Geologische Prozesse – Augenblicke und Ewigkeiten in

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10. Münchner Fortbildungsseminar Geoinformationssysteme
2. bis 4. März 2005 an der TU München
Geologische Prozesse –
Augenblicke und Ewigkeiten in GIS
Lehrberger, Gerhard, Dr. rer. nat., Dipl.-Geologe
Thuro, Kurosch, Prof. Dr. rer. nat., Dipl.-Geologe
Singer, John, Dipl.-Geologe
Technische Universität München
Lehrstuhl für Ingenieurgeologie
Arcisstraße 21, 80330 München
Tel. +49 89 289-25832
Fax +49 89 289-25852
E-Mail: [email protected], [email protected], [email protected]
http://www.geo.tum.de
Zusammenfassung
Geologische Prozesse laufen mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit ab und somit sind die im
GIS dargestellten geologischen Sachverhalte auf sehr unterschiedliche Zeitspannen bezogen.
Langsam ablaufende Prozesse wie Gebirgsbildungen können sich über Jahrmillionen hinziehen;
Flutwellen und Bergstürze verändern die Landschaft binnen Sekunden.
Primärdaten für die GIS-Anwendungen werden von den Geologen durch geologische Kartierungen
in der Fläche und punktförmig in Felsaufschlüssen, Bohrungen, Schürfen und Baugruben gewonnen. In diesen liegen Zeitmarken der Erdgeschichte übereinander und nebeneinander vor. Daraus
lassen sich genetische Modelle der oberen und für den Menschen relevanten Teile der Erdkruste
entwickeln.
Diese Modelle werden vor allem in den Bereichen Hydrogeologie, Ingenieurgeologie, Rohstoffgeologie und im Naturschutz verwendet. Zukunftsorientiert können Nutzungskonflikte der Geosphäre erkannt werden.
Im Rahmen der Neustrukturierung des Studienganges Geologie mit Umstellung auf das Bachelor/Master-System werden Geoinformationssysteme als grundlegendes Werkzeug für die geologische Arbeit in die Studienpläne integriert.
1 GIS und Geologie an der TUM – eine kurze Einführung
Zeit und Betrachtungen darüber sind die Grundpfeiler der geologischen Arbeitsweise. Neben dem
Aspekt, dass in einer schnelllebigen Zeit auch die Arbeit des Geologen immer stärker von engen
Zeitvorgaben geprägt ist, beschäftigt man sich inhaltlich mit einem Zeitraum zwischen 4500 Millionen Jahren und wenigen Sekunden, die – wie wir durch das jüngste Tsunami-Ereignis leidvoll
erfahren haben – die Welt maßgeblich verändern können.
Somit ist der Faktor Zeit oder die Produkte geologischer Prozesse in einem bestimmten Zeitraum
sowohl in der Lehre als auch in der Forschung gegenwärtig. Um zeitabhängige Fakten oder auch
laufende Prozesse zu dokumentieren, werden auch in der Geologie verstärkt GI-Systeme eingesetzt. Als Folge gehören Lehrveranstaltungen zum Thema „GIS“ zum festen Inventar neuer Studienpläne, insbesondere bei der Umstellung bisheriger Diplomstudiengänge auf das modulare
Bachelor- und Mastersystem. GIS-Kenntnisse gehören heute neben dem Umgang mit „Hammer
und Hirn“ („mente et malleo“ ist der Leitspruch der Geologen) und fundierten EDV-Kenntnissen
allgemeiner Art zum Rüstzeug und zu den Kernqualifikationen eines praxisorientierten und erfolgreichen Geologen.
Dieser Beitrag will die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten von GIS in der Geologie aufzeigen, aber
auch Verständnis für die zeitlichen Dimensionen geologischer Forschung und die spezifischen
zeitbezogenen Anforderungen der Geologie an geografische Informationssysteme fördern.
2 Geologische Zeiträume: Ewigkeiten und Augenblicke
„Der Geologe denkt in Jahrmillionen“. Diese Feststellung hat Geologen lange Zeit als weltfremde
Geister erscheinen lassen, die dem täglichen Geschehen eher hilflos gegenüberstanden. Das zunehmende Bewusstsein für „Georisiken“ hat diese Einschätzung jedoch gravierend relativiert.
