Ein Unternehmen muss genau sagen, wofür es sich

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„Ein Unternehmen muss genau sagen,
wofür es sich zuständig fühlt“
Die vielfältigen Wirtschaftsskandale der letzten Jahre zeigen deutlich, dass es nicht ausreicht, wenn Unternehmen und Gesellschaft sich weitgehend auf formale Kontrollsysteme verlassen. Steuerungsmechanismen
wie Werte und Transparenz gewinnen deshalb zunehmend an Bedeutung. Kaum ein börsennotiertes Unternehmen kommt heute ohne einen „Code of Ethics“ aus. Die G.I.B. sprach mit Professor Dr. Josef Wieland
vom „Konstanz Institut für WerteManagement“ darüber, wie solche Steuerungsmechanismen in der Unternehmenspraxis genutzt werden können.
G.I.B.: Herr Professor Wieland, ethische Fragen gewinnen im Kontext von Wirtschaft offensichtlich immer
mehr an Bedeutung. Gilt Milton Friedmans Satz „The
Social Responsibility of Business is to Increase its Profits“ nicht mehr?
Prof. Josef Wieland: Wer heute wirtschaftlich erfolgreich sein will, muss sich in die globale Wertschöpfungskette einfügen und kooperationsfähig sein. Gleichzeitig
besteht ein Institutionendefizit, d. h., es gibt weder ein
ausreichendes globales Recht noch wirksame Durchsetzungsmöglichkeiten und zudem keine gemeinsam
geteilten moralischen Auffassungen. Das ist vergleichbar mit einer Fußball-WM, bei der es keine Spielregeln,
keinen Schiedsrichter und keine FIFA gibt, sondern ein
unterschiedliches Verständnis von Fairplay. Wo aber
kein oder kein ausreichendes Rechtssystem mit Strafandrohungen existiert, also kein Legalitätsprinzip gilt,
gewinnen Werte an Bedeutung. Denn in Kooperationsbeziehungen spielen Verpflichtungen – und darauf aufbauend auch Vertrauen – eine immense Rolle.
Dabei haben Werte drei Funktionen: Sie geben gemeinsame Ziele, geben Orientierung für das eigene Handeln
vor und sind für den Einzelnen und seine Partner identitätsstiftend. Doch Unternehmen beschäftigen sich nicht
allein aus moralischen Gründen mit Ethik und Werten, sondern vor allem aus ökonomischen. Die aktuelle Frage für sie lautet: Welche Rolle spielen Ethik und
Werte im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Effizienz und Effektivität?
G.I.B.: Ist eine vorrangig ökonomisch begründete ethische
Orientierung nicht ein zweifelhaftes Motiv?
Prof. Josef Wieland: Unternehmen können heute nicht
mehr frei darüber entscheiden, ob sie ein Wertesystem
einführen oder nicht. Egal ob Börsen, Lieferanten,
Weltbank oder die Europäische Bank für Aufbau und
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Entwicklung – sie alle erwarten vollständige Compliance- und Werte-Managementsysteme. Ohne diese Dokumentation eigener Werte, ohne einen „Code of Ethics“
wird ein Unternehmen an keiner Börse der Welt mehr
notiert, kann es wichtige Lieferantenbeziehungen nicht
aufbauen. Ein Unternehmen, das seine Vertrauenswürdigkeit, seine Integrität, die Erfüllung seiner Sorgfaltsund Aufsichtspflichten gegenüber einem Richter dokumentieren will, muss über einen solchen Code als „Soft
Law“ verfügen. Die legale und ökonomische Notwendigkeit sind aber eher „harte Gründe“, sich mit Werten zu beschäftigen. Und das ist meines Erachtens immer das verlässlichste Motiv.
Eine zweite Gruppe von Unternehmen praktiziert ein
Werte-Management aus Reputationsgründen, etwa im
Hinblick auf Konsumenten. Auch diese Unternehmen
verknüpfen ihre Wertvorstellungen mit dem Unternehmenszweck. Eine dritte Gruppe schafft ein Wertesystem
aus innerer Überzeugung und verknüpft damit zugleich
Effizienz- und Effektivitätsvorstellungen. Diese Gruppe speist sich vor allem aus Mittelständlern, Familienunternehmen und religiös gebundenen Eigentümerunternehmen. Aber wie auch immer die Primärmotivation
sein mag, an der Verknüpfung von ökonomischen und
ethischen Zielen kommt niemand vorbei.
