Zeitschrift "Militärgeschichte" - RK

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Heft 2/2006
ISSN 0940-4163
C 21234
Militärgeschichte im Bild: Auswahlmannschaft der Panzerbrigade 14, 1961
Internationaler Kongress in Potsdam: XXXII. CIHM
Tirpitz in der Weimarer Republik
Fußball im Ersten Weltkrieg
Niederländische Landesverteidigung
Impressum
Editorial
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Oberst Dr. Hans Ehlert und
Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.)
Produktionsredakteur
der aktuellen Ausgabe:
Oberleutnant Julian-André Finke M. A.
Redaktion:
Major Heiner Bröckermann M.A. (hb)
Oberleutnant Julian-André Finke M.A. (jf)
Hauptmann Thorsten Loch M.A. (tl)
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)
Mag. phil. Michael Thomae (mt)
Bildredaktion:
Dipl.-Phil. Marina Sandig
Redaktionsassistenz:
Richard Göbelt, Cand. Phil.
Lektorat:
Dr. Aleksandar-S. Vuletić
Layout/Grafik:
Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang
Anschrift der Redaktion:
Redaktion »Militärgeschichte«
Militärgeschichtliches Forschungsamt
Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam
E-Mail: MGFARedaktionMilGeschichte@
bundeswehr.org
Telefax: (03 31) 97 14 -507
Homepage: www.mgfa.de
Manuskripte für die Militärgeschichte werden
an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet.
Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der
Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Honorarabrechnung
erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die
Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter
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»Die Welt zu Gast bei Freunden.« Unter diesem Motto beginnt am 9. Juni in
Deutschland die Fußballweltmeisterschaft, zu der neben 32 teilnehmenden
Mannschaften auch über drei Millionen Fans erwartet werden. Die aktuelle
Ausgabe der Militärgeschichte wird
sich ebenfalls dem »König Fußball«
widmen. Vor diesem Hintergrund
zeichnet Peter Tauber in seinem Beitrag »Schickt uns Fußbälle ...« ein
Bild von der Bedeutung des Fußballs für deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg. Zugleich skizziert
sein Artikel auch die Entwicklung
des Fußballsports in Deutschland
an sich. Mit den Ausführungen von
J. van Hoof über die Bedeutung des
Wassers in der niederländischen Landesverteidigung liegt darüber hinaus ein
internationaler Beitrag vor, der gleichzeitig die Strategiereihe fortsetzt.
Zuletzt beleuchtet Michael Epkenhans Großadmiral Alfred von Tirpitz vor
dem Hintergrund seines Wirkens in der Weimarer Republik. Das Motto der
Fußballweltmeisterschaft gilt in diesem Jahr auch für das MGFA in besonderer Weise. In unserem Hause findet im August die XXXII. Tagung der Internationalen Kommission für Militärgeschichte (CIHM) statt, die ebenfalls
einen gebührenden Platz im vorliegenden Heft findet. Der bereits angekündigte Artikel von Klaus-Jürgen Bremm über die Anfänge der Kriegsberichterstattung wird im dritten Heft des Jahres 2006 nachgeholt.
Nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch in der Redaktion der
Militärgeschichte herrscht Bewegung: Während wir mit Thorsten Loch und
Agilolf Keßelring zwei bewährte Mitglieder ziehen lassen müssen, können
wir Matthias Nicklaus als »Neuen« in unserer Mitte begrüßen.
Bei der Lektüre der zweiten Ausgabe im Jahre 2006 wünsche ich Ihnen viel
Freude
Abbildungsnachweis:
(S.4: CIHM-Logo/Foto): Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg
© 2006 für alle Beiträge beim
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)
Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber
ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um
Mitteilung.
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
Julian-André Finke M.A.
Oberleutnant
Inhalt
Militärhistoriker aus 35 Ländern
der Welt zu Gast bei Freunden
4
Das historische Stichwort:
Die Suezkrise von 1956
22
Der XXXII. Internationale Kongress
des Comité International
d’Histoire Militaire (CIHM)
»Graue Exzellenz« und
politischer Strippenzieher.
Großadmiral Alfred von Tirpitz
in der Weimarer Republik
Service
8
Medien online/digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
Militärgeschichte
im Bild
Fußball in der
Bundeswehr
31
Dr. Michael Epkenhans, geboren 1955 in
Rheda-Wiedenbrück, Geschäftsführer der
Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh
»Schickt uns Fußbälle ...«.
Die Bedeutung des Fußballs
für deutsche Soldaten im
Ersten Weltkrieg
14
1961 wurde auf Initiative des
Brigadekommandeurs Oberst
Molinari in der Panzerbrigade 14
in Koblenz eine der ersten Fußballmannschaften der Bundeswehr
aufgestellt. Das vorliegende Bild
stellt eine der ersten Aufnahmen
dieser Mannschaft dar.
Peter Tauber M.A., geboren 1974
in Frankfurt a.M., Historiker
Ein »flüssiger Verbündeter«.
Die Rolle des Wassers in
der niederländischen Landesverteidigung
Drs. J.P.C.M. van Hoof, geboren 1949,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Niederländischen
Institut für Militärgeschichte, Den Haag
Foto: Privatbesitz Thorsten Loch
18
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Oberstleutnant Dr. Gerhard P. Groß, MGFA;
Oberst Dr. Winfried Heinemann, MGFA;
Wissenschaftlicher Direktor
Dr. Dieter Krüger, MGFA;
Stephan Theilig, Berlin
Internationale Militärhistorikertagung
Militärhistoriker
aus 35 Ländern
zu Gast
bei Freunden
Amtschef des
Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes,
Oberst Dr. Hans Ehlert
M
ilitärgeschichte lebt – wie jede
Wissenschaft – vom Dialog,
auch über Grenzen hinweg.
Im August 2006 versammeln sich die
Spitzen der internationalen »Zunft«
(CIHM, Comité International d’Histoire Militaire) unter der Schirmherrschaft des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz-Josef Jung, in Pots-
4
dam zu ihrem XXXII. Internationalen
Kongress. Das Militärgeschichtliche
Forschungsamt richtet ihn aus.
Die Tagung steht unter dem Motto
»Nationalstaat, Nationalismus und
Militär« – ein breit gefächertes Thema,
das eine Vielzahl von Vorträgen erlaubt. Die nationalen Delegationen
haben Beiträge angekündigt, die von
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
der biblischen Geschichte bis zum Einsatz von Militär in den Krisenregionen
der Gegenwart reichen. Da Militärhistoriker aus Lateinamerika und Korea,
aus Jordanien und Marokko, dem
Senegal und Irland und gut 30 weiteren Nationen vertreten sein werden,
sind spannende Diskussionen zu
erwarten. Erstmals in diesem Jahr dabei: Angola.
Die Präsidenten und Generalsekretäre, die nationalen Delegation insgesamt erwarten aber auch, Einiges von
Potsdam und Berlin zu sehen. Natürlich wird die Deutsche Kommission
für Militärgeschichte ihre Gäste nicht
nach Hause reisen lassen, ohne ihnen
Schloss Sanssouci und Schloss Cecilienhof gezeigt zu haben. Und für die
mitreisenden Damen stehen Besuche
im Kloster Lehnin oder in der Alten
Nationalgalerie auf dem Programm.
Der Präsident des Deutschen Bundestages, der Bundesminister der Verteidigung und der Ministerpräsident des
Landes Brandenburg werden die
hochrangigen Gäste empfangen. Sie
betonen damit auch die Bedeutung
einer modernen Militärgeschichte für
unser Land.
Jenseits des wissenschaftlichen und
gesellschaftlichen Programms steht
der Wunsch, Kontakte zu knüpfen. Da
werden gemeinsame Forschungsvorhaben besprochen, da wird die Archivsituation in anderen Ländern diskutiert. »Haben Sie schon gehört, dass
Oberst Dr. Hans Ehlert
Amtschef des Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes und Präsident
der Deutschen Kommission für
Militärgeschichte
Military historians of the world
– coming to see friends
Like any other science, military history
requires dialogue, even international
dialogue. In August 2006, the heads of
international military history (ICMH,
International Commission for Military
History) will assemble in Potsdam,
under the patronage of Dr. Franz Josef
Jung, German Minister of Defence, to
hold their XXXII. International Congress for Military History. The Military
History office (MGFA) has been tasked
with organising the event.
The Congress will discuss “Nation
State, Nationalism, and the Military” –
a wide-ranging topic which allows for
a large number of papers to be presented. The national delegations have
announced presentations ranging
from biblical history to military operations in today’s crisis regions around
the globe. As historians from Latin
America and Korea, from Jordan and
Morocco, from Senegal and Ireland as
well as some 30 other nations have
registered, lively debates can be
expected. For the first time, Angola
will be represented.
Of course, the national presidents
and general secretaries, as well as the
entire delegations, expect to see the
sites of Potsdam and Berlin. The
German Commission for Military
History will not want its guests to
travel home without having seen
Sanssouci and Cecilienhof palaces.
Partners accompanying historians will
get to see Lehnin monastery, or the
Old National Gallery. The President of
the Bundestag, the Prime Minister of
Brandenburg, and the Minister of
Defence will receive the high-ranking
guests, indicating at the same time
their appreciation of the importance of
military history.
Beyond the academic and social programmes, there is the desire to maintain old contacts and make some new
ones. Joint research projects will be
discussed, other nations’ archival situation will be commented upon: “Did
you hear, the Poles have opened up
documents relating to the Warsaw
Pact?!” As mentioned above, military
history – like any other science – calls
for international dialogue. The XXXII.
International Congress for Military
History in Potsdam will offer a forum
for it, and I am looking forward to
greeting guests from all over the
world.
Colonel Dr. Hans Ehlert
Commanding Officer, MGFA,
and President of the
German Commission for Military History
Des historiens militaires du
monde entier invités chez des
amis
Comme toute autre science, l’histoire
militaire vit du dialogue dépassant
aussi les frontières nationales. En août
2006, les sommités de la «corporation»
internationale d’historiens militaires
(CIHM, Commission Internationale
d’Histoire Militaire) se réunissent à
Potsdam où se tient le XXXIIe Congrès
international d’histoire militaire qui
est placé sous le patronage du Ministre
allemand de la défense, Dr. FranzJosef Jung. Le Centre allemand d’études d’histoire militaire est chargé de
son organisation.
Le Congrès est organisé sur le thème
«État-nation, nationalisme et armée»,
un sujet suffisamment complexe pour
pouvoir compter sur de nombreuses
conférences scientifiques. Les contributions annoncées par les délégations
nationales vont de l’histoire biblique
aux interventions des armées dans les
régions de crise du présent. La participation d’historiens militaires de
l’Amérique latine et de la Corée, de la
Jordanie et du Maroc, du Sénégal et de
l’Irlande ainsi que de trente autres
nations laisse présager des discussions
passionnantes. L’Angola y participe
pour la première fois.
Les présidents et les secrétaires généraux ainsi que tous les membres de
délégation espèrent aussi faire connaissance de la ville de Potsdam et
bien sûr de Berlin. Il en va de soi que la
Commission allemande d’histoire militaire ne les laisse pas rentrer chez eux
sans leur avoir fait visiter les châteaux
de Sans-Souci et de Cecilienhof. Le
programme culturel pour les conjoints
prévoit une visite du cloître de Lehnin
et de l’ancienne galerie nationale à
Berlin. Le président du Bundestag
allemand, le Ministre fédéral de la
défense et le ministre-président du
Land de Brandebourg vont accueillir
les invités de haut rang, soulignant,
par là, l’importance de l’histoire militaire moderne pour notre pays.
Au-delà du programme scientifique
et social, il y a le désir du contact. On
discute des projets de recherches communs ou de la situation en matière
d’archives dans d’autres pays : «Avezvous déjà entendu que la Pologne a
déclassifié des documents sur le Pacte
de Varsovie?!». L’histoire militaire,
comme je viens de dire, vit du dialogue comme d’ailleurs toute autre
science. Le XXXIIe Congrès international d’histoire militaire à Potsdam se
veut un lieu de dialogue. C’est dans ce
sens que je souhaite la bienvenue à nos
invités venus du monde entier.
Colonel Dr. Hans Ehlert
Directeur du Centre allemand d’études
d’histoire militaire et Président
de la Commission allemande d’histoire
militaire
Kongresshotel am Templiner See / Foto: Hannemann
die Polen Akten zum Warschauer Pakt
freigegeben haben?!« Wie gesagt, Militärgeschichte lebt – wie jede Wissenschaft – vom Dialog. Der XXXII. Internationalen Kongress für Militärgeschichte in Potsdam wird dazu ein
Forum bieten. Dazu begrüße ich herzlich unsere Gäste aus aller Welt.
Luftaufnahme vom Tagungsort in
Potsdam.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
5
Internationale Militärhistorikertagung
SKA/IMZBw/Sandra Elbern
Oberst Dr. Winfried
Heinemann.
Die Internationale Kommission
für Militärgeschichte
»CIHM« – ein Kürzel, das nicht jeder
kennt. Dahinter verbirgt sich die Internationale Kommission für Militärgeschichte, auf französisch »Commission Internationale d’Histoire Militaire«. Das ist die Dachorganisation
von weit über dreißig nationalen
Kommissionen für Militärgeschichte,
zugleich aber auch eine Unterorganisation des Internationalen Historikerverbandes und damit letztlich der
UNESCO.
Die CIHM entstand 1938, ging in den
Wirren des Zweiten Weltkriegs unter,
wurde dann aber wiederbegründet.
Seit den 1970er Jahren gehörten ihr
auch die beiden deutschen Staaten,
Bundesrepublik und DDR, an. Mit der
Wende 1990 hörte die damalige Kommission für Militärgeschichte der DDR
auf zu bestehen.
Die CIHM versteht sich als ein Forum für den Austausch fachhistorischer Erfahrungen und Anregungen.
Dazu veranstaltet sie einmal jährlich –
in wechselnden Staaten – einen Internationalen Kongress für Militärgeschichte. In diesem Sommer findet er
in Potsdam statt, ausgerichtet von der
6
Deutschen Kommission
und dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt unter der Schirmherrschaft
des Bundesministers der
Verteidigung. An diesen
Kongressen nehmen regelmäßig rund
250 Delegierte der nationalen Kommissionen teil, teils sehr hochrangige
Professoren und Generale/Admirale.
Jeder Kongress befasst sich mit einem
vorher festgelegten Thema, zu dem
die nationalen Delegationen Beiträge
einbringen können. In diesem Jahr
werden zu »Nationalstaat, Nationalismus und Militär« über 50 Vorträge erwartet.
Durch die internationale Zusammenarbeit stärkt die CIHM auch die Stellung der Militärhistoriker in den jeweiligen Mitgliedsländern. Nicht in
allen Staaten ist der freie Zugang zu
militärischem Aktenmaterial selbstverständlich, und bestimmte Themen
wie etwa der Kalte Krieg werden in
einigen Ländern nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Da hilft es,
wenn auf internationaler Ebene Anstöße gegeben werden oder wenn interessierte Forscher auf die liberalere
Praxis im jeweiligen Ausland verweisen können.
Eine weitere Serviceleistung der
CIHM ist die jährlich herausgegebene
kommentierte Bibliografie zur Militärgeschichte – eine Liste der wichtigsten
Neuerscheinungen auf dem Fachgebiet. Mit einer knappen Inhaltsangabe
und Bewertung versehen ist die Bi-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
bliografie ein wichtiges Hilfsmittel für
alle, die sich darüber informieren wollen, zu welchen Themen international
gerade geforscht wird. Auch die Militärarchivare der beteiligten Nationen
haben sich einem internationalen Arbeitsausschuss zusammengeschlossen
– den Vorsitz führt derzeit der Leiter
des Bundesarchiv-Militärarchivs, Dr.
Hans-Joachim Harder.
Der Deutschen Kommission für Militärgeschichte gehören gut 70 Historiker an, darunter Vertreter der wichtigsten Institutionen – vom Lehrstuhlinhaber der Professur für Militärgeschichte an der Universität Potsdam
über aktive und ehemalige Angehörige des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes bis hin zu den einschlägigen Archivleitern. Präsident ist gemäß der Satzung immer der jeweilige
Amtschef des MGFA, derzeit Oberst
Dr. Hans Ehlert.
Inzwischen haben sich international
auch weitere Formen des Austauschs
entwickelt. Da gibt es das »Parallel
History Program«, die »Military History Working Group« oder das »Cold
War International History Project«.
Die Internationale Kommission für
Militärgeschichte CIHM ist die Älteste
und Umfassendste von ihnen.
Oberst Dr. Winfried Heinemann
Generalsekretär der Deutschen
Kommission für Militärgeschichte
The International Commission
for Military History
“ICMH” – not everybody would know
that this stands for the International
Commission for Military History, uniting more than 30 countries’ national
commissions for military history,
and ultimately a sub-organisation of
UNESCO.
The ICMH dates back to 1938, and
although it perished during World
War II, it was re-founded in the postwar period. From the 1970s to 1990,
both German states, the Federal Republic and the GDR, were members;
then the Commission for Military
History of the German Democratic
Republic ceased to exist.