Geologie ist in großen Bereichen gleichbedeutend mit Erdgeschichte, d.h. mit der Erforschung der
Entwicklung der Erde und des Lebens an sich. Dabei spielt neben dem Faktor Zeit auch die räumliche Verteilung nebeneinander und nacheinander ablaufender Prozesse eine Rolle. Innerhalb der
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über 4 Milliarden Jahre andauernden Entwicklung der Erde hat sich eine mehr oder weniger vollständige Abfolge von Gesteinen gebildet. Dabei handelt es sich einerseits um sedimentäre Bildungen, die Schicht um Schicht übereinander lagern. Andererseits konnten über den langen Zeitraum
Magmen die vorhanden Ablagerungen durchdringen und in ihnen erstarren. Die Dynamik der
Erdkruste führte aber auch zu gewaltigen Umformungen und Umbildungen bei Gebirgsbildungsprozessen, die dazu führen, dass heute an der Erdoberfläche sehr unterschiedliche Gesteine
nebeneinander liegen können. Dieser oberste Bereich der Erdkruste ist den menschlichen Beobachtungen zugänglich und kommt somit auch für die Darstellung in GIS in Frage.
Weite Teile der Erde sind bekanntlich mit Wasser bedeckt, ein anderer großer Teil mit lockeren
Deckschichten. Für das Verständnis der Entstehung und auch für die Nutzung durch den Menschen sind aber auch die darunter liegenden Gesteine von größter Bedeutung. Die Erkundung,
Interpretation und die Modellierung sind daher Ziel der modernen Geologie.
Geologische Prozesse hinterlassen ihre Spuren auf der Erde. Das zum Ende des Jahres 2004 den
asiatischen Raum erschütternde Ereignis eines großen Seebebens und die damit verbundenen
Flutwellen, zeigten deutlich, wie schnell geologische Prozesse ablaufen können und wie gleichmäßig sie in großen Gebieten Zeitmarken durch Zerstörung, aber auch durch Ablagerung großer
Sedimentmassen setzen können. Die Ablagerungen an Stellen, die tausende von Kilometern
auseinander liegen, können somit - wie beim Beispiel der Tsunami-Ablagerungen - auf die Stunde
genau datiert werden. Andere plötzliche und weit reichende Ereignisse sind Asteroideneinschläge,
die zu Ablagerungen und Veränderungen der Krustenstruktur auf ganzen Kontinenten führen
können. Ein beeindruckendes und perfekt dokumentiertes Beispiel dafür ist der Meteoritenkrater
des Nördlinger Rieses ca. 100 km nordwestlich von München.
Galt lange Zeit die Entwicklung der Erde und des Lebens nach der Lehre Darwins ruhig und
gleichmäßig, so interpretiert man heute die Entwicklung zwar insgesamt eher als einen langsamen
und gleichmäßigen Prozess, der aber scharfe, katastrophale Einschnitte beinhalten kann. Mit dem
Alter von Ablagerungen nimmt die Unschärfe der Zeitbestimmung zu, theoretisch könnten sich
aber in Lagen mit massenhaftem Auftreten von Tierfossilien mit einem Alter von 300 Millionen
Jahren trotzdem ein sehr kurzfristiges Ereignis von wenigen Minuten oder Tagen widerspiegeln.
Vergleicht man nun die innerhalb desselben Zeitraumes entstandenen Ablagerungen, so erkennt
man, dass in unterschiedlich dicken Ablagerungen sehr unterschiedliche Zeiträume "gespeichert"
sein können. Produkte geologischer Prozesse lassen nur in sehr bedingtem Maße auf die dabei
abgelaufene Zeit zurück schließen. Wenn eindeutige Zeitmarken in die Ablagerungen eingestreut
sind, ist diese Zuordnung entsprechend leichter möglich.
GI-Systeme helfen nun durch eine genaue räumliche Dokumentationsmöglichkeit von geologischen Befunden, auch über deren zeitliche Entwicklung Aussagen zu treffen.
Man muss bei geologischen Prozessen 3 Gruppen unterscheiden:
2.1 geologische Langzeitprozesse
Hierbei handelt es sich um großräumige Veränderungen wie Meeresspiegelschwankungen mit den
damit verbundenen Überflutungen bzw. mit dem Trockenfallen von ehemaligen Meeresbecken.
