Abteilung 42, Staat und Demokratie Sektorvorhaben Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Good Governance und Demokratieförderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Ein Diskussionspapier Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ ) GmbH Abteilung Staat und Demokratie Sektorvorhaben Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Good Governance und Demokratieförderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Ein Diskussionspapier Eschborn 2004 AUTOREN UND KONTAKTE IMPRESSUM INHALTSVERZEICHNIS Autoren: Prof. Roland Czada und Dr. Markus Weilenmann Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH Postfach 5180, 65726 Eschborn Internet: http://www.gtz.de Einführung: Politische Ordnung und gesellschaftliche Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Prof. Roland Czada ist Professor für Politikwissenschaft/Staat und Innenpolitik an der Universität Osnabrück. Zuvor lehrte er Politikfeldanalyse und Verwaltungswissenschaft an der FernUniversität Hagen. Zwischen 2001 und 2003 war er außerdem Gastprofessor an der Graduate School in Humanities (WillyBrandt-Lehrstuhl für Transformationsforschung) der Universität Kapstadt und am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Tokio. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Politik der deutschen Vereinigung, die politische Ökonomie entwickelter Industriegesellschaften, politische Konfliktregelung und Interessenvermittlung sowie Staatstheorie und Verwaltungsforschung. Verantwortlich: Bernd Hoffmann Das Problem: Die Leistungsfähigkeit von Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Politische Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Der Ansatz: Institutionelle Einbettung des Regierungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Autoren: Prof. Roland Czada und Dr. Markus Weilenmann Das Ziel für die deutsche TZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Sektorvorhaben: Mitgestaltung politischer Rahmenbedingungen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Die Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Fotos: Rainer F. Steußloff, Corbis, Uwe Rau Dr. Markus Weilenmann ist Leiter des Büros für Konfliktforschung in Entwicklungsländern und arbeitet seit 1993 als Gutachter für die GTZ. Seine Forschungsschwerpunkte sind Fragen der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie der Krisenprävention in Subsahara Afrika. Zur Zeit wirkt er in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Sozialanthropologie (D-Halle) an einer Publikation zu „Projektrecht: Normative Ordnungen der bilateralen EZ und sozialer Wandel am Beispiel der Deutschen GTZ“ mit. I Der Anspruch: „Good Governance“ und Institutionenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Intervention durch Politikberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 II Die Wirklichkeit: „Good Governance“ und sozio-kulturelle Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 16 Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Der Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Layout: Eva Hofmann und Tobias Stier, Frankfurt am Main Druck und Vertrieb: Druckerei Lembeck, Frankfurt am Main Das Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kulturelles Erbe ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 ... und herrschaftspolitische Altlasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 IV Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Kontakte in der GTZ: Martha Gutiérrez Projektleiterin des Sektorvorhabens „Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ Telefon: ++49-(0)6196-79-1664 Mail: [email protected] Prof. Roland Czada Einführung: Politische Ordnung und gesellschaftliche Wirklichkeit I Der Anspruch: „Good Governance“ und Institutionenentwicklung Wie sieht eine politische Ordnung aus, die den Bür- hältnis im Spannungsfeld sozio-kultureller Faktoren. DAS PROBLEM: DIE LEISTUNGSFÄHIGKEIT freiwilliger Basis regelt. Solche Regelsysteme werden gern Gerechtigkeit, Beteiligung und Wohlstand garan- Beide bieten dabei interessante Erkenntnisse hinsicht- VON INSTITUTIONEN aufgrund ihrer Tradition anerkannt. Nicht selten sind tieren kann? In den vergangenen Jahrzehnten hat die lich der Ziele und der Umsetzung von Unterstützungs- Für die Entwicklung und Wohlfahrt eines Staates es aber auch Patrimonialrechte privilegierter Familien, Frage nach den Voraussetzungen und Kennzeichen maßnahmen seitens der TZ. Diese Darstellungsweise haben leistungsfähige politisch-institutionelle Koor- deren Einhaltung mit offener oder verdeckter sozialer einer guten politischen Ordnung zahlreiche Wissen- sowie das darauf aufbauende Fortbildungsmodul1 sol- dinations- und Steuerungsstrukturen entscheidende oder physischer Gewalt erzwungen wird. Unter solchen schaftler und Praktiker beschäftigt. Im Kern geht es len den Leser/-innen Argumente für die Auseinander- Bedeutung. Ohne entsprechende Institutionen, die Bedingungen kann sich ein moderner, demokratischer darum, wie die Institutionen des Staates beschaffen setzung mit den Themen Governance und Demokratie überprüfbare Verfahren und ein berechenbares Zu- Rechtsstaat nur schwer entwickeln. Ein Ausweg könnte sein müssen, damit sie den Bürgern zu Wohlstand ver- liefern. Dadurch kann sichergestellt werden, dass diese sammenwirken gesellschaftlicher Akteure gewährleis- darin bestehen, tradiertes Provinzialrecht im Rahmen helfen und ihr Bedürfnis erfüllen, in nachvollziehbarer, Themen nicht als starre Konzepte betrachtet werden, ten, steht jede Politik und jede entwicklungspolitische der Verfassung zu verankern und damit kontrollierbar moralisch verantwortlicher Weise und zugleich pro- sondern vielmehr als Rahmen für eine lebendige Maßnahme auf wackeligen Füßen. zu machen. Dies ist z. B. in der südafrikanischen Ver- blemlösungsorientiert regiert zu werden. Debatte über wünschenswerte Gesellschaftsentwürfe genutzt werden. Was ist hier mit dem Staat gemeint? Die politikwissen- fassung der Fall. Angestammte Rechte werden den Leistungsfähige Koordinations- und Steuerungsstruk- Zulukönigen in der Provinz Kwa-Zulu-Natal zugestan- turen kann der Staat nur zur Verfügung stellen, wenn den, sofern sie mit den Prinzipien der Verfassung vereinbar sind. schaftliche Diskussion definiert den modernen Staat Das BMZ-Referat 211 hat das Sektorvorhaben Mitge- er in seinem gesamten Territorium über das Gewalt- durch sein Monopol der physischen Gewalt und der staltung politischer Rahmenbedingungen damit be- monopol verfügt. Gewaltmonopol bedeutet das allei- Fähigkeit zur Wahrung des Rechtsfriedens und der auftragt, Konzepte und Instrumente für eine wirkungs- nige Recht des Staates zur legitimen Ausübung physi- Überlappende Rechtskreise sind indessen kein aus- Gerechtigkeit. Hinzu kommt die Existenz einer Staats- volle Stärkung von „Good Governance“ durch die TZ scher Gewalt. Wichtig ist hier das Adjektiv „legitim“. schließliches Phänomen außereuropäischer Gesell- verwaltung, die zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu entwickeln. Denn „Good Governance“ und die Er- Es bedeutet, dass die alleinige Befugnis des Staates schaften. Die europäische Geschichte kennt vom beiträgt. Aus der Erfüllung dieser Aufgaben bezieht füllung der fünf BMZ-Kriterien in Kooperationsländern zur Gewaltausübung in der Bevölkerung anerkannt sein Mittelalter bis ins vergangene Jahrhundert sich über- der Staat seine Rechtfertigung. Die Praxis lehrt jedoch, gelten inzwischen als grundlegende und unverzicht- muss. Bei konkurrierenden Ansprüchen gesellschaft- schneidende und sich widersprechende Jurisdiktionen. dass nicht jede Legalordnung auch eine legitime Ord- bare Voraussetzungen erfolgreicher Entwicklungszu- licher Gruppen auf das Recht der Gewaltausübung Die Strafrechtsordnung des Mittelalters litt unter dem nung und nicht jede Staatsverwaltung eine leistungs- sammenarbeit. ist eine friedliche Entwicklung kaum möglich. In einem westfälischen Femegericht, das über die Rekrutierung solchen Fall besteht eine ständige – latente oder von mehr als 1.000.000 Femegenossen seine Zustän- fähige Verwaltung ist: Um als Staat anerkannt zu sein, bedarf es des Legitimitätsglaubens der seiner Rechts- Mit diesem Beitrag hoffe ich, die Diskussion über manifeste – Gefahr von Bürgerkriegen. Ohne staatli- digkeit über ganz Mitteleuropa ausweiten konnte. Es ordnung und Administration unterworfenen Staats- geeignete Strategien zur Förderung von „Good Gover- ches Gewaltmonopol entsteht Unsicherheit, welches bedurfte erheblicher politischer Anstrengungen, dieses bürger. Damit stellt sich die Frage, wie ein Staat Legiti- nance“ und Demokratie anzuregen. Recht gültig ist. Das staatliche Gewaltmonopol ist mit zahlreichen Fehlurteilen verbundene System ab- immer auch ein Monopol zur einheitlichen Rechts- zuschaffen und dagegen ein Rechtsmonopol der ent- setzung und -sprechung. Bestehen auf einem Staats- stehenden Territorialstaaten zu errichten. Selbst im gebiet verschiedene Jurisdiktionen, erschüttert dies 18. Jahrhundert glich Mitteleuropa noch einem recht- mität – also die Anerkennung und Unterstützung in der Bevölkerung – gewinnen kann. In modernen Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre, Gesellschaften geschieht dies durch demokratische die Grundlage der Berechenbarkeit der Folgen des lichen Flickenteppich. Als nach dem Wiener Kongress (Output-Legitimität). In traditionalen Gesellschaften Martha Gutiérrez eigenen Handelns. Für die Wirtschaft ist dies fatal, das Rheinland mit Preußen vereinigt wurde, galt dort rechtfertigen sich Herrschaftsbeziehungen vornehm- Leiterin des GTZ-Sektorvorhabens weil z. B. nicht voraussehbar ist, ob und vor welcher neben dem preußischen Allgemeinen Landrecht noch lich durch angestammte (patrimoniale) Rechte, Tradi- Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Instanz erzwungen werden kann, Verträge einzuhalten. sehr lange sowohl westfälisches Provinzialrecht als Daher ist die Wirtschaft zumeist mehr an stabilen, auch napoleonisches Recht. Die Herstellung von berechenbaren politischen Verhältnissen als an demo- Rechtseinheit war auch in Europa lange Zeit mehr Ziel kratischen Strukturen interessiert. als Wirklichkeit, und sie ist bis heute nicht vollendet, Beteiligung (Input-Legitimität) und effektives Regieren tion und Religion. Diese Schrift versucht eine Reflektion zwischen wenn man über den Nationalstaat hinaus an die Euro- Anspruch und Wirklichkeit der Förderung von Good päische Union denkt. Governance und Demokratie anzuregen. Aus einer Die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols politikwissenschaftlichen Perspektive wird zunächst scheitert in Entwicklungsgesellschaften häufig an tra- das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft im dierten Rechtspositionen. Oftmals gibt es hier provin- Ein handlungsfähiger Staat und eine autonome