu lernen. Nach seiner Rückkehr wurde er zu einem großen Förderer des Sports in der Armee. Reichenau war der Überzeugung: »Ein guter Sportsmann mit all den körperlichen und moralischen Eigenschaften, wie sie von einem echten Sportsmann unzertrennlich sind, wird auch immer ein ausgezeichneter Soldat sein.« Auch für andere Befürworter des Sports innerhalb des Militärs, die eine stärkere Integration desselben in den Ausbildungsbetrieb forderten, stand der unmittelbare Nutzen für die Truppe im Vordergrund, zumal sich aufgrund der modernen Waffentechnik die Anforderungen an den Soldaten zunehmend veränderten. In einer Sportzeitschrift wurde ausgeführt: »Der Krieg verlangt kampfgewohnte Nerven, geprüfte, selbstbewusste Ausdauer, Widerstandsfähigkeit gegen Strapazen und Entbehrung, Entschlossenheit und selbständiges Handeln, männliche Freude an Gefahr und Triumph, also die Vereinigung von Körper und Geist zur Kriegsbereitschaft. In friedlicher Zeit hat man das Kämpfen nur im friedlichen Kampf. Das ist der Sport.« Deutsche Fußballelf in einem Kriegsgefangenenlager in Calais, Frankreich. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 15 Die Vereine in der Heimat waren sehr darum bemüht, den Kontakt zu den im Felde stehenden Mitgliedern aufrecht zu erhalten. Während Fußbälle an sie geschickt wurden, bedankten sich die Soldaten hierfür mit Fotografien von neu gebildeten Fußballmannschaften und berichteten von den sich entwickelten Wettspielen. Vor allem in den Etappenstädten wurden Spielvereinigungen gegründet, die regelmäßig gegeneinander Fußball spielten. Daneben gab es den »wilden« Spielbetrieb. Sobald Zeit, eine Wiese und ein Ball zur Verfügung standen, suchten viele Soldaten die Ablenkung. »Ein neuer Stellungskrieg begann und damit auch die Neigung der zur Ruhe dicht hinter der Front liegenden Truppen, sich zu tummeln und die Glieder zu bewegen. Allabendlich konnte ich von meinem Unterstande aus beobachten, wie die Mannschaften in dem gegen Einblick vom Feinde her geschützten Senséebachtale, das trotz aller Granatlöcher leidlich spielfähig war, sich zum Fußballspiel aus ihren Erdlöchern zusammenfanden, und selten habe ich glücklichere und blankere Augen gesehen«, erinnerte sich Carl Diem, während des Krieges selbst als Leutnant im Felde. Fußball in den Kriegsgefangenenlagern Die Fußballbegeisterung beschränkte sich nicht nur auf die Soldaten in der Truppe. Auch unter den knapp eine Million deutschen Kriegsgefangenen fanden sich immer mehr Fußballanhänger. Dies war freilich nur in den Lagern möglich, in denen die Gewahrsamsmächte den Gefangenen die Gelegenheit gaben, Sport zu treiben. Neben dem Sport entwickelte sich vielerorts auch ein umfangreiches kulturelles Lagerleben, und die Soldaten waren für jede Form der Ablenkung dankbar. Mancherorts gab es neben der Lagerzeitung sogar eine eigene Sportzeitung, die Spielberichte, Humorvolles und Veranstaltungshinweise veröffentliche. Die Sportgeräte bauten die Kriegsgefangenen teilweise selbst, bekamen Fußbälle und Hanteln aber auch aus der Heimat geschickt oder von der Lagerleitung gestellt. Vielfach gründeten sie Vereine, die sich Namen wie »Deutsche Eiche«, »Saxonia«, 16 »Sportverein Olympia«, »Infanterie-Sportverein« oder schlicht und einfach »FC Sportfreunde« gaben. Karl Ritter von Halt, erfolgreicher Leichtathlet des Kaiserreichs und Sportfunktionär, erinnerte sich an seine Kriegsgefangenschaft: »Sport war das Schlagwort in unserem Lager.« Bei seiner Gefangennahme hatte ihn ein englischer Soldat mit dem Hinweis zu trösten versucht, in den Kriegsgefangenenlagern gebe es ausreichend Möglichkeiten, Sport zu treiben – nicht ahnend, dass er einen erfolgreichen deutschen Athleten vor sich hatte. Die Sportleidenschaft verband die Soldaten der Krieg führenden Nationen miteinander und trieb bisweilen skurrile Blüten. Auch die in deutsche Gefangenschaft geratenen Briten durften in den Lagern Sport treiben. Wenig Verständnis brachte eine Lagerverwaltung im vom Hunger gebeutelten Reich allerdings für die fünf britischen Offiziere auf, die in Ermangelung eines Balls mit einem Brotlaib Fußball gespielt hatten. Sie erhielten acht Tage Arrest. Es kam aber auch vor, dass die Kriegsgefangenen nicht nur untereinander, sondern gegen ihre Bewacher spielten. Nach dem Waffenstillstand beantragten die britischen Wachmannschaften des Lagers Frangoch in North Wales, gegen die deutschen Gefangenen Fußball spielen zu dürfen. Allein von August bis November 1919 sind zehn Begegnungen dokumentiert, von denen die Deutschen sechs Partien für sich entscheiden konnten. Im Rückblick wurde dem Sport nicht nur bei der Gestaltung des Lageralltags, sondern darüber hinaus für die physische und psychische Verfassung der Gefangenen bei ihrer Rückkehr in die Heimat besondere Bedeutung zugemessen: »Als dann endlich am 20. November 1919 für uns die Befreiungsstunde schlug, konnten wir in dem stolzen Bewußtsein scheiden, dass es uns nicht nur gelungen war, die englische Mannschaft in ihrem Nationalspiel geschlagen zu haben, sondern noch mehr, dass es uns gelungen war, durch Sport und Spiel aller Art trotz der Härte der jahrelan- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 BA-MA, MSG 201/129 Fußball im Ersten Weltkrieg Gedenkblatt für den Fußballverein »Sportfreunde«, der von deutschen Kriegsgefangenen 1914 auf der Ile de Longue in der Nähe von Brest, Frankreich, gegründet wurde. gen Gefangenschaft Körper und Geist gesund zu erhalten für eine bessere Zukunft.« »Weihnachtswunder« und »Angriffsmittel« Schon vorher hatten sich deutsche und britische Soldaten nicht nur mit der Waffe, sondern bei verschiedenen Fußballspielen gegenübergestanden. Während des Weihnachtsfestes 1914 kam es an der Westfront zur Verbrüderungsszenen zwischen den Soldaten, die sich tags zuvor noch erbittert bekämpft hatten. Die Soldaten sangen sich gegenseitig englische und deutsche Weihnachtslieder vor. An verschiedenen Stellen kletterten die Soldaten aus ihren Gräben und tauschten »Geschenke« aus. Spontan spielten Briten und Deutsche gegeneinander Fußball. Anderenorts verabredeten sich Soldaten für den ersten Weihnachtsfeiertag zu einem Spiel. Die Offiziere nahmen an diesen Spielen selbst teil oder ignorierten sie zumindest. Verhindern konnten sie dieses BA-MA, MSG 201/1293 Farbige Ansicht des Kriegsgefangenenlagers Liverpool, Australien. Der Fußballplatz am linken Bildrand macht die Bedeutung des Sports für die Inhaftierten deutlich. Weihnachtswunder, in Großbritannien als »christmas truce« bekannt geworden, nicht. Doch der Fußball war nicht nur Sinnbild des friedlichen Wettstreits. Die militärische Führung sah im Fußballsport ein Äquivalent zu den Anforderungen an den modernen Infanteristen. Dieser müsse auf sich gestellt und doch gemeinsam kämpfend unnachgiebig seinem Ziel zustreben – ganz wie beim Fußball. Weniger friedlich aber gleichwohl wunderlich war daher auch das Bild, das sich den deutschen Grabenbesatzungen bot, als die Briten 1916 nach heftiger Artillerievorbereitung ihre verlustreiche Offensive an der Somme starteten. Die britischen Soldaten schossen beim Sturmangriff Fußbälle vor sich her. Ein Offizier hatte demjenigen, dem es gelingen sollte, einen Ball in einen deutschen Schützengraben zu schießen, eine Belohnung versprochen. Die britischen Verluste waren so hoch, dass die Offensive, wie zahlreiche andere Offensiven auf beiden Seiten, scheiterte. Nach 1918: »Geschossen wird nur noch aufs Tor« Nach Kriegsende sprachen sich nicht nur die Militärs, sondern auch Pädagogen und Politiker – von den Sportfunktionären ganz zu schweigen – dafür aus, künftig dem Sport ein stärkeres Gewicht im Rahmen der militäri- schen Ausbildung einzuräumen. Der Sport und der Fußball sollten an die Stelle der durch den Versailler Vertrag verbotenen Wehrpflicht treten. Vorbild hierfür war nach dem verlorenen Krieg der britische Sportbetrieb. Auch in Großbritannien hatte es vor dem Krieg keine Wehrpflicht gegeben, was im Vorfeld auf deutscher Seite zu der Annahme geführt hatte, die britischen Soldaten seien den durch die Wehrpflicht geschulten deutschen Truppen nicht ebenbürtig. Erst durch den Krieg habe man jedoch gelernt, »die Engländer als Soldaten richtig einzuschätzen«. Der Krieg habe zudem gezeigt, »was für glänzende Soldaten ein Sportvolk, wie die Engländer ins Feld stellen konnte. Stark, schnell, ausdauernd, energisch, kaltblütig, diese Eigenschaften des Sportsmannes fanden sich auch beim englischen Soldaten und die Erscheinung wird uns noch lange zu denken geben.