Diabetes und Psyche 1 Diabetes und Psyche – Psychosomatische Aspekte des Diabetes mellitus Priv. Doz. Dr. med. M. Langenbach Abt. für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 13. Bonner Gesundheitsforum | Diabetes und Stoffwechsel im Fokus der Generationen 26.03.2014 Diabetes und Psyche 2 http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/ fileadmin/Redakteur/Leitlinien/ Evidenzbasierte_Leitlinien/DuS-246_Leitlinie_ Teil1_Psychosoziales_und_Diabetes.pdf Diabetes und Psyche 3 Krankheitsbewältigung des Diabetes-Kranken Diagnosemitteilung Emotionale Ebene Kognitive Ebene chronisch krank sein Verstehen der lebenslange Selbstbehandlung komplexen Therapie Verhaltensebene Behandlung in den Alltag integrieren: Lebensgewohnheiten Diabetes und Psyche 4 Emotionale Ebene: „Trauerarbeit“ • Phasen der „Trauerarbeit“: – Schock (ggf. ausgeprägte „Verleugnung“) – Revolte (ggf. Aggressivität) – Verhandeln – Selbstvorwürfe (ggf. Depression) – Versöhnung Diabetes und Psyche 5 Verhaltensebene: Motivationale Probleme • Häufig: kurzfristiger Genuss > späte Kosten. • Ausbleiben von Krankheit ist lediglich ein negatives Merkmal, Genuss ist unmittelbar. Diabetes und Psyche 6 In der Therapie des Diabetes hat der Patient die Hauptrolle! • Er muss die wichtigen Therapiemaßnahmen umsetzen und • in seinen Alltag integrieren. • Prognose des Diabetes hängt wesentlich davon ab, wie der Patient die erforderlichen Maßnahmen umsetzt. Diabetes und Psyche 7 Allgemeine Faktoren der Krankheitsbewältigung • Art und Schwere der Erkrankung • Soziale Unterstützung • Psychische Bewältigungsprozesse der Erkrankten Diabetes und Psyche 8 Psychische Bewältigungsprozesse von chronisch Kranken Krankheit Bedrohung vitaler Bedürfnisse Angst Überflutung durch Angst Durcharbeiten „Trauerarbeit“ Optimale Bewältigung Verleugnung Diabetes und Psyche 9 Förderung der Krankheitsbewältigung • Ausdruck von Gefühlen ermöglichen, flexibel mit Phasen der Trauerarbeit umgehen – nicht mit Drohungen überfordern! • Aktive Förderung der Verstehbarkeit und Handhabbarkeit der Erkrankung; z.B. durch Diabetesschulungen • Ggf. Einbeziehung der Angehörigen • Beachtung psychischer Begleitprobleme Diabetes und Psyche 10 Psychische Begleitprobleme des Diabetes • Entwicklungsstörungen (bes. Typ 1) • Beziehungsstörungen • Soziale Benachteiligung • Depression • Angst • Psychogene Essstörungen Diabetes und Psyche 11 Ein Fall aus der Praxis • Willi Metzger, 48 J., Angestellter, getrennt von seiner Frau lebend • Diabetes mellitus Typ 1 (ED im Alter von ca. 8 Jahren) Diabetes und Psyche 12 Ein Fall aus der Praxis • aktuelle Beschwerden: – Bauchschmerzen, allg. Erschöpfung, Schlafstörungen • körperliche Untersuchung: unauffällig, bis auf: – BMI: 38,7 kg/m2 (Größe 176cm, Gewicht 120kg) – Polyneuropathie (Pallhypästhesie 3/8 bds.) Diabetes und Psyche 13 Ein Fall aus der Praxis • Aktuelle Medikation: – Actrapid – Berlinsulin – Hydrochlorothiazid 12,5mg – Olmetec 10mg – ASS 100mg – Simvastatin 20mg – Dominal forte 80mg nach ind. Bedarf nach ind. Bedarf 1–0–0 1–0–0 1–0–0 0–0–1 0–0–1 Diabetes und Psyche 14 Ein Fall aus der Praxis Untersuchungs- u. Laborbefunde • Glc: • HbA1c: • Hb: • Hkt: • γGT: • RR: • EKG: 193 mg/dl 8,99 % 13,2 g/dl 38,9 % 88 U/l 150/90 mmHg o. B. Diabetes und Psyche 15 Ein Fall aus der Praxis Was fällt auf? • Der Arzt weist Herrn Metzger auf die schlechte Zuckereinstellung (hoher Blutzuckerwert und erhöhter HbA1c) hin. • Einen Grund für die Bauchschmerzen findet er nicht, befragt aber wegen der erhöhten γGT den Patienten nach Medikamenten- und Alkoholkonsum: letzterer wird von Herrn Metzger mit 1 Fl. Bier/d angegeben. • Der Arzt weist Herrn Metzger auf sein Übergewicht und die Notwendigkeit von steuernden Maßnahmen (Diät, Bewegung, Alkoholkarenz) hin und meldet ihn zu einer (erneuten) Schulung an. Diabetes