Gesell- Kontext der formalen Staatsordnung dargestellt. Eine ziale Rechtskreise, in denen z. B. ungeschriebenes schaft bedingen sich wechselseitig. Individuen können rechtsethnologische Sicht betrachtet dann dieses Ver- Stammesrecht die gesellschaftlichen Beziehungen auf sich in einer Gesellschaft nur frei entfalten, wenn 1) GTZ - Lisy, Kerstin: Mitgestaltung politischer Rahmenbedingungen in der Technischen Zusammenarbeit : Ein Fortbildungskonzept, Eschborn, 2004 6 7 I Der Anspruch: „Good Governance“ und Institutionenentwicklung grundlegende Funktionen der Friedenssicherung und sozial-evolutorischen Herausbildung und Tradierung POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN UND als Garant gegen Übervorteilung auftritt. Die Trans- Rechtssicherheit wahrgenommen werden. Die Vor- oder – als ökonomische Governance-Institutionen – WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG aktionskostenökonomik weist auch darauf hin, dass stellung, ein starker Staat bedeute die Schwächung durch Austauschregeln bzw. Marktdynamiken von Die Gestaltung und Funktionsweise von Institutionen rigide, bürokratische Institutionen zur Erhöhung von der Gesellschaft und umgekehrt, eine starke ge- selbst. Gesellschaftliche Tauschbeziehungen legitimie- sind besonders für den wirtschaftlichen Erfolg eines Transaktionskosten beitragen können. Es kommt also sellschaftliche Aktivität führe zur Schwächung des ren sich durch den Tauschakt (Leistung und Gegen- Landes entscheidend. Die Struktur von Eigentums- nicht darauf an, irgendwelche Koordinationsinstitutio- Staates, ist abwegig. Es gibt keine auf individuelle leistung), während regulative Politik immer ein Maß der und Verfügungsrechten, die Regulierung von Märkten nen zu haben. Wesentlich ist die Schaffung von Insti- Freiheitsrechte gründende zivilgesellschaftliche Ent- Folgebereitschaft und einen Apparat zur Überwachung zur Gewährleistung von Transparenz und Wettbewerb tutionen, die tatsächlich den Austausch zwischen den wicklung ohne liberale Staatlichkeit und es gibt keinen und Erzwingung der Regeleinhaltung benötigt. Eine zwischen den Marktteilnehmern und die administra- gesellschaftlichen Akteuren reibungsloser gestalten. liberalen Staat ohne eine sich selbst organisierende Zwischenstellung nehmen hier Verbände mit freiwilliger tive Kapazität von Regierungen bei der Bereitstellung Ihr Nutzen liegt vor allem darin, dass sie die Akteure Bürgergesellschaft. Mitgliedschaft ein: Die Exit-Option ihrer Mitglieder öffentlicher Güter und Leistungen erwiesen sich binden (z. B. an Gesetze, Regeln, Konventionen) und begrenzt ihre Handlungsspielräume, steigert aber zu- sowohl aus theoretischer als auch aus empirisch ver- damit Erwartungssicherheit schaffen. Damit gewähr- gleich ihre Legitimität. gleichender Sicht als die entscheidenden Faktoren, leisten sie auch die Reibungslosigkeit des Verkehrs in von denen die Wohlfahrt eines Landes abhängt. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Es stellt sich die Frage, in welchem Umfang eine politische Verfassung und formale Regierungsinstitutionen im Sinne einer Staatsordnung nötig sind, um Die intermediären Institutionen der Interessenvermitt- einen Zustand friedlicher Konfliktregelung und erfolg- lung und verbandlichen Dienstleistungsproduktion Im Zentrum stehen die Begriffe Austausch und Kon- Zur Senkung gesellschaftlicher Transaktionskosten reicher kollektiver Problembearbeitung zu erreichen sind an den Schnittstellen zwischen Regelungs- und trolle. Austauschverhältnisse sind stets von der Gefahr tragen indessen nicht nur staatliche Institutionen bei. und in welchem Verhältnis eine solche Ordnung zur Leistungsstruktur angesiedelt. Kammern, Innungen, wechselseitiger Übervorteilung bedroht. Die Gegen- Auch gesellschaftliches Sozialkapital in Form von freien Vergesellschaftung der Individuen steht. Gesell- Gewerkschaften, Interessenverbände und sektorale leistung zu einer Leistung kann aus opportunistischen Assoziationen, Kooperationsnetzwerken, Familienstruk- schaft soll sich möglichst unbeeinträchtigt von staat- Dienstleistungsverbände haben eine Scharnierfunktion Gründen verweigert werden: Ein Gut wird nicht bezahlt, turen etc. kann den Verkehr der gesellschaftlichen licher Bevormundung frei entwickeln können; der zwischen Staat und Gesellschaft. Sie bilden die Or- eine vereinbarte Arbeitsleistung wird nicht erbracht Individuen reibungsloser gestalten und insofern wohl- Staat schafft idealerweise nur die Voraussetzungen. ganisationsgesellschaft. Die Selbstorganisation der oder nicht entlohnt, Verträge werden nicht eingehalten. fahrtssteigernd wirken. Diese bestehen in einem funktionierenden und aner- Zivilgesellschaft hat sich in vielen vergleichenden Solche Übervorteilungen werden durch Intransparenz, kannten System der Satzung und allgemeinen Durch- Länderstudien als Voraussetzung für wirtschaftliche unzureichend definierte Eigentums- und Verfügungs- Der Begriff des Sozialkapitals bezieht sich auf die setzung von Regeln des friedlichen Zusammenlebens, Entwicklung herausgestellt. Sie kann hinsichtlich ihrer rechte, fehlende oder unzureichende Regelwerke, Fähigkeit sozialer Gruppen, ihre Probleme durch der verbindlichen Streitschlichtung und der Kompen- Ordnungsfunktionen als gesellschaftliches Pendant Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten begünstigt. kollektives Handeln selbst zu lösen. Voraussetzung sation benachteiligter Gruppen, den Governance- zum liberalen Verfassungsstaat betrachtet werden. Kurz: Ohne geeignete institutionelle Einbettung funk- sind Solidarmodelle, d. h. Formen der Kooperation Institutionen. Gesellschaftliche Interessen- und Dienstleistungs- tioniert der gesellschaftliche und ökonomische Aus- zur Erreichung gemeinsamer Ziele und die Fähigkeit, verbände wirken auf die staatliche Politikentwicklung tausch zwischen einander fremden Individuen nicht Kooperationserträge nach allgemein anerkannten Dieser Entfaltungsraum der Zivilgesellschaft wird durch ein – sei es auf dem Wege korporativer Beteiligung oder nur unzureichend, das heißt unter Inkaufnahme Regeln zu verteilen. Solche Solidarmodelle sind: Regelungs- und Leistungsstrukturen gestaltet. Rege- oder in Form von pressure politics. Verbände sind hoher Transaktionskosten. Diese Kosten bestehen Verbände, Familien, Nachbarschaftshilfen, Kammern, lungsstruktur bezeichnet die politisch-institutionelle, aber auch Brückenköpfe staatlicher Intervention in die aus Informationskosten, Verhandlungskosten, Ver- NRO, Sozialversicherungen, Bildungssysteme etc.. insbesondere rechtliche Konstitution von gesellschaft- Gesellschaft. Staatliche Einwirkung auf die Bildung tragskosten, Erzwingungskosten. Ohne institutionelle Im Allgemeinen kann von sozialen Netzwerken lichen Handlungsfeldern. Der Begriff Leistungsstruktur gesellschaftlicher Verbände, wie sie idealtypisch im Einbettung müsste jede Transaktion bilateral gegen gesprochen werden, die sich durch Reziprozitäts- bezieht sich auf außerstaatliche, sozio-kulturelle und Kammerwesen verwirklicht wurde, ist ein Instrument Übervorteilung abgesichert werden; die Transaktions- regeln und wechselseitiges Vertrauen stabilisieren. ökonomische Governance-Institutionen (z. B. die indirekter Kontextsteuerung. Ein Großteil staatlicher und Erzwingungskosten würden ins Unermessliche Formen von Sozialkapital sind auch die institutionellen soziale Einbettung von Austauschstrukturen, Markt- Politik wird in den Industrienationen unter Einbezie- steigen. Vorkehrungen zur sozialen Nutzung von Common strukturen, etc.). hung von gesellschaftlichen Verbänden formuliert und Pool Ressourcen (Common Pool Ressourcen sind implementiert. Zahlreiche öffentliche Aufgaben werden So wird es nachvollziehbar, dass in entwickelten Ge- Ressourcensysteme, die kollektiv bewirtschaftet aber Die Legitimation von sozio-kulturellen und die sozio- teilweise oder ganz von außerstaatlichen Dienstleis- sellschaften die Rolle des Staates vor allem darin individuell genutzt werden, wie z. B. Infrastruktur- ökonomische Leistungsstruktur betreffenden Gover- tungsverbänden wahrgenommen. Dies gilt traditionell besteht, Transaktionskosten zu senken, die im gesell- einrichtungen, Verkehrswege, Wasserversorgungen, nance-Institutionen erscheint unproblematisch. Diese für das mitteleuropäische Politikmodell und den so schaftlichen Verkehr zwischen den Individuen anfallen. Schulen). Institutionen legitimieren sich durch die Art ihrer genannten rheinischen Kapitalismus. Der Staat agiert dabei vor allem als dritte Partei, die 8 9 I Der Anspruch: „Good Governance“ und Institutionenentwicklung DER ANSATZ: INSTITUTIONELLE EIN- Akteure bewegen sich historisch innerhalb eines Ent- sind. Ob sie festgeschrieben und eingehalten werden, änderung gelingen. Die in einem Lande oft in einem BETTUNG DES REGIERUNGSHANDELNS wicklungspfades, dessen Spielräume in einem beträcht- ist eine Frage von „Good Governance“. Das Konzept erheblichen Maße kulturell verankerten Strukturen Als „Governance“ bezeichnen wir die institutionelle lichen Maße durch die in der Vergangenheit ausge- birgt keine Gefahr für die kulturelle Autonomie unter- institutioneller Koordination lassen sich nur unzu- Koordination von politischen und ökonomischen bildeten Strukturen, überlieferten Situationsdeutungen schiedlichster Entwicklungsgesellschaften. „Good reichend, zumindest aber nicht rasch durch gezielte Beziehungen, die sich in spezifischen Politikfeldern und eingeübten strategischen Muster bestimmt sind. Governance“ ist – im Gegenteil – eine Voraussetzung Intervention herstellen. Intervention erfordert in jedem für die freie kulturelle und individuelle Entfaltung. Fall genaueste Kenntnisse bereits vorhandener Ge- oder um Klassen von Gütern oder Dienstleistungen, also in Wirtschaftssektoren, herausbilden. In der rei- „Good Governance“ als aus der Governance-Diskus- nen Form handelt es sich um folgende Koordinations- sion abgeleitetes normativ gestütztes Konzept be- Die Garantie der Menschenrechte kann sich nicht auf pflogenheiten, an die bei der Entwicklung besserer mechanismen bzw. Ordnungsformen: Hierarchien zeichnet einen optimalen, institutionell abgesicherten Versprechen einer Regierung stützen, sondern muss – (Staat, Unternehmen, organisierte Kirchen), Märkte Entfaltungsraum für gesellschaftliche Individuen. Der wie der Begriff Menschenrechte besagt – auf Rechts- Dennoch sind politische Institutionen durch ihre for- (Güter- oder Wählermärkte), Assoziationen (Verbände, Begriff bezieht sich somit nicht auf politische Führung, garantien gegründet werden. Sie werden durch Rechte male Verfasstheit und daher Gestaltbarkeit von sozio- locker organisierte Glaubensgemeinschaften) und sondern auf die institutionelle Einbettung des Regie- des Individuums gegenüber dem Staat (staatsgerich- kulturellen Institutionen wie Sprache, Bräuche, gesell- soziale