« Mit einem gut organisierten Sportbetrieb wollte die Reichswehr auch einen zusätzlichen Anreiz für junge Männer schaffen, um sich für den Wehrdienst zu verpflichten. Doch nicht nur in der Armee war Fußball nun endgültig zum beliebtesten Spiel geworden. Der DFB entwickelte sich neben der Deutschen Turnerschaft zum größten Sportverband der Weimarer Republik und wurde damit zu einer eigenständigen und selbstbewussten gesellschaftlichen Kraft, die verstärkt eigenständig agierte, wirtschaftlich dachte und Ansprüche an die Politik formulierte. Hatte der DFB vor Kriegsbeginn noch keine 200 000 Mitglieder, konnte er bis 1920 ein Ansteigen auf fast 500 000 Mitglieder verzeichnen; wenige Jahre später waren es bereits über eine Million. Jedes Wochenende spielten in den unterschiedlichen Spielklassen unzählige Mannschaften vor einer jeweils mitfiebernden Zuschauerkulisse und jagten dem runden Leder nach – ganz friedlich. Und geschossen wurde nur noch aufs Tor. ■ Peter Tauber Literaturtipps: Irene Diekmann und Hans Joachim Teichler (Hg.), Körper, Kultur und Ideologie. Sport und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert, Main 1997 Michael Jürgs, Der kleine Frieden im Großen Krieg. Westfront 1914: Als Deutsche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten feierten, München 2003 Christoph Schubert-Weller, »Kein schönrer Tod …« Die Militarisierung der männlichen Jugend und ihr Einsatz im Ersten Weltkrieg 1890 bis 1918, München 1998 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 17 Strategie Ein »flüssiger Verbündeter« Die Rolle des Wassers in der niederländischen Landesverteidigung Eine Inundationsschleuse während der Mobilisierung 1939/40. D ie Niederländer haben seit jeher eine besondere Beziehung zum Wasser: sie sind ihm in »Hassliebe« verbunden. Das Wasser überflutete durch die Jahrhunderte die tiefliegenden Teile ihres Landes und bedrohte die Bevölkerung. Die Niederländer bemühten sich immer, solche Katastrophen zu verhindern und das überflüssige Wasser ins Meer abfließen zu lassen. Sie fanden jedoch schon bald heraus, dass das flüssige Element im Kriegsfall ihr Verbündeter war. Künstlich errichtete Sperren aus Wasser verwehrten dem Feind den Zugang zu ihrem Land. So entstand das Konzept der Wasser- bzw. »Inundationslinie« (Überflutungslinie), deren defensive Wirkung sich auf die künstliche Überflutung von Geländeteilen gründete. Anfänge eines Erfolgskonzeptes 1574–1814 Zum ersten Mal wurde das Wasser im Niederländischen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien als Waffe eingesetzt. Dieser »80-jährige Krieg« wurde von etwa 1570 bis 1648 auf niederländischem Boden ausgefochten. Im Jahre 1574 gelang es den niederländischen Aufständischen, die Belagerung der Stadt Leiden zu beenden, indem sie die Deiche durchstachen. Das Wasser zwang die spanischen Belagerer zum überstürzten Rückzug. Während 18 dieses Krieges wandten die Niederländer zum ersten Mal auch das »Inundationskonzept« an und setzten weite Landstriche unter Wasser. Der Feind wurde so von vornherein daran gehindert, in das Hinterland einzudringen. Konzepte und eingesetzte Mittel waren zunächst eher improvisiert und nicht dauerhaft angelegt. Das sollte sich im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts ändern. Die Ereignisse des Jahres 1672 – in der niederländischen Geschichtsschreibung als Rampjaar (Unglücksjahr) bezeichnet – bildeten hierzu den Anlass. Die Republik der Vereinigten Niederlande, so die damalige Bezeichnung, geriet in einen Krieg mit den Mächten Frankreich und England sowie den deutschen Fürstbistümern Münster und Köln. Der französische König Ludwig XIV. überfiel die Republik von Südosten her. Sein Vormarsch gegen den Westen des Landes wurde an der Ostgrenze der Provinz Holland gestoppt, wo man inzwischen die Polder geflutet hatte. Das Blatt wendete sich 1673: Die Franzosen mussten das Gebiet räumen und die Verwaltung der Provinz Holland beschloss, die provisorisch eingesetzte Sperre aus Wasser zu einer dauerhaften Verteidigungslinie auszubauen. Die Abwehrkraft der Holländischen Wasserlinie basierte auf einem geschlossenen tiefliegeden Gebiet, das Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 man bei einem drohenden Krieg fluten konnte. Das Ziel war erst dann erreicht, wenn das Gelände ca. 50 cm hoch überflutet wurde. Erstens war das Gelände an sich nicht mehr begehbar. Weiterhin war der Boden dann so sumpfig, dass der Feind einsinken musste. Drittens war es bei einer geschlossenen Wasserfläche unmöglich festzustellen, wo sich die vollgelaufenen und noch tiefer liegenden Gräben befanden. Allerdings durfte der Wasserstand aber auch nicht zu hoch sein, weil der Feind sonst das überschwemmte Gelände mit Booten überwinden konnte. Wo Deiche und höher gelegene Geländeabschnitte den Wasserspiegel überragten, errichtete man Befestigungen. Ebenso verfuhr man entlang der Wasserstraßen, weil diese auch nach der »Inundation« für den Feind schiffbar waren. Die im Gebiet bereits vorhandenen Festungen wurden modernisiert. Einige davon sind bis heute erhalten geblieben. Eine der schönsten Befestigungen ist die Festung Naarden, etwa 15 km südostwärts von Amsterdam gelegen. Um 1700 war der Bau der Holländischen Wasserlinie abgeschlossen. Danach wurde sie ständig modernisiert. Die Modernisierung erfolgte stets in enger Zusammenarbeit mit den zivilen Stellen, die für die Wasserwirtschaft zuständig waren. Im Laufe der Zeit wurden auch in anderen Teilen der Republik weitere Verteidigungslinien realisiert. Sie bestanden erstens aus nicht begehbarem Gelände wie etwa Sümpfen, zweitens aus Gebieten, die geflutet werden konnten, und drittens aus der Kombination von beiden. Die meisten Linien lagen in einem Korridor, der das Land von Nordosten bis Südwesten durchzog und der im Allgemeinen leicht zur Verteidigung vorbereitet werden konnte. Diese Linien bildeten ein gemeinsames Abwehrsystem, das das Hoheitsgebiet der Republik größtenteils gegen Angriffe von Land schützte. Während des 18. Jahrhunderts wurden zwei wichtige Teile dieses Verteidigungssystems fertiggestellt. Das waren die Zuiderwaterlinie von Bergen op Zoom bis Grave und eine »Inundationslinie« zwischen Zwolle und Arnhem (Arnheim) entlang der IJssel. Nachdem die Republik 1795 untergegangen war, wurden die Niederlande zu einem Vasallenstaat Frankreichs, der 15 Jahre später dem französischen Kaiserreich einverleibt wurde. Diese Epoche währte nur kurz, denn schon Ende 1813 erlangten die Niederländer ihre Unabhängigkeit zurück. Der neue Souverän, Erbprinz Wilhelm von Ora- nien, erwarb auch die Herrschaft über die südlichen Niederlande, das heutige Belgien. Er rief sich im März 1815 zum König aus und vereinigte die nördlichen und südlichen Niederlande zu einem neuen Staat. Die südlichen Provinzen erklärten jedoch bereits 1830 ihre Unabhängigkeit. Auf Anraten des Festungsbaumeisters Cornelis Krayenhoff beschloss Wilhelm im Jahre 1815 den Bau einer neuen Verteidigungslinie in der Mitte der Niederlande. Die Strecke dieser Neuen Holländischen Wasserlinie entsprach teilweise der alten Linie, die nun ersetzt wurde. Auf Vorschlag von Krayenhoff verlief die neue Linie ostwärts der Stadt Utrecht. Deren Verteidigungswert bestand ebenfalls in der Möglichkeit, Geländeabschnitte künstlich zu überfluten. Die Geländeabschnitte, die nicht überschwemmt werden konnten, wurden zumeist durch neue Forts geschützt. Mit dem Bau der Linie wurde 1816 begonnen, die Arbeiten mussten aber 1824 aus Geldmangel eingestellt werden. Nach der offiziellen Anerkennung der belgischen Unabhängigkeit im Jahre 1839 nahm man die Arbeiten wieder auf, 1860 wurden sie beendet. Nach der Abspaltung Belgiens stellte man sich in den Niederlanden die Frage, wie man sich als kleine Nation umgeben von Großmächten behaupten könne. Da sich die politische Großwetterlage zusehends verschlechterte, suchten die Niederlande ihr Heil in einem Konzept strikter Neutralität und außenpolitischer Zurückhaltung. In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann die militärpolitische Diskussion über den Nutzen des bis dahin verwendeten Verteidigungssystems, das Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 19 Strategie wie in der Zeit der Republik darauf ausgerichtet war, einen möglichst großen Teil des Hoheitsgebietes der Niederlande zu schützen. Man war sich darin einig, dass der lebenswichtigste Teil des Landes, der Westen, mit Befestigungen wirksam verteidigt werden sollte. Unterschiedliche Auffassungen herrschten allerdings darüber, ob man auch andere Teile der Niederlande nach wie vor durch Festungen und Linien schützen