The ICMH sees itself as a forum for
the exchange specialist knowledge
and impulses. To facilitate this, a
congress is organised once a year, in
varying nations. This summer, it will
be held in Potsdam, organised jointly
by the German Commission and the
German Center of Military History,
MGFA, under the patronage of the
Minister of Defence. Usually, some 250
high-ranking guests take part in these
conferences, ranging from university
professors to generals and admirals.
Every congress debates a theme to
which national delegations can contribute. This year, “Nation State, Nationalism and the Military” will attract
more than 50 presentations.
International co-operation is supposed to strengthen the historians’
position within their home countries
as well. Not every country offers free
access to its historical military documents, and in other nations, themes
such as the Cold War still attract rather
little attention. Maybe some other nation’s research projects will provoke
interest, or some researcher can point
to a neighbouring country’s more
liberal archival practice.
Another service for historians is the
ICMH’s annual military history bibliography – a list of the most important
new publications in the field. With its
short resume, and a brief assessment,
the International Bibliography of Military History is a valuable aid for anyone wishing to learn which titles have
recently been published. Also, military
archivists from participating nations
congregate as a specialist committee –
the current president is the director of
the Federal German Military Archives,
Dr. Hans-Joachim Harder.
Some 70 historians form the German
Commission for Military History.
They include representatives of the
most important institutions in the field
– from the chair of military history in
Potsdam University or members of
MGFA (both active and retired) to the
directors of relevant archives. The
commanding officer of MGFA, currently Colonel Dr. Hans Ehlert, is automatically the German Commission’s
president.
In the recent past, other forms of international exchange have developed.
There is a “Parallel History Program”,
a “Military History Working Group”,
or the “Cold War International History
Project”. However, the International
Commission for Military History is the
oldest and most comprehensive of
them all.
Colonel Dr. Winfried Heinemann
Secretary General of the German
Commission for Military History
La Commission internationale
d’histoire militaire
«CIHM» – un sigle qui n’est pas connu
par tout le monde et qui veut dire
«Commission Internationale d’Histoire Militaire». Cette organisation de
tête regroupe bien plus de trente commissions nationales d’histoire militaire. Elle est en même temps affiliée
au Comité International des Sciences
Historiques qui est une branche de
l’UNESCO.
Fondée en 1938, la CIHM disparaît
dans les troubles de la Seconde Guerre
mondiale pour être refondée plus tard.
Les deux États allemands, la République fédérale et la République démocratique allemandes, en font partie
depuis les années soixante-dix. Après
le tournant de 1990, la commission
d’histoire militaire de la RDA cesse
d’exister.
La CIHM se veut un lieu d’échange
d’expériences et d’idées pour les spécialistes en histoire militaire. A cet effet, elle organise annuellement un congrès international d’histoire militaire.
A chaque fois, c’est un autre État membre qui est chargé de son organisation.
Cette fois-ci, c’est la Commission allemande en coopération avec le Centre
allemand d’études d’histoire militaire
qui organisera le congrès d’histoire
militaire. Placé sous le patronage du
Ministre fédéral de la défense, il aura
lieu à Potsdam en cet été 2006. Ces
congrès rassemblent régulièrement
quelque 250 délégués des commissions nationales parmi lesquels il y a
des professeurs d’université et des
officiers généraux/amiraux de haut
rang. Chaque congrès est organisé sur
un thème précis pour lequel les délégations nationales peuvent soumettre
des contributions. Le thème de cette
année sera : «État-nation, nationalisme
et armée». On attend plus de cinquante conférences.
Par sa coopération internationale, la
CIHM contribue à renforcer la position des historiens militaires dans les
États membres respectifs. Le libre accès à la documentation militaire n’est
pas évident dans toutes les nations et
certains sujets tels que la Guerre froide
sont toujours négligés dans certains
pays. Il est donc utile de donner des
impulsions à l’échelon international et
de donner aux chercheurs intéressés la
possibilité de renvoyer aux méthodes
appliquées à l’étranger.
Un autre service offert par la CIHM
est la Bibliographie commentée d’histoire militaire dans laquelle sont annuellement publiées les nouveautés les
plus importantes dans le domaine de
l’histoire militaire. Comprenant un
bref résumé et une évaluation, cette Bibliographie constitue une ressource
importante pour tous ceux qui veulent
se renseigner sur les sujets faisant l’objet de recherches actuelles sur la scène
internationale. Les gestionnaires de
collections d’archives militaires des
pays membres se sont eux aussi réunis
dans un comité de travail international
présidé actuellement par le directeur
de la Division militaire des Archives
allemandes, Dr. Hans-Joachim Harder.
La Commission allemande d’histoire
militaire compte environ soixante-dix
historiens parmi lesquels il y a des
représentants des organisations les
plus importantes allant du professeur
titulaire de la chaire d’histoire militaire
de l’université de Potsdam jusqu’aux
gestionnaires de collections d’archives
en passant par les anciens et les membres actifs du Centre allemand d’études d’histoire militaire. Conformément aux statuts, la Commission allemande est toujours présidée par le
directeur du Centre allemand d’études
d’histoire militaire, fonction actuellement occupée par le Colonel Dr. Hans
Ehlert.
D’autres formes d’échange se sont
développées entre-temps sur la scène
internationale dont le «Parallel History Program», le «Military History
Working Group» ou le «Cold War International History Project». La Commission internationale d’histoire militaire en est la plus ancienne et la plus
vaste.
Colonel Dr. Winfried Heinemann
Secrétaire général de la Commission
allemande d´histoire militaire
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
7
Tirpitz in der Weimarer Republik
Bundesarchiv/Bild 134-B2595
Z
»Graue Exzellenz« und
politischer Strippenzieher. Großadmiral
Alfred von Tirpitz in der
Weimarer Republik
8
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
iel erkannt, Kraft gespannt, Kopf
oben« hatte Alfred von Tirpitz
1902 in das Gästebuch der Firma Krupp geschrieben. Deutlicher hätte er die ihn zeitlebens leitenden Prinzipien kaum formulieren können.
Niederlagen und politische Fehlschläge, geschweige denn fortschreitendes Alter waren für Tirpitz nie ein
Anlass gewesen, sich aus der öffentlichen Auseinandersetzung über politische und militärische Fragen zurückzuziehen.
Sein Lebenswerk, die kaiserliche
Hochseeflotte, die Großbritannien die
Seeherrschaft erfolgreich hatte streitig
machen und dem Deutschen Reich dadurch zugleich den Weg zur führenden Weltmacht hatte ebnen sollen, lag
1919 versunken in Scapa Flow, dem
Haupthafen der Grand Fleet. Die Matrosen der von Tirpitz geschaffenen
Marine hatten zudem im November
1918 im Zusammenspiel mit streikenden Arbeitern das monarchische System, die Grundlage seiner Politik, zerstört und jene »gebildeten und ungebildeten Sozialdemokraten« an die
Macht gebracht, deren politischer Einfluss in der Arbeiterschaft durch den
Bau der Flotte hatte zurückgedrängt
werden sollen.
Großadmiral Alfred von Tirpitz, der
»Vater der Schlachtflotte«, wie seine
Anhängern ihn stolz nannten, der »Vater der Lüge«, wie hingegen bereits
der junge Theodor Heuss nach Teilnahme an einer Reichstagssitzung
meinte, hatte auch die von ihm als
schmachvoll empfundene Entlassung
als Staatssekretär des Reichsmarineamts im März 1916 keineswegs als
Endstation seines politischen Wirkens
betrachtet. Frei von den Fesseln des
Amtes, bemühte er sich seit dem Sommer 1916 zielstrebig um die Sammlung der politischen Rechten. So wollte er im Innern jede parlamentarische
Reform verhindern und nach außen
rücksichtslos für einen Siegfrieden
kämpfen.
Die im September 1917 gegründete
»Deutsche Vaterlandspartei« mit Tirpitz als Vorsitzendem war der Versuch, dem eingeschlagenen Kurs die
notwendige Schubkraft zu verleihen.
Nach anfänglichen Erfolgen scheiterte
diese Politik an den Realitäten des
Krieges wie an der Rückwärtsgerichtetheit ihres innenpolitischen Pro-
Privatarchiv M. Epkenhans
Dass Tirpitz weiterhin bereit war,
»aufrecht und ungebrochen« für seine
Überzeugungen zu kämpfen, machte
er bereits wenige Monate nach dem
Zusammenbruch klar. Während in
Berlin noch die Straßenkämpfe tobten,
eröffnete er eine neue »Front«: Er
schrieb seine »Erinnerungen«.
Tripitz´ Memoiren waren eine Rechtfertigung seines fast zwanzigjährigen
Wirkens an der Spitze der Marine und
im Kreis der Weltpolitiker, aber auch
eine Kampfansage an die Verantwortlichen in der neuen, ungeliebten Weimarer Republik. »Dem ratlosen und
verblendeten Volk« wollte Tirpitz die
Augen öffnen, »damit es seine eignen
Fehler erkennt und beherzige« – in der
Hoffnung, damit dem »Wiedereingreifen des nationalen Gedankens in
einem gebeugten Deutschland« erneut
den Boden zu bereiten. Geflissentlich
achtete er dabei darauf, für alle zentralen Probleme der Vorgeschichte und
des Verlaufs des Ersten Weltkrieges –
Flottengesetze, »Kriegsschuldfrage«
und Einsatz der Flotte im Kriege – die
Reichsleitung unter Reichskanzler
Theobald von Bethmann Hollweg verantwortlich zu machen, die Marineführung aber möglichst reinzuwaschen: Überzeugt von seiner historischen Mission, berief sich Tirpitz auf
die Geschichte; er nahm ganz unbefangen für sich in Anspruch, »nach
bestem Wissen die Wahrheit« zu sagen, und wies mit großem Nachdruck
alle Kritik am Schlachtflottenbau sowohl im Hinblick auf dessen politische Folgen als auch dessen militärische Grundgedanken als abwegig zurück. Ohne Skrupel schob er alle
Wahlpostkarte der Deutschnationalen
Volkspartei, 1924.
gramms. Doch auch hiervon ließ sich
Tirpitz nicht beirren.
Im Oktober 1918 wollte er angesichts
der absehbaren Niederlage zu »heldenhaftem Widerstand« aufrufen, fand
jedoch hierfür kaum Unterstützung.
Allein die Führung der Marine, deren
Gedankenwelt Tirpitz zutiefst geprägt
hatte, befahl – ohne die verantwortlichen Politiker zu informieren – einen
letzten, völlig sinnlosen Einsatz der
Flotte allein der »Ehre« wegen, scheiterte damit aber am Widerstand der
Matrosen, die den Befehl verweigerten. Der Matrosenaufstand entwickelte sich innerhalb weniger Tage zur
Revolution, das Kaiserreich brach zusammen und die unter hohen Opfern
geschaffene Flotte machte sich noch
im November 1918 auf den Weg nach
Scapa Flow, wo sie schmachvoll interniert wurde und sich schließlich selbst
versenkte, um einer Auslieferung der
Schiffe an die Alliierten zu entgehen.
Und Tirpitz? Anders als während der
Jahre von 1897 bis 1918, als er das Rampenlicht der Öffentlichkeit gesucht
hatte, um seine Ziele zu verwirklichen,
zog er nun die Rolle der »grauen
Exzellenz« vor, die im Hintergrund
intrigierte und die Fäden zog.
akg-images
Kampfansage an Weimar
Tirpitz’ größter Gegenspieler: Gustav Stresemann. Undatierte Porträtaufnahme.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
9
Tirpitz und
seine
Bedeutung
für die Flotte
Privatarchiv M. Epkenhans
Tirpitz in der Weimarer Republik
Kaiser Wilhelm II.,
Großadmiral von
Tirpitz, Helmuth
von Moltke (d.J.).
Großadmiral Alfred von (seit 1900) Tirpitz gehörte zu den einflussreichsten
Politikern und Offizieren der wilhelminischen Ära. Seit Mitte der 1890er
Jahre legte er die theoretischen
Grundlagen für den deutschen Flottenbau. Im Sommer 1897 zum Staatssekretär des Reichsmarineamts ernannt, setzte Tirpitz seine Pläne mit
großem Geschick in die Tat um.
Politisch wollte er Großbritannien
herausfordern und beerben. Eine erfolgreiche Außenpolitik sollte im Innern ein Mittel »gegen gebildete und
ungebildete Sozialdemokraten« sein.
Grundlage des von ihm konzipierten
Flottenbaus war die systematische Entwicklung einer modernen Flotte aus
60 Großkampfschiffen, 40 Kleinen
Kreuzern, 144 Torpedo- und 72 U-Booten, die sich innerhalb von 20 Jahren
»automatisch« erneuerte. Dem ersten
Flottengesetz von 1898 folgten mehrere Novellen (1900, 1906, 1908 und
1912), die seine wahren Absichten und
den Umfang seiner Pläne verschleiern
sollten.
Diese Hoffnung erfüllte sich nicht:
Großbritannien rüstete seit 1909 massiv auf. Finanziell konnte Tirpitz nicht
mithalten, ganz abgesehen davon,
dass seit 1912 die Armeerüstung Priorität vor der Marinerüstung hatte.
Auch Tirpitz’ ursprüngliche Strategie –
eine klassische Seeschlacht im »nassen Dreieck« vor Helgoland – ging
nicht auf. Die britische Flotte beschränkte sich seit 1912 auf eine weite Blockade der Deutschen Bucht. Die
erhoffte Seeschlacht blieb nach Kriegsausbruch daher aus; auch die Schlacht
im Skagerrak 1916 änderte nichts an
der ungünstigen geographischen Lage. Tirpitz, der seit 1915 auf den uneingeschränkten U-Bootkrieg drängte,
musste 1916 schließlich wegen seiner
halsstarrigen Politik in dieser Frage
seinen Rücktritt einreichen.
10
Schuld an der Katastrophe der »unzureichenden persönlichen Vertretung«
innerhalb des alten Staatssystems und
einem »zersetzenden undeutschen
Geist« [!] zu. Er kritisierte mit großer
Schärfe »das Zerreißen unserer geschichtlichen Entwicklung« durch den
Übergang von der Monarchie zur
»republikanischen Staatsform«, warnte vor der daraus resultierenden
»schrankenlosen Betonung der Parteiinteressen oder des individuellen Lebens«, das unweigerlich »zur staatlichen Vernichtung« führe, um dann
an das »kommende Geschlecht« unbeirrt einen programmatischen Appell
zur richten: »Ein Sklavenvolk sind wir
noch nie gewesen. Seit zweitausend
Jahren hat unser Volk nach jähem
Sturz stets wieder sich emporgehoben.« Damit hatte Tirpitz in wenigen
Sätzen jenes Credo der Gegner der
Republik umschrieben, das deren Stabilität stets bedrohte und am Ende zu
deren Untergang maßgeblich mit beitragen sollte.
Rechte in den Wirren der Revolution
letztlich gesiegt. Namhafte Vertreter
dieser – wenn auch zersplitterten –
Konservativen, so etwa Paul Cossmann, Redakteur der einflussreichen
»Süddeutschen Monatshefte«, kämpften unermüdlich gegen die für den
vermeintlichen »Dolchstoß« verantwortlichen »Novemberverbrecher«.
Unterstützung in ihrem Kampf gegen
die verfemte Republik und deren Repräsentanten fanden sie bei zahlreichen irrlichternden Angehörigen der
extremen Rechten, die ihre eigenen
kleinen Parteien und Verbände ge-
Einiger der politisch Rechten
Während Tirpitz den Kapp-LüttwitzPusch im Frühjahr 1920 noch als verfrüht und daher schädlich für eine
Änderung der Verhältnisse im Innern
verurteilt hatte, versuchte er seit Ende
des Jahres, die zersplitterten Parteien
und Verbände der Rechten zu einigen,
um unter Anwendung legaler wie
illegaler Mittel die neue Ordnung zu
beseitigen.
Die beste Ausgangsbasis hierfür bot
die bayerische Hauptstadt München.
Anders als in dem sozialdemokratisch
regierten Preußen oder anderen »linken« Ländern hatte dort die politische
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
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Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920, Soldaten der
Brigade Hermann Ehrhardt hissen eine
Flagge der alten kaiserlichen Marine in
Berlin. Aufnahme vom 13. März 1920.
Krisen in der
Frühphase der
Weimarer
Republik
gründet hatten – vom »jungen« Adolf
Hitler bis zum »alten«, völlig verbitterten ehemaligen Generalquartiermeister Erich Ludendorff, der politisch zunehmend konfuseren Ideen
anhing. Cossmann war es dann auch,
der Tirpitz im Herbst 1922 nach München einlud und für eine Zusammenarbeit, vor allem aber auch für eine
Einigung der zersplitterten Rechten zu
gewinnen versuchte.
Das allgemeine Klima für eine Aktion der Rechten schien günstig: Die
Auseinandersetzung über die Sondergesetze infolge des Attentates auf
Außenminister Walther Rathenau, der
von rechtsradikalen Fanatikern ermordet worden war, vor allem aber die
wachsenden Spannungen mit Frankreich über dessen Reparationsforderungen und damit verbundenen Drohungen, weitere Teile des Reiches als
»Pfand« zu besetzen, hatten einen
nationalen Aufschrei und eine Krise
ausgelöst, die es auszunutzen galt.