Netzwerke (Clans, Stämme, Familien, unor- rungshandelns. Allenfalls kann von der Führung tete Abwehrrechte), durch die Gleichheit vor dem schaftliche Konventionen zu unterscheiden und bieten ganisierte Glaubensgemeinschaften). Die Wirklichkeit politischer Akteure im Rahmen guter, d. h. effektives Recht (Gleichheitsgebot), durch einen verfassungs- einen der wenigen Ansatzpunkte zur Unterstützung kennt indessen zahlreiche Mischformen, hybride Regieren ermöglichenden Institutionen gesprochen mäßigen Minderheitenschutz und durch die staatliche entwicklungsorientierter Rahmenbedingungen. Governance-Strukturen, in denen zum Beispiel staat- werden. Es handelt sich um institutionelle, auf Dauer Ordnung insgesamt (Strafgesetze, Eigentumsordnung liche und private Hierarchien – Behörden und Unter- gestellte, wechselseitige Verlässlichkeit gewährleis- etc.) gewährleistet. Moderne Verfassungen – wie sie DAS ZIEL FÜR DIE DEUTSCHE TZ nehmen – oder Verbände zusammenwirken. tende Konfliktregelungsmechanismen. freilich in den wenigsten Ländern der Erde existieren – Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit trägt der basieren auf weitgehenden Grundrechtsgarantien und Bedeutung von „Good Governance“ Rechnung. Dies Strukturen anzuknüpfen wäre. Während die neoklassische Theorie des Marktes Institutionen, die als legitim und allgemein verbind- konstituieren dazu gegenmajoritäre Kontrolleinrich- wird schon aus den BMZ-Leitlinien deutlich, die zwei für Koordination als spontanes Ergebnis von Wahlhand- lich anerkannt werden, lassen sich allerdings nicht tungen wie ein Verfassungsgericht oder föderative die gegenwärtige EZ bedeutende Sachverhalte zeigen: lungen betrachtet, die von dem Ziel unmittelbarer einfach von einem Land auf ein anderes übertragen. Strukturen, die eine effektive Kontrolle der politischen Die Geberländer verfolgen nicht mehr nur ökono- Nutzenmaximierung geleitet sind, betont der Gover- Dennoch ist der unter dem Begriff „Good Governance“ Exekutive und damit auch staatsgerichtete Abwehr- mische und soziale Entwicklungsziele, sondern nance-Ansatz das Interesse der Akteure an der diskutierte Ansatz einer einmaligen republikanischen, rechte (Bürger und Menschenrechte) und den Schutz auch politische und administrative. Dies ist eine Verlässlichkeit und Berechenbarkeit von Austausch- liberal-demokratischen Ordnungsform, universalistisch. von Minderheiten gewährleisten. Es muss staatliche Neuerung. Die frühere EZ versuchte ökonomische beziehungen. Dieses Interesse resultiert aus der Damit gerät er leicht in den Verdacht einer neuen Organe geben, die von der Verfassung ermächtigt Entwicklungsziele mit bestimmten technischen mangelnden kognitiven Fähigkeit zur Kalkulation von Kolonisierung der Entwicklungsländer, die nun zu sind, die Regierung zu kontrollieren oder zu bremsen. Mitteln zu erreichen. Die Politik des Empfänger- Handlungsfolgen, aus dem Risiko der Täuschung bestimmten Regierungs- und Verwaltungsstrukturen und Übervorteilung durch andere Akteure und aus angehalten, wenn nicht gar gezwungen werden. landes interessierte dabei nur aus der Perspektive Dennoch muss berücksichtigt werden, dass Institu- der zwischenstaatlichen, internationalen Beziehun- ionen, namentlich sozio-kulturell eingebettete gesell- gen. Die innerstaatliche Perspektive, Fragen der Eine zentrale Prämisse des Governance-Ansatzes schaftliche Institutionen, nicht beliebig geschaffen inneren Verfassung der Empfängerstaaten hatten – besagt jedoch, dass die liberal-demokratische, rechts- werden können. Sie bilden sich vielmehr evolutorisch abgesehen von der Zuordnung zum kapitalistischen Zur Governance eines Landes gehören auch die staatliche politische Verfassung ihrer Idee nach für in einem staatlich-verfassten und kulturell vorgefunde- oder sozialistischen Lager – dagegen geringere „Schnittstellen“ des politisch-administrativen Systems eine Pluralität kultureller Traditionen und individueller nen gesellschaftlichen Kontext heraus. Solche Prozes- Bedeutung. Dies hatte vor dem Hintergrund des mit den gesellschaftlichen Teilsystemen, insbesondere Lebensweisen offen ist, sofern diese nicht auf die se der Institutionenbildung sind von komplexer Eigen- Kalten Krieges in erster Linie (aber nicht nur) macht- der Ökonomie. Weiterhin gehören dazu die symboli- Zerstörung der Grundlagen dieser Ordnung hinaus- dynamik gekennzeichnet und politischer Intervention politische Gründe. Das völkerrechtliche Prinzip der schen Deutungen der Wirklichkeit, die sich kollektive laufen. Diese Grundlagen sind: Unverletzlichkeit und kaum zugänglich. Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten Akteure zu Eigen machen, die Relevanzkriterien, die freie Entfaltung der Person, Meinungsfreiheit, Ver- sie an politische Probleme herantragen, und ihre Vor- sammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Religionsfrei- Die bewusste Schaffung von im Idealfall politisch Die vergleichsweise abstrakten Prinzipien guter stellung über den möglichen Spielraum an Handlungs- heit, Gleichheit vor dem Recht, Unverletzlichkeit der demokratischen und ökonomisch effizienten Gover- Regierungspraxis sind von unmittelbarer praktischer alternativen. Entwicklung ist in diesem Rahmen in Wohnung etc. Dies sind Garantien, die in den Grund- nance-Strukturen ist demnach äußert schwierig und Relevanz für die Entwicklungszusammenarbeit. hohem Maße „pfadabhängig”, das heißt, die kollektiven rechtskatalogen politischer Verfassungen festgelegt kann nur als Projekt schrittweiser, inkrementeller Ver- Dies zeigt sich in zahlreichen Projekten, die eigens Machtungleichgewichten und Gewaltpotenzialen, denen sich die Akteure ausgesetzt sehen. 10 souveräner Staaten zog hier enge Grenzen. 11 I Der Anspruch: „Good Governance“ und Institutionenentwicklung dafür eingerichtet wurden, und in dem Bemühen, leicht abzuleiten, dass „Good Governance“ in der Prozesse von unsicherer Erfolgsaussicht, weil hier Andererseits erscheinen Interventionen in eigendyna- die gesamte Entwicklungszusammenarbeit auf die internationalen Zusammenarbeit auf unterschiedlichste komplexe nichtlineare Mikro-Makro-Prozesse ablau- mische, gesellschaftliche Prozesse aus normativer fünf Kriterien der deutschen EZ auszurichten. Das Weise unterstützt wird. fen, die grundsätzlich nicht steuerbar sind. Neben Sicht des bürgerlichen Rechtsstaates als fragwürdig. Ergebnissen der Policy-Analyse untermauern Simu- Der liberale Rechtsstaat verspricht, die Autonomie der So umfasst beispielsweise die Umsetzung der lationsstudien aus der Entwicklungspolitik diesen gesellschaftlichen Subjekte zu schützen, also gerade reiche und funktionalen Aspekte der beteiligten BMZ-Kriterien drei Schwerpunkte bzw. Praxisfelder: Befund. In den meisten Fällen kommt bei solchen nicht als Kulturstaat aufzutreten, der in die Denk- und Organisationen und ihrer Aufgabenerfüllung gleich- 1. Berücksichtigung der BMZ-Kriterien in allen Pro- Interventionen das Gegenteil dessen heraus, was Lebensweisen der Bürger eingreift. Es wäre wider- jekten als entwickungs- und organisationspolitische beabsichtig war. Als einzige Möglichkeit kann die sinnig, den liberalen Rechtsstaat zu propagieren und Querschnittsaufgabe heißt: Wir haben es hier mit einer Querschnittsaufgabe zu tun, die alle organisatorischen Teilbe- ermaßen betrifft. Das Ziel entwicklungsförderlicher dezentrale Kontextsteuerung gesehen werden, bei zugleich sozio-kulturelle Transformationsprozesse 2. Direkte Förderung politisch-administrativer Rah- der nicht direkt in die zu verändernden Zielsysteme bis ins Einzelne steuern zu wollen. Gleichwohl sind lungszusammenarbeit erreicht werden. Hinzu treten menbedingungen in bestimmten Sektoren wie interveniert wird. Stattdessen wird versucht, durch Regierungen und Staatsverwaltungen bestrebt, das spezifische Projekte z. B. der Verwaltungs- und Justiz, Bildung, Fachverwaltungen (z. B. Wasser- Kontextualisierung und die Beeinflussung von Verhalten der Bürger zu beeinflussen und oft auch zu Justizreform. Die Nachhaltigkeit solcher Reformen wirtschaftsverwaltung, Medienaufsicht, Straßen- Systemumwelten bestimmte Zustandsänderungen kontrollieren – gerade wenn es darum geht, die ge- bauämter etc.) zu erreichen. sellschaftliche und ökonomische Entwicklung in eine kann aber nur gesichert werden, wenn auch auf der Ebene der politischen Verfassung und der 3. Gestaltung der verfassungspolitischen und Regierungsorganisation Vorkehrungen zur Siche- sozialorganisatorischen Rahmenbedingungen rung von demokratischer Beteiligung und zur (Verfassungs- und Regierungsreform, Beratung Stärkung des Vertrauens in das politische System zivilgesellschaftlicher und halbstaatlicher Dienst- getroffen werden. leistungsverbände (z. B. Wohlfahrtsverbände, Kammern) und Organisationen der Interessen- Der Governance-Ansatz verkörpert ein realitätsnahes, vermittlung (Parteien, Gewerkschaften etc.) praktikables Konzept. Er besagt, dass politische Konflikte und Koordinationsprobleme auf ganz unter- Im Rahmen der so verstandenen Entwicklungszusam- schiedliche Art und Weise bewältigt werden können. menarbeit besteht die große Gefahr, im Zuge von sozio-kulturellen Interventionen, bestehendes Sozial- Der Ansatz ist offen für vernetzte, lose gekoppelte oder kapital zu zerstören. Durch Entwicklungspolitik und hierarchische Regierungs- und Verwaltungsstrukturen. Kolonialismus ausgelöste Entwicklungsrückschläge Er betont die Vorzüge offener Märkte, zeigt aber auch nehmen häufig hier ihren Anfang. Interventionen zer- die Vorteile von regulierten oder von sozialen Netzwer- stören oft unbeabsichtigt traditionelle soziale Netz- ken durchsetzten Märkten. „Good Governance“ steht werke. Damit verlieren auch traditionelle Ökonomien insofern nicht für den „one best way“ (wie der Begriff ihre soziale Einbettung. Dementsprechend ist eine vielleicht vermuten lässt), sondern gesteht eigenstän- informierte und auf die Bedürfnisse der Partner und dige Wege zu. Jedes Land hat eigenständige politische, ihres gesellschaftlichen Umfeldes angepasste Bera- ökonomische und kulturelle Koordinationsinstitutionen tungsleistung von größter Bedeutung. entwickelt, die auch im Zeitalter der Globalisierung fortbestehen, beziehungsweise sich auch unter dem Druck neuer Herausforderungen pfadabhängig, an der INTERVENTION DURCH POLITIKBERATUNG eigenen Vergangenheit orientiert, weiterentwickeln. Während staatliche Gestaltungspotentiale gegenüber der Organisationsgesellschaft vergleichsweise aus- DIE UMSETZUNG geprägt sind, erscheinen Interventionen in sozio-kul- Aus der großen Bedeutung, die „Good Governance“ turelle Substrukturen problematisch. Einerseits sind für den Entwicklungsprozess zugeschrieben wird, ist Interventionen in eigendynamische, gesellschaftliche 12 reformorientierte Regierung reformorientierte Gesellschaft allein im Querschnitt aller Projekte der Entwick- reformresistente