sollte. Das ausgedehnte Verteidigungssystem band nicht nur sehr viele Truppen, sondern führte auch zu deren starker Zersplitterung. Würde der Feind etwa eine der Linien durchbrechen, wäre ein großer Teil der Truppen eingeschlossen und somit für den weiteren Kampf nicht einsetzbar. Nachteilig wirkte sich auch die Tatsache aus, dass sich das Tempo der Kriegführung durch eine verbesserte Infrastruktur und Logistik, d.h. durch befestigte Straßen und Eisenbahnen erheblich gesteigert hatte. Man lief Gefahr, im Falle eines Angriffs zu wenig Zeit zur Verfügung zu haben, um das Heer zu mobilisieren und die Linien mit Truppen zu besetzen. Der Feind hätte so den Kampf bereits frühzeitig zu seinen Gunsten entscheiden können. Festungen außerhalb dieses Gebietes waren weitestgehend aufzugeben. Dieses Konzept wurde im Vestingwet (Festungsgesetz) festgelegt, das 1874 verabschiedet wurde. Die Verteidigung konzentrierte sich auf das Gebiet, das um 1900 herum als Vesting Holland (Festung Holland) bezeichnet wurde. Es umfasste im Großen und Ganzen die Provinz Südholland sowie die angrenzenden Teile der Provinzen Nordholland und Utrecht. Das neue Gesetz sah unter anderem den Bau der sogenannten Stelling van Amsterdam vor, einer Verteidigungslinie, die die Hauptstadt in einem weiten Kreis umfassen sollte. Mit dem Bau dieser Linie, die aus einer geschlossenen Kette von zu überflutenden Geländeabschnitten und Forts bestand, wurde ein letzter Zufluchtsort geschaffen, der sich bis zum Äußersten verteidigen ließ. Bei der Umsetzung des Festungsgesetzes erhielt die Modernisierung der Neuen Holländischen Wasserlinie höchste Priorität. Denn diese Linie sollte das oben benannte wichtige Kerngebiet gegen einen Angriff aus dem Osten schützen. Im Rahmen dieser Modernisierung traf man Vorkehrungen zur Beschleunigung des Flutungsvorgangs und zum Ausbau der »Inundationsgebiete«. Weiterhin wurden die bereits vorhandenen Forts ausgebaut, außerdem neue Verteidigungsanlagen errichtet. Kaum waren die Arbeiten 1885 beendet, machte die Entwicklung der Waffentechnik den Schutz mit einem Mal zunichte: In Das Festungsgesetz von 1874 Nach der neuen Doktrin erhielt daher die Verteidigung des westlichen Landesteiles Priorität, die Linien sowie die 20 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 Deutschland war die »Brisanzgranate« entwickelt worden. Es handelte sich um eine Splittergranate, die in einer einzustellenden Höhe über dem Ziel detonierte. Sie besaß eine enorme Spreng- und Durchschlagskraft, durchschlug Befestigungen oder Panzerungen. »Herkömmliche« Festungswerke, die damals aus Mauerwerk mit einer Erddeckung bestanden, konnten ihr nicht standhalten. Trotzdem wurde die Wasserlinie beibehalten. Denn es war zu teuer, die Anlagen abzureißen und durch wirksame, neue Betonbauten zu ersetzen. Während die Neue Holländische Wasserlinie durch die Entwicklung der Brisanzgranate mit einem Schlag veraltet war, konnte man sich bei der Stelling van Amsterdam, wo der Bau der Forts gerade erst projektiert worden war, noch rechtzeitig auf die neue Situation umstellen. Durch die Auswertung einer Reihe von Schießversuchen wurde ein Typ Fort entwickelt, der dem neuen Geschoss standhalten konnte. Mitte der 1890er Jahre fing man endlich mit dem Bau an. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, waren die Arbeiten nahezu abgeschlossen. Der »Inundationsvorgang« war inzwischen derart perfektioniert worden, dass die Flutung der Geländeabschnitte innerhalb von nur drei Tagen und Nächten möglich gewesen wäre. »Inundationen« im 20. Jahrhundert Am Vorabend des Ersten Weltkrieges ordnete die niederländische Regierung die Mobilmachung der Streitkräfte an. Dabei wurden die Linien zur Verteidigung eingerichtet und mit Streitkräften besetzt. Der außerhalb der »Festung Holland« gelegene Teil des Niederlande bildete das Operationsgebiet des Feldheeres. Es hatte den Auftrag, bei einem feindlichen Überfall den Vormarsch des Gegners so lange wie möglich zu verzögern und sich auf die »Festung Holland« zurückzuziehen. Die Überflutung wurde lediglich vorbereitet. Denn es gelang den Niederlanden, sich aus dem Krieg herauszuhalten, obwohl die Lage einige Male bedrohlich war. Daher beobachtete man auch sehr genau die Kriegsereignisse in Belgien und Nordfrankreich. derländischen Streitkräfte am 15. Mai kapitulierten. Es existiert die These, dass das Wasser als Mittel der Landesverteidigung wegen der Möglichkeiten moderner Luftstreitkräfte überholt gewesen sei. Dabei wird aber gerne übersehen, dass der Kampf nicht nur durch Luftkriegsmittel alleine entschieden werden konnte. Der Angreifer musste das gegnerische Territorium ja auch physisch einnehmen und das war nur durch Bodenoperationen möglich. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, spielte das Wasser als Abwehrmittel im Mai 1940 durchaus eine bedeutsame Rolle. Die Wehrmacht berücksichtigte es bei Planung und Durchführung ihrer Operationen. Letztlich kann man aber nicht umhin festzustellen, dass die deutschen Luftlandungen im Westen der Niederlande den Ausgang der Kämpfe stark beeinflusst haben. Die Wehrmacht hat die Bedeutung des Wassers als Abwehrmittel tatsächlich relativ hoch eingeschätzt und es in den Jahren 1944/45 in den Niederlanden in großem Maßstab angewandt. So legte sie im Zentrum der Provinz Südholland, im rückwärtigen Raum des Atlantikwalls, eine neue »Inundationslinie« an. Auch nach 1945 war die Rolle des Wassers in der niederländischen Lan- desverteidigung noch nicht ausgespielt. Die vorhandenen Linien behielten zwar ihren militärischen Status nicht bei, aber im Jahre 1951 wurde ein neuer Verteidigungsgürtel geschaffen, dessen Abwehrkraft auf dem Wasser beruhte. Diese Linie, die hauptsächlich entlang der IJssel verlief und einen Blitzangriff aus dem Osten aufhalten sollte, war nun Bestandteil der NATOVerteidigung. Durch die Absenkung einiger schwimmender Wehre in die großen Flüsse sollte zwischen Nijmegen (Nimwegen) und dem IJsselmeer ein riesiges Wasserhindernis entstehen. Durch eine Änderung der NATOStrategie wurde 1963 beschlossen, diese Neue IJssellinie aufzulösen. Die niederländischen Wasserlinien stellen weltweit ein einmaliges Phänomen dar. Sie sind von großem kulturhistorischen Wert. Die UNESCO nahm daher die Stelling van Amsterdam 1996 in die Liste des Weltkulturerbes auf. Die Niederlande sind zur Zeit bemüht, diesen Status auch für die Neue Holländische Wasserlinie zu erhalten. Auf diese Weise könnten kommende Generationen verstehen, wie ihre Vorfahren dank der Hilfe ihres »flüssigen Verbündeten« erfolgreich um ihre Unabhängigkeit gekämpft haben. ■ J. P. C. M. van Hoof Alle Abb. und Karten: Niederländisches Institut für Militärgeschichte Die Auswertung der dortigen Kämpfe 1914/15 ließ einerseits den Schluss zu, dass die niederländischen Forts trotz ihrer starker Betonschicht dem Beschuss der schweren deutschen Artillerie nicht standgehalten hätten. Auf der anderen Seite zeigten die Kämpfe an der IJzer im Südwesten Belgiens, dass »Inundationen« kombiniert mit Überwachung und entschlossener Verteidigung dem feindlichen Druck durchaus standhalten konnten. Dies bestärkte die Heeresführung in ihrem Vertrauen, das sie auf den Nutzen der Linien setzte. Nach Kriegsende wurden keine Baumaßnahmen an den Linien mehr durchgeführt. Dies war hauptsächlich auf die drastischen Einsparungen bei den Verteidigungsausgaben zurückzuführen, die die niederländische Regierung im Jahre 1922 beschloss. Als Folge der zunehmenden internationalen Spannungen Mitte der 1930er Jahre wurden wieder einige neue Linien errichtet. Deren Hauptzweck bestand darin, den Vormarsch feindlicher Truppen in Richtung der »Festung Holland« so lange wie möglich aufzuhalten. Wegen der drohenden Kriegsgefahr mobilisierten die Niederlande am 28. August 1939 ihre Streitkräfte. In den Monaten danach wurden verschiedene Teile des Verteidigungsliniensystems geflutet. Im März 1940 beschloss der Oberbefehlshaber des niederländischen Heeres, General H.G. Winkelman, die Ostfront der »Festung Holland« von der Neuen Holländischen Wasserlinie auf die Grebbelinie zu verlegen. Letztere lag im Grenzgebiet der Provinzen Utrecht und Gelderland. Winkelman begründete seinen Entschluss unter anderem damit, dass die Forts der Wasserlinie stark veraltet seien und die Verteidiger im offenen Gelände ein leichtes Ziel für Luftangriffe böten. Im Mai 1940 hielt die Grebbelinie anfangs den deutschen Hauptangriff durch die Mitte des Landes auf. Der Kampf konzentrierte sich zunächst auf den Grebbeberg, wo sich die Linie an den Rhein anschloss. Die Lage war dort allerdings am 13. Mai unhaltbar geworden, daher gab man die Grebbelinie auf und die niederländischen Truppen zogen sich auf die Wasserlinie zurück. Ein deutscher Angriff auf die Wasserlinie unterblieb, da die nie- Luftaufnahme des Niederrheins westlich von Arnheim. Das dunkle, längliche Objekt ist der transportable Teil einer Wehr der Neuen IJssellinie, den man zwischen die beiden Widerlager stellen konnte. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 21 Service Das historische Stichwort picture-alliance/akg-images Die Suezkrise von 1956 Kriegshandlungen im Suez-Krieg, Aufnahme vom November 1956. A m 29. Oktober 1956 rückte die israelische Armee in den damals ägyptischen Gaza-Streifen ein und stieß rasch in Richtung Suezkanal vor. Tags darauf konfrontierten Großbritannien und Frankreich die Kontrahenten mit einem kurzfristigen Ultimatum. Ägypten und Israel sollten ihre Truppen hinter den Suezkanal zurückziehen. Dabei hatten die israelischen Streitkräfte diesen noch gar nicht erreicht. Obendrein sollte Ägypten der Besetzung der Kanalzone durch britische und französische Truppen zustimmen. Ägypten lehnte ab. Daraufhin begannen britische und französische Luftstreitkräfte am 31. Oktober, ägyptische Flughäfen zu bombardieren. Am selben Tage verkündete die ungarische Regierung den Austritt ihres Landes aus dem Warschauer Pakt. Am 2. November legten die USA dem Sicherheitsrat der UNO den Entwurf einer Resolution vor, in der die sofortige Einstellung der Kämpfe im Nahen Osten gefordert wurde. Am 4. November – gleichsam im Windschatten der Suezkrise – begann die sowjetische Armee, gegen bewaffneten Widerstand Budapest zu besetzen. Am 5. und 6. November landeten britische und französische Truppen aus der Luft und von See aus auf ägyptischem Territorium. Gegen zähen Widerstand zwangen sie die Ägypter zum Rückzug. Die USA setzten London durch massive Verkäufe von Pfund Sterling unter Druck. Die Sowjetunion drohte London und Paris mit dem Einsatz von Atomwaf- 22 fen. Die britische Regierung knickte ein. Sie stimmte noch am 6. November einseitig einem Waffenstillstand in Ägypten zu; Frankreich und Israel folgten notgedrungen. Dagegen verhallten die Hilfsappelle der ungarischen Aufständischen an den Westen. Bereits am 14. November setzten die Sowjets eine ihnen genehme ungarische Regierung ein. Franzosen und Briten begannen am 3. Dezember mit dem Abzug ihrer Truppen. Ihren Platz nahm die für diesen Zweck neu geschaffene und erstmals eingesetzte »Blauhelm«-Truppe der UNO ein. Die in der Parallelität der Ereignisse entstandene Doppelkrise von Suez und Ungarn war zu Ende. Wie war es zu dieser Krise gekommen? 1952 hatte eine Gruppe ägyptischer Offiziere den pro-westlichen König Faruk vom Thron vertrieben. Gamal Abdel Nasser (1918–1970) setzte sich bald als Führungsfigur durch. Er steuerte einen panarabischen Kurs und unterstützte die Gewaltmaßnahmen der Palästinenser gegen Israel. Obendrein näherte er sich der Sowjetunion an, als sich der Westen weigerte, die ägyptischen Streitkräfte gegen Israel aufzurüsten. Schließlich verlangte Nasser die Nationalisierung des Suezkanals, was die bis dahin in der Region dominanten Briten und Franzosen ablehnten. Der Kanal war schon damals eine der strategisch wie wirtschaftlich wichtigsten Wasserstraßen der Erde. Ihre Bedeutung wuchs im Gleichschritt mit der Verdrängung Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 der Kohle durch das Rohöl als vorrangigem Energieträger der Industriestaaten. Entsprechend profitabel war die private britisch-französische Kanalgesellschaft. Nasser erreichte im SuezAbkommen von 1954 den Abzug britischer Truppen aus der Kanalzone. Im Gegenzug erkannte er deren internationalen Status an. Als die USA sich weigerten, den projektierten AssuanStaudamm zu finanzieren, verkündete Nasser am 26. Juli 1956 die Verstaatlichung des Suezkanals. Trotz der angekündigten Entschädigung fühlten sich Briten und Franzosen herausgefordert. Zu deren Leidwesen verhinderten die USA in der UNO eine Verurteilung Ägyptens. Sie billigten damit faktisch die Entscheidung Nassers. Da dieser den Suezkanal und den Golf von Akaba für israelische Schiffe und Güter sperrte, sah Israel seine Handelsverbindungen gefährdet. Nicht minder bedroht wähnte sich Paris. Ein Erfolg Nassers kam einem Positionsgewinn der Algerier in ihrem Unabhängigkeitskrieg gegen die französische Kolonialmacht gleich. In Geheimverhandlungen vom 22. bis 24. Oktober 1956 vereinbarten Großbritannien, Frankreich und Israel ein bemerkenswertes Komplott mit Anklängen an die Ära der »Kanonenboot-Politik« des 19. Jahrhunderts. Der Präventivkrieg Israels gegen Ägypten sollte Großbritannien und Frankreich den Anlass für ein Ultimatum an beide Seiten bieten. Da das Ultimatum erkennbar zugunsten der Israelis ausfiel, rechnete man mit der ägyptischen Ablehnung. Als diese prompt erfolgte, war der Vorwand für die britisch-französische Intervention geschaffen. Letztlich sollte das Nasser-Regime beseitigt werden. Das Unternehmen endete, unbeschadet aller militärischen Erfolge der Verbündeten, in einem diplomatischen Fiasko. Die Briten hatten durch ihr mit den Vereinigten Staaten nicht abgestimmtes Vorgehen ihren wichtigsten Alliierten und Seniorpartner düpiert, der sie dann auch seinerseits nachhaltig desavouierte. Als vorläufige Sieger gingen Nasser und die Sowjetunion aus dem Konflikt hervor. Wie in einem Brennglas kulminierten in der Doppelkrise Suez und Ungarn verschiedene Entwicklungen. Nasser personifizierte den Prozess der Entkolonialisierung, in dem die Völker Asiens und Afrikas ihren kolonialen oder halbkolonialen Status abschüttelten. Frankreich hatte 1954 nach einem zehnjährigen Kolonialkrieg die Herrschaft über Indochina eingebüßt. Seitdem führte es einen Krieg gegen die algerische Unabhängigkeitsbewegung, die Nassers Sympathie und Unterstützung genoss. Den Briten galt die Kanalzone weiter als Lebensnerv des britischen Empire, der von Gibraltar über Suez in den Persischen Golf und weiter nach Fernost verlief. Sie fürchteten, die Araber könnten den Ölhahn union werde sich mit der Finanzierung des Assuan-Staudammes übernehmen, ging vorläufig nicht auf. Mittelfristig verzeichnete der Ostblock im Nahen Osten zu Lasten des Westens einen Zuwachs an politischem und militärischem Einfluss. Die traditionellen europäischen Großmächte mussten schmerzlich lernen, dass ihr Handlungsspielraum im Zweifel von der westlichen Supermacht definiert wurde. Die NATO war kein hinreichender Garant gegen transatlantische Interessenkonflikte. Sie blieb ein Militärbündnis von begrenzter politischer Dimension. Frankreich und Großbritannien zogen gegensätzliche Konsequenzen aus der Krise. Paris überwand seine bisherige europapolitische Unentschlossenheit. Jetzt strebte man eine kontinentale Wirtschaftsgemeinschaft und ein nationales Kernwaffenpotenzial an. Bundeskanzler Konrad Adenauer sah sich in seinem latenten Misstrauen gegen die Beistandszusagen der Amerikaner bestätigt. Er trieb ebenfalls die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft voran. Dabei kam er französischen Interessen weit entgegen. London restaurierte dagegen sein Sonderverhältnis zu den USA. Insgesamt markierte die Doppelkrise den Abschluss des Strukturwandels, der 1945 begonnen hatte. An die Stelle einer multipolaren war die bipolare Weltordnung des Kalten Krieges getreten; sie dauerte bis 1989. Dieter Krüger ullstein bild picture-alliance/dpa Der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser kündigt in seiner Rede am 27. Juli 1956 in Alexandria vor rund 50 000 Zuhörern die Verstaatlichung des Suez-Kanals sowie den Bau des AssuanStaudammes an. zudrehen. Die USA förderten im Grundsatz die Entkolonialisierung. Nur wenn die Gefahr bestand, dass die Territorien nach ihrer Befreiung sofort in den kommunistischen Einflussbereich wechselten, unterstützten sie die europäischen Kolonialmächte. Im Fall der Kanalgesellschaft hätte die Duldung oder gar Unterstützung des militärischen Vorgehens der Briten und Franzosen das amerikanische Bestreben konterkariert, die Vorherrschaft der alten Kolonialmächte im Nahen Osten durch ein auf die USA ausgerichtetes Netzwerk der jungen arabischen Staaten zu ersetzen. Zum einen war die Region durch ihre Ölreserven und geostrategische Lage an der Südflanke der Sowjetunion zum Objekt der weltweiten amerikanischen Interessen geworden. Zum anderen verlagerte sich der Kalte Krieg der Supermächte und ihrer Bundesgenossen zusehends in die Dritte Welt. Die Entkolonialisierung bot der Sowjetunion und ihren Verbündeten neue Einflusschancen in den unabhängig werdenden Staaten; hatten sich die Grenzen der Blöcke in Europa doch erkennbar konsolidiert. Denn der Budapester Aufstand machte augenfällig, dass die USA nicht bereit waren, zugunsten der Osteuropäer gegen die Sowjetunion militärisch einzugreifen. Das von der Eisenhower-Administration lautstark verkündete »Roll-back« erwies sich als Rhetorik, gewürzt mit viel Propaganda und weitgehend erfolglosen verdeckten Aktionen. Das Kalkül der Amerikaner, die Sowjet- An der Einfahrt zum Suez-Kanal bei Port Said ließ der ägyptische Staatspräsident Nasser Schiffe versenken, um eine Durchfahrt unmöglich zu machen; Aufnahme vom 8. November 1956. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 23 Service Medien online/digital http://www.art-ww1.com Krieg in der Kunst – Kunst im Krieg Malerei und die Schattenseiten des Krieges im Internet K unst und Krieg haben eines gemein – sie sind menschliche Erfahrungen, können extremer Ausdruck des Zeitgeistes sein und agieren zum Teil jenseits des Alltäglichen. Seit jeher haben Kriege und Gewalt Motive für Künstler geboten. In der Frühen Neuzeit prägten vor allem heroisierende Schlachtengemälde und Portraits der siegreichen Feldherren, aber auch künstlerische Darstellungen der Besiegten die Malerei. Es waren zumeist Auftragsarbeiten, die das Geschehene häufig verklärend darstellten. Die Tradition der großen Schlachtengemälde sollte sich noch bis zum deutsch-französischen Krieg von 1870/71 halten. In den folgenden Jahrzehnten wandelten sich die Kriege, die Technik begann ihren nicht enden wollenden »Siegeszug« und dominierte die Kriegführung zusehends. Die Soldaten wurden zur anonymen Masse. Die militärischen Auseinandersetzungen forderten immer mehr Opfer, die Konfrontation mit der entsetzlichen Brutalität, die auch vor Zivilisten keinen Halt mehr machte, schien in den tradierten künstlerischen Formen nicht mehr fassbar zu sein. Um das erfahrene Leid zu verarbeiten, griffen Maler, die den Krieg erlebten bzw. erlebt hatten, zu Pinsel und Bleistift. Sie abstrahierten und experimentierten, denn der Krieg bot nicht mehr die bekannten Motive – keine »Attacken, Hinterhalte und symbolische Darstellungen«. Es handelte sich aber nicht um eine abgeschlossene Entwicklung, die das Althergebrachte ersetzte, sondern vielmehr ergänzte, weiter entwickelte und neue Sichtweisen ermöglichte. Das Ziel war nicht mehr allein die Bewahrung des Erlebten für die Nachwelt. Zahlreiche Künstler nutzten ihr Kön- 24 nen, um sich selbst zu »therapieren«, die Schrecken und das Leid zu verarbeiten und vor den Schattenseiten des Krieges zu warnen. Es entstanden künstlerische Tagebücher – gemalte Geschichtsbücher. Im Internet kann man diese Werke aufspüren und ihre Hintergründe erfahren. Unter der Schirmherrschaft der UNESCO entstand in Zusammenarbeit verschiedener europäischer Forschungseinrichtungen und Museen eine Sammlung einzelner Werke von mehr als 54 Künstlern, die während des Ersten Weltkriegs und danach geschaffen wurden und die der Kunsthistoriker Philippe Dagen kommentiert und historisch verortet hat. Diese Website entstand im Kontext einer Ausstellung zum 80-jährigen Jubiläum des Waffenstillstandes vom 11. November 1918. Der Titel dieses Projektes lautet »Die Farbe der Tränen«. Nach einer Startseite, auf der sich ein Sprachmenü befindet, gelangt man zur eigentlichen Hauptseite. Der Besucher kann sich hier in vier Übersichten durch die Website bewegen. Zum einen besteht die Möglichkeit, eine »Führung« mitzumachen, die den Besucher nach einem Vorwort durch die eigentlichen Themenfelder leitet: »Kriegserklä- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 rung«, »Die Soldaten«, »Das Schlachtfeld«, »Das Zeitalter der Artillerie«, »Der totale Krieg«, »Unsägliches Leid« und »Der Tod«. In diesen Unterpunkten wird durch Zitate und Erklärungen das jeweilige Thema verständlich erläutert. Daneben finden sich Links, die auf Maler und ihre Werke verweisen. Zum Beispiel gelangt man in der Rubrik »Die Soldaten« auf die »Selbstbildnisse als Soldat« von Otto Dix oder unter »Der Tod« auf das aussagekräftige Bild »Thiepval« von William Orpen. Ergänzt werden die Präsentationen der Bilder mit Erläuterungen zu den Begleitumständen ihrer Entstehung wie auch zu den Malern, die sie geschaffen haben. Zudem findet sich unter dem Menüpunkt »Maler« ein Register aller Künstler und ihrer Werke sowie unter »Partner« eine Auflistung der am Projekt teilnehmenden Institutionen. Durch die kompetenten, verständlichen und themenbezogenen Erläuterungen wird, ergänzt durch Zitate, ein eindrückliches und zum Nachdenken einladendes Bild eines Krieges konstruiert, den es vorher noch nie so gegeben hatte. Das »Lebendige virtuelle Museum Online« (LEMO) dagegen ist ein rein deutsches Projekt des Deutschen His- http://www.dhm.de/lemo torischen Museums (DHM) und des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (HdG). Diese Seite führt durch die Geschichte Deutschlands von der Reichsgründung 1871 bis zur aktuellen Zeitgeschichte. Die chronologisch angelegten Kapitel sind selbst in einzelne Unterkapitel wie Zeitgeschehen, Außen- und Innenpolitik, Gesellschaft aber auch Kunst und Kultur unterteilt. Diese präsentieren sich mit zahlreichen informativen Texten, Fotografien und Ton- bzw. Videomaterial. Die Unterkapitel Kunst und Kultur führen zu verschiedenen Malern, Autoren und Komponisten. Doch wird im Bereich des Zweiten Weltkrieges auch die NS-Propaganda nicht ausgelassen. Sie bildet einen Teil der künstlerisch, malerischen Darstellung des Krieges, wenn auch mit einer besonderen Intention. Lange ist dieses Kapitel aus der Kunstgeschichte ausgeblendet worden. Doch vergessen die Autoren der Beiträge nicht, auf die gewollte, verklärende Wirkung solcher Werke hinzuweisen. Daneben stehen die Gemälde von Künstlern wie Adelheim Dietzel und Felix Nussbaum, die den Schrecken des Krieges und der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in ihren Bildern festhielten. Ergänzt werden die Beiträge durch Links zu den jeweiligen Personen, sodass auch detaillierte Biografien der Künstler und Analysen ihrer Werke nachgelesen werden können. Eine völlig andere Herangehensweise an das Thema Krieg liefert die Website einer Initiative von Künstlern, die anlässlich des Krieges im Irak eine eher sinnliche »Reise« in die Schrecken des Krieges entworfen hat. Hier werden Werke von Malern, Dichtern und Musikern aus fünf Jahrhunderten präsentiert, die das Leid des Krieges in den Vordergrund stellen. So finden sich neben den berühmten Stichen von Albrecht Dürer, Jaques Callot oder den Bildern von Francisco de Goya auch zeitgenössische Werke, die zusammen mit Gedichten und Stücken von Komponisten wie Chopin, Bach, Saint Saëns oder traditionellen Totentänzen aus der Schweiz und Flandern ein Bild des Krieges zeigen – jenseits glorifizierender Heldenepen. Stephan Theilig w w w. http://www.onlinekunst.de/frieden Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 25 Service Lesetipp 50 Jahre Deutsche Marine Erster Weltkrieg D W ie See fasziniert nicht nur, sie prägt auch das Denken der Männer und Frauen der Marine. Die Autoren, Kenner der Materie als Marineoffiziere oder Fachleute aus der Rüstungsindustrie, bieten im vorliegenden Sammelband einen informativen Überblick über 50 Jahre deutsche Marinegeschichte und greifen zusätzlich verschiedene Aspekte der Entwicklungsgeschichte sowie grundlegende as wäre gewesen, wenn ...