und Psyche 16 Ein Fall aus der Praxis Was fehlt? •? • Bauchschmerzen • Erschöpfung • Schlafstörung • Depression? Diabetes und Psyche 17 Diabetes und Depression • Etwa 10% der Bundesbürger erkranken einmal oder mehrmals in ihrem Leben an einer Depression. Bezogen auf die ganze Lebensspanne liegt das Risiko an einer Depression zu erkranken bei ca. 15% - 18%. • Depressionen verlaufen meist in Form von Krankheitsphasen (Episoden), die Wochen bis Monate, manchmal auch Jahre anhalten können. Vor allem wenn sie unbehandelt bleiben, können sie rezidivierend immer wieder auftreten und einen chronischen Verlauf nehmen. Diabetes und Psyche 18 Depression - Symptomatik • Hauptsymptome: Gedrückte Stimmung, mangelnde Fähigkeit, sich zu freuen, Interessenverlust, Antriebs- /Aktivitätsminderung, verstärkte Erschöpfbarkeit • Zusatzsymptome: Konzentrationsstörungen, Selbstwertverlust, Schuldgefühle, Pessimismus, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Suizidalität • Häufig auch: Angst, Unruhe, Reizbarkeit, unspezif. Körpersymptome Diabetes und Psyche 19 Diabetes und Depression • Bei Diabetes ist das Risiko einer Depression etwa doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. • Betroffen sind ca. 6 – 27% der Typ-1 und Typ-2 Diabetiker. • Frauen sind häufiger betroffen als Männer. • Besonders bei Diabetikern mit Folgeerkrankungen ist die Depressionsrate erhöht. Diabetes und Psyche 20 Depression und Stoffwechselkontrolle / Spätschäden • Depression ist mit einer leicht bis mäßig schlechteren Stoffwechselkontrolle verknüpft (bei Typ-1 ausgeprägter als bei Typ-2 Diabetes). • Der Effekt nimmt mit Stärke der depressiven Symptomatik zu. • Vorhandensein und Häufigkeit von Spätschäden und Komplikationen sind (mäßig) erhöht (bei Typ-2 mehr als bei Typ-1). Diabetes und Psyche 21 Ätiologie? Diabetes mellitus Depression Diabetes und Psyche 22 Ätiologie: Hypothese 1 Diabetes mellitus Depression • Schock der Diagnose • Belastungen durch Therapie • Schlechter Stoffwechsel • Sorge vor Spätschäden • Belastungen durch Spätschäden • Soziale Stigmatisierung Diabetes und Psyche 23 Ätiologie: Hypothese 1: Moderatorvariablen Diabetes mellitus • Persönlichkeit • soziale Unterstützung • belastende Lebensereignisse • Genetik Depression Krankheitsbewältigung Diabetes und Psyche 24 Ätiologie: Hypothese 2 Diabetes mellitus Depression • Insulinresistenz erhöht? • Gemeinsame Genetik? • Gemeinsame Erreger? Diabetes und Psyche 25 Depression - Diagnostik • Nur ca. die Hälfte aller Depressiven wird in der „Routineversorgung“ entdeckt • Bereits einfache Fragen nach der Symptomatik haben eine gute „Treffer-Quote“ • Ab mittelschwerer Symptomatik prinzipiell auch Fachmann konsultieren • Cave: Suizidalität! Diabetes und Psyche 26 Depression: Wie kann man die Diagnostik verbessern? Diabetes und Psyche 27 Depression - Diagnostik • Wichtigstes diagnostisches Instrument: • Arzt-Patienten-Gespräch • Fragen nach: • depressiver Stimmung („Fühlten Sie sich während der letzten 2 Wochen gedrückt, niedergeschlagen oder hoffnungslos?“) • Verlust von Interesse und Freude („Haben Sie während der letzten 2 Wochen Freude oder Interesse an Tätigkeiten verloren, die Ihnen gewöhnlich Freude machen?“) • Antriebsminderung Diabetes und Psyche 28 Depression - Diagnostik „WHO-5-Fragen“ • Während der letzten 2 Wochen: • fühlte ich mich fröhlich und gut gelaunt • fühlte ich mich ruhig und entspannt • fühlte ich mich aktiv und vital • fühlte ich mich beim Aufwachen frisch und ausgeruht • erlebte ich täglich eine Fülle von Dingen, die mich interessieren • Antwort: 5: die ganze Zeit | 4: meistens | 3: mehr als die Hälfte der Zeit | 2: weniger als die Hälfte der Zeit | 1: manchmal | 0: zu keiner Zeit • Score: (0-25); <13: V. a. Depression, weitergehende Abklärung empfohlen • im Gesundheits-Pass Diabetes