Gesellschaft politischer Rahmenbedingungen kann aber nicht reformresistente Regierung Günstigste Bedingung für Regierungsberatung und darauf abgestimmte TZ im gesellschaftlichen Bereich. Schwerpunkt der Beratung: Verfassung, Verwaltung, Interessenvermittlung (Parteien und Produzentenverbände) Hilfen zur Organisation der Gesellschaft (NRO, Verbände, Kammern, zivilgesellschaftliche Initiativen, Kooperationen) stehen im Vordergrund Kulturelles Umfeld verändert sich sozial-evolutorisch autonom aus der Gesellschaft heraus und sollte daher nicht Gegenstand der Intervention sein. TZ als Mittel zur Förderung geeigneter sektoraler Governance Strukturen (Einbettung technischer Artefakte (Wasserversorgung, Rundfunk, Energieanlagen, etc.) in Institutionen der Verwaltung, Konfliktregelung, Kooperation und Verteilung). Instrumente: Unterstützung beim Aufbau komplexer politischer Governance-Institutionen (Verfassung, Recht, Verwaltung) Instrumente: Sektorale Kontextsteuerung, Organisationshilfen in Teilsektoren, Unterstützung gesellschaftlicher Advocacy-Koalitionen Kulturelles Umfeld ist ein lohnender Gegenstand der Intervention (und der vorbereitenden Analyse). Die Unterstützung von sozialen Bewegungen gegen den Erhalt traditioneller sozialer Privilegienstrukturen sollte im Vordergrund stehen. TZ prämiert die Überwindung von kulturellen Entwicklungshemmnissen. Politische Intervention erscheint insgesamt eher aussichtslos. Beobachtung und Unterstützung kleiner Reforminitiativen – soweit vorhanden – sind möglich. Unterstützung von reformorientierter Regierungspolitik, sofern sie nicht auf eine Entwicklungsdiktatur hinausläuft. Konzentration der TZ auf die Ausstattung technischer Anlagen mit sektoralen Governance-Institutionen. Ziele solcher Lenkungs- und Beteiligungsinstitutionen: Förderung der Nachhaltigkeit, Kooperation, Verteilungsgerechtigkeit. Instrumente: Gesellschaftsanalyse, Organisationsberatung, Aufklärung, Advocacy Instrumente: Gesellschafts- und Politikanalyse, dezentrale Kontextsteuerung 13 I Der Anspruch: „Good Governance“ und Institutionenentwicklung bestimmte Richtung zu lenken, also Entwicklungs- parat hat, sondern vor allem davon, ob sie in einem den. Daher sind zwei Aspekte wichtig, welche die strukturen erfordert behutsame Interventionen. politik zu betreiben. Der in seiner Gewalt gezähmte von der Bevölkerung anerkannten, in der Gesellschaft Voraussetzungen legitimer Staatlichkeit verbessern: Allzu leicht wird durch unbedachte Intervention moderne Rechtsstaat greift meist nicht direkt in das verwurzelten Institutionensystem operieren kann, das zivilgesellschaftliche Organisationen im Inneren sozio-kulturelles Sozialkapital (soziale Netzwerke Leben seiner Bürger ein, sondern bedient sich der es erlaubt, die Problemlösungen als legitime Politik eines Landes und die von außen initiierte Ächtung und traditionelle Governance-Strukturen) zerstört, Kooperation zivilgesellschaftlicher Verbände. Die zu formulieren und möglichst zielgenau umzusetzen. von Diktaturen durch die internationale Staaten- wie die Geschichte der Entwicklungspolitik zeigt. Legitimität und Effizienz solcher indirekten „sanfter“ Die Organisation der Gesellschaft ist ein für den Erfolg gemeinschaft. Das Problem besteht bei der Umsetzung des libe- Eingriffe sind zumeist höher, als wenn der Staat seine politischer Maßnahmen oftmals entscheidendes Maßnahmen von oben herab, direkt, autoritär und Moment. ralen Rechtsstaates darin, bestehendes, mit diesen FAZIT Kriterien kompatibles Sozialkapital zu erhalten. Zum Verhältnis von Politik, Staat und Gesellschaft und Zugleich muss aber klar sein, dass jede kulturelle Damit einhergehend müssen die Dezentralisierung den Voraussetzungen gesellschaftlicher Entwicklung Äußerung, die sich als feindlich gegenüber der Ob die europäische Rechtsstaatsidee in außereuro- von Verantwortungsstrukturen, der Finanzen und/oder lassen sich sechs Thesen aufstellen: Rechtsstaatsidee herausstellt, als menschenver- päischen Kulturkreisen die erwünschten Entwicklungs- der Zuteilung öffentlicher Güter und Dienstleistungen 1. Das liberale Rechtsstaatskonzept beansprucht achtend entlarvt und im Rahmen der vorhandenen effekte auslöst, wurde lange angezweifelt. Inzwischen auf lokaler Ebene umgesetzt werden. Dies erfordert universelle Gültigkeit. Ideengeschichtlich basiert dürfte zumindest geklärt sein, dass die Rechtsstaats- starke rechtsstaatliche Kontrollstrukturen. Demokratie es auf der Forderung individueller Freiheitsrechte idee mit den verschiedensten Kulturen vereinbar ist. reicht zur Kontrolle nicht aus, weil niemals die Ge- und kultureller Autonomie. Der Rechtsstaat ist Aus diesen Erkenntnissen lässt sich folgern, dass EZ, Japan, Südafrika und die USA haben eine liberal- samtheit des Volkes wenige Herrschende – auch wenn seinem Selbstverständnis nach kulturunspezifisch. die zur Demokratisierung des politischen Prozesses demokratische Verfassungsordnung und zugleich un- sie gewählt sind – kontrollieren kann. Ohne ein aus- 2. Zu den grundlegenden Voraussetzungen des libe- und/oder zur konstruktiven Beeinflussung der politi- terschiedlichste sozio-kulturelle Strukturen und Tradi- gebautes System der Interorgankontrolle, d. h. der ralen Rechtsstaates zählen unabdingbare Grund- schen Rahmenbedingungen von Entwicklung beitragen tionen. Das heißt allerdings nicht, dass eine liberal- wechselseitigen Kontrolle von Regierungsorganen rechte aller Menschen. Zu diesen Grundrechten möchte, folgende Anforderungen berücksichtigen demokratische Ordnung auf jeder kulturellen Grund- ergänzt durch die Watchdog-Funktion starker gesell- zählen: Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, muss: lage gedeihen kann. Eine spezifische Arbeits-, Er- schaftlicher Verbände, können Demokratie und eine Vereinigungsfreiheit, Religionsfreiheit, etc. werbs- und Fortschrittsethik spielt ebenfalls eine Rolle. leistungsfähige Wirtschaft nicht gedeihen. Hier wäre zentralistisch verfügt. 3. Individuelle und gesellschaftliche Freiheitsrechte Möglichkeiten kritisiert und bekämpft wird. Das gesellschaftliche Gefüge und das politisch institutionelle System sind möglichst genau zu auszuloten, wie die oftmals vorhandenen Traditionen können nur staatlich verbürgt werden. Nur das analysieren, bevor an eine irgendwie geartete Inter- Mit der modernen Gesellschafts- und Staatenbildung zentralistischer Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen Gewaltmonopol des Staates kann die Menschen- vention gedacht werden kann. wurden auch in Europa traditionale Lebensweisen geschwächt werden können. Zugleich darf sich rechte und politischen Grundrechte schützen und EZ-Interventionen müssen sich so gut wie möglich zurückgedrängt. Interessanterweise ist dieser Prozess EZ nicht ausschließlich den wirtschaftlichen Fragen jene bestrafen, die diese Rechte missachten oder den existierenden Institutionen anpassen und diese in den europäischen Staaten von ganz unterschied- zuwenden. Also ist es wichtig, dass ökonomische des eigenen Vorteils wegen abschaffen möchten. zugleich in ihrem Reformprozess begleiten und lichen Reformkoalitionen getragen worden. Aus der Interessengruppen in anderen, nichtökonomischen Entwicklung des liberalen Rechtsstaates in Europa gesellschaftlichen Organisationen – Parteien, Bürgerini- tutionen können der Gesellschaft und ihrer Wirt- Die Legitimität staatlicher Entscheidungen ist und Nordamerika können Lehren für eine unter dem tiativen, Kirchen – ein Korrektiv vorfinden und zugleich schaft Freiräume und Erwartungssicherheit dennoch stets kritisch zu hinterfragen. Ist diese Signum von „Good Governance“ stehenden Entwick- die internationale Staatengemeinschaft auf die Ein- verschaffen, die den Austausch zwischen den anzuzweifeln oder fehlt sie gar, sollte das in der lungszusammenarbeit gezogen werden. Unter der haltung von demokratischen Beteiligungsformen und Individuen erleichtern. Diese Institutionen senken EZ auch sichtbar gemacht werden. Annahme, Reformkräfte würden sich jeweils im Staat der Menschenrechte einwirkt. ökonomische Transaktionskosten und tragen in- Es kommt insbesondere im Rahmen der Politikbe- sofern zur Wohlfahrtssteigerung bei. ratung darauf an, reformorientierte Kräfte in Staat oder in der Gesellschaft oder in beiden Sphären 4. Nur effektive staatliche Konfliktregelungsinsti- konzentrieren, ergibt sich eine Vierfeldertafel, aus Aus der Sicht der deutschen EZ sollte ein staatliches der weitere Aufschlüsse für eine Strategie und Ansatz- Gewaltmonopol überdies nur dann Chancen auf An- voraussetzungsvoller, entwicklungsgeschichtlicher punkte der Politikberatung im Sinne des „Good- erkennung haben, wenn es an liberal-demokratische Zustand, der nicht nach einem „master plan“ her- Governance-Konzeptes“ gewonnen werden können: Basisinstitutionen gebunden ist und damit die BMZ- gestellt oder kopiert werden kann, sondern orga- Kriterien erfüllt. Ist dies nicht der Fall, so haben die nisch in seinem jeweiligen gesellschaftlichen und Die „Regierbarkeit“ und das „Gemeinwohl“ eines Lan- Bürger der liberalen politischen Theorie zufolge ein kulturellen Kontext wachsen muss. des hängen nicht allein davon ab, ob eine Regierung Widerstandsrecht gegen die Regierung. Dies nutzt angemessene Problemlösungen nach Rezeptwissen ihnen freilich wenig, wenn sie dabei ihr Leben gefähr- 14 5. Die Organisation von Staatlichkeit ist ein höchst unterstützen. und Gesellschaft zu identifizieren und an deren individuellen Umstände angepasst zu stärken. 6. Die Entwicklung von „Good Governance“, d. h. von gesellschaftlichen Ordnungs- und Koordinations- 15 Dr. Markus Weilenmann II Die Wirklichkeit: „Good Governance“ und sozio-kulturelle Entwicklung DAS PROBLEM wachsender Zahl auf sich selbst zurückgeworfenen sozialen Freiheitsrechten und andererseits der For- sozio-kulturellen Baugrundes auszuschlagen. Um Mit dem vom BMZ verabschiedeten Leitbild der globa- Bevölkerungssegmente greifen auf das zurück, wo- derung nach sozio-kultureller Angepasstheit entspro- richtig verstanden zu werden: len nachhaltigen Entwicklung2 (1996), das in allen Län- rüber sie noch verfügen; und die von den externen chen werden kann, wenn elementare Grundsätze der Die Berücksichtigung des sozio-kulturellen Bau- dern des Südens auf politische Reformen in Richtung Donatoren nicht mehr bedingungslos getragenen menschlichen Würde den lokalen Mustern teils fun- grundes dient hier nicht dazu, Aspekte der tradier- Demokratisierung der politischen Strukturen abzielt, Staatsklassen sehen sich vermehrt zu innengerichteten damental widersprechen – und umgekehrt. Engagiert ten Identität (oder was man dafür hält) mit grund- tritt ein zentrales Umsetzungsproblem in den Vorder- Legitimationsstrategien gezwungen, die angesichts weisen sie auch auf die Instrumentalisierungsgefahr legenden Aufgaben der Entwicklung, etwa dem grund. In allen Entwicklungsländern steht der gefor- fehlender Entwicklungsfortschritte auf eine Reaktivie- des sozio-kulturellen Arguments hin, das von den Aufbau generalisierter Gesetze und bürokratischer derten Demokratisierung eine äußerst problematische rung traditioneller Identitätsmechanismen gerichtet unterschiedlichsten Interessengruppen in Form ethni- Organisationen verschmelzen zu wollen. Davon Geschichte der politischen Herrschaftssicherung sind.