« Diese Frage, in der Geschichtswissenschaft als »kontrafaktische Argumentation« bezeichnet, ist nur eine Besonderheit des Buches von Verena Moritz und Hannes Leidinger. Zu- dem Regiment des Unteroffiziers, die sich auf dessen Seite geschlagen hatten, suchten bei anderen Einheiten Unterstützung gegen ihre Vorgesetzten; die Situation eskalierte. Mit der Weigerung Kirpitschnikows begannen jene Tage, die als Februarrevolution in die Geschichte eingegangen sind; sie waren zugleich Vorspiel der Ereignisse im Oktober 1917. In der »Bedienungsanleitung« laden die Autoren dazu ein, sich mit diesem erfrischend schmalen Buch »Hals über Kopf ins [...] ›Gerümpel‹ der Geschichte« zu stürzen. Folgen Sie dieser Auffordemt rung, es lohnt sich. Zweiter Weltkrieg B Verena Moritz und Hannes Leidinger, Die Nacht des Kirpitschnikow. Eine andere Geschichte des Ersten Weltkriegs, Wien 2006. ISBN 3-552-06029-4; 319 S., 24,90 Euro Sigurd Hess, Guntram Schulze-Wegener und Heinrich Walle, Faszination See. 50 Jahre Marine der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. im Auftrag des Deutschen Marine Instituts, Hamburg, Berlin, Bonn 2005. ISBN 3-8132-0838-9; 304 S., 29,90 Euro Fragen in Einzelbeträgen auf. Eingeleitet wird der Band mit einem Essay des renommierten Marinehistorikers Michael Salewski. Die erfolgreiche Geschichte der kleinsten Teilstreitkraft dient als Ausgangspunkt für Überlegungen zum »Kurs Zukunft« der Marine im Einsatz. In diesem Zusammenhang zeigt auch der ehemalige Heeresgeneral und Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, mit seinem Plädoyer für europäische Seestreitkräfte Weitblick und historische Einsicht, wenn er bilanziert »Navigare necesse est – Seefahrt tut not«. Die Werbeeinschaltungen und die Informationen über maritime Interessenvertretungen zeigen zudem: Die Deutsche Marine ist gut aufgestellt und weiß eine beeindruckende Lobby hinter sich. hb 26 gleich lässt es einen Einblick in die Werkstatt des Historikers zu, ohne dass der Leser – ein weiteres Kunststück – von einem unverständlichen Fachjargon erschlagen wird. Einem Überblick über unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze beim Umgang mit Geschichte (streckenweise leider nur eine Zitatensammlung) folgt eine kurze Zusammenschau von Vorgeschichte und Verlauf der »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts. Auf breiter Quellenbasis präsentieren die beiden Wiener Historiker anschließend fünf Momentaufnahmen der Geschichte, die sich an vielen Stellen spannend wie ein Kriminalroman lesen, etwa wenn von dem österreichischen Grafen Hoyos die Rede ist, der vom Deutschen Reich den so genannten Blankoscheck erwirkte, die vorbehaltlose Unterstützung im Kriege. Im Zentrum dieser fünf Momente jedoch steht der russische Unteroffizier Kirpitschnikow. Er weigerte sich Anfang 1917 in Petrograd auf hungernde Demonstranten zu schießen. Kameraden aus Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 iografien sind ein beliebter Zugang zur Geschichte. Sie bieten – mitunter theatralischen – Stoff zum Leben einer historischen Person und ermöglichen damit, auch komplexen historischen Zusammenhängen biografisch eine fassbare Form zu geben. Friedrich Fromm (1888–1945) war einer der Bernhard R. Kroener, »Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet«. Generaloberst Friedrich Fromm. Eine Biographie, Paderborn, München, Berlin, Zürich 2005. ISBN 3-506-71734-0; 1060 S., 59,90 Euro wichtigsten Generale der Wehrmacht. Sein Zuständigkeitsbereich als »Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres« umfasste die gesamte deutsche militärische Infrastruktur und sogar Ersatztruppenteile außerhalb der Reichsgrenzen in den besetz- ten Gebieten. Er hatte frühzeitig und mehrfach ab 1941 die Einstellung der Kampfhandlungen in Lagebeurteilungen eingefordert, da der Krieg aus seiner Sicht nicht zu gewinnen war. Fromm ist Teil des historischen Gedächtnisses der Deutschen – jedoch zumeist als der Mann, der Stauffenberg und seine Kameraden im Bendlerblock nach dem missglückten Staatsstreich vom 20. Juli 1944 erschießen ließ. Die umfangreiche Biografie aus der Feder des Potsdamer Professors für Militärgeschichte rekonstruiert nicht nur das Leben und die möglichen Motive von Friedrich Fromm, sondern bietet wohl eine der besten Geschichten des deutschen Offizierkorps in Staat und Gesellschaft vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg. hb I m vergangenen Jahr wurde das »Kriegsende 1945« aufgrund seines sechzigsten Jahrestages in zahlreichen lokalen und überregionalen Zeitungen ausgiebig thematisiert. Im Vordergrund standen zumeist die Kriegshandlungen in bestimmten Regionen sowie die Reaktionen der Bevölkerung auf die »Befreiung« durch alliierte Truppen. Gerhard Hirschfeld und Irina Renz haben in Ihrer Publikation »Vormittags die ersten Amerikaner« zahlreiche Briefe und Tagebuchein- Gerhard Hirschfeld und Irina Renz (Hrsg.), »Vormittags die ersten Amerikaner«. Stimmen und Bilder vom Kriegsende 1945, Stuttgart 2005. ISBN 3-608-94129-0; 208 S., 19,00 Euro träge zusammengetragen, die für die Monate Januar bis Mai 1945 ein Stimmungsbild der deutschen Bevölkerung wiedergeben. Das Spektrum der zu Worte kommenden Personen ist bewusst weit angelegt: neben Soldaten, KZ-Häftlingen und »Durchschnittsbürgern« wurden auch Aufzeichnungen von zeitgenössischen Prominenten wie Thomas Mann und Erich Kästner, aber auch von Nationalsozialisten wie Joseph Goebbels und Martin Bormann abgedruckt. Diese Mischung lässt ein sehr facettenreiches, in manchen Punkten heterogenes Stimmungsbild entstehen, das deutlich macht, dass bei weitem nicht alle Deutschen eine ähnliche Wahrnehmung des Kriegsendes hatten. Jeder Monat wurde von den Herausgebern mit einer kurzen Chronik versehen, sodass die abgedruckten Aufzeichnungen schnell in Bezug zur allgemeinen politischen und militärischen Lage gebracht werden können. Zuletzt tragen das ausführliche Personen- und Quellenverzeichnis zu einer Publikation bei, die jedem interessierten Leser bislang unbekannte Eindrücke über dieses Kapitel deutscher Geschichte vermitteln wird. jf Kalter Krieg S pätestens seit dem Beginn des noch andauernden Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan ist wohl jedem deutschen Soldaten klar, dass deutsche Sicherheitsinteressen sich nicht auf Europa beschränken lassen. Aus der Bundeswehr ist seit der Auflösung des Warschauer Paktes 1990 eine mobile, einsatzorientierte Armee geworden, die an den verschiedensten Brennpunkten in der ganzen Welt eingesetzt wird. Nur wenigen Soldaten ist allerdings bewusst, dass auch für die Zeit des Kalten Krieges, der Blockkonfrontation zwischen NATO und Warschauer Pakt, insgesamt bis zu 150 größere bewaffnete Konflikte weltweit zu zählen sind. Diese resultierten in vielen Fällen aus Auseinandersetzungen zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion in der Dritten Welt, außerhalb des politisch und militärisch relativ stabilen Europas. Da im Zentrum der Blockkonfrontation aufgrund der Konsolidierung der Systeme keine Er- Bernd Greiner, Christian Th. Müller und Dierk Walter (Hrsg.), Heiße Kriege im Kalten Krieg. Studien zum Kalten Krieg, Bd 1, Hamburg 2006. ISBN 3-93609-661-9; 514 S., 35,00 Euro weiterung des Einflussraumes ohne das Risiko eines atomaren Weltkrieges möglich war, wurde der Kernkonflikt in anderen Regionen der Welt mit kriegerischen Mitteln fortgesetzt. Der Sammelband »Heiße Kriege im Kalten Krieg« greift eben diese Problematik auf und stellt in einer umfangreichen Einleitung die Stellung der USA und der Sowjetunion sowie deren jeweilige politische Zielsetzung in Bezug auf die Dritte Welt dar. In den darauf folgenden Fallstudien werden die wichtigsten der »Heißen Kriege« vorgestellt und vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Interessenlagen der beiden Supermächte analysiert. Neben dem allgemein bekannten Korea- (1950–1953) und Vietnamkrieg (1965–1973) finden auch die sowjetische Intervention in Afghanistan (1979), der Palästinakonflikt, der irakisch-iranische Krieg (1980–1988) sowie zahlreiche weniger öffentlichkeitswirksame Konflikte Beachtung. Das Ende des Kalten Krieges bedeutete für viele der Krisenherde keinesfalls eine Beendigung der Konflikte. Vielmehr gewannen diese eine gewisse Eigendynamik und führten so zu Entwicklungen, die heute ein Eingreifen supranationaler Organisationen erforderlich macht. Nicht nur aus dieser Aktualität heraus ist der Sammelband »Heiße Kriege im Kalten Krieg« sowohl für Experten als auch für politisch und historisch interesjf sierte Leser geeignet. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 27 Service ● Berlin Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962–1806. Altes Reich und neuer Staat 1495–1806 Deutsches Historisches Museum – PEI-Bau Hinter dem Gießhaus 3 10117 Berlin Telefon: (030) 20 30 40 Telefax: (030) 20 30 45 43 website: www.dhm.de täglich 10.00 bis 18.00 Uhr 28. August bis 10. Dezember 2006 Verkehrsanbindungen: S-Bahn: Stationen »Hackescher Markt« und »Friedrichstraße«; U-Bahn: Stationen »Französische Straße«, »Hausvogteiplatz« und »Friedrichstraße«; Bus 100, 157, 200 und 348, Haltestellen: »Staatsoper» oder »Lustgarten«. Ausstellungen historischen Flugwerft Oberschleißheim e.V. »Der Werftverein« Luftwaffenmuseum der Bundeswehr Berlin Gatow Kladower Damm 182 14089 Berlin Gatow Telefon: (030) 36 87 26 01 Telefax: (030) 36 87 26 10 e-mail: LuftwaffenMuseum [email protected] www.luftwaffenmuseum.de Dienstag bis Sonntag (Mai bis September) 10.00 bis 18.00 Uhr Dienstag bis Sonntag (Oktober bis April) 10.