VERGABERECHT VERGABERECHT Nebenangebote beim Preis als einzigem Zuschlagskriterium unzulässig RA Dr. Christian Kokew | [email protected] Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in seinem Beschluss vom 07.01.2014 (Az.: X ZB 15/13) zu einer der derzeit umstrittensten vergaberechtlichen Fragen geäußert und festgestellt, dass Nebenangebote grundsätzlich dann nicht zugelassen werden dürfen, wenn der Preis alleiniges Zuschlagskriterium ist. Die Entscheidung schafft einerseits Rechtsklarheit, wirft andererseits weitere praxisrelevante Fragen auf. 1.Einleitung Nebenangebote sind solche Angebote, die in irgendeiner Form vom Hauptangebot abweichen, sei es in technischer Hinsicht durch die Verwendung anderer technischer Lösungen als in der Leistungsbeschreibung vorgegeben, sei es in wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht durch die Formulierung anderer Zahlungsbedingungen oder sonstiger vertraglicher Regelungen (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 21.09.2009, Az.: 9 Verg 7/09). Sinn und Zweck von Nebenangeboten ist es, dem Auftraggeber die Kenntnis von anderen, ihm nicht bekannten oder von ihm nicht bedachten Ausführungsmöglichkeiten zu vermitteln und ihn in die Lage zu versetzen, die Fachkunde und Kreativität des Bieters zu nutzen (BGH, Beschluss vom 07.01.2014, Az.: X ZB 15/13). Sofern der Auftraggeber diese Marktvorteile für sich nutzbar machen möchte, muss er bei Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte Nebenangebote in den Vergabeunterlagen ausdrücklich zulassen (vgl. § 8 EG Abs. 2 Nr. 3 VOB/A). In den vergangenen Jahren hat ein Streit zwischen dem OLG Düsseldorf und dem OLG Schleswig zur Zulässigkeit von Nebenangeboten für erhebliche Verunsicherung in der vergaberechtlichen Praxis gesorgt. Nach der Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf sind Nebenangebote dann nicht zulässig und damit LUTZ | ABEL von der Wertung auszuschließen, wenn der Preis alleiniges Zuschlagskriterium ist. Das folge aus einer grammatikalischen und systematischen Auslegung der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge („VKR“) (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.11.2004, Az.: Verg 22/11). Das OLG Schleswig hat der Rechtsansicht des OLG Düsseldorf ausdrücklich widersprochen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 15.04.2011, Az.: 1 Verg 10/10). Während der BGH bereits im Beschluss vom 23. Januar 2013 (Az.: X ZB 8/11) seine damalige Sicht zur Zulässigkeit von Nebenangeboten beim Kriterium des niedrigsten Preises angedeutet hatte, eine Entscheidung aber aufgrund der konkreten Sachverhalts- und Verfahrensgestaltung damals unterbleiben konnte, musste er nun zu der umstrittenen Rechtsfrage erstmals ausdrücklich Stellung nehmen. 2.Sachverhalt Ein Auftraggeber schrieb den Umbau einer Straßenbahntrasse im offenen Verfahren europaweit aus. Nebenangebote waren nach den Vergabeunterlagen ausdrücklich zugelassen. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Die Antragstellerin des Nachprüfungsverfahrens gab das Hauptangebot auf Los 2 zum niedrigsten Preis ab. Los 2 umfasste unterschiedliche Gewerke wie Gleisunterbau, Maßgründung, Bahnstromanlagen, Straßenbau, Gehwege, Parkmöglichkeiten und Lichtsignalanlagen. Obwohl die Antragstellerin das Angebot mit dem niedrigsten Preis abgegeben hatte, teilte der Auftraggeber ihr mit, dass er beabsichtige, den Zuschlag auf Recht Aktuell 01/2014 VERGABERECHT ein günstigeres Nebenangebot eines Wettbewerbers zu erteilen. Die Antragstellerin leitete nach einer erfolglosen Rüge ein Nachprüfungsverfahren gegen die Antragsgegnerin ein. Sie berief sich dabei insbesondere auf die (vorstehend erläuterte) Rechtsprechung des OLG Düsseldorf und sah das Nebenangebot aufgrund des Zuschlagskriteriums des niedrigsten Preises vorliegend als unzulässig an. Nachdem die zuständige Vergabekammer unter Berufung auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf dem Nachprüfungsantrag stattgegeben hatte, musste sich das OLG Jena im Beschwerdeverfahren mit der streitentscheidenden Frage auseinandersetzen. Aufgrund der widersprechenden Rechtsauffassungen des OLG Düsseldorf und des OLG Schleswig legte das OLG Jena dem BGH gemäß § 124 Abs. 2 S. 1 GWB das Verfahren vor und wollte von diesem beantwortet bekommen, ob Nebenangebote zugelassen werden dürfen, wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium ist. 3.Entscheidung des Bundesgerichtshofs Nach Auffassung des BGH ist das grundsätzlich nicht der Fall. Ausgangspunkt der Argumentation des BGH sind die Regelungen des § 8 EG Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A und § 8 Abs. 1 S. 2 SektVO. Nach diesen Bestimmungen haben öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festzulegen, wenn sie Nebenangebote zulassen. Nach Auffassung des BGH reichen solche Mindestanforderungen allerdings allein nicht aus, um im Zusammenhang mit der Wertung von Nebenangeboten Wettbewerbsverfälschungen auszuschließen. Dazu