Ein Mann der »Tat«
Tirpitz’ Ansehen in rechten Kreisen
blieb ungebrochen. Er galt immer
noch als ein Mann der »Tat« mit überzeugenden Visionen und schien sowohl für die kommenden Auseinandersetzungen im Innern als auch mit
dem verhassten Frankreich der
richtige Ratgeber zu sein, vor allem
aber die geeignete Galionsfigur in der
Öffentlichkeit sowie die beste »Brücke« zu wichtigen Entscheidungsträgern wie dem undurchsichtigen
Chef der Heeresleitung, General Hans
von Seeckt.
Tirpitz hat die mit seiner Person
verknüpften Erwartungen nur zum
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Putschversuch der
NSDAP in München,
Stoßtrupp der
Putschisten;
Aufnahme vom 8./9.
November 1923.
Teil erfüllt. Zwischen 1922 – seinem
ersten Treffen mit Vertretern der Rechten in München – und 1925, als er den
eher zögernden Kriegshelden Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg zur Kandidatur für das Amt des
Reichspräsidenten überredete, bemühte er sich aber nahezu unermüdlich,
zunächst hinter den Kulissen, bald
aber auch im Zentrum der Öffentlichkeit, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Mit allen Mitteln, allen
voran demagogischen Pressekampagnen, versuchten Tirpitz und seine Mitstreiter den Boden für eine »nationale
Diktatur« zu bereiten. Trotz anfänglichen Zögerns traf Tirpitz sich im
September 1923 auch mit Adolf Hitler,
um dieses Ziel zu erreichen. Anders
als viele seiner Mitstreiter mochte er
den »Führer« der NSDAP nicht, betrachtete ihn als zu »fanatisch« und
fand auch seinen vulgären Antisemitismus abstoßend.
Bereits die Ereignisse um den HitlerPutsch in München vom 9. November
1923 sollten zeigen, dass die Vertreter
der neuen radikalen Rechten vom
Schlage eines Adolf Hitler bereit waren, alleine loszuschlagen. Während
Tirpitz, dessen Rolle im Krisenherbst
1923 dank geschickter Verschleierung
wenig bekannt ist, noch in Berlin versuchte, den Boden für eine von Seeckt
geführte »legale« Diktatur – in der ihm
das Amt des Außenministers zufallen
sollte – zu bereiten, schlug Hitler,
unterstützt von Ludendorff, in München los, da er im aufgeheizten Klima
dieser Wochen den günstigen Zeitpunkt zum Handeln nicht verpassen
wollte.
Hitler und Ludendorff scheiterten
kläglich und Tirpitz hoffte bis ins
Als erste demokratische und parlamentarische deutsche Republik war die Weimarer Republik (1918-1933) im Inneren
Anfeindungen sowohl von Links als
auch von Rechts ausgesetzt. Es keimten
Aufstände linksextremistischer Gruppierungen wie bei der Ausrufung der
»Münchner Räterepublik« (1919) auf,
die durch Reichswehr und Freikorps
blutig niedergeschlagen wurden. Im
März 1920 fand mit dem Kapp-LüttwitzPutsch ein rechtsextremer Umsturzversuch statt, der von Freikorpssoldaten
getragen wurde, die sich gegen die
Auflösung ihres Verbandes gemäß der
vereinbarten Truppenreduzierung im
Versailler Vertrag auflehnten. Als die
Reichsregierung das Begehren ablehnte
und sich die Reichswehr passiv verhielt
(»Truppe schießt nicht auf Truppe«),
marschierten die Aufständischen in Berlin ein und zwangen die Regierung zur
Flucht. Der Versuch, die staatliche Macht
an sich zu reißen, scheiterte an einem
Generalstreik und am passiven Widerstand der Beamtenschaft. Einen weiteren rechtsextremen Umsturzversuch
stellte der Hitler-Putsch im Krisenjahr
von 1923 dar, der seinen Höhepunkt im
»Marsch auf die Feldherrnhalle« hatte.
Dieser wurde durch die bayerische Polizei niedergeschlagen. Die innenpolitische Situation wurde zudem zu Beginn
des Jahres 1923 durch den »Ruhrkampf« angeheizt. Französische und
belgische Truppen besetzten wegen ausstehender Reparationszahlungen das
Ruhrgebiet. Dies förderte die grassierende Inflation, die ebenfalls 1923 ihren
Höhepunkt erreichte und erheblich zur
politischen Destabilisierung der Republik
beitrug.
tl
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
11
Bundesarchiv/Bild 183-92537-0001
Tirpitz in der Weimarer Republik
Als Mann der
Deutschnationalen
Volkspartei
Chef der Heeresleitung, General Hans
von Seeckt (1866–1936). Tirpitz hoffte bis
1924, den Chef der Heeresleitung für
eine Diktatur gewinnen zu können –
mit Seeckt selbst an der Spitze.
Frühjahr 1924, Seeckt doch noch für
eine Diktatur gewinnen zu können,
die das parlamentarische System abschaffte. Ein Putschplan nach dem anderen wurde daher in seinem Umkreis
entworfen, auch mit Abgesandten des
italienischen Diktators Benito Mussolini wurde diesbezüglich verhandelt.
Doch Ludendorffs Schicksal war Tirpitz eine Warnung und ohne eine feste
Zusage des Chefs der Heeresleitung
sowie ohne Unterstützung einer breiten rechten Einheitsfront wollte er daher auch nicht handeln. Anfang April
1924, als Seeckt erneut klar machte,
dass er bei aller Sympathie die Reichswehr nicht gegen die bestehende
Ordnung einsetzen würde, sondern
auf seiner abwartenden Position beharrte, entschied Tirpitz sich, auf legalem Weg eine Änderung der bestehenden Verhältnisse herbeizuführen –
als Abgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) im Deutschen
Reichstag, innerhalb weniger Wochen
sogar als deren Kanzlerkandidat.
12
Aus der Sicht der politischen
Rechten, erschien es notwendiger denn je, eine zugkräftige Persönlichkeit vor den
eigenen Karren zu spannen,
standen doch nicht nur Wahlen zum Reichstag, sondern
auch Verhandlungen über
eine Modifizierung der Versailler Reparationsregelungen vor der Tür. Tirpitz errang im Mai 1924 einen großen Wahlsieg in seinem Münchener Wahlkreis. Dabei war
sein politisches Programm
bei dieser wie auch bei der
bald folgenden Wahl vom
Dezember mehr als vage:
»Ich bin kein Führer, sondern
ein einfacher Soldat«, verkündete er ganz nach der
Manier vieler rechter Demagogen vermeintlich selbstlos
im Dezember 1924 auf einer
Wahlveranstaltung. Sein ganzes Bestreben ginge allein dahin, »die nationalen Kräfte unseres Vaterlandes zusammenzufassen und über kleinliche
Differenzen hinweg zu einer geeinigten Kraft zu bringen«.
Viel mehr als diese oder auch andere
Phrasen – vor allem zur Außenpolitik –,
die teilweise einen erschreckenden
Mangel an Realitätssinn ererkennen
ließen, hatte er nicht zu bieten. Doch
der DNVP, die mit annähernd 20 Prozent stärkste Kraft im bürgerlichen
Lager geworden war, ging es gar nicht
darum, mit Tirpitz ein konkretes Programm zu präsentieren; für die Spitze
der Partei war er vielmehr der Hebel
zur Macht bei der angestrebten Bildung einer nach rechts orientierten
Koalitionsregierung unter Tirpitz’
Kanzlerschaft. Doch damit überschätzte sie sein Ansehen außerhalb
des eigenen Lagers und überreizte
insofern von vornherein ihre Karten;
die Vertreter des Zentrums verließen
den Raum, als die Verhandlungsführer
der DNVP Tirpitz’ Namen nannten,
und auch die anderen bürgerlichen
Parteien lehnten diesen Vorschlag
rundweg ab.
Als Tirpitz’ größter Gegenspieler entpuppte sich Reichsaußenminister
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
Gustav Stresemann. So sehr Stresemann manche Forderung der DNVP
vielleicht auch im Prinzip zustimmte,
so sehr war er sich – im Gegensatz zu
Tirpitz und dessen Anhängern – darüber im Klaren, dass nur eine realistische Politik der kleinen Schritte,
nicht aber eine Wiederaufnahme des
soeben gescheiterten Konfrontationskurses die außenpolitische Lage des
Reiches verbessern konnte.
In einem teilweise absurd anmutenden, aber dennoch hochpolitischen
Kleinkrieg bekämpften sich die beiden
Kontrahenten. Mit der Veröffentlichung eines Dokumentenbandes aus
seiner aktiven Zeit hatte Tirpitz gehofft, sich erneut als »nationaler Führer« zu empfehlen. Das Auswärtige
Amt warf ihm jedoch – mit Billigung
Stresemanns – vor, durch darin enthaltene belastende Dokumente die offizielle deutsche Politik hinsichtlich der
»Kriegsschuldfrage« zu konterkarieren.
Unbeirrbar bis zuletzt
Tirpitz’ Ansehen in den eigenen Reihen, vor allem aber sein Selbstbewusstsein wurden durch diese Angriffe kaum beeinträchtigt. Chancen auf
eine Kanzlerkandidatur gab es unter
den gegebenen Umständen ohnehin
kaum noch, wohl aber die Möglichkeit, bei den bevorstehenden Wahlen,
verursacht durch den plötzlichen Tod
Friedrich Eberts, für das Amt des
Reichspräsidenten zu kandidieren.
Tirpitz hat dies allen Ernstes erwogen
und die erneuten Reichstagswahlen
vom 7. Dezember 1924 auch als einen
»Testlauf« betrachtet. Am Ende konnte
er aber doch nicht genug Rückhalt
gewinnen. Hinzu kam, dass Seeckt
ihm auch dieses Mal keine Unterstützung zusagte, ihn nach einem
Treffen vielmehr herblassend, aber zutreffend als »eitel« und »senil« sowie
zur »Prahlerei« neigend abqualifizierte. Politisch wirken konnte Tirpitz
allenfalls indirekt – durch Unterstützung eines für die gesamte Rechte
akzeptablen Kandidaten für das Amt
des Reichspräsidenten: den lebenden
»Mythos« des Ersten Weltkrieges,
Hindenburg. »Die Entscheidung für
Hindenburg«, erklärte Tirpitz vor dem
entscheidenden 2. Wahlgang in München am 21. April 1925, »würde die
im November 1944 auch die »Tirpitz«
im norwegischen Alta-Fjord. Das
Berliner Tirpitz-Denkmal war schon
1940 eingeschmolzen worden, und –
dies entbehrt nicht einer gewissen
Ironie – das nach dem Schöpfer der
Hochseeflotte benannte Ufer am
Landwehrkanal wurde nach 1945 in
»Reichpietsch-Ufer« umbenannt: zur
Erinnerung an einen jener Matrosen,
die 1917 die erste Meuterei gegen
militärische Willkür und soziale Ungerechtigkeit angeführt hatten und zur
Abschreckung hingerichtet worden
waren.
■ Michael Epkenhans
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Stellung Deutschlands in der Welt mit
einem Schlage ändern, denn der Beweis wäre erbracht, dass die Kräfte,
die in Deutschland noch gesund geblieben sind, wieder die Oberhand
bekommen haben gegenüber den internationalen Utopien und rein klassenkämpferischen Gesinnungen«.
Langfristig sollte sich die Hoffnung,
einen Präsidenten zu wählen, der
Weimar »überwand«, erfüllen – mit
fatalen Folgen freilich; kurzfristig
hingegen ging die Rechnung der
konservativen Berater des neuen
Reichspräsidenten allerdings nicht
auf. Entgegen ihren Erwartungen hielt
Hindenburg sich an die Verfassung,
billigte in vielem Stresemanns Kurs.
Tirpitz, der mehrfach bei Hindenburg
vorsprach, um diesen »auf Kurs zu
bringen«, hat dies mit zunehmend
größerer Verbitterung zur Kenntnis
genommen und sich 1928 schließlich
auch aus der Politik zurückgezogen.
Bis zu seinem Tode, am 6. März 1930,
hatte Tirpitz – wie viele andere alte
Konservative – insofern nichts aus der
Katastrophe von 1914/18 dazugelernt.
Er wollte das »Parasitendasein« des
Deutschen Volkes beenden und bis
zuletzt trieb ihn die Verachtung von
Republik und Demokratie. »Der Parlamentarismus«, so seine Überzeugung,
»wird uns nicht wieder hoch bringen
[...] Die chronische Revolution ist
tödlicher als die akute«, schrieb er im
September 1929, und, so fuhr er fort:
»Der bei uns von Demagogen entwickelte republikanische Gedanke beruht auf Versprechungen, die unerfüllbar sind.«
Ähnlich wie beim »Eisernen Kanzler« Otto von Bismarck lebte Tirpitz’
Mythos, der vor allem von der Marine,
teilweise aber auch von der Politik
sehr geschickt inszeniert und instrumentalisiert wurde, noch länger fort:
Am Skagerrak-Tag 1931 wurde in Berlin feierlich ein Tirpitz-Denkmal
enthüllt; im April 1939 schließlich
taufte Hitler das Schwesterschiff der
»Bismarck«, des wohl schlagkräftigsten Schlachtschiffes seiner Zeit, auf
den Namen »Tirpitz«. Das Ziel, mit
beider Einsatz die britische Vormacht
auf den Weltmeeren zu brechen, erwies sich, wie bereits ein Vierteljahrhundert zuvor, jedoch als Illusion.
Nachdem die »Bismarck« bereits im
Mai 1941 verloren gegangen war, sank
Die Dolchstoßlegende im Wahlkampf: Plakat der DNVP zu den Reichstagswahlen am
7. Dezember 1924. Entwurf von Richard Müller.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
13
Fußball im Ersten Weltkrieg
»Schickt uns Fußbälle …«
Jahrbuch der Turnkunst 1917, S. 105
Die Bedeutung des
Fußballs für
deutsche Soldaten
im Ersten Weltkrieg
Englische Soldaten
schießen bei einem
Sturmangriff auf
deutsche Stellungen
Fußbälle zur Motivation vor sich her.
A
ls deutsche Soldaten im Jahr
1918, in der Endphase des Ersten Weltkrieges, britische Gräben stürmten und diese vor dem
Rückzug in die eigenen Stellungen
plünderten, standen nicht nur britische Konserven und Lebensmittel sowie Alkohol besonders hoch im Kurs.
Auch die in den feindlichen Schützengräben hier und da aufgefundenen
Fußbälle nahmen die Soldaten mit
zurück, denn Fußball war während
des Krieges vor allem in der Etappe
und den Ruhequartieren zum beliebtesten Soldatenspiel überhaupt geworden: »Wie oft haben wir es erlebt, dass
unsere Frontkämpfer, nachdem sie
sich ordentlich ausgeschlafen hatten,
auf der ersten besten Wiese mit dem
Fußball sich fröhlich tummelten.
Immer mehr erscholl der Ruf von der
Front in die Heimat: Schickt uns
Fußbälle, schickt uns Sportgeräte aller
Art«, erinnerte sich ein Funktionär des
Deutschen Fußballbundes (DFB) nach
Kriegsende.
tische Stimmen, die den Fußball als
»Englische Krankheit« diffamierten
und vor dem verderblichen Einfluss
auf die deutsche Jugend warnten. Lehrer und Eltern sahen es oft nicht gerne,
wenn die Jungen nach der Schule über
die Straßen und Plätze jagten und dabei einem unförmigen Etwas nachliefen, das oftmals nur bedingt Ähnlichkeit mit einem Ball hatte. Wer einen
wirklichen Fußball sein Eigen nennen
konnte und damit nicht mehr auf leere
Konserven oder aus Stoff- und Lederresten selbst gebastelte Bälle als Spielobjekte angewiesen war, stand bei
Freunden und Klassenkameraden
hoch im Kurs.
Nicht nur die Fußballbegeisterung
vieler Jungen ebnete dem Sport den
Weg. Auch einige Militärs erkannten
den Nutzen des Sports für die Ausbildung der Soldaten. Hinzu kam, dass
die Sportbewegung in Deutschland
durch die Vergabe der Olympischen
Spiele 1916 nach Berlin Auftrieb erhielt. Erst 1910 waren Fußball und
andere Spiele bei der Einführung einer
neuen Turnvorschrift in der preußischen Armee berücksichtigt worden.
Soldaten sollten für einen Medaillenregen sorgen, um den Anspruch nach
Weltgeltung des wirtschaftlich aufstrebenden und politisch ambitionierten
Deutschen Reiches auch auf dem
Sportplatz zum Ausdruck zu bringen.