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 3,00 Euro 28. April bis 17. September 2006 Sky and more Fotos von Jörg Franzen Luftwaffenmuseum der Bundeswehr Berlin-Gatow (s.o.) Eintritt: frei 28. April bis 17. September 2006 8.00 bis 16.00 Uhr 19. August bis 6. September 2006 ● Ingolstadt Gustav Otto. Pionier der bayerischen Luftfahrtindustrie Eine Sonderausstellung des Vereins zur Erhaltung der ● Erndtebrück Bundeswehr im Einsatz – Von der Bündnisverteidigung zum Einsatz im Bündnis Einsatzführungsbereich 2 Hachenberg-Kaserne 57339 Erndtebrück Telefon: (0 27 53) 60 40 Montag bis Freitag 28 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 Jena Ingelheim am Rhein Vom Doppeladler zur Trikolore – Ingelheim in napoleonischer Zeit Museum bei der Kaiserpfalz François-Lachenal-Platz 5 55218 Ingelheim am Rhein Telefon: (0 61 32) 13 74 Telefax: (0 61 32) 43 29 08 e-mail: [email protected] website: www.ingelheim.de/museum Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 12.30 Uhr 13.30 bis 17.00 Uhr Eintritt: 2 Euro 8. April bis 24. Sept. 2006 Verkehrsanbindungen: Mit der Buslinie 612 vom Bahnhof Ingelheim bis Haltestelle »Lachenal-Platz (Kaiserpfalz)«. ● ● Garnison Ingolstadt Bayerisches Armeemuseum – Reduit Tilly (Klenzepark) Paradestraße 4 85049 Ingolstadt Telefon: (08 41) 9 37 70 Telefax: (08 41) 9 37 72 00 e-mail: sekretariat@ bayerisches-armeemuseum website: www.bayerischesarmeemuseum.de Dienstag bis Sonntag 8.45 bis 16.30 Uhr 30. Mai 2006 bis 6. Januar 2007 C´est la guerre. Napoleons Krieg in Thüringen Stadtmuseum & Kunstsammlung Jena Markt 7 07743 Jena Telefon: (0 36 41) 3 59 80 Telefax: (0 36 41) 35 98 20 website: www.stadtmuseum.jena.de Dienstag, Mittwoch, Freitag 10.00 bis 17.00 Uhr Donnerstag 14.00 bis 22.00 Uhr Samstag, Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr 13. Juli bis 5. November 2006 Verkehrsanbindungen: Das Museum befindet sich im Stadtzentrum am Rathausmarkt. ● Kapellendorf/ Weimarer Land »Die Nacht allein rettet uns« – Der Untergang der preußischen Armee bei Kappellendorf Kemenate der Wasserburg Kappellendorf Am Burgplatz 1 99510 Kapellendorf Telefon: (03 64 25) 2 24 85 e-mail: wasserburg-kapellendorf@ t-online.de Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 12.00 Uhr Eintritt: 1,50 Euro ermäßigt: 0,75 Euro 12. Juli bis 5. November 2006 Verkehrsanbindungen: Anfahrt mit Pkw: BAB 4 bis Abfahrt »Apolda«, B 7 in Richtung Jena, Abzweigschild in Frankendorf aufgestellt. ● Neuburg an der Donau Entschieden für Frieden – 50 Jahre Bundeswehr Jagdgeschwader 74 Wilhelm-Frankl-Kaserne 1 86633 Neuburg an der Donau Telefon: (0 84 31) 64 30 Montag bis Freitag 8.00 bis 16.00 Uhr 5. bis 31. Juli 2006 ● Paderborn Erzbischöfliches Diözesanmuseum Städtische Galerie Am Abdinghof Telefon: (0 52 51) 88 29 80 Telefax: (0 52 51) 88 29 90 e-mail: [email protected] website: www.canossa2006.de Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr Eintritt: 9,00 Euro ermäßigt: 6,00 Euro 21. Juli bis 5. November 2006 Verkehrsanbindungen: Alle drei Objekte sind direkt im Stadtzentrum und zu Fuß sehr gut zu erreichen. ● ● Entschieden für Frieden – 50 Jahre Bundeswehr Marineamt Kopernikusstraße 1 18057 Rostock Telefon: (0 3 81) 8 02 50 Montag bis Freitag 8.00 bis 16.00 Uhr 4. bis 12. August 2006 Verkehrsanbindungen: Stadtteil Hansaviertel: mit der S-Bahn bis Station »R-Holbein-Platz«. Parow Entschieden für Frieden – 50 Jahre Bundeswehr Marinetechnikschule Papelallee 24 18435 Kramerhof OT Parow Telefon: (0 38 31) 6 80 Montag bis Freitag 8.00 bis 16.00 Uhr 5. bis 26. September 2006 ● Regensburg Die Geburt Österreichs Altes Rathaus Rathausplatz 1 93047 Regensburg Telefon: (09 41) 5 07 44 77 Telefax: (09 41) 5 07 20 04 e-mail: [email protected] website: www.regensburg.de/2006 Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr 10. September bis 3. Oktober 2006 Verkehrsanbindungen: Ab Regensburg Hauptbahnhof mit dem Altstadtbus Nr. A bis Haltestelle »Altes Rathaus«. Museum für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters Mühlentor 15a 14793 Ziesar Telefon: (03 38 30) 1 27 35 e-mail: [email protected] website: www.burg-ziesar.de Dienstag bis Sonntag (Mai bis September) 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr Dienstag bis Sonntag (Oktober bis April) 10.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 3,00 Euro 11. August bis 30. Oktober 2006 Verkehrsanbindungen: Mit der Regionalbahn (RE 1) bis Brandenburg, von dort mit dem Bus nach Ziesar. Weitere Auskunft unter www.vbbfahrinfo.de. Pottenstein/Franken ● Rastatt Canossa – Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Anfang der Romanik Ausstellung an drei Standorten Museum in der Kaiserpfalz Rauchende Flinten, rasselnde Säbel, unglaubliche Drangsale. Preußische Einfälle nach Franken im Siebenjährigen Krieg Fränkische SchweizMuseum Tüchersfeld 91278 Pottenstein Telefon: (0 92 42) 16 40 Telefax: (0 92 42) 1056 e-mail: [email protected] website: www.fsmt.de Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 2,30 Euro ermäßigt: 1,50 Euro 30. Juni bis 17. September 2006 Verkehrsanbindungen: Vom Bahnhof mit Bus (VAG 389) bis Haltestelle »Tüchersfeld«. Der Preis der neuen Kronen. Der Rheinbund von 1806 Wehrgeschichtliches Museum Schloß Rastatt Herrenstraße 18 76437 Rastatt Telefon: (0 72 22) 34 2 44 Telefax: (0 72 22) 30 7 12 e-mail: [email protected] Dienstag bis Sonntag 9.30 Uhr bis 17.00 Uhr Eintritt: 6,00 Euro ermäßigt: 4,00 Euro 20. Mai bis 29. Oktober 2006 ● Ziesar/Brandenburg Wielkopolska – Die Wiege des Christentums in Polen Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 29 Die Seeschlacht vor dem Skagerrak (Battle of Jutland) »Selbst der glücklichste Ausgang einer Hochseeschlacht wird England in diesem Krieg nicht zum Frieden zwingen. Ein sieghaftes Ende des Krieges in absehbarer Zeit kann nur durch Niederringen des englischen Wirtschaftslebens erreicht werden, also durch Ansetzen des Unterseebootes gegen den engullstein bild lischen Handel.« Mit diesen Worten fasste der Chef der Hochseeflotte, Vizeadmiral Reinhard Scheer, gegenüber Kaiser Wilhelm II. das strategische Ergebnis der wenige Wochen zuvor stattgefundenen Seeschlacht vor dem Skagerrak zusammen. Am 31. Mai 1916 waren die britische Grand Fleet (151 Schiffe, darunter 37 Großkampfschiffe) und die deutsche Hochseeflotte (99 Schiffe, darunter 21 Großkampfschiffe) in der größten Seeschlacht des Ersten Weltkrieges aufeinander gestoßen. Am Ende der Schlacht war es trotz höherer britischer Verluste (115025 Tonnen Schiffsraum und 6094 Mann) der deutschen Seite (61 180 Tonnen Schiffsraum und 2551 Mann) nicht gelungen, die große materielle und personelle Überlegenheit der Royal Navy auszugleichen. Strategisch war die Grand Fleet eindeutig Sieger geblieben. Die britische Fernblockade bestand weiter fort und der Aktionsraum der Hochseeflotte beschränkte sich weiterhin auf Nord- und Ostsee. Der Träger des Krieges gegen Großbritannien wurde das U-Boot. Die Großkampfschiffe auf deutscher Seite dienten bis Kriegsende nur noch als Rückhalt für den uneingeschränkten U-Bootkrieg. Gerhard P. Groß 10. Oktober 1981 Friedensdemonstration in Bonn 300 000 Menschen versammelten sich an diesem Tage im Bonner Hofgarten zur größten Demonstration, die die damalige Bundeshauptstadt je erlebt hatte. Ein breites Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften bis hin zu linken Gruppierungen hatte zum Protest gegen den Ludwig Wegmann/Bundesregierung NATO-Doppelbeschluss aufgerufen. Ähnliche Proteste hatte es im Juni beim Evangelischen Kirchentag in Hamburg gegeben. Ausgangspunkt war die von Bundeskanzler Helmut Schmidt erkannte »Rüstungslücke« bei atomaren Mittelstreckenraketen. Den neuen sowjetischen SS20-Raketen, versehen mit atomaren Mehrfachsprengköpfen und montiert auf mobilen Abschussrampen, hatte die NATO nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Bundeskanzler Schmidt forcierte gegen heftige innenpolitische Widerstände den NATO-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979, der Abrüstungsverhandlungen, im Falle ihres Scheiterns aber auch eine Nachrüstung vorsah: 572 ebenfalls mobile US-Mittelstreckenraketen (Pershing II) bzw. Marschflugkörper (Cruise Missiles), die mit Atomsprengköpfen versehen waren. Bereits bestehende Protestbewegungen u.a. gegen die Atomkraft vereinigten sich in mehreren westeuropäischen Ländern zur Friedensbewegung, die die neuen westlichen Raketen als friedens- und existenzbedrohend einschätzte. Der Riss ging quer durch die Gesellschaft, durch Kirchengemeinden, Parteien und Familien. Die Abrüstungsverhandlungen begannen am 30. November 1981; sie scheiterten jedoch, sodass