“ scher Kampfideologien wiederkehrt oder gegen die abgesehen, dass eine solche Verschmelzung sich internationalen Menschenrechtsdeklarationen gewen- höchstens ausnahmsweise realisieren ließe, weil Im Endeffekt wird damit das kulturelle Erbe nicht nur det werden kann (nationalistische Ethnizität, Islam, sie eine über die eigene Verwandtschaftsgruppe gegenüber, die als politisches Erbe je nach Land und Kontinent tief in die feudale Vergangenheit hineinrei- für die dortigen Machteliten, sondern auch für eine China). Den konventionellen Modernisierungsansätzen hinausreichende Solidarität voraussetzte, bestünde zudem, dass die wirtschaftliche Entwicklung der länd- staatliche EZ, die sich in das verminte Feld politischer verpflichtet plädieren sie deshalb dafür, Fragen nach auch die Gefahr, einem irgendwie gearteten, meist lichen Bevölkerungsmehrheiten mit der nun geforder- Entscheidungsabläufe begibt, zunehmend entschei- der Beschaffenheit des sozio-kulturellen Baugrundes idealisierten Traditionsbild aufzusitzen. Die Berück- ten Demokratisierung kaum Schritt zu halten vermag. dungsrelevant. Denn entwicklungspolitische Forderun- höchstens in Ausnahmefällen zuzulassen. „Demokra- sichtigung dieses Baugrundes ist vielmehr not- Die Ursachen liegen erstens in der problematischen gen wie etwa die nach Umsetzung des BMZ-Leitbildes tie“ – so ihr Tenor – sei wie „Rechtsstaatlichkeit“ ein wendig, um nicht völlig abgehobene TZ-Programme Staatsgeschichte vieler Entwicklungsländer: Die der globalen nachhaltigen Entwicklung bekommen universelles Modell von Governance und lasse sich zu entwickeln, die ohne wirklichen Bezug zu den von den Kolonialmächten eingeführten Rechts- und es in solchen gesellschaftlichen Kontexten zwingend überall umsetzen. sozialen Gegebenheiten eines Landes und dessen Staatsordnungen beziehen sich auf die bürokratische mit Fragen der Beschaffenheit des sozio-kulturellen Verwaltungslogik, bewegen sich auf einem relativ Baugrundes zu tun, der sich unter dem brüchigen Mo- Vorliegende Schrift distanziert sich von solchen An- fakte schaffen – im schlimmsten Fall gar politische abstrakten Niveau, setzen ein stark funktionalisiertes dernisierungspflaster auftut. sätzen. Sie versteht sich als Plädoyer für ein strate- Dynamiken in Gang setzen, die jenseits des gisch differenziertes Vorgehen, das sich an der kultu- Wünschbaren von TZ liegen. chen kann. Für alle nicht-europäischen3 Länder gilt Handeln voraus und sind kulturell und/oder gesell- Entwicklungsstand im besten Fall nichts als Arte- schaftlich oft nur schwach integriert. Zweitens über- Nun prallen aber gerade an der „kulturellen Frage“ rellen Heterogenität der Partnerländer orientiert. Dem lagert der moderne Verwaltungsstaat ein koloniales die unterschiedlichen Ansätze, die die Debatte über Hinweis auf allfällige Instrumentalisierungsgefahren – DER ANSATZ Herrschaftsmodell feudaler Provenienz, das besonders „Demokratieförderung“ und „Gestaltung politischer wiewohl richtig und in einigen Ländern wie Rwanda, Hier wird versucht, das sozio-kulturelle Argument in den armen und ländlichen Räumen Lateinamerikas Rahmenbedingungen“ prägen, mit unverminderter Burundi, Indonesien oder China auch berechtigt – ist mit dem strukturpolitischen zu verknüpfen. Diese Ver- das kulturelle Erbe fast vollständig überwölbt und sich Heftigkeit aufeinander. Gewarnt wird seitens der entgegen zu halten, dass er ein prinzipiell ubiquitäres knüpfung ist notwendig, um die politisch-institutio- über eine beachtliche gesellschaftliche Persistenz aus- Demokratiehelfer/innen etwa vor „Kulturrelativismus“ Problem anspricht: Kein Ansatz ist gegen nicht nellen Rahmenbedingungen eines Projektes überhaupt weist. Und drittens schließlich besteht eine eklatante oder davor, dass „Unschärfe“ des „Kultur- und Tra- intendierte Instrumentalisierungen gefeit – auch der analysieren zu können. Denn eine politische TZ muss Diskrepanz zwischen den vorindustriellen Erwerbsfor- ditionsarguments“ „völkischen Tendenzen“ Tür und modernistische Governanceansatz men der Bauern und den Führungskonzepten westlich Tor öffne (vgl. G. Erdmann, 1998: 23f.; W. Heinz, vielmehr die Frage, wie solche Prozesse als Teil der ren, nicht nur innerhalb der formalstaatlichen Struktu- orientierter Staatsbürokratien. Müller et al. (1990:1) 1999: 13f.; R. Knieper, 1998: 358ff.). Ihre Frage ist, lokalen und/oder nationalen Machtstrategien frühzeitig ren; auch beschränken sich die politisch-institutionel- heben z. B. hervor, dass in allen Ländern des Südens wie einerseits den in den internationalen Menschen- erkannt, bearbeitet und dechiffriert werden können. len Rahmenbedingungen nicht nur auf die formalen „ein Grossteil der Bevölkerung weiterhin – direkt oder rechtsdeklarationen verankerten politischen und Auch bemisst sich die Tauglichkeit von politischen Aspekte (Regierungserklärungen, Staatsverfassungen, (Universal-)Modellen an der gesellschaftspolitischen Gesetzesbestimmungen etc.) einer Staatsordnung. Sie Praxis, nicht an ihrer logischen und theoretischen werden auch durch eine Vielzahl so genannter „infor- Konsistenz und auch nicht an Fragen der theoretisch meller“ Kategorien bestimmt, die stärker an die bäuer- indirekt – von traditionellen Produktionssystemen (wie Schwendbau, nomadische Viehwirtschaft, Regenfeldbau, lokale Bewässerungswirtschaft etc.) abhängt 2) Seine Eckwerte sind: Beachtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, politische Beteiligung, Marktwirtschaft und Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns. und sich auch darum weiterhin an überlieferten verwandtschaftlichen und politischen Beziehungsmustern orientiert (...) Damit gewinnt die Selbstorganisationskapazität der Bevölkerung in den Entwicklungsländern zunehmend – auch theoretisch – an Bedeutung. Die in 16 nicht4. Wichtig ist sich im gesamten gesellschaftlichen Netz positionie- möglichen Umsetzbarkeit. Eines der Kernprobleme in 3) Aus konzeptionellen Gründen löst das vorliegende Papier die Geschichte Lateinamerikas von den übrigen, nicht-europäischen Entwicklungsländern Afrikas und Asiens ab. Spielt in allen nicht-europäischen Ländern das kulturelle Erbe auf ethnischer Grundlage eine zentrale Rolle für Entwicklung, so ist in Lateinamerika die Kreolisierung zu weit voran geschritten, als dass sich aus sozio-kultureller Sicht die dortigen Entwicklungen zusammen mit den übrigen, nicht-europäischen Entwicklungsländern diskutieren liesse. Für das Verständnis der sozio-kulturellen Problematik Lateinamerikas sind distinkte, stärker an der Kolonialgeschichte orientierte soziologische Kategorien gefragt. den Ländern des Südens ist jedoch die politische und gesellschaftliche „Pfadabhängigkeit“ von Entwicklung. Es wäre deshalb ein fataler Fehler, mit Hilfe des „völkischen“ Arguments die Berücksichtigung des 4) So kann z. B. auch der universelle Charakter der Menschenrechtsdeklarationen zum Nachteil von politischer Entwicklung gewendet werden, etwa wenn der universelle Charakter den Machteliten und die sie beratenden Entwicklungsagenturen dazu dienen, sich gegenüber den äußerst kleinteiligen aber typischen strukturellen Diskrepanzen in den Ländern des Südens regelrecht abzuschotten. Das ist ein häufig zu beobachtender Prozess, der die gesellschaftspolitische Isolation ehemals kolonialer Staatsbürokratien weiter vorantreibt und im Resultat die angestrebte gesellschaftliche Integration von Staatlichkeit schwächt – mit teils gravierenden Konsequenzen. 17 II Die Wirklichkeit: „Good Governance“ und sozio-kulturelle Entwicklung lichen Lebenswelten, deren Wirtschaftsformen, Zuord- ethnischer Einheit auf demographische Anteile Kette suchen, das dann mit Hilfe einer kompetenten nichtformalisierte, kulturelle) Strukturen8 lösen und nungssysteme, Entwicklungsvoraussetzungen und einzelner Nationen umgerechnet werden, noch Beratung wieder in Stand gesetzt werden kann; die Projektprofile entwickeln, die vertikal gesehen von der die jeweilige Dynamik gebunden bleiben, die sich stets nichts über die häufig entscheidenden Prozesse Abstimmung und Einbindung bereits laufender Sektor- gesellschaftlichen Mitte ausgehen. Methodisch ist zwischen der Geschichte der (kolonial-)staatlichen der Machtbildung und der Machtsicherung aus. vorhaben in übergeordnete Politik-Ziele und die He- damit ein themen- und akteurbezogenes Arbeiten Suprastruktur, der Geschichte der Slums und jener Deshalb ist der kulturvergleichende Ansatz bung des TZ-typischen Synergiepotentials pro Land; unter Vernetzung der verschiedenen Interventions- der ländlich-feudalen Räume entfaltet (hat). mit einem herrschafts-soziologischen zu verschrän- das alles und vieles andere mehr ist nur möglich, wenn ebenen gefordert, das sich durch eine an den gesell- ken und mit Blick auf die vorliegende Aufgabe von ein kultur- und geschichtssensibler Beratungsansatz schaftlichen Strukturen orientierte Prozesshaftigkeit Eine Verknüpfung von sozio-kulturellen und struktur- TZ, nämlich dem „Leitbild globaler Entwicklung“ gewählt wird. Das ist nicht möglich mit einem Bera- auszeichnet, thematisch eine Zuwendung zu Fragen politischen Argumenten ist möglich, wenn sowohl zu nachzuleben, das Augenmerk vor allem auf Voraus- tungsansatz, der bloß am gesetzten Ziel „Demokratie“ des kulturellen Erbes und zu Strukturproblemen der konventionell ethnologischen als auch zu konventionell setzungen der Staatsbildung und politische Delegiti- Maß nimmt und sich lediglich auf die Beachtung gel- herrschaftspolitischen Altlasten. entwicklungssoziologischen Ansätzen Aequidistanz mierungsprozesse zu richten. Damit werden die für tender Menschenrechte konzentriert. Nicht, dass die gehalten wird. Werden in ethnologischen Einzelfallstu- entwicklungssoziologische Analysen so typischen Beachtung geltender Menschenrechte unwichtig wäre UMSETZUNG dien ethnische und lokale Gegebenheiten untersucht – Aussagen zur wirtschaftlichen und politischen – im Gegenteil, aber leider lässt sich ein derart uni- Zu einem wesentlichen Teil stützen sich die folgenden sehr häufig ohne daran zu denken, dem nationalen Dynamik nationaler Einheiten auch wieder in die versalistischer Ansatz allzu sehr nur von humanitären Ausführungen auf eine Studie, die das BMZ Ende der Rahmen oder der Repräsentabilität der Untersuch- politische Geschichte zurückgebunden, die solche Gesichtspunkten leiten. Er verführt dazu, die ganze 80er Jahre in Auftrag gegeben hat. Sie trägt den nüch- ungseinheiten Rechnung zu tragen – so richten ent- Dynamiken oft ursächlich erzeugt. Welt über einen Leisten zu schlagen, etwa indem in ternen Titel „Kulturelles Erbe und Entwicklung: Indi- „reformunwillige, archaische Länder“, „Transitions-“ katoren zur Bewertung des sozio-kulturellen Entwick- die wirtschaftliche und politische Dynamik nationaler DAS ZIEL und „Posttransitionsstaaten“ unterschieden und für lungsstandes“ (H.