Als junger Oberleutnant begleitete der
spätere Generalfeldmarschall Walter
von Reichenau (1884–1942) den deut-
Der Aufstieg des Sports und vor allem
des Fußballs zu einem Massenphänomen auch außerhalb des Militärs, zur
»Weltreligion des 20. Jahrhunderts«,
wie es ein Zeitgenosse formulierte,
war keine Selbstverständlichkeit. Noch
um die Jahrhundertwende gab es kri-
14
BA-MA, MSG 201/1319
Von der »Englischen Krankheit«
zur Fußballbegeisterung
Kriegsgefangene Deutsche mit einem Fußball im Offizierlager Skipton, Großbritannien.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
Spielen hinter der Front
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges
im August 1914 verhinderte zunächst
eine weitere planmäßige Förderung
und Entwicklung des Sports in Armee
und Gesellschaft wie auch die Olympischen Spiele in Berlin. In der Heimat
wurden nach Kriegsbeginn immer
mehr Sportplätze zu Ackerland und
Gemüsegärten umfunktioniert und
viele Turnhallen als Reservelazarette
genutzt. Die Herstellung von Sportgeräten wurde nicht nur untersagt, sondern Fußbälle teilweise eingezogen,
um aus dem Leder Stiefel anzufertigen. Ein deutscher Fußballmeister
konnte während des Krieges nicht
mehr ermittelt werden. Viele Vereine
mussten den Spielbetrieb vollständig
einstellen, andere bildeten gemeinsam
eine Mannschaft oder ersetzten fehlende Spieler durch Fronturlauber und
Jugendliche. Trotz zahlreicher Bemühungen kam der Sport in der Heimat
nahezu zum Erliegen.
Hinter der Front in den Ruhequartieren und der Etappe entwickelte sich
hingegen vor allem in der zweiten
Kriegshälfte ein umfangreicher Sportbetrieb. Besonders das Fußballspiel
erfreute sich großer Beliebtheit bei den
Soldaten. Standen zunächst meist turnerische Übungen auf dem Programm
der Wettkämpfe, so wurden diese im
Laufe des Krieges durch Leichtathletik
und vor allem Fußballspiele abgelöst.
Da es sowohl Oberste Heeresleitung
als auch das Preußische Kriegsministerium versäumten, einen gleichmäßigen Sportbetrieb zu organisieren,
war die Initiative von Teileinheitsführern und Mannschaftssoldaten vor Ort
ausschlaggebend dafür, in welcher Intensität Sport getrieben wurde. Es
hing vielfach von den Vorgesetzten
auf Kompanie-, Bataillons- oder Divisionsebene ab, ob Sportfeste und Fußballspiele stattfanden.
Auch unter den Kriegsfreiwilligen gab
es viele Turner und Sportler. Es hatte
zwischen manchen Sportvereinen
einen regelrechten Wettkampf in der
Frage gegeben, welcher Verein mehr
Kreisfreiwillige stellen konnte. Die
Fußballer unter ihnen nutzten während des Krieges jede Gelegenheit, um
dem runden Leder nachzujagen. Offiziere erkannten die positive Wirkung
des Fußballs für die Moral der Truppe.
Die Langeweile im Etappendienst, der
unbeschreibliche Schrecken des Grabenkrieges sowie die lange Kriegsdauer ließen die Truppenbetreuung zu
einem wesentlichen Faktor für die Einsatzbereitschaft der Soldaten werden.
Vor allem der Dienst in den Schützengräben verlangte den Männern alles
ab. »Er geht nicht viel, hat überhaupt
nicht viel Bewegung, seine Beine verlernen infolgedessen das Marschieren
und Laufen, dort vorne in Schützengräben und engen Verbindungsgängen, in den dunklen, schmalen, niedrigen Unterständen – dort wohnt der
Feldgraue«, beschrieb eine Sportzeitung das Leben der Soldaten fernab
des eigentlichen Kampfes.
Soldaten, die nicht selbst spielen konnten oder wollten, besuchten als Zuschauer die immer häufiger stattfindenden Sportfeste, bei denen hohe
militärische Führer wie Paul von Hindenburg oder August von Mackensen
die Schirmherrschaft übernahmen
und Preise stifteten. Die Männer konnten dort wenigstens für einige Stunden den Krieg vergessen. So beschrieb
auch eine Turn-Zeitung die Begeisterung der Soldaten anlässlich eines
solchen Sportfestes: »Der Feldgraue ist
plötzlich keiner mehr. Das Auge, das
schon lange nur ein trostloses Bild von
Lehm, Stacheldraht, Verwüstungen
und feldgrauem Tuch sah, also nur ein
farbloses Gemisch, erblickt jetzt plötzlich ein sehr farbenprächtiges Bild von
Fahnen und Wimpeln, welche in den
bekannten Farben im Winde lustig
flattern, und dazwischen die grellen
Farben der gestreiften und geringelten
Turnjacken der Spielenden.«
BA-MA, MSG 201/1319
schen Sportfunktionär Carl Diem 1912
auf einer Reise in die USA, um vom
dortigen Sportbetrieb zu lernen. Nach
seiner Rückkehr wurde er zu einem
großen Förderer des Sports in der
Armee. Reichenau war der Überzeugung: »Ein guter Sportsmann mit all
den körperlichen und moralischen
Eigenschaften, wie sie von einem echten Sportsmann unzertrennlich sind,
wird auch immer ein ausgezeichneter
Soldat sein.«
Auch für andere Befürworter des
Sports innerhalb des Militärs, die eine
stärkere Integration desselben in den
Ausbildungsbetrieb forderten, stand
der unmittelbare Nutzen für die Truppe im Vordergrund, zumal sich aufgrund der modernen Waffentechnik
die Anforderungen an den Soldaten
zunehmend veränderten.
In einer Sportzeitschrift wurde ausgeführt: »Der Krieg verlangt kampfgewohnte Nerven, geprüfte, selbstbewusste Ausdauer, Widerstandsfähigkeit gegen Strapazen und Entbehrung,
Entschlossenheit und selbständiges
Handeln, männliche Freude an Gefahr
und Triumph, also die Vereinigung
von Körper und Geist zur Kriegsbereitschaft. In friedlicher Zeit hat man
das Kämpfen nur im friedlichen
Kampf. Das ist der Sport.«
Deutsche Fußballelf in einem Kriegsgefangenenlager in Calais, Frankreich.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
15
Die Vereine in der Heimat waren sehr
darum bemüht, den Kontakt zu den
im Felde stehenden Mitgliedern aufrecht zu erhalten. Während Fußbälle
an sie geschickt wurden, bedankten
sich die Soldaten hierfür mit Fotografien von neu gebildeten Fußballmannschaften und berichteten von den sich
entwickelten Wettspielen. Vor allem in
den Etappenstädten wurden Spielvereinigungen gegründet, die regelmäßig
gegeneinander Fußball spielten. Daneben gab es den »wilden« Spielbetrieb.
Sobald Zeit, eine Wiese und ein Ball
zur Verfügung standen, suchten viele
Soldaten die Ablenkung. »Ein neuer
Stellungskrieg begann und damit auch
die Neigung der zur Ruhe dicht hinter
der Front liegenden Truppen, sich zu
tummeln und die Glieder zu bewegen.
Allabendlich konnte ich von meinem
Unterstande aus beobachten, wie die
Mannschaften in dem gegen Einblick
vom Feinde her geschützten Senséebachtale, das trotz aller Granatlöcher
leidlich spielfähig war, sich zum Fußballspiel aus ihren Erdlöchern zusammenfanden, und selten habe ich glücklichere und blankere Augen gesehen«,
erinnerte sich Carl Diem, während des
Krieges selbst als Leutnant im Felde.
Fußball in den
Kriegsgefangenenlagern
Die Fußballbegeisterung beschränkte
sich nicht nur auf die Soldaten in der
Truppe. Auch unter den knapp eine
Million deutschen Kriegsgefangenen
fanden sich immer mehr Fußballanhänger. Dies war freilich nur in den
Lagern möglich, in denen die Gewahrsamsmächte den Gefangenen die Gelegenheit gaben, Sport zu treiben. Neben dem Sport entwickelte sich vielerorts auch ein umfangreiches kulturelles Lagerleben, und die Soldaten waren für jede Form der Ablenkung
dankbar.
Mancherorts gab es neben der Lagerzeitung sogar eine eigene Sportzeitung, die Spielberichte, Humorvolles
und Veranstaltungshinweise veröffentliche. Die Sportgeräte bauten die
Kriegsgefangenen teilweise selbst,
bekamen Fußbälle und Hanteln aber
auch aus der Heimat geschickt oder
von der Lagerleitung gestellt. Vielfach
gründeten sie Vereine, die sich Namen
wie »Deutsche Eiche«, »Saxonia«,
16
»Sportverein Olympia«, »Infanterie-Sportverein« oder schlicht
und einfach »FC Sportfreunde«
gaben. Karl Ritter von Halt, erfolgreicher Leichtathlet des Kaiserreichs und Sportfunktionär,
erinnerte sich an seine Kriegsgefangenschaft: »Sport war das
Schlagwort in unserem Lager.«
Bei seiner Gefangennahme hatte
ihn ein englischer Soldat mit
dem Hinweis zu trösten versucht, in den Kriegsgefangenenlagern gebe es ausreichend Möglichkeiten, Sport zu treiben –
nicht ahnend, dass er einen erfolgreichen deutschen Athleten
vor sich hatte.
Die Sportleidenschaft verband
die Soldaten der Krieg führenden Nationen miteinander und
trieb bisweilen skurrile Blüten.
Auch die in deutsche Gefangenschaft geratenen Briten durften
in den Lagern Sport treiben.
Wenig Verständnis brachte eine
Lagerverwaltung im vom Hunger gebeutelten Reich allerdings für die fünf
britischen Offiziere auf, die in Ermangelung eines Balls mit einem Brotlaib
Fußball gespielt hatten. Sie erhielten
acht Tage Arrest. Es kam aber auch
vor, dass die Kriegsgefangenen nicht
nur untereinander, sondern gegen ihre
Bewacher spielten. Nach dem Waffenstillstand beantragten die britischen
Wachmannschaften des Lagers Frangoch in North Wales, gegen die deutschen Gefangenen Fußball spielen zu
dürfen. Allein von August bis November 1919 sind zehn Begegnungen dokumentiert, von denen die Deutschen
sechs Partien für sich entscheiden
konnten.
Im Rückblick wurde dem Sport nicht
nur bei der Gestaltung des Lageralltags, sondern darüber hinaus für die
physische und psychische Verfassung
der Gefangenen bei ihrer Rückkehr in
die Heimat besondere Bedeutung
zugemessen: »Als dann endlich am
20. November 1919 für uns die Befreiungsstunde schlug, konnten wir in
dem stolzen Bewußtsein scheiden,
dass es uns nicht nur gelungen war,
die englische Mannschaft in ihrem
Nationalspiel geschlagen zu haben,
sondern noch mehr, dass es uns
gelungen war, durch Sport und Spiel
aller Art trotz der Härte der jahrelan-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
BA-MA, MSG 201/129
Fußball im Ersten Weltkrieg
Gedenkblatt für den Fußballverein
»Sportfreunde«, der von deutschen
Kriegsgefangenen 1914 auf der Ile de
Longue in der Nähe von Brest, Frankreich, gegründet wurde.
gen Gefangenschaft Körper und Geist
gesund zu erhalten für eine bessere
Zukunft.«
»Weihnachtswunder« und
»Angriffsmittel«
Schon vorher hatten sich deutsche und
britische Soldaten nicht nur mit der
Waffe, sondern bei verschiedenen
Fußballspielen gegenübergestanden.
Während des Weihnachtsfestes 1914
kam es an der Westfront zur Verbrüderungsszenen zwischen den Soldaten,
die sich tags zuvor noch erbittert bekämpft hatten. Die Soldaten sangen
sich gegenseitig englische und deutsche Weihnachtslieder vor. An verschiedenen Stellen kletterten die Soldaten aus ihren Gräben und tauschten
»Geschenke« aus. Spontan spielten
Briten und Deutsche gegeneinander
Fußball. Anderenorts verabredeten
sich Soldaten für den ersten Weihnachtsfeiertag zu einem Spiel. Die
Offiziere nahmen an diesen Spielen
selbst teil oder ignorierten sie zumindest. Verhindern konnten sie dieses
BA-MA, MSG 201/1293
Farbige Ansicht des Kriegsgefangenenlagers Liverpool, Australien. Der Fußballplatz am linken Bildrand macht die Bedeutung des
Sports für die Inhaftierten deutlich.
Weihnachtswunder, in Großbritannien
als »christmas truce« bekannt geworden, nicht.
Doch der Fußball war nicht nur Sinnbild des friedlichen Wettstreits. Die
militärische Führung sah im Fußballsport ein Äquivalent zu den Anforderungen an den modernen Infanteristen. Dieser müsse auf sich gestellt und
doch gemeinsam kämpfend unnachgiebig seinem Ziel zustreben – ganz
wie beim Fußball. Weniger friedlich
aber gleichwohl wunderlich war daher auch das Bild, das sich den deutschen Grabenbesatzungen bot, als die
Briten 1916 nach heftiger Artillerievorbereitung ihre verlustreiche Offensive
an der Somme starteten. Die britischen
Soldaten schossen beim Sturmangriff
Fußbälle vor sich her. Ein Offizier
hatte demjenigen, dem es gelingen
sollte, einen Ball in einen deutschen
Schützengraben zu schießen, eine
Belohnung versprochen. Die britischen Verluste waren so hoch, dass die
Offensive, wie zahlreiche andere Offensiven auf beiden Seiten, scheiterte.
Nach 1918: »Geschossen wird
nur noch aufs Tor«
Nach Kriegsende sprachen sich nicht
nur die Militärs, sondern auch Pädagogen und Politiker – von den Sportfunktionären ganz zu schweigen – dafür aus, künftig dem Sport ein stärkeres Gewicht im Rahmen der militäri-
schen Ausbildung einzuräumen. Der
Sport und der Fußball sollten an die
Stelle der durch den Versailler Vertrag
verbotenen Wehrpflicht treten. Vorbild
hierfür war nach dem verlorenen
Krieg der britische Sportbetrieb. Auch
in Großbritannien hatte es vor dem
Krieg keine Wehrpflicht gegeben, was
im Vorfeld auf deutscher Seite zu der
Annahme geführt hatte, die britischen
Soldaten seien den durch die Wehrpflicht geschulten deutschen Truppen
nicht ebenbürtig. Erst durch den Krieg
habe man jedoch gelernt, »die Engländer als Soldaten richtig einzuschätzen«. Der Krieg habe zudem gezeigt, »was für glänzende Soldaten ein
Sportvolk, wie die Engländer ins Feld
stellen konnte. Stark, schnell, ausdauernd, energisch, kaltblütig, diese
Eigenschaften des Sportsmannes fanden sich auch beim englischen Soldaten und die Erscheinung wird uns
noch lange zu denken geben.«
Mit einem gut organisierten Sportbetrieb wollte die Reichswehr auch
einen zusätzlichen Anreiz für junge
Männer schaffen, um sich für den
Wehrdienst zu verpflichten. Doch
nicht nur in der Armee war Fußball
nun endgültig zum beliebtesten Spiel
geworden. Der DFB entwickelte sich
neben der Deutschen Turnerschaft
zum größten Sportverband der Weimarer Republik und wurde damit zu
einer eigenständigen und selbstbewussten gesellschaftlichen Kraft, die
verstärkt eigenständig agierte, wirtschaftlich dachte und Ansprüche an
die Politik formulierte. Hatte der DFB
vor Kriegsbeginn noch keine 200 000
Mitglieder, konnte er bis 1920 ein Ansteigen auf fast 500 000 Mitglieder
verzeichnen; wenige Jahre später waren es bereits über eine Million. Jedes
Wochenende spielten in den unterschiedlichen Spielklassen unzählige
Mannschaften vor einer jeweils mitfiebernden Zuschauerkulisse und jagten dem runden Leder nach – ganz
friedlich. Und geschossen wurde nur
noch aufs Tor.
■ Peter Tauber
Literaturtipps:
Irene Diekmann und Hans Joachim
Teichler (Hg.), Körper, Kultur und
Ideologie. Sport und Zeitgeist im
19. und 20. Jahrhundert, Main 1997
Michael Jürgs, Der kleine Frieden
im Großen Krieg. Westfront 1914:
Als Deutsche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten feierten, München 2003
Christoph Schubert-Weller, »Kein
schönrer Tod …« Die Militarisierung der männlichen Jugend und
ihr Einsatz im Ersten Weltkrieg
1890 bis 1918, München 1998
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
17
Strategie
Ein »flüssiger Verbündeter«
Die Rolle des Wassers
in der niederländischen Landesverteidigung
Eine Inundationsschleuse während der Mobilisierung 1939/40.
D
ie Niederländer haben seit jeher
eine besondere Beziehung zum
Wasser: sie sind ihm in »Hassliebe« verbunden. Das Wasser überflutete durch die Jahrhunderte die tiefliegenden Teile ihres Landes und bedrohte die Bevölkerung. Die Niederländer bemühten sich immer, solche
Katastrophen zu verhindern und das
überflüssige Wasser ins Meer abfließen
zu lassen. Sie fanden jedoch schon bald
heraus, dass das flüssige Element im
Kriegsfall ihr Verbündeter war. Künstlich errichtete Sperren aus Wasser verwehrten dem Feind den Zugang zu
ihrem Land. So entstand das Konzept
der Wasser- bzw. »Inundationslinie«
(Überflutungslinie), deren defensive
Wirkung sich auf die künstliche Überflutung von Geländeteilen gründete.