sei es vielmehr erforderlich, das Verhältnis von Nebenangeboten zu der als Hauptangebot vorgesehenen Ausführung („Amtsvorschlag“) anhand von Zuschlagskriterien zu bewerten. Allein der Preis genüge dafür allerdings nicht. Der BGH erläutert seine Argumentation an einem überzeugenden Beispiel: Sofern ein den Mindestanforderungen genügendes Nebenangebot zwar geringfügig billiger als das günstigste Angebot ist, es aber überproportional hinter dessen Qualität zurückbleibt und sich bei wirtschaftlicher Betrachtung deshalb gerade nicht als das günstigste Angebot er- Recht Aktuell 01/2014 weist, müsste es mangels geeigneter Zuschlagskriterien, mit denen diese Diskrepanz in der Wertung erfasst werden kann, dennoch den Zuschlag erhalten, wenn allein der Preis berücksichtigt werden darf. Vor diesem Hintergrund sei es notwendig, bei der Zulassung von Nebenangeboten weitere Wertungskriterien als nur den Preis aufzustellen. Andernfalls entstehe eine Lücke, die zu wettbewerbsschädlichen Folgen führen könne. Diese Lücke könne nach Auffassung des BGH nicht durch eine sog. „Gleichwertigkeitsprüfung“ von Nebenangebot und Amtsvorschlag geschlossen werden. Zwar werde von Teilen der Rechtsprechung und Literatur gefordert, dass Nebenangebote mit dem Amtsvorschlag gleichwertig sein müssen und andernfalls das Nebenangebot auszuschließen sei (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 15.04.2011, Az.: 1 Verg 10/10). Eine Gleichwertigkeitsprüfung, für die es keine benannten Bezugspunkte gebe, weil der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist, genüge aber nicht den Anforderungen an transparente Wertungskriterien. Die Lücke könne auch nicht durch – in der Praxis häufig vorkommende – umfangreich beschriebene Mindestanforderungen geschlossen werden. Auf diese Weise würde der mit der Zulassung von Nebenangeboten verfolgte Zweck, den Bietern zu ermöglichen, ihre Fachkunde und Kreativität einzubringen, zu stark eingeschränkt werden. 4.Bewertung der Entscheidung Die Entscheidung des BGH überzeugt. Eine Wettbewerbsverfälschung im Zusammenhang mit der Zulassung von Nebenangeboten kann grundsätzlich nur vermieden werden, wenn feststeht, wie Nebenangebote im Verhältnis zum Amtsvorschlag zu werten sind. Dazu bedarf es zwangsläufig weiterer Zuschlagskriterien als dem des niedrigsten Preises. Die Entscheidung des BGH wirft allerdings auch Fragen auf. So knüpft der BGH im hier besprochenen Beschluss an seine Ausführungen in der Entscheidung vom 23. Januar 2013 (Az.: X ZB 8/11) an. Gegenstand der damaligen Entscheidung war die Vergabe der Abholung und Zustellung von (vorsortierten) Briefsendungen. Der BGH entschied damals, dass es bei solchen „homogenen“ Dienstleistungen – im Gegensatz zu der hier besprochenen Entscheidung – sachge- LUTZ | ABEL VERGABERECHT recht sein dürfte, Nebenangebote auch zuzulassen, wenn alleiniges Zuschlagskriterium der niedrigste Preis sei. Dies dürfte seiner Meinung nach zwar nicht gegen die Bestimmung der VKR verstoßen, müsste aber letztlich durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden werden. Dagegen könne im vorliegenden Fall von einer Entscheidung durch den EuGH abgesehen werden, weil sich das Nebenangebot auf zahlreiche Gewerke wie den Gleisunterbau, die Maßgründung, die Bahnstromanlagen, den Straßenbau etc. bezogen hat und daher eine „inhomogene“ Leistung vorliege. Bei einer solchen Leistung seien Nebenangebote beim alleinigen Zuschlagskriterium des niedrigsten Preises bereits nach dem nationalen (deutschen) Vergaberecht unzulässig (vgl. Ziffer 3). Daraus lässt sich die folgende Erkenntnis ableiten: Sofern als alleiniges Zuschlagskriterium der niedrigste Preis gewählt wird, sind Nebenangebote jedenfalls dann unzulässig, wenn es sich um eine Bauleistung mit zahlreichen Gewerken und damit um eine „inhomogene“ Leistung handelt. Ob dagegen Nebenangebote für homogene Leistungen, wie z.B. die Abholung und Zustellung von Briefsendungen, zulässig sind, wenn sich die Wertung der Angebote allein nach dem niedrigsten Preis richtet, muss letztlich noch vom EuGH beantwortet werden. LUTZ | ABEL 5.Praxishinweis Es ist bereits jetzt absehbar, dass die Abgrenzung zwischen inhomogenen und homogenen Leistungen zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten und rechtlichen Auseinandersetzungen führen wird. Selbst wenn eine Leistung allerdings als „homogen“ bewertet werden kann, steht damit nicht verbindlich die Zulässigkeit von Nebenangeboten bei der Wertung allein nach dem niedrigsten Preis fest. Dazu bedarf es zunächst einer Klärung durch den EuGH. Vor diesem Hintergrund sind Auftraggeber weiterhin gut beraten, Nebenangebote in den Vergabeunterlagen nicht zuzulassen, wenn sie die Angebotswertung allein nach dem niedrigsten Preis durchführen wollen. Dies gilt insbesondere bei der Vergabe von Bauleistungen, die grundsätzlich als inhomogene Leistung bewertet werden dürften. Dr. Christian Kokew _R echtsanwalt [email protected] Recht Aktuell 01/2014