Vergleichbare Auswirkungen können auch langfristige Hebungen und Senkungen von Landmassen haben. Von diesen Prozessen werden im GIS in der Regel nur die Produkte in ihrer Verbreitung und Raumlage dargestellt. Eine Ausnahme stellen tektonische Bewegungen von Kontinentalplatten dar, deren Betrag sich mittels Geodäsie bestimmen und in GIS darstellen lässt.
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2.2 mittelfristig ablaufende geologische Prozesse
Unter diesen Typus fallen beispielsweise Veränderungen von Gletscherständen mit den dazu
gehörenden Moränenablagerungen. Auch Erosionsvorgänge wie das Abbrechen von Küstenlinien
oder das Einschneiden von Rinnen können dazu gerechnet werden. Diese Prozesse sind zwar
nicht direkt darstellbar, aber bei der Verrechnung von Dokumentationen vergangener Zeiten mit
modernen Beobachtungen und Messungen können hier zeitbezogene Kenngrößen über GIS ermittelt werden. Rückzugs-, Vorstoß- und Erosionsraten geben die Möglichkeit, aus der Entwicklung
in den vergangenen Jahrzehnten auf die möglichen Veränderungen in der Zukunft zu schließen
und gegebenenfalls Vorkehrungen zu treffen, wenn Menschen davon betroffen sind.
2.3 schnell ablaufende geologische Prozesse
Geologische Prozesse können auch plötzlich und mit hoher Geschwindigkeit ablaufen, was sich
u.U. sehr direkt und tief greifend auf die Menschen auswirken kann. Beispiele hierfür sind in den
Gebirgen Felsstürze und Rutschungen, Wildbacherosion und Murenabgänge. Wie man in jüngster
Vergangenheit wieder erfahren musste, können Erd- und Seebeben katastrophale Wirkungen
haben. Die Erschütterungen und die damit verbundenen Zerstörungen an Gebäuden, vom Beben
ausgelöste Erd- und Hangrutsche, Seebeben mit Tsunamis bewirken Veränderungen an der Erdoberfläche, die sich direkt im GIS darstellen lassen. Auch Vulkanausbrüche und ihre Folgen können so erfasst werden. Zur Vorbeugung kann GIS bei der Erstellung von Gefährdungskarten aber
auch für das Katastrophenmanagement eingesetzt werden. Neben den reinen Naturgefahren
spielen heute immer mehr von Menschenhand geschaffene Gefahrenquellen eine Rolle. Das
Abrutschen großer, lockerer Abraumhalden in gefluteten Tagebauseen oder die Destabilisierung
von Hängen durch baubedingte Einschnitte am Hangfuß stellen Vorgänge dar, für deren Dokumentation und Modellierung GIS-Anwendungen ideale Werkzeuge sind.
3 Geologische Primärdaten: Steine und Zahlen
Geologische Modelle sind nur so gut wie die Daten, aus denen sie errechnet sind. Die korrekte und
geeignete Erfassung dieser Primärdaten stellt die Hauptaufgabe des Geologen im Zusammenwirken mit GIS dar. Die Erfassung der Daten im Gelände unter z.T. schwierigen Bedingungen soll
logisch und strukturiert sein; die Aufbereitung und Darstellung der geologischen Daten, insbesondere unter Berücksichtigung ihres räumlich dreidimensionalen Bezuges zueinander erleichtert das
Verständnis für Prozesse und deren zeitlichen Ablauf. In diesem Sektor werden die Geoinformationssysteme hauptsächlich in der Geologie eingesetzt. So ist z.B. die Möglichkeit geologische
Strukturdaten mit 3D-Geländemodellen zu verknüpfen und sich diese in 3D-Modellen anzeigen zu
lassen eine große Hilfe für das Verständnis des räumlichen Bezuges der Daten und damit auch für
die Bildung des geologischen Modells.
In der Regel ist aber die Geländearbeit des Geologen heute noch untergeordnet vom Einsatz der
Geoinformationssysteme beeinflusst. Meist werden die geologischen Informationen noch manuell
– d.h. mit Papier und Buntstiften – in Form von Karten, Zeichnungen und schriftlichen Aufzeichnungen erfasst und anschließend erst in ein Geoinformationssystem überführt. Die Mitnahme von
Laptops ins Gelände wird meist noch als zu unhandlich und unflexibel empfunden. Technische
Lösungen mit Sonnenlicht-tauglichen Displays und Rechnern, die in Gürteltaschen untergebracht
werden können, sind jedoch schon in der Erprobung.