Anfänge eines Erfolgskonzeptes
1574–1814
Zum ersten Mal wurde das Wasser im
Niederländischen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien als Waffe eingesetzt. Dieser »80-jährige Krieg« wurde
von etwa 1570 bis 1648 auf niederländischem Boden ausgefochten. Im
Jahre 1574 gelang es den niederländischen Aufständischen, die Belagerung
der Stadt Leiden zu beenden, indem
sie die Deiche durchstachen. Das Wasser zwang die spanischen Belagerer
zum überstürzten Rückzug. Während
18
dieses Krieges wandten die Niederländer zum ersten Mal auch das »Inundationskonzept« an und setzten weite
Landstriche unter Wasser. Der Feind
wurde so von vornherein daran gehindert, in das Hinterland einzudringen.
Konzepte und eingesetzte Mittel waren zunächst eher improvisiert und
nicht dauerhaft angelegt.
Das sollte sich im letzten Viertel des
17. Jahrhunderts ändern. Die Ereignisse des Jahres 1672 – in der niederländischen Geschichtsschreibung als Rampjaar (Unglücksjahr) bezeichnet – bildeten hierzu den Anlass. Die Republik
der Vereinigten Niederlande, so die
damalige Bezeichnung, geriet in einen
Krieg mit den Mächten Frankreich
und England sowie den deutschen
Fürstbistümern Münster und Köln.
Der französische König Ludwig XIV.
überfiel die Republik von Südosten
her. Sein Vormarsch gegen den Westen
des Landes wurde an der Ostgrenze
der Provinz Holland gestoppt, wo
man inzwischen die Polder geflutet
hatte. Das Blatt wendete sich 1673: Die
Franzosen mussten das Gebiet räumen und die Verwaltung der Provinz
Holland beschloss, die provisorisch
eingesetzte Sperre aus Wasser zu einer
dauerhaften Verteidigungslinie auszubauen.
Die Abwehrkraft der Holländischen
Wasserlinie basierte auf einem geschlossenen tiefliegeden Gebiet, das
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
man bei einem drohenden Krieg fluten
konnte. Das Ziel war erst dann erreicht, wenn das Gelände ca. 50 cm
hoch überflutet wurde. Erstens war
das Gelände an sich nicht mehr begehbar. Weiterhin war der Boden dann so
sumpfig, dass der Feind einsinken
musste. Drittens war es bei einer
geschlossenen Wasserfläche unmöglich festzustellen, wo sich die vollgelaufenen und noch tiefer liegenden
Gräben befanden. Allerdings durfte
der Wasserstand aber auch nicht zu
hoch sein, weil der Feind sonst das
überschwemmte Gelände mit Booten
überwinden konnte. Wo Deiche und
höher gelegene Geländeabschnitte den Wasserspiegel
überragten, errichtete man Befestigungen. Ebenso verfuhr
man entlang der Wasserstraßen, weil diese auch nach der
»Inundation« für den Feind
schiffbar waren. Die im Gebiet
bereits vorhandenen Festungen wurden modernisiert. Einige davon sind bis heute erhalten geblieben. Eine der schönsten Befestigungen ist die Festung Naarden, etwa 15 km
südostwärts von Amsterdam
gelegen.
Um 1700 war der Bau der
Holländischen Wasserlinie abgeschlossen. Danach wurde
sie ständig modernisiert. Die
Modernisierung erfolgte stets
in enger Zusammenarbeit mit
den zivilen Stellen, die für die
Wasserwirtschaft zuständig
waren. Im Laufe der Zeit wurden auch in anderen Teilen der
Republik weitere Verteidigungslinien realisiert. Sie bestanden erstens aus nicht begehbarem Gelände wie etwa
Sümpfen, zweitens aus Gebieten, die geflutet werden konnten, und drittens aus der Kombination von beiden. Die meisten Linien lagen in einem Korridor, der das Land von Nordosten bis Südwesten durchzog
und der im Allgemeinen leicht
zur Verteidigung vorbereitet werden
konnte. Diese Linien bildeten ein gemeinsames Abwehrsystem, das das
Hoheitsgebiet der Republik größtenteils gegen Angriffe von Land schützte.
Während des 18. Jahrhunderts wurden zwei wichtige Teile dieses Verteidigungssystems fertiggestellt. Das
waren die Zuiderwaterlinie von Bergen op Zoom bis Grave und eine
»Inundationslinie« zwischen Zwolle
und Arnhem (Arnheim) entlang der
IJssel.
Nachdem die Republik 1795 untergegangen war, wurden die Niederlande
zu einem Vasallenstaat Frankreichs,
der 15 Jahre später dem französischen
Kaiserreich einverleibt wurde. Diese
Epoche währte nur kurz, denn schon
Ende 1813 erlangten die Niederländer
ihre Unabhängigkeit zurück. Der neue
Souverän, Erbprinz Wilhelm von Ora-
nien, erwarb auch die Herrschaft über
die südlichen Niederlande, das heutige Belgien. Er rief sich im März 1815
zum König aus und vereinigte die
nördlichen und südlichen Niederlande zu einem neuen Staat. Die südlichen Provinzen erklärten jedoch bereits 1830 ihre Unabhängigkeit.
Auf Anraten des Festungsbaumeisters
Cornelis Krayenhoff beschloss Wilhelm im Jahre 1815 den Bau einer neuen Verteidigungslinie in der Mitte der
Niederlande. Die Strecke dieser Neuen Holländischen Wasserlinie entsprach teilweise der alten Linie, die
nun ersetzt wurde. Auf Vorschlag von
Krayenhoff verlief die neue Linie ostwärts der Stadt Utrecht. Deren Verteidigungswert bestand ebenfalls in
der Möglichkeit, Geländeabschnitte
künstlich zu überfluten. Die Geländeabschnitte, die nicht überschwemmt
werden konnten, wurden zumeist
durch neue Forts geschützt. Mit dem
Bau der Linie wurde 1816 begonnen,
die Arbeiten mussten aber 1824 aus
Geldmangel eingestellt werden. Nach
der offiziellen Anerkennung der
belgischen Unabhängigkeit im Jahre
1839 nahm man die Arbeiten wieder
auf, 1860 wurden sie beendet.
Nach der Abspaltung Belgiens stellte
man sich in den Niederlanden die
Frage, wie man sich als kleine Nation
umgeben von Großmächten behaupten könne. Da sich die politische Großwetterlage zusehends verschlechterte,
suchten die Niederlande ihr Heil in
einem Konzept strikter Neutralität
und außenpolitischer Zurückhaltung.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann die militärpolitische Diskussion
über den Nutzen des bis dahin verwendeten Verteidigungssystems, das
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
19
Strategie
wie in der Zeit der Republik darauf
ausgerichtet war, einen möglichst großen Teil des Hoheitsgebietes der Niederlande zu schützen. Man war sich
darin einig, dass der lebenswichtigste
Teil des Landes, der Westen, mit Befestigungen wirksam verteidigt werden
sollte. Unterschiedliche Auffassungen
herrschten allerdings darüber, ob man
auch andere Teile der Niederlande
nach wie vor durch Festungen und
Linien schützen sollte. Das ausgedehnte Verteidigungssystem band
nicht nur sehr viele Truppen, sondern
führte auch zu deren starker Zersplitterung. Würde der Feind etwa eine der
Linien durchbrechen, wäre ein großer
Teil der Truppen eingeschlossen und
somit für den weiteren Kampf nicht
einsetzbar. Nachteilig wirkte sich auch
die Tatsache aus, dass sich das Tempo
der Kriegführung durch eine verbesserte Infrastruktur und Logistik, d.h.
durch befestigte Straßen und Eisenbahnen erheblich gesteigert hatte.
Man lief Gefahr, im Falle eines Angriffs zu wenig Zeit zur Verfügung zu
haben, um das Heer zu mobilisieren
und die Linien mit Truppen zu besetzen. Der Feind hätte so den Kampf
bereits frühzeitig zu seinen Gunsten
entscheiden können.
Festungen außerhalb dieses Gebietes
waren weitestgehend aufzugeben.
Dieses Konzept wurde im Vestingwet
(Festungsgesetz) festgelegt, das 1874
verabschiedet wurde. Die Verteidigung konzentrierte sich auf das Gebiet, das um 1900 herum als Vesting
Holland (Festung Holland) bezeichnet
wurde. Es umfasste im Großen und
Ganzen die Provinz Südholland sowie
die angrenzenden Teile der Provinzen
Nordholland und Utrecht. Das neue
Gesetz sah unter anderem den Bau der
sogenannten Stelling van Amsterdam
vor, einer Verteidigungslinie, die die
Hauptstadt in einem weiten Kreis umfassen sollte. Mit dem Bau dieser Linie,
die aus einer geschlossenen Kette von
zu überflutenden Geländeabschnitten
und Forts bestand, wurde ein letzter
Zufluchtsort geschaffen, der sich bis
zum Äußersten verteidigen ließ.
Bei der Umsetzung des Festungsgesetzes erhielt die Modernisierung der
Neuen Holländischen Wasserlinie
höchste Priorität. Denn diese Linie
sollte das oben benannte wichtige
Kerngebiet gegen einen Angriff aus
dem Osten schützen. Im Rahmen dieser Modernisierung traf man Vorkehrungen zur Beschleunigung des Flutungsvorgangs und zum Ausbau der
»Inundationsgebiete«. Weiterhin wurden die bereits vorhandenen Forts
ausgebaut, außerdem neue Verteidigungsanlagen errichtet. Kaum waren
die Arbeiten 1885 beendet, machte die
Entwicklung der Waffentechnik den
Schutz mit einem Mal zunichte: In
Das Festungsgesetz von 1874
Nach der neuen Doktrin erhielt daher
die Verteidigung des westlichen Landesteiles Priorität, die Linien sowie die
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Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
Deutschland war die »Brisanzgranate« entwickelt worden. Es handelte
sich um eine Splittergranate, die in
einer einzustellenden Höhe über dem
Ziel detonierte. Sie besaß eine enorme
Spreng- und Durchschlagskraft, durchschlug Befestigungen oder Panzerungen. »Herkömmliche« Festungswerke, die damals aus Mauerwerk mit
einer Erddeckung bestanden, konnten
ihr nicht standhalten. Trotzdem wurde
die Wasserlinie beibehalten. Denn es
war zu teuer, die Anlagen abzureißen
und durch wirksame, neue Betonbauten zu ersetzen.
Während die Neue Holländische Wasserlinie durch die Entwicklung der
Brisanzgranate mit einem Schlag veraltet war, konnte man sich bei der Stelling van Amsterdam, wo der Bau der
Forts gerade erst projektiert worden
war, noch rechtzeitig auf die neue Situation umstellen. Durch die Auswertung einer Reihe von Schießversuchen
wurde ein Typ Fort entwickelt, der
dem neuen Geschoss standhalten
konnte. Mitte der 1890er Jahre fing
man endlich mit dem Bau an. Als 1914
der Erste Weltkrieg ausbrach, waren
die Arbeiten nahezu abgeschlossen.
Der »Inundationsvorgang« war inzwischen derart perfektioniert worden,
dass die Flutung der Geländeabschnitte innerhalb von nur drei Tagen und
Nächten möglich gewesen wäre.
»Inundationen« im
20. Jahrhundert
Am Vorabend des Ersten Weltkrieges
ordnete die niederländische Regierung die Mobilmachung der Streitkräfte an. Dabei wurden die Linien zur
Verteidigung eingerichtet und mit
Streitkräften besetzt. Der außerhalb
der »Festung Holland« gelegene Teil
des Niederlande bildete das Operationsgebiet des Feldheeres. Es hatte
den Auftrag, bei einem feindlichen
Überfall den Vormarsch des Gegners
so lange wie möglich zu verzögern
und sich auf die »Festung Holland«
zurückzuziehen. Die Überflutung
wurde lediglich vorbereitet. Denn es
gelang den Niederlanden, sich aus
dem Krieg herauszuhalten, obwohl
die Lage einige Male bedrohlich war.
Daher beobachtete man auch sehr
genau die Kriegsereignisse in Belgien
und Nordfrankreich.
derländischen Streitkräfte am 15. Mai
kapitulierten.
Es existiert die These, dass das Wasser
als Mittel der Landesverteidigung
wegen der Möglichkeiten moderner
Luftstreitkräfte überholt gewesen sei.
Dabei wird aber gerne übersehen, dass
der Kampf nicht nur durch Luftkriegsmittel alleine entschieden werden
konnte. Der Angreifer musste das
gegnerische Territorium ja auch physisch einnehmen und das war nur
durch Bodenoperationen möglich.
Von diesem Standpunkt aus betrachtet, spielte das Wasser als Abwehrmittel im Mai 1940 durchaus eine
bedeutsame Rolle. Die Wehrmacht
berücksichtigte es bei Planung und
Durchführung ihrer Operationen.
Letztlich kann man aber nicht umhin
festzustellen, dass die deutschen Luftlandungen im Westen der Niederlande den Ausgang der Kämpfe stark beeinflusst haben. Die Wehrmacht hat
die Bedeutung des Wassers als Abwehrmittel tatsächlich relativ hoch eingeschätzt und es in den Jahren 1944/45
in den Niederlanden in großem Maßstab angewandt. So legte sie im Zentrum der Provinz Südholland, im
rückwärtigen Raum des Atlantikwalls,
eine neue »Inundationslinie« an.
Auch nach 1945 war die Rolle des
Wassers in der niederländischen Lan-
desverteidigung noch nicht ausgespielt. Die vorhandenen Linien behielten zwar ihren militärischen Status
nicht bei, aber im Jahre 1951 wurde ein
neuer Verteidigungsgürtel geschaffen,
dessen Abwehrkraft auf dem Wasser
beruhte. Diese Linie, die hauptsächlich entlang der IJssel verlief und einen
Blitzangriff aus dem Osten aufhalten
sollte, war nun Bestandteil der NATOVerteidigung. Durch die Absenkung
einiger schwimmender Wehre in die
großen Flüsse sollte zwischen Nijmegen (Nimwegen) und dem IJsselmeer
ein riesiges Wasserhindernis entstehen. Durch eine Änderung der NATOStrategie wurde 1963 beschlossen,
diese Neue IJssellinie aufzulösen.
Die niederländischen Wasserlinien
stellen weltweit ein einmaliges Phänomen dar. Sie sind von großem kulturhistorischen Wert. Die UNESCO nahm
daher die Stelling van Amsterdam 1996
in die Liste des Weltkulturerbes auf.
Die Niederlande sind zur Zeit bemüht,
diesen Status auch für die Neue
Holländische Wasserlinie zu erhalten.
Auf diese Weise könnten kommende
Generationen verstehen, wie ihre Vorfahren dank der Hilfe ihres »flüssigen
Verbündeten« erfolgreich um ihre
Unabhängigkeit gekämpft haben.
■ J. P. C. M. van Hoof
Alle Abb. und Karten: Niederländisches Institut für Militärgeschichte
Die Auswertung der dortigen Kämpfe
1914/15 ließ einerseits den Schluss zu,
dass die niederländischen Forts trotz
ihrer starker Betonschicht dem Beschuss der schweren deutschen Artillerie nicht standgehalten hätten. Auf
der anderen Seite zeigten die Kämpfe
an der IJzer im Südwesten Belgiens,
dass »Inundationen« kombiniert mit
Überwachung und entschlossener
Verteidigung dem feindlichen Druck
durchaus standhalten konnten. Dies
bestärkte die Heeresführung in ihrem
Vertrauen, das sie auf den Nutzen der
Linien setzte.
Nach Kriegsende wurden keine Baumaßnahmen an den Linien mehr durchgeführt. Dies war hauptsächlich auf die
drastischen Einsparungen bei den Verteidigungsausgaben zurückzuführen,
die die niederländische Regierung im
Jahre 1922 beschloss. Als Folge der zunehmenden internationalen Spannungen Mitte der 1930er Jahre wurden
wieder einige neue Linien errichtet.
Deren Hauptzweck bestand darin,
den Vormarsch feindlicher Truppen in
Richtung der »Festung Holland« so
lange wie möglich aufzuhalten.
Wegen der drohenden Kriegsgefahr
mobilisierten die Niederlande am 28.
August 1939 ihre Streitkräfte. In den
Monaten danach wurden verschiedene Teile des Verteidigungsliniensystems geflutet. Im März 1940 beschloss
der Oberbefehlshaber des niederländischen Heeres, General H.G. Winkelman, die Ostfront der »Festung Holland« von der Neuen Holländischen
Wasserlinie auf die Grebbelinie zu
verlegen. Letztere lag im Grenzgebiet
der Provinzen Utrecht und Gelderland. Winkelman begründete seinen
Entschluss unter anderem damit, dass
die Forts der Wasserlinie stark veraltet
seien und die Verteidiger im offenen
Gelände ein leichtes Ziel für Luftangriffe böten.