integriert Diabetes und Psyche 29 Ein Fall aus der Praxis • Bauchschmerzen • Erschöpfung • Schlafstörung • Stimmung: niedergeschlagen, hoffnungslos-resigniert, Einsamkeit (denkt oft an die seit ¾ Jahr getrennt lebende Ehefrau) • Interessen: geht seit ½ Jahr nicht mehr zu seinem Eisenbahnverein • Antrieb: kein „Schwung“ mehr Diabetes und Psyche 30 Ein Fall aus der Praxis „WHO-5-Fragen“ • Während der letzten 2 Wochen: • fühlte ich mich fröhlich und gut gelaunt: 1 • fühlte ich mich ruhig und entspannt: 2 • fühlte ich mich aktiv und vital: 1 • fühlte ich mich beim Aufwachen frisch und ausgeruht: 2 • erlebte ich täglich eine Fülle von Dingen, die mich interessieren: 2 • Antwort: 5: die ganze Zeit 4: meistens 3: mehr als die Hälfte der Zeit 2: weniger als die Hälfte der Zeit 1: manchmal 0: zu keiner Zeit • Score Herr Metzger: 8 • <13: V. a. Depression, weitergehende Abklärung empfohlen! Diabetes und Psyche 31 Depression - Therapie • Psychosomatische Grundversorgung • Psychotherapie • Pharmakotherapie Diabetes und Psyche 32 Depression - Psychosomatische Grundversorgung • Grundsätzlich psychisches Befinden erfragen • Intensität und Bedeutung der Symptomatik einschätzen • Depression als Krankheit anerkennen • Bei leichter Symptomatik: - regelmäßige stützende Gespräche • Bei mittlerer bis schwerer Symptomatik: - Psychotherapie und Medikation empfehlen Diabetes und Psyche 33 Diabetes und Angststörungen • häufig körperbezogene Beschwerden: • Herzrasen • Durchfall • Schwitzen • Unruhe • Schwindel •… Diabetes und Psyche 34 Diabetes und Angststörungen • Generell bei Diabetikern nicht wesentlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung • Prävalenz je nach Störung zwischen 2 - 11%. • Je nach Symptomatik deutlich negative Effekte auf Stoffwechsel und Lebensqualität • Längerfristig sind frühere / vermehrte Spätkomplikationen möglich Diabetes und Psyche 35 Diabetes und Angststörungen - Ätiologie Diabetes mellitus Angststörung • Belastungen durch Symptome • Belastung durch Therapie • Sorge vor Spätschäden • Sorge vor sozialer Stigmatisierung Aber: Die Mehrzahl der isolierten und sozialen Phobien gehen dem Diabetes voraus! Diabetes und Psyche 36 Angststörungen - Psychosomatische Grundversorgung • Grundsätzlich psychisches Befinden erfragen • Art und Schwere der Symptomatik einschätzen • Angststörung nicht bagatellisieren! • Psychoedukation • Bei leichter Symptomatik: - regelmäßige stützende Gespräche • Bei mittlerer bis schwerer Symptomatik: - Psychotherapie und Medikation empfehlen - Cave: Benzodiazepine! (hohes Suchtpotential) Diabetes und Psyche 37 Diabetes und Essstörungen • Alle Formen gestörten Essverhaltens können einen negativen Einfluss auf die Stoffwechseleinstellung haben • Anorexia nervosa: bei D. m. nicht häufiger als bei Stoffwechselgesunden • Bulimia nervosa: Anstieg der Prävalenzen auf 3-6% der jungen Frauen mit D. m. • Binge-Eating-Störung: 30% der männlichen Typ 2 – Diabetiker • Atypische Formen! • z. B. junge Frauen mit D. m., die Heißhungerattacken haben oder übertrieben fasten oder Insulindosis zur Gewichtsreduktion senken „Insulin-Purging“ erhebliche Folgeschäden Diabetes und Psyche 38 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Priv. Doz. Dr. med. M. Langenbach Abt. für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 13. Bonner Gesundheitsforum | Diabetes und Stoffwechsel im Fokus der Generationen 26.03.2014 PAID Problembereiche in der Diabetesbehandlung _____________________________________ Ist es derzeit für Sie ein Problem, • 1. dass Sie keine eindeutigen und klaren Ziele für Ihre Diabetesbehandlung haben • 3. dass Sie der Gedanke, mit dem Diabetes leben zu müssen, ängstigt • 9. dass Sie sich Sorgen über Unterzuckerungen machen 20 Items; jeweils • 0 kein • 1 eher geringes • 2 mittleres • 3 eher größeres • 4 großes Problem