G.I.B.: Können Sie uns für die letzte Gruppe ein Beispiel geben?
Prof. Josef Wieland: Wie drängend die genannten „harten Gründe“ zur Schaffung eines Wertesystems sein
können, hat vor Jahren schon der Bayerische Bauindustrieverband gezeigt. Hier gab es wegen illegaler
Geschäftspraktiken eine Reihe von Gerichtsverfahren
gegen Baufirmen. Den Beschäftigten war es fast schon
unangenehm, in dieser Branche tätig zu sein, weil ihre
Arbeitgeber fast immer mit kriminellen Vereinigungen
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Prof. Dr. Josef Wieland, Wissenschaftlicher
Direktor, KIeM – Konstanz Institut für
WerteManagement, HTWG Konstanz
gleichgesetzt wurden. Einige der Bauunternehmen haben
damals den Anstoß gegeben, eine neue Geschäfts- und
Branchenkultur zu schaffen und andere Geschäftspraktiken umzusetzen, um die Reputation der Branche wiederherzustellen. Aber es gab auch andere Motivationen
für die Einführung des Werte-Managementsystems. So
waren Firmen an einer von ethischen Maßstäben geprägten Unternehmenskultur interessiert, weil sie die
Branche attraktiver machen wollten für dringend benötigte jüngere Facharbeiter und Ingenieure. Das alles ist
mit einem neuen Werte-Management gelungen.
G.I.B.: Wie sollten Unternehmen, die ein WerteManagement aufbauen wollen, vorgehen?
Prof. Josef Wieland: Unternehmen müssen zunächst die
Werte definieren, für die sie stehen wollen. Nicht im
Sinne allgemeiner Leitbilder, sondern zur Beantwortung der Frage, welche Werte für bestimmte Transaktionen oder Geschäfte erforderlich sind.
Nach ihrer Bestimmung gilt es, diese Werte in alle unternehmensrelevanten Entscheidungsprozesse, in alle
Richtlinien und Verfahren zu implementieren – von
der Laufbahngestaltung der Beschäftigten über die
Entlohnung der Manager bis hin zu den Lieferantenbewertungen. Erst mit einer solchen Konkretisierung
erhält das Wertesystem Relevanz.
Ohne diese Implementierung im Alltag verkommt das
Ethik-Thema zum Mantra, wird zur gut gemeinten,
aber wirkungslosen Absichtserklärung und für die
Mitarbeiter und andere Stakeholder unglaubwürdig.
Wenn in einem Unternehmen die Bedeutung von Integrität hervorgehoben wird und gleichzeitig im Außendienst diejenigen Karriere machen, die mit zweifelhaften Methoden Umsätze erzielen, ist der Code
of Ethics ein sich selbst dementierendes Dokument,
vergleichbar mit einer Rechtsvorschrift, die nicht nur
häufig nicht eingehalten wird, sondern sich auch als
irrelevant erweist. Das führt zur Ungültigkeit der
Vorschrift, und gleichzeitig schwindet die Achtung
vor dem Recht insgesamt. Nur wenn es im Unternehmen Vorbilder gibt, Persönlichkeiten und Charaktere, die dafür einstehen, dass die Werte auch im
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Alltagsgeschäft wirklich gelebt werden, gewinnt ein
Code of Ethics Glaubwürdigkeit. Genauso wichtig
wie diese Vorbilder sind Corporate Stories, also exemplarische Geschichten, die sich die Menschen beispielsweise über den Umgang mit Geschenken im Unternehmen erzählen, denn sie prägen auch das Bild
in der Öffentlichkeit.
In einem nächsten Schritt geht es um die Systematisierung auf drei Ebenen. Dazu gehören Compliance-Programme, also die Einhaltung geltenden
Rechts und verbindlicher Unternehmensregeln weltweit, Corporate Social Responsibility, also die gesellschaftliche – nicht die soziale, das wird häufig
falsch übersetzt und verstanden – Verantwortung
und, drittens, die Kontrolle durch ein internes oder
externes Monitoring.
