In: Widerspruch Nr. 13 Philosophie im deutschen Faschismus (1987), S. 28-34 Autor: Hermann Krings Interview Hermann Krings Die Philosophie zwischen Anpassung und Selbstbehauptung Widerspruch: Herr Prof. Krings, Sie sind 1936 an die Münchner Universität gekommen. Was war der Grund dafür, daß Sie von der Bonner Universität nach München wechselten? Krings: Der Wechsel von Bonn beruhte darauf, daß v. Rintelen, der schon in Bonn den Konkordatslehrstuhl innehatte, hier auf den Lehrstuhl als Nachfolger von Geyser berufen wurde, u, a. aufgrund seines Buches über den Wertbegriff im Mittelalter und auch weil er auf diesem Lehrstuhl für die Nazis akzeptabel war. Das hatte auch einen familiären Hintergrund bei v. Rintelen. Sein Vater war General gewesen; einer seiner Brüder war Leiter der außenpolitischen Abteilung im Auswärtigen Amt, ein anderer Militärattache in Rom. Dieser familiäre Hintergrund war sicher auch ein Moment, warum man ihn damals noch akzeptierte. (Das hat dann drei Jahre gedauert.) Ich hatte schon in Bonn in meinen ersten vier Semestern Philosophie bei ihm gehört; wir hatten auch persönlich Kontakt, und er fragte mich dann, ob ich nicht später bei ihm promovieren wolle. So bin ich dann mit ihm hierher gekommen und begann gleich mit der Arbeit an meiner Dissertation. Hier traf ich eine Gruppe, die sich aus ehemaligen Quickbornern und ehemaligen Mitgliedern des Bundes „Neudeutschlands“ zusammensetzte. Der Wortführer in dieser Gruppe war Fritz Leist. Im WS 36/37 haben wir uns kennengelernt. Wir saßen im Bibliotheksraum des Philosophischen Seminars l, ich hinter einem Packen von Thomas-Bänden, er hinter einem Packen von ThomasBänden, die wir austauschten. Auf diese Weise lernten wir uns kennen. Interview: Hermann Krings Widerspruch: War die Möglichkeit, in solch einen schon bestehenden Kreis zu kommen, damals so einfach? Krings: Das war kein Problem, da gab’s eine gemeinsame Sprache, das war innerhalb von zehn Minuten klar. Wir kriegten dann hier auch noch Kontakt mit einer Gruppe aus der Kaulbachstraße, aus einer der aufgelösten Gruppen des Bundes „Neudeutschland“. Die Gruppe um Leist rekrutierte sich im großen und ganzen aus dem Saarland und München. Fritz Leist war vorher in Freiburg gewesen, und dieses Dreieck SaarlandFreiburg-München bildete den Rahmen, Innerhalb der Leute aus dem Saarland war auch Willi Graf. Kennengelernt habe ich ihn bei einem Treffen um die Jahreswende 36/37 auf einer Burg im Odenwald, sie war eine Art Jugendburg; das ging damals noch. (Übrigens der Spiritus rector spiritueller Art war damals Alois Görgen). Widerspruch: Gab es damals nicht auch die Gruppe „Hochland“? Krings: Ja, aber das ist ein ganz anderer Zweig. Von Rintelen war gut bekannt mit Franz Joseph Schöningh, dem damaligen Herausgeber von „Hochland“, und der Hochlandkreis traf sich an zwei oder drei Mittagen um 2 Uhr in einem Cafe am Odeonsplatz. Dahin kam auch Hacker; da war auch Bernhard; auch einige Literaten. Widerspruch: Wie stark wirkte denn der Hochlandkreis auf die Ideenbildung an der Universität? Krings: Praktisch nicht. „Hochland“ wirkte in die katholischen Akademikerkreise hinein, aber für die Universität ist das kein Faktor gewesen. Widersprach: Könnten Sie über die damalige Situation an der Universität etwas sagen. Sie hatten einmal angedeutet, daß sie für die jüngere Generation nicht recht nachvollziehbar sei. Krings: Die Universität ist erst durch den NS-Studentenbund politisiert worden: das hatte ich schon 1935 in Bonn erlebt, wo, wenn sich mal irgendwo ein Protest meldete, der betreffende Student gleich rausgeschmissen wurde. Das waren Massenveranstaltungen; in der