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Intensiv wird allerdings das Global Positioning System (GPS) genutzt, um geologische Daten wie
z.B. die Lage von Probenpunkten und Aufschlüssen, aber auch die räumliche Orientierung von
Schichtungs-, Schieferungs-, Kluft- oder Störungsflächen exakt zu erfassen. Bisher werden die
Daten erst nachträglich in geographische Informationssysteme übertragen. Dort können sie dann
in einer 2D-Ansicht (Karte) oder 3D-Ansicht (Höhenmodell) dargestellt werden oder auch Häufigkeitsverteilungen, Durchschnittswerte etc. bestimmt werden.
Der Ort der Erfassung von Geländedaten wird von Geologen als Aufschluss bezeichnet. Dies
können flächige Felsfreistellungen, Felswände, aufragende Felsnadeln, Steinbrüche, Straßenböschungen, aber auch Schlitzsondierungen oder Kernbohrungen sein.
Erfasst werden dabei die Art des Gesteins, evtl. darin enthaltene pflanzliche oder tierische Lebensreste (Fossilien), die Lagerungsverhältnisse (Schichtung/Schieferung und Trennflächen), die chemische Zusammensetzung des Gesteins (im Labor), die mineralogische Zusammensetzung sowie
die physikalischen Eigenschaften des Materials. Daraus können dann Rückschlüsse auf die Entstehung einerseits und die technischen Eigenschaften andererseits gezogen werden.
4 Geologische Karten: abstrakte Bilder der Zeit
Die geologischen Prozesse führen dazu, dass ungleichmäßige Hebungen und Senkungen von
Teilen der Erdkruste stattfinden. Zusammen mit Verwitterungsprozessen und der Erosion kommt
es zur Freilegung auch tieferer Teile der Erdkruste. An der Erdoberfläche führt die Einwirkung
dieser exogenen Kräfte dazu, dass Gesteine sehr unterschiedlichen Alters und sehr unterschiedlicher Bildungsbedingungen nebeneinander flächig auftreten. Ihre unterschiedliche chemische und
mineralogische Zusammensetzung und ihre physikalischen Eigenschaften wie Porosität oder
Klüftigkeit führen dazu, dass diese Gesteine an sich nutzbar sind oder dass z.B. Wasser in ihnen
gespeichert werden kann. Die Entwicklung der Böden bei der Verwitterung ist die Grundlage für
die Landwirtschaft und damit für die menschliche Ernährung. Die Errichtung immer größerer Gebäude macht es außerdem nötig, die mechanischen Eigenschaften des Baugrundes genau zu
kennen.
Künstliche Aufschüttungen, die inzwischen durch die technischen Möglichkeiten des Menschen die
Dimensionen geologischer Körper erreichen können, weisen einerseits andere mechanische Eigenschaften auf als „gewachsener Boden“, andererseits können sie aufgrund der enthaltenen
Stoffe geochemisch als „Altlast“ relevant sein. Ihre Erfassung im Rahmen der geologischen Kartierung ist somit unerlässlich.
Die flächige Erfassung der Gesteinsvielfalt in geologischen Karten ist aufgrund der ständigen
Veränderungen auch heute noch von großer Bedeutung. Hatte man früher die Herstellung geologischer Karten mosaikartig durch Anfertigung einzelner Kartenblätter durchgeführt, so wird heute
durch GI-Systeme eine blattschnittlose Abdeckung ermöglicht.
Die Herstellung und Publikation amtlicher geologischer Karten ist seit jeher die Hauptaufgabe
geologischer Dienste bzw. Landesämter. Im Rahmen der Umstellung der geologischen Kartenproduktion auf GI-Systeme hat sich das Aufgabenfeld um die Entwicklung einer Generallegende und
dem Zusammenführen bestehender Karten mit Abgleich an den Blattgrenzen erweitert. Aufgrund
personeller Engpässe und großer integraler Kartiervorhaben werden so immer häufiger auch geologische Ingenieurbüros und Universitätsinstitute in die geologische Landesaufnahme einbezogen.