Des Weiteren sind Organisationsstrukturen zu schaffen,
wobei Großunternehmen über ein Compliance Office
sowie ein Ethics- oder Sustainability Office verfügen,
wohingegen kleinere Firmen das Werte-Management
funktional an die Personal- oder Geschäftsleitung anbinden. Diese vier Stufen: Kodifizieren, Implementieren, Systematisieren und Organisieren bilden das Managementsystem.
G.I.B.: Wer bestimmt in einem Unternehmen die maßgeblichen Werte, und wie schafft man eine Identifikation
des gesamten Unternehmens mit dem Wertesystem?
Prof. Josef Wieland: Es gibt zwei Wege zur Werte-Festlegung. Der eine ist die Mitarbeiterbefragung: „Welche
Werte halten Sie für wichtig?“ Dieses demokratische
Bottom-up-Verfahren hat aber den Nachteil, nicht unbedingt zur Unternehmensstrategie zu passen. Der andere Weg besteht darin, das Werte-Management zur
strategischen Führungsaufgabe zu machen. Dabei ist
die Frage zu beantworten, wo das Unternehmen in zehn
Jahren stehen soll und welche Werte dazu erforderlich
sind. Anschließend kann man das Konzept mit ausgewählten Mitarbeitern oder Betriebsräten diskutieren
und ihnen das Recht einräumen, ihre eigenen Vorstellungen einzubringen. Ohne eine Beteiligung der Mitarbeiter sind Unternehmenswerte nicht richtig „geerdet“.
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Deshalb müssen die Werte von deren Alltag ausgehen
und nicht von dem des Vorstands.
G.I.B.: Auf welche kritischen Punkte müssen Unternehmen bei einem solchen Vorgehen in der Praxis
besonders achten?
Prof. Josef Wieland: Die Werte müssen spezifisch, müssen mit dem Unternehmen verbunden sein, mit der Art
des Geschäfts, seiner Tradition, seiner Größe. Und sie
Die Werte müssen spezifisch und mit dem
Unternehmen verbunden sein, mit der Art des
Geschäfts, seiner Tradition, seiner Größe.
müssen so ausgewählt werden, dass sie eingehalten
werden können. Ein Wertesystem ist ein Versprechen.
Es macht keinen Sinn, etwas zu versprechen, von dem
von vornherein klar ist, dass es nicht einzuhalten ist.
Etwa bei der Definition von Verantwortung. Ein Unternehmen mit zum Beispiel einem Hauptlieferanten
in Indien, der selbst wieder über zig Sub-Lieferanten
und Kleinstmanufakturen verfügt, die nicht alle kontrollierbar sind, kann nicht für all diese Zulieferer von
Zulieferern Verantwortung übernehmen.
Kein Unternehmen kann sagen: „Wir bestechen nicht!“
Denn niemand kann garantieren, dass sich alle Menschen in seinem Verantwortungsbereich daran halten.
Oder ein anderes Beispiel: Sie können nur sagen, „Wir
wollen Aufträge ausschließlich durch Preis-LeistungsWettbewerb erlangen und lehnen Bestechung ab.“ Integrität als Aussage lässt sich leicht festlegen. Aber es
ist unverzichtbar, vorher mit Vertriebsmitarbeitern zu
sprechen, die in korruptionsanfälligen Ländern tätig
sind, und sie zu fragen: „Können wir diese Werte überall auf der Welt einhalten? Welche Maßnahmen müssen
ergriffen werden?“ Deshalb muss ein Unternehmen genau sagen, wofür es sich zuständig fühlt. Einfach nur
zu versprechen, eine Wertschöpfungskette als Ganzes
sauber zu halten, schmälert die Glaubwürdigkeit und
erzeugt Skepsis.