Universität da war für politische Diskussionen kein Raum. In München bestand noch, und zwar durchaus aktiv, eine Gruppe des Älteren-Bundes „Neudeutschland“. Interview: Hermann Krings Widerspruch: Hat sich das Lehrangebot an der Universität geändert? Krings: Praktisch nicht. v. Rintelen hat einmal eine Mittelalter-Vorlesung unter dem Titel „Albert der Deutsche“ angekündigt, anstatt „Albert der Große“, aber er hat dort mittelalterliche Philosophie vorgetragen. Aloys Wenzl ist ja schon 1936, soviel ich weiß, von der Uni geflogen, wurde dann wieder Studienrat, war dann zuerst in Schwabing am Gymnasium, wurde dann aber auch von München verwiesen, er war dann Lehrer in Ingolstadt; insofern erscheint sein Name natürlich nicht mehr in den Vorlesungsverzeichnissen. Widerspruch: Haben Sie noch in Erinnerung, wie v. Rintelen „beurlaubt“ wurde? Wie hat er das aufgenommen? Krings: Das wird ein Roman, wenn ich ihnen das jetzt erzähle. Also: v. Rintelen hatte gute Beziehungen nach Berlin, und zwar weniger über seine Familie als über eine KV-Verbindung, Da waren ein paar gute Leute in Berlin, in höheren Stellungen im Kultusministerium, im Wirtschaftsministerium und so. Er setzte dann seine Verbindungen in Bewegung, um eine Wiederbesetzung seines Lehrstuhls zu verhindern. Es bestanden hier Bestrebungen, aus dem Konkordatslehrstuhl einen Lehrstuhl für nationalsozialistische Weltanschauung zu machen. Ich bin zweimal mit ihm nach Berlin gefahren. Er hat den Gegensatz PreußenBayern ausgespielt und den Preußen gesagt, die Bayern wollen da jetzt etwas eigenes machen. Und er hat es tatsächlich fertiggebracht, daß der Lehrstuhl nicht wieder besetzt worden ist. Widerspruch: Eine Frage zur Bibliothek im Institut. Welche Literatur wurde damals angeschafft? Krings: Da der Lehrstuhl vakant war, mußten die Rechnungen vom Dekan unterschrieben werden. Das war damals der Altphilologe Dirlmeier. Er war Dekan. Es ist möglich, daß er der Partei angehört hat, aber er war ein fabelhafter Mann, hat alles gedeckt. Da war völliger Verlaß drauf; auch auf die Sekretärin, das ging prima. Widerspruch: Gab es keine „Reinigung“? Interview: Hermann Krings Krings: Nein. Baeumler wurde angeschafft, Rosenberg wurde nicht angeschafft. Die Naziliteratur wurde bei uns nicht angeschafft. Widersprach: Trotz Grunsky? Krings: Das war das andere Seminar und der andere Lehrstuhl, wir waren Konkordatslehrstuhl. Wir haben praktisch nur mittelalterliche Literatur angeschafft. Ich weiß, daß damals die Leibniz-Ausgabe anlief; solche Sachen kosteten schon den halben Etat. Da war überhaupt kein Raum für Nazizeug. Widerspruch: Haben Sie Grunsky gehört? Krings: Ja, bei ihm habe ich mehrere Lehrveranstaltungen mitgemacht; er hat mich auch im Rigorosum geprüft. Grunsky war nicht habilitiert; ob er promoviert war, galt nicht als sicher. Mit der Philosophie hatte er seine Probleme. Übrigens war er behindert, wurde im Rollstuhl gefahren, auch ins Seminar und in sein Zimmer. Er hatte sich zunächst auf Böhme geworfen, und dann hat er eine abenteuerliche Vorlesung über Platon gehalten, der im Sinne des Nazi-Führertums interpretiert wurde: der Archont war der Führer, und die Phylakes waren die SS und die SA; dann kam noch der Reichsnährstand. Das trug er in der Vorlesung vor, und so wurde aus Platon der große Philosoph des „Dritten Reichs“. Widerspruch: War das für sie damals schon abenteuerlich? Krings: Ja, sicher. Widerspruch: Gab es nicht Äußerungen, daß das nichts mit Platon zu tun hat – wenigstens nach der Vorlesung? Krings: Ja, unter uns haben wir darüber gesprochen. Ich hatte das große Glück, daß Grunsky, als ich ins Rigorosum kam, gerade dabei