ab 1983 die Stationierung der Pershing-II-Raketen erfolgte, was erneut zu Protesten führte. hp 30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 ➜ ● Vorschau Am 14. Oktober 1806 – vor 200 Jahren – erlitt die preußische Armee bei Jena und Auerstedt eine vernichtende Niederlage gegen die Truppen Napoleons. Die Folgen waren u.a. eine schonungslose Aufarbeitung der offenbarten Schwächen, die Analyse der Ursachen in Staat und Armee sowie der Beginn einer umfassenden Staats- und Heeresreform, die mit den Namen Hardenberg, Stein, Scharnhorst und Gneisenau verbunden ist. Das Jahr 1806 – eines der »Schicksalsjahre« der deutschen Geschichte – sah aber auch das Ende des seit 962 bestehenden Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (= Das Alte Reich) und den Beginn des Rheinbundes, eines Zusammenschlusses von 16 nunmehr vollständig souveränen deutschen Fürsten unter der Hegemonie Napoleons, sowie die Entstehung der Königreiche Bayern, Württemberg und Sachsen. Im Deutschen Historischen Museum zu Berlin und im Kulturhistorischen Museum Magdeburg wird es dazu zwei große Ausstellungen geben. Das Heft 3 der Militärgeschichte wird sich den genannten Themen widmen, da sie unter dem Stichwort Föderalismus bis heute Auswirkungen haben. Die preußischen Militärreformer bilden darüber hinaus eine der drei verpflichtenden Säulen der Tradition der Bundeswehr, neben den Männern des 20. Juli und der Geschichte der Bundeswehr selbst. Der bereits für Heft 2 angekündigte Artikel »No dead bodies« von Klaus-Jürgen Bremm wird ebenfalls im Heft 3 erscheinen. Der kaiserliche General Montecucolli formulierte bereits im 17. Jahrhundert: »Willst Du einen Krieg führen, so brauchst Du drei Dinge: Geld, Geld, Geld«. Diese zeitlose Weisheit galt bereits in der Antike bei Ägyptern, Griechen und Römern. Kein Geringerer als Julius Cäsar plünderte den Staatsschatz Roms zu diesem Zweck. Der Artikel von Friedrich Furrer, Mitarbeiter des Projektes »Antike Kriegskosten« der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Mannheim, wird ausführlich darüber informieren. hp akg-images 31. Mai / 1. Juni 1916 Militärgeschichte kompakt Heft 3/2006 Service Schlacht bei Jena und Auerstedt, 14. Oktober 1806. Soldat des 4. Franz. Dragonerregiments mit der preuß. Fahne. Öl auf Leinwand von Edouard Detaille, 1898. Die Roten Jäger – 20 Jahre 1943–1945, 1965–1982, Siersburg 1982 Militärgeschichte im Bild Die »Roten Jäger« nach dem Gewinn eines internationalen Turniers in Frankreich: in der Mitte der französische General Massu und der Kommandeur der Luftlandebrigade 26, Oberst Voss. E s dürfte für die Leserinnen und für die Leser dieses Heftes keineswegs überraschend sein, dass Fußball auch innerhalb der Bundeswehr zu den beliebtesten Sportarten überhaupt gehört. Die positiven Nebenwirkungen des Ballspiels für die Truppe sind bekannt. Der Kampf um den Ball fördert Einsatz und Teamgeist und bietet für die Soldaten eine willkommene Ablenkung vom manchmal eintönigen Kasernenalltag. Dennoch blieb die offizielle Regelung des Betreibens dieser wie auch anderer Sportarten innerhalb der Streitkräfte lange Zeit ein »graues Feld«. Obwohl dem Sport seitens der Bundeswehrführung eigentlich eine tragende Rolle in der Ausbildung zuteil werden sollte, war es häufig Initiativen einzelner Soldaten zu verdanken, dass einige Sportarten außerhalb des regulären Dienstsports ausgeübt werden konnten. Zu einer solchen Eigeninitiative aus der Truppe heraus kam es 1961 in der Panzerbrigade 14 in Koblenz, deren Brigadekommandeur, Oberst KarlTheodor Molinari, die Aufstellung einer professionalisierten BrigadeFußballmannschaft anregte. Mit der insgesamt drei Monate dauernden Zusammenstellung der Mannschaft wurde Oberfeldwebel Paul Datené betraut. Als »Fachmann« in der Phase der Zusammenstellung des Teams agierte der Wehrpflichtige Werner Hölzenbein, der als Lizenzspieler in der damaligen Oberliga beim TuS Neuendorf unter Vertrag stand. In ihrem ersten offiziellen Spiel stand die Mannschaft der Panzerbrigade 14 in Oberwerth einer französischen Armeeauswahl gegenüber, die knapp besiegt werden konnte. Als Zeichen der Aussöhnung wurden vor Spielbeginn aus einem Hubschrauber der Bundeswehr symbolisch die »französische Marianne« und der »deutsche Michel« auf den Rasen herabgelassen. Diese erste Fußballmannschaft der Bundeswehr bestritt noch einige weitere Spiele gegen internationale Armeeauswahlen, spielte aber nie gegen Zivilmannschaften. Der Initiative des Obersten Molinari wurde am 27. November 1962 mit dem Erlass »Einführung von Sportarten der Besonderen Sportausbildung« Rechnung getragen. Er wurde ein Jahr später Bestandteil der Zentralen Dienstvorschrift »Sport in der Bundeswehr«. Demnach sollten Soldaten mit besonderer Eignung und Leistung von der Besonderen Sportausbildung profitieren, um die Streitkräfte bei Sportwettkämpfen vertreten zu können. Trainer hierfür konnten entweder Sportlehrer der Bundeswehr oder aber besonders erfahrene Soldaten werden, die selbst den betreffenden Sport ausübten. Für die Marine wurde regelmäßiges Fußballspielen sogar besonders empfohlen, um im Ausland als »blaue Botschafter« Freundschaftsspiele austragen zu können. Das prominenteste Beispiel für die praktische Umsetzung der neuen Vorschrift war zweifelsohne die Neugründung der Soldatenmannschaft »Rote Jäger« am 22. Mai 1965 in Zweibrücken, die bereits während des Zweiten Weltkrieges 1943-1945 existiert hatte. Unterstützt wurde die Fußballmannschaft von keinem Geringeren als Fritz Walter, der vormals selbst ein »Roter Jäger« gewesen war. Bereits das Gründungsspiel gegen den Bundesligisten 1. FC Kaiserslautern konnte die Soldatenelf, die aus Angehörigen der Luftlandebrigade 26 bestand, mit 2:0 für sich entscheiden. Es folgten weitere herausragende Erfolge gegen deutsche und internationale Top-Teams. Fußball in der Bundeswehr Bis zur Einführung einer gezielten Förderung wehrpflichtiger Spitzensportler in der Bundeswehr 1970 waren die »Roten Jäger« eine Fußballmannschaft der Streitkräfte auf höchstem Niveau. Erst durch die Abwanderung der Toptalente zu den Sportfördergruppen verlor diese wohl populärste Fußballmannschaft der Bundeswehr ihren herausragenden Status, bis sie 1991 schließlich aufgelöst wurde. Fußball war und ist für die Bundeswehr ein wirksames und wichtiges Mittel der Öffentlichkeitsarbeit. Zwar mussten Mannschaften wie die »Roten Jäger«, die sich um das Bild der Bundeswehr in der Gesellschaft verdient gemacht haben, mittlerweile den professionalisierten Sportfördergruppen weichen. Die zahlreichen Wettkämpfe innerhalb der Streitkräfte, hingewiesen sei hier nur auf den BM-Cup sowie die Integration in die Allgemeine Sportausbildung, machen deutlich, welchen enormen Stellenwert der Fußball auch in der Bundeswehr hat. jf Privatbesitz Werner Hölzenbein Aussöhnung vor dem Spiel: die Spielführer der Elf der Panzerbrigade 14 (links) und einer französischen Militärauswahl (Zweiter von rechts) zusammen mit der »französischen Marianne« und dem »deutschen Michel«. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006 31 NEUE PUBLIKATIONEN DES MGFA Eva Besteck, Die trügerische »First Line of Defence«. Zum deutsch-britischen Wettrüsten vor dem Ersten Weltkrieg. Mit einem Anhang »Taktische und Strategische Dienstschriften des Oberkommandos der Marine, Nr. IX: Allgemeine Erfahrungen aus den Manövern der Herbstübungs-Flotte«, Freiburg: Rombach 2006, 223 S. (= Einzelschriften zur Militärgeschichte, 43), 19,90 Euro, ISBN 10: 3-7930-9477-4, ISBN 13: 978-3-7930-9477-7 Der Krieg zur See 1914–1918. Der Krieg in der Nordsee, Band 7: Vom Sommer 1917 bis zum Kriegsende 1918. Kritische Edition. Textband und Kartenschuber. Im Auftrag des MGFA bearbeitet und neu herausgegeben von Gerhard P. Groß unter Mitarbeit von Werner Rahn, Hamburg, Berlin, Bonn: Verlag E.S. Mittler & Sohn 2006, Textband VIII, 486 S., Kartenband mit 14 Karten, 68 Euro, ISBN 3-8132-0855-9 Helmut R. Hammerich, Dieter H. Kollmer, Martin Rink und Rudolf Schlaffer, Das Heer 1950 bis 1970. Konzeption, Organisation und Aufstellung. Unter Mitarbeit von Michael Poppe, München: Oldenbourg 2006, X, 822 S. (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 3), 49,80 Euro, ISBN 10: 3-486-57974-6, ISBN 13: 978-3-486-57974-1 Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und der Otto-vonBismarck-Stiftung hrsg. von Hans Ehlert, Michael Epkenhans und Gerhard P. Groß, Paderborn, München, Wien, Zürich: Ferdinand Schöningh 2006, 496 S. (= Zeitalter der Weltkriege, 2), 39,90 Euro, ISBN 10: 3-506-75629-X, ISBN 13: 978-3-506-75629-9