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5 Tiefgehende Zeit: bohrende Fragen an den Untergrund
Informationen, die sich auf die Tiefenstruktur der Erdkruste beziehen, stammen überwiegend aus
Bohrungen und aus Bergbauaktivitäten. Mit Ihnen kann man Informationen über den Aufbau des
Untergrundes in Stichproben erhalten. Dass es sich dabei gerade einmal um „Nadelstiche“ handelt, darf trotz aller technischen Möglichkeiten nie außer Acht gelassen werden. Laterale Inhomogenitäten im Untergrund, die aufgrund der bereits weiter oben geschilderten komplexen Prozesse
bei der Bildung und Umbildung von Gesteinen entstehen können, lassen sich mit einem Bohrkern
von 10-20 cm Durchmesser nur mit eingeschränkter Genauigkeit beschreiben. Daraus GIS-Modelle zu entwickeln heißt, mit relativ großen Unsicherheiten rechnen zu müssen.
Im geologischen Profil wird peinlich genau auf die Lage bestimmter Markierungen geachtet, wozu
z.B. auch Gesteinswechsel, Fossillagen etc. gehören. Erfasst man diese Zeitmarken in ihrer räumlichen Lage an ganz unterschiedlichen Stellen der Gesteinsabfolge, so wird man feststellen, dass
diese überall in unterschiedlichen Raumlagen auftreten. Das bedeutet, dass sie entweder schon
zum Zeitpunkt ihrer Bildung unterschiedlich positioniert waren oder später durch Bewegungen in
der Erdkruste in diese Position gekommen sind. Sogenannte Störungen im Profil führen dazu,
dass durch Verschiebungen der Raumlage auch ältere Ablagerungen über jüngeren liegen können
und dass vor allem die Grenze zwischen zwei identifizierten Bereichen nicht Teil der Abfolge ist,
sondern erst später als Bewegungsbahn aktiviert wurde. Die Modellierung der Raumlagen sowie
der Altersbeziehungen kann zur Identifizierung der Verformungsmechanismen, aber auch der
zeitlichen Abfolge der Ereignisse beitragen.
In Bayern werden alle Informationen über den Untergrund im „Bodeninformationssystem BIS“ am
Bayerischen Geologischen Landesamt gesammelt und für Planungsvorhaben zur Verfügung gestellt. Nach dem Gesetz ist jede Bohrung meldepflichtig und die Ergebnisse sollten der Geologischen Landesbehörde zur Verfügung stehen. In dieses Bodeninformationssystem fließen auch
sämtliche Erkundungsdaten im Rahmen von Forschungsarbeiten des Lehrstuhls für Ingenieurgeologie der TU München ein. Ergebnisse aus Forschungsprojekten, aus Diplom- und Doktorarbeiten werden mit exakten Koordinatenpositionen in den Informationspool übernommen und stellen somit einen Mosaikstein für das bessere Verständnis des Untergrundes zur Verfügung. Als
Besonderheit ist hierbei auch die Zuarbeit der Geologen für die GIS-Anwendungen im Bereich der
Denkmalpflege zu erwähnen, wenn Bergbauspuren erfasst werden, die auch als Bodendenkmäler
der Wirtschafts- und evtl. Technikgeschichte aufzufassen sind.
6 Mente & Malleo & GIS: aktuelle Geologie-Praxis
Aus den Daten, die als Karten oder Bohrprofile in einem GIS erfasst werden, lassen sich entweder
zweidimensionale Schnitte durch die Erdkruste im Sinne von Profilen erstellen oder Raummodelle
im Sinne von Blockbildern. Liegen genügend Daten vor, so lässt sich ein relativ zuverlässiges Bild
eines Abschnittes der Erdkruste errechnen. Zu bedenken bleibt jedoch bei aller Begeisterung über
diese Möglichkeit, dass es nach der alten Bergmannsregel „vor der Hacke dunkel“ ist, das heißt,
dass der komplexe Bau der Erde sich doch nur mit einer begrenzten Genauigkeit darstellen lässt.
In der Praxis heißt dies, dass zur Klärung sehr komplexer Situationen das „Aufgraben“ mittels
möglichst großkalibriger Bohrung oder der Vortrieb eines Erkundungsstollens durch keine Modellierung zu ersetzen ist. Wer mit dieser realistischen Erwartungshaltung an die numerische Behandlung geologischer Probleme herangeht, wird auch keine zu großen Enttäuschungen erleben.
Nachfolgend werden einige typische Einsatzbereiche von GIS in der Geologie charakterisiert.