war, sich Kant anzueignen. Ich habe Kant dann auch vorgeschlagen, und brachte sehr schnell die Rede auf die transzendentale Deduktion; er ließ mir 20 Minuten Zeit, und ich habe ihm dann die transzendentale Deduktion erläutert. Er hat das angehört und hat mir dann, glaube ich, auch ein „sehr gut“ gegeben. Interview: Hermann Krings Widerspruch: Es bestand doch ein sehr starkes Interesse, die deutsche Tradition der Philosophie aufzuarbeiten und darzustellen. Haben Sie etwas davon mitbekommen, daß an der Universität mehr und mehr die nicht-deutschen Traditionen, z. B. die französische, ausgeblendet wurden, und die deutsche von Meister Eckhardt über Böhme bis zum deutschen Idealismus betont wurde? Krings: Ja, bei Grunsky war das ganz deutlich, bei den anderen nicht. Schilling hat eine Vorsokratiker-Vorlesung gehalten, die ganz normal war wie auch die über den deutschen Idealismus. Ich weiß nicht, ob Schilling Parteigenosse war; es könnte gewesen sein, aber er galt bei uns nicht als Nazi. Widerspruch: Gab es eigentlich irgendwelche Formen der Auseinandersetzung? Krings: Nein, das gab's nicht, sondern es gab eine große Technik der Tarnung. Widerspruch: Gerade das kann man sich heute nur schlecht vorstellen. Krings: Ja, aber in dem Moment, wo Sie in irgendeiner Form in eine Auseinandersetzung traten, konnte es sein, daß sie am nächsten Tag schon im KZ waren. – Nun war schon Krieg. Während des Krieges hörten wir ausländische Sender. Es war bekannt, daß Leute wegen Abhören denunziert worden waren, selbst von Nachbarn, wenn es zu den Sendezeiten in den Wohnungen still geworden war. Bei v. Rintelen hatten wir einen ganz guten Apparat, da waren wir zu dritt oder viert und zwei wurden dann abgeordnet, Krach zu machen, zu streiten, laut zu reden, die anderen saßen unter einer Decke am Apparat und hörten die Nachrichten. Widerspruch: War das, was die Nazis, was Grunsky oder vielleicht auch Schilling an die Universität bringen wollten, für Sie überhaupt diskussionswürdig? Krings: Was Grunsky sagte, nicht; das war nicht diskussionswürdig, das galt bei uns als weltanschaulich nationalsozialistisch. In den Vorlesungen anderer Dozenten kam das Weltanschauliche inhaltlich nicht zur Geltung. Interview: Hermann Krings Widerspruch: Hatten Sie Kontakt zu Prof. Huber? Krings: Ja. Der Umgang mit ihm war nicht ungefährlich, weil Huber sehr temperamentvoll war. Nach der Vorlesung kam er häufiger ins Seminar, und da gingen dann auch die Diskussionen los, die zum Teil sehr heftig waren. Wir stimmten natürlich mit ihm überein, aber er war dann oft laut, und es war ja nur eine Tür zum Seminarraum, und wir wußten ja doch nie so genau, wer da saß. Es war immer etwas schwierig, ihn auf die Lautstärke herunterzubringen, die nicht gefährlich war. Es war zum Teil auch sehr schwierig, weil er nach unserer Meinung sehr phantastische, irreale Vorstellungen hatte. Widerspruch: Deutschnationale, idealistische? Krings: Nein, sondern im Hinblick auf die Möglichkeiten, eine politische Wende herbeizuführen. Widerspruch: Eine daran anschließende Frage: Heute wird oft gesagt, die Kirchen hätten sich deutlicher angesichts der Judenverfolgungen und anderer Verbrechen zu Wort melden müssen. Hatten Sie damals auch die Vorstellung, daß die noch bestehenden Organisationen Widerstand hätten leisten müssen? Krings: Organisationen bestanden damals ja nicht mehr. Ich bin einmal beim Katholikentag 1982 gefragt worden – es ging um irgendeine Sache 1940/41 –, warum die Kirchen und die SPD sich denn nicht zusammengetan hätten; da habe ich gesagt, weil die SPD seit acht Jahren nicht mehr bestand. Ja, aber solche Vorstellungen bestehen