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Hinzu kommt ein anderes Problem: Ein Wert wie Diversity zum Beispiel, also Vielfalt, bedeutet in jedem Land
etwas anderes. In Amerika heißt das vielleicht „keine
Diskriminierung wegen sexueller Orientierung“ – eine
Interpretation, die in einer Niederlassung in Abu Dhabi sicher nicht in das Programm aufgenommen würde. Ein Unternehmen muss also kommunizieren, was
Vielfalt konkret bedeutet, denn Werte unterliegen keiner mit den Begriffen „wahr“ und „falsch“ beschreibbaren Logik, sondern eher einer mit Unschärfen und
Mehrdeutigkeiten arbeitenden Fuzzy-Logik. Das heißt,
Werte sind in ihrer allgemeinen Bedeutung eindeutig,
in der konkreten Anwendungssituation aber nicht unbedingt. Ein Beispiel: Was Ehrlichkeit als Wert bedeutet, wissen wir alle. Aber wenn sich die Frage stellt, ob
ich einem todkranken Menschen die Wahrheit sagen
muss, überlegen wir schon, was wir mit Ehrlichkeit eigentlich meinen. Das heißt, über die reale Bedeutung
von Werten wird nicht auf dem Papier entschieden, sondern im praktischen Alltag.
G.I.B.: Gibt es global tragfähige Werte oder sind
die Kulturen so unterschiedlich, dass weltweit tätige
Unternehmen regelmäßig auch mit unterschiedlichen,
Gesellschaft und Wirtschaft zentral prägenden Werten
rechnen müssen?
Prof. Josef Wieland: Ich denke, dass es als Produkt
der gesellschaftlichen Evolution weltweit geteilte Werte gibt, weil alle Kulturen, die es zu Zivilisationen geschafft haben, sich auf grundlegende Werte verständigt
haben müssen. Zu diesen gemeinsamen Werten gehört
etwa, dass man andere nicht belügt, dass Menschen
eine Würde haben, die nicht verletzt werden darf. Diese Werte kennen alle Kulturen, aber die damit einhergehenden Konzeptionen sind unterschiedlich. Freiheit
ist in allen Kulturen ein wichtiger Wert. Doch ob Freiheit Demokratie, freie Meinungsäußerung, freie Presse,
die individuelle Freiheit bei der Wahl des Sexualpartners bedeutet oder ob Freiheit den Genuss bestimmter
Bewegungsspielräume innerhalb klar festgelegter ClanStrukturen beinhaltet, das ist die Frage.
Ein anderes Beispiel ist Kinderarbeit. Man kann Kinderarbeit nicht einfach abschaffen, denn sie ist an die
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Konzeption von Kindheit gekoppelt. Wenn das Konzept „Kindheit“ beinhaltet, dass Kindheit im Alter
von acht Jahren endet, dass Kinder einen Beitrag zum
Familien­einkommen leisten müssen, dann stört die Abschaffung von Kinderarbeit diese Konzeption. Sinnvoller ist es, das Einstiegsalter für Kinderarbeit zu erhöhen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und sich
für Mindestlöhne, Bildung und eine bessere Krankenversorgung einzusetzen.
Dasselbe gilt für die Menschenrechte. Jede Kultur hat Basisrechte für Menschen, die aber konzeptionell verschieden ausgestaltet sind. Wir sollten nicht die unterschiedlichen Konzeptionen zu verändern suchen, sondern uns
darüber verständigen – und damit ist das maßgeblich
von Hans Küng vorangetriebene Projekt „Weltethos“
skizziert – welche Grundüberzeugungen Menschen immer schon brauchten, um zivilisiert zu leben. Statt Menschenrechte in Kampfbegriffe umzuformen – das schadet nur, wie man am Beispiel China sieht – sollten wir
in der Übereinstimmung, dass Menschen Freiheitsrechte
brauchen, eine gemeinsame Praxis schaffen, auch in der
Wirtschaft. Dabei spielen vor allem weltweit operierende
Unternehmen eine große Rolle, weil sie für viele Menschen gerade in den Ländern der Dritten Welt ein ziemlich stabiler, globaler Erfahrungsraum hinsichtlich des
Umgangs miteinander sind.
G.I.B.: In welchem Zusammenhang stehen ethische
Maßstäbe und die Fähigkeit zur unternehmerischen
Innovation?
Prof. Josef Wieland: Nach einer von uns durchgeführten
empirischen Studie gibt es einen Zusammenhang zwischen Werteorientierung und Innovationsfähigkeit. Denn
in beiden Fällen spielen neben ökonomischen auch moralische Werte wie Vertrauen, Offenheit, Leistungsorientierung und Gerechtigkeit eine Rolle, und zwar sowohl Leistungs- als auch Verteilungsgerechtigkeit.