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6.1 Hydrogeologie
Aus der Fließrichtung und der Geschwindigkeit von Grundwasser sowie aus den technischen
Gesteinseigenschaften können Modelle erstellt werden, die als Grundlage für die Ausweisung von
Trinkwasserschutzgebieten dienen. Auch für die Ausbreitung von Schadstoffen im Grundwasserkörper und die damit verbundene Gefährdung von Grundwasser können GI-Systeme wichtige
Hilfsmittel sein. In Zeiten steigender Bevölkerungsdichte weltweit wird der Rohstoff Wasser in
Zukunft einen noch höheren Stellenwert als wichtigstes Lebensmittel haben. Geopolitische Konflikte um die Wasservorräte bahnen sich heute schon an und werden zukünftig noch genügend
Gründe für kriegerische Auseinandersetzung bei zunehmender Verschiebung von Klimazonen im
Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel geben.
6.2 Ingenieurgeologie
Ein wichtiger Bereich für den Einsatz von GIS-Software im Bereich der Ingenieurgeologie sind die
Dokumentation von Tunnelbauten, großräumigen Hangbewegungen und die Erfassung von Erkundungsdaten bei Baugrunduntersuchungen.
Im Tunnelbau werden zunehmend Geoinformationssysteme für die geologische Dokumentation
eingesetzt, die neben einer effizienten Datenerfassung und Darstellung auch Prognosen auf die zu
erwartenden geologischen Verhältnisse beim Vortrieb der Tunnelröhre ermöglichen sollen. Während zur Zeit lediglich die an der Ortsbrust (Front) des Tunnels gewonnenen Strukturdaten sowie
die Informationen aus den Vorerkundungen zu einer grafischen Darstellung verknüpft werden, soll
in Zukunft die Prognosen stärker auf dem geologischen Gesamtmodell basieren.
Für Hangbewegungen lässt sich aus Messdaten an geotechnischen Beobachtungsstationen und
aus den Erkenntnissen der geologischen Kartierung anhand einer kinematischen Modellierung
eine Klassifikation des Gefährdungspotentials erstellen. Dabei sollen vor allem auch Fragen der
Weiterverfrachtung von Bewegungsmassen und der dadurch entstehenden Schäden an Gebäuden
und landwirtschaftlichen Nutzflächen (z.B. Muren) berücksichtigt werden. Besonders wichtig ist in
diesem Zusammenhang die Erfassung von Material, das in verschiedenen Höhenlagen für die
Erosion und als Geröll- und Schlammfracht in Muren zur Verfügung steht.
6.3 Rohstoffgeologie
Die Modellierung der Raumlage von Rohstoffkörpern ermöglicht einerseits die Erfassung der Vorräte und anderseits eine Differenzierung verschiedener Qualitätsklassen. Aufgrund der daraus
gewonnenen Erkenntnisse lassen sich die Prospektion und Exploration neuer Vorräte gezielt steuern, aber auch einen optimierten Abbau der schon nachgewiesenen Rohstoffkörper durchführen.
In den meisten modernen Untertage- und Tagebaubetrieben finden heute GIS-Programme Verwendung.
6.4 Geologische Naturdenkmäler
Im Rahmen der Geländeaufnahmen durch den Geologen werden auch die Belange der Vermittlung geologischer Inhalte an die Öffentlichkeit berücksichtigt. In den letzten Jahren haben sich
daraus zahlreiche „Geoparks“ entwickelt, die auf Wander- und Exkursionsrouten geologische
interessante Stellen in der Natur präsentieren. Diese Stellen sollen für das Verständnis der erdgeschichtlichen und geodynamischen Entwicklung besonders aussagekräftig und repräsentativ sein.
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Die oft auch unter Natur- oder Landschaftsschutz stehenden Felstürme, Felswände, alten Bergbaue und Gruben, aber auch Ausblicke auf ganze Landschaften stellen solche „Geotope“ dar. Ihre
Dokumentation erfolgt als Teil der geologischen Gesamtdokumentation in GIS und steht damit bei
der Bewertung von Flächen für andere Nutzungen zur Verfügung. Die Informationsvernetzung
stellt hier einen Bestandteil vorbeugenden Naturschutzes dar.