Im Mai 1940 hielt die Grebbelinie anfangs den deutschen Hauptangriff
durch die Mitte des Landes auf. Der
Kampf konzentrierte sich zunächst auf
den Grebbeberg, wo sich die Linie an
den Rhein anschloss. Die Lage war
dort allerdings am 13. Mai unhaltbar
geworden, daher gab man die Grebbelinie auf und die niederländischen
Truppen zogen sich auf die Wasserlinie zurück. Ein deutscher Angriff auf
die Wasserlinie unterblieb, da die nie-
Luftaufnahme des Niederrheins westlich von Arnheim. Das dunkle, längliche Objekt ist
der transportable Teil einer Wehr der Neuen IJssellinie, den man zwischen die beiden
Widerlager stellen konnte.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
21
Service
Das historische Stichwort
picture-alliance/akg-images
Die Suezkrise
von 1956
Kriegshandlungen im Suez-Krieg, Aufnahme vom November 1956.
A
m 29. Oktober 1956 rückte die israelische Armee in den damals ägyptischen Gaza-Streifen ein und stieß
rasch in Richtung Suezkanal vor. Tags
darauf konfrontierten Großbritannien
und Frankreich die Kontrahenten mit
einem kurzfristigen Ultimatum. Ägypten und Israel sollten ihre Truppen
hinter den Suezkanal zurückziehen.
Dabei hatten die israelischen Streitkräfte diesen noch gar nicht erreicht.
Obendrein sollte Ägypten der Besetzung der Kanalzone durch britische
und französische Truppen zustimmen.
Ägypten lehnte ab. Daraufhin begannen britische und französische Luftstreitkräfte am 31. Oktober, ägyptische
Flughäfen zu bombardieren. Am selben Tage verkündete die ungarische
Regierung den Austritt ihres Landes
aus dem Warschauer Pakt. Am 2. November legten die USA dem Sicherheitsrat der UNO den Entwurf einer
Resolution vor, in der die sofortige
Einstellung der Kämpfe im Nahen Osten gefordert wurde. Am 4. November
– gleichsam im Windschatten der
Suezkrise – begann die sowjetische Armee, gegen bewaffneten Widerstand
Budapest zu besetzen. Am 5. und 6. November landeten britische und französische Truppen aus der Luft und von
See aus auf ägyptischem Territorium.
Gegen zähen Widerstand zwangen sie
die Ägypter zum Rückzug. Die USA
setzten London durch massive Verkäufe von Pfund Sterling unter Druck.
Die Sowjetunion drohte London und
Paris mit dem Einsatz von Atomwaf-
22
fen. Die britische Regierung knickte
ein. Sie stimmte noch am 6. November
einseitig einem Waffenstillstand in
Ägypten zu; Frankreich und Israel
folgten notgedrungen. Dagegen verhallten die Hilfsappelle der ungarischen Aufständischen an den Westen.
Bereits am 14. November setzten die
Sowjets eine ihnen genehme ungarische Regierung ein. Franzosen und
Briten begannen am 3. Dezember mit
dem Abzug ihrer Truppen. Ihren Platz
nahm die für diesen Zweck neu geschaffene und erstmals eingesetzte
»Blauhelm«-Truppe der UNO ein. Die
in der Parallelität der Ereignisse entstandene Doppelkrise von Suez und
Ungarn war zu Ende.
Wie war es zu dieser Krise gekommen? 1952 hatte eine Gruppe ägyptischer Offiziere den pro-westlichen
König Faruk vom Thron vertrieben.
Gamal Abdel Nasser (1918–1970) setzte sich bald als Führungsfigur durch.
Er steuerte einen panarabischen Kurs
und unterstützte die Gewaltmaßnahmen der Palästinenser gegen Israel.
Obendrein näherte er sich der Sowjetunion an, als sich der Westen weigerte,
die ägyptischen Streitkräfte gegen
Israel aufzurüsten. Schließlich verlangte Nasser die Nationalisierung
des Suezkanals, was die bis dahin in
der Region dominanten Briten und
Franzosen ablehnten. Der Kanal war
schon damals eine der strategisch wie
wirtschaftlich wichtigsten Wasserstraßen der Erde. Ihre Bedeutung wuchs
im Gleichschritt mit der Verdrängung
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
der Kohle durch das Rohöl als vorrangigem Energieträger der Industriestaaten. Entsprechend profitabel war
die private britisch-französische Kanalgesellschaft. Nasser erreichte im SuezAbkommen von 1954 den Abzug britischer Truppen aus der Kanalzone. Im
Gegenzug erkannte er deren internationalen Status an. Als die USA sich
weigerten, den projektierten AssuanStaudamm zu finanzieren, verkündete
Nasser am 26. Juli 1956 die Verstaatlichung des Suezkanals. Trotz der angekündigten Entschädigung fühlten sich
Briten und Franzosen herausgefordert. Zu deren Leidwesen verhinderten die USA in der UNO eine Verurteilung Ägyptens. Sie billigten damit faktisch die Entscheidung Nassers. Da
dieser den Suezkanal und den Golf
von Akaba für israelische Schiffe und
Güter sperrte, sah Israel seine Handelsverbindungen gefährdet. Nicht
minder bedroht wähnte sich Paris. Ein
Erfolg Nassers kam einem Positionsgewinn der Algerier in ihrem Unabhängigkeitskrieg gegen die französische Kolonialmacht gleich. In Geheimverhandlungen vom 22. bis 24. Oktober 1956 vereinbarten Großbritannien,
Frankreich und Israel ein bemerkenswertes Komplott mit Anklängen an
die Ära der »Kanonenboot-Politik«
des 19. Jahrhunderts. Der Präventivkrieg Israels gegen Ägypten sollte
Großbritannien und Frankreich den
Anlass für ein Ultimatum an beide Seiten bieten. Da das Ultimatum erkennbar zugunsten der Israelis ausfiel,
rechnete man mit der ägyptischen
Ablehnung. Als diese prompt erfolgte,
war der Vorwand für die britisch-französische Intervention geschaffen. Letztlich sollte das Nasser-Regime beseitigt
werden. Das Unternehmen endete, unbeschadet aller militärischen Erfolge
der Verbündeten, in einem diplomatischen Fiasko. Die Briten hatten durch
ihr mit den Vereinigten Staaten nicht
abgestimmtes Vorgehen ihren wichtigsten Alliierten und Seniorpartner
düpiert, der sie dann auch seinerseits
nachhaltig desavouierte. Als vorläufige Sieger gingen Nasser und die
Sowjetunion aus dem Konflikt hervor.
Wie in einem Brennglas kulminierten
in der Doppelkrise Suez und Ungarn
verschiedene Entwicklungen. Nasser
personifizierte den Prozess der Entkolonialisierung, in dem die Völker
Asiens und Afrikas ihren kolonialen
oder halbkolonialen Status abschüttelten. Frankreich hatte 1954 nach
einem zehnjährigen Kolonialkrieg die
Herrschaft über Indochina eingebüßt.
Seitdem führte es einen Krieg gegen
die algerische Unabhängigkeitsbewegung, die Nassers Sympathie und Unterstützung genoss. Den Briten galt die
Kanalzone weiter als Lebensnerv des
britischen Empire, der von Gibraltar
über Suez in den Persischen Golf und
weiter nach Fernost verlief. Sie fürchteten, die Araber könnten den Ölhahn
union werde sich mit der Finanzierung des Assuan-Staudammes übernehmen, ging vorläufig nicht auf. Mittelfristig verzeichnete der Ostblock im
Nahen Osten zu Lasten des Westens
einen Zuwachs an politischem und
militärischem Einfluss. Die traditionellen europäischen Großmächte
mussten schmerzlich lernen, dass ihr
Handlungsspielraum im Zweifel von
der westlichen Supermacht definiert
wurde. Die NATO war kein hinreichender Garant gegen transatlantische
Interessenkonflikte. Sie blieb ein Militärbündnis von begrenzter politischer
Dimension.
Frankreich und Großbritannien zogen gegensätzliche Konsequenzen aus
der Krise. Paris überwand seine bisherige europapolitische Unentschlossenheit. Jetzt strebte man eine kontinentale Wirtschaftsgemeinschaft und ein
nationales Kernwaffenpotenzial an.
Bundeskanzler Konrad Adenauer sah
sich in seinem latenten Misstrauen gegen die Beistandszusagen der Amerikaner bestätigt. Er trieb ebenfalls die
Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft voran. Dabei kam
er französischen Interessen weit entgegen. London restaurierte dagegen sein
Sonderverhältnis zu den USA. Insgesamt markierte die Doppelkrise den
Abschluss des Strukturwandels, der
1945 begonnen hatte. An die Stelle
einer multipolaren war die bipolare
Weltordnung des Kalten Krieges
getreten; sie dauerte bis 1989.
Dieter Krüger
ullstein bild
picture-alliance/dpa
Der ägyptische Staatspräsident Gamal
Abdel Nasser kündigt in seiner Rede am
27. Juli 1956 in Alexandria vor rund
50 000 Zuhörern die Verstaatlichung des
Suez-Kanals sowie den Bau des AssuanStaudammes an.
zudrehen. Die USA förderten im
Grundsatz die Entkolonialisierung.
Nur wenn die Gefahr bestand, dass
die Territorien nach ihrer Befreiung
sofort in den kommunistischen Einflussbereich wechselten, unterstützten
sie die europäischen Kolonialmächte.
Im Fall der Kanalgesellschaft hätte die
Duldung oder gar Unterstützung des
militärischen Vorgehens der Briten
und Franzosen das amerikanische Bestreben konterkariert, die Vorherrschaft der alten Kolonialmächte im
Nahen Osten durch ein auf die USA
ausgerichtetes Netzwerk der jungen
arabischen Staaten zu ersetzen. Zum
einen war die Region durch ihre Ölreserven und geostrategische Lage an
der Südflanke der Sowjetunion zum
Objekt der weltweiten amerikanischen
Interessen geworden. Zum anderen
verlagerte sich der Kalte Krieg der
Supermächte und ihrer Bundesgenossen zusehends in die Dritte Welt. Die
Entkolonialisierung bot der Sowjetunion und ihren Verbündeten neue
Einflusschancen in den unabhängig
werdenden Staaten; hatten sich die
Grenzen der Blöcke in Europa doch
erkennbar konsolidiert. Denn der Budapester Aufstand machte augenfällig, dass die USA nicht bereit waren,
zugunsten der Osteuropäer gegen die
Sowjetunion militärisch einzugreifen.
Das von der Eisenhower-Administration lautstark verkündete »Roll-back«
erwies sich als Rhetorik, gewürzt mit
viel Propaganda und weitgehend erfolglosen verdeckten Aktionen. Das
Kalkül der Amerikaner, die Sowjet-
An der Einfahrt zum Suez-Kanal bei Port Said ließ der ägyptische Staatspräsident
Nasser Schiffe versenken, um eine Durchfahrt unmöglich zu machen; Aufnahme vom
8. November 1956.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
23
Service
Medien online/digital
http://www.art-ww1.com
Krieg in der Kunst –
Kunst im Krieg
Malerei und die Schattenseiten
des Krieges im Internet
K
unst und Krieg haben eines gemein – sie sind menschliche Erfahrungen, können extremer Ausdruck
des Zeitgeistes sein und agieren zum
Teil jenseits des Alltäglichen. Seit jeher
haben Kriege und Gewalt Motive für
Künstler geboten. In der Frühen Neuzeit prägten vor allem heroisierende
Schlachtengemälde und Portraits der
siegreichen Feldherren, aber auch
künstlerische Darstellungen der Besiegten die Malerei. Es waren zumeist
Auftragsarbeiten, die das Geschehene
häufig verklärend darstellten. Die Tradition der großen Schlachtengemälde
sollte sich noch bis zum deutsch-französischen Krieg von 1870/71 halten.
In den folgenden Jahrzehnten wandelten sich die Kriege, die Technik begann ihren nicht enden wollenden »Siegeszug« und dominierte die Kriegführung zusehends. Die Soldaten wurden
zur anonymen Masse.
Die militärischen Auseinandersetzungen forderten immer mehr Opfer,
die Konfrontation mit der entsetzlichen Brutalität, die auch vor Zivilisten keinen Halt mehr machte, schien
in den tradierten künstlerischen Formen nicht mehr fassbar zu sein. Um
das erfahrene Leid zu verarbeiten,
griffen Maler, die den Krieg erlebten
bzw. erlebt hatten, zu Pinsel und Bleistift. Sie abstrahierten und experimentierten, denn der Krieg bot nicht mehr
die bekannten Motive – keine »Attacken, Hinterhalte und symbolische
Darstellungen«.
Es handelte sich aber nicht um eine
abgeschlossene Entwicklung, die das
Althergebrachte ersetzte, sondern vielmehr ergänzte, weiter entwickelte und
neue Sichtweisen ermöglichte. Das
Ziel war nicht mehr allein die Bewahrung des Erlebten für die Nachwelt.
Zahlreiche Künstler nutzten ihr Kön-
24
nen, um sich selbst zu »therapieren«,
die Schrecken und das Leid zu verarbeiten und vor den Schattenseiten des
Krieges zu warnen. Es entstanden
künstlerische Tagebücher – gemalte
Geschichtsbücher. Im Internet kann
man diese Werke aufspüren und ihre
Hintergründe erfahren.
Unter der Schirmherrschaft der
UNESCO entstand in Zusammenarbeit verschiedener europäischer Forschungseinrichtungen und Museen
eine Sammlung einzelner Werke von
mehr als 54 Künstlern, die während
des Ersten Weltkriegs und danach
geschaffen wurden und die der Kunsthistoriker Philippe Dagen kommentiert und historisch verortet hat. Diese
Website entstand im Kontext einer
Ausstellung zum 80-jährigen Jubiläum
des Waffenstillstandes vom 11. November 1918.
Der Titel dieses Projektes lautet »Die
Farbe der Tränen«. Nach einer Startseite, auf der sich ein Sprachmenü
befindet, gelangt man zur eigentlichen
Hauptseite. Der Besucher kann sich
hier in vier Übersichten durch die
Website bewegen. Zum einen besteht
die Möglichkeit, eine »Führung« mitzumachen, die den Besucher nach
einem Vorwort durch die eigentlichen
Themenfelder leitet: »Kriegserklä-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
rung«, »Die Soldaten«, »Das Schlachtfeld«, »Das Zeitalter der Artillerie«,
»Der totale Krieg«, »Unsägliches Leid«
und »Der Tod«. In diesen Unterpunkten wird durch Zitate und Erklärungen das jeweilige Thema verständlich
erläutert. Daneben finden sich Links,
die auf Maler und ihre Werke verweisen. Zum Beispiel gelangt man in
der Rubrik »Die Soldaten« auf die
»Selbstbildnisse als Soldat« von Otto
Dix oder unter »Der Tod« auf das
aussagekräftige Bild »Thiepval« von
William Orpen. Ergänzt werden die
Präsentationen der Bilder mit Erläuterungen zu den Begleitumständen ihrer
Entstehung wie auch zu den Malern,
die sie geschaffen haben.
Zudem findet sich unter dem Menüpunkt »Maler« ein Register aller
Künstler und ihrer Werke sowie unter
»Partner« eine Auflistung der am
Projekt teilnehmenden Institutionen.
Durch die kompetenten, verständlichen und themenbezogenen Erläuterungen wird, ergänzt durch Zitate, ein
eindrückliches und zum Nachdenken
einladendes Bild eines Krieges konstruiert, den es vorher noch nie so gegeben hatte.
Das »Lebendige virtuelle Museum
Online« (LEMO) dagegen ist ein rein
deutsches Projekt des Deutschen His-
http://www.dhm.de/lemo
torischen Museums (DHM) und des
Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (HdG). Diese Seite führt durch die Geschichte Deutschlands von der Reichsgründung 1871
bis zur aktuellen Zeitgeschichte. Die
chronologisch angelegten Kapitel sind
selbst in einzelne Unterkapitel wie
Zeitgeschehen, Außen- und Innenpolitik, Gesellschaft aber auch Kunst und
Kultur unterteilt. Diese präsentieren
sich mit zahlreichen informativen Texten, Fotografien und Ton- bzw. Videomaterial. Die Unterkapitel Kunst und
Kultur führen zu verschiedenen Malern, Autoren und Komponisten. Doch
wird im Bereich des Zweiten Weltkrieges auch die NS-Propaganda nicht ausgelassen. Sie bildet einen Teil der
künstlerisch, malerischen Darstellung
des Krieges, wenn auch mit einer besonderen Intention. Lange ist dieses
Kapitel aus der Kunstgeschichte ausgeblendet worden. Doch vergessen die
Autoren der Beiträge nicht, auf die gewollte, verklärende Wirkung solcher
Werke hinzuweisen. Daneben stehen
die Gemälde von Künstlern wie Adelheim Dietzel und Felix Nussbaum, die
den Schrecken des Krieges und der
nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in ihren Bildern festhielten.