Schnittmengen zwischen Innovationskraft und Werten
bestehen, weil Unternehmen auch bei Innovationen in
Bereiche von Unkontrollierbarkeit, von Nicht-Nachvollziehbarkeit geraten und die normalen Kontrollmechanismen versagen. Ein Unternehmen, das FreiG.I.B.INFO 1 10
heit zulassen will und muss – IT-Firmen sind das beste
Beispiel – sollte unter Controllinggesichtspunkten auf
indirekte Steuerungsmechanismen umstellen und intrinsisch steuern.
Diese „interne Selbstbindung“ ist unverzichtbar, denn
Innovation – egal ob inner- oder überbetrieblich – ist
nur möglich, wenn verschiedenartige Ressourcen zusammenkommen, wobei die Stakeholder sowohl Mitarbeiter wie auch Lieferanten, Kunden, Wettbewerber,
Kapitalgeber, Forschungseinrichtungen, öffentliche
Wirtschafts- und Beschäftigungsförderungen usw.
sein können. Doch weil Innovationsprojekte immer
auch Kooperationsprojekte sind, ist der Erfolgsanteil
Die Einführung eines Werte-Managements ist
in Arztpraxen und Vereinen genauso möglich
wie in KMU und Konzernen.
jeder einzelnen Ressource nicht genau bestimmbar. Hinzu kommt: Die eingebrachten Ressourcen sind wechselseitig voneinander abhängig, und der Innovationserfolg
hängt davon ab, inwieweit jeder sein gesamtes Wissen
und Können einbringt. Wer aber all seine Ressourcen zur
Verfügung stellt, muss darauf vertrauen können, dass andere die ihren auch einbringen, weil er sonst ausgebeutet wird. Damit Menschen nun nicht strategisch, hier im
Sinne von ihren individuellen Vorteil berechnend, vorgehen, sondern – auch wenn sie immer strategische Reserven behalten – vorbehaltlos ihre Ressourcen investieren,
also einen Kredit, einen Vorschuss geben, müssen die Ergebnisse, der Erfolg genauso wie das Scheitern, gerecht
verteilt werden. Dazu dient ein Werte-Management mit
seiner Schaffung von Strukturen und Prozessen, die Vertrauen, Fairness und Gerechtigkeit stärken.
G.I.B.: Zahlt sich Werte-Management für Unternehmen
unter dem Strich aus, arbeiten sie profitabler, sind sie
wettbewerbsfähiger?
Prof. Josef Wieland: Es gibt keine wissenschaftlichen
Untersuchungen, die eine globale Kausalität zwischen
Werte-Management und ökonomischem Erfolg belegen.
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Es gibt erfolgreiche Firmen mit moralisch zweifelhaftem
Ruf, und es gibt erfolgreiche Unternehmen mit WerteManagement. Wobei unklar ist, ob sie erfolgreich sind,
weil sie ein Werte-Management praktizieren, oder ob
sie ein Werte-Management praktizieren, weil sie erfolgreich sind. Wir wissen aber, was ein Werte-Management
in bestimmten Teilbereichen bewirken kann. Es erlaubt,
mit rechtlichen Risiken umzugehen, und sichert so die
Existenz der Firma und damit auch der Führungskräfte und der Mitarbeiter. Außerdem stabilisiert es, wie erwähnt, die innovativen Prozesse der Organisation, insbesondere wenn sie in unübersichtlichen Welten arbeitet.
Und, drittens, sind Firmen, die ein Wertesystem praktizieren, im Gegensatz zu Firmen, die Business as usual
arbeiten, neugierig, nach außen offen, beobachten ihre
Umwelt und ihre Marktchancen genauer. In Risiko-Rankings zum Beispiel werden solche Firmen besser bewertet, weil sie auf die Zukunft hin orientiert sind – nur ein
Beispiel dafür, dass sich ein Werte-Management rechnen
kann. Aber es rechnet sich nur, wenn man wirklich entlang von Werten wirtschaften und leben will.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen
Werteorientierung und Innovationsfähigkeit.
G.I.B.: Sind Werte- und Stakeholder-Management erst
ab einer bestimmten Unternehmensgröße handhabbar?
Ist das für KMU überhaupt machbar?