6.5 Nutzungskonflikte
Aus der Aufnahme und GIS-Dokumentation von Primärdaten aus verschiedenen Bereichen, z.B.
der Hydrogeologie, der Rohstoffgeologie und eine Verknüpfung mit GIS-Daten zur Entwicklung von
Siedlungen, der damit verbundenen Infrastruktur und – heute unerlässlich- von Naturschutzflächen
lassen sich geologische und planerische Modelle erstellen. Daraus können Szenarien für mögliche
Nutzungskonflikte abgeleitet werden. Wichtig sind solche Informationsverknüpfungen z.B. bei der
Erweiterung bestehender Braunkohletagebaue oder Steinbrüche.
Aktuell und von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist der Interessenskonflikt zwischen Siedlungsplanung und geologischen Risikoflächen, wie sie im Bereich von großen Massenbewegungen in
den Alpen ausgewiesen werden müssen. Ein Grundstück in einem Gebirgsort im Bereich einer
Risikofläche verliert seinen Wert, wenn die Bebauung aufgrund der Gefährdung durch Felsstürze
oder Murenabgänge verweigert wird. Gerade wegen der enormen Erweiterung der Übernachtungskapazitäten in den Alpen in den vergangenen Jahren werden die altbekannten sicheren
Siedlungsflächen immer geringer und riskante Bereiche werden mit möglichen katastrophalen
Spätfolgen bebaut. Neben den geologischen Risiken, und oft von geologischen Faktoren abhängig, ist auch die Lawinengefährdung zu sehen, die ebenfalls in GIS erfasst wird.
7 GIS am Lehrstuhl für Ingenieurgeologie der TUM
Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit der Geologen mit Hydrologen, Ingenieuren, Geodäten,
Archäologen, Historikern, Restauratoren, Architekten u.a. sind vielfältig. Der Lehrstuhl für Ingenieurgeologie der TU München führt zwar derzeit keine eigenen GIS-Projekte federführend durch,
beteiligt sich aber im Rahmen von Kooperationsprojekten mit Landesbehörden in Bayern, Tschechien und Südtirol durch Lieferung von Primärdaten an drei größeren Vorhaben mit intensiver GISAnwendung.
7.1 Kooperation mit dem Bayerischen Geologischen Landesamt
Im Rahmen eines von der EU-geförderten Großvorhabens zur Erfassung geologischer Grundlagen
im bayerisch-böhmischen Grenzraum (Ziel 2-Vorhaben) werden insgesamt 5 Kartenblätter im
Maßstab 1: 25.000 geologisch kartiert; die Aufschlüsse und Bohrungen werden dokumentiert und
wissenschaftliche Erläuterungen und Beiträge zum Kartenblatt erstellt (www.gla.bayern.de).
In den Alpen wird die geologische Karte Blatt 8337/8437 Josefsthal aus einem Mosaik verschiedener Diplomkartierungen zusammengestellt. Dabei wird die Zusammenführung der Informationen
aus einzelnen Kartierungen zu einem Gesamtbild bereits mit GIS durchgeführt. Zur Zeit besteht
noch das Problem, dass die direkte Schnittstelle zum amtlichen GIS, das bei der Kartenherstellung
verwendet wird, noch fehlt. In diesem Bereich liegt noch ein erheblicher Entwicklungsbedarf, um
doppelte Arbeit oder umständliche Datenkonvertierung zu vermeiden. Am Beispiel des Blatts
Josefsthal, auf dem auch die Skigebiete im Spitzinggebiet mit ihrer Infrastruktur (z.B. Beschneiungsanlagen) liegen, wird deutlich, welch große Rolle die Wasserentnahme und der AbwassereinSeite 8
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trag in den Untergrund spielt. Modelle für die hydrogeologische Situation sollen mithilfe des GIS
entwickelt werden. Außerdem sollen mögliche Hangbewegungen im GIS dargestellt werden, um
mögliche Veränderungen – auch im Zusammenhang mit der Frage der Schutzwaldbestandes bzw.
dessen Schädigung – erkennen zu können.
Sämtliche geologischen Kartierarbeiten des Lehrstuhls ergänzen die geologische Landesaufnahme mit dem Ziel, „amtliche“ geologische Karten zu publizieren, um eine flächendeckende
Information über die Verbreitung und die Eigenschaften der Gesteine zu bekommen. Hintergrund
ist die Erstellung von hydrogeologischen Karten auf einem europäischen Standard, um genaue
Kenntnisse zur Wasserversorgung innerhalb der europäischen Länder zu besitzen. Wasser ist das
wichtigste Lebensmittel und die Versorgung soll auf eine gesicherte Basis gestellt werden. Dazu
braucht man als geologische Basisinformationen die Dicke der Verwitterungsschicht, Abstand und
Ausbildung von Klüften, Porosität und Durchlässigkeit von Gesteinen sowie deren Mächtigkeit und
räumliche Lage.