Ergänzt werden die Beiträge durch
Links zu den jeweiligen Personen,
sodass auch detaillierte Biografien der
Künstler und Analysen ihrer Werke
nachgelesen werden können.
Eine völlig andere Herangehensweise an das Thema Krieg liefert die
Website einer Initiative von Künstlern,
die anlässlich des Krieges im Irak eine
eher sinnliche »Reise« in die Schrecken des Krieges entworfen hat. Hier
werden Werke von Malern, Dichtern
und Musikern aus fünf Jahrhunderten
präsentiert, die das Leid des Krieges in
den Vordergrund stellen. So finden
sich neben den berühmten Stichen von
Albrecht Dürer, Jaques Callot oder den
Bildern von Francisco de Goya auch
zeitgenössische Werke, die zusammen
mit Gedichten und Stücken von
Komponisten wie Chopin, Bach, Saint
Saëns oder traditionellen Totentänzen
aus der Schweiz und Flandern ein Bild
des Krieges zeigen – jenseits glorifizierender Heldenepen.
Stephan Theilig
w w w.
http://www.onlinekunst.de/frieden
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
25
Service
Lesetipp
50 Jahre Deutsche Marine
Erster Weltkrieg
D
W
ie See fasziniert nicht nur, sie
prägt auch das Denken der Männer und Frauen der Marine. Die Autoren, Kenner der Materie als Marineoffiziere oder Fachleute aus der Rüstungsindustrie, bieten im vorliegenden Sammelband einen informativen
Überblick über 50 Jahre deutsche Marinegeschichte und greifen zusätzlich
verschiedene Aspekte der Entwicklungsgeschichte sowie grundlegende
as wäre gewesen, wenn ...« Diese Frage, in der Geschichtswissenschaft als »kontrafaktische Argumentation« bezeichnet, ist nur eine Besonderheit des Buches von Verena
Moritz und Hannes Leidinger. Zu-
dem Regiment des Unteroffiziers, die
sich auf dessen Seite geschlagen hatten, suchten bei anderen Einheiten
Unterstützung gegen ihre Vorgesetzten; die Situation eskalierte. Mit der
Weigerung Kirpitschnikows begannen
jene Tage, die als Februarrevolution in
die Geschichte eingegangen sind; sie
waren zugleich Vorspiel der Ereignisse im Oktober 1917. In der »Bedienungsanleitung« laden die Autoren
dazu ein, sich mit diesem erfrischend
schmalen Buch »Hals über Kopf ins
[...] ›Gerümpel‹ der Geschichte« zu
stürzen. Folgen Sie dieser Auffordemt
rung, es lohnt sich.
Zweiter Weltkrieg
B
Verena Moritz und Hannes Leidinger,
Die Nacht des Kirpitschnikow.
Eine andere Geschichte des Ersten
Weltkriegs, Wien 2006.
ISBN 3-552-06029-4; 319 S., 24,90 Euro
Sigurd Hess, Guntram Schulze-Wegener
und Heinrich Walle, Faszination See.
50 Jahre Marine der Bundesrepublik
Deutschland. Hrsg. im Auftrag des
Deutschen Marine Instituts, Hamburg,
Berlin, Bonn 2005.
ISBN 3-8132-0838-9; 304 S., 29,90 Euro
Fragen in Einzelbeträgen auf. Eingeleitet wird der Band mit einem Essay
des renommierten Marinehistorikers
Michael Salewski. Die erfolgreiche Geschichte der kleinsten Teilstreitkraft
dient als Ausgangspunkt für Überlegungen zum »Kurs Zukunft« der Marine im Einsatz. In diesem Zusammenhang zeigt auch der ehemalige
Heeresgeneral und Vorsitzende des
NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, mit seinem Plädoyer für europäische Seestreitkräfte Weitblick und
historische Einsicht, wenn er bilanziert
»Navigare necesse est – Seefahrt tut
not«. Die Werbeeinschaltungen und
die Informationen über maritime Interessenvertretungen zeigen zudem: Die
Deutsche Marine ist gut aufgestellt
und weiß eine beeindruckende Lobby
hinter sich.
hb
26
gleich lässt es einen Einblick in die
Werkstatt des Historikers zu, ohne
dass der Leser – ein weiteres Kunststück – von einem unverständlichen
Fachjargon erschlagen wird. Einem
Überblick über unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze beim Umgang
mit Geschichte (streckenweise leider
nur eine Zitatensammlung) folgt eine
kurze Zusammenschau von Vorgeschichte und Verlauf der »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts. Auf breiter
Quellenbasis präsentieren die beiden
Wiener Historiker anschließend fünf
Momentaufnahmen der Geschichte,
die sich an vielen Stellen spannend
wie ein Kriminalroman lesen, etwa
wenn von dem österreichischen Grafen Hoyos die Rede ist, der vom Deutschen Reich den so genannten Blankoscheck erwirkte, die vorbehaltlose
Unterstützung im Kriege. Im Zentrum
dieser fünf Momente jedoch steht der
russische Unteroffizier Kirpitschnikow. Er weigerte sich Anfang 1917 in
Petrograd auf hungernde Demonstranten zu schießen. Kameraden aus
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
iografien sind ein beliebter Zugang
zur Geschichte. Sie bieten – mitunter theatralischen – Stoff zum Leben
einer historischen Person und ermöglichen damit, auch komplexen historischen Zusammenhängen biografisch
eine fassbare Form zu geben. Friedrich
Fromm (1888–1945) war einer der
Bernhard R. Kroener,
»Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet«. Generaloberst Friedrich Fromm.
Eine Biographie, Paderborn, München,
Berlin, Zürich 2005.
ISBN 3-506-71734-0; 1060 S., 59,90 Euro
wichtigsten Generale der Wehrmacht.
Sein Zuständigkeitsbereich als »Chef
der Heeresrüstung und Befehlshaber
des Ersatzheeres« umfasste die gesamte deutsche militärische Infrastruktur
und sogar Ersatztruppenteile außerhalb der Reichsgrenzen in den besetz-
ten Gebieten. Er hatte frühzeitig und
mehrfach ab 1941 die Einstellung der
Kampfhandlungen in Lagebeurteilungen eingefordert, da der Krieg aus seiner Sicht nicht zu gewinnen war.
Fromm ist Teil des historischen Gedächtnisses der Deutschen – jedoch
zumeist als der Mann, der Stauffenberg und seine Kameraden im Bendlerblock nach dem missglückten Staatsstreich vom 20. Juli 1944 erschießen
ließ. Die umfangreiche Biografie aus
der Feder des Potsdamer Professors
für Militärgeschichte rekonstruiert
nicht nur das Leben und die möglichen Motive von Friedrich Fromm,
sondern bietet wohl eine der besten
Geschichten des deutschen Offizierkorps in Staat und Gesellschaft vom
Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg.
hb
I
m vergangenen Jahr wurde das
»Kriegsende 1945« aufgrund seines
sechzigsten Jahrestages in zahlreichen
lokalen und überregionalen Zeitungen
ausgiebig thematisiert. Im Vordergrund standen zumeist die Kriegshandlungen in bestimmten Regionen
sowie die Reaktionen der Bevölkerung
auf die »Befreiung« durch alliierte
Truppen. Gerhard Hirschfeld und
Irina Renz haben in Ihrer Publikation
»Vormittags die ersten Amerikaner«
zahlreiche Briefe und Tagebuchein-
Gerhard Hirschfeld und Irina Renz
(Hrsg.), »Vormittags die ersten Amerikaner«. Stimmen und Bilder vom
Kriegsende 1945, Stuttgart 2005.
ISBN 3-608-94129-0; 208 S., 19,00 Euro
träge zusammengetragen, die für die
Monate Januar bis Mai 1945 ein Stimmungsbild der deutschen Bevölkerung wiedergeben. Das Spektrum der
zu Worte kommenden Personen ist
bewusst weit angelegt: neben Soldaten, KZ-Häftlingen und »Durchschnittsbürgern« wurden auch Aufzeichnungen von zeitgenössischen
Prominenten wie Thomas Mann und
Erich Kästner, aber auch von Nationalsozialisten wie Joseph Goebbels und
Martin Bormann abgedruckt. Diese
Mischung lässt ein sehr facettenreiches, in manchen Punkten heterogenes Stimmungsbild entstehen, das
deutlich macht, dass bei weitem nicht
alle Deutschen eine ähnliche Wahrnehmung des Kriegsendes hatten.
Jeder Monat wurde von den Herausgebern mit einer kurzen Chronik versehen, sodass die abgedruckten Aufzeichnungen schnell in Bezug zur allgemeinen politischen und militärischen Lage gebracht werden können.
Zuletzt tragen das ausführliche Personen- und Quellenverzeichnis zu
einer Publikation bei, die jedem interessierten Leser bislang unbekannte
Eindrücke über dieses Kapitel deutscher Geschichte vermitteln wird. jf
Kalter Krieg
S
pätestens seit dem Beginn des noch
andauernden Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan ist wohl jedem deutschen Soldaten klar, dass
deutsche Sicherheitsinteressen sich
nicht auf Europa beschränken lassen.
Aus der Bundeswehr ist seit der Auflösung des Warschauer Paktes 1990
eine mobile, einsatzorientierte Armee
geworden, die an den verschiedensten
Brennpunkten in der ganzen Welt eingesetzt wird. Nur wenigen Soldaten ist
allerdings bewusst, dass auch für die
Zeit des Kalten Krieges, der Blockkonfrontation zwischen NATO und Warschauer Pakt, insgesamt bis zu 150 größere bewaffnete Konflikte weltweit zu
zählen sind. Diese resultierten in vielen Fällen aus Auseinandersetzungen
zwischen den Supermächten USA und
Sowjetunion in der Dritten Welt, außerhalb des politisch und militärisch relativ stabilen Europas. Da im Zentrum
der Blockkonfrontation aufgrund der
Konsolidierung der Systeme keine Er-
Bernd Greiner, Christian Th. Müller und
Dierk Walter (Hrsg.), Heiße Kriege im
Kalten Krieg. Studien zum Kalten Krieg,
Bd 1, Hamburg 2006.
ISBN 3-93609-661-9; 514 S., 35,00 Euro
weiterung des Einflussraumes ohne
das Risiko eines atomaren Weltkrieges
möglich war, wurde der Kernkonflikt
in anderen Regionen der Welt mit kriegerischen Mitteln fortgesetzt. Der
Sammelband »Heiße Kriege im Kalten
Krieg« greift eben diese Problematik
auf und stellt in einer umfangreichen
Einleitung die Stellung der USA und
der Sowjetunion sowie deren jeweilige
politische Zielsetzung in Bezug auf die
Dritte Welt dar. In den darauf folgenden Fallstudien werden die wichtigsten der »Heißen Kriege« vorgestellt und
vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Interessenlagen der beiden Supermächte analysiert. Neben dem allgemein bekannten Korea- (1950–1953)
und Vietnamkrieg (1965–1973) finden
auch die sowjetische Intervention in
Afghanistan (1979), der Palästinakonflikt, der irakisch-iranische Krieg
(1980–1988) sowie zahlreiche weniger
öffentlichkeitswirksame Konflikte Beachtung. Das Ende des Kalten Krieges
bedeutete für viele der Krisenherde
keinesfalls eine Beendigung der Konflikte. Vielmehr gewannen diese eine
gewisse Eigendynamik und führten so
zu Entwicklungen, die heute ein Eingreifen supranationaler Organisationen erforderlich macht. Nicht nur aus
dieser Aktualität heraus ist der Sammelband »Heiße Kriege im Kalten
Krieg« sowohl für Experten als auch
für politisch und historisch interesjf
sierte Leser geeignet.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
27
Service
●
Berlin
Heiliges Römisches Reich
Deutscher Nation
962–1806. Altes Reich und
neuer Staat 1495–1806
Deutsches Historisches
Museum – PEI-Bau
Hinter dem Gießhaus 3
10117 Berlin
Telefon: (030) 20 30 40
Telefax: (030) 20 30 45 43
website: www.dhm.de
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
28. August bis
10. Dezember 2006
Verkehrsanbindungen:
S-Bahn: Stationen
»Hackescher Markt« und
»Friedrichstraße«;
U-Bahn: Stationen
»Französische Straße«,
»Hausvogteiplatz« und
»Friedrichstraße«;
Bus 100, 157, 200 und 348,
Haltestellen: »Staatsoper»
oder »Lustgarten«.
Ausstellungen
historischen Flugwerft
Oberschleißheim e.V.
»Der Werftverein«
Luftwaffenmuseum der
Bundeswehr Berlin Gatow
Kladower Damm 182
14089 Berlin Gatow
Telefon: (030) 36 87 26 01
Telefax: (030) 36 87 26 10
e-mail: LuftwaffenMuseum
[email protected]
www.luftwaffenmuseum.de
Dienstag bis Sonntag
(Mai bis September)
10.00 bis 18.00 Uhr
Dienstag bis Sonntag
(Oktober bis April)
10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 3,00 Euro
28. April bis
17. September 2006
Sky and more
Fotos von Jörg Franzen
Luftwaffenmuseum der
Bundeswehr Berlin-Gatow
(s.o.)
Eintritt: frei
28. April bis
17. September 2006
8.00 bis 16.00 Uhr
19. August bis
6. September 2006
●
Ingolstadt
Gustav Otto.
Pionier der bayerischen
Luftfahrtindustrie
Eine Sonderausstellung des
Vereins zur Erhaltung der
●
Erndtebrück
Bundeswehr im Einsatz –
Von der Bündnisverteidigung zum Einsatz
im Bündnis
Einsatzführungsbereich 2
Hachenberg-Kaserne
57339 Erndtebrück
Telefon: (0 27 53) 60 40
Montag bis Freitag
28
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
Jena
Ingelheim am Rhein
Vom Doppeladler zur
Trikolore – Ingelheim in
napoleonischer Zeit
Museum bei der Kaiserpfalz
François-Lachenal-Platz 5
55218 Ingelheim am Rhein
Telefon: (0 61 32) 13 74
Telefax: (0 61 32) 43 29 08
e-mail: [email protected]
website:
www.ingelheim.de/museum
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 12.30 Uhr
13.30 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 2 Euro
8. April bis 24. Sept. 2006
Verkehrsanbindungen:
Mit der Buslinie 612 vom
Bahnhof Ingelheim bis
Haltestelle »Lachenal-Platz
(Kaiserpfalz)«.
●
●
Garnison Ingolstadt
Bayerisches Armeemuseum
– Reduit Tilly (Klenzepark)
Paradestraße 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (08 41) 9 37 70
Telefax: (08 41) 9 37 72 00
e-mail: sekretariat@
bayerisches-armeemuseum
website: www.bayerischesarmeemuseum.de
Dienstag bis Sonntag
8.45 bis 16.30 Uhr
30. Mai 2006 bis
6. Januar 2007
C´est la guerre.
Napoleons Krieg in
Thüringen
Stadtmuseum & Kunstsammlung Jena
Markt 7
07743 Jena
Telefon: (0 36 41) 3 59 80
Telefax: (0 36 41) 35 98 20
website:
www.stadtmuseum.jena.de
Dienstag, Mittwoch, Freitag
10.00 bis 17.00 Uhr
Donnerstag
14.00 bis 22.00 Uhr
Samstag, Sonntag
11.00 bis 18.00 Uhr
13. Juli bis
5. November 2006
Verkehrsanbindungen:
Das Museum befindet sich im
Stadtzentrum am
Rathausmarkt.
●
Kapellendorf/
Weimarer Land
»Die Nacht allein rettet
uns« –
Der Untergang der
preußischen Armee bei
Kappellendorf
Kemenate der Wasserburg
Kappellendorf
Am Burgplatz 1
99510 Kapellendorf
Telefon: (03 64 25) 2 24 85
e-mail:
wasserburg-kapellendorf@
t-online.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 12.00 Uhr
Eintritt: 1,50 Euro
ermäßigt: 0,75 Euro
12. Juli bis
5. November 2006
Verkehrsanbindungen:
Anfahrt mit Pkw: BAB 4 bis
Abfahrt »Apolda«, B 7 in
Richtung Jena, Abzweigschild
in Frankendorf aufgestellt.
●
Neuburg
an der Donau
Entschieden für Frieden –
50 Jahre Bundeswehr
Jagdgeschwader 74
Wilhelm-Frankl-Kaserne 1
86633 Neuburg an der
Donau
Telefon: (0 84 31) 64 30
Montag bis Freitag
8.00 bis 16.00 Uhr
5. bis 31. Juli 2006
●
Paderborn
Erzbischöfliches
Diözesanmuseum
Städtische Galerie Am
Abdinghof
Telefon: (0 52 51) 88 29 80
Telefax: (0 52 51) 88 29 90
e-mail:
[email protected]
website: www.canossa2006.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 20.00 Uhr
Eintritt: 9,00 Euro
ermäßigt: 6,00 Euro
21. Juli bis
5. November 2006
Verkehrsanbindungen:
Alle drei Objekte sind direkt
im Stadtzentrum und zu Fuß
sehr gut zu erreichen.