Prof. Josef Wieland: Die Einführung eines Werte-Managements ist in Arztpraxen und Vereinen genauso
möglich wie in KMU und Konzernen. KMU müssen
nicht gleich einen Ethic-Officer einstellen, sondern hier
müssen Menschen Führungsverantwortung übernehmen, denen man glaubt und die das können. Dieser
Zuschnitt auf Personen, auf den Eigentümer vor allem,
ist ja genau die Stärke von Mittelständlern. Nur: Mittelständische Unternehmen kommunizieren explizit
zu wenig, doch ein Werte- und Stakeholder-Management ist zu einem großen Teil Kommunikation. Hier
stellt sich die Frage, inwieweit KMU tatsächlich über
entsprechende Ressourcen für ein strategisches Werte-Management verfügen.
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G.I.B.: Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass vor allem
auch mittelständische Automobilzulieferer mehr denn
je unter einem immensen Liefer- und Preisdruck ihrer
Auftraggeber stehen, Konzerne mit großer Marktmacht,
die durch eine enge Zusammenarbeit in Forschung,
Entwicklung und Produktion mit solchen LieferantenStakeholdern über die Abhängigkeit ihrer Zulieferer
bestens Bescheid und diese auszunutzen wissen. Mit
einem verantwortungsvollen Stakeholder-Management
der Automobilkonzerne und mit Werten wie Integrität
und Vertrauen hat das offensichtlich wenig zu tun.
Kann das unter ökonomischen Aspekten auf Dauer
funktionieren?
Prof. Josef Wieland: Es gibt keine Wirtschaftsbeziehung, die auf Dauer auf Druck oder gar Erpressung beruhen kann. Empirisch ist das mit Sicherheit
keine Erfolgsstrategie. Um innovativ und produktiv
zu sein, muss eine Wirtschaftsbeziehung durch ein
ausgeglichenes Geben und Nehmen gekennzeichnet
sein, da Kunden oder Auftraggeber sonst Qualitätsprobleme bei den Produkten oder in den Prozessen
bekommen. Wer aus Kooperationen tatsächlich alle
Ressourcen an Innovationen, Schnelligkeit, Genauigkeit und Qualität schöpfen will, braucht ein Wertesystem. Man kann nur Menschen pressen, die vollständig abhängig sind. Aber Fachkräfte kann man in
dieser Weise nicht pressen, weil sie eine andere Arbeitsmarktstellung haben, über eine stärkere Marktmacht verfügen. Also: Der Preis ist ein wichtiger, aber
nur ein Indikator für den Erfolg einer Beziehung, der
allerdings durchaus dominant werden kann – wenn
auch nur für eine Weile.
G.I.B.: In Branchen- oder Clusternetzwerken kooperieren
mitunter auch Wettbewerber. Wie lassen sich Netzwerke
so managen, dass bei den beteiligten Mittelständlern
Vertrauen entsteht?
Prof. Josef Wieland: Netzwerke sind evolutionäre Produkte, die stabilisiert werden müssen. Dazu braucht es
Werte, aber auch positive Erfahrungen, weil nicht alles rational antizipierbar ist. Eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Erfahrungen jedoch sind niedrigschwellige Einstiege. Also sollten Kooperationen
G.I.B.INFO 1 10
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Das Interview führten
Manfred Keuler, Tel.: 02041 767-152, E-Mail: [email protected]
Dr. Ulrich Sassenbach, Tel.: 02041 767-210, E-Mail: [email protected]
Kontakt
Prof. Dr. habil. Josef Wieland, Wissenschaftlicher Direktor
KIeM – Konstanz Institut für WerteManagement
HTWG Konstanz, Brauneggerstr. 55, 78462 Konstanz
Tel.: 07531 206 404, E-Mail: [email protected]
anfangs so gestaltet sein, dass ein Scheitern keine unübersehbaren Konsequenzen nach sich zieht. Zu hohe
Anfangsanforderungen sind ein Problem von Netzwerken. Und der Netzwerkmanager kann die Überforderung nicht wettmachen, weil er nicht der wesentliche Akteur ist.
G.I.B.: Hinsichtlich der hier besprochenen Themen sind
die Einrichtung des CSR-Forums durch das BMAS – in
dieses Forum sind Sie ja auch berufen worden – und
die Arbeit an der CSR-ISO 26 000, die Sie und Ihre
Mitarbeiter unterstützen, von großem Interesse. Was
sind die Ziele dieser Initiativen, und wie kann der
Mittelstand solche Instrumente nutzen?