-P. Müller et al., 1990) und wurde Einheiten, bringen jedoch sehr oft das Patchwork Eine TZ, die zur (Mit-)Gestaltung politisch-institutionel- jeden Typ, egal wann, egal wo, ein spezifisches Maß- vom Ethnologischen Seminar der Universität Zürich regionaler, feudaler und/oder ethnischer Traditionen ler Rahmenbedingungen übergehen will, bedarf eines nahmenpaket ausgeklügelt zum Verschwinden. Die Aequidistanz kann aufgebaut differenzierten, auf die spezifischen Problemlagen Durchsetzung der Menschenrechte und das Nichtvor- siert, das nun zur erstmaligen Publikation eines um- werden, wenn die unter Ethnologen verbreitete Ten- der einzelnen Partnerländer abgestimmten Beratungs- handensein demokratischer Strukturen sind jedoch fassenden Kartenwerkes über das kulturelle Erbe vor- denz, jede Generalisierung mit dem Verweis auf eine ansatzes. Die Entwicklung einer „politischen National- keine rein äußerlichen Phänomene, denen mit den einst kolonialer Gesellschaften in heutigen Staaten geführt Ausnahme zu blockieren5 abgelegt und das Gewicht diagnose“ als Teil der künftigen Länderprofile, welche obligatorischen Sensibilisierungs- und Aufklärungs- hat9. Besonders diese Studie, aber auch der kürzlich auf Resultate der kulturvergleichenden Forschung Kernkonflikte des nationalen Zusammenhalts aufgreift kampagnen der 70er Jahre, der Finanzierung von „run- publizierte „Atlas vorkolonialer Gesellschaften“ ist gelegt und nach dem proportionalen Bevölkerungs- und politische Ziele formuliert, die in Zusammenarbeit den Tischen”, und/oder einem nur sektorbezogenen, in doppelter Hinsicht relevant: Einmal versuchen die anteil der lokalen und/oder regionalen kulturellen mit dem Partner auch wirklich zu erreichen sind; die strukturalistischen Herumbasteln beizukommen ist. Autoren nicht-europäische Entwicklungsländer nach Eigenheiten gefragt wird. Dieser Ansatz geht strategische Auswahl von geeigneten Projekttypen, erstens von der Hypothese aus, dass vor allem die nicht eine neue Kette schaffen, sondern nach dem „Demokratie“ ist eine Staatsform, die den Aufbau jene kulturellen Eigenheiten, die für einen Großteil oder den gebrochenen Glied(ern) in der bestehenden gesellschaftspolitisch komplexer Beziehungsmuster wicklungssoziologische Arbeiten zwar ihren Blick auf hängigkeit“ in den fraglichen Ländern bestimmen6 und zweitens, dass besonders der Kulturvergleich es ermöglicht, die weltweit relevanten Kategorien der kulturellen Pfadabhängigkeit herauszuschälen. Besonders Informationen, die sich auf einen solchen Datensatz stützen, sind für eine TZ, die weltweit zur Mitgestaltung politischer Rahmenbedingungen übergehen will, von Bedeutung – sie reichen aber nicht aus. Denn für sich genommen sagen Kulturindikatoren, die qua Bevölkerungszahlen pro 18 Die mangelhafte 5) So etwa: „Bei den Bongo-Bongo ist es anders!“. In der sozialwissenschaftlichen Debatte ist der „Bongo-bongoismus“ zu einem Synonym für Theoriefeindlichkeit im Kulturvergleich geworden. Hier kann er die Debatte aufgrund aufgeblasener und überdehnter Einzelfallstudien gefährden. Gerade sie geben dem „Kulturrelativismusargument“ Auftrieb und eignen sich ausgesprochen schlecht zur Entwicklung relevanter Strategien für eine weltweit tätige, politisch orientierte TZ. Denn der Kulturrelativismus isoliert und idealisiert gesellschaftlich funktionale Zusammenhänge. Lewellen, Ted C.: Political Anthropology : An Introduction. New York, 1983 6) Der auf den Kulturvergleich spezialisierte Prof. Dr. Müller (Zürich) unterstreicht indessen, dass dies nicht bedeutet, „dass von einem perfekt deterministischen Entwicklungsmodell ausgegangen werden kann, etwa indem in einer gegebenen Gesellschaft ein Zustand im Bereich A (z. B. Wirtschaftsform) mit nur einem Zustand im Bereich B (z. B. Heiratsform) verträglich wäre oder dergleichen (...) Es überwiegen vielmehr probabilistische Gesetze, d. h. Tendenzen ohne eindeutige Wenn-Dann-Beziehungen. In gewissen Bereichen – wir (bezeichnen) sie als ‚Kernkultur‘ – sind die Beziehungen enger, die Freiheitsgrade geringer als in anderen Bereichen“. Müller, HansPeter ; Kock, Claudia ; Ditfurth, Anna von: Kulturelles Erbe und Entwicklung. München : Weltforum, 1990, S.29 innerhalb eines größeren Forschungsvorhabens reali- traditionellen sozio-kulturellen Kriterien zu charakteri- (u. a. über die eigene Verwandtschaftsgruppe hinaus- der nationalen Bevölkerungen prägend sind, die politische und gesellschaftliche Art der „Pfadab- wird!7 gehende Solidarbeziehungen, einen gesellschaftlich gut integrierten Geld- und Marktkomplex, ein generell akzeptiertes universalistisches Normenverständnis) und vor allem eine gute gesellschaftliche Integration von Staatlichkeit voraussetzt. Eine TZ, die sich dazu aufmacht, auf die gesellschaftspolitischen Rahmen- sieren. Damit kann die Diskussion zur Forderung des 7) Stefan Mair gliedert Maßnahmen in zwei Hauptkategorien: - Unterstützung demokratischer Institutionen wie Verfassungen und die den politischen Prozess regelnden Gesetze, Wahlen, Legislative, Exekutive und Judikative, die Verwaltung, Militär und Sicherheitskräfte sowie Dezentralisierung; - Unterstützung der Formierung und Anreicherung eines demokratisch-politischen Raumes; durch politische Bildung gilt es zur Etablierung einer demokratischen politischen Kultur beizutragen und durch praxisnahe Forschung politische Handlungsalternativen zu entwickeln. Zum anderen dient Demokratiehilfe hier der Stärkung und Mehrung nichtstaatlicher Akteure und Gruppen, die zentrale Rollen im Demokratisierungsprozess spielen (Medien, sogenannte advocacy groups, Selbsthilfegruppen, Interessengruppen und Gewerkschaften sowie politische Parteien). SWP, Ebenhausen, 2000, S.4 bedingungen einzuwirken, um politische Prozesse in Richtung Demokratisierung der politischen Strukturen in Gang zu setzen, muss sich deshalb „first and foremost“ von der konventionellen Teilung in „formelle“ (i. e. formalisierte, staatliche) und „informelle“ (i. e. 8) Gegenüber formellen Ordnungssystemen, die sich am (staatlichen) Gesetz orientieren, werden informelle Kategorien oft als zweitrangig, verhandelbar unter Umständen gar als „Spontanbildungen“ bezeichnet (z. B. „les villes spontanées“ als Synonym für chaotische Slums). Darin eingeschlossen sind jedoch auch alle nichtformalisierten aber auch nicht verhandelbaren Teile des kulturellen Erbes. 9) Vgl. Müller, H.-P. ; Kock Marti, C. ; Seiler Schiedt, E. ; Arpagaus B.: „Atlas vorkolonialer Gesellschaften. Sozialstrukturen und Kulturelles Erbe der Staaten Afrikas, Asiens und Melanesien. Berlin : Dietrich Reimer, 1996 19 II Die Wirklichkeit: „Good Governance“ und sozio-kulturelle Entwicklung BMZ nach kultureller Angepasstheit („Schlüsselfak- KULTURELLES ERBE..... gibt Hinweis auf Ausdehnung eines bestimmten zierte Lokalgruppen und/oder lokale Häuptlingstümer torenansatz“) auch im Rahmen der „(Mit-) Gestaltung Auch wenn jedes Land seine eigene Charakteristik des Typs des kulturellen Erbes); geprägt; politischer Rahmenbedingungen“ fortgeführt werden kulturellen Erbes hat, so lassen sich dennoch einige (entwicklungspolitische Kohärenz!). Müller et al. arbei- allgemein gültige Merkpunkte formulieren, die für die ten mit einem für die einzelnen Kulturen gleich bleiben- (Mit)Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen den, für vergleichende Zwecke konstruierten Datensatz, wichtig sind: der die sachliche Auseinandersetzung zum Einfluss des kulturellen Erbes auf politische Konstellationen soweit generalisiert, dass sich daraus handhabbare, für die entwicklungspolitische Praxis brauchbare Kategorien ableiten lassen. Interessant ist dabei be- Traditionelle politische Systeme stehen in einem funktionalen Zusammenhang zu den technologischen, sozialen und normativen Strukturen einer Gesellschaft. MERKPUNKT 1: 5. die Siedlungsweise (Art: nomadisch bis sesshaft; Siedlungsgröße); 6. die Art der sozialen Differenzierung (Besteht eine zumindest die extensive mit der intensiven Landwirtschaft kombinieren kann, ist das Vorhandensein einfacher Staaten mit traditioneller bis komplexer politische Integration, die über die Lokalgruppe hin- Klassenstruktur wahrscheinlich; ausgeht? Klassenunterschiede? Kasten? Sklaverei?). nebst intensiver Landwirtschaft und ausgeprägter Viehzucht zumindest die Pflugkultur, besser noch: Für Lateinamerika hingegen, wo die Kreolisierung ein traditionelles Bewässerungssystem12 betreibt, sehr weit fortgeschritten und das vorkoloniale kultur- haben sich komplexe Staaten mit komplexer Klas- politische Erbe weitgehend durchdrungen hat, prägen senstruktur gebildet. andere, stärker soziologisch orientierte Kriterien wie sonders ihr Versuch, die heutigen Staaten nach ihrem sozio-kulturellen Erbe, das sie in die Unabhängigkeit Die kulturvergleichenden Untersuchungen von Müller der ausgeprägte Stadt/Land-Gegensatz, die Bildung Will man diesen Sachverhalt auf einer Zeitachse bzw. einbrachten, zu charakterisieren. Weiter treten beide et al. (1990, 1999) zeigen, dass der traditionelle sozio- sozialer Klassen und Berufsgruppenunterscheidungen evolutiv darstellen, kann von drei landwirtschaftlich Publikationen gegen den besonders unter Modernisie- kulturelle Entwicklungsstand (sozio-kulturelle Komple- die entwicklungspolitische Pfadabhängigkeit. Auf geprägten Entwicklungssequenzen traditioneller poli- rungstheoretikern verbreiteten Mythos der staatlichen xität) eines nicht-europäischen Landes11 auf sechs dem Lande bleibt auch nach der Unabhängigkeit die tischer Systeme gesprochen werden. Geht man weiter Integration vorkolonialer Gesellschaften an und ver- Hauptgrößen reduziert werden kann, die miteinander von der katholischen Kirche und der spanischen Krone davon aus, dass die Fähigkeit zur eigenständigen mögen das kulturelle Erbe sowie die sich daraus erge- interferieren, nämlich auf etablierte Feudalstruktur (tributärer Despotismus, Mobilisierung nationaler Ressourcen in hohem Maße benden Konsequenzen für die Projektplanung anhand 1. die Art der Subsistenzproduktion (Anteil der Land- Klientelismus, präindustrieller Kapitalismus) die be- vom sozio-kulturellen Entwicklungsstand der autoch- zahlreicher Grafiken und Karten überzeugend zu visu- wirtschaft und der Viehzucht an der Subsistenz- stimmende Herrschaftsordnung, die als soziale Diffe- thonen Bevölkerungsgruppen abhängt, dann sind alisieren10. produktion; Art der Anbauprodukte wie Knollen, renzierung ebenfalls in einem