●
●
Entschieden für Frieden –
50 Jahre Bundeswehr
Marineamt
Kopernikusstraße 1
18057 Rostock
Telefon: (0 3 81) 8 02 50
Montag bis Freitag
8.00 bis 16.00 Uhr
4. bis 12. August 2006
Verkehrsanbindungen:
Stadtteil Hansaviertel:
mit der S-Bahn bis Station
»R-Holbein-Platz«.
Parow
Entschieden für Frieden –
50 Jahre Bundeswehr
Marinetechnikschule
Papelallee 24
18435 Kramerhof OT Parow
Telefon: (0 38 31) 6 80
Montag bis Freitag
8.00 bis 16.00 Uhr
5. bis 26. September 2006
●
Regensburg
Die Geburt Österreichs
Altes Rathaus
Rathausplatz 1
93047 Regensburg
Telefon: (09 41) 5 07 44 77
Telefax: (09 41) 5 07 20 04
e-mail:
[email protected]
website:
www.regensburg.de/2006
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
10. September bis
3. Oktober 2006
Verkehrsanbindungen:
Ab Regensburg Hauptbahnhof
mit dem Altstadtbus Nr. A bis
Haltestelle »Altes Rathaus«.
Museum für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters
Mühlentor 15a
14793 Ziesar
Telefon: (03 38 30) 1 27 35
e-mail: [email protected]
website: www.burg-ziesar.de
Dienstag bis Sonntag
(Mai bis September)
10.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Dienstag bis Sonntag
(Oktober bis April)
10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 3,00 Euro
11. August bis
30. Oktober 2006
Verkehrsanbindungen:
Mit der Regionalbahn (RE 1)
bis Brandenburg, von dort mit
dem Bus nach Ziesar. Weitere
Auskunft unter www.vbbfahrinfo.de.
Pottenstein/Franken
● Rastatt
Canossa – Erschütterung
der Welt. Geschichte,
Kunst und Kultur am
Anfang der Romanik
Ausstellung an drei
Standorten
Museum in der Kaiserpfalz
Rauchende Flinten,
rasselnde Säbel,
unglaubliche Drangsale.
Preußische Einfälle nach
Franken im
Siebenjährigen Krieg
Fränkische SchweizMuseum
Tüchersfeld
91278 Pottenstein
Telefon: (0 92 42) 16 40
Telefax: (0 92 42) 1056
e-mail: [email protected]
website: www.fsmt.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 2,30 Euro
ermäßigt: 1,50 Euro
30. Juni bis
17. September 2006
Verkehrsanbindungen:
Vom Bahnhof mit Bus (VAG
389) bis Haltestelle
»Tüchersfeld«.
Der Preis der neuen
Kronen.
Der Rheinbund von 1806
Wehrgeschichtliches
Museum
Schloß Rastatt
Herrenstraße 18
76437 Rastatt
Telefon: (0 72 22) 34 2 44
Telefax: (0 72 22) 30 7 12
e-mail:
[email protected]
Dienstag bis Sonntag
9.30 Uhr bis 17.00 Uhr
Eintritt: 6,00 Euro
ermäßigt: 4,00 Euro
20. Mai bis
29. Oktober 2006
●
Ziesar/Brandenburg
Wielkopolska – Die Wiege
des Christentums in Polen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
29
Die Seeschlacht vor dem Skagerrak
(Battle of Jutland)
»Selbst der glücklichste Ausgang einer Hochseeschlacht wird England in diesem Krieg nicht zum
Frieden zwingen. Ein sieghaftes Ende des Krieges in
absehbarer Zeit kann nur durch Niederringen des
englischen Wirtschaftslebens erreicht werden, also
durch Ansetzen des Unterseebootes gegen den engullstein bild
lischen Handel.« Mit diesen Worten fasste der Chef
der Hochseeflotte, Vizeadmiral Reinhard Scheer, gegenüber Kaiser Wilhelm
II. das strategische Ergebnis der wenige Wochen zuvor stattgefundenen
Seeschlacht vor dem Skagerrak zusammen. Am 31. Mai 1916 waren die britische Grand Fleet (151 Schiffe, darunter 37 Großkampfschiffe) und die deutsche Hochseeflotte (99 Schiffe, darunter 21 Großkampfschiffe) in der größten
Seeschlacht des Ersten Weltkrieges aufeinander gestoßen. Am Ende der
Schlacht war es trotz höherer britischer Verluste (115025 Tonnen Schiffsraum
und 6094 Mann) der deutschen Seite (61 180 Tonnen Schiffsraum und 2551
Mann) nicht gelungen, die große materielle und personelle Überlegenheit der
Royal Navy auszugleichen. Strategisch war die Grand Fleet eindeutig Sieger
geblieben. Die britische Fernblockade bestand weiter fort und der Aktionsraum der Hochseeflotte beschränkte sich weiterhin auf Nord- und Ostsee.
Der Träger des Krieges gegen Großbritannien wurde das U-Boot. Die Großkampfschiffe auf deutscher Seite dienten bis Kriegsende nur noch als Rückhalt für den uneingeschränkten U-Bootkrieg.
Gerhard P. Groß
10. Oktober 1981
Friedensdemonstration
in Bonn
300 000 Menschen versammelten sich an diesem Tage
im Bonner Hofgarten zur größten Demonstration, die
die damalige Bundeshauptstadt je erlebt hatte. Ein
breites Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften bis hin
zu linken Gruppierungen hatte zum Protest gegen den
Ludwig Wegmann/Bundesregierung
NATO-Doppelbeschluss aufgerufen. Ähnliche Proteste hatte es im Juni beim Evangelischen Kirchentag in Hamburg gegeben.
Ausgangspunkt war die von Bundeskanzler Helmut Schmidt erkannte »Rüstungslücke« bei atomaren Mittelstreckenraketen. Den neuen sowjetischen SS20-Raketen, versehen mit atomaren Mehrfachsprengköpfen und montiert auf
mobilen Abschussrampen, hatte die NATO nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Bundeskanzler Schmidt forcierte gegen heftige innenpolitische
Widerstände den NATO-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979, der Abrüstungsverhandlungen, im Falle ihres Scheiterns aber auch eine Nachrüstung vorsah: 572 ebenfalls mobile US-Mittelstreckenraketen (Pershing II) bzw.
Marschflugkörper (Cruise Missiles), die mit Atomsprengköpfen versehen waren.
Bereits bestehende Protestbewegungen u.a. gegen die Atomkraft vereinigten
sich in mehreren westeuropäischen Ländern zur Friedensbewegung, die die
neuen westlichen Raketen als friedens- und existenzbedrohend einschätzte.
Der Riss ging quer durch die Gesellschaft, durch Kirchengemeinden, Parteien
und Familien.
Die Abrüstungsverhandlungen begannen am 30. November 1981; sie scheiterten jedoch, sodass ab 1983 die Stationierung der Pershing-II-Raketen erfolgte, was erneut zu Protesten führte.
hp
30
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
➜
● Vorschau
Am 14. Oktober 1806 – vor 200 Jahren – erlitt die
preußische Armee bei Jena und Auerstedt eine
vernichtende Niederlage gegen die Truppen
Napoleons.
Die Folgen waren u.a. eine schonungslose Aufarbeitung der offenbarten Schwächen, die Analyse der Ursachen in Staat und Armee sowie der
Beginn einer umfassenden Staats- und Heeresreform, die mit den Namen Hardenberg, Stein,
Scharnhorst und Gneisenau verbunden ist.
Das Jahr 1806 – eines der »Schicksalsjahre« der
deutschen Geschichte – sah aber auch das Ende
des seit 962 bestehenden Heiligen Römischen
Reiches Deutscher Nation (= Das Alte Reich) und
den Beginn des Rheinbundes, eines Zusammenschlusses von 16 nunmehr vollständig souveränen deutschen Fürsten unter der Hegemonie
Napoleons, sowie die Entstehung der Königreiche
Bayern, Württemberg und Sachsen. Im Deutschen
Historischen Museum zu Berlin und im Kulturhistorischen Museum Magdeburg wird es dazu
zwei große Ausstellungen geben.
Das Heft 3 der Militärgeschichte wird sich den
genannten Themen widmen, da sie unter dem
Stichwort Föderalismus bis heute Auswirkungen
haben. Die preußischen Militärreformer bilden
darüber hinaus eine der drei verpflichtenden Säulen der Tradition der Bundeswehr, neben den
Männern des 20. Juli und der Geschichte der Bundeswehr selbst.
Der bereits für Heft 2 angekündigte Artikel »No
dead bodies« von Klaus-Jürgen Bremm wird
ebenfalls im Heft 3 erscheinen.
Der kaiserliche General Montecucolli formulierte bereits im 17. Jahrhundert: »Willst Du einen
Krieg führen, so brauchst Du drei Dinge: Geld,
Geld, Geld«. Diese zeitlose Weisheit galt bereits in
der Antike bei Ägyptern, Griechen und Römern.
Kein Geringerer als Julius Cäsar plünderte den
Staatsschatz Roms zu diesem Zweck. Der Artikel
von Friedrich Furrer, Mitarbeiter des Projektes
»Antike Kriegskosten« der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Mannheim, wird
ausführlich darüber informieren.
hp
akg-images
31. Mai / 1. Juni 1916
Militärgeschichte kompakt
Heft 3/2006
Service
Schlacht bei Jena und Auerstedt, 14. Oktober
1806. Soldat des 4. Franz. Dragonerregiments
mit der preuß. Fahne.
Öl auf Leinwand von Edouard Detaille, 1898.
Die Roten Jäger – 20 Jahre 1943–1945, 1965–1982, Siersburg 1982
Militärgeschichte im Bild
Die »Roten
Jäger« nach
dem Gewinn
eines internationalen
Turniers in
Frankreich: in
der Mitte der
französische
General Massu
und der
Kommandeur
der Luftlandebrigade 26,
Oberst Voss.
E
s dürfte für die Leserinnen und für
die Leser dieses Heftes keineswegs
überraschend sein, dass Fußball auch
innerhalb der Bundeswehr zu den
beliebtesten Sportarten überhaupt gehört. Die positiven Nebenwirkungen
des Ballspiels für die Truppe sind bekannt. Der Kampf um den Ball fördert
Einsatz und Teamgeist und bietet für
die Soldaten eine willkommene Ablenkung vom manchmal eintönigen Kasernenalltag. Dennoch blieb die offizielle Regelung des Betreibens dieser
wie auch anderer Sportarten innerhalb
der Streitkräfte lange Zeit ein »graues
Feld«. Obwohl dem Sport seitens der
Bundeswehrführung eigentlich eine
tragende Rolle in der Ausbildung zuteil werden sollte, war es häufig Initiativen einzelner Soldaten zu verdanken, dass einige Sportarten außerhalb
des regulären Dienstsports ausgeübt
werden konnten.
Zu einer solchen Eigeninitiative aus
der Truppe heraus kam es 1961 in der
Panzerbrigade 14 in Koblenz, deren
Brigadekommandeur, Oberst KarlTheodor Molinari, die Aufstellung
einer professionalisierten BrigadeFußballmannschaft anregte. Mit der
insgesamt drei Monate dauernden Zusammenstellung der Mannschaft wurde Oberfeldwebel Paul Datené betraut. Als »Fachmann« in der Phase
der Zusammenstellung des Teams
agierte der Wehrpflichtige Werner Hölzenbein, der als Lizenzspieler in der
damaligen Oberliga beim TuS Neuendorf unter Vertrag stand. In ihrem ersten offiziellen Spiel stand die Mannschaft der Panzerbrigade 14 in Oberwerth einer französischen Armeeauswahl gegenüber, die knapp besiegt
werden konnte. Als Zeichen der Aussöhnung wurden vor Spielbeginn aus
einem Hubschrauber der Bundeswehr
symbolisch die »französische Marianne« und der »deutsche Michel« auf den
Rasen herabgelassen. Diese erste Fußballmannschaft der Bundeswehr bestritt noch einige weitere Spiele gegen
internationale Armeeauswahlen, spielte aber nie gegen Zivilmannschaften.
Der Initiative des Obersten Molinari
wurde am 27. November 1962 mit
dem Erlass »Einführung von Sportarten der Besonderen Sportausbildung« Rechnung getragen. Er wurde ein Jahr später Bestandteil der Zentralen Dienstvorschrift »Sport in der
Bundeswehr«. Demnach sollten Soldaten mit besonderer Eignung und Leistung von der Besonderen Sportausbildung profitieren, um die Streitkräfte bei Sportwettkämpfen vertreten zu
können. Trainer hierfür konnten entweder Sportlehrer der Bundeswehr oder
aber besonders erfahrene Soldaten
werden, die selbst den betreffenden
Sport ausübten. Für die Marine wurde
regelmäßiges Fußballspielen sogar
besonders empfohlen, um im Ausland
als »blaue Botschafter« Freundschaftsspiele austragen zu können.
Das prominenteste Beispiel für die
praktische Umsetzung der neuen Vorschrift war zweifelsohne die Neugründung der Soldatenmannschaft »Rote
Jäger« am 22. Mai 1965 in Zweibrücken, die bereits während des Zweiten
Weltkrieges 1943-1945 existiert hatte.
Unterstützt wurde die Fußballmannschaft von keinem Geringeren als Fritz
Walter, der vormals selbst ein »Roter
Jäger« gewesen war. Bereits das Gründungsspiel gegen den Bundesligisten
1. FC Kaiserslautern konnte die Soldatenelf, die aus Angehörigen der
Luftlandebrigade 26 bestand, mit 2:0
für sich entscheiden. Es folgten weitere herausragende Erfolge gegen deutsche und internationale Top-Teams.
Fußball
in der
Bundeswehr
Bis zur Einführung einer gezielten
Förderung wehrpflichtiger Spitzensportler in der Bundeswehr 1970 waren die »Roten Jäger« eine Fußballmannschaft der Streitkräfte auf höchstem Niveau. Erst durch die Abwanderung der Toptalente zu den Sportfördergruppen verlor diese wohl populärste Fußballmannschaft der Bundeswehr ihren herausragenden Status,
bis sie 1991 schließlich aufgelöst wurde.
Fußball war und ist für die Bundeswehr ein wirksames und wichtiges
Mittel der Öffentlichkeitsarbeit. Zwar
mussten Mannschaften wie die »Roten
Jäger«, die sich um das Bild der Bundeswehr in der Gesellschaft verdient
gemacht haben, mittlerweile den
professionalisierten Sportfördergruppen weichen. Die zahlreichen Wettkämpfe innerhalb der Streitkräfte, hingewiesen sei hier nur auf den BM-Cup
sowie die Integration in die Allgemeine Sportausbildung, machen deutlich,
welchen enormen Stellenwert der Fußball auch in der Bundeswehr hat.
jf
Privatbesitz Werner Hölzenbein
Aussöhnung vor dem Spiel: die Spielführer
der Elf der Panzerbrigade 14 (links) und einer
französischen Militärauswahl (Zweiter von
rechts) zusammen mit der »französischen
Marianne« und dem »deutschen Michel«.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2006
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NEUE PUBLIKATIONEN DES MGFA
Eva Besteck, Die trügerische »First Line of Defence«.
Zum deutsch-britischen Wettrüsten vor dem Ersten Weltkrieg.
Mit einem Anhang »Taktische und Strategische Dienstschriften
des Oberkommandos der Marine, Nr. IX: Allgemeine
Erfahrungen aus den Manövern der Herbstübungs-Flotte«,
Freiburg: Rombach 2006, 223 S. (= Einzelschriften zur
Militärgeschichte, 43), 19,90 Euro, ISBN 10: 3-7930-9477-4,
ISBN 13: 978-3-7930-9477-7
Der Krieg zur See 1914–1918. Der Krieg in der Nordsee, Band 7:
Vom Sommer 1917 bis zum Kriegsende 1918. Kritische Edition.
Textband und Kartenschuber. Im Auftrag des MGFA bearbeitet
und neu herausgegeben von Gerhard P. Groß unter Mitarbeit
von Werner Rahn, Hamburg, Berlin, Bonn: Verlag E.S. Mittler
& Sohn 2006, Textband VIII, 486 S., Kartenband mit 14 Karten,
68 Euro, ISBN 3-8132-0855-9
Helmut R. Hammerich, Dieter H. Kollmer, Martin Rink und
Rudolf Schlaffer, Das Heer 1950 bis 1970. Konzeption,
Organisation und Aufstellung. Unter Mitarbeit von Michael
Poppe, München: Oldenbourg 2006, X, 822 S. (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 3),
49,80 Euro, ISBN 10: 3-486-57974-6, ISBN 13: 978-3-486-57974-1
Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente. Im Auftrag des
Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und der Otto-vonBismarck-Stiftung hrsg. von Hans Ehlert, Michael Epkenhans und
Gerhard P. Groß, Paderborn, München, Wien, Zürich:
Ferdinand Schöningh 2006, 496 S. (= Zeitalter der Weltkriege, 2),
39,90 Euro, ISBN 10: 3-506-75629-X, ISBN 13: 978-3-506-75629-9
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