Prof. Josef Wieland: Hinter dem CSR-Forum steht die
Idee, das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen – nicht die soziale Verantwortung, dafür haben wir
gesetzliche Regelungen – in Deutschland zu fördern. In
diesem Gremium geht es darum festzulegen, was Politik
auf diesem Gebiet zur Unterstützung von Unternehmen
leisten kann. Es hat sich zum Beispiel als nützlich erwiesen, dass Politik gelegentlich die Rolle des Facilitators einnimmt, der initiiert, aber nicht steuert. Aufgabe
des Forums ist, hierzu für bestimmte Themenbereiche
Vorschläge zu erarbeiten. Es geht zum Beispiel darum,
inwieweit die Bindung staatlicher Ausschreibungen an
Nachhaltigkeitskriterien ein hilfreiches Verfahren ist,
aber auch darum herauszufinden, wie man Mittelständler unterstützen kann, sich besser zu vernetzen.
Die noch in der Entwicklung befindliche ISO 26 000 ist
dabei der Versuch, eine Normung für freiwillige Standards guten Organisationsverhaltens auf der ISO-Ebene zu schaffen, die global akzeptiert werden. Dabei geht
es nicht nur um Unternehmen, sondern um Organisationen ganz allgemein wie zum Beispiel Krankenhäuser, Nichtregierungsorganisationen oder Hochschulen
in allen Ländern der Welt.
G.I.B.: Sollten die entscheidenden Impulse für die Einführung eines Werte-Managements in Unternehmen
zukünftig eher aus dem Bereich der Gesetzgebung
kommen oder eher unternehmerischer Eigeninitiative
entspringen?
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Prof. Josef Wieland: Ich bin gegen gesetzliche Regulierungen, weil ein unternehmerisches Wertesystem ein
Managementtool ist und davon lebt, dass wir in unübersichtlichen Zeiten Menschen mobilisieren, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Der Versuch gesetzlicher
Regulierungen würde hier nur eine Mentalität schaffen, die der Idee von Werte-Management im betrieblichen Alltag völlig widerspräche. Die Monitoringfunktion über das Werte-Management den Stakeholdern, also
den Mitarbeitern, den Kunden, den Lieferanten, der Öffentlichkeit usw., zu überlassen, ist weitaus effizienter,
als sie gesetzlich zu regulieren.
Das Gesetz wäre auch nicht durchsetzbar, denn man
kann nur Dinge regulieren, die man genau versteht. Bei
Garantieansprüchen von Kunden, bei der Arbeitszeit
oder der Arbeitssicherheit ist das zu einem großen Teil
der Fall. Aber bei all diesen globalisierungsbedingten
Herausforderungen etwa in Ländern, die weder ein
Arbeitsrecht kennen noch seine Durchsetzung, ist eine
gesetzliche Regulierung unmöglich. Das Problem von
Politik ist heute ja gerade, dass viele Gesetze das Aktionsfeld der Wirtschaft gar nicht mehr erreichen.
Seit der Neuzeit trauen wir der Moral nicht mehr viel
zu und regeln fast alles durch Gesetze. Denn das scheint
zuverlässiger zu sein und ist es in vielen Bereichen natürlich auch, weil der Staat ihre Einhaltung erzwingen
kann. Das hat lange gut funktioniert. Jetzt aber verliert
einer der zentralen Spieler, nämlich der Staat mit seiner
Regelsetzungs- und Durchsetzungsmacht, an Einfluss.
In einem solchen Moment sind Individuen und Organisationen gefordert, Moral zu aktivieren, weil Kunden und Öffentlichkeit das von ihnen erwarten. Ein
Unternehmen, das etwa Produkte vertreibt, die von
achtjährigen Kindern in Äthiopien hergestellt werden,
sieht sich nicht mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert, sondern mit einer Aktivisten- und Medienkampagne, die viel größeren ökonomischen Schaden erzeugt.
Das heißt: Das Druckpotenzial, der Erzwingungsmechanismus hat sich geändert. Die Kontrolle liegt heute
nicht allein beim Staat, sondern auch bei der Öffentlichkeit, bei der Zivilgesellschaft.
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