engen, funktionalen aus kulturvergleichender Sicht Demokratieförder- Baumfrüchte, Getreide; Tierhaltungstyp: Hühner, Zusammenhang zu den technologischen, sozialen und ansätze besonders in jenen Staaten Erfolg verspre- Schafe, Schweine, Großtiere); normativen Strukturen der ländlichen Gesellschaft chend, deren kulturelles Erbe sich der dritten Ent- steht (Nadig, 1987; Waldmann, 2000). wicklungssequenz zuordnen lässt. Denn nach Talcott Ergänzt durch komplementäre Literatur zu einigen herrschaftssoziologischen Themenfeldern wie Staats- 2. den Stand der Technologie (Existenz von Pflug und bildung, Rechtspluralismus und Zivilgesellschaft wer- Zugtieren, Existenz von Bewässerungssystemen; den in einem ersten Schritt einige der zentralen Merk- eigene Schrift; Kenntnis der Metall- und Lederver- punkte in summarischer Abfolge zusammengefasst, arbeitung; Töpferei); die für die Entwicklung einer kulturell angepassten und gesellschaftspolitisch innovativen Politikstrategie von TZ relevant sind. Sie erhellen die Bruchlinie zwischen 3. die Art der Religion (Animismus, Monotheismus (Hochgott!), Weltreligionen); 4. die Demographie (Größe der ethnischen Gruppen In traditionellen Gesellschaften hängt der Komplexitätsgrad politischer Systeme mit der landwirtschaftlichen Entwicklung zusammen. MERKPUNKT 2: bürokratischem Verwaltungsstaat und kulturellem Erbe und verweisen auf die politisch so prekäre Dynamik zwischen formeller „Vorderbühne” und informeller „Hinterbühne”. Der speziellen Rolle Lateinamerikas wird in den herrschaftssoziologischen Aussagen besonders Rechnung getragen. Sodann folgen in einem zweiten Schritt einige methodische Angaben für das werden sodann einige Überlegungen zur strategischkonzeptionellen Ausrichtung einzelner Projekte, Projekttypen und Länderprofile vorgestellt. 20 komplexer Muster einer historisch festgelegten Entwicklungssequenz: „1a) zuerst eine zunehmende soziale Stratifizierung, unmittelbar gefolgt von 1b) der Entwicklung eines entsprechenden Legitimationssystems. Falls über die soziale Stratifizierung hinaus eine nächste ,Stufe’ folgt, 10) Das Material eignet sich für Präsentationen während der Fortbildung. Da sämtliche Karten auf CD-Rom zur Verfügung stehen, kann auf bestimmte, u. U. erst während der Fortbildung auftauchende Problemstellungen aufgeblendet und das sozio-kulturelle Erbe (gemäß den Kategorien „Politik“, „intergenerationeller Wertetransfer“ [er ist für Fragen des Erbrechts, des Landrechts, der Erbfolge von politischen Ämtern und dgl. mehr von Bedeutung], „Sprachfamilien“, „Subsistenz“ [i. e. Wirtschaftsformen], „Heirats- und Verwandtschaftsregeln“), in jedem einzelnen Land, auf Wunsch auch in präzise ausgewählten Regionen diskutiert und auf einzelne, noch auszuwählende Projekte abgeblendet werden. Die Karten können dem vorliegenden Lauftext aus technischen Gründen leider nicht beigefügt werden. Erkennen, Ausloten und Entwickeln geeigneter PolitikOptionen. In einem abschließenden dritten Schritt Parsons13 erfolgt der Aufbau gesellschaftspolitisch Anhand einer Clusteranalyse zur politischen und land- handelt es sich universell um 2a) eine bürokratische wirtschaftlichen Strukturierung mehrerer tausend ethni- Organisation und 2b) um einen Geld- und Marktkom- scher Gruppierungen in insgesamt 112 Ländern Afri- plex. Eine eventuell weitere ‚Stufe‘ wäre schließlich kas, Asiens und Lateinamerikas können Müller et al. charakterisierbar durch 3a) generalisierte universalis- (1990:70f.) zeigen, dass zwischen landwirtschaftlicher tische Normen und 3b) demokratische Gesellschafts- Entwicklung und traditioneller sozial-politischer Struk- strukturen.“ tur ein wichtiger Zusammenhang besteht: In Ländern, 11) Anhand von „19 Indikatoren aus den Bereichen Wirtschaft (v. a. Subsistenztechnologien), Gesellschaft (v. a. sozio-politische Differenzierung) und geistige Kultur (Schrift, Religion)“ haben Müller et al. jedem Entwicklungsland „einen Wert für jeden Indikator“ zugeschrieben (...) „Diese Werte (wurden) dann auf drei Hauptdimensionen reduziert. Die erste Dimension erfasst die traditionelle sozio-politische Komplexität, die zwei anderen Dimensionen messen die traditionell vorherrschenden Subsistenztechnologien: Landwirtschaft und Viehzucht“ (...) Die verschiedenen Indikatoren wurden sodann „mit der Bevölkerungsgrösse der (jeweiligen) Ethnien“ gekreuzt. So ließen sich „die verschiedenen Aspekte auf nationaler Ebene aggregieren.“(1990:3). in denen eine Mehrheit der Bevölkerung Diese Abfolge kann statistisch erhärtet und anhand nicht über die Organisation einer extensiven Landwirtschaft hinauskommt, ist die traditionelle soziopolitische Organisation durch intern wenig differen- 12) Ein Bewässerungssystem setzt verwandtschaftsübergreifende Solidarbeziehungen voraus und erfordert den Aufbau mehr oder weniger komplexer Verwaltungsstrukturen (Wasserverteilung). 13) Vgl. Parsons, Talcott: Evolutionary Universals in Society. New York : Free Press, 1964: zit. n. Müller et al., 1990, S.34 21 tag. Sündenbocktheorien und Umgehungsstrategien helfen hier nicht weiter – wohl aber eine TZ, die auf eine Erweiterung des staatlichen Legitimationsraumes hinarbeitet. II Die Wirklichkeit: „Good Governance“ und sozio-kulturelle Entwicklung et al. arbeiten hier mit dem Begriff der Sozialintegra- amerikas und selbst in mehreren Ländern Asiens ver- Wird der Gewaltaspekt des Staatsbildungsprozesses von thematischen Karten zu Afrika und Asien visuali- tion – nicht in individueller, sondern in sozialstruktu- fügt der Staat über keine endogenen Voraussetzungen untersucht, stellt sich stets die Frage seiner Legitima- siert werden. reller Hinsicht. Ihnen geht es um den Grad, in dem die (vgl. Atlas vorkolonialer Gesellschaften, Ländertafeln). tion. Charles Tilly (1986) vergleicht den Staatsbildungs- verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen funktio- Ethnische, feudalistische und klientelistischen Organi- prozess mit einem der Mafia vergleichbaren kriminellen nal und normativ aufeinander abgestimmt sind, etwa sationsprinzipien sind in solchen Fällen noch für lange Akt, dem so genannten „racketeering“, in dem eine die Wachstumsstrategien auf die Funktionsweise der Zeit wenn nicht die einzigen, so doch die bestimmen- Gruppe von Menschen eine andere Gruppe erpresst und staatlichen Bürokratien, die juristischen Normen auf den Organisationsformen, die zu sozialintegrativer Ent- ihr gegen Dienstleistungen wie Zwangsarbeit, Militär- Eine früher existierende oder modifiziert weiter beste- die Moral von Schulbüchern und einfachen Leuten, wicklung in der Lage sind. Liegen indessen endogene dienst, Steuern oder andere Formen der Ressourcenab- hende traditionale Gesellschaft wirkt heute weiter als die Symbole der Konsumwerbung auf die Lehre der Voraussetzungen über staatliche Integration vor, basie- schöpfung „Schutz“ verspricht. Dieses Schutzverspre- verhaltensbestimmende Prägung, als kulturelles Erbe. Kirche, usw. (1990:16). Grundsätzlich gilt, dass sich ren sie auf höchst unterschiedlichen institutionellen chen kann allerdings nur eingelöst werden, wenn es den Zu denken ist etwa an die sprachliche Prägung oder das gesellschaftspolitische Sprengpotential stets in Mustern: Verwandtschaftsbeziehungen (europäischer neuen Regenten gelingt, ihren Machtanspruch zu institu- daran, dass Kleinkinder von Frauen erzogen werden, entsprechenden funktionalen, normativen oder mora- Adel) kommen dafür ebenso in Frage wie militärische tionalisieren und mittels einer neuen Rechtsordnung in die oft in traditionellere Netzwerke eingebunden sind lischen Wertdiskrepanzen zeigt. Organisationsformen (Inkas), Technologie und Büro- Wert zu setzen. Denn da, wie der französische Kleriker, kratie (klassisches China), Ideologie (Islam), Handel Politiker und Diplomat Charles Maurice Talleyrand-Péri- (Nord- und Westafrika) oder arbeitsteilige Produktions- gord einst bemerkt hat, „man mit Bajonetten alles tun systeme (kapitalistische Industriegesellschaften). Stets könne, nur nicht darauf sitzen“ (zit. n. Trutz von Trotha, ist der gesellschaftlich dominante Sektor, auf dem die 1988: 329), bedarf es nebst der militärischen vor allem jeweils weiträumigste Integration beruht ein anderer einer ordnungspolitischen Durchsetzungsmacht, um die und entsprechend unterschiedlich und spannungsreich jeweiligen Vorstellungen von Wahrheit und Gerechtigkeit gestaltet sich auch das Zusammenspiel mit bürokrati- zu „veralltäglichen”. Recht ist deshalb die zivile Ord- schen Verwaltungssystemen europäischer Provenienz. nungsmacht schlechthin. Solange sich jedoch die neue Das kulturelle Erbe wirkt heute weiter als verhaltensbestimmende Prägung. MERKPUNKT 3: als Männer. Auch Produktionsweisen vergangener Gesellschaftsformationen, selbst wenn sie heute nicht mehr oder in veränderten Formen und Zusammenhängen weiter bestehen, bleiben an (teils ideologisch reaktivierte) Mentalitätsmuster – etwa das feudale Denken – gebunden, die als so genannte survivals den gesellschaftlichen Wandel prägen (vgl. Müller et al., 1990:24). In jeder Gesellschaft existieren sektoral unterschiedliche aber typische Reformgeschwindigkeiten. Deshalb ist der gesamte gesellschaftliche Wandel im Blick zu behalten, nicht nur der politisch-formale Komplex. MERKPUNKT 4: Nicht in allen Ländern ist der Staat als ordnungspolitisches Konzept gesellschaftlich genügend integriert. Themen wie Feudalismus, Klientelismus oder mangelhafte staatsbürgerliche Identifikation müssen aufgegriffen und mit dem Problem der mangelhaften staatlichen Durchsetzungsfähigkeit verknüpft werden. MERKPUNKT 5: Ordnung über einen bloßen Kraftakt legitimiert, ist es Politische Programme, die nur am modernen, durch ungewiss, ob das Schutzversprechen je eingelöst wer- die Kolonialmächte errichteten Verwaltungsstaat anset- den kann. Denn das Schutzversprechen steht „prinzipiell zen, gehen in den meisten Fällen von falschen Voraus- und unaufhebbar unter Verdacht, weil es an den Vor- Der bürokratische Verwaltungsstaat gehört sicher zu setzungen aus. Wo keine endogenen Voraussetzungen gang der Entmachtung gebunden ist, der Bedrohung den markantesten Erbstücken der Kolonialzeit. Die zur staatlichen Integration bestehen, leiden bürokrati- und Belastung ist (...) Es ist ungewiss, ob das Verspre- lokalpolitischen Widersprüche, in die die Kolonialmäch- sche Verwaltungsapparate am Problem der sozio-kul- chen überhaupt ein Versprechen ist. Es kommt als te bei seiner Errichtung verwickelt wurden, lassen sich turellen Distanz (Kernproblem) und wo endogene Vor- Befehl.