heute. Es gab keine Organisation; es gab im Untergrund Kontakte mit Gleichgesinnten. Aber auch in anderen Schichten bestanden solche Kontakte, auch in der Arbeiterschaft, auch beim Militär. – Was die Kirche angeht, so kann man zweierlei sagen: erstens, einen lautstarken Protest hätten wir für wenig wirksam gehalten, abgesehen davon, daß solche Proteste sich immer nur auf Gerüchte stützen konnten, außer bei den Euthanasiemaßnahmen. Wichtiger war aber, daß durch die Hierarchie Kleriker, aber auch Laien zurückgehalten wurden oder daß es gar als moraltheologisch bedenklich angesehen wurde, Widerstand zu leisten. Das hat uns mehr irritiert, als daß da keine großen Geschichten passierten. Von Aktionen der Kirchen hätten wir uns nichts Interview: Hermann Krings der Kirchen hätten wir uns nichts versprochen. Es wären dann fünfhundert Leute mehr ins KZ gekommen, und die Sache wäre erledigt gewesen. Das ist ja alles für die Nazis kein Problem gewesen. Die Taktik der Kirche war wohl, die Zahl der Opfer in Grenzen zu halten. Wann man gegen die Judenvernichtung wirklich etwas hätte sagen und machen können oder sollen, ist außerordentlich schwer zu sagen. Ich gehörte zu denen, die, soweit es möglich war, Informationen suchten, aber die ersten Informationen über Erschießungen von Juden habe ich erst durch Willi Graf erhalten, nachdem er aus Rußland zurückgekehrt war. Aber auch er hat nur andeutungsweise davon gesprochen. Widerspruch: Gab es in den Kreisen, zu denen Sie Zugang hatten, nicht auch Diskussionen über die moralische oder theoretische Begründung von Widerstand? Krings: Ja, doch muß die Frage wohl für verschiedene Kreise verschieden beantwortet werden. Innerhalb des kleinen Umkreises bei mir in der Siegfriedstraße – das war meine Bude –, war die Diskussion religiös bestimmt. Wir hatten regelmäßige Abende, an denen wir Schriftlesungen machten. Altes Testament vor allem; wir haben uns aber auch intensiv mit Literatur beschäftigt; das ist ja auch von Willi Graf und den Scholls bekannt. Das war auch durch Guardini angeregt; sein Hölderlin-Buch war eine wichtige Sache für uns. Dann spielten auch die Sonette von Reinhold Schneider eine Rolle. Sie wurden vervielfältigt herumgereicht, da sie ja damals im Druck nicht erscheinen durften. Jeder hatte sie; es war erstaunlich. Wir haben viele gemeinsame – heute würde man sagen – interne Seminare gemacht. Widerspruch: Da gab es doch sicher Auslegungs- und Interpretationsfragen ... Krings: Nein, die Texte wurden nicht aktualisiert ( - wie heute allenthalben). Sie waren ein Bollwerk gegen den aktuellen Ungeist. Der Nationalsozialismus war kein Partner für eine geistige Auseinandersetzung. Widerspruch: Wie kam es eigentlich dazu, daß man dem Nationalsozialismus so freie Hand ließ? Interview: Hermann Krings Krings: Daß es keine geistige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gab, hat mehrere Gründe. Zunächst: Es lag uns fern, den Nationalsozialismus auf eine ähnliche Basis zu stellen, wie den Sozialismus, obwohl er ja viele sozialistische Züge gehabt hat. Aber man konnte ihn nicht auf die geistigen Grundlagen der sozialistischen Bewegung Anfang des Jahrhunderts zurückführen. – Ferner: Die ganze politische Schubkraft kam aus der negativen Entwicklung der Republik in den zwanziger Jahren her. Der Versailler Friedensvertrag galt als das nationale Ärgernis, und die Weimarer Republik war eine Folge dieses Vertrages etc. In den dreißiger Jahren kamen zu den negativen nationalen Emotionen durch die Weltwirtschaftskrise und durch die riesige Arbeitslosigkeit die wirtschaftliche Not hinzu. Die Auseinandersetzungen fanden zunächst in den Straßenkämpfen zwischen SA und Rotfront statt. Später gingen sie im Massenrausch der Aufmärsche und in der Massenfaszination unter, die von den Reden ausgingen, die unsereiner ohnehin nur mit Qual anhörte. – Rosenberg spielte in der politischen Bewegung nur eine Randrolle. Widerspruch: Auch nicht in München? Krings: Ich habe keine Erinnerung an eine öffentliche Veranstaltung hier mit Rosenberg. Widerspruch: Es ist ja doch erstaunlich, wie viele Philosophen im Dritten Reich sich den Nazis anschlossen. Wie konnte man dem entgehen? Von Rintelen etwa hat es ja geschafft. Krings: v. Rintelen war von einem nahezu krankhaften Haß auf die Nazis beseelt. Dieser Haß konnte auch gefährlich werden. Widerspruch: Hat von Rintelen – ebenso wie Sie – damals den Versuch gemacht, den Nationalsozialismus als „Herrschaft des Bösen“ zu begreifen? Krings: Ich kann mich nicht erinnern, daß ich damals die Kategorie des Bösen gebraucht hätte. Das ist ein Interpretationsbegriff, den ich heute im Rückblick auf damals gebraucht habe. Interview: Hermann Krings Widerspruch: ... aber die Geschwister Scholl hatten in ihren Flugblättern die Nazi-Diktatur mit der „Herrschaft des Bösen“ verglichen. Krings: Ja, das ist schon ein Stück weiter, und es beruht, wenn ich das recht sehe, auf ihren Erfahrungen im Sommer ’43 in Rußland. Ich war nicht in Rußland. Widerspruch: Also gründete ihr Widerstand mehr auf der direkten Erfahrung als auf der theoretischen Reflexion ... Krings: Dafür fehlten damals auch Informationen. Man war sich über das Ausmaß von Verbrechertum nicht im Klaren; – das wußte man nicht. Widerspruch: Und als es bekannt wurde, war die Hauptaufgabe nicht die philosophische Bewältigung. Krings: Da ging alles schon dem katastrophalen Ende zu: Bombenangriffe, tausendfacher Tod, Hunger... Das Ausmaß der Verbrechen kam erst 1944 heraus, nach dem 20. Juli. Aber dann wußte man auch schon, daß das Ganze in absehbarer Zeit zu Ende sein würde. Und das war das einzige, was einen dann noch beschäftigte. Widerspruch: Das heißt also, die Frage nach der moralischen oder religiösen Legitimation des Widerstandes wurde nicht gestellt? Krings: Die Legitimationsfrage spielte in dem Umkreis, in dem ich war, keine Rolle. – Aber abgesehen davon, waren wir – hier meine ich wieder den Kreis um Fritz Leist, Ernst Müller u. a. – der Meinung, daß jede Aktion sinnlos sei. Ich habe zusammen mit Fritz Leist im Januar 1944 noch ein abendliches Gespräch mit Willi Graf gehabt. Wohlgemerkt: die Flugblätter waren schon da; wir hatten sie auch und wir wußten, woher sie kamen, obwohl es uns niemand gesagt hatte; auch Willi Graf hatte es uns nicht gesagt, aber er wußte, daß wir es wußten, und wir wußten, daß er es wußte... Dieses Gespräch ist in Schweigen übergegangen, weil er zu der Aktion schon entschlossen war, ja schon mitten in ihr stand. Er hatte ja die bekannte Flugblatt-Reise schon hinter sich, was wir nicht wußten. Wir haben ihm dringend geraten, von diesen Dingen Abstand zu nehmen. Ein Argument war auch, daß wir das Gefühl hatten, daß die Scholls zu wenig Erfahrung mit der Gestapo gehabt hatten. Fritz Leist und auch Interview: Hermann Krings Willi Graf waren schon 1936 verhaftet gewesen. Es hat einen Prozeß in Mannheim gegeben; einige sind verurteilt worden. Durch die Amnestie anläßlich der Besetzung Österreichs kamen sie wieder frei. Widerspruch: Haben Sie etwas von dem Scholl-Prozeß erfahren? Er lief ja innerhalb einer Woche ab. Krings: Nein, Ich habe nur indirekt etwas mitbekommen, da ich um diese Zeit aus dem Lazarett entlassen wurde und nur sporadisch Kontakt hatte. Widerspruch: Nach 1945 waren Sie wieder in München. Eine ganze Reihe von Leuten, die an der Universität gelehrt hatten, wie etwa Grunsky, waren wieder da. Empfanden Sie das als selbstverständlich? Krings: Grunsky war 1946 meines Wissens nicht an der Universität. Einen ausgesprochen ärgerlichen Fall habe ich nicht erlebt. Nun habe ich einen relativ kleinen Sektor gesehen. Ich glaube, die auffälligen und gefährlichen Nazis waren weg – also z. B. ein Typ wie Spindler, der Anglist, und auch Wüst, der Nordist. Sie waren nicht mehr da. Widerspruch: Fanden Sie Grunsky gefährlich? Krings: Ja, insofern er ein rückhaltloser Parteigänger gewesen ist. Aber ich glaube nicht, daß er sich die Denunziation zu einer Aufgabe gemacht hat. Das war wohl auch bei dieser körperlichen Verfassung sehr schwierig; er war darauf angewiesen, daß ihm etwas zugetragen wurde. Ich kenne keinen Fall einer Denunziation durch Grunsky. Widerspruch: Auch von Rintelen hatte Schwierigkeiten, nach München zurückzukehren ... Krings: ... das ist ein sehr trauriges Kapitel. Ich habe Rintelen ja gut gekannt, und er ist wirklich alles andere als ein Nazi gewesen. Aber er hat damals, als er beurlaubt wurde, an das Kultusministerium Verteidigungsschreiben gerichtet und darin auch behauptet, man könne ihm gar nichts vorwerfen, er habe nie etwas gegen den Nationalsozialismus gesagt. Diese Akten wurden dann später herausgeholt. Ich habe noch, ebenso wie auch Fritz Leist, eine eidesstattliche Erklärung für ihn abgegeben. Aber Interview: Hermann Krings dann kamen unglückliche Umstände dazu, so daß aus seiner Rückkehr nach München nichts wurde. Er war inzwischen Professor der Philosophie an der Universität Mainz geworden. Widerspruch: Ein Rätsel sind Leute wie Nicolai Hartmann, der bis zum Schluß auf seinem Lehrstuhl in Berlin geblieben war, obwohl aus seinen Schriften nicht erkennbar ist, daß er sich angepaßt hätte. Wissen Sie, wie Hartmann das gemacht hat, oder was die Nazis sich davon versprochen hatten, ihn auf dem Lehrstuhl zu belassen? Krings: Was ich hier geschildert habe, hat sich alles im Umkreis eines Konkordatslehrstuhls abgespielt An den anderen Lehrstühlen wurde, wenn auch unter starken kriegsbedingten Einschränkungen, weiter gearbeitet, so lange keine antinazistischen Aktivitäten beobachtet wurden. Wenn Kurt Huber nicht in die Aufdeckung des Widerstandes der Weißen Rose hineingekommen wäre, hätte auch er bis zum Ende des Krieges gelesen. Seine Leibniz-Vorlesungen waren qualitative, gute philosophische Vorlesungen, ohne irgendeine politische Tendenz, und die hätte er auch noch zwei oder drei Jahre weiter machen können. Für das Militär kam er ohnehin nicht in Betracht. Und so hat es viele gegeben, die einfach dageblieben sind, weil sie nicht aufgefallen sind. Die Berliner Situation habe ich nicht gekannt, aber Nicolai Hartmann ist sogleich nach dem Krieg Ordinarius in Göttingen geworden; also kann er sich nicht den Nazis angepaßt haben. Widerspruch: Aber was haben sich die Nazis davon versprochen, daß sie ihn oder auch Prof. Huber haben weiterlehren lassen? Sie haben doch auch andere Bereiche der Gesellschaft rigoros auf ihre Linie gebracht, Krings: Das liegt genau an dem Defizit, warum auch keine Auseinandersetzung mit den Nazis möglich war. Sie hielten diese Art von Philosophie für absolut gleichgültig und für politisch völlig uninteressant. Wenn die Professoren da von ihrer Metaphysik und Ontologie redeten, so galt das gar nichts. Es mußte erst in irgendeiner Form ein anderer, politischer oder weltanschaulicher Faktor da sein, wenn es zu einem Vorgehen kam. Widerspruch: Heißt das, daß das ursprüngliche Interesse der Nationalsozialisten, die Universitäten in den Griff zu bekommen, scheiterte? Interview: Hermann Krings Krings: Ja, aber nicht, weil die Universitäten einen nennenswerten Widerstand geleistet hätten, sondern weil die Universität überhaupt gar kein Instrument des Nationalsozialismus gewesen ist und auch nicht sein konnte. Nochmals: Der Nationalsozialismus war anders als der Sozialismus. In den sozialistischen Staaten sind die Universitäten und Akademien ein wichtiger Faktor. Für den Nationalsozialismus spielten sie keine Rolle. Sie mußten natürlich „gleichgeschaltet“ werden; es kamen nur Leute in Führungspositionen, die Nationalsozialisten waren, und da, wo Weltanschauung hineinspielte, wurde versucht, die nationalsozialistische Weltanschauung zur Geltung zu bringen. Aber auch die Verweisung von Rintelens von der Münchner Universität geschah im Grunde nicht wegen seiner Philosophie, sondern weil er einen Konkordats-Lehrstuhl innehatte. Widerspruch: Wenn Sie damals eine Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie nicht für sinnvoll gehalten haben, würden Sie das heute ebenfalls sagen? Krings: Für eine philosophische Auseinandersetzung sehe ich nach wie vor keinen Ansatzpunkt. Ich wüßte nicht, auf welche Texte ich mich beziehen sollte. Nennen Sie mir irgendwelche halbwegs ernstzunehmende Texte, die diese absurden Positionen zu begründen versuchen. Das Ganze ist ein historisches Phänomen, mit dem man sich sicher auseinandersetzen muß, auch im Hinblick auf seine politischen, sozialen, auch sozialpsychologischen Gründe. Handelte es sich vielleicht um die Folge einer nicht stattgefundenen Revolution, um den Rückschlag einer Revolutionsbewegung in einer völligen Verquerung? Auch die Hypertrophie des nationalstaatlichen Denkens ist inzwischen ein historisches Phänomen, – wenigstens für Europa. Widerspruch: Sind Sie also dagegen, philosophiegeschichtliche Traditionslinien in den Nationalsozialismus hineinzuziehen, nach dem Motto: „von Hegel bis Hitler“? Krings: Gewiß gibt es „Linien“; das zeigt schon der Name „Drittes Reich“. Aber man kann den Nationalsozialismus weder auf Hegel noch auf Nietzsche zurückführen; noch gar einen Kausalzusammenhang herstellen. Der Nationalsozialismus war eine politische Emotion, nicht eine politische Philosophie. – Eine andere Sache ist, das auch bedeutende Interview: Hermann Krings Zeitgenossen für diese Emotionen anfällig gewesen sind. Heidegger ist ein Fall und in der Dichtung etwa Gottfried Benn. Doch mit philosophischer Tradition hat das nicht viel zu tun. Widerspruch: Sind Sie also der Auffassung, die Philosophie habe als geistige Institution die Zeit des Nationalsozialismus passiert, ohne inhaltlich tangiert worden zu sein, – als „Philosophia perennis“, die geblieben ist, was sie war? Krings: Ja, das würde ich schon meinen. Die philosophischen Traditionen, die kantische, nach-kantische und neukantianische wie auch die der klassischen Philosophie, sind vom Nationalsozialismus wenig tangiert worden. Der Einbruch in die philosophische Tradition in Deutschland ist nicht von den Nazis gekommen, sondern aus dem angelsächsischen Bereich. Widerspruch: Nun, wenn man mit geschärftem Auge hinsieht, merkt man doch eine Menge Anpassung und Assimilation. Krings: Gewiß, da hat sich eine bestimmte Art von Vortrag der Philosophie an den Nationalsozialismus angepaßt. Aber es ist nicht so, daß der Nationalsozialismus eine Philosophie (im Sinne der europäischen Tradition) hervorgebracht oder ihm eine Philosophie zugrunde gelegen hätte. Widerspruch: Herr Prof. Krings, wir danken für dieses Gespräch. Für den Widerspruch nahmen an dem Gespräch teil: Wolfhart Henckmann, Alexander von Pechmann und Elmar Treptow.