7.2 Nationalpark Šumava: Kooperation im Böhmerwald
Im Nationalpark „Böhmerwald/Šumava“ in der Tschechischen Republik, der direkt an den Bayerischen Wald im Norden anschließt, werden in Kooperation mit dem Tschechischen Geologischen
Dienst in Prag (ČGU) ausgewählte Flächen in den Kernzonen geologisch kartiert und insbesondere die morphologische Entwicklung der Talungen und die Spuren des alten Goldbergbaus bearbeitet. Da im Gegensatz zu Bayern in Tschechien flächendeckend geologische GIS-Daten im
Maßstab 1:50.000 zur Verfügung stehen, dient die Kooperation der Erfassung von Primärdaten zur
Korrektur von Karten im Maßstab 1:50.000, insbesondere aber der Erstellung der Detailkarten im
Maßstab 1:25.000 oder bei Spezialfällen auch 1:10.000 (www.cgu.cz).
Die Kooperation dient auch der Auswertung von Akten im ehemals deutschsprachigen Grenzgebiet zu Bayern, die dann in der Datenbank und im GIS verfügbar sind. Die Daten werden von den
Bearbeitern in Standarddatenformaten übertragen und dann in das GIS übernommen bzw. konvertiert.
7.3 Berge in Bewegung: Gefährdungszonenkartierung in Südtirol
Zunehmende Starkniederschläge und das Fortschreiten der Bebauung über die traditionellen
Ortsränder hinaus führen zu neuen Gefährdungssituationen im Bereich von Gebirgstälern mit
großen Gesteinsmassen in labilen Gleichgewichtslagen. Murenabgänge und große Hangbewegungen führen zur Zerstörung bzw. Beschädigung von Bauwerken und zur Gefährdung von Menschenleben. In Zusammenarbeit mit dem Amt für Geologie und Baustoffprüfung in Südtirol werden
Kartierungen von solchen Rutschmassen bzw. von gefährdeten Bereichen im Rahmen von Kartierungsübungen und Diplomarbeiten durchgeführt. Die Dokumentation der Rutschmassen fließt in
ein GIS ein, das zur Vorbereitung von Frühwarnsystemen und zur planerischen Berücksichtigung
von gefährdeten Gebieten bei der Genehmigung von Baumaßnahmen verwendet wird. Bei Rutschungen oder Muren handelt es sich um rezente geologische Prozesse, die noch dazu innerhalb
kurzer Zeiträume auftreten und somit für den Menschen große Gefahren bergen. Durch gezielte
Beobachtungen und Verwendung von GIS zur Kartierung und Auswertung von Gefährdungspotentialen können Prognosen bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Auftretens erstellt werden und
somit kann ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit der Bewohner und deren Eigentums geleistet werden.
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8 Fit für die Zukunft: GIS in der Lehre der TUM-Geologie
Die neuen Studienpläne für Geologie im Rahmen des reformierten Diplomstudienganges und vor
allem im neu aufgebauten Bachelor-Studiengang „Geowissenschaften“ sowie im geplanten Masterstudiengang „Ingenieur- und Hydrogeologie“ sehen die gezielte Ausbildung in GIS vor. Dazu
sollen in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Geoinformationssysteme im Institut für Geodäsie,
GIS und Landmanagement der TUM eine Vorlesung mit Übung eingeführt werden. Dabei sollen
die Inhalte auf Projekte der Ingenieurgeologie abgestimmt werden.
Daneben sollen Studenten auch beim projektbezogenen Studium in der Ingenieurgeologie verstärkt mit GIS-Anwendungen vertraut gemacht werden.
Somit werden die künftigen Absolventen eine weitere Schlüsselqualifikation aufweisen können.
Gekoppelt mit soliden, praxisorientierten Geologiekenntnissen wird dies zu den guten Chancen der
TUM-Geologen auf dem insgesamt schwierigen Arbeitsmarkt für Geologen beitragen.
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