“ Einem Befehl aber folgt der Ungehorsam auf Werden die verschiedenen sozio-kulturellen Bereiche indessen nicht allein auf machtpolitische Legitimations- aussetzungen bestehen, weisen die Reibungsflächen dem Fuße und es droht ein „Zirkel des Scheiterns an auf ihre Wandlungsdynamik untersucht, fällt ihre unter- probleme reduzieren, denn die von den Kolonialmäch- ein für zukünftige Entwicklung bestimmendes Konflikt- Gewalt“ einzusetzen, der „Ohnmacht und Intermediarität schiedliche Wandelgeschwindigkeit auf. Stark verein- ten eingeführten Rechts- und Staatsordnungen bewe- profil auf. Gefragt sind deshalb politische Projekte, die enthält“ (T. von Trotha 1988:333). facht können folgende Regeln formuliert werden: gen sich auf einem relativ abstrakten Niveau, setzen sich in der gesellschaftlichen Mitte positionieren, die 1) politische Strukturen wandeln sich am schnellsten, ein stark funktionalisiertes Handeln voraus und sind strukturelle Führungsprobleme allen Akteuren zugäng- Ohnmacht, Gewalt und Intermediarität kennzeichnen 2) wirtschaftliche Strukturen am zweitschnellsten, 3) je nach Entwicklungsstand der Referenzkultur gesell- lich und bewusst machen und Schnittstellenprobleme denn auch in hohem Maße die Herrschaftsschwierig- Glaubenssysteme langsamer und am langsamsten schaftlich oft nur schwach integriert. Der Versuch, zuoberst auf die Agenda setzen. keiten heutiger Militärdiktaturen, Kommandostaaten sind 4) die interpersonalen Beziehungen (Familie, Ver- den bürokratischen Verwaltungsstaat zu implantieren, wandtschaft, Geschlechterbeziehungen). führte in allen Ländern des Südens denn auch zu typischen kulturellen Integrationsschwierigkeiten. Aus Gründen der Nachhaltigkeit ist deshalb stets der gesamte gesellschaftliche Wandel im Auge zu behal- Praktisch in allen Ländern Afrikas und Melanesiens, ten, nicht nur der politisch-juridische Komplex. Müller in einigen Ländern des Vorderen Orients und Latein- 22 und Staatsbürokratien kolonialen Zuschnitts. Sie ...UND HERRSCHAFTSPOLITISCHE ALTLASTEN Wo Staatsbildungsprozesse noch nicht abgeschlossen sind, dominieren Ohnmacht, Gewalt und Intermediarität den politischen AllMERKPUNKT 6: kämpften und kämpfen mit dem Problem der gesellschaftlichen Anerkennung und suchen den Ausweg in der Personalisierung der politischen Macht. In kulturell heterogenen Gesellschaften kann gesellschaftliche Anerkennung jedoch nicht durch einseitige Parteinahme 23 II Die Wirklichkeit: „Good Governance“ und sozio-kulturelle Entwicklung erreicht werden, sondern nur, wenn das gesamtgesell- der Kolonien verwurzelt ist: Gemäß W. C. Bissell schaftliche Ordnungsproblem auf die Agenda gesetzt (1999:149) legte sie sich darauf fest, dass die „Einge- und zwischen den verschiedenen Herrschaftsansprü- borenen“ sich in „zivilgesellschaftlichen, ethnischen sich deshalb als optimales Interventionsfeld an, um die Lücke zwischen dem Anspruch der BMZ-Kriterien und der gesellschaftspolitischen Wirklichkeit zu schließen. lichen Gewalt und geringe, in vielen Ländern Afrikas und Melanesiens nicht über die großen Städte und die von den Missionaren geschaffenen ländlichen „Zivilisationsinseln“ hinausreichende Durch- chen und Ordnungsvorstellungen einen Ausgleich Vereinen“ organisieren sollen, die dem europäischen gesucht, die politische Integrationsfähigkeit gestärkt Konzept von rassischen Körperschaften entsprachen. und tragfähige Brücken geschlagen werden. Die gesamte englische Kolonialpolitik wurde über Macht- und Staatsbildungsprozesse führen nicht stark beeinträchtigte innergesellschaftliche und solche zivilgesellschaftliche Strukturen abgewickelt, gleichsam handstreichartig zur Auflösung des bisher innerstaatliche Kohärenz. die schließlich auch die intermediären Strukturen des Gültigen, sie lösen vielmehr eine Art Umschichtung kolonialen Häuptlingswesens hervorbrachten. der vielfach ineinander verschachtelten Ordnungsprin- Bedenkt man zudem, dass zwischen dem fehlenden zipien aus. In aller Regel führt dies zu einem gesell- Rechtsverbindlichkeitsgrad und der Ansprechbarkeit Große Gewinner dieser Restrukturierung waren nebst schaftlich tiefgehenden und sehr lange anhaltenden auf faschistische und/oder andere die Gewalt ver- den Kolonialmächten insbesondere die neotraditiona- Rechtspluralismus. Nicht nur „draußen auf dem Lan- herrlichende Ideologien ein innerer Zusammenhang listischen Trägerschichten, von den Kolonialmächten de”, sondern auch bis hinauf in die Führungsetagen besteht, wird klar, dass die politische Teilhabe der eingesetzte lokale Mittler, die, obwohl noch stark in ihr der Staatsverwaltung schafft der Rechtspluralismus Bevölkerungsmehrheit mit dem jeweiligen Rechtsver- autochtones Beziehungsgeflecht eingebunden, sich eine rechtliche Konkurrenzsituation und sorgt für bindlichkeitsgrad und dem Grad der gesellschaftlichen aus häufig pekuniären und/oder machtpolitischen entsprechende Konfusionen, denn die vorkolonialen Integration von Recht zu verklammern ist. Deshalb: Die Geschichte der Gestaltung des öffentlichen Rau- Gründen der „zivilisatorischen Mission“ öffneten. Nun Rechtsnormen, die keineswegs in sich homogen sind, Soll die Lücke zwischen (normativem) Anspruch der mes, die für politische Projekte von großer Bedeutung vertreten solche Trägerschichten nicht nur jene gesell- sondern sich über eine sehr unterschiedliche Rege- BMZ-Kriterien und der gesellschaftspolitischen Wirk- ist, ist engstens mit den verschiedenen Traditionen von schaftlichen Gruppen, die, wie keine anderen, unter lungsdichte und eine große normative und strukturelle lichkeit geschlossen werden, bietet sich Recht – „Zivilgesellschaft“ verklammert. Während in der fran- wachsender kultureller Entfremdung und einem zuneh- Flexibilität ausweisen, beziehen sich auf das gleiche sofern es als inklusive Arena bearbeitet wird – als opti- zösisch-republikanischen Tradition „Zivilgesellschaft“ mend brisanteren politischen Legitimationsdefizit litten, Territorium und haben den gleichen Gültigkeitsan- males Interventionsfeld an. dem klassischen Ideal der cité verpflichtet ist – Gary sehr oft sind sie auch die Vorfahren heutiger Regie- spruch wie staatliche Normen, wenngleich auf anderer Wilder hebt die Frage der politischen Teilhabe am rungsbeamter und/oder die Ziehväter lokaler NRO, Legitimationsbasis. Rechtspluralismus und Parallel- Leben der cité hervor14, was zu einer sehr engen Be- womit deutlich wird, wie das überaus problematische normen können deshalb als eigentliche Brennspiegel ziehung von „civil and political society“, der Idee der koloniale Konzept der „Zivilgesellschaft“ in die aktuelle bezeichnet werden, die die Kernprobleme des post- demokratischen Selbstbestimmung sowie zur Frage Gegenwart hineinragt. Heute sind deshalb nicht nur kolonialen Verwaltungsstaates bündeln, die da sind: des (französischen) Stimm- und Bürgerrechts führt – so staatliche, sondern auch zivilgesellschaftliche Träger vielfach ineinander verschachtelte Legitimations- hat das in der TZ verbreitete Konzept der „Zivilgesell- kolonial belastet, weshalb das häufig beklagte Legiti- defizite staatlicher Gewalt, die in alle Richtungen schaft“ seine Wurzeln in der liberalen anglo-amerikani- mationsproblem nicht einfach dadurch gelöst werden (räumlich, zeitlich, sozial) ausgreifen; schen Tradition, die den Freiheitsbegriff eher in Kon- kann, dass der staatliche durch einen nichtstaatlichen strukturelle Heterogenität, die sich sowohl in räum- trast zum „staatlichen Zwang“ auslegt und demzufolge Träger ersetzt wird. lichen, sprachlichen, kulturellen, politischen als Nicht nur die Geschichte des Nationalstaates, auch die Geschichte der Zivilgesellschaft reicht i. d. R. in die Kolonialzeit zurück. Die TZ muss deshalb lernen, dass das staatliche Legitimationsdefizit nicht zwingend impliziert, es gäbe zivilgesellschaftliche Träger, die über höhere gesellschaftliche Legitimationen verfügten. MERKPUNKT 7: stärker mit dem Gegensatzpaar Staat/nicht staatlicher Raum operiert. Einem neoliberalen Politikverständnis folgend, wird in der so genannten „Zivilgesellschaft“ heute generell eine Mittlerin zwischen Staat und Gesellschaft gesehen und eine schwache „Zivilgesellschaft“ oft mit einem totalitären, despotischen Staat und den damit zusammenhängenden Machtmissbräuchen in Verbindung gebracht. Als Indikator einer starken „Zivilgesellschaft“ gilt demgegenüber noch immer die Anzahl an Verbänden und Vereinen, eine Sicht, die Rechtspluralismus und Parallelnormen untergraben laufend die Legitimation einmal erlassener staatlicher Rechtsnormen. In ihm verdichtet sich das Problem konkurrierender Ordnungsprinzipien, sodass er wie in einem Brennspiegel die grundlegenden Probleme des postkolonialen Verwaltungsstaates bündelt. Recht bietet MERKPUNKT 8: auch wirtschaftlichen Zusammenhängen zeigt; ausgeprägte Diskrepanz zwischen staatlichem und sozio-kulturell gültigem Rechtsempfinden; aufgeblähte Verwaltungsgebilde, die zum Teil subsistenzwirtschaftliche Züge annehmen, da sich der staatlich-bürokratische Herrschaftsanspruch gar nicht auf das gesamte nationalstaatliche Territorium erstreckt oder erstrecken kann; Ohnmacht und Intermediarität; beschränkter konstruktiver Gestaltungswille (z. B schwache Normsetzungskapazitäten) der staat- nicht zuletzt in der englischen Herrschaftskonzeption 24 setzungs- und Gestaltungskraft; 14) Der Autor spricht von einer „community of citizens who ideally practiced ‚civic virtue‘ by participating in public life and devoting themselves to the common good“. Wilder, Gary: In: Comaroff, John L. ; Comaroff, Jean (eds.): Civil Society and Political Imagination in Africa. Chicago : The University of Chicago Press, 1999, S.50 25 III Literatur BENDA-BECKMANN, FRANZ VON: ERDMANN, GERO: HEINZ, WOLFGANG S.: & Kock-Marti, Claudia ; Seiler-Schiedt, Eva ; Arpa- Some comparative generalizations about the diffe- Demokratie, Kultur und Tradition : Zum Problem Entwicklungspolitik und Autoritäre Staaten. In: Frey, gaus, Brigitte: Atlas vorkolonialer Gesellschaften : rential use of state and folk institutions of dispute vorkolonialer Herrschaft in der afrikanischen Demo- R. et al: Entwicklungszusammenarbeit mit autoritä- Sozialstrukturen und kulturelles Erbe der Staaten settlement. In: Allot and Woodman (eds.): People’s kratiedebatte. Hamburg : Institut für Afrikakunde, ren Regimen? : Die Entwicklungspolitik auf schma- Afrikas, Asiens und Melanesiens. Forschungs- Law and State Law : The Bellagio Papers. 1998 lem Grat. 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Chicago : The University of Chicago Press, 1999, S. 44-71 28 29 Governance Questionnaire – Ein Instrument zur Analyse von politischen Rahmenbedingungen Mitgestaltung politischer Rahmenbedingungen in der Technischen Zusammenarbeit – Ein Fortbildungskonzept Good Governance und Demokratieförderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Ein Diskussionspapier Instrumente und Ansätze der Politikberatung in der Technischen Zusammenarbeit Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ ) GmbH Dag-Hammarskjöld-Weg 1– 5 Postfach 51 80 D-65726 Eschborn Telefon: +49 (0) 61 96 79 - 0 Fax: +49 (0) 61 96 79 -11